4a O 73/13 – Dampfdruckkochgerät

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 2328

Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 16. Oktober 2014, Az. 4a O 73/13

I. Die Beklagte wird verurteilt,

1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 – ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an dem jeweiligen gesetzlichen Vertreter zu vollstrecken ist, zu unterlassen, in der Bundesrepublik Deutschland,

Dampfdruckkochgeräte, die einerseits einen Behälter und einen Deckel und andererseits ein Organ zum Steuern des Verriegelns/Entriegelns des Deckels in Bezug zu dem Behälter aufweisen,

anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen,

bei denen das Steuerorgan auf dem Deckel einerseits zwischen einer ausgefahrenen Position, die dem Entriegeln des Deckels entspricht, wobei die ausgefahrene Position eine Anschlagposition ist, in der das Steuerorgan konzipiert ist, um manuell erfasst zu werden, um das Handhaben des Deckels zu gestatten, und andererseits einer eingezogenen Position, die dem Verriegeln des Deckels entspricht, in der das Steuerorgan dazu konzipiert ist, schwieriger manuell erfasst zu werden, als es in der ausgefahrenen Position ist, beweglich montiert ist, wobei das Steuerorgan einen Henkel aufweist, der von dem Deckel in ausgefahrener Position vorsteht und in eingezogener Position gegen den Deckel heruntergeklappt wird;

2. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang die Beklagte die zu Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 11. Juli 2012 begangen hat, und zwar unter Angabe

a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,

b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die Erzeugnisse bestimmt waren,

c) der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden;

wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;

3. der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang die Beklagte die zu Ziffer I.1 bezeichneten Handlungen seit dem 11. August 2012 begangen hat, und zwar unter Angabe:

a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie die Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer,

b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,

c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,

d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,

wobei der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zu Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;

4. die vorstehend zu Ziffer I.1. bezeichneten, seit dem 11. Juli 2012 im Besitz Dritter befindlichen Erzeugnisse aus den Vertriebswegen zurückzurufen, indem diejenigen Dritten, denen durch die Beklagte oder mit deren Zustimmung Besitz an den Erzeugnissen eingeräumt wurde, unter Hinweis darauf, dass die Kammer mit hiesigen Urteil auf eine Verletzung des Klagepatents erkannt hat, ernsthaft aufgefordert werden, die Erzeugnisse an die Beklagte zurückzugeben, und den Dritten für den Fall der Rückgabe der Erzeugnisse eine Rückzahlung des gegebenenfalls bereits gezahlten Kaufpreises sowie der Kosten der Rückgabe zugesagt wird und die erfolgreich zurückgerufenen Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen;

5. die im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder in ihrem Eigentum befindlichen Deckel der Dampfdruckkochgeräte gemäß dem Antrag zu Ziffer I.1. auf Kosten der Beklagten zu vernichten oder nach Wahl der Beklagten an einen von der Klägerin zu bestimmenden Treuhänder zum Zwecke der Vernichtung herauszugeben.

II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der der Klägerin durch die zu I.1. bezeichneten, seit dem 11. August 2012 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.

III. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

IV. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

V. Das Urteil ist hinsichtlich der Verurteilung zu Unterlassung, Rückruf und Vernichtung gemäß Ziffern I.1., I.4. und I.5. der Urteilsformel vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 800.000,00 EUR und hinsichtlich der Verurteilung zu Auskunft und Rechnungslegung gemäß Ziffern I.2. und I.3. der Urteilsformel vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 100.000,00 EUR

VI. Der Streitwert wird auf 1.100.000,00 EUR festgesetzt, wovon auf die Verurteilung zu Unterlassung, Rückruf und Vernichtung gemäß Ziffer I.1., I.4. und I.5. der Urteilsformel 800.000,00 EUR entfallen, auf die Feststellung der Schadensersatzpflicht gemäß Ziffer II. der Urteilsformel 150.000,00 EUR, auf die Verurteilung zu Auskunft und Rechnungslegung gemäß Ziffern I.2. und I.3. der Urteilsformel 100.000,00 EUR sowie auf den Antrag auf Gestattung der Urteilsveröffentlichung gemäß Ziffer I.6. der geltend gemachten Klageanträge 50.000,00 EUR.

TATBESTAND

Die Klägerin ist Inhaberin des in französischer Verfahrenssprache erteilten europäischen Patents EP 2 204 XXX B1 (Anlage K 1, in deutscher Übersetzung als Anlagen K 1a und K 1b; im Folgenden: Klagepatent), das unter Inanspruchnahme einer französischen Priorität vom 30. Dezember 2008 (FR 0859XXX) am 16. Dezember 2009 angemeldet und am 7. Juli 2010 veröffentlicht wurde. Der Hinweis auf die Erteilung des Klagepatents wurde am 11. Juli 2012 veröffentlicht. Das Klagepatent betrifft ein Dampfdruckkochgerät mit einem Verstellorgan für zwei Funktionen zum Verriegeln und Entriegeln. Mit Schriftsatz vom 17. Februar 2014 (Anlage rop 4) hat die Beklagte das Klagepatent angegriffen durch die Erhebung einer Nichtigkeitsklage, über die noch nicht entschieden ist.

Anspruch 1 des Klagepatents lautet:

„Dampfdruckkochgerät(1), das einerseits einen Behälter (2) und einen Deckel (3) und andererseits ein Organ (6) zum Steuern des Verriegelns/Entriegelns des Deckels (3) in Bezug zu dem Behälter (2) aufweist, dadurch gekennzeichnet, dass das Steuerorgan (6) auf dem Deckel (3) einerseits zwischen einer ausgefahrenen Position, die dem Entriegeln des Deckels (3) entspricht, wobei die ausgefahrene Position eine Anschlagposition ist, in der das Steuerorgan (6) konzipiert ist, um manuell erfasst zu werden, um das Handhaben des Deckels (3) zu gestatten, und andererseits einer eingezogenen Position, die dem Verriegeln des Deckels (3) entspricht, in der das Steuerorgan (6) dazu konzipiert ist, schwieriger manuell erfasst zu werden als es in der ausgefahrenen Position ist, beweglich montiert ist, wobei das Steuerorgan (6) einen Henkel (6A) aufweist, der von dem Deckel (3) in ausgefahrener Position vorsteht und in eingezogener Position gegen den Deckel (3) heruntergeklappt wird.“

Nachstehend verkleinert wiedergegebene Zeichnungen sind dem Klagepatent entnommen und veranschaulichen dessen technische Lehre anhand bevorzugter Ausführungsformen:

Figur 1 zeigt ein klagepatentgemäßes Dampfgargerät in der Gesamtansicht, Figur 2 ist eine perspektivische Teilansicht des Steuerorgans für die Verriegelung und Entriegelung. Figur 9 zeigt das Steuerorgan für das Verriegeln und Entriegeln in ausgefahrener Position, Figur 12 zeigt dasselbe Steuerorgan, das seine ausgefahrene Position verlassen hat und sich in Richtung der eingezogenen Position verschiebt.

