4c O 91/13 – Airbagdeckelscharnier

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 2255

Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 5. Juni 2014, Az. 4c O 91/13

Rechtsmittelinstanz: 2 U 41/14

I. Die Beklagte wird verurteilt,

1. es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Falle mehrfacher Zuwiderhandlung bis zu insgesamt 2 Jahren, zu unterlassen

Airbagdeckelscharniere mit einem textilen Scharnier, das sowohl mit dem Airbagdeckel als auch mit einem den Airbagdeckel umgebenden Trägerteil verbunden ist,
herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen,
wobei die Airbagdeckelscharniere eine textile Grundstruktur aufweisen, in der Stoppfäden integriert sind, die eine höhere Reißfestigkeit als die textile Grundstruktur und gegenüber der textilen Grundstruktur eine größere Länge aufweisen;
2. der Klägerin unter Vorlage eines einheitlichen, geordneten Verzeichnisses vollständig darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die zu Ziffer I. 1. bezeichneten Handlungen seit dem 13. Juni 2009 begangen hat, und zwar unter Angabe

a) der Herstellungsmengen und –zeiten,
b) der einzelnen Lieferungen und Bestellungen, aufgeschlüsselt nach Typenbezeichnungen, Liefer- und Bestellmengen, -zeiten und –preisen sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer und der Verkaufsstellen, für welche die Erzeugnisse bestimmt waren,
c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Typenbezeichnungen, Angebotsmengen, -zeiten und -preisen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,
d) der betrieblichen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern und –medien, deren Herstellungs- und Verbreitungsauflage, Verbreitungs- und Zuständigkeitszeitraum und Verbreitungsgebiet,
e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,

wobei die Beklagte hinsichtlich der Angaben zu lit. a) und b) Rechnungen, ersatzweise Auftragsbelege, weiter ersatzweise Auftragsbestätigungen, weiter ersatzweise Liefer- und Zollpapiere vorzulegen hat,
wobei die Angaben zu lit. e) nur für die Zeit seit dem 7. Mai 2010 zu machen sind,
wobei die Angaben zu den Einkaufspreisen sowie den Verkaufsstellen nur für die Zeit seit dem 13. Juni 2009 zu machen sind,
wobei der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften ihrer nicht gewerblichen Abnehmer und ihrer Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden und ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt, der Klägerin auf konkrete Anfrage darüber Auskunft zu geben, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Rechnungslegung enthalten ist;
3. die vorstehend zu Ziffer I. 1. bezeichneten, im Besitz Dritter befindlichen Erzeugnisse aus den Vertriebswegen zurückzurufen, indem diejenigen Dritten, denen durch die Beklagte oder mit deren Zustimmung Besitz an den Erzeugnissen eingeräumt wurde, unter Hinweis darauf, dass die Kammer mit dem hiesigen Urteil auf eine Verletzung des Klagepatents erkannt hat, ernsthaft aufgefordert werden, die Erzeugnisse an die Beklagte zurückzugeben und den Dritten für den Fall der Rückgabe der Erzeugnisse eine Rückzahlung des gegebenenfalls bereits gezahlten Kaufpreises sowie die Übernahme der Kosten der Rückgabe zugesagt wird;

4. die im unmittelbaren oder mittelbaren Besitz und/oder Eigentum der Beklagten befindlichen unter Ziffer I.1. beschriebenen Erzeugnisse zu vernichten oder nach Wahl der Beklagten an einen von der Klägerin zu benennenden Treuhänder zum Zwecke der Vernichtung auf Kosten der Beklagten herauszugeben.

II. Es wird festgestellt,
1. dass die Beklagte verpflichtet ist, an die Klägerin für die unter Ziffer I. 1. bezeichneten, in der Zeit vom 13. Juni 2009 bis zum 6. Mai 2010 begangenen Handlungen eine angemessene Entschädigung zu zahlen;
2. dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die unter Ziffer I. 1. bezeichneten, seit dem 7. Mai 2010 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.

III. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

IV. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

V. Das Urteil ist hinsichtlich der Verurteilung der Beklagten zu Unterlassung, Rückruf und Vernichtung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 500.000,00 €, hinsichtlich der Verurteilung zu Auskunfterteilung und Rechnungslegung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 62.500,00 € vorläufig vollstreckbar. Hinsichtlich der Kosten ist das Urteil für beide Parteien gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

VI. Der Streitwert wird auf 1.000.000,00 € festgesetzt.

TATBESTAND:

Die Klägerin entwickelt und produziert technische Textilien, die u.a. bei der Innenverkleidung von Fahrzeugen verwendet werden. Sie ist alleinige eingetragene Inhaberin des in deutscher Verfahrenssprache erteilten Europäischen Patents EP 2 057 XXX B1 (Anlage rop 1, im Folgenden „Klagepatent“). Das Klagepatent nimmt Prioritäten der DE 102007009058 vom 21. Februar 2007 und der DE 202007016XXX U vom 28. November 2007 in Anspruch. Die Anmeldung des Klagepatents wurde am 13. Mai 2009 und seine Erteilung am 7. April 2010 veröffentlicht. Das Klagepatent steht in Kraft.
Die dem Klagepatent zugrunde liegende Erfindung betrifft ein Airbagdeckelscharnier aus textilem Material.
Der vorliegend maßgebliche Anspruch 1 des Klagepatents lautet:
„Airbagedeckelscharnier mit einem textilen Scharnier, das sowohl mit dem Airbagdeckel als auch mit einem den Airbagdeckel umgebenden Trägerteil verbindbar ist, dadurch gekennzeichnet, dass das Airbagdeckelscharnier eine textile Grundstruktur aufweist, in der Stoppfäden integriert sind, die eine höhere Reißfestigkeit als die textile Grundstruktur und die gegenüber der textilen Grundstruktur eine größere Länge aufweisen.“
Wegen des Wortlauts des lediglich insbesondere geltend gemachten Patentanspruchs 7 wird auf die Klagepatentschrift verwiesen.
Die nachfolgend eingeblendeten (verkleinerten) Figuren 1 a) – d) verdeutlichen den Gegenstand des Klagepatents anhand von Ausführungsbeispielen, die ein erfindungsgemäßes Scharnier unter Zugbelastung in unterschiedlichen Stadien zeigen:

Die Beklagte produziert Gewebe und Garne für unterschiedliche Einsatzzwecke, u.a. auch textile Gewebe für die Automobilindustrie. Die Klägerin hat ihr mit Verträgen vom 9. November 2011 (Anlage rop 3a) und 7. Februar 2013 (Anlage rop 3b) eine nicht-ausschließliche Lizenz am Klagepatent für textile Airbagscharniere erteilt, die durch die Automobilzulieferer A s.r.o. und B Co. Ltd. zum Einsatz im Auto C D verwendet werden. Hinsichtlich des Inhalts dieser Lizenzverträge wird auf Anlagen rop 3a und rop 3b Bezug genommen. Ein von der Beklagten im Mai 2012 bei der Klägerin angefragter Lizenzvertrag für Lieferungen an andere Automobilzulieferer ist bislang nicht zustande gekommen.
Über ihren Internetauftritt www.com veröffentlichte die Beklagte unter der Rubrik „News“ im Juni 2013 eine Pressemeldung, in der sie mitteilte, ein textiles Airbagklappen-Scharnier entwickelt zu haben, welches 97 Prozent Gewichtsreduktion durch neuartiges textiles Gewebe bei gleichzeitiger optimierter Prozess-Sicherheit biete und bereits großen Zuspruch aus der Automobilindustrie erfahre. Das neue Airbagklappen-Scharnier, welches komplett in-house gefertigt werde, werde seit 2012 in Serie geliefert und befinde sich bei zahlreichen weiteren Herstellern in der Erprobungsphase. Hinsichtlich des vollständigen Wortlauts der Pressemeldung wird auf Anlage rop 2 verwiesen.
Ebenfalls im Juni 2013 stellte die Beklagte auf der Messe „E“ in Frankfurt aus und stellte ein textiles Airbagdeckelscharnier gemäß Anlage rop 8a (nachfolgend „angegriffene Ausführungsform I“) vor. Eine vergrößerte photographische Darstellung des Musters liegt vor als Anlage rop 8b.
Am 14. Juni 2013 erschien in der Online-Ausgabe der Fachzeitschrift „F“ ein Artikel (Anlage rop 7), in dem über die Messeteilnahme der Beklagten auf der „E“ in Frankfurt berichtet wurde. Der Artikel informiert darüber, dass das aus Baumwoll- und Aramidfasern verbaute Textil bereits im neuen C D verwendet werde und sich bei weiteren Herstellern in der Erprobungsphase befinde.
In der zweiten Jahreshälfte 2013 bot die Beklagte dem Autozulieferer Faurecia Innenraum Systeme GmbH das Muster eines Airbagdeckel-Scharniers entsprechend Anlage rop 12a für den Einsatz im neuen G H an (nachfolgend „angegriffene Ausführungsform II“). Das Gewebe wird bei der G AG nunmehr Baugruppen-übergreifend für mehrere Fahrzeugmodelle erprobt, z.B. für den neuen G J.

Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagte habe die angegriffene Ausführungsform I durch ihren Auftritt bei der Messe „E“ und über ihre Pressemitteilung im Juni 2013 interessierten Abnehmern i.S.d. § 9 PatG angeboten, wobei die angegriffene Ausführungsform I das Klagepatent verletze.
Auch die angegriffene Ausführungsform II mache von der technischen Lehre des Klagepatents wortsinngemäß Gebrauch.

Die Klägerin beantragt,
zu erkennen, wie geschehen, wobei die Verurteilung auch in Ansehung der angegriffenen Ausführungsform II begehrt wird.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen:
hilfsweise: im Falle der Verurteilung zur Rechnungslegung der Beklagten nach ihrer Wahl vorzubehalten, die Namen und Anschriften ihrer nicht gewerblichen Abnehmer und ihrer Angebotsempfänger nur einem zur Verschwiegenheit gegenüber der Klägerin verpflichteten, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern sie diesen ermächtigt, der Klägerin darüber Auskunft zu geben, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Rechnungslegung enthalten ist.

Die Beklagte behauptet, sie habe jedem potentiellen Interessenten an der angegriffenen Ausführungsform I, auch im Rahmen der Messe „E“, umgehend auf das Klagepatent und auch darauf hingewiesen, dass sie Airbagdeckelscharniere gemäß der angegriffenen Ausführungsform I ausschließlich für den C D SK37 im Umfang der von der Klägerin erteilten Lizenzen fertige. Die Beklagte ist der Auffassung, dass Kunden veröffentlichte Berichte über das Airbagdeckel-Scharnier und den Messeauftritt der Beklagten nicht als Angebot auffassen konnten, weil es sich bei technischen Funktionstextilien nicht um Produkte „von der Stange“ handele, sondern die Textilien grundsätzlich an das Produkt des Kunden angepasst und konfektioniert werden müssten. Dementsprechend habe die Beklagte die angegriffene Ausführungsform I auf der Messe Kunden auch nur als Beispiel ihrer technischen Fähigkeiten präsentiert, sie jedoch keinem Dritten außerhalb der mit der Klägerin vereinbarten Lizenzen angeboten. Der Klägerin sei im Übrigen bekannt gewesen, dass die Beklagte über ihren Markteintritt mit textilen Airbagdeckelscharnieren auf Messen etc. berichtet, und sie – die Klägerin – habe dies akzeptiert. Überdies mache die angegriffene Ausführungsform I von der technischen Lehre des Klagepatents keinen Gebrauch, da sie keine in die textile Grundstruktur zusätzlich integrierte Stoppfäden aufweise.
In Bezug auf die angegriffene Ausführungsform II ist sie der Auffassung, dieses – neu von ihr entwickelte – Airbagdeckelscharnier mache ebenfalls von der technischen Lehre des Klagepatents keinen Gebrauch.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie auf die zu den Akten gereichten Unterlagen Bezug genommen.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Die zulässige Klage ist begründet, soweit sie sich gegen die angegriffene Ausführungsform I richtet. Soweit sie gegen die angegriffene Ausführungsform II gerichtet ist, hat die Klage hingegen keinen Erfolg. Das Klagepatent wird lediglich durch die angegriffene Ausführungsform I verletzt. Dass auch die angegriffene Ausführungsform II Anspruch 1 des Klagepatents wortsinngemäß verwirklicht, hat die Klägerin nicht hinreichend substantiiert dargelegt.

