4c O 34/14 – Gütersortiervorrichtung

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 2253

Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 18. Juli 2014, Az. 4c O 34/14

I. Der Verfügungsbeklagten wird im Wege der einstweiligen Verfügung bei Meidung eines vom Gericht für jeden Einzelfall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten,oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Wiederholungsfall Ordnungshaft von bis zu zwei Jahren, zu vollziehen an dem Geschäftsführer der Verfügungsbeklagten, untersagt,

Vorrichtungen zum Transport und kontrollierten Entladen einer Last,

im Geltungsbereich des deutschen Teils des europäischen Patents EP 1 448 xxx B1 herzustellen, anzubieten, in den Verkehr zu bringen und/oder zu gebrauchen und/oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,

die Folgendes umfassen:
einen Rahmen mit einer Führung für wenigstens einen bewegbaren Transportbehälter, einer Antriebseinrichtung zum Tragen des Transportbehälters in einer Endlosschleife, eine Rücksetzvorrichtung, zum Platzieren eines Transportbehälters in einer Startposition und einer Entlade- bzw. Ausbringstation zum wahlweisen Aufnehmen einer Last eines Transportbehälters, wobei die Transportbehälter mit einer bewegbaren Tragplatte versehen sind, zur Aufnahme der Last darauf, mit wenigstens einem ersten und einem zweiten Kipptrog, die sich zwischen Kippachsen erstrecken, die an beiden Seiten angeordnet sind, und die wahlweise zwischen einer Transportposition und einer nach unten hängenden Entladeposition gekippt werden können, dadurch gekennzeichnet, dass zwischen den Kipptrögen eine Kupplung vorgesehen ist, die in der Lage und geeignet ist, eine Kippbewegung des ersten Kipptrogs auf den zweiten Kipptrog zu übertragen.

II. Im Übrigen wird der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung zurückgewiesen.

III. Die Kosten des Verfahrens tragen die Verfügungsklägerin zu ¼ und die Verfügungsbeklagte zu ¾.

IV. Die Vollziehung der einstweiligen Verfügung wird von einer Sicherheitsleistung der Verfügungsklägerin in Höhe von 500.000,00 Euro abhängig gemacht.

TATBESTAND

Die Verfügungsklägerin ist Inhaberin des in englischer Verfahrenssprache abgefassten Europäischen Patents EP 1 448 xxx B1 (Anlage WLG 3), dessen deutsche Übersetzung die DE 602 04 798 T2 (Anlage WLG 4, im Folgenden: Verfügungspatent) darstellt. Das Verfügungspatent wurde am 15.11.2002 unter Inanspruchnahme einer Priorität vom 15.11.2001 angemeldet. Die Anmeldung des Verfügungspatents wurde am 22.05.2003, seine Erteilung am 22.06.2005 durch das EPA und am 18.05.2006 im Patentblatt veröffentlicht. In einem gegen das Verfügungspatent geführten Einspruchsverfahren bestätigte die Technische Beschwerdekammer des EPA das Verfügungspatent mit Beschwerdeentscheidung vom 16.02.2012 in vollem Umfang. Das Verfügungspatent betrifft einen Förderapparat und Transportbehälter zum gesteuerten Entladen einer Last.

Der vorliegend maßgebliche Anspruch 1 des Verfügungspatents lautet:

„Vorrichtung zum Transport und kontrollierten Entladen einer Last, mit einem Rahmen mit einer Führung (5, 6a) für wenigstens einen bewegbaren Transportbehälter (2), einer Antriebseinrichtung (1) zum Tragen des Transportbehälters (1) in einer Endlosschleife, einer Rücksetzvorrichtung (50), zum Platzieren eines Transportbehälters (2) in eine Startposition und einer Entlade- bzw. Ausbringstation zum wahlweisen Aufnehmen einer Last eines Transportbehälters (2), wobei die Transportbehälter mit einer bewegbaren Tragplatte (21, 22) versehen sind, zur Aufnahme der Last darauf, mit wenigstens einem ersten und einem zweiten Kipptrog (21, 22), die sich zwischen Kippachsen (23) erstrecken, die an beiden Seiten angeordnet sind, und die wahlweise zwischen einer Transportposition und einer nach unten hängenden Entladeposition gekippt werden können, dadurch gekennzeichnet, dass zwischen den Kipptrögen (21, 22) eine Kupplung (24) vorgesehen ist, die in der Lage und geeignet ist, eine Kippbewegung des ersten Kipptrogs (21) auf den zweiten Kipptrog (22) zu übertragen.“

