4b O 124/12 – Kinderwagen II

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 2210

Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 15. April 2014, Az. 4b O 124/12

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

TATBESTAND

Der Kläger nimmt den Beklagten wegen Verletzung des deutschen Teils des in deutscher Sprache veröffentlichten europäischen Patents EP 1 366 XXX B1 (nachfolgend: „Klagepatent“, Anlage K1) auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Feststellung der Schadensersatzpflicht sowie Erstattung der Rechtsanwaltskosten in Anspruch.

Eingetragener Inhaber des Klagepatents, das unter dem Aktenzeichen DE 503 00 XXX.2 beim Deutschen Patent- und Markenamt („DPMA“) geführt wird, ist nach der von der Kammer eingeholten Registerauskunft vom 10.03.2014 seit dem 09.06.2011 der Kläger. Aber auch wenn man den unstreitigen Vortrag der Parteien zugrunde legt, nach dem „A“ Inhaber des Klagepatents ist, ergibt sich nichts anderes. Denn „A“ ist die Firma, unter der der Inhaber Oliver A handelt. Eine Firma ist nicht rechtsfähig und kann daher nicht Träger von Rechten und Pflichten sein. Vielmehr wird der jeweilige Inhaber des unter der Firma betriebenen Handelsgeschäfts persönlich berechtigt und verpflichtet. Aus diesem Grund ist der Kläger, Oliver A – auch nach dem Parteivortrag und ohne Berücksichtigung des aktuellen Registerauszugs – als allein rechtsfähige Person der Patentinhaber.

Das Klagepatent, das einen zusammenklappbaren Schiebewagen für Kinder und/oder Puppen zum Gegenstand hat, nimmt eine deutsche Priorität vom 29.05.2002 in Anspruch (Gebrauchsmuster DE 20208XXX). Das Klagepatent wurde am 25.04.2003 angemeldet. Die Anmeldung wurde am 03.12.2003 veröffentlicht, die Veröffentlichung der Erteilung des Klagepatents erfolgte am 27.04.2005. Mit Urteil vom 30.03.2011 wies das Bundespatentgericht (Az.: 5 Ni 10/10 EU, Anlage B6) eine gegen das Klagepatent gerichtete Nichtigkeitsklage ab. Mit Urteil vom 22.05.2012 wies der Bundesgerichtshof (BGH) die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung zurück (Anlage B7). Das Klagepatent steht u.a. in Deutschland in Kraft.

Patentanspruch 1 des Klagepatents hat folgenden Wortlaut:

„Zusammenklappbarer Schiebewagen für Kinder und/oder Puppen mit einem Wagengestell (1), das mindestens aufweist:

– Zwei obere, spiegelbildlich angeordnete, von vorn nach hinten ansteigend und im Wesentlichen V-förmig verlaufende, durchgehende oder aus miteinander verbundenen Abschnitten gebildeten Gestellholme (2a, 2b), deren untere Enden zum Verbringen aus einer zusammengelegten Stellung in eine Aufstellposition schwenkbar an einem Verbindungsteil (3) angekoppelt sind,

– an welchem Verbindungsteil (3) zwei untere, spiegelbildlich angeordnete, von vorn nach hinten im wesentlichen V-förmig verlaufende, durchgehende oder aus miteinander verbundenen Abschnitten gebildete verschwenkbare Gestellholme (4a, 4b) angeordnet sind, an deren hinteren Ende Radlagerhalter (5) für hintere Räder oder Räderanordnungen (6) befestigt sind,

– mindestens eine vordere Radanordnung (7) mit mindestens einem Rad, die mittels mindestens eines Radlagerhalters (8) an dem Verbindungsteil (3) oder einem Brückenteil der unteren Gestellholme (4a, 4b) befestigt ist,

gekennzeichnet durch:

– ein aufstellbares Spreizgestänge (9) in Form eines Kreuzgestänges, das in einem bestimmten Abstand zum Verbindungsteil (3) an den Holmen (2a, 2b; 4a, 4b) und diese verbindend vorgesehen und derart ausgebildet ist, dass nach dem Aufstellen des Wagengestells die oberen und die unteren Holme (2a, 2b) in die charakteristische V-Position sowohl zueinander als auch gegeneinander verbracht sind und beim Zusammenlegen des Spreizgestänges (9) die oberen und unteren Holme (4a, 4b) gleichzeitig aufeinander zu verschwenken.“