I.
1.
Das Klagepatent betrifft ein Airbagdeckelscharnier mit einem textilen Scharnier, das sowohl mit dem Airbagdeckel als auch mit einem den Airbagdeckel umgebenden Trägerteil verbindbar ist.
Einleitend führt die Klagepatentschrift erläuternd aus, dass sich beim sog. Airbagschuss (d.h. dem Aufprall des Fahrzeugs und damit verbunden dem Auslösen des Airgabs) der Airbagdeckel öffne, um das Heraustreten des Airbags zu ermöglichen. Dabei ermöglicht das am Airbagdeckel befindliche Scharnier eine Führung des Airbagdeckels beim Öffnen. Je nach Größe des eingesetzten Airbagdeckels treten beim Airbagschuss unterschiedliche Kräfte auf das Scharnier des Airbagdeckels auf. Je größer der Airbageckel bzw. je schwerer der Airbagdeckel, desto höher sind die auf das Scharnier einwirkenden Kräfte. Deshalb muss das Airbagdeckelscharnier zum einen sicherstellen, dass sich der Airbagdeckel beim Airbagschuss leicht öffnet und zum anderen gewährleisten, dass dennoch beim Lösen des Airbagdeckels von dem ihn umgebenden Trägerteil auf alle Fälle ausgeschlossen wird, um die Personen im Bereich des Airbags nicht zu gefährden.
Die Klagepatentschrift gibt an, dass aus dem Stand der Technik, namentlich aus der WO 03/033313, bekannt ist, Airbagdeckelscharniere aus Gewebe oder Gewirke herzustellen. An diesen vorbekannten, textilen Airbagdeckelscharnieren kritisiert es das Klagepatent jedoch als nachteilig, dass nicht auszuschließen sei, dass bei ungünstigen Bedingungen das als Gewebe oder Gewirke ausgeführte Scharnier reißt.
Vor dem Hintergrund dieses Standes der Technik hat es sich die Erfindung nach dem Klagepatent zur Aufgabe gemacht, ein Scharnier für einen Airbagdeckel derart auszubilden, dass es bei kostengünstiger Herstellbarkeit ein Reißen bzw. Lösen des Scharniers für den Airbagdeckel sicher verhindert und zudem ein leichtes Öffnen des Airbagdeckels ermöglicht.
Hierzu schlägt das Klagepatent in seinem Anspruch 1 eine Vorrichtung mit folgenden Merkmalen vor:
1. Airbagdeckelscharnier mit einem textilen Scharnier.
2. Das textile Scharnier ist verbindbar
2.1 sowohl mit dem Airbagdeckel
2.2 als auch mit einem den Airbagdeckel umgebenden Trägerteil.
3. Das Airbagdeckelscharnier (1) weist eine textile Grundstruktur (4) auf.
4. In der textilen Grundstruktur (4) sind Stoppfäden (5) integriert mit
4.1 einer höheren Reißfestigkeit als die textile Grundstruktur (4) und
4.2 einer gegenüber der textilen Grundstruktur (4) größeren Länge.

