4a O 4/14 – Isolationsfehlerortung

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 2345

Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 27. November 2014, Az. 4a O 4/14

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

TATBESTAND

Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen behaupteter Patentverletzung des deutschen Patents DE 10 2005 054 XXX B4 auf Unterlassung, Auskunft- und Rechnungslegung, Rückruf, Vernichtung, Freistellung von außergerichtlichen Rechts- und Patentanwaltskosten, Urteilsveröffentlichung und Feststellung der Verpflichtung zur Entschädigungs- und Schadensersatzleistung in Anspruch.

Die Klägerin ist im Register eingetragene Inhaberin des deutschen Patents DE 10 2005 054 XXX B4 (im Folgenden kurz: Klagepatent). Das Klagepatent trägt den Titel „Verfahren und Einrichtung zur Ortung von Isolationsfehlern in isolierten ungeerdeten Wechselspannungsnetzen“ und wurde am 14.11.2005 angemeldet. Die Offenlegung der Anmeldung erfolgte am 31.05.2007. Das Deutsche Patent- und Markenamt (DPMA) erteilte das Klagepatent und veröffentlichte am 30.08.2012 den Hinweis auf dessen Erteilung. Das Klagepatent steht in Kraft.

Der geltend gemachte Anspruch 2 des Klagepatents lautet (mit Bezugsziffern):

„Einrichtung zur Ortung von Isolationsfehlern in isolierten ungeerdeten Wechselspannungsnetzen mit Prüfspannungsgenerator und Erfassung eines Prüfstromes durch Anordnung eines Differenzstromwandlers in jedem Netzabgang,

dadurch gekennzeichnet, dass eine Baugruppe Stromwandler (11) aus mehreren Stromwandlern (1), einem Mikroprozessor mit Busschnittstelle (12) und einer Statusanzeige (13) gebildet wird

und auf einer Hutschiene (9) befestigt ist und diese mit einem Tiefenwinkel (1) zwischen jeweils zwei Hutschienen (9) abgesenkt angeordnet ist und die Differenzstromwandler (1) in Reihe und versetzt stehend angeordnet sind und die Leitungsöffnungen der Stromwandler (14) rechtwinklig zu den Hutschienen (9) angeordnet sind und die Baugruppe Stromwandler (11) eine zweite Einbauebene bildet.“

Zur Illustration werden nachfolgend die Fig. 2 und 3 aus dem Klagepatent eingeblendet:

Die Figuren zeigen eine Draufsicht auf eine Baugruppe Stromwandler (11) in einem Schaltgerüst sowie eine Schnittdarstellung hiervon. Das Schaltgerüst besteht aus Profilschienen (8) und Hutschienen (9). An den Profilschienen (8) ist – wie nur in Fig. 3 erkennbar ist – ein Tiefenwinkel (10) befestigt, an dem sich eine weitere Hutschiene (9) befindet, auf der eine Baugruppe Stromwandler (11) angeordnet ist. Diese besteht aus mehreren Differenzstromwandlern (1), einer Bus-Schnittstelle (12) und einer Statusanzeige (13). Die Differenzstromwandler (1) sind in versetzten Reihen stehend angeordnet, wobei deren Leitungsöffnungen (14 nur in Fig. 2) rechtwinklig zu den Hutschienen angeordnet sind.

Die Klägerin ist ein deutsches Unternehmen, das eine patentgemäße Vorrichtung unter der Bezeichnung „B“ herstellt und vertreibt. Die Beklagte ist ebenfalls ein deutsches Unternehmen. Sie stellt her und vertreibt unter der Bezeichnung „C“ ein Isolationsfehlersuchgerät mit integriertem Messstromwandler (im Folgenden kurz: angegriffene Ausführungsform). Die jährlichen Umsätze der Beklagten hinsichtlich der angegriffenen Ausführungsform liegen bei ca. 1,5 Mio. Euro mit steigender Tendenz. Nachfolgend wird ein Bild der angegriffenen Ausführungsform (von S. 1 der Anlage K4) zur Illustration eingeblendet:

Die angegriffene Ausführungsform ist dazu vorgesehen, in einem Schaltschrank direkt zwischen zwei Profilscheinen mittels eines Rahmens der angegriffenen Ausführungsform eingebaut zu werden; sie umfasst keine Hutschiene.