Die nachfolgend wiedergegebenen (verkleinerten) Figuren veranschaulichen den Gegenstand der Erfindung anhand eines Ausführungsbeispiels. Figur 3 zeigt eine Draufsicht auf einen Transportbehälter, Figur 5 ist eine schematische Darstellung eines Transportbehälters in unterschiedlichen Schließstadien.

Die Verfügungsbeklagte entwickelt und produziert Sortiersysteme für Kleingüter bis zu einer Gewichtsgröße von 20 kg pro Einheit. Auf der Messe A 2014, die vom 19.05.2014 bis 23.05.2014 in Hannover stattfand, stellte die Verfügungsbeklagte ein Funktionsmodell sog. „B“ und „C“ – Sortierer (im Folgenden: angegriffene Ausführungsform) aus, die auch als „D“ bezeichnet werden. Die Ausgestaltung der angegriffenen Ausführungsform kann der nachfolgend eingeblendeten Abbildung, die aus der Antragsschrift stammt und welche von der Verfügungsklägerin beschriftet wurde, entnommen werden.

Die Verfügungsklägerin wurde erstmals auf der vorgenannten Messe auf die angegriffene Ausführungsform und ihre Funktionsweise aufmerksam. Auf dieser Messe untersuchte Herr E, ein Mitarbeiter der Verfügungsklägerin, die angegriffene Ausführungsform.

Die Verfügungsklägerin ist der Auffassung, die angegriffene Ausführungsform mache von der Lehre des Anspruchs 1 des Verfügungspatents unmittelbaren, wortsinngemäßen Gebrauch. Insbesondere sei zwischen den Kipptrögen eine Kupplung vorgesehen, die in der Lage und geeignet sei, eine Kippbewegung des ersten Kipptrogs auf den zweiten Kipptrog zu übertragen. Das Verfügungspatent definiere eine Kupplung lediglich in Bezug auf ihre Funktionalität und erfordere keine bestimmte räumlich-körperliche Anordnung. Der Kupplung komme die maßgebliche Aufgabe zu, eine synchrone Bewegung der Kipptröge zu ermöglichen, wodurch ein kontinuierliches (Nach-) Schwingen begrenzt werde, da der eine Trog das Schwingen des anderen Troges verhindere. Darüber hinaus müsse das Schließen eines Troges zum Schließen des anderen Troges führen. Insgesamt solle die Kupplung ein synchrones Öffnen und Schließen ermöglichen bzw. gewährleisten, um insbesondere zeitliche Koordinierungsprobleme beim Entladen/Fallenlassen der Last zu vermeiden. Entscheidend sei, dass die Bewegung des einen Kipptroges unmittelbar zur Bewegung des anderen Kipptroges führe, synchron und ohne zeitliche Versetzung. Die angegriffene Ausführungsform weise eine solche Kupplung auf. Bei der Verbindungsplatte, welche in der vorstehend gezeigten Einblendung als „Kupplung“ bezeichnet ist, handele es sich um eine Kupplung im Sinne des Verfügungspatentes. Ansonsten sei als Kupplung die gesamte Kniehebelmechanik der angegriffenen Ausführungsform anzusehen.

