4b O 25/13 – Spritzpistole

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 2244

Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 12. Juni 2014, Az. 4b O 25/13

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages.

TATBESTAND

Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des auch mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten, in englischer Verfahrenssprache veröffentlichten europäischen Patents 0 899 XXX B1 (Klagepatent, Anlage K1), das in deutscher Übersetzung als DE 698 16 XXX T2 (Anlage K2) vorliegt. Die dem Klagepatent zugrunde liegende Anmeldung wurde am 20.08.1998 unter Inanspruchnahme einer US-amerikanischen Priorität vom 29.08.1997 eingereicht. Der Hinweis auf die Patenterteilung wurde am 09.07.2003 veröffentlicht und am 27.05.2004 im Patentblatt bekannt gemacht.

Das Klagepatent betrifft eine Sprühpistole. Der im vorliegenden Rechtsstreit geltend gemachte Anspruch 1 des Klagepatents lautet in der deutschen Übersetzung wie folgt:

Vorrichtung (20) zur Anwendung beim Auftrag von Beschichtungsmaterial auf einen Gegenstand, umfassend eine Spritzpistole (24) mit einem Griffteil (26), ein mit dem Griffteil verbundenes Verlängerungsteil (28), eine mit dem Verlängerungsteil verbundene Düse (42), eine Elektrode (46), die benachbart zur Düse angeordnet ist und von der elektrostatisch aufgeladenes Beschichtungsmaterial weg zum Gegenstand hin strömt, ein Beschichtungsmaterialstromregelungselement (74), das mit dem Griffteil verbunden ist und manuell in einen eingestellten Zustand schaltbar ist, um einen Beschichtungsmaterialstrom aus einem Beschichtungsmaterialkanal (62) in das Verlängerungsteil durch die Düse zum Gegenstand hin zu initiieren,
gekennzeichnet dadurch, dass die Spritzpistole außerdem ein Spülluftstromreglungselement (110) besitzt, das mit dem Griffteil verbunden ist und das manuell schaltbar ist, um einen Luftstrom aus dem Beschichtungsmaterialkanal in das Verlängerungsteil durch die Düse zu initiieren, um Beschichtungsmaterial aus der Spritzpistole zu entfernen.

Die nachstehend wiedergegebene Figur 1 der Klagepatentschrift zeigt ein bevorzugtes Ausführungsbeispiel der Erfindung:

Über die von der Beklagten zu 1) gegen das Klagepatent erhobene Nichtigkeitsklage vom 21.06.2013 (Anlage B1) hat das Bundespatentgericht noch nicht entschieden. Es hat aber seine vorläufige Rechtsauffassung in einem qualifizierten Hinweis vom 22.04.2014 (Anlage B2) dargelegt.

Die Beklagten zu 1) und 4) stellen her und vertreiben unter der Produktbezeichnung „A 2“ ein Handbeschichtungsgerät (angegriffene Ausführungsform), deren Ausgestaltung sich aus dem nachfolgend eingeblendeten Foto, dem als Anlage K8 zur Akte gereichten Flyer, der als Anlage K9 vorgelegten Broschüre, der als Anlage K10 überreichten Kurzbedienungsanleitung und der als Anlage K11 zur Akte gereichten Betriebsanleitung und Ersatzteilliste ergibt.

Die angegriffene Ausführungsform ist für das elektrostatische Beschichten mit organischem Pulver bestimmt. Sie weist ein Spritzgussgehäuse (gelb) und ein Pistolengriffteil (schwarz) auf. An der Rückseite des Spritzgussgehäuses ist eine Fernbedienung befestigt, mit der der Pulverausstoß erhöht bzw. verringert (Pfeiltasten) und in den Spülmodus (Taste „P“) gewechselt werden kann. Ist dem Steuergerät durch Drücken der „P“-Taste mitgeteilt worden, dass der Benutzer in den Spülmodus wechseln möchte, stehen zwei Spülfunktionen zur Auswahl. Wird der Abzug einmal betätigt, sendet die Steuereinheit in einem vorgegebenen Rhythmus Druckluftstöße zur Pistole. Durch das zweimalige Betätigen des Abzugs kann der Benutzer in den manuellen Modus wechseln, d.h. er kann dann den Rhythmus der Druckluftstöße mittels des Pistolenabzugs selbst bestimmen.