Die Klägerin hat die Beklagte mit rechtsanwaltlichen Schreiben vom 27.03.2013 erfolglos abgemahnt und zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungsverpflichtungserklärung aufgefordert. Für die Einzelheiten wird auf die Anlage K2 verwiesen.

Die Klägerin ist der Ansicht, die angegriffene Ausführungsform verwirkliche Anspruch 2 des Klagepatents auf äquivalente Weise. Die Unterschiede zwischen Anspruch 2 und der angegriffenen Ausführungsform lägen lediglich in der Geometrie und seien für die Wirkungsweise der Vorrichtung vernachlässigbar. Die angegriffene Ausführungsform sei eine an eine andere Einbausituation angepasste patentgemäße Vorrichtung. Die im Bezug zum Anspruch in der angegriffenen Ausführungsform abweichend realisierten Merkmale trügen nicht zur technischen Wirkung der Erfindung bei, so dass eine Gleichwirkung im Sinne einer äquivalenten Patentverletzung zu bejahen sei. Auch die angegriffene Ausführungsform verwirkliche den patentgemäßen Zweck einer platzsparenden Anordnung. Die von der angegriffenen Ausführungsform im Vergleich zum Patentanspruch gewählte geometrische Alternative sei nicht als erfinderisch anzusehen und gleichwertig mit der geschützten Lehre.

Das Vorhandensein eines Prüfspannungsgenerators und einer Erfassung eines Prüfstroms durch Anordnung eines Differenzstromwandlers in jedem Netzabgang sei nicht zwingend Teil der patentgemäßen Vorrichtung selbst. Dies könne auch in der Umgebung, in der die Vorrichtung eingesetzt wird, vorhanden sein. Dies ist – insoweit unstreitig – bei Verwendung der angegriffenen Ausführungsform der Fall.

Die Klägerin beantragt:

1. Die Beklagte hat es unter Meidung eines vom Gericht für jeden Einzelfall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €‚ ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, wobei die Ordnungshaft an der Geschäftsführung der Komplementärin der Beklagten zu vollziehen ist, zu unterlassen,

eine Einrichtung zur Ortung von Isolationsfehlern in isolierten ungeerdeten Wechselspannungsnetzen mit Prüfspannungsgenerator und Erfassung eines Prüfstromes durch Anordnung eines Differenzstromwandlers in jedem Netzabgang,

die dadurch gekennzeichnet ist, dass eine Stromwandler-Baugruppe aus mehreren Stromwandlern, einem Mikroprozessor mit Bus-Schnittstelle und einer Statusanzeige gebildet wird und

diese zwischen jeweils zwei Profilschienen anordenbar ist,

die Differenzstromwandler in Reihe und nebeneinander liegend angeordnet sind, die Leitungsöffnungen der Stromwandler rechtwinklig zu den Profilschienen angeordnet sind und

die Stromwandler-Baugruppe in einer ersten Einbauebene angeordnet ist,

im Geltungsbereich des deutschen Patents mit der Nummer DE 10 2005 054 XXX B4 herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen, oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen, jeweils selbst oder durch Dritte.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin

a) für die vom 30. Juni 2007 bis zum 29. September 2012 begangenen, vorstehend zu Ziffer 1 bezeichneten Handlungen eine angemessene Entschädigung zu zahlen,

b) sämtlichen Schaden zu ersetzen, der der Klägerin durch vorstehend zu Ziffer 1 bezeichnete und seit dem 30. September 2012 begangene Handlungen entstanden ist und künftig entstehen wird.