Die Verfügungsklägerin beantragt im Wege der einstweiligen Verfügung,

I. wie erkannt, jedoch ohne die Anordnung einer Sicherheitsleistung;

II. darüber hinaus, die Verfügungsbeklagte zu verurteilen,

1. sämtliche in ihrem Besitz befindlichen Produkte (einschließlich der darauf bezogenen Bewerbung) gemäß Ziffer I. – u.a. vertrieben als „D“ – an einen Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Verwahrung bis zu ihrer Vernichtung herauszugeben;
2. ihr innerhalb von 14 Tagen nach Zustellung der einstweiligen Verfügung schriftlich und in geordneter Form Auskunft über Herkunft und Vertriebsweg der in Deutschland vertriebenen Produkte gemäß Ziffer I. zu erteilen über

a) Namen und Anschrift der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer der Erzeugnisse gemäß Ziffer I., sowie der gewerblichen Abnehmer und Verkaufsstellen, für die sie bestimmt waren, und
b) die Mengen der ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse gemäß Ziffer I., sowie über die Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden.

Die Verfügungsbeklagte beantragt,

den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

Die Verfügungsbeklagte ist der Auffassung, die angegriffene Ausführungsform mache von der Lehre des Verfügungspatents keinen Gebrauch. Es fehle an einer Kupplung im Sinne des Verfügungspatents. Diese setze voraus, dass eine Kraftübertragung von einem Kipptrog auf den anderen Kipptrog stattfinde. Die Bewegung des zweiten Kipptroges müsse durch die Bewegung des ersten Kipptroges ausgelöst bzw. bewirkt werden. Dies erfordere eine Kraftübertragung von dem einen Kipptrog auf den anderen Kipptrog. Im Gegensatz dazu habe die angegriffene Ausführungsform ein zentrales Betätigungselement für beide Kipptröge. Dies folge schon daraus, dass die Kniehebelmechanik der angegriffenen Ausführungsform in der vollständig geöffneten Stellung – insoweit unstreitig – über ihren Totpunkt hinaus ausgelenkt sei und die Tröge arretiere, so dass es unmöglich und ausgeschlossen sei, einen der Tröge zu kippen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 15.07.2014 sowie auf die zu den Akten gereichten Unterlagen Bezug genommen.
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

Der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung hat im tenorierten Umfang Erfolg. Er ist im Umfang des Unterlassungsbegehrens begründet.

I.
Die Verfügungsklägerin hat einen Verfügungsanspruch glaubhaft vorgetragen. Die angegriffene Ausführungsform macht von der Lehre der Erfindung nach dem Verfügungspatent wortsinngemäßen Gebrauch.

1.
Das Verfügungspatent betrifft eine Vorrichtung zum Transport und kontrollierten Entladen einer Last.

Einführend erläutert das Verfügungspatent, dass eine solche Vorrichtung insbesondere als Sortiervorrichtung für Güter in Verteilzentren, Versandhäusern und Produktionsumgebungen eingesetzt wird, wo verschiedene Produkte pro (Auslieferungs-) Bestimmungsort zusammengebracht werden müssen. Die vorbekannten Vorrichtungen (Verfügungspatent, Absatz [0002]) weisen hierbei normalerweise eine verbundene Reihe von ein paar Dutzend bis ein paar hundert Transportbehältern in Übereinstimmung mit der gewünschten Sortierkapazität auf. Pro Ausbringstation kann ein Auslieferungsbehälter oder eine andere Aufnahmeeinrichtung gesetzt werden, der/die die Güter pro Bestimmungsort aufnimmt. Die Antriebseinrichtung fördert die Transportbehälter um die Bahn bei einer relativ hohen Geschwindigkeit, wobei zu einem bestimmten Zeitpunkt ein Transportbehälter die Ausbringstation passiert, für die das geförderte Produkt bestimmt ist. Wenn es dort angekommen ist, setzt eine elektronische Steuerung der Vorrichtung Einrichtungen der Ausbringstation in Betrieb, die in der Lage sind, den Schließmechanismus des Transportbehälters zu betätigen, so dass die Kipptröge losgelassen werden. Unter dem Einfluss der Schwerkraft öffnen die Kipptröge nahezu unmittelbar und bringen das Produkt in den wartenden Auslieferungsbehälter oder dergleichen aus. Der Transportbehälter läuft dann über die Rücksetzvorrichtung, wobei die beiden Kipptröge geschlossen werden, und der Transportbehälter kehrt in seine Ausgangsposition zurück und ist für die nächste Runde bereit.