Die Klägerin ist der Auffassung, die angegriffene Ausführungsform mache wortsinngemäß, hilfsweise jedenfalls mit äquivalenten Mitteln von der Lehre des Klagepatents Gebrauch. Insofern beruft sie sich darauf, der Pistolenabzug, der das Beschichtungsmaterialstromregelungselement darstelle, sei zugleich auch das Spülluftstromregelungselement. Alternativ sei die Fernbedienung mit der Taste „P“ als Spülluftstromregelungselement zu qualifizieren, wenn nicht schon für sich genommen, dann zumindest in Kombination mit dem Pistolenabzug. Die letztgenannte Kombination verwirkliche die Lehre des Klagepatents – wenn nicht schon wortsinngemäß – jedenfalls mit äquivalenten Mitteln, wobei die Spülluftstromregelungseinheit nicht unmittelbar am Griffteil angeordnet, sondern lediglich mit diesem verbunden sein müsse.

Die Klägerin beantragt,

I. die Beklagten zu verurteilen,

1. es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Falle mehrfacher Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, in der Bundesrepublik Deutschland zu unterlassen,

Vorrichtungen zur Anwendung beim Auftrag von Beschichtungsmaterial auf einen Gegenstand, umfassend eine Spritzpistole mit einem Griffteil, ein mit dem Griffteil verbundenes Verlängerungsteil, eine mit dem Verlängerungsteil verbundene Düse, eine Elektrode, die benachbart zur Düse angeordnet ist und von der elektrostatisch aufgeladenes Beschichtungsmaterial weg zum Gegenstand hin strömt, ein Beschichtungsmaterialstromregelungselement, das mit dem Griffteil verbunden ist und manuell in einen eingestellten Zustand schaltbar ist, um einen Beschichtungsmaterialstrom aus einem Beschichtungsmaterialkanal in das Verlängerungsteil durch die Düse zum Gegenstand hin zu initiieren,

anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen,

bei denen die Spritzpistole außerdem ein Spülluftstromreglungselement besitzt, das mit dem Griffteil verbunden ist und das manuell schaltbar ist, um einen Luftstrom aus dem Beschichtungsmaterialkanal in das Verlängerungsteil durch die Düse zu initiieren, um Beschichtungsmaterial aus der Spritzpistole zu entfernen;

hilfsweise

Vorrichtungen zur Anwendung beim Auftrag von Beschichtungsmaterial auf einen Gegenstand, umfassend eine Spritzpistole mit einem Griffteil, ein mit dem Griffteil verbundenes Verlängerungsteil, eine mit dem Verlängerungsteil verbundene Düse, eine Elektrode, die benachbart zur Düse angeordnet ist und von der elektrostatisch aufgeladenes Beschichtungsmaterial weg zum Gegenstand hin strömt, ein Beschichtungsmaterialstromregelungselement, das mit dem Griffteil verbunden ist und manuell in einen eingestellten Zustand schaltbar ist, um einen Beschichtungsmaterialstrom aus einem Beschichtungsmaterialkanal in das Verlängerungsteil durch die Düse zum Gegenstand hin zu initiieren,

anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen,

bei denen die Spritzpistole außerdem eine Spülluftstromreglungseinheit besitzt, die im Bereich des Griffteils mit der Vorrichtung verbunden ist und die manuell schaltbar ist, um einen Luftstrom aus dem Beschichtungsmaterialkanal in das Verlängerungsteil durch die Düse zu initiieren, um Beschichtungsmaterial aus der Spritzpistole zu entfernen;

2. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen und unter Vorlage eines einheitlichen, geordneten Verzeichnisses vollständig und wahrheitsgemäß darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die unter Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 09.08.2003 begangen haben, und zwar unter Angabe

a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Vorlieferanten und anderer Vorbesitzer,
b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und –preisen (und ggf. Typenbezeichnungen) sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer, sowie über die Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden,
c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, – zeiten und –preisen, sowie den Namen der Angebotsempfänger,
d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,

wobei die Beklagten die Richtigkeit der Angaben nach lit. a) und b) durch Übermittlung entsprechender Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine nachzuweisen haben, wobei geheimhaltige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen,

wobei den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nicht gewerblichen Abnehmer und Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden und ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen und ihn ermächtigen und verpflichten, der Klägerin auf konkrete Nachfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;

II. festzustellen, dass die Beklagten zu 1. bis 3. als Gesamtschuldner sowie die Beklagten zu 4. bis 7. als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die in Ziffer I.1. bezeichneten und seit dem 09.08.2003 begangenen Handlungen entstanden ist und künftig noch entstehen wird;

III. die Beklagten zu 1. und 4. zu verurteilen, die vorstehend zu Ziffer I.1. bezeichneten, seit dem 29.04.2006 im Besitz Dritter befindlichen Erzeugnisse aus den Vertriebswegen zurückzurufen, indem diejenigen Dritten, denen durch die Beklagten zu 1. und 4. oder mit deren Zustimmung Besitz an den Erzeugnissen eingeräumt wurde, unter Hinweis darauf, dass die Kammer mit dem hiesigen Urteil auf eine Verletzung des Klagepatents erkannt hat, ernsthaft aufgefordert werden, die Erzeugnisse an die Beklagten zu 1. und 4. zurückzugeben, und den Dritten für den Fall der Rückgabe der Erzeugnisse eine Rückzahlung des gegebenenfalls bereits gezahlten Kaufpreises sowie die Übernahme der Kosten der Rückgabe zugesagt wird;

IV. die Beklagte zu 4. zu verurteilen, die in ihrem Besitz befindlichen Erzeugnisse gemäß Ziffer I.1. auf ihre Kosten zu vernichten oder zur Vernichtung an einen von ihr zu benennenden Treuhänder, dessen Kosten sie trägt, herauszugeben.

Ferner beantragt die Klägerin,
für jeden zuerkannten Anspruch und die Kostengrundentscheidung eine Teilsicherheit festzusetzen, wobei für die Ansprüche zu Ziffer I.1, III. und IV. eine gemeinsame Teilsicherheit festgesetzt werden soll.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise die Verhandlung bis zur erstinstanzlichen Entscheidung über die gegen das Klagepatent gerichtete Nichtigkeitsklage der Beklagten zu 1. oder deren anderweitige Erledigung auszusetzen.

Sie sind der Auffassung, das Klagepatent sei nicht verletzt, weil es bei der angegriffenen Ausführungsform kein erfindungsgemäßes Spülluftstromregelungselement am Griffteil der Pistole gebe. Die erfindungsgemäße Lehre lege es gerade nicht nahe, das Spülluftstromregelungselement an anderer Stelle als unmittelbar am Griffteil der Spritzpistole anzuordnen. Darüber hinaus sei das Klagepatent nicht rechtsbeständig.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der Klägerin stehen die geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft, Rechnungslegung, Feststellung der Schadensersatzpflicht, Rückruf und Vernichtung (Art. 64 EPÜ i.V.m. §§ 9, 139 Abs. 1 und 2, 140 a Abs. 1 u. 3, 140 b PatG, §§ 242, 259 BGB) nicht zu. Die angegriffene Ausführungsform macht von der Lehre des Klagepatents weder wortsinngemäß noch mit äquivalenten Mitteln Gebrauch.