Die Beklagte vertreibt Dampfgartöpfe unter der Bezeichnung „A“ (im Folgenden: angegriffene Ausführungsform). Lichtbilder der angegriffenen Ausführungsform sind als Anlage K 7 zur Akte gereicht, aus welcher die nachstehenden zwei Lichtbilder der angegriffenen Ausführungsform entnommen sind:

Das eine der beiden Lichtbilder zeigt die angegriffene Ausführungsform mit ausgefahrenem, das andere Lichtbild mit eingezogenem Henkel am Deckel. Ferner ist ein Muster der angegriffenen Ausführungsform als Anlage K 8 zur Gerichtsakte gereicht.

Die Klägerin ist der Auffassung, die angegriffene Ausführungsform mache von der technischen Lehre des Klagepatents Gebrauch. Der als Steuerorgan für die Ver- und Entriegelung dienende Griff auf dem Deckel der angegriffenen Ausführungsform werde im eingeklappten Zustand derart von passenden Vertiefungen aufgenommen, dass seine manuelle Betätigung in diesem eingeklappten Zustand schwieriger sei als im ausgeklappten Zustand. Dieser Griff weise auch einen Henkel gemäß der Lehre des Klagepatents auf, denn auch Gestaltungen, bei denen das Steuerorgan vollständig durch den Henkel gebildet werde, seien vom Schutzbereich des Klagepatents umfasst.

Ferner meint die Klägerin, das Klagepatent werde sich im parallelen Nichtigkeitsverfahren als rechtsbeständig erweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen wie erkannt,

ferner hilfsweise zum zuerkannten Hauptantrag auf Vernichtung: die Beklagte zu verurteilen, die im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder in ihrem Eigentum befindlichen Kunststoffgriffteile der Deckel der Dampfdruckkochgeräte gemäß dem Antrag zu Ziffer I.1. auf Kosten der Beklagten zu vernichten oder nach Wahl der Beklagten an einen von der Klägerin zu bestimmenden Treuhänder zum Zwecke der Vernichtung herauszugeben;

sowie darüber hinausgehend: die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin zu gestatten, das stattgebende Urteil auf Kosten der Beklagten öffentlich bekanntzumachen, indem die Bezeichnung der Parteien und der Tenor (soweit er die Sachentscheidung enthält) sowie der erläuternde Hinweis, dass nach dem Urteil der Vertrieb des Dampfdruckkochtopfes „A“ der Beklagten den deutschen Teil des europäischen Patents 2 204 XXX B1 verletzt, einmalig im Anzeigenteil der „B Zeitung“ mit einer Schriftgröße von 8 Punkt veröffentlicht werden.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen;

hilfsweise: es der Beklagten für den Fall ihrer Verurteilung zur Rechnungslegung nach ihrer Wahl vorzubehalten, die Namen und Anschriften ihrer nicht-gewerblichen Abnehmer sowie die Namen und Anschriften ihrer Empfänger von Angeboten statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, zur Verschwiegenheit verpflichteten vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern sie dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt, der Klägerin darüber Auskunft zu geben ob eine bestimmte Lieferung, ein bestimmter Abnehmer, ein bestimmtes Angebot oder ein bestimmter Angebotsempfänger in der Rechnungslegung enthalten ist;

hilfsweise: der Beklagten nachzulassen, die Sicherheitsleistung ohne Rücksicht auf eine Sicherheitsleistung der Klägerin abzuwenden;

hilfsweise: den Rechtsstreit bis zur erstinstanzlichen Entscheidung über die von der Beklagten eingereichte Nichtigkeitsklage auszusetzen.

Die Beklagte meint, die angegriffene Ausführungsform verletze das Klagepatent nicht. Sie weise kein Steuerorgan auf, das dazu konzipiert sei, in einer eingezogenen Position schwieriger manuell erfasst zu werden als in der ausgefahrenen Position. Auch in der eingezogenen Position sei der Griff der angegriffenen Ausführungsform „blind“ zu bedienen, die angegriffene Ausführungsform könne ohne weiteres auch in dieser Position des Griffs angehoben werden. Zudem verfüge die angegriffene Ausführungsform nicht über ein Steuerorgan, welches einen Henkel aufweise, denn nach der Lehre des Klagepatents müsse dafür der Henkel gesondert vom Steuerorgan im Übrigen ausgebildet sein. Ferner behauptet die Beklagte, die von der Klägerin beantragte Vernichtung der Deckel sei unverhältnismäßig, weil die Deckel durch einfache Maßnahmen in einen jedenfalls nicht patentverletzenden Zustand versetzt werden könnten.

Außerdem ist die Beklagte der Auffassung, die technische Lehre des Klagepatents sei neuheitsschädlich vorweggenommen, jedenfalls aber nahegelegt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen ergänzend Bezug genommen.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

Die zulässige Klage ist überwiegend begründet. Der Klägerin stehen die geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Rückruf und Vernichtung sowie auf Feststellung der Schadensersatzpflicht aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ, §§ 9 Satz 2 Nr. 1, 139 Abs. 1 und 2, 140a, 140b PatG, §§ 242, 259 BGB zu. Die angegriffene Ausführungsform macht von der technischen Lehre des Klagepatents in widerrechtlicher Weise Gebrauch. Lediglich der geltend gemachte Anspruch auf Gestattung der Urteilsveröffentlichung aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 140e PatG besteht nicht. Zur Aussetzung des Rechtsstreits im Hinblick auf das parallele Nichtigkeitsverfahren besteht keine Veranlassung.

I.