3. Die Beklagte hat für den Umfang der vorstehend in Ziffer 1. bezeichneten Handlungen Rechnung zu legen, und zwar

a) für die Zeit seit dem 30. Juni 2007 unter Angabe

aa) der Herstellungsmengen und -zeiten,

bb) der Mengen der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer der in Ziffer 1 beschriebenen Erzeugnisse,

cc) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen nebst Produktbezeichnungen sowie Namen und Anschriften der Abnehmer,

dd) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen nebst Produktbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,

ee) der Art und des Umfangs der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,

b) für die Zeit seit dem 30. September 2012 zusätzlich unter Angabe

aa) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten sowie

bb) des erzielten Gewinns,

wobei ihr jeweils vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nicht gewerblichen Abnehmer und Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden, in Deutschland ansässigen, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern sie dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist.

4. Die Beklagte hat die vorstehend zu Ziffer 1 bezeichneten, seit dem 30.08.2012 im Besitz Dritter befindlichen Erzeugnisse aus den Vertriebswegen zurückzurufen, indem diejenigen Dritten, denen durch die Beklagte oder mit deren Zustimmung Besitz an den Erzeugnissen eingeräumt wurde, unter Hinweis darauf, dass die Kammer mit dem hiesigen Urteil auf eine Verletzung des Klagepatents erkannt hat, ernsthaft aufgefordert werden, die Erzeugnisse an die Beklagte zurückzugeben, und den Dritten für den Fall der Rückgabe der Erzeugnisse eine Rückzahlung des gegebenenfalls bereits gezahlten Kaufpreises sowie die Übernahme der Kosten der Rückgabe zugesagt wird.

5. Die Beklagte hat die in ihrem mittelbaren oder unmittelbaren Besitz oder Eigentum befindlichen, vorstehend in Ziffer 1. beschriebenen Erzeugnisse auf ihre Kosten an einen von der Klägerin zu beauftragenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung herauszugeben oder diese Erzeugnisse selbst zu vernichten.

6. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin gegenüber ihren Prozessbevollmächtigten sowie des mitwirkenden Patentanwaltes von der Inanspruchnahme in Höhe von jeweils einer 1,3 Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2300 W RVG 2007 zuzüglich Auslagenpauschale aus einem Streitwert von 250.000,00 €‚ unter Anrechnung der Verfahrensgebühren dieses Verfahrens, mithin 2.687,60 € für die Abmahnung vom 27.03.2013 freizustellen.

7. Der Klägerin wird gestattet, im Falle des Obsiegens das Urteil auf Kosten der Beklagten öffentlich bekannt zu machen, wobei Art und Umfang der Bekanntmachung durch das Gericht bestimmt werden mögen.

In Ziffer 2. b) wurde vom Gericht korrigiert, dass es um den Schaden geht, der der „Klägerin“ und nicht der „Beklagten“ entstanden ist. Hierbei handelt es sich um ein offensichtliches Schreibversehen der Klägerin.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen;

hilfsweise:

der Beklagten wird für den Fall ihrer Verurteilung zur Rechnungslegung nach ihrer Wahl vorbehalten, die Namen und Anschriften ihrer nicht-gewerblichen Abnehmer sowie die Namen und Anschriften ihrer Empfänger von Angeboten statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, zur Verschwiegenheit verpflichteten vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern sie dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt, der Klägerin darüber Auskunft zu geben, ob eine bestimmte Lieferung, ein bestimmter Abnehmer, ein bestimmtes Angebot oder ein bestimmter Angebotsempfänger in der Rechnungslegung enthalten ist;

hilfsweise:

der Beklagten nachzulassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung ohne Rücksicht auf eine Sicherheitsleistung der Klägerin abzuwenden.

Die Beklagte trägt vor, das Klagepatent sei nicht verletzt. Die Klage sei unschlüssig; eine äquivalente Patentverletzung sei von der Klägerin nicht im Ansatz nachvollziehbar dargelegt worden. Die angegriffene Ausführungsform gehe bei der Lösung des technischen Teilproblems einer platzsparenden Anordnung einen völlig anderen Weg als das Klagepatent ihn vorgebe. Hierzu werde vom Klagepatent eine zweite, tieferliegende Einbauebene vorgesehen. Eine dazu gleichwertige Lösung sei bei der angegriffenen Ausführungsform nicht vorhanden.