Aus dem Stand der Technik benennt das Verfügungspatent die Vorrichtung gemäß der niederländischen Patentanmeldung Nr. 9001116 (Verfügungspatent, Absatz [0003]). Die dort beschriebene Vorrichtung weist eine Antriebseinrichtung in Form einer Endloskette auf, mit der eine Anzahl von Transportbehältern verbunden ist. Diese Transportbehälter weisen jeweils eine Tragplatte zur Aufnahme einer Last darauf auf, bestehend aus zwei Kipptrögen, die in entgegengesetzte Richtungen kippen. Einer der Kipptröge verbleibt mit einer Kante auf dem anderen Kipptrog, der mit einem Schließmechanismus versehen ist, um die Förderposition zu halten. Wenn der Schließmechanismus an einer Ausbringstation durch einen Magneten betätigt wird, der dort entlang des Transportweges angeordnet ist, wird das Schloss der Kipptröge gelöst und beide schwingen sich öffnend in die Richtung nach unten und verlieren somit ihre Last. Dieser gesamte Vorgang findet zwischen dem Eintritt und dem Ansprechen der Ausbringstation statt, so dass die Last bei der zuständigen Ausbringstation ausgebracht wird. Wenn der allererste Kipptrog, gesehen in der Transportrichtung, die Zurücksetzvorrichtung erreicht hat, wird er mitbewegt und durch ein Schließprofil angehoben, während der andere Kipptrog diametral zu der Kippachse mit einem Betätigungselement versehen ist, das gegen einen Anschlag schlägt, der in der Nähe der Bahn angeordnet ist, um somit auch diesen Kipptrog zu schließen und den Verschluss zurückzusetzen.

Ausgehend von dem Ziel, die Geschwindigkeit und damit die Sortierkapazität der Vorrichtung zu erhöhen, kritisiert es das Verfügungspatent als nachteilig, dass ein relativ hohes Eigengewicht der Kipptröge zwar ein schnelles und zuverlässiges Ausladen ermögliche, aber auch dazu führe, dass die Kipptröge mit einer relativ großen Kraft öffneten und dann über eine gewisse Zeit weiterschwingen würden, wodurch zusätzliche Abnutzung auftrete. Darüber hinaus sei es wichtig, dass die Kipptröge in der richtigen Reihenfolge in die Transportposition zurück gebracht würden, da andernfalls der Schließmechanismus nicht in der Lage wäre, den Transportbehälter geschlossen zu halten. Insbesondere das vorspringende Betätigungselement des hinteren Kipptrogs sei ein Element, das zu einer Fehlfunktion in der Lage sei (Verfügungspatent, Absatz [0004]).

Vor diesem Hintergrund stellt sich das Verfügungspatent die Aufgabe, eine Vorrichtung zum Transport und kontrollierten Entladen einer Last zu schaffen, mit der wenigstens einige der vorgenannten Nachteile nicht mehr oder wenigstens zu einem geringeren Ausmaß vorhanden sind (Verfügungspatent, Absatz [0005]).

Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Verfügungspatent in seinem Anspruch 1 eine Vorrichtung mit folgenden Merkmalen vor:

Vorrichtung zum Transport und kontrollierten Entladen einer Last, mit

1. einem Rahmen mit einer Führung (5, 6a) für wenigstens einen bewegbaren Transportbehälter (2),

2. einer Antriebseinrichtung (1) zum Tragen des Transportbehälters (2) in einer Endlosschleife,

3. einer Rücksetzvorrichtung (50), zum Platzieren eines Transportbehälters (2) in einer Startposition und einer Entlade- bzw. Ausbringstation zum wahlweisen Aufnehmen einer Last eines Transportbehälters (2),

4. mindestens einem Transportbehälter

a. wobei die Transportbehälter mit einer bewegbaren Tragplatte (21, 22) versehen sind, zur Aufnahme der Last darauf,

b. mit wenigstens einem ersten und einem zweiten Kipptrog (21, 22), die sich zwischen Kippachsen (23) erstrecken, die an beiden Seiten angeordnet sind,

c. und die wahlweise zwischen einer Transportposition und einer nach unten hängenden Entladeposition gekippt werden können.