Das Klagepatent betrifft ein Druckgargerät, insbesondere einen Dampfdruckkochtopf mit einem Behälter und einem Deckel.

Aus dem Stand der Technik sind derlei Geräte bekannt, deren Deckel verriegelt und entriegelt werden kann, beispielsweise mit Hilfe einer Vielzahl von Klemmbacken, die mit radial auf dem Deckel angeordneten Antriebsarmen verbunden sind, deren Verschiebung wiederum durch ein auf dem Deckel montiertes Steuerorgan gesteuert wird, so dass der Benutzer durch Betätigen des Steuerorgans die Klemmbacken radial verstellen und damit in Entriegelungs- oder Verriegelungsposition bringen kann.

Die EP 1 535 XXX (Anlage rop 1, in deutscher Übersetzung als Anlage rop 2) offenbart ein solches Druckgargerät mit einem drehbaren, zentral auf die Mittelebene des Deckels montierten Griff als Steuerorgan, durch dessen Drehung in oder gegen den Uhrzeigersinn der Benutzer die Verriegelung steuern kann. Außerdem dient nach dieser Voroffenbarung das Steuerorgan als zentraler Griff, mit dem der Benutzer den Deckel erfassen und tragen kann.

Hieran kritisiert das Klagepatent als nachteilig, dass der zentrale Griff einen großen Platz einnehmen muss, um zum Erfassen des Deckels dienen zu können, so dass der Deckel schwer zu lagern und zu spülen sein kann. Außerdem kann sich eine Gefahr der Handhabung daraus ergeben, dass der Benutzer den Griff benutzt, um den gesamten Topf, womöglich samt Wasser und Nahrungsmittel, anzuheben.

Ferner erwähnt das Klagepatent die Offenbarung eines Dampfdruckkochtopfes mit schwenkbarem, die Ver- und Entriegelung steuerndem Hebel, ohne diese Voroffenbarung zu kritisieren.

Vor diesem Hintergrund formuliert es das Klagepatent als technische Aufgabe, die aus dem Stand der Technik bekannten Nachteile zu beseitigen und ein Druckgargerät zu schaffen, das einfach, kompakt und kostengünstig herzustellen und zugleich einfach zu verstauen, im Geschirrspüler abwaschbar und sicher in der Verwendung ist. Zugleich soll die Gefahr begrenzt oder wenigstens beseitigt werden, dass ein Benutzer das gesamte Gerät am Deckel hochhebt.

Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Klagepatent eine Vorrichtung mit folgenden Merkmalen vor:

1. Dampfdruckkochgerät (1), umfassend

2. einerseits einen Behälter (2) und,

3. einen Deckel (3) und,

4. andererseits ein Organ (6) zum Steuern des Verriegelns/Entriegelns des Deckels (3) in Bezug zu dem Behälter (2),
4.1 das Steuerorgan (6) ist beweglich auf dem Deckel (3) montiert zwischen
4.1.1 einerseits einer ausgefahrenen Position, die dem Entriegeln des Deckels (3) entspricht,
4.1.1.1 die ausgefahrene Position ist eine Anschlagposition,
4.1.1.2 in der das Steuerorgan (6) konzipiert ist, um manuell erfasst zu werden, um das Handhaben des Deckels () zu gestatten, und
4.1.2 andererseits einer eingezogenen Position, die dem Verriegeln des Deckels (3) entspricht,
4.1.2.1 in der das Steuerorgan (6) konzipiert ist, schwieriger manuell erfasst zu werden als es in der ausgefahrenen Position ist,
4.2 das Steuerorgan (6) weist einen Henkel (6A) auf, der von dem Deckel (3) in ausgefahrener Position vorsteht und in eingezogener Position gegen den Deckel (3) heruntergeklappt wird.

II.

Zwischen den Parteien steht allein die Verwirklichung der Merkmale 4.1.2.1 und 4.2 im Streit, was keinen rechtlichen Bedenken begegnet. Die angegriffene Ausführungsform verwirklicht allerdings auch diese beiden streitigen Merkmale.

1.
Die angegriffene Ausführungsform verwirklicht Merkmal 4.1.2.1, gemäß welchem das Steuerorgan konzipiert ist, in der eingezogenen Position schwieriger manuell erfasst zu werden als in der ausgefahrenen Position.

a)
Dieses Merkmal ist in der Weise auszulegen, dass die Handhabung des Steuerorgans aufgrund der räumlich-körperlichen Gestaltung des Steuerorgans und des Deckels bei der Bewegung des Steuerorgans von der eingezogenen in die ausgefahrene Position erheblich schwieriger ist als bei der umgekehrten Bewegung von der ausgefahrenen in die eingezogene Position. Dabei ist nicht erforderlich, dass die Handhabung bei der Bewegung in die ausgefahrene Position so schwer ist, dass sie nicht mehr manuell, sondern nur noch mit Hilfsmitteln möglich wäre, eine erhebliche Erschwerung kann vielmehr schon darin liegen, dass die Handhabung in dieser Bewegungsrichtung einen erheblich genaueren manuellen Bewegungsablauf erfordert.

Dem für die Bestimmung des Schutzbereichs gemäß Art. 69 EPÜ maßgeblichen Wortlaut des Merkmals lässt sich entnehmen, dass es für den Benutzer der klagepatentgemäßen Vorrichtung wegen der Gestaltung des Steuerorgans schwieriger sein soll, dieses mit der Hand zu erfassen, wenn es sich in der eingefahrenen Position befindet, verglichen mit der einfacheren Handhabung des Steuerorgans in der ausgefahrenen Position. Die Handhabung des Steuerorgans soll im eingefahrenen Zustand also weder vollständig unmöglich noch über ein absolutes Maß hinaus erschwert sein, sondern sie soll in spürbarer, für den Benutzer erheblicher Weise schwerer sein verglichen mit der Handhabung des Steuerorgans in der ausgefahrenen Position.