Die Wirkung des Merkmals, die Differenzstromwandler versetzt in Reihe stehend anzuordnen, diene dazu, in der Breite Platz zu sparen. Dies werde bei der angegriffenen Ausführungsform ebenfalls nicht äquivalent realisiert, da dort unstreitig die Differenzstromwandler liegend (nicht versetzt) nebeneinander angebracht sind. Darüber hinaus sei die Abwandlung der angegriffenen Ausführungsform auch nicht naheliegend und gleichwertig im Vergleich zur patentgemäßen Lösung.

Patentgemäß sei ein Prüfungsspannungsgenerator erforderlich, der bei der angegriffenen Ausführungsform selbst – unstreitig – nicht vorhanden ist.

Der Streitwert sei von der Klägerin zu gering angegeben. Dieser müsse EUR 1.500.000,00 betragen.

Für die Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die ausgetauschten Schriftsätze samt Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 30.10.2014 verwiesen.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Klägerin stehen die geltend gemachten Ansprüche aus §§ 33 Abs. 1, 139 Abs. 1, Abs. 2, 140a Abs. 1, Abs. 3, 140b, 140e PatG, §§ 242, 259 BGB nicht zu, da eine Patentverletzung durch die Beklagte nicht festgestellt werden konnte. Die angegriffene Ausführungsform verwirklicht Anspruch 2 des Klagepatents weder wortsinngemäß noch äquivalent.

I.
1.
Das Klagepatent betrifft ein Verfahren und eine Einrichtung zur Ortung von Isolationsfehlern in isolierten ungeerdeten Wechselspannungsnetzen sowie deren Einbau in Schaltverteilern mit Profilschienen.

Das Klagepatent (im Folgenden nach Abs. zitiert, ohne das Klagepatent explizit zu nennen) schildert in seiner einleitenden Beschreibung bekannte Verfahren zur Isolationsfehlersuche in isolierten Netzen. Hierbei werden in solchen Verfahren verwendete Stromwandler in Schaltschränken einzeln oder in Gruppen neben anderen elektrischen Geräten angeordnet (Abs. [0004]).

Zum einen kritisiert das Klagepatent an den bekannten Verfahren, dass sie einen speziellen Differenzstromwandler erfordern. Der Einsatz von preiswerten Betriebsstromwandlern, wie sie zur Messung netzfrequenter Ströme im Amperebereich verwendet werden, ist bei diesen Verfahren nicht möglich (Abs. [0005]). Aus den Dokumenten aus dem Stand der Technik DE 25 55 XXX A1 und EP 0 248 XXX A1 sind Fehlerschutzschaltungen mit Stromwandlern bekannt, bei denen über eine zusätzliche Hilfswicklung an den Stromwandler eine Spannung angekoppelt wird und hierdurch eine Vormagnetisierung erreicht wird. Nachteilig ist hierbei jedoch, dass der Differenzstromwandler mit mindestens einer zusätzlichen Hilfswicklung ausgestattet sein muss (Abs. [0006]).

Zum anderen kritisiert das Klagepatent am Stand der Technik, dass bei den bekannten Anordnungen neben den übrigen Schaltgeräten der Schaltschränke viel Platz benötigt wird (Abs. [0007]). Zwar ist aus der CH 672 XXX A5 bekannt, einen Fehlerstromschutzschalter auf einer Hutschiene zu montieren und dessen Anschlussklammern auf zwei unterschiedlichen Ebenen anzuordnen. Hieran bemängelt das Klagepatent jedoch, dass diese Anordnung ebenfalls entsprechenden Raum erfordert.

Vor diesem Hintergrund stellt sich das Klagepatent in Abs. [0009] zwei Teilaufgaben: Zum einen ein Verfahren und eine Einrichtung zur Erfassung des Differenzstromes unter Verwendung von preisgünstigen Betriebsstromwandlern bereitzustellen und zum anderen hierfür eine platzsparende Anordnung in Schaltschränken zu schaffen.