Die nachfolgend eingeblendeten Figuren aus der Klagepatentschrift sind zeichnerische Darstellungen einer bevorzugten erfindungsgemäßen Ausführungs-form. Die Figur 1 zeigt einen zusammenklappbaren Schiebewagen in der Rückenansicht. Figur 2 enthält die der Figur 1 korrespondierende Seitenvorderansicht und Figur 3 eine korrespondierende Darstellung in einem zusammengeklappten Zustand.

Der Beklagte vertreibt und bietet in der Bundesrepublik Deutschland u.a. unter der Modellbezeichnung „B“ einen Kinderwagen über das Internet an (vgl. Anlage K9), dessen genauere Ausgestaltung und Funktionsweise sich aus den Fotos in Anlage K11 und B11 ergibt und dessen Bedienungsanleitung sich in Anlage K12 findet (nachfolgend: angegriffene Ausführungsform).

Mit Schreiben vom 18.06.2012 (Anlage K 4) forderten der Rechtsanwalt und der Patentanwalt des Klägers den Beklagten u.a. auf, sich gegenüber dem Kläger rechtsverbindlich zur Unterlassung zu verpflichten. Mit Schreiben vom 13.07.2012 (Anlage K5) ließ der Beklagte durch seinen Rechtsanwalt und Patentanwalt die Abmahnung zurückweisen und erklären, dass keine Unterlassungserklärung abgegeben werde.

Der Kläger meint, die angegriffene Ausführungsform mache von sämtlichen Merkmalen des Klagepatentanspruchs 1 Gebrauch.

Die angegriffene Ausführungsform weise ein Verbindungsteil auf. Beim Zusammenlegen der angegriffenen Ausführungsform erfolge eine Veränderung des Abstands der Gestellholme zueinander. Dies lasse sich einem Vergleich der Abstandsmessungen vor und nach dem Zusammenklappen entnehmen. Die oberen und unteren Gestellholme würden sich folglich gekoppelt über das Verbindungselement und das Scherengestänge aufeinander zu bewegen. Das Spreizgestänge sei in einem bestimmten Abstand zum Verbindungsteil angeordnet. Die oberen und unteren Gestellholme seien über das Spreizgestänge verbunden, und zwar mittelbar über die Stützstangen, die zwischen der oberen und der unteren Gestellholme angeordnet seien. Die mittelbare Verbindung sei jedenfalls eine verschlechterte Umgehungsform, bei dieser Sichtweise liege eine äquivalente Verletzung vor.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

1. den Beklagten zu verurteilen,

1.1 es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall bis zu zwei Jahren zu unterlassen,

zusammenklappbare Schiebewagen für Kinder und/oder Puppen mit einem Wagengestell, das mindestens aufweist: Zwei obere, spiegelbildlich angeordnete, von vorn nach hinten ansteigend und im Wesentlichen V-förmig verlaufende, durchgehende oder aus miteinander verbundenen Abschnitten gebildete Gestellholme, deren untere Enden zum Verbringen aus einer zusammengelegten Stellung in eine Aufstellposition schwenkbar an einem Verbindungsteil angekoppelt sind, an welchem Verbindungsteil zwei untere, spiegelbildlich angeordnete, von vorn nach hinten im Wesentlichen V-förmig verlaufende, aus miteinander verbundenen Abschnitten gebildete verschwenkbare Gestellholme angeordnet sind, an deren hinteren Enden Radlagerhalter für hintere Räder oder Räderanordnungen befestigt sind, mindestens eine vordere Radanordnung mit mindesten einem Rad, die mittels mindestens eines Radlagerhalters an dem Verbindungsteil oder einem Brückenteil der unteren Gestellholme befestigt ist,

in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,

bei denen ein aufstellbares Spreizgestänge in Form eines Kreuzgestänges, das einen bestimmten Abstand zum Verbindungsteil an den Holmen und diese verbindend vorgesehen und derart ausgebildet ist, dass nach dem Aufstellen des Wagengestells die oberen und unteren Holme in die charakteristische V-Position sowohl zueinander als auch gegeneinander verbracht sind und beim Zusammenlegen des Spreizgestänges die oberen und unteren Holme gleichzeitig aufeinander zu verschwenken.

