4b O 39/13 – Tupfer

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 2245

Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 22. Juli 2014, Az. 4b O 39/13

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

TATBESTAND

Die Klägerin nimmt die Beklagten aus dem Gebrauchsmuster 20 2004 021 XXX (nachfolgend: Klagegebrauchsmuster, Anlage FR1a) auf Auskunftserteilung und Rechnungslegung sowie Feststellung der Schadensersatzpflicht in Anspruch.

Die Klägerin ist Inhaberin des Klagegebrauchsmusters, das von dem europäischen Patent 1 608 XXX B1 (nachfolgend EP XXX, Anlage FR4a) abgezweigt wurde. Das Klagegebrauchsmuster wurde am 31.03.2004 unter Inanspruchnahme einer italienischen Priorität vom 01.04.2003 angemeldet. Die Eintragung im Register erfolgte am 12.11.2012, die Bekanntmachung im Patentblatt am 03.01.2013. Die Beklagte zu 3) reichte am 06.11.2013 beim DPMA einen Löschungsantrag gegen das Klagegebrauchsmuster ein (Anlage MB2), über den noch nicht entschieden worden ist. Das Klagegebrauchsmuster ist am 31.03.2014 durch Zeitablauf erloschen.

Das Klagegebrauchsmuster betrifft Tupfer zur Aufnahme von biologischen Proben.

Die Ansprüche 1, 3 und 9, die die Klägerin in Kombination geltend macht, lauten wie folgt:

Anspruch 1
Tupfer zur Aufnahme von zu analysierenden biologischen Proben, wobei der Tupfer (20) einen Stab (14) aufweist, der in eine Spitze (16) ausläuft und eine Faserschicht (17), die die Spitze (16) bedeckt, wobei die Fasern durch Flockung auf der Oberfläche der Spitze (16) aufgebracht sind, und wobei die Faserschicht (17) eine Faserfeinheit zwischen 1,7 und 3,3 Dtex aufweist.

Anspruch 3
Tupfer gemäß Anspruch 1 oder 2, wobei die Faserschicht (17) eine Dicke zwischen 0,6 und 3 mm aufweist.

Anspruch 9
Tupfer gemäß irgendeinem der vorangehenden Ansprüche, wobei die Faserschicht (17) ausgebildet ist, ungefähr oder mindestens 40 μl einer flüssigen Probe zu absorbieren.

Für den Wortlaut der Ansprüche 5, 7, 11, 17, 19 bis 22, 25, 30 und 31, deren Kombination die Klägerin in Form eines „insbesondere, wenn“- Antrags geltend macht, wird auf die Gebrauchsmusterschrift (Anlage FR1a) verwiesen.

Die nachfolgenden Abbildungen zeigen eine auseinander gezogene Darstellung der beiden Bestandteile einer erfindungsgemäßen Ausführungsform, nämlich Stab und Teströhrchen, wobei das Teströhrchen teilweise in Längsrichtung unterteilt ist (Figur 1), sowie eine vergrößerte Detailansicht des Tupfers aus Figur 1 im Schnitt (Figur 2).

Die Beklagte zu 1) ist ein US-amerikanisches Unternehmen, das – wie die Klägerin – auf die Herstellung von Laborbedarf spezialisiert ist. Sie stellt Tupfer mit den Bezeichnungen „A“, „B“ und „B C“ her (nachfolgend: angegriffene Ausführungsformen), die u.a. die auf Bl. 8 d. A. aufgeführten Artikelnummern haben. Darunter fallen auch die Tupfer mit den Artikelnummern E aus der Gruppe „A“ und die Tupfer mit den Artikelnummern E aus der Gruppe „B C“ (vgl. Anlage FR7), wobei die Artikelnummern mit der Bezeichnung „E“ von der Beklagten zu 3) vergeben werden. Die Ausgestaltung der angegriffenen Ausführungsformen ergibt sich aus den Anlagen FR8a-10b, 11, 12 und 14. Die Beklagte zu 1) bietet ihre Produkte weltweit über ihren Internetauftrittwww.com (Anlage FR5a/5b) an und vertreibt sie über Vertriebspartner in Deutschland.

Die Beklagten zu 2) und zu 3) sind Vertriebspartner der Beklagten zu 1). Sie bieten die angegriffenen Ausführungsformen über ihre Internetauftritte www.co.uk und www.de (Anlagen FR6a, 6b, 7) an und vertreiben sie in Deutschland.