2.
Dies löst das Klagepatent mit einer Vorrichtung gemäß Anspruch 2, der sich in Form einer Merkmalsgliederung wie folgt darstellen lässt:

A Einrichtung zur Ortung von Isolationsfehlern in isolierten ungeerdeten Wechselspannungsnetzen

B mit Prüfspannungsgenerator

C und Erfassung eines Prüfstromes durch Anordnung eines Differenzstromwandlers in jedem Netzabgang,

dadurch gekennzeichnet,

D dass eine Baugruppe Stromwandler (11)

D1 aus mehreren Stromwandlern (1),

D2 einem Mikroprozessor mit Busschnittstelle (12) und

D3 einer Statusanzeige (13) gebildet wird

E auf einer Hutschiene (9) befestigt ist und

F diese mit einem Tiefenwinkel (10) zwischen jeweils zwei Hutschienen (9) abgesenkt angeordnet ist und

G die Differenzstromwandler (1)

G1 in Reihe und

G2 versetzt stehend angeordnet sind und

G3 die Leitungsöffnungen der Stromwandler (14) rechtwinklig zu den Hutschienen (9) angeordnet sind und

H die Baugruppe Stromwandler (11) eine zweite Einbauebene bildet.

3.
Anspruch 2 löst insbesondere die zweite Teilaufgabe, indem er eine platzsparende Anordnung einer Ortungseinrichtung lehrt. Diese kann für eine das Verfahren nach Anspruch 1 durchführende Vorrichtung verwendet werden, welches primär die erste Teilaufgabe löst und die Ausführung der Differenzstromwandler als (preisgünstige) normale Betriebsstromwandler ohne Hilfswicklung ermöglicht und lehrt.

Gemäß dem streitgegenständlichen Anspruch 2 wird eine vorbekannte Vorrichtung zur Ortung von Isolationsfehlern nach Merkmalsgruppe D mit einer Baugruppe Stromwandler ausgeführt, die aus mehreren Stromwandlern, einem Mikroprozessor mit Bus-Schnittstelle und einer Statusanzeige gebildet wird.

Die Merkmale E bis H lehren sodann die räumliche Anordnung der Ortungseinrichtung, die letztlich die zweite Teilaufgabe löst und eine platzsparende Installation in Schaltschränken bewirkt. Das Klagepatent geht dabei implizit von einer bestimmten Ausgestaltung eines Schaltschranks aus (vgl. Abs. [0001]), wie sie auch in den oben eingeblendeten Figuren 2 und 3 ersichtlich ist. Zur Verdeutlichung wird nunmehr eine kolorierte Fassung von Fig. 3 eingeblendet:

Fig. 3 zeigt eine Draufsicht auf einen Schaltschrank, wobei oben das vordere Ende des Schaltschranks ist. Dieses besteht aus einem Schaltverteilergerüst, das aus Profilschienen 8 (rot eingefärbt) und (vorderen) Hutschienen 9 (hellgrün) besteht (Abs. [0017]). An den Profilschienen sind übereinander Hutschienen angebracht, zwischen denen elektrische Geräte befestigt werden können, was insbesondere aus der oben eingeblendeten Fig. 2 deutlich wird.

a)
Die patentgemäße Lehre in den Merkmalen E, F und H sieht hiervon ausgehend vor, eine weitere Hutschiene 9 (dunkelgrün eingefärbt in obiger Abbildung) im hinteren Teil des Schaltschranks anzuordnen und hieran die Baugruppe Stromwandler (11) nach Merkmalsgruppe D zu befestigen. Insoweit sieht Merkmal E vor, dass die Baugruppe Stromwandler,

„auf einer Hutschiene (9) befestigt ist“.

Diese wiederum ist nach Merkmal F,

„mit einem Tiefenwinkel (10) zwischen jeweils zwei Hutschienen (9) abgesenkt angeordnet“.