(Patentanspruch 1, EP 1 366 XXX B1)

1.2 dem Kläger unter Vorlage eines geordneten Verzeichnisses Auskunft darüber zu geben, in welchem Umfang er die zu Ziffer 1.1 bezeichneten Handlungen seit dem 09.06.2011 begangen hat, und zwar unter Angabe

1.2.1 der Angebotsmengen und -zeiten sowie der Mengen der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse, ferner der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
1.2.2 der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und –preisen, unter Einschluss von Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer,
1.2.3 der einzelnen Angebote unter Einschluss von Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,
1.2.4 der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflage, Höhe, Verbreitungszeitraum und Vertriebsgebiet,
1.2.5 der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns, wobei zum Nachweis der Angabe unter 1.2.1 und 1.2.2 Rechnungen vorzulegen sind,

1.3 die in unmittelbaren oder mittelbaren Besitz und im Eigentum des Beklagten befindlichen, unter Ziff. 1.1 beschriebenen Erzeugnisse zu vernichten,

2. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger den Schaden zu ersetzen, dem diesem durch die unter 1.1 bezeichneten, seit dem 09.06.2011 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird,

3. den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger 5.746,00 € nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.09.2012 zu zahlen.

Hilfsweise stellt der Kläger die vorstehenden Anträge mit dem Antrag zu 1.1 in der folgenden Fassung:

es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall bis zu zwei Jahren zu unterlassen,

zusammenklappbare Schiebewagen für Kinder und/oder Puppen mit einem Wagengestell, das mindestens aufweist: Zwei obere, spiegelbildlich angeordnete, von vorn nach hinten ansteigend und im Wesentlichen V-förmig verlaufende, durchgehende oder aus miteinander verbundenen Abschnitten gebildete Gestellholme, deren untere Enden zum Verbringen aus einer zusammengelegten Stellung in eine Aufstellposition schwenkbar an einem Verbindungsteil angekoppelt sind, an welchem Verbindungsteil zwei untere, spiegelbildlich angeordnete, von vorn nach hinten im Wesentlichen V-förmig verlaufende, aus miteinander verbundenen Abschnitten gebildete verschwenkbare Gestellholme angeordnet sind, an deren hinteren Enden Radlagerhalter für hintere Räder oder Räderanordnungen befestigt sind, mindestens eine vordere Radanordnung mit mindesten einem Rad, die mittels mindestens eines Radlagerhalters an dem Verbindungsteil oder einem Brückenteil der unteren Gestellholme befestigt ist,

in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,

bei denen ein aufstellbares Spreizgestänge in Form eines Kreuzgestänges, das einen bestimmten Abstand zum Verbindungsteil an den unteren Holmen und mittels jeweils einer Stützstange, die an jedem oberen Holm über jeweils ein Gelenk fest angebunden ist, die oberen und unteren Holme verbindend vorgesehen und derart ausgebildet ist, dass nach dem Aufstellen des Wagengestells die oberen und unteren Holme in die charakteristische V-Position sowohl zueinander als auch gegeneinander verbracht sind und beim Zusammenlegen des Spreizgestänges die oberen und unteren Holme gleichzeitig aufeinander zu verschwenken.

Weiter stellt der Kläger hilfsweise den Antrag, ihm nachzulassen, die Zwangsvollstreckung wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung (Bank- oder Sparkassenbürgschaft) abzuwenden.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Hilfsweise stellt er den Antrag auf Gewährung eines Wirtschaftsprüfervorbehalts und einer Abwendungsbefugnis hinsichtlich der Zwangsvollstreckung.

Weiter stellt der Beklagte hilfsweise den Antrag, das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Rechtsbeständigkeit des Klagepatents in dem beim Bundespatentgericht anhängigen Nichtigkeitsverfahren auszusetzen.