Dieses Verständnis wird gestützt durch die gebotene funktionsorientierte Auslegung: Die Gestaltung und die hierdurch bedingte Handhabung des Steuerorgans sollen es dem Benutzer zwar ermöglichen, das Steuerorgan nicht nur zum Steuern des Mechanismus zum Verriegeln und Entriegeln benutzen zu können, sondern zugleich auch als Griff, an dem er den Deckel des Druckgargeräts anheben kann. Diese Doppelfunktion als Steuerorgan und als Griff würdigt das Klagepatent als aus dem Stand der Technik, insbesondere aus der EP 1 535 XXX (Anlage rop 1, in deutscher Übersetzung als Anlage rop 2) vorbekannt, ohne dies als nachteilig zu kritisieren (Abs. [0004]f. des Klagepatents). Allerdings soll die Funktion des Steuerorgans als Griff, und hier setzt die Kritik des Klagepatents am Stand der Technik an (Absatz [0006], Anlage K 1a, Seite 2, Zeilen 19 bis 30), so weit wie möglich darauf begrenzt werden, alleine als Griff für den Deckel zu dienen, nicht aber als Griff des gesamten Druckgargerätes. Der Benutzer soll davon abgehalten werden, das Steuerorgan zum Anheben des gesamten Druckgargeräts zu benutzen (Absatz [0009]). Mit Blick auf ein bevorzugtes Ausführungsbeispiel bezeichnet es das Klagepatent als vorteilhaft (Absatz [0030]), wenn die in der eingezogenen Position erschwerte Handhabung des Steuerorgans den Benutzer davon abhält, es als Griff zu benutzen. Klagepatentgemäß soll der Zweck, den Benutzer zur Nutzung der Funktion als Griff alleine in der ausgefahrenen Position anzuhalten, gerade durch die erschwerte Handhabung des Steuerorgans in dieser Position erreicht werden. Als möglich, aber nicht zwingend, schildert das Klagepatent (Absatz [0033]) eine Gestaltung, bei der das Steuerorgan in der eingezogenen Position überhaupt nicht als Griff genutzt werden kann, weil es völlig in eine Position zurückgezogen ist, in welcher der Benutzer keine ausreichende Grifffläche mehr vorfindet.

Der Zusammenhang zwischen der erschwerten Handhabung in der eingezogenen Position und der Verminderung der Gefahr einer Nutzung des Steuerorgans als Griff für das gesamte Druckgargerät fügt sich darin, dass die eingezogene Position gemäß Merkmal 4.1.2 dem Verriegeln des Deckels entspricht, die ausgefahrene Position gemäß Merkmal 4.1.1 hingegen dem Entriegeln des Deckels. In der ausgefahrenen Position kann das Steuerorgan vom Benutzer also erheblich leichter als Griff genutzt werden, dann aber ist der Deckel entriegelt und kann daher nur getrennt vom Behälter des Druckgargeräts angehoben werden. In der eingefahrenen Position des Steuerorgans ist zwar der Deckel verriegelt, also mit dem Behälter verbunden, indes ist in dieser Position die Handhabung des Steuerorgans so sehr erschwert, dass der Benutzer davon abgehalten wird, das Steuerorgan in dieser Position als Griff zu benutzen.

Das Argument der Beklagten, die in Merkmal 4.1.1.2 enthaltene Zweckangabe müsse bei Auslegung des Merkmals 4.1.2.1 außer Betracht bleiben, greift aus diesem Grunde und in diesem Sinne nicht durch: Aus dem Gesamtzusammenhang des Anspruchswortlauts und insbesondere aus der Funktion, welche die technische Lehre der Gestaltung des Steuerorgans gemäß Merkmal 4.1.2.1 zumisst, ergibt sich für den Fachmann, dass die erschwerte Handhabung des Steuerorgans in eingezogener Funktion klagepatentgemäß dazu beitragen muss, den Benutzer von einer Nutzung des Steuerorgans als Griff abzuhalten, wenn sich dieses in eingezogener Position befindet. Zugleich folgt daraus, dass das Klagepatent diesen technischen Erfolg nicht zwingend vorschreibt, also auch solche Gestaltungen vom Schutzbereich erfasst sind, bei denen der Benutzer das Steuerorgan in eingezogener Position nur unter erschwerten Umständen, aber doch immerhin als Griff benutzen kann.

b)
Auf Grundlage dieser Auslegung lässt sich eine Verwirklichung des Merkmals 4.1.2.1 durch die angegriffene Ausführungsform feststellen. Auch in der eingefahrenen Position des auf dem Deckel der angegriffenen Ausführungsform befindlichen Griffs, in welcher der Deckel auf dem Topf verriegelt ist, lässt sich dieser Griff zwar manuell bedienen. Dazu ist es allerdings erforderlich, entweder einen hinreichenden Druck auf die dann seitlich weisende Oberkante des Griffs auszuüben, um diese Kante nach oben zu ziehen, oder aber mit einem, höchstens zwei Fingern in eine kleine Aussparung einzugreifen, die es gestattet unter den eingeklappten Griff zu fassen. Beide Bewegungsabläufe erfordern eine größere Genauigkeit und eine deutlich genauere Berücksichtigung der räumlich-körperlichen Gestaltung des Griffes verglichen mit dem Ergreifen des Griffes, wenn dieser nach oben ausgeklappt ist. In dieser ausgefahrenen Position, in welcher der Deckel entriegelt ist, bildet der Griff nämlich einen verhältnismäßig großen Henkel, in den der Benutzer auch ohne exakte Bewegungsablauf so sicher eingreifen kann, dass er am Henkel den Deckel anheben kann.

Umgekehrt betrachtet wird der Benutzer davon abgehalten, den Deckel am Griff anzuheben, wenn der Griff eingeklappt ist, denn dann muss der Benutzer sinnvoller Weise den Griff in der beschriebenen, eher erschwerten Weise aufrichten, um sodann über den Henkel eine vertikale Kraft auszuüben.

Die Erschwerung der Handhabung zum Entriegeln gegenüber demjenigen zum Verriegeln liegt bei der angegriffenen Ausführungsform insbesondere darin begründet, dass der Aufbau auf dem Deckel, auf dem der Henkel in der eingezogenen Position zum Liegen kommt, in seiner Formgebung so stark der Kontur des Henkels ähnelt, dass er dessen Kontur bis auf einen geringen Überstand fast vollständig abdeckt. Die in diesem Aufbau enthaltene Griffmulde, in welcher der Henkel untergriffen werden kann, ist verhältnismäßig klein und erfordert eine genaue manuelle Handhabung beim Ergreifen des Henkels.