Der Tiefenwinkel ist in der obigen Abbildung blau eingefärbt. Soweit Merkmal F von „zwischen jeweils zwei Hutschienen“ spricht, sind dabei die vorderen (in der Abbildung: oberen) Hutschienen gemeint, die an den Profilschienen (8) befestigt sind. Merkmal H, wonach

„die Baugruppe Stromwandler (11) eine zweite Einbauebene bildet“,

verdeutlicht, dass „abgesenkt“ in Merkmal F eine Anordnung im vom Benutzer aus gesehen hinteren Teil des Schaltschrankes meint – also unten in der vorstehend eingeblendeten Zeichnung. Da die Baugruppe Stromwandler (11) nicht an den Profilschienen, sondern über einen Tiefenwinkel im hinteren Teil des Schaltschranks installiert ist, bleibt im vorderen Bereich des Schaltschranks Platz für andere Geräte. Mit anderen Worten: Durch die Anordnung der Stromwandler in einer zweiten Einbauebene des Schaltschranks bleibt dessen erste Einbauebene frei für andere Geräte, was zur Lösung der Teilaufgabe beiträgt.

b)
Durch die von den Merkmalen E, F und H gelehrte, abgesenkte Anordnung der Stromwandler ist eine weniger breite Ausgestaltung erforderlich als bei einer Installation unmittelbar an den Profilschienen. Zu diesem Zweck sieht die Merkmalsgruppe G eine besondere Anordnung der Differenzstromwandler vor. Diese sind patentgemäß,

„G1 in Reihe und

G2 versetzt stehend angeordnet (…) und

G3 die Leitungsöffnungen der Stromwandler (14) rechtwinklig zu den Hutschienen (9) angeordnet sind“ .

Was hiermit gemeint ist, lässt sich ebenfalls aus den Fig. 2 und 3 ersehen. Durch die in Merkmalsgruppe G beschriebene Anordnung der Differenzstromwandler ist es möglich, diese auf einer geringeren Breite anzuordnen.

4.
Die angegriffene Ausführungsform verwirklicht die Merkmale E, F, G1, G2 und H weder wortsinngemäß noch äquivalent. Eine wortsinngemäße Verletzung wird zutreffend auch von der Klägerin nicht geltend gemacht. Aber auch eine äquivalente Verwirklichung dieser Merkmale lässt sich nicht feststellen.

Unter dem Gesichtspunkt der patentrechtlichen Äquivalenz kann eine vom Wortsinn abweichende Ausführungsform dann in den Schutzbereich einbezogen werden, wenn sie das der Erfindung zu Grunde liegende Problem mit abgewandelten, aber objektiv im Wesentlichen gleichwirkenden Mitteln löst (Gleichwirkung) und seine Fachkenntnisse den Fachmann befähigen, die abgewandelten Mittel als im Wesentlichen gleichwirkend aufzufinden (Naheliegen), wobei die Überlegungen, die der Fachmann anstellen muss, derart am Sinngehalt der im Schutzanspruch unter Schutz gestellten technischen Lehre orientiert sein müssen, dass der Fachmann die abweichende Ausführung mit ihren abgewandelten Mitteln als eine der gegenständlichen Lösung gleichwertige Lösung in Betracht zieht (Gleichwertigkeit; zu allen Voraussetzungen: BGH, GRUR 2011, 701 – Okklusionsvorrichtung; BGH, GRUR 2007, 410, 415 f. – Kettenradanordnung; BGH, GRUR 2004, 758, 760 – Flügelradzähler; BGH, GRUR 2007, 959, 961 – Pumpeinrichtung; BGH, GRUR 2007, 1059, 1063 – Zerfallszeitmessgerät).

Hinsichtlich der genannten Merkmale fehlt es bei der angegriffenen Ausführungsform erkennbar an den Voraussetzungen der Gleichwirkung und der Gleichwertigkeit.

Die Klägerin ist der Ansicht, die Merkmale E bis H seien für die Funktion der angegriffenen Ausführungsform ohne Belang. Dabei verkennt sie, dass sich die patentgeschützte Lehre gerade nicht auf die Isolationsfehlerortung beschränkt, sondern insbesondere auch eine platzsparende Anordnung bereitstellen will. Diese Funktion und die dazugehörigen Anspruchsmerkmale stellen evident keine beliebige, austauschbare Geometrie dar, sondern sind Teil der technischen Lehre des Anspruchs 2.

a)
Gleichwirkende Ersatzmittel in Bezug auf die Merkmale E, F, G1, G2 und H können nicht festgestellt werden.

aa)
Die Ausgestaltung der angegriffenen Ausführungsform, bei der die Baugruppe Stromwandler zwischen jeweils zwei Profilschienen und in der ersten Einbauebene angeordnet ist, ist nicht gleichwirkend mit den Merkmalen E, F und H.