Die Beklagte stellt eine Patentverletzung in Abrede. Unter einem „Verbindungsteil“ verstehe der Fachmann ein einziges Teil, an dem die Holme angekoppelt bzw. angeordnet seien. Das „Spreizgestänge“ müsse zwischen oberen und unteren Holmen angebunden und derart ausgebildet sein, dass es eine Bewegungskopplung der oberen und unteren Holme zueinander und gegeneinander bewirke. Die Bewegungskopplung des Kreuzgestänges müsse demnach in zwei Ebenen wirken. Dabei bewege die von den oberen und unteren Holmen ausgeführte Schwenkbewegung die oberen und unteren Holme gleichzeitig aufeinander zu.

Die angegriffene Ausführungsform weise nicht ein Verbindungsteil auf, an dem die oberen und unteren Holme schwenkbar oder starr angelenkt seien. Vielmehr lägen zwei separate, jeweils für die oberen und unteren Gestellholme vorgesehene Verbindungsteile vor. Das Kreuzgestänge sei auch nicht „in einem bestimmten Abstand zum Verbindungsteil“ angebracht. Denn es könne nicht ein Abstand zu zwei Verbindungsteilen eingehalten werden. Ein Abstand könne nur in Bezug auf das Bolzengelenk bestimmt werden. Dieses Gelenk sei aber erstens beweglich und weise daher keinen Fixpunkt zur Bestimmung eines Abstands auf. Zweitens sei v.a. die vordere Radanordnung nicht an dem Bolzenteil angebracht, sondern separat an dem zweiten unteren Verbindungsteil für die unteren Gestellholme.

Das Kreuzgestänge bewirke keine Bewegungsmitkopplung aller Holme. Die vertikale Kopplung der oberen Holme erfolge bei der angegriffenen Ausführungsform vielmehr durch das zwischen den beiden separaten Verbindungsteilen angeordnete Bolzengelenk. Denn das Kreuzgestänge der angegriffenen Ausführungsform sei an seinen oberen Enden nicht an den oberen Gestellholmen befestigt und wirke auch nicht auf die oberen Gestellholme. Es werde vielmehr mittels beweglicher Gelenke an zusätzlichen Verbindungsstreben bei Betätigung des Gestells mitgeführt. Aus diesem Grund könnten die oberen und unteren Holme nach Aufstellen des Wagengestells nicht in die charakteristische V-Position gegeneinander (vertikale Wirkung) verbracht werden. Die Streben des Kreuzgestänges wirkten nur in horizontale Richtung auf die Gestellholme. Dabei würden die oberen Holme auf die unteren unverschwenkbar angeordneten Holme heruntergeklappt. Damit sei ein gleichzeitiges Verschwenken der oberen und unteren Holme aufeinander zu ausgeschlossen.

Das Klagepatent sei wegen unzulässiger Erweiterungen im Erteilungsverfahren und aufgrund neuheitsschädlichen Standes der Technik, der weder im Prüfungsverfahren noch im bereits durchgeführten Nichtigkeitsverfahren berücksichtigt worden sei, nichtig.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte nebst Anlagen Bezug genommen.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die angegriffene Ausführungsform macht von der technischen Lehre des Anspruchs 1 des Klagepatents keinen Gebrauch. Dem Kläger stehen die geltend gemachten Ansprüche wegen vermeintlicher Verletzung des Klagepatents gemäß §§ 9, 139 Abs. 1, Abs. 2, 140b Abs. 1, Abs. 3 PatG i. V. m. Art. 64 Abs. 1 EPÜ, §§ 242, 259 BGB daher nicht zu.

I.
Das Klagepatent lehrt einen zusammenklappbaren Schiebewagen für Kinder und/oder Puppen mit einem Wagengestell, das sich aus einer Gebrauchsstellung in eine Verstaustellung zusammenklappen lässt.

Als Stand der Technik erwähnt das Klagepatent die US 3,881,739 A, aus der ein Kinderwagen, insbesondere Sportwagen bekannt sei, wie er in der nachfolgenden, aus der US `739 stammenden Zeichnung abgebildet ist.