I.
Die dem Klagepatent zugrunde liegende Erfindung betrifft eine Vorrichtung, die Beschichtungsmaterial auf einen Gegenstand aufträgt, insbesondere eine Spritzpistole, die einen elektrostatisch aufgeladenen Beschichtungsmaterialstrom zum Gegenstand führt. Wie die Klagepatentschrift in ihrer Einleitung ausführt, ist eine Spritzpistole mit den Merkmalen des Oberbegriffs des Patentanspruchs 1 aus der EP-A-611 603 bekannt (Anlage K2 Abs. [0001])

Die Klagepatentschrift verweist ferner auf die US 5,056,720, deren Lösung in ihrem Aufbau und ihrer Arbeitsweise zufriedenstellend sei. Dennoch sei es – so die Klagepatentschrift – wünschenswert, den Aufbau der Spritzpistole zu vereinfachen, den Bedienungskomfort während der Anwendung der Spritzpistole zu erhöhen und die Fähigkeit der Spritzpistole zum Auftragen einer gleichmäßigen Beschichtung des Materials auf einen Gegenstand zu erhöhen (Anlage K2 Abs. [0002]).

Zur Lösung dieser Problemstellung schlägt Patentanspruch 1 eine Spritzpistole mit folgenden Merkmalen vor:
1. Vorrichtung (20) zur Anwendung beim Auftrag von Beschichtungsmaterial auf einen Gegenstand, umfassend eine Spritzpistole (24) mit
2. einem Griffteil (26),
3. einem Verlängerungsteil (28),
3.1. das mit dem Griffteil verbunden ist,
4. einer Düse (42),
4.1. die mit dem Verlängerungsteil verbunden ist,
5. einer Elektrode (46),
5.1. die benachbart zur Düse angeordnet ist und
5.2. von der elektrostatisch aufgeladenes Beschichtungsmaterial weg zum Gegenstand hin strömt,
6. einem Beschichtungsmaterialstromregelungselement (74),
6.1. das mit dem Griffteil verbunden ist und
6.2. manuell in einen eingestellten Zustand schaltbar ist, um einen Beschichtungsmaterialstrom aus einem Beschichtungsmaterialkanal (62) in das Verlängerungsteil durch die Düse zum Gegenstand hin zu initiieren,
7. und außerdem einem Spülluftstromregelungselement (110),
1.1. das mit dem Griffteil verbunden ist und
1.2. das manuell schaltbar ist, um einen Luftstrom aus dem Beschichtungsmaterialkanal in das Verlängerungsteil durch die Düse zu initiieren, um Beschichtungsmaterial aus der Spritzpistole zu entfernen.

Die erfindungsgemäße Spritzpistole weist als wesentliche Bestandteile – ebenso wie die aus dem Stand der Technik bekannten Lösungen – ein Griffteil, eine Düse, ein zwischen Griffteil und Düse positioniertes Verlängerungsteil und eine benachbart zur Düse angeordnete Elektrode auf (Merkmale 2 bis 5). Um den Beschichtungsmaterialstrom auf den Gegenstand in Gang zu setzen, wird ein mit dem Griffteil verbundenes Regelungselement betätigt (Merkmal 6). Als kennzeichnendes Merkmal verfügt die Spritzpistole über ein weiteres mit dem Griffteil verbundenes Regelungselement, mit dem ein Spülluftstrom in Gang gesetzt werden kann (Merkmal 7). Mittels dieses Spülluftstroms können das Verlängerungsteil und die Düse von überschüssigem Beschichtungsmaterial gereinigt werden.