Der nachfolgenden Tabelle lassen sich die F Artikelnummern für die angegriffenen A-Tupfer und die angegriffenen B-Tupfer entnehmen (vgl. Seite 8 der Klageschrift), denen – soweit möglich – die zugehörigen E-Artikelnummern der Beklagten zu 3) zugeordnet wurden (vgl. Anlage FR13). Die Zuordnung basiert auf der im selbstständigen Beweisverfahren (Az.: 4b O 176/12) vorgenommenen Zuordnung.
Die angegriffenen Ausführungsformen weisen an ihrer Spitze jeweils Faserbündel auf, die auf die Spitze des Stabes geflockt wurden. Die Faserbündel bestehen aus Einzelfasern, die mit einem Klebstoff zusammengehalten werden. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass, kommt die Spitze des Tupfers mit einer Flüssigkeit in Kontakt, zwischen den Faserbündeln eine Kapillarwirkung auftritt und die Flüssigkeit aufgenommen wird. Anders als die angegriffenen Tupfer aus der Gruppe „B C“ weisen die angegriffenen Tupfer aus der Gruppe „A“ an ihren Spitzen Fasern mit aufgespleißten Enden auf. Nachfolgend sind Bilder der Tupfer aus der Gruppe B (Anlage FR9b), der Gruppe A“ (Anlage FR8a) und eine Gegenüberstellung der Tupfer aus beiden Gruppen (Anlage FR8a und FR6a) dargestellt.

 

Die Klägerin ist der Auffassung, dass der Gegenstand des Klagegebrauchsmusters in der geltend gemachten Fassung schutzfähig sei, auch unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Erweiterung und gegenüber dem von den Beklagten entgegengehaltenen Stand der Technik.

Die Klägerin ist darüber hinaus der Meinung, die angegriffenen Ausführungsformen verwirklichten sämtliche Merkmale der geltend gemachten Anspruchskombination wortsinngemäß. Bei den angegriffenen Ausführungsformen bedecke die Faserschicht die Spitze des Stabes. Bei der Faserfeinheit in der geltend gemachten Anspruchskombination sei nicht auf die einzelnen Fasern, sondern auf ein Faserbündel abzustellen. Das Klagegebrauchsmuster sei so auszulegen, dass ein Faserbündel eine Fasereinheit zwischen 1,7 und 3,3 Dtex aufweise. Dies sei bei den angegriffenen Ausführungsformen der Fall. Dass die Faserschicht bei den angegriffenen Ausführungsformen ausgebildet sei, mindestens 40 Mikroliter einer flüssigen Probe zu absorbieren, ergebe sich aus den Anlagen FR11, 12, 15 und 16a/b.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagten zu verurteilen,

I.1
der Klägerin Auskunft zu erteilen und durch Vorlage eines geordneten Verzeichnisses darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie in Deutschland seit dem 03.02.2013 Tupfer zur Aufnahme von zu analysierenden biologischen Proben angeboten, in Verkehr gebracht oder zu den genannten Zwecken eingeführt oder besessen haben, welche jeweils die folgenden Merkmale aufweisen:

der Tupfer weist einen Stab auf, der in eine Spitze ausläuft und eine Faserschicht, die die Spitze bedeckt,
die Fasern sind durch Flockung auf der Oberfläche der Spitze aufgebracht, und
die Faserschicht weist eine Faserfeinheit zwischen 1,7 und 3,3 Dtex auf,
die Faserschicht weist eine Dicke zwischen 0,6 und 3 mm auf,
die Faserschicht ist ausgebildet, mindestens 40 μl einer flüssigen Probe zu absorbieren

unter Angabe

a. der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse, der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer sowie der bezahlten Preise,

b. der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen sowie der Typenbezeichnungen und der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer,

c. der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen sowie der Typenbezeichnungen und der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,

d. der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagehöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,

e. sowie der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des jeweils erzielten Gewinns,

wobei

es den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer und Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten und in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten die durch dessen Einschaltung entstehenden Kosten tragen und ihn ermächtigen, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Angebotsempfänger in der Rechnungslegung enthalten ist;

die Beklagten zum Nachweis der Angaben zu a) und zu b) die entsprechenden Einkaufs- und Verkaufsbelege (Rechnungen) in Kopie vorzulegen haben, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der rechnungslegungspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;

II.
festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die unter Ziffer I.1) bezeichneten, in Deutschland seit dem 04.02.2013 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen,
hilfsweise, das Verfahren bis zur erstinstanzlichen Entscheidung über den Löschungsantrag gegen das Klagegebrauchsmuster DE 20 2004 021 XXX (U1) auszusetzen.