2.
Auch das weitere streitige Merkmal 4.2, gemäß dem das Steuerorgan klagepatentgemäß einen in ausgefahrener Position vorstehenden und in eingezogener Position heruntergeklappten Henkel aufweisen muss, ist verwirklicht.

a)
Merkmal 4.2 ist dahingehend auszulegen, dass das Steuerorgan wenigstens über einen Abschnitt verfügen muss, der dem Benutzer als Henkel zu dienen geeignet ist, den also der Benutzer zum Zwecke der Übertragung einer vertikal gerichteten Kraft, etwa beim Anheben, nutzen kann. Die Gestaltung des Steuerorgans kann sich klagepatentgemäß in der Ausbildung eines Henkels erschöpfen, das Steuerorgan muss also keine weiteren, strukturell vom Henkel unterscheidbaren Bestandteile umfassen.

Dem schutzbereichsbestimmenden Wortlaut, wonach das Steuerorgan einen Henkel aufweist, entnimmt der Fachmann, dass das Steuerorgan klagepatentgemäß aus mehr als dem Henkel bestehen kann, aber nicht muss. Dem Begriff „aufweist“ misst der Fachmann, anders als es die Beklagte vertritt, nicht den Sinn bei, dass das Steuerorgan nicht allein aus dem Henkel bestehen darf, sondern daneben weitere Bestandteil aufweisen muss. Dieses von der Beklagten angeführte Verständnis lässt sich nicht auf den allgemeinen Sprachgebrauch des Begriffs „aufweisen“ stützen, denn ein Bezugsobjekt kann eines oder mehrere Bestandteile aufweisen. Außerdem und vor allem lässt sich dem Klagepatent kein Anhaltspunkt dafür entnehmen, dass der Henkel gemäß Merkmal 4.2 eines von mehreren Bestandteilen des Steuerorgans sein muss. Der Fachmann erkennt, dass ein Henkel für den Benutzer besonders gut geeignet ist, um den Deckel zu ergreifen und daran hochzuheben. Auch die von der Beklagten angeführten Vorgänge aus dem Erteilungsverfahren hinsichtlich dieses Merkmals (Material vorgelegt in Anlagenkonvolut rop 3) belegen, dass das Klagepatent sich vom Stand der Technik, namentlich von der im Erteilungsverfahren insoweit geprüften DE 10 2004 056 XXX B3 dadurch abgrenzt, dass der zum Ergreifen des Steuerorgans geeignete Abschnitt als Henkel und nicht in anderer, beliebiger Weise als Griff ausgestaltet sein soll. Diese Abgrenzung gegenüber dem Stand der Technik zielt indes nicht darauf ab, neben dem Henkel weitere Bestandteile des Steuerorgans vorzusehen.

Unteranspruch 9 des Klagepatents belegt dieses Auslegungsergebnis. Er lautet:

„Gerät (1) nach einem der Ansprüche 1 bis 8, dadurch gekennzeichnet, dass das Steuerorgan (6) im Wesentlichen eine kreisbogenförmige Kontur aufweist.“

Demnach ist auch eine solche Gestaltung klagepatentgemäß, bei der das Steuerorgan aufgrund seiner halbkreisbogenförmigen, sich also über seinen gesamten Verlauf hinweg im Wesentlichen gleichförmig krümmenden Struktur überhaupt keine strukturellen Abschnitte erkennen lässt. Das nach oben weisende Segment des Halbkreisbogens etwa, welches deutlich als Henkel in Betracht käme, ließe sich nicht verlässlich von den angrenzenden Segmenten abgrenzen, welche vom Henkel unterschieden werden könnten. Das Klagepatent schildert diesen Mangel an struktureller Abgrenzbarkeit sogar als Vorteil (Absatz [0042), nämlich als besonders komfortabel für den Benutzer. Ersichtlich muss der Benutzer bei einer solchen Form, in der der Henkel das gesamte Steuerorgan ausmacht, den Bereich, an dem er den Henkel ergreift, nicht genau wählen, denn die Form des Henkels, nämlich des Halbkreisbogens, weist überall dieselbe Krümmung auf.

Soweit die Beklagte darauf verweist, die Angabe in Merkmal 4.2 zum Herunterklappen des Henkels in der eingezogenen Position erwiese sich als redundant gegenüber der Angabe in Merkmal 4.1.2.1, wenn sich das Steuerorgan im Henkel erschöpfte, ergibt sich hieraus nichts anderes. Dass der Henkel, wenn er das Steuerorgan vollständig ausmacht, schon aufgrund der Vorgabe einer eingezogenen Position gemäß Merkmal 4.1.2 zum Deckel heruntergeklappt werden muss, führt zwar dazu, dass bei einer solchen Gestaltung des Steuerorgans Merkmal 4.2 eine Überbestimmung enthält. Das hält den Fachmann aber nicht davon ab, Merkmal 4.2 in der genannten Weise zu verstehen, weil eine Überbestimmung durch einen Aspekt eines einzelnen Merkmals keine technisch widersprüchliche Lehre darstellt. Dementsprechend führt auch der Unteranspruch 8, in dem die Aufnahme des eingezogenen Henkels in ein Relief auf dem Deckel beansprucht ist, zu keiner anderen Auslegung. Im Gegenteil belegt dieser Unteranspruch, dass der Henkel in eine eingezogene Position heruntergeklappt wird, also in die Position, welche das Steuerorgan gemäß Merkmal 4.1.2 zum Verriegeln des Deckels einnimmt, so dass zwanglos der Henkel als Steuerorgan insgesamt verstanden werden kann.

Ebenso wenig greift der weitere Verweis der Beklagten auf Unteranspruch 5 durch. Die dort beanspruchte Ausführung eines Organs zum Ergreifen des Deckels, das nur aus dem Steuerorgan in ausgefahrener Position besteht, steht nicht dem Verständnis entgegen, dass auch der Henkel im Sinne Merkmal 4.2. das Steuerorgan insgesamt ausmachen kann. Bei einer solchen Gestaltung macht der Henkel dann zusätzlich das Greiforgan im Sinne des Unteranspruchs 8 aus. Damit weist Unteranspruch 8 sogar darauf hin, dass das Steuerorgan aus einem einzigen Bestandteil bestehen kann, nämlich dem durch den Henkel ausgebildeten Greiforgan.