Gemäß den Merkmalen 6.1 und 7.1 sollen die beiden Regelungselemente mit dem Griffteil verbunden sein. Das Griffteil ist dadurch gekennzeichnet, dass es manuell greifbar ist. Dies ergibt sich zum einen schon aus dem Begriff selbst (Griffteil), zum anderen auch aus der Patentbeschreibung. Hiernach können die Griffteile mit Handgriffen verschiedener Größen verwendet werden, um das Greifen mit unterschiedlich großen Händen zu ermöglichen (Anlage K2 Abs. [0006]). Entsprechend wird – wenn auch nur im Rahmen der Beschreibung eines bevorzugten Ausführungsbeispiels – in Abs. [0026]) das Griffteil als manuell greifbares Teil beschrieben. Dies entspricht der Funktion des Griffteils im Allgemeinen.

Der rückwärtige Bereich des Schafts oder Laufs der Spritzpistole ist nach der erfindungsgemäßen Lehre dem Verlängerungsteil, nicht dem Griffteil zuzuordnen. Dies ergibt sich schon daraus, dass er nicht dem Halten der Spritzpistole dient. Im Übrigen enthält die Patentbeschreibung deutliche Hinweise darauf, dass dieser rückwärtige Bereich des Schafts oder Laufs zum Verlängerungsteil gehört. Das Klagepatent bezeichnet in der Beschreibung der Figuren 1 und 2 den rückwärtigen unteren Bereich des Laufs als Basisabschnitt 32, der Bestandteil des Verlängerungsteils 28 und damit vom Griffteil 26 zu unterscheiden ist. Der rückwärtige obere Bereich des Schafts stellt einen Gehäuseabschnitt 34 dar, der ebenfalls zum Verlängerungsteil gehört und mit dem Basisabschnitt verbunden ist (Anlage K2 Abs. [0026] und [0027]). Trotz der einstückigen Verbindung zwischen Basisabschnitt und Griffteil handelt es sich auch nach der Beschreibung des Klagepatents um zwei verschiedene räumliche Bereiche der Spritzpistole.

Soweit der Klagepatentanspruch in den Merkmalen 6.1 und 7.1 eine „Verbindung“ (im englischen Originaltext „connected“) der Regelungselemente mit dem Griffteil verlangt, ist dies dahingehend auszulegen, dass in räumlich-körperlicher Hinsicht die Regelungselemente unmittelbar, d.h. im Sinne einer mechanischen Verbindung, am Griffteil angeordnet sein sollen. Nur dies entspricht der gebotenen funktionalen Auslegung, wenn man die im Klagepatent genannte Aufgabenstellung, den Bedienkomfort der Spritzpistole zu erhöhen (vgl. Anlage K2 Abs. [0002]), ernst nimmt. Die Verbindung der Regelungselemente mit dem Griffteil hat gerade die Funktion, dass der Benutzer mit der Hand, mit der er die Pistole am Griffteil hält, zugleich auch den Beschichtungsmaterialstrom und die Spülluft regeln kann. Eine lediglich indirekte Verbindung der Regelungselemente mit dem Griffteil, etwa über weitere Bauteile oder Schlauchleitungen, genügt den Anforderungen der erfindungsgemäßen Lehre insofern nicht (so auch das Bundespatentgericht in seinem qualifizierten Hinweis vom 22.04.2014, Anlage B2). Entsprechend ist in der Klagepatentschrift durchgängig davon die Rede, die Regelungselemente seien am Griffteil „angeordnet“ (Anlage K2 Abs. [0003], [0004], [0057], [0130], [0131]) oder „befestigt“ (Anlage K2 Abs. [0033], [0043]). Dasselbe Begriffsverständnis steckt in Merkmal 3.1, wonach das Griffteil mit dem Verlängerungsteil verbunden ist. Auch hier ist eine unmittelbare, mechanische Verbindung beider Bauteile gemeint.