Die Beklagten vertreten die Auffassung, die Schutzansprüche 1, 3 und 9 seien unzulässig erweitert, da deren Gegenstand für den Fachmann nicht unmittelbar und eindeutig der Ursprungsoffenbarung WO 2004/086979 A1 (nachfolgend: WO 979) bzw. der EP XXX, die aus der Euro-PCT-Anmeldung WO 979 hervorgegangen sei, zu entnehmen sei. Anders als in der Ursprungsoffenbarung erfasse das Klagegebrauchsmuster u.a. auch Tupfer mit Fasern ohne hydrophile Eigenschaften.

Die beanspruchte Erfindung sei überdies weder neu, noch beruhe sie auf einem erfinderischen Schritt.

Schließlich stellen die Beklagten eine wortsinngemäße Verletzung des Klagegebrauchsmusters in Abrede. Das Klagegebrauchsmuster verlange mit der Bedeckung der Spitze durch die Faserschicht eine Beflockung bis zur Sättigung, d.h., dass keine Fasern mehr in der Oberfläche verankert werden könnten. Dies setze 3000 bis 6250 Fasern pro mm2 voraus. Die angegriffenen Ausführungsformen wiesen – unstreitig – eine deutlich darunter liegende Faserdichte auf. Bei der Faserfeinheit der Faserschicht im Sinne der Anspruchskombination komme es auf die einzelne Faser und nicht auf das Faserbündel an. Die Einzelfasern der angegriffenen Ausführungsformen wiesen keine Faserfeinheit zwischen 1,7 und 3,3 Dtex auf. Die Fasern der angegriffenen Ausführungsformen hätten – unstreitig – einen Fasertiter von weniger als 0,07 Dtex. Die Faserschicht der angegriffenen Ausführungsformen sei nicht ausgebildet, um mindestens 40 Mikroliter einer flüssigen Probe zu absorbieren. Es liege kein Nachweis dafür vor.

Auf Antrag der Klägerin vom 06.11.2012 hat das Landgericht Düsseldorf mit Beschluss vom 14.11.2012 in Bezug auf die angegriffenen Ausführungsformen und das im Parallelverfahren (Az.: 4b O 59/13) streitgegenständliche Gebrauchsmuster (DE 20 2004 021 787) ein selbstständiges Beweisverfahren eingeleitet, das unter dem Az.: 4b O 176/12 geführt wird. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme im selbstständigen Beweisverfahren wird auf das Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen Dr. F vom 15.01.2013 in dem Verfahren 4b O 176/12 verwiesen (Anlage FR14). Die Akten mit den Az. 4b O 59/13, 4b O 176/12 und 4b O 58/13 sind beigezogen worden und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 24.06.2014 Bezug genommen.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Klägerin stehen gegen die Beklagten die geltend gemachten Ansprüche auf Auskunftserteilung, Rechnungslegung und Feststellung der Schadensersatzpflicht gemäß §§ 24 Abs. 2, 24b Abs. 1 und 3 GebrMG i.V.m. §§ 242, 259 BGB nicht zu. Das Klagegebrauchsmuster ist zwar schutzfähig. Es wird jedoch durch den Vertrieb der angegriffenen Ausführungsformen nicht verletzt.

I.
Die Erfindung betrifft einen Tupfer zur Aufnahme biologischer Proben.

Das Klagegebrauchsmuster führt einleitend zum Stand der Technik aus, dass auf dem Gebiet klinischer und diagnostischer Analysen Tupfer zur Aufnahme biologischer Proben von organischem Material bekannt seien. Die bekannten Tupfer bestünden im Wesentlichen aus einem zylindrischen Stab, um dessen eines Ende (Spitze) ein Bausch von Fasern, wie beispielsweise Viskose (Rayon) oder eine natürliche Faser, wie beispielsweise Baumwolle, mit hydrophilen Eigenschaften gewickelt sei. Der Bausch solle eine rasche Absorption der Probenmenge, die abgenommen und getestet werden solle, ermöglichen. Eine stabile Haftung der Faser, die um die Spitze des Stabs gewickelt sei, werde durch Kleben erreicht.

Das Klagegebrauchsmuster erläutert weiter, dass insbesondere dann, wenn die Probe durch Kultivieren der Mikroorganismen, die gleichzeitig mit der Probeaufnahme mit abgenommen worden seien, untersucht werden sollten, ein Tupfer sofort nach der Aufnahme in ein Teströhrchen eingetaucht werde. Dabei enthalte das Teströhrchen ein Kulturmedium, um die Probe während Lagerung und/oder Transport bis zum Analyselabor entsprechend zu konservieren.