Schließlich wird die erläuterte Auslegung auch durch die Beschreibungsstelle in Absatz [0040] nicht widerlegt. Die dortige Angabe, die Verwendung eines Henkels (in der französischen Fassung: „anse“) stelle eine „Erfindung als solche“ dar und sei von den anderen technischen Aspekten des Klagepatents unabhängig, bietet keinen Anhaltspunkt dafür, dass das Steuerorgan einerseits und der Henkel andererseits nicht in demselben Bauteil einer klagepatentgemäßen Vorrichtung verwirklicht sein dürften. Vielmehr beschränkt sich diese Angabe auf den offensichtlichen Umstand, dass das Steuern der Verriegelung des Deckels einen anderen Aspekt betrifft als das erleichterte Anheben des Deckels mithilfe eines Henkels. Dass das Klagepatent beide grundsätzlich voneinander getrennten Aspekte in der Weise miteinander verbindet, dass nur ein entriegelter Deckel in erleichterter Weise mithilfe des Henkels angehoben werden kann, steht dazu nicht im Widerspruch, sondern bildet gerade eine Besonderheit der technischen Lehre. Dem entspricht, es, dass es am Ende des genannten Absatzes heißt, dass das Steuerorgan von einem Henkel (in der französischen Fassung wiederum: „anse“) gebildet werden kann – was ein ausdrücklicher Beleg für die genannte Auslegung ist.

b)
Demnach verwirklicht die angegriffene Ausführungsform auch Merkmal 4.2. Das Steuerorgan der angegriffenen Ausführungsform ist der graue Griff auf der Oberseite des Deckels. Dieser Griff weist zwei kürzere parallele Stege und einen damit im rechten Winkel einstückig verbundenen und die beiden kürzeren Stege verbindenden Quersteg auf. Dieser Quersteg kann als Henkel betrachtet werden, weil er geeignet ist, vom Benutzer zum Zweck der Übertragung einer vertikalen Kraft ergriffen zu werden. Auch ist dieser Quersteg unterscheidbar von den beiden kürzeren Stegen, da diese im nahezu rechten Winkel an diesen angrenzen. Selbst wenn aber davon auszugehen wäre, dass der gesamte Griff den Henkel ausmacht, würde dies aus den oben dargelegten Gründen einer Verwirklichung des Merkmals 4.2 nicht entgegenstehen.

III.

Da die Beklagten das Klagepatent im Inland widerrechtlich benutzt hat, ist sie gemäß Art. 64 EPÜ, § 139 Abs. 1 PatG zur Unterlassung der im Inland begangenen Benutzungshandlungen verpflichtet.

Die Beklagte trifft ein zumindest fahrlässiges Verschulden. Als Fachunternehmen hätte sie bei Anwendung der von ihr im Geschäftsverkehr zu fordernden Sorgfalt die Benutzung des Klagepatents erkennen und vermeiden können, § 276 BGB. Für die Zeit ab Erteilung des Klagepatents zuzüglich eines Monats schuldet die Beklagte daher Ersatz des Schadens, welcher der Klägerin aufgrund ihrer Verletzungshandlungen entstanden ist und noch entstehen wird, Artikel 64 EPÜ, § 139 Abs. 2 PatG. Da die genaue Schadensersatzhöhe derzeit noch nicht feststeht, die Klägerin nämlich keine Kenntnis über den Umfang der Benutzungs- und Verletzungshandlungen durch die Beklagte hat, hat sie ein rechtliches Interesse gemäß § 256 ZPO daran, dass die Schadensersatzpflicht der Beklagten dem Grunde nach festgestellt wird.

Um die Klägerin in die Lage zu versetzen, den ihr zustehenden Schadensersatz und die ihr zustehende angemessene Entschädigung zu beziffern, ist die Beklagte verpflichtet, im zuerkannten Umfange über ihre Benutzungshandlungen Rechnung zu legen. Im Rahmen der gemäß § 140 b PatG bestehenden Auskunftspflicht hat die Beklagte außerdem die betreffenden Belege zu überlassen (vgl. OLG Düsseldorf, InstGE 5, 249 – Faltenbalg).

Die Pflicht der Beklagten, die von ihn im Inland in Verkehr gebrachten patentverletzenden Erzeugnisse zurückzurufen und die erfolgreich zurückgerufenen Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen, folgt aus Art. 64 EPÜ, § 140a Abs. 3 PatG. Der Anspruch der Klägerin, von der Beklagten die Vernichtung der Verletzungsgegenstände zu verlangen, an denen sie im Inland Besitz oder Eigentum hat, ergibt sich aus § 140a Abs. 1 PatG. Im zuerkannten Umfang belastet die Vernichtung die Beklagte nicht unverhältnismäßig im Sinne von § 140a Abs. 4 PatG. Dem Umstand, dass alleine das auf dem Deckel angebrachte Steuerorgan den patentverletzenden Zustand der angegriffenen Ausführungsform ausmacht, ist durch die Beschränkung der Vernichtung eben auf die Deckel hinreichend Rechnung getragen. Soweit die Beklagte vorbringt, sie könne durch einfache Maßnahme die Deckel so umbauen, dass sie jedenfalls nicht patentverletzend seien, genügt sie im Ergebnis der ihr obliegenden Darlegungslast zur Unverhältnismäßigkeit nicht. Zum einen hat sie nicht vorgebracht, welche Veränderung konkret sie durch einen Umbau der Deckel anstrebt und welchen Aufwand sie dafür auf sich nehmen müsste. Zum anderen ist nicht ersichtlich, ob etwaige einfache Maßnahmen zum Umbau nicht ebenso einfach wieder rückgängig gemacht und die Exemplare der angegriffenen Ausführungsform wiederum in einen patentverletzenden Zustand versetzt werden könnten.

Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf Gestattung der Veröffentlichung des Urteils in der „B Zeitung“ gemäß Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 140e PatG besteht hingegen nicht. Der Anspruch auf Urteilsveröffentlichung darf nicht darauf gerichtet sein, den Verletzer bloßzustellen, etwa durch die Veröffentlichung der Entscheidung in einem besonders weit verbreiteten Presseorgan wie etwa der „B Zeitung“; er dient vielmehr der Folgenbeseitigung durch Information. Die Veröffentlichung muss, gemessen an den Umständen im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung objektiv geeignet und überdies erforderlich sein, um die Folgen eines fortdauernden Störungszustandes zu beseitigen. Hier ist schon nicht ersichtlich, warum es erforderlich sein soll, über den Verletzungstatbestand in einer überregionalen Tageszeitung zu informieren. Dass die angegriffene Ausführungsform eine solche Verbreitung und Bekanntheit gefunden hat, dass nur noch eine an die breite Öffentlichkeit gerichtete Information geeignet erschiene, deren Interesse an der angegriffenen Ausführungsform den Hinweis auf den Verletzungstatbestand entgegen zu setzen, ist nicht erkennbar, zumal, was die Klägerin nicht in Abrede gestellt hat, die Beklagte einen nur eher begrenzten Umsatz mit dem Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform erzielt hat.

IV.
Eine Aussetzung des Rechtsstreits gemäß § 148 ZPO im Hinblick auf die von der Beklagten erhobenen Nichtigkeitsklage ist nicht geboten.

1.
Nach Auffassung der Kammer (Mitt. 1988, 91 – Nickel-Chrom-Legierung, BlPMZ 1995, 121 – Hepatitis-C-Virus), die durch das Oberlandesgericht Düsseldorf (GRUR 1979, 188 – Flachdachabläufe) und den Bundesgerichtshof (GRUR 1987, 284 – Transportfahrzeug) bestätigt wurde, stellt die Erhebung der Nichtigkeitsklage als solche noch keinen Grund dar, den Verletzungsrechtsstreit auszusetzen und damit dem Angriff auf das Klagepatent entgegen § 58 Abs. 1 PatG eine den Patentschutz hemmende Wirkung beizumessen. Die Interessen der Parteien sind vielmehr gegeneinander abzuwägen. Hierbei hat die Kammer des Verletzungsgerichts eine Prognoseentscheidung über den Gang des Nichtigkeitsverfahrens zu treffen. Deshalb und mit Rücksicht auf die Besetzung des Verletzungsgerichts ohne technisch Fachkundige kommt eine Aussetzung nur in Betracht, wenn die Vernichtung des Klagepatents überwiegend wahrscheinlich erscheint. Bei der Prüfung von als neuheitsschädlich eingewandten druckschriftlichen Entgegenhaltungen kommt eine Aussetzung demnach nur in Betracht, wenn das Verletzungsgericht die Vorwegnahme sämtlicher Merkmale so eindeutig bejahen kann, dass keine erheblichen Zweifel entgegenstehen. Wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit ist bereits dann nicht auszusetzen, wenn sich für eine Bejahung der Erfindungshöhe zumindest noch vernünftige Argumente finden lassen.

2.
Gemessen hieran ist eine Aussetzung nicht geboten.

a)
Es erscheint nicht überwiegend wahrscheinlich, dass die technische Lehre des Klagepatents in neuheitsschädlicher Weise durch den eingewandten druckschriftlichen Stand der Technik vorweggenommen ist.

aa)
Die EP 0 416 XXX (D1 = Anlage K5-D1; im Folgenden: EP ‘XXX) dürfte Merkmal 4.1.2.1 des Klagepatents nicht neuheitsschädlich voroffenbaren. Dazu, welchen Schwierigkeiten der Benutzer darin begegnet, das zur Steuerung der Ver- und Entriegelung vorgesehene Organ zu bedienen, macht die EP ‘XXX keine Angaben. Allerdings offenbart die EP ‘XXX (Spalte 7, Zeilen 37 bis 46), dass dieses Steuerorgan Griffarme (71 und 72) sowie ein griffähnliches Element (73) aufweist. Die Darstellungen in den Figuren 2 und 4 der EP ‘XXX zeigen, dass das griffähnliche Element auch dann, wenn es zusammen mit dem Deckel der dort offenbarten Vorrichtung vollständig herabgesenkt ist, sich in einem so großen Abstand zu allen weiteren Bauteilen der Vorrichtung befindet, dass der Benutzer keine Schwierigkeiten haben dürfte, den Griff und damit das gesamte Steuerorgan manuell zu bedienen. Ferner zeigt die Abfolge der Figuren 8 bis 13, in welcher ausweislich der Beschreibung (Spalte 3, Zeilen 52 bis 57) der Bewegungsweg des Steuerorgans von der Verriegelungs- in die Entriegelungsposition gezeigt ist, dass das Steuerorgan und der daran befindliche Griff sowohl in der Verriegelungsposition als auch in der Entriegelungsposition ganz herabgesenkt ist, sich beim Ver- und Entriegeln die Position des Griffs mithin nicht unterscheidet und damit die Schwierigkeit der Bedienung des Griffs in beiden Position gleich groß oder gering ist.

Daraus folgt zugleich, dass die EP ‘XXX auch die Merkmale 4.2 sowie 4.1.1 nicht neuheitsschädlich vorwegnehmen dürfte. Weil und soweit die Offenbarung der EP ‘XXX dahin geht, dass der Griff (73) sich beim Ver- und beim Entriegeln in derselben, heruntergeklappten Position befindet, bildet er keinen Henkel, der gemäß Merkmal 4.2 des Klagepatents in der ausgefahrenen Position vorsteht oder überhaupt eine ausgefahrene Position einnimmt.

Aus demselben Grunde ist auch Merkmal 4.1.1 durch die EP ‘XXX nicht voroffenbart sein: Das Steuerorgan nimmt gemäß der Offenbarung der beim Entriegeln des Deckels keine ausgefahrene Position ein, sondern befindet sich in derselben eingezogenen, heruntergeklappten Position wie beim Verriegeln des Deckels.