5. Zwischen den Kipptrögen (21, 22) ist eine Kupplung (24) vorgesehen, die in der Lage und geeignet ist, eine Kippbewegung des ersten Kipptrogs (21) auf den zweiten Kipptrog (22) zu übertragen.

2.
Die Verfügungsklägerin hat einen Verfügungsanspruch glaubhaft dargelegt. Die angegriffene Ausführungsform verwirklicht die technische Lehre des Anspruchs 1 wortsinngemäß.

Die Verfügungsklägerin hat Umstände, die eine unmittelbare, wortsinngemäße Verletzung des Verfügungspatents begründen, glaubhaft gemacht. Dass die angegriffene Ausführungsform die Merkmale 1 bis 4 des Anspruchs 1 unmittelbar wortsinngemäß verwirklicht, steht zwischen den Parteien zu Recht außer Streit, so dass sich weitere Ausführungen der Kammer zu diesen Punkten erübrigen. Darüber hinaus macht die angegriffene Ausführungsform auch von Merkmal 5 unmittelbar wortsinngemäßen Gebrauch. Danach ist zwischen den Kipptrögen eine Kupplung vorgesehen, die in der Lage und geeignet ist, eine Kippbewegung des ersten Kipptroges auf den zweiten Kipptrog zu übertragen.