Eine derartige Vorrichtung sei durch das europäische Patent 0643131 offenbart. Das Patent betreffe einen Tupfer für die Aufnahme und den in-vitro-Transport von Proben. Der Tupfer bestehe aus einem Teströhrchen mit Kulturmedium in Gelform und einem Stab, der an einem Ende einen Stopper für den Verschluss des Teströhrchens und an dem gegenüber liegenden Ende Mittel für die Aufnahme der genannten Proben trage. Das Mittel für die Aufnahme von Proben könne zum Beispiel ein Faserbausch sein, der um die Spitze des Stabes gewickelt sei, um in das Kulturmedium eingetaucht zu werden.

Das Klagegebrauchsmuster betont, dass die Spitze des zylindrischen Stabs, die aus im Wesentlichen starrem Material wie beispielsweise extrudiertem Kunststoff hergestellt sei, üblicherweise einen trunkierten Abschnitt aufweise. Dieses „abgeschnittene“ Ende mache es schwierig, den Tupferstab in Öffnungen, wie z.B. Mund, Nase, Auge, Rektum, Harnröhre und Vagina des Patienten einzuführen, wenn die Spitze nicht entsprechend geschützt sei. Aus diesem Grund müsse der Bausch aus hydrophilen Fasern, der um das trunkierte Ende gewickelt sei, nicht nur ausreichend Material enthalten, um die Absorption der Probe in der gewünschten Menge (100 Mikroliter) zu ermöglichen, sondern er müsse auch eine ausreichend dicke und abgerundete Form aufweisen, damit dem Patienten während der Probenentnahme kein Schaden zugefügt werde. Aus diesem Grund sei der Faserbausch um die Spitze des Stabs in einer runden Form gewickelt, die typischerweise die Form eines Spitzbogens oder eine ähnlich Form annehme. Die Form werde allmählich zum Ende des Stabs hin dicker und erreiche eine maximale Dicke und demnach auch einen maximalen protektiven Effekt genau um das trunkierte Ende herum.

Das Klagegebrauchsmuster kritisiert an dem derart geformten Bausch, dass die Dicke des Bauschs, wegen der hydrophilen Natur der Faser, zur Penetration der abgenommenen flüssigen Probe in die Masse des genannten Bauschs führe. Da die Probe aus praktischen Gründen zum Zeitpunkt der Analyse aus dem Tupfer freigesetzt werde, indem einfach der Stab des Tupfer ergriffen und seine Spitze und damit auch die mit der Flüssigkeit imprägnierte Faser vorsichtig, zum Beispiel entlang einer Petrischale mit Kulturmedium, ausgestrichen werde, sei es selbst bei vorsichtigem Wiederholen dieses Vorgangs nicht möglich, das gesamte Volumen (z.B. die 100 μl an absorbierter Probe) freizusetzen. Denn der Teil der Probe, der in den Innenbereich des Bauschs in Richtung seiner Spitze penetriert sei, könne nicht in Richtung zur Oberfläche ausgepresst und dadurch auch nicht durch den Tupfer freigesetzt werden.

Das Klagegebrauchsmuster führt an, dass durch diesen Mangel bedingt, im Durchschnitt nur etwa 40% der flüssigen Probe, die aufgenommen worden sei, in der Praxis für die Analyse wieder gewonnen werden könne. Ein solcher Verlust an Probe führe unweigerlich zu einer herabgesetzten Empfindlichkeit der Analyse und einer erhöhten Anzahl an falsch negativen Ergebnissen. Es sei schwierig festzustellen, ob ein negativer Test sich tatsächlich aus dem Fehlen der gesuchten Mikroorganismen oder eher aufgrund des nicht erfolgten oder unzureichenden Transfers vom Tupfer zur Testplatte ergebe.

Ein weiteres Problem des voluminösen Faserbausches eines Tupfers zeige sich, wenn der Tupfer z.B. im Bereich der Harnröhre und am Auge eingesetzt werde. Bei diesen Anwendungen sei es wünschenswert, die Tupferdicke zu minimieren, um Irritationen beim Patienten während der Probenahme zu verringern.

Vor diesem Hintergrund stellt sich das Klagegebrauchsmuster die Aufgabe, die aus dem Stand der Technik bekannten Nachteile zu vermeiden.

Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt es vor, einen Tupfer bereit zu stellen, der die folgenden Merkmale aufweist (Kombination der Ansprüche 1, 3 und 9):

1. Tupfer zur Aufnahme von zu analysierenden biologischen Proben bestehend aus

2. einem Stab
a. der Stab läuft in eine Spitze aus

3. einer Faserschicht
a. die Faserschicht bedeckt die Spitze des Stabs
b. die Fasern sind durch Flockung auf der Oberfläche der Spitze aufgebracht
c. die Faserschicht weist eine Faserfeinheit zwischen 1,7 und 3,3 Dtex auf
d. die Faserschicht weist eine Dicke zwischen 0,6 und 3 mm auf
e. die Faserschicht ist ausgebildet, mindestens 40 Mikroliter einer flüssigen Probe zu absorbieren.

II.
Die angegriffenen Ausführungsformen verwirklichen nicht sämtliche Merkmale der geltend gemachten Anspruchskombination. Unabhängig davon, ob die auf die Spitze des Stabes aufgebrachten Fasern als Faserschicht im Sinne des Klagegebrauchsmusters anzusehen sind (Merkmal 3a), was zwischen den Parteien streitig ist, weisen sie jedenfalls keine Faserfeinheit zwischen 1,7 und 3,3 Dtex auf (Merkmal 3c).

1.
Nach der Lehre des Klagegebrauchsmusters bestehen die Tupfer aus einem Stab mit einer Spitze, der mit einer Faserschicht bedeckt ist. Diese Faserschicht soll anspruchsgemäß unter anderem eine Faserfeinheit zwischen 1,7 und 3,3 Dtex aufweisen. Mit Blick auf die angegriffenen Ausführungsformen hat die Auslegung der geltend gemachten Schutzansprüche die Frage zu beantworten, ob bei der Verwendung von Faserbündeln für die Faserfeinheit auf das Bündel oder die darin enthaltenen Einzelfasern abzustellen ist.

Nach dem Wortlaut der Schutzansprüche ist es nicht ausgeschlossen, unter dem Begriff der Faser auch Faserbündel zu fassen und für die Faserfeinheit auf die Faserbündel abzustellen. Zwar beschreibt das Klagegebrauchsmuster die Faserfeinheit (in Dtex) als das Gewicht einer einzigen Faser in Gramm pro 10.000 Laufmeter (Abs. [0020]; Textstellen ohne Bezugsangabe stammen aus der Klagegebrauchsmusterschrift). Auch im weiteren Verlauf der Beschreibung wird zur Beschreibung der Erfindung auf die einzelne Faser abgestellt (vgl. Abs. [0021]). Daraus kann aber nicht gefolgert werden, dass für die Faserfeinheit durchweg auf die Einzelfaser abzustellen ist, selbst wenn diese in Faserbündeln verklebt sind. Denn im Zweifel hat die Beschreibung des Klagegebrauchsmusters Faserbündel überhaupt nicht vor Augen.

Nach den Ausführungen im Klagegebrauchsmuster hat die Faserfeinheit zusammen mit der Faserlänge vor allem Auswirkungen auf die Art des aufgebrachten Flors: Wird eine Faser von 0,6 mm Länge und 1,7 Dtex verwendet, wird ein feiner Flor erhalten und bei der Verwendung einer Faser von 3 mm Länge und 3,3 Dtex ein langer Flor (Abs. [0020]). Die Art des Flors ist jedoch kein Selbstzweck. Entscheidend ist vielmehr die Funktion der Faserschicht. Dazu wird in der Beschreibung des Klagegebrauchsmusters ausgeführt, dass die Menge an Fasern, die abgelagert wird, um die erfindungsgemäße geflockte Schicht zu bilden, auf der Basis der Faserart und der zuvor ausgewählten Merkmale von Dicke und Feinheit festgelegt wird, um eine bestimmte Probenmenge absorbieren zu können (Abs. [0022]). Dabei soll die Absorption durch die Kapillarwirkung zwischen den Fasern erfolgen. Dies ergibt sich aus Absatz [0021] des Klagegebrauchsmusters, wonach auf eine geordnete Anordnung der Fasern geachtet und ein Überlappen der Fasern verhindert werden soll. Dadurch „bleibt die Kapillare, die eine jede einzelne Faser darstellt, […] unbeeinträchtigt und funktionell“ (Abs. [0021]). Dem Klagegebrauchsmuster kommt es insofern maßgeblich darauf an, dass die letztlich verwendete Faser aufgrund des Kapillareffekts hydrophile Wirkung hat, selbst wenn das Material der Faser selbst nicht hydrophil sein sollte (vgl. Abs. [0023]). Demnach kommt es entscheidend auf die Zwischenräume zwischen den Fasern an, in denen die Kapillarwirkung auftritt.