Der vorbekannte Kinderwagen verfüge über eine Rahmenkonstruktion, die ein unteres, scherenartig an einem Gelenkstück angelenktes Paar von Seitenholmen (1, 1`) aufweise, die durch zusammenklappbare Querholme miteinander verbunden seien. Auf den Seitenholmen seien verschiebbare Gelenke für die schwenkbewegliche Befestigung von Rückenholmen (5, 5′) vorgesehen, an deren Ende jeweils ein Schiebegriff angebracht sei. Zur Stabilisierung der Konstruktion in aufgestellter Lage seien zwischen den beiden Rückenholmen obere und untere Querholme (8, 8′, 9, 9′) vorgesehen, die jeweils an einem Ende aus zwei gleich langen, gelenkig miteinander verbundenen Stangen bestünden und an einem anderen Ende an den Rückenholmen angelenkt seien. An den Rückenholmen seien vorderseitig Sitzholme (11, 11′) angelenkt, die schwenkbeweglich mit ihren vorderen Enden an Lagern der Seitenholme befestigt seien. Rückseitig der Rückenholme seien Beinstützen vorgesehen, die mit ihren anderen Enden an den Querholmen drehgelenkig befestigt seien. Durch die verschiebliche Anordnung der Gelenke an den Rückenholmen einerseits und durch die zusammenlegbaren Querholme andererseits könne das Wagengestell bei gleichzeitigem Verschieben der Gelenke für die Rückenholme auf den Seitenholmen vollständig zusammengelegt werden.

Als weiteren Stand der Technik führt das Klagepatent die FR 75 14964 an, deren Figur 1 das nachfolgend eingeblendete Kinderwagengestell zeigt.

Die FR `964 lehre ein Kinderwagengestell, das einen gleichen Aufbau wie das aus der US `739 bekannte Gestell aufweise, bei dem jedoch im Gegensatz dazu die Rückenholme (14, 14′) an festen Lagern an den Seitenholmen (1, 1′) schwenkbeweglich gelagert seien und die Rückenholme unterhalb eines zusammenlegbaren Scherengestänges (18, 18′, 19, 19′), das als Spreizgestänge zwischen den Rückenholmen vorgesehen sei, geteilt und gegeneinander verschwenkbar ausgeführt seien, so dass diese zusammen mit den Sitzholmen ein Kräfteparallelogramm bildeten. Für die Spreizung der Seitenholme sei zusätzlich ein zusammenlegbarer Querholm zwischen den unteren Abschnitten der Rückenholme vorgesehen.

Vor diesem technischen Hintergrund liegt dem Klagepatent die Aufgabe (das technische Problem) zugrunde, die vorbekannten zusammenklappbaren Schiebewagen derart fortzuentwickeln, dass diese bei vereinfachter Konstruktion leicht aufgestellt und zusammengeklappt werden können.

Zur Lösung dieses technischen Problems sieht der Anspruch 1 des Klagepatents einen Schiebewagen mit den folgenden Merkmalen vor:

Zusammenklappbarer Schiebewagen für Kinder und/oder Puppen mit einem Wagengestell (1), das mindestens aufweist:

1.1 zwei obere Gestellholme (2a, 2b),
1.2 zwei untere Gestellhome (4a, 4b),
1.3 ein Verbindungsteil (3),
1.4 ein Spreizgestänge (9),
1.5 eine vordere Radanordnung (7) und
1.6 hintere Räder oder Radanordnungen (6).

1. Die oberen Gestellholme (2a, 2b)

2.1 sind durchgehend oder aus miteinander verbundenen Abschnitten gebildet,
2.2 sind spiegelbildlich angeordnet,
2.3 verlaufen von vorn nach hinten ansteigend und im Wesentlichen V-förmig.

2. Die unteren Gestellholme (4a, 4b)

3.1 sind durchgehend oder aus miteinander verbundenen Abschnitten gebildet,
3.2 sind spiegelbildlich angeordnet,
3.3 steigen von vorn nach hinten an,
3.4 sind verschwenkbar,
3.5 weisen hintere Enden auf, an denen Radlager (5) für die hinteren Räder oder Räderanordnungen (6) befestigt sind.