Bei der hier allein streitigen Vorgabe, dass die Kupplung in der Lage und geeignet ist, eine Kippbewegung des ersten Kipptroges auf den zweiten Kipptrog zu übertragen, handelt es sich um eine Zweckangabe. Solche Zweck- und Funktionsangaben in einem Sachanspruch beschränken als solche dessen Gegenstand regelmäßig nicht (BGHZ 72, 236 = GRUR 1979, 149, 151 – Schießbolzen; BGH, GRUR 2006, 570 Tz. 21 – extracoronales Geschiebe; GRUR 2006, 923 Tz. 15 – Luftabscheider für Milchsammelanlage; GRUR 2009, 838 Tz. 15 – Bauschalungsstütze). Das bedeutet allerdings nicht, dass derartige Angaben damit bedeutungslos sind. Sie haben vielmehr regelmäßig die Aufgabe, den durch das Patent geschützten Gegenstand dahin zu definieren, dass er nicht nur die räumlich-körperlichen Merkmale erfüllen, sondern auch so ausgebildet sein muss, dass er für den im Patentanspruch angegebenen Zweck verwendbar ist bzw. die im Patentanspruch angegebene Funktion erfüllen kann (vgl. BGHZ 112, 140, 155 f. = GRUR 1991, 436 – Befestigungsvorrichtung II; BGHZ 72, 236 = GRUR 1979, 149, 151 – Schießbolzen; BGH, GRUR 1981, 259, 260 – Heuwerbungsmaschine II; GRUR 2006, 923 Tz. 15 – Luftabscheider für Milchsammelanlage; GRUR 2009, 838 Tz. 15 – Bauschalungsstütze; BGH, Urt. v. 06.07.2010 – X Z R 115/07, Umdr. S. 11). Als Bestandteil des Schutzanspruchs nehmen Zweck- und Funktionsangaben insoweit regelmäßig an dessen Aufgabe teil, den geschützten Gegenstand zu bestimmen und damit zugleich zu begrenzen, wenn sie das Vorrichtungselement, auf das sie sich beziehen, als ein solches definieren, das so ausgebildet sein muss, dass es die betreffende Funktion erfüllen kann.
Dies bedeutet im Streitfall, dass die erfindungsgemäße Kupplung so ausgestaltet sein muss, dass die Bewegung des einen Kipptroges immer auch eine entsprechende Bewegung des anderen Kipptroges zur Folge hat. Bereits der Anspruchswortlaut legt ausdrücklich fest, dass die Kupplung zu einer Übertragung der Bewegung in der Lage und geeignet sein muss. Durch diese Vorgabe grenzt sich das Verfügungspatent vom Stand der Technik ab, nach dem die Kipptröge unabhängig voneinander bewegt wurden. Der technische Sinn und Zweck des Merkmals verdeutlicht dieses Verständnis. Die Kupplung soll eine Synchronisation der beiden Kipptröge bewirken (vgl. Verfügungspatent, Absatz [0006]). Nach der Lehre des Verfügungspatents soll insgesamt eine Einwirkung auf einen der Tröge ausreichen, um beide Tröge zu steuern. So führt das Schließen des einen Troges zum Schließen des anderen Troges, wobei zeitliche Koordinierungsprobleme ausgeschlossen sind, weil das Kuppeln der beiden Tröge immer die richtige Schließfolge verursacht (Verfügungspatent, Absatz [0006]); aufgrund der gegenseitigen Kupplung der Kipptröge wird, wenn einer der Tröge geschlossen wird, der andere Trog mitbewegt (Verfügungspatent, Absatz [0009]). Auch ein kontinuierliches Schwingen der Tröge wird begrenzt, da der eine Trog das Schwingen des anderen begrenzt und umgekehrt (Verfügungspatent, Absätze [0006], [0008]). Ebenso genügt es zur Dämpfung beider Kipptröge, wenn an einem von ihnen ein Dämpfungskörper vorgesehen ist, da das Dämpfen des einen Troges aufgrund der gegenseitigen Kupplung immer auf den anderen Trog übertragen wird (Verfügungspatent, Absatz [0008]). Schließlich ist es für das Sperren der Tröge in Transportposition ausreichend, einen von ihnen zu sperren, da dies aufgrund der gegenseitigen Kupplung auch eine Fixierung des anderen Troges mit sich bringt (Verfügungspatent, Absatz [0010]). Diese Vorteile hebt die Verfügungspatentschrift erneut in der Beschreibung eines bevorzugten Ausführungsbeispieles hervor (Verfügungspatent, Absätze [0025], [0026] (Sperren), [0026] (Synchronisation), [0027], [0036] (Schließen), [0028] (Verringerung des Schwingens), [0030] (Dämpfung)). In Absatz [0040] erläutert das Verfügungspatent ausdrücklich, dass die Kupplung anders verwirklicht werden kann als über die bei dem bevorzugten Ausführungsbeispiel vorhandene Kupplungsstange. Es stellt aber ausdrücklich klar, dass die gegenseitige Kupplung der Kipptröge, egal in welcher Form sie erfolgt, immer die zuvor beschriebenen Vorteile mit sich bringt. Auch dies verdeutlicht, dass die Kupplung so ausgestaltet sein muss, dass eine Einwirkung auf den einen Trog ausreicht, um beide Tröge zu steuern. So verhält es sich auch bei gegeneinander kämmenden, radialen Zahnkränzen, dem weiteren Beispiel, das die Verfügungspatentschrift als eine erfindungsgemäße Kupplung aufführt.