Davon ausgehend ist auch für die Faserfeinheit auf die „Fasern“ abzustellen, zwischen denen die Kapillarwirkung auftritt. Findet zwischen den einzelnen Fasern eines Faserbündels eine Kapillarwirkung statt, ist die Faserfeinheit dieser Einzelfasern maßgeblich. Sind die Faserbündel hingegen so kompakt, dass eine Kapillarwirkung nur zwischen den Bündeln, nicht aber zwischen deren Einzelfasern stattfindet, ist für die Faserfeinheit auf die Faserbündel abzustellen. Diese sind als „Faser“ im Sinne des Klagegebrauchsmusters anzusehen, weil sie dem Flor und seiner Funktionsweise das Gepräge geben. Die Absorptionsmenge hängt von den Faserbündeln als solche und nicht von deren einzelnen Fasern ab. Ob die Faserbündel an ihrem äußeren Ende aufgespleißt sind, spielt daneben keine Rolle.

2.
Davon ausgehend weisen die angegriffenen Ausführungsformen keine Faserfeinheit im beanspruchten Bereich zwischen 1,7 und 3,3 Dtex auf. In dieser Hinsicht ist zwischen den beiden Typen der angegriffenen Ausführungsformen, A und B, zu unterscheiden.

Nach den Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen Dr. F in seinem für das Besichtigungsverfahren 4b O 176/12 erstellten Gutachten tritt in der angegriffenen Ausführungsform des Typs A mit der Artikelnummer E 811 und E 812 (vom gerichtlichen Sachverständigen in seinem Gutachten irrtümlich als B bezeichnet) eine Kapillarwirkung zumindest auch innerhalb des Faserbündels zwischen den einzelnen Fasern auf (vgl. Abschnitt 4. a.E. sowie Absatz II.1. und II.7. im Abschnitt 4.1. der Anlage FR 14). Dem sind auch die Parteien nicht weiter entgegen getreten. Demnach ist für die Faserfeinheit der Faserschicht auf die Einzelfasern der Faserbündel abzustellen. Diese liegt nach den Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen unter 0,07 Dtex und damit außerhalb des beanspruchten Bereichs (vgl. Absatz II.1. im Abschnitt 4.1. der Anlage FR 14).

Hinsichtlich des Typs B mit den Artikelnummern E 819 und E 820 sind die Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen Dr. F nicht eindeutig. Einerseits stellt er fest, dass diese Fasern einen hohen Anteil an Einbettungsmittel aufweisen, das eine geschlossene Oberfläche bildet, so dass dieser Fasertyp wie eine Kompaktfaser wirkt (Abschnitt 4. a.E. sowie Absatz II.1. im Abschnitt 4.2. der Anlage FR 14). Andererseits – so der Sachverständige – weisen die Faserbündel durch die Anordnung der Einzelfasern Kapillare auf. Die Hydrophilie der Faserschicht werde durch die Einzelfasern und gegebenenfalls durch das Bindemittel hervorgerufen. Entgegen den Feststellungen des Sachverständigen, die zudem jeder Begründung entbehren (vgl. Absatz II.11. im Abschnitt 4.2. der Anlage FR 14), ist zwischen den Parteien unstreitig, dass jedenfalls auch zwischen den Faserbündeln eine Kapillarwirkung auftritt. Letztlich kann dahinstehen, ob innerhalb der Faserbündel eine Kapillarwirkung entsteht und ob für die Faserfeinheit dieser angegriffenen Ausführungsform auf die Einzelfasern oder doch auf die Faserbündel abzustellen ist. Denn in beiden Fällen liegt die Faserfeinheit außerhalb des beanspruchten Bereichs. Der Sachverständige hat die Faserfeinheit für die Einzelfasern mit 0,021 beziehungsweise 0,07 Dtex angegeben (Absastz II.1. im Abschnitt 4.2. der Anlage FR 14) und für die Faserbündel mit 3,99 beziehungsweise 4,03 Dtex (Absatz II.1. im Abschnitt 4.2. der Anlage FR 14).

Für weitere Typen angegriffener Ausführungsformen sind andere Faserfeinheiten nicht dargelegt.

V.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 269 Abs. 3 S. 2 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.

Streitwert: 100.000,00 €