bb)
Die CH 260 XXX (D2 = Anlage K5-D2; im Folgenden: CH ‘XXX) offenbart ebenfalls Merkmal 4.1.2.1 nicht hinreichend deutlich, um eine überwiegende Erfolgsaussicht des darauf gestützten Nichtigkeitsangriffs annehmen zu können. Die CH ‘XXX lehrt einen Henkel (12), der über einen Steg mit einer Traverse und dem Deckel des Druckbehälters verbunden ist. Bei Betätigung des Hebels wird durch die Konterwirkung der Traverse der kreisförmige Deckel in eine flachere Krümmung verformt und unter den gebördelten Rand des Behälters geklemmt, so dass er den Behälter druckfest abschließt. Diesen geschlossenen Zustand des Behälters zeigt Figur 1 der CH ‘XXX, während der geöffnete Zustand in Figur 4 der CH ‘XXX gezeigt ist. Auch die CH ‘XXX offenbart nichts dazu, ob und in welcher Stellung des Hebels es für den Benutzer schwierig ist, den Hebel zu bedienen und damit die Ver- und Entriegelung des Behälters zu steuern. Die Figuren 1 und 2 der CH ‘XXX zeigen allerdings eine Formgebung des Hebels mit einer Aussparung auf einer der beiden Seiten des Steges des Henkels. Diese Aussparung zeigt nach unten im verriegelten Zustand und nach oben im entriegelten Zustand des Behälters. Weil der Hebel, wie Figur 2 der CH ‘XXX zeigt, schmal ist, kann er besonders leicht umgriffen werden durch Eingriff in die Aussparung. Das bedeutet aber, dass die CH ‘XXX eine Gestaltung offenbart, bei der die Handhabung des Hebels und damit des Steuerorgans in der Position leichter ist, in der das Behältnis verriegelt ist, denn dann weist die Aussparung des Hebels nach unten und erlaubt ein Durchgreifen zwischen Hebel und Deckel, während im entriegelten Zustand die Aussparung nach oben weist und der Steg des Hebels mit seiner geraden Seite am Deckel anliegt, so dass der Hebel eher schwerer zu ergreifen ist, als im Zustand der Verriegelung. Das steht der Lehre nach Merkmal 4.1.2.1 entgegen.

Ferner dürfte es aus diesem Grunde ebenfalls an einer Voroffenbarung der Merkmale 4.1.1 und 4.2 des Klagepatents durch die CH ‘XXX fehlen: Der das Steuerorgan bildende Hebel liegt nach der Offenbarung der CH ‘XXX in der entriegelten Position nahe am Deckel an und nimmt jedenfalls eine Stellung ein, die kaum als ausgefahrene Position bezeichnet werden könnte. Aus demselben Grunde steht der Hebel in der Position der Verriegelung entgegen Merkmal 4.2 des Klagepatents nicht vom Deckel vor.

cc)
Die GB 169,XXX (D3 = Anlage K5-D3; im Folgenden: GB ‘XXX) offenbart einen verschließbaren Behälter über dessen nach außen gekrümmten Rand an der Krümmung (a) Haken (c) greifen, die mittels zweier Gelenke, welche mit Griffen (g) bewegt werden, gegen den gekrümmten Rand angezogen werden. Die Offenbarung der GB ‘XXX lässt deshalb keine überwiegende Erfolgsaussicht des hierauf gestützten Nichtigkeitsangriffs erwarten, weil es an einer hinreichend deutlichen Voroffenbarung des Merkmals 4.1.1.1 fehlt. Die ausgefahren Position der Griffe (g), in der gemäß der Offenbarung der GB ‘XXX der Deckel entriegelt ist, ist nicht als Anschlagposition offenbart: In dieser Position wirkt die Kniehebelfunktion des Gelenks nicht, die drehbar angebrachten Griffe nehmen keine vorgegebene Stellung ein, sondern müssen vom Benutzer erst ergriffen werden, um nicht lose herabzuhängen.

Ferner offenbart die GB ‘XXX Merkmal 4.1.2.1 des Klagepatents nicht hinreichend deutlich: Die Griffe (g) an beiden Rändern des Deckels, welche die Haken bewegen und damit die Ver- und Entriegelung des Deckels steuern, sind in gleicher Weise durch den Benutzer zu ergreifen, unabhängig davon, ob der Deckel ver- oder entriegelt ist. Anders als in Merkmale 4.1.2.1 gelehrt ist die manuelle Erfassung dieser Griffe daher nicht schwieriger, wenn sich die Griffe in der eingezogenen Position der Verriegelung des Deckels befinden.

b)
Schließlich ist die erfinderische Tätigkeit bei Auffindung der technischen Lehre durch die geltend gemachten Entgegenhaltungen nicht in einer Weise widerlegt, dass kein vernünftiger Aspekt mehr für die Bejahung der erfinderischen Tätigkeit spräche. Soweit die Beklagte geltend macht, eine Kombination der DE 10 2004 056 XXX (Entgegenhaltung D4) mit der EP ‘XXX oder der CH ‘XXX oder der GB ‘XXX habe die technische Lehre des Klagepatents nahegelegt, lässt sich nicht nachvollziehen und wird von der Beklagten auch nicht dargelegt, welchen Anlass der Fachmann im Prioritätszeitpunkt gehabt haben könnte, eine dieser Kombinationen vorzunehmen. Zwar weisen die EP ‘XXX, die CH ‘XXX und die GB ‘XXX jeweils Organe zum Steuern der Ver- und Entriegelung auf, die ihrerseits über Elemente verfügen, die zum Umgreifen zwecks Bewegung in horizontaler Richtung, mithin als Henkel dienen. Indes offenbart weder die EP ‘XXX noch die CH ‘XXX noch die GB ‘XXX einen Verriegelungsmechanismus, bei dem der Henkel beim Verriegeln in eine abstehende und definierte Position bewegt wird, so dass, anders als beim Klagepatent, das Anheben des Deckels am Hebel nicht dazu führt, den Deckel zu entriegeln und damit ein Anheben des verriegelten Behälters zu vermeiden. Aus fachmännischer Sicht hätte demnach eher kein Anlass bestanden, die Lehre der DE ‘XXX zu kombinieren mit Offenbarungen, die von einem anderen Ver- und Entriegelungsmechanismus ausgingen.

V.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die im Wert vergleichsweise geringfügige Zuvielforderung der Klägerin durch Geltendmachung des nicht zuerkannten Anspruchs auf Gestattung der Urteilsveröffentlichung, gibt keinen Anlass, die Klägerin mit einem Teil der Kosten zu belasten.

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO. Da die Beklagte keine Umstände dafür vorgebracht hat, dass und in welcher Weise eine Vollstreckung durch die Klägerin ihr einen nicht zu ersetzenden Nachteil brächte, war dem Schutzantrag der Beklagten nach § 712 Abs. 1 ZPO nicht zu entsprechen.