3. An dem Verbindungsteil (3) sind

4.1 die unteren Enden der oberen Gestellholme (2a, 2b) zum Verbringen aus einer zusammengelegten Stellung in eine Aufstellposition schwenkbar gekoppelt und
4.2 die unteren Gestellholme (4a, 4b) befestigt.

4. Die vordere Radanordnung (7)

5.1 weist mindestens ein Rad auf und
5.2 ist mittels mindestens eines Radlagerhalters (8) an dem Verbindungsteil (3) oder einem Brückenteil der unteren Gestellholme (4a, 4b) befestigt.

5. Das Spreizgestänge (9) ist

6.1 aufstellbar und
6.2 in Form eines Kreuzgestänges ausgebildet.
6.3 Das Kreuzgestänge ist

6.3.1 an den Holmen (2a, 2b; 4a, 4b) in einem bestimmten Abstand zum Verbindungsteil (3) und die Holme verbindend vorgesehen,
6.3.2 derart ausgebildet, dass nach dem Aufstellen des Wagengestells die oberen (2a, 2b) und die unteren Gestellholme (4a, 4b) in die charakteristische V-Position sowohl zueinander als auch gegeneinander verbracht sind, und
6.3.3 derart ausgebildet, dass beim Zusammenlegen des Spreizgestänges (9) die oberen (2a, 2b) und unteren Gestellholme (4a, 4b) gleichzeitig aufeinander zu verschwenken.

II.
Die angegriffene Ausführungsform verwirklicht jedenfalls die Merkmalsgruppe 6.3 nicht. Sie weist kein erfindungsgemäß ausgestaltetes Kreuzgestänge auf.

1.
Das Klagepatent hat sich darauf festgelegt, dass das Kreuzgestänge in zwei Ebenen („dreidimensional“) bewegbar ist (vgl. OLG Düsseldorf, Anlage B18, Seite 12). Das Konstruktionsprinzip des erfindungsgemäßen Wagengestells liegt darin, dass die vier Gestellholme an demselben Verbindungsteil angelenkt sind und untereinander durch ein Spreizgestänge verbunden sind, das als Kreuzgestänge ausgebildet ist. Dadurch werden die oberen und die unteren Holme wie ein Regenschirm beim Aufstellen sowohl zu- als auch gegeneinander in eine V-Position gebracht und beim Zusammenlegen gleichzeitig aufeinander zu verschwenkt (vgl. BGH, Anlage BK3, S. 9 unten). Ein Kreuzgestänge, bei dem die Holme lediglich in einer Ebene zueinander verschwenkbar sind, ist nicht derart ausgebildet, dass beim Zusammenlegen obere und untere Home gleichzeitig aufeinander zu verschwenkt werden (Merkmal 6.3.3, vgl. BGH, Anlage BK 3, S. 10, Rz. 15). Auf die weiteren Ausführungen des BGH und des OLG Düsseldorf in den Anlagen BK3 und B18 zum erfindungsgemäßen Kreuzgestänge, die sich die Kammer vollumfänglich zu eigen macht, wird verwiesen.

Die Argumentation des OLG Düsseldorf und des BGH wird auch dadurch gestützt, dass das Kreuzgestänge gemäß Merkmal 6.3.1 in einem bestimmten Abstand zum Verbindungsteil vorgesehen ist. Dies impliziert, dass das Kreuzgestänge sich in einem festen Abstand zum Verbindungsteil befinden muss, die an den Holmen angelenkten Enden des Kreuzgestänges also nicht verschiebbar sein dürfen. Das Kreuzgestänge muss daher in mehr als einer Ebene verschwenkbar sein, damit das Wagengestell zusammengeklappt und aufgestellt werden kann.