Gleichwirkend ist – entgegen der Auffassung der Klägerin – nur eine Lösung, die nicht nur im Wesentlichen die Gesamtwirkung der Erfindung erreicht, sondern gerade auch diejenige Wirkung erzielt, die das nicht wortsinngemäß verwirklichte Merkmal erzielen soll (BGH, GRUR 2011, 313, 318 – Crimpwerkzeug IV m.w.N.; BGH, GRUR 2002, 515 – Schneidmesser I). Dabei ist das fragliche Merkmal im Gesamtzusammenhang der Erfindung zu betrachten (Kühnen, Hdb. der Patentverletzung, 7. Aufl. 2014, Rn. 89). Entscheidend ist, welche einzelnen Wirkungen die patentgemäßen Merkmale – für sich und insgesamt – gerade zur Lösung des dem Patentanspruch zugrundeliegenden Problems bereitstellen (BGH, GRUR 2000, 1005, 1006 – Bratgeschirr). Dabei darf kein Merkmal wegfallen (BGH, GRUR 2007, 1059 – Zerfallszeitmessgerät).

Bei der angegriffenen Ausführungsform ist eine solche Gleichwirkung nicht gegeben. Eine mit einem Tiefenwinkel abgesenkt angeordnete Hutschiene (Merkmale E und F) und eine von den Stromwandlern gebildete zweite Einbauebene (Merkmal H) fehlen bei der angegriffenen Ausführungsform ersatzlos. Diese Merkmale sollen wie erläutert die Anordnung der Stromwandler im Schaltschrank nach hinten versetzt bewirken. Eine gleichwirkende Abwandlung dieser Merkmale ist bei der angegriffenen Ausführungsform nicht ersichtlich.

Es kann auch entgegen dem Vortrag der Klägerin keine Gleichwirkung damit begründet werden, dass die von der angegriffenen Ausführungsform gewählte Anordnung in der ersten Einbauebene Platz in der Tiefe des Schaltschranks spart. Dies verkennt zunächst, dass eine solche Betrachtung die einzelnen Merkmale des Anspruchs 2 ignoriert und den Schutzbereich des Klagepatents ohne Rechtfertigung pauschal auf eine platzsparende Anordnung erweitert, ohne sich mit der Lehre der verschiedenen Merkmale auseinanderzusetzen. Weiterhin zielt das Klagepatent gerade nicht darauf ab, Platz in der Tiefe eines Schaltschranks zu sparen, sondern in dessen erster Ebene. Eine Platzersparnis in der Tiefe durch die angegriffene Ausführungsform ist ersichtlich nicht gleichwirkend mit der anspruchsgemäßen Lehre.

bb)
Ferner fehlt es auch an einer äquivalenten Verwirklichung der Merkmale G2 und G3, wonach die Differenzstromwandler,

„G2 versetzt stehend angeordnet sind und

G3 die Leitungsöffnungen der Stromwandler (14) rechtwinklig zu den Hutschienen (9) angeordnet sind“.

Bei der angegriffenen Ausführungsform liegen die Stromwandler in einer Reihe, wobei die Leitungsöffnungen parallel zu den Hutschienen angeordnet sind. Es ist nicht ersichtlich, dass diese Ausgestaltung mit der in den Merkmalen G2 und G3 spezifizierten Anordnung gleichwirkend ist. Die hierdurch vom Klagepatent angestrebte Verringerung der Breite der Baugruppe wird von der angegriffenen Ausführungsform schlicht nicht erreicht.

b)
Auch eine Gleichwertigkeit der in der angegriffenen Ausführungsform umgesetzten Gestaltung zur patentgemäßen Lehre ist nicht ersichtlich. Die Klägerin beschränkt sich hier erneut darauf, die angegriffene Ausführungsform als eine rein geometrische Abwandlung von der anspruchsgemäßen Lehre anzusehen, die ebenfalls Platz spart. Auch insoweit verkennt sie, dass die beanspruchte, bestimmte (geometrische) Anordnung Teil der geschützten Lehre ist. Im Klagepatent lassen sich auch keine Anhaltspunkte dafür finden, dass die angegriffene Gestaltung sich im Rahmen des Sinngehalts der patentgemäßen Lösung ist.