Die angegriffene Ausführungsform weist eine solche Kupplung auf. Die zwischen den Kipptrögen befindliche Kniehebelmechanik stellt eine anspruchsgemäße Kupplung dar. Sie ist geeignet und in der Lage, die Bewegung des einen Kipptroges auf den anderen Kipptrog zu übertragen. Die Verfügungsklägerin hat in diesem Zusammenhang vorgetragen und durch eine (in Kopie) vorgelegte eidesstattliche Versicherung des Herrn E (Anlage WLG 9) glaubhaft gemacht, dass die Bewegung des einen Troges auf den zweiten Trog übertragen wurde. Als der eine Trog manuell auf und ab gekippt wurde, sei der andere Trog exakt synchron abgekippt. Dieses glaubhaft gemachte, die Geschehnisse auf der Messe wiedergebende Vorbringen zur Funktionsweise der angegriffenen Ausführungsform hat die Verfügungsbeklagte nicht konkret in Abrede gestellt. Die Äußerung des Vertreters der Verfügungsbeklagten in der mündlichen Verhandlung, er wisse nicht, was auf der Messe geschehen sei, da er nicht anwesend gewesen sei, stellt kein zulässiges Bestreiten dar. Zum einen kann die Verfügungsbeklagte Umstände, die sie selbst wahrgenommen hat, nicht mit Nichtwissen bestreiten. Zum anderen hat die Verfügungsbeklagte selbst eine eidesstattliche Versicherung des Herrn Mess vorgelegt (Anlage MWE 2). Herr Mess, der auf der Messe die Produkte der Verfügungsbeklagten vorgeführt hat, gibt darin an, dass er Herrn E ein Maschinensegment eines Sortierers der Verfügungsbeklagten vorgestellt habe. Die Richtigkeit der eidesstattlichen Versicherung des Herrn E stellt er aber nur insoweit in Abrede, als es dort heißt, die Tröge seien entlang der Schließstation bewegt worden. Hierzu führt er aus, eine Schließstation sei auf der Messe gar nicht ausgestellt gewesen. Dazu, wie die Tröge sich verhalten haben, als Herr E jeweils einen von ihnen manuell kippte, verhält sich die eidesstattliche Versicherung des Herrn Mess hingegen nicht.
Bei der angegriffenen Ausführungsform wird daher die Bewegung des einen Kipptroges auch – wie von Merkmal 5 gefordert – von der Kupplung auf den anderen Kipptrog übertragen. Denn wenn bei der angegriffenen Ausführungsform ein Kipptrog manuell gekippt wird, führt dies zu einer Vertikalbewegung der gesamten Kniehebelmechanik inklusive des zentralen Klotzes. Wenn aber die Kniehebelmechanik angehoben wird, wird auch das Blech, an dessen Enden die Kipptröge gelenkig aufgehängt sind, in vertikaler Richtung bewegt, wodurch diese – je nach Bewegungsrichtung – geöffnet oder geschlossen werden.

Dass – wie die Verfügungsbeklagte vorträgt – bei der angegriffenen Ausführungsform keine direkte Kraftübertragung von einem Kipptrog auf den anderen Kipptrog stattfindet, führt nicht aus der Verletzung heraus. Zwar trifft es zu, dass die Bewegung eines mechanischen Bauteils durch eine auf das Bauteil einwirkende Kraft in Gang gesetzt wird. Allerdings setzt das Verfügungspatent keine (direkte) Kraftübertragung voraus, sondern lediglich eine Übertragung der Bewegung von einem Kipptrog auf den anderen. Wie ausgeführt, grenzt sich das Verfügungspatent damit vom Stand der Technik ab, nach dem die Kipptröge sich unabhängig voneinander bewegten. Vor diesem Hintergrund ist nach der Lehre des Verfügungspatents weder eine direkte Kraftübertragung noch die Einwirkung der gleichen Kraft auf beide Kipptröge erforderlich.

Auch der weitere Einwand, im praktischen Betrieb erfolge kein Eingriff an einem der Kipptröge selbst, sondern diese würden durch eine Auf- oder Abwärtsbewegung des zentralen Klotzes gesteuert, führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Denn das Verfügungspatent enthält keine Vorgabe dazu, wo genau die Kraft, die die Bewegung der Kipptröge zur Folge hat, angreifen soll. Angesichts dessen ist auch unerheblich, dass die Kniehebelmechanik der angegriffenen Ausführungsform über ihren Totpunkt hinaus ausgelenkt werden kann, so dass eine an einem Kipptrog angreifende Kraft diesen nicht schließen kann und auch nicht zu einer Bewegung des anderen Kipptroges führt.

Schließlich kann die Kammer auch nicht feststellen, dass die Verfügungspatentschrift gerade ein gemeinsames Betätigungselement für die Kipptröge – wie die Verfügungsbeklagte es in dem zentralen Klotz sieht – vermeiden möchte. Die entsprechenden Passagen in Absätzen [0006] und [0027] des Verfügungspatents sind angesichts des gewürdigten Standes der Technik, bei dem jeder Kipptrog ein eigenes Betätigungselement benötigt, vielmehr dahingehend zu verstehen, dass ein getrenntes Betätigungselement für den zweiten Kipptrog entbehrlich ist.