Soweit die Klägerin demgegenüber meint, die Anordnung des Spülluftstromregelungselementes am Griffteil der Spritzpistole solle lediglich verhindern, dass der Benutzer zur Einschaltung der Spülluft den Ort des Sprühvorganges verlassen müsse, um ein beispielsweise an der Kabinenwand angebrachtes Bedienpaneel zu bedienen, und hieraus den Schluss zieht, es reiche aus, dass das Spülluftstromregelungselement (irgendwo) an der Spritzpistole angeordnet sei, widerspricht dies dem Wortlaut des Patentanspruchs 1. Dieser lässt gerade nicht offen, wo an der Spritzpistole sich das Spülluftstromregelungselement befinden soll, sondern benennt in Merkmal 7.1 den genauen Ort, nämlich das Griffteil der Spritzpistole.

Mittels der Regelungselemente kann der Benutzer zum einen den Beschichtungsmaterialstrom und zum anderen den Spülluftstrom steuern. Nach dem Wortlaut des Anspruchs geht die erfindungsgemäße Lehre dabei von zwei separaten Regelungselementen aus. Zwar mag der Fachmann erkennen, dass er grundsätzlich beide Funktionen, nämlich einerseits die Regelung des Beschichtungsmaterialstroms und andererseits die Regelung des Spülluftstroms, mittels eines einzigen Regelungselements (mit Doppelfunktion) bereitstellen könnte, hierdurch würde aber die im Klagepatent vorgenommene Unterscheidung mit den entsprechenden räumlich-körperlichen Vorgaben vernachlässigt. Insofern darf die funktionale Auslegung eines Patents nicht dazu führen, dass ein räumlich-körperliches Merkmal auf die bloße Funktion reduziert und in einem Sinne interpretiert wird, der mit der räumlich-körperlichen Ausgestaltung, wie sie dem Merkmal eigen ist, nicht mehr in Übereinstimmung steht (OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2014, 185 ff. – WC-Sitzgelenk mit Dämpfungseinrichtung). Bei den Merkmalen 6 und 7 handelt es sich jedenfalls im Ansatz um räumlich-körperliche bzw. strukturelle Merkmale eines Vorrichtungsanspruches („Regelungselement“). Die Aufzählung der Regelungselemente innerhalb der Reihe der übrigen Bauteile (von Griffteil bis Elektrode) und die Verknüpfung der beiden Regelungselemente mit dem Begriff „außerdem“ sprechen ebenso wie die Vorgabe der Anordnung am Griffteil dafür, dass es sich bei den Regelungselementen auch räumlich-körperlich um zwei verschiedene Bauteile handeln muss.

Die Doppelbelegung eines Bauteils mit den zwei Funktionen der Regelungselemente ist hiernach nicht mehr von der Lehre des Klagepatents umfasst. Eine solche Doppelbelegung erfordert weitere Maßnahmen, etwa in Form eines weiteren Steuerelementes, um zwischen den beiden Modi wechseln zu können. Das Klagepatent enthält weder einen Anhaltspunkt für eine Mehrfachbelegung eines Regelungselementes, noch finden sich Ausführungen dazu, wie eine solche Mehrfachbelegung technisch umgesetzt werden könnte. Vielmehr unterscheidet die Klagepatentschrift konsequent zwischen den beiden Regelungselementen und erläutert in Abs. [0043], [0044] die Beziehung der beiden Regelungselemente zueinander dergestalt, dass sich bei eingeschaltetem Zustand des einen Regelungselementes das andere Regelungselement in ausgeschaltetem Zustand befinden muss.

Die Regelungselemente „initiieren“ den Beschichtungsmaterialstrom bzw. den Spülluftstrom. Entgegen der Auffassung der Klägerin deutet der Begriff des „Initiierens“ (Merkmale 6.2 und 7.2) dabei nicht darauf hin, dass die Regelungselemente nur einen irgendwie mitursächlichen Beitrag zur Steuerung setzen, sondern das Materialstromregelungselement und das Spülluftstromelement sollen nach der erfindungsgemäßen Lehre dergestalt manuell bedient werden können, dass durch ihre Betätigung (unmittelbar) der Materialstrom oder der Spülluftstrom in Gang gesetzt oder beendet wird. Nur auf diese Weise kann die von der Klagepatentschrift formulierte Aufgabe, den Bedienungskomfort während der Anwendung der Spritzpistole zu erhöhen (vgl. Anlage K2 Abs. [0002]), gelöst werden.