Die verwirklichte Lehre stellt sich für den Fachmann vielmehr als eine deutliche Abkehr hiervon dar: Während das Klagepatent in den Merkmalen E, F und H eine Anordnung auf einer zweiten Einbauebene über Tiefenwinkel vorsieht, ist die angegriffene Ausführungsform auf der ersten Ebene installiert. Eine solche Lösung ist gerade nicht am Sinngehalt der im Schutzanspruch unter Schutz gestellten technischen Lehre orientiert.

Hinsichtlich der Anordnung der Stromwandler gemäß den Merkmalen G2 und G3 ist die verwirklichte Lösung in der angegriffenen Ausführungsform das genaue Gegenteil der patentgemäßen Lehre. Die von der angegriffenen Ausführungsform gewählte Anordnung der Stromwandler, namentlich „nebeneinander liegend mit den Leitungsöffnungen parallel zu den Hutschienen“, bewegt sich nicht im Rahmen des Sinngehalts der patentgemäßen Lehre. Diese sieht versetzt stehende, mit den Leitungsöffnungen rechtswinklig zu den Hutschienen angeordnete Stromwandler vor.

II.
Da eine Patentverletzung nicht vorliegt, stehen der Klägerin die geltend gemachten Ansprüche nicht zu.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.

III.
Der nicht nachgelassene Schriftsatz der Klägerin vom 14.11.2014, der nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingereicht wurde, fand bei der Entscheidung keine Berücksichtigung. Eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung ist nicht geboten, §§ 296a, 156 ZPO.

IV.
Der Streitwert wird auf EUR 1.000.000,00 festgesetzt.

Der Streitwert ist vom Gericht gemäß § 51 Abs. 1 GKG nach billigem Ermessen festzusetzen. Maßgeblich ist das wirtschaftliche Interesse, das die Klägerin mit ihrer Klage objektiv verfolgt, wobei es auf die Verhältnisse bei Klageeinreichung ankommt. Entscheidend ist das wirtschaftliche Interesse der Klägerin an einer Abwehr der mit weiteren Verstößen verbundenen Nachteile. Werden mit der Klage – wie hier – außerdem Ansprüche auf Rechnungslegung, Entschädigung und Schadenersatz geltend gemacht, so ist der in der Vergangenheit (bis zur Einreichung der Klage) bereits entstandene Kompensationsanspruch überschlägig zu schätzen und der entsprechende Betrag dem Streitwert für den Unterlassungsanspruch hinzuzurechnen, um einen Gesamtstreitwert zu bilden.

Vorliegend hat die Klägerin keine Angaben zur Begründung ihrer Streitwertangabe von EUR 250.000,00 gemacht. Allerdings kann auf Basis des Vortrages der Beklagten der Streitwert auf EUR 1,0 Mio. festgesetzt werden. Die Parteien sind die einzigen Unternehmen auf dem Markt für hier streitgegenständliche Vorrichtungen. Die Beklagte hat vorgetragen, ihr Umsatz mit angegriffenen Ausführungsformen betrage EUR 1,5 Mio. mit steigender Tendenz, wobei für Vorrichtungen wie die vorliegende ein Lizenzsatz von 5 % angemessen sei. Dem ist die Klägerin nicht entgegen getreten. Berücksichtigt man die Restlaufzeit des Klagepatents von ca. 9 Jahren sowie, dass für einen Zeitraum von ca. 5 Jahren eine angemessene Entschädigung und für ca. 2 Jahre Schadensersatz geltend gemacht wird, erscheint der festgesetzte Streitwert von EUR 1.000.000,00 angemessen.