Der Kläger argumentiert in der Nichtzulassungsbeschwerde (Anlage K14, Seite 10), aus den Ausführungen des BGH, ein Kreuzgestänge, dessen Holme – wie bei dem in der FR 75 14964 gezeigten Scherengestänge – lediglich in einer Ebene zueinander verschwenkt werden können, könne nicht als ein Kreuzgestänge im Sinn des Klagepatents angesehen werden, folge lediglich, dass ein Scherengestänge wie in der FR 75 14964 kein Kreuzgestänge im Sinne des Patentanspruchs 1 sei. Eine weitergehende Schlussfolgerung dahingehend, dass das Kreuzgestänge zwingend eine dreidimensionale Bewegung ausführe, folge daraus aber nicht. Der BGH hat jedoch mit der in Bezug genommenen Textstelle deutlich zum Ausdruck gebracht, dass ein in einer Ebene verschwenkbares Kreuzgestänge nicht erfindungsgemäß ist. Daraus folgt aber auch, dass, wenn das Kreuzgestänge – wie Patentanspruch 1 verlangt – verschwenkbar ausgestaltet sein soll, nur eine Verschwenkung in mehreren Ebenen als erfindungsgemäß anzusehen ist.

Soweit der Kläger in der Nichtzulassungsbeschwerde (Anlage K14, Seite 13) argumentiert, die in Abs. [0009] enthaltene Beschreibung dürfe nicht dazu herangezogen werden, den Schutzbereich des Patentanspruchs 1 zu beschränken, da die Passage lediglich die beispielhafte Ausgestaltung eines Kreuzgestänges zum Gegenstand habe, lässt sich dies den Ausführungen des BGH zur unzulässigen Erweiterung nicht entnehmen. Das OLG Düsseldorf hat zu Abs. [0009] ausgeführt, dass, sollte das dort genannte Kreuzgestänge lediglich ein bevorzugtes Ausführungsbeispiel darstellen, dies gleichwohl nicht ausschließe, dass Patentanspruch 1 ein zwingend in zwei Ebenen verschwenkbares Kreuzgestänge voraussetze. Diese Ausführungen stehen nicht im Widerspruch zu dem Urteil des BGH.

2.
Die angegriffene Ausführungsform weist lediglich ein nur zweidimensional wirkendes Spreizgestänge auf. Das Gestänge der angegriffenen Ausführungsform verbindet nicht sämtliche oberen und unteren Gestellholme unmittelbar miteinander und bewirkt daher auch kein Verbringen der oberen und unteren Gestellholme gegeneinander, also in vertikaler Richtung. Die oberen Enden des Kreuzgestänges sind jeweils an einem die oberen Gestellholme stützenden Stützholm verschiebbar befestigt. Eine solche mittelbare und verschiebliche Verbindung der Gestellholme genügt für eine wortsinngemäße Verwirklichung des Merkmals nicht. Das Kreuzgestänge ist dadurch auch nicht in einem bestimmten Abstand zum Verbindungsteil angeordnet.

Eine äquivalente Verletzung scheidet aus, da bereits jedwedes Austauschmittel in Gestalt eines bloß zweidimensional wirkenden Kreuzgestänges jedenfalls nicht dem Kriterium der Gleichwertigkeit genügen würde. Das Austauschmittel wäre nicht am technischen Sinngehalt des Anspruchs 1 des Klagepatents orientiert. Denn der Patentinhaber hat gerade eine Auswahlentscheidung für ein dreidimensional wirkendes Kreuzgestänge getroffen (vgl. OLG Düsseldorf, Anlage B18, S. 16). Darüber hinaus impliziert die Vorgabe eines „bestimmten“ Abstands des Kreuzgestänges vom Verbindungsteil in Merkmal 6.3.1, dass das Kreuzgestänge gerade nicht verschieblich an den Holmen verbunden sein soll. Die Befestigung des Kreuzgestänges an den Holmen hat zudem die Funktion, dass unmittelbar durch die eine Bewegung des Aufspreizens des Kreuzgestänges das gesamte Wagengestell mit den beiden Gestellholmen auf- bzw. einklappbar ist. Jedenfalls die gewählte mittelbare Verbindung des Kreuzgestänges über die Stützholme an den oberen Gestellholme führt zu einem anderen Wirkmechanismus, der nicht mehr als der patentgemäßen Lösung gleichwertig angesehen werden kann. Denn die rückwärtigen Stützholme müssen eingeklappt werden, um die oberen und unteren Gestellholme aufeinander verschwenken zu können.

III.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage in § 709 ZPO. Die Voraussetzungen des § 712 ZPO sind nicht ausreichend dargetan worden.

Streitwert: 190.000,00 €