II.
Die Verfügungsklägerin hat zudem einen Verfügungsgrund glaubhaft gemacht. Bezüglich der Dringlichkeit bestehen keine Bedenken. Die Verfügungsklägerin hat glaubhaft gemacht, dass sie durch den Messeauftritt der Verfügungsbeklagten erstmals von der angegriffenen Ausführungsform erfahren hat. Auch der Rechtsbestand des Verfügungspatents ist ausreichend gesichert. Es liegt eine Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamtes vor, welche das Verfügungspatent in vollem Umfang aufrecht erhalten hat.

III.
Da die Verfügungsklägerin sowohl einen Verfügungsanspruch als auch einen Verfügungsgrund glaubhaft gemacht hat, stehen ihr gegen die Verfügungsbeklagte im Wege der einstweiligen Verfügung die geltend gemachten Ansprüche im nachfolgend dargestellten Umfang zu.

a.
Ein Verfügungsanspruch auf Unterlassung ergibt sich angesichts der Patentverletzung aus § 139 Absatz 1 PatG i.V.m. Art. 64 Absatz 1 EPÜ.

b.
Ein Anspruch auf Herausgabe der gesamten Maschinen (inklusive Werbung) an den Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung (§ 140a Absatz 1 PatG i.V.m. Art. 64 Absatz 1 EPÜ) steht der Verfügungsklägerin hingegen nicht zu. Die Herausgabe der gesamten Maschine erscheint unverhältnismäßig im Sinne von § 140a Absatz 4 PatG i.V.m. Art. 64 Absatz 1 EPÜ, was von Amts wegen zu berücksichtigen ist. Denn die Patentverletzung könnte durch einen Austausch der Kniehebelmechanik bzw. der Transportbehälter der angegriffenen Ausführungsform gegen einen anderen Mechanismus abgestellt werden.
c.
Auch den Auskunftsanspruch (§ 140b Absätze 1, 3 PatG i.V.m. Art. 64 Absatz 1 EPÜ) kann die Verfügungsklägerin nicht im Wege des einstweiligen Verfügungsverfahrens durchsetzen. Denn nach § 140b Absatz 7 PatG setzt die Verpflichtung zur Auskunftserteilung im einstweiligen Verfügungsverfahren eine offensichtliche Rechtsverletzung voraus. Dies bedeutet, dass die Berechtigung des erhobenen Verletzungsvorwurfs nicht nur wahrscheinlich, sondern in einem solchen Maße gesichert ist, dass vernünftige Zweifel nicht verbleiben und eine andere Entscheidung in einem späteren Hauptsacheverfahren praktisch nicht möglich ist (OLG Hamburg, InstGE 8,11 – Transglutaminase; Kühnen, Hdb. Patentverletzung, 6. Auflage Rn 1734). Bei der Anordnung der angegriffenen Ausführungsform, bei der jedenfalls eine direkte Kraftübertragung von dem einen Kipptrog auf den anderen Kipptrog nicht stattfindet, ist schon aus diesem Grunde eine abweisende Entscheidung in einem späteren Hauptsacheverfahren jedenfalls nicht ausgeschlossen, so dass die Patentverletzung nicht als offensichtlich anzusehen ist.

IV.
Der Streitwert wird auf 250.000,00 EUR festgesetzt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Eines Ausspruchs zur vorläufigen Vollstreckbarkeit bedurfte es nicht.

Die Vollziehung der einstweiligen Verfügung war im Rahmen des dem Gericht nach § 938 ZPO eingeräumten Ermessens von der Leistung einer angemessenen Sicherheit durch die Verfügungsklägerin abhängig zu machen. Eine derartige Anordnung ist in der Regel schon deshalb sinnvoll und geboten, weil damit gewährleistet wird, dass der Unterlassungsanspruch nicht unter geringeren Bedingungen vollstreckbar ist, als er es bei einem entsprechenden erstinstanzlichen Hauptsacheurteil wäre (Kühnen, Hdb. d. Patentverletzung, 6. Auflage, Rn 1759