II.
Dies vorausgeschickt, verletzt die angegriffene Ausführungsform das Klagepatent weder wortsinngemäß noch mit äquivalenten Mitteln.

1.
Der Pistolenabzug stellt aus zwei Gründen kein erfindungsgemäßes Spülluftstromregelungselement dar. Zum einen wird über ihn bereits der Beschichtungsmaterialstrom gesteuert, so dass er als erfindungsgemäßes Beschichtungsmaterialstromregelungselement im Sinne von Merkmal 6 zu qualifizieren ist. Nach den obigen Ausführungen kann er dann aber nicht zugleich auch das Spülluftstromregelungselement im Sinne von Merkmal 7 darstellen. Zum anderen erfüllt er für sich genommen nicht die in Merkmal 7.2 beschriebene Funktion des erfindungsgemäßen Spülluftstromregelungselementes. Insofern erfordert es die erfindungsgemäße Lehre, dass mittels der manuellen Schaltung des Spülluftstromregelungselementes der Spülluftstrom initiiert werden kann. Allein durch Betätigen des Pistolenabzugs kann bei der angegriffenen Ausführungsform nur der Beschichtungsmaterialstrom, nicht aber der Spülluftstrom initiiert werden. Um den Spülluftstrom in Gang zu setzen, muss vielmehr zunächst die Taste „P“ an der Fernbedienung betätigt werden, um in den Spülmodus umzuschalten. Erst im Anschluss hieran kann mit dem Pistolenabzug der Spülluftstrom initiiert werden. Dies reicht nicht aus, um den Pistolenabzug als erfindungsgemäßes Spülluftstromregelungselement im Sinne von Merkmal 7.2 zu qualifizieren (zur Auslegung s.o.).

2.
Auch die Taste „P“ stellt für sich genommen kein erfindungsgemäßes Spülluftstromregelungselement dar. Sie erfüllt schon nicht die in Merkmal 7.2 beschriebene Funktion. Wie vorstehend ausgeführt, wird durch das Betätigen der Taste „P“ nicht der Spülluftstrom initiiert, sondern lediglich vom Beschichtungsmodus in den Spülmodus umgeschaltet. Erst das Betätigen des Pistolenabzuges setzt anschließend den Spülluftstrom in Gang. Ein irgendwie gearteter Beitrag zum Initiieren des Spülvorganges reicht aber nicht aus, um die „P“-Taste als erfindungsgemäßes Spülluftstromregelungselement zu qualifizieren. Darüber hinaus befindet sich die Taste „P“ auch nicht am Griffteil der Spritzpistole, wie in Merkmal 7.1 gefordert. Die Taste „P“ befindet sich vielmehr auf einem Fernbedienungsfeld, das an dem der Düse gegenüber liegenden Ende des Verlängerungsteils, genauer an dem rückwärtigen Bereich des Schafts oder Laufs der Spritzpistole, angeordnet ist. Die Fernbedienung weist zwar eine mechanische Verbindung zum Griffteil auf und wirkt durch die schwarze Farbgebung auf den ersten Blick als Verlängerung desselben, in funktionaler Hinsicht versteht die Klagepatentschrift unter dem erfindungsgemäßen Griffteil aber denjenigen Teil der Spritzpistole, der manuell greifbar ist (s.o.). Das ist nur im Hinblick auf denjenigen Teil der Spritzpistole der Fall, der sich von dem Verlängerungsteil weg nach unten erstreckt. Die von der Düse aus gesehen hinter dem Verlängerungsteil befindliche Fernbedienung hingegen ist nicht in erfindungsgemäßer Weise am Griffteil angeordnet.

3.
Die räumliche Anordnung der Fernbedienung hindert auch die als dritte Verletzungsvariante von der Klägerin diskutierte Annahme, die Kombination der Taste „P“ mit dem Pistolenabzug könne ein erfindungsgemäßes Spülluftstromregelungselement im Sinne des Merkmals 7 darstellen. Denn durch die Kombination der Taste „P“ mit dem Pistolenabzug wird zwar die in Merkmal 7.2 beschriebene Funktion des Spülluftstromregelungselementes erfüllt, dieses befindet sich aber nicht gemäß Merkmal 7.1 am Griffteil. Insofern reicht es nicht aus, dass sich zumindest ein Teil, nämlich der Pistolenabzug, am Griffteil befindet. Vor dem Hintergrund, dass sich die Klagepatentschrift die Aufgabe gesetzt hat, den Bedienkomfort der Spritzpistole zu erhöhen, muss vielmehr das gesamte Spülluftstromregelungselement am Griffteil angeordnet sein. Es soll nach der erfindungsgemäßen Lehre gerade vermieden werden, dass der Benutzer vom Griffteil weggreifen muss, um das Spülluftstromregelungselement zu bedienen.

4.
Vor diesem Hintergrund kommt auch eine Verletzung des Klagepatents mit äquivalenten Mitteln nicht in Betracht.

Damit eine vom Wortsinn des Patentanspruchs abweichende Ausführung in dessen Schutzbereich fällt, muss dreierlei erfüllt sein. Die Ausführung muss erstens das der Erfindung zugrunde liegende Problem mit zwar abgewandelten, aber objektiv gleichwirkenden Mitteln lösen. Zweitens müssen seine im Prioritätszeitpunkt gegebenen Fachkenntnisse den Fachmann befähigt haben, die abgewandelte Ausführung mit ihren abweichenden Mitteln als gleichwirkend aufzufinden. Die Überlegungen, die der Fachmann hierzu anstellen muss, müssen schließlich drittens am Sinngehalt der im Patentanspruch unter Schutz gestellten Lehre orientiert sein (Gleichwertigkeit). (OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2014, 185 ff.)

Als Austauschmittel für das erfindungsgemäße Spülluftstromregelungselement benennt die Klägerin die Kombination aus „P“-Taste und Pistolenabzug, die sie als „Spülluftstromregelungseinheit“ bezeichnet. Diese befindet sich nicht mit sämtlichen ihrer Bauteile am Griffteil selbst, sondern lediglich „im Bereich des Griffteils“.

Selbst wenn man aufgrund der räumlichen Nähe der „P“-Taste zum Pistolenabzug die Gleichwirkung zu der vom Klagepatent gelehrten Lösung bejahen wollte, scheitert die Annahme einer Äquivalenz jedenfalls an dem Erfordernis der Gleichwertigkeit. Insofern hat sich das Klagepatent in Abgrenzung zum Stand der Technik gerade auf einen konkreten Ort für die Regelungselemente, nämlich deren Anordnung am Griffteil, festgelegt. Der Fachmann erkennt, dass diese Anordnung am geeignetsten ist, den Bedienkomfort zu erhöhen, und wird daher nicht auf den Gedanken kommen, einzelne Elemente außerhalb des Griffteils zu positionieren. Im Übrigen bieten weder der Anspruch selbst noch die Figuren oder die Beschreibung einen Anhaltspunkt dafür, eine Regelungseinheit vorzusehen, von der ein Element mit einer Doppelfunktion belegt wird. Figur 1 zeigt zwar eine räumliche Nähe der beiden Regelungselemente, nicht aber deren Verbindung in einem Bauteil, die ohne zusätzliche technische Maßnahmen nicht umsetzbar ist. Einen Hinweis darauf, wie solche zusätzlichen technischen Maßnahmen aussehen könnten, erhält der Fachmann in der Klagepatentschrift nicht.

III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1 und 2 ZPO.
Der Streitwert wird auf 750.000,- EUR festgesetzt.