2.
Die angegriffene Ausführungsform I macht von der technischen Lehre des Klagepatents wortsinngemäßen Gebrauch. Insbesondere werden die zwischen den Parteien im Streit stehenden Merkmale der Merkmalsgruppe 4 durch die angegriffene Ausführungsform I verwirklicht.

a)
Merkmal 3 des Patentanspruchs 1 setzt voraus, dass das Airbagdeckelscharnier eine textile Grundstruktur aufweist. Gemäß Merkmal 4 sind in diese textile Grundstruktur Stoppfäden integriert, die eine höhere Reißfestigkeit als die textile Grundstruktur und eine gegenüber der textilen Grundstruktur größere Länge besitzen.
Hierbei sieht die technische Lehre des Klagepatents vor, dass die textile Grundstruktur im Sinne von Anspruch 1 aus einem textilen Flächengebilde, üblicherweise in Form eines Gewebes oder Gewirkes, besteht. Ein Gewebe wird aus zwei sich rechtwinklig überkreuzenden Fäden zweier Fadensysteme, den sogenannten Schussfäden und Kettfäden, hergestellt; Gewirke werden aus einem oder mehreren Fäden oder aus einem oder mehreren Fadensystemen im Wege der Maschenbildung erzeugt. Dabei erfordert das Klagepatent, dass das Gewebe bzw. das Gewirke eine Mindestfestigkeit aufweist, was wiederum voraussetzt, dass nicht lediglich mehrere Fäden lose als Fadensystem verknüpft sind, sondern das textile Gebilde in sich eine gewisse Stabilität besitzt. Dies bedeutet, dass ein klagepatentgemäßes Airgabdeckelscharnier eine textile Grundstruktur dergestalt aufweisen muss, dass das Fadensystem nicht auseinanderfällt, sondern als Gewebe- oder Gewirkestruktur zusammenhält. Des weiteren setzt das Klagepatent voraus, dass in eine derartige textile Grundstruktur eine zweite Art von Fäden, die sog. Stoppfäden, eingebracht sind, die eine höhere Reißfestigkeit als die textile Grundstruktur und eine größere Länge als die textile Grundstruktur aufweisen. Nicht vorausgesetzt von Anspruch 1 des Klagepatents wird demgegenüber, dass die textile Grundstruktur aus einem derart festen und vollständigen Gewebe oder Gewirke besteht, dass die Stoppfäden lediglich zusätzlich in die textile Grundstruktur eingebracht sind, nicht jedoch auch Teil des Gewebes oder Gewirkes sein können. Die Stoppfäden können auf beliebige Weise in die textile Grundstruktur integriert, z.B. beim Gewebe als Kettfäden eingewoben werden.
Dieses Verständnis von Merkmal 4 des Anspruchs 1 des Klagepatents ergibt sich zunächst aus dem Anspruchswortlaut und der Beschreibung der Klagepatentschrift. Die Klagepatentschrift enthält keine Definition des verwendeten Begriffs „textile Grundstruktur“, so dass auf das allgemeine Begriffsverständnis des Durchschnittfachmanns aus der Textilindustrie zurückzugreifen ist. Danach ist unter einer „textilen Grundstruktur“ ein textiles Gebilde zu verstehen, das wiederum aus einem Gewebe oder Gewirke bestehen kann. Dieses allgemeine Verständnis wird gestützt durch die in Abs. [0015] enthaltene Beschreibung eines Ausführungsbeispiels, in deren Rahmen die Klagepatentschrift vorschlägt, dass textile Grundstruktur und Stoppfäden wiederum in ein (zweites) textiles Flächengebilde eingebettet werden. Hieraus ergibt sich die Schlussfolgerung, dass eine klagepatentgemäße textile Grundstruktur ebenfalls als allgemeines, textiles Flächengewebe zu verstehen ist.
In die textile Grundstruktur sind gemäß dem Klagepatent sog. Stoppfäden, d.h. Fäden mit einer gegenüber der textilen Grundstruktur größeren Reißfestigkeit und einer größeren Länge einzubringen. Aus der sprachlichen Fassung des Anspruchs ergibt sich, dass das Klagepatent nicht voraussetzt, dass diese Stoppfäden „zusätzlich“ in die textile Grundstruktur integriert sind – denn der Begriff „zusätzlich“ wird nicht verwendet, sondern es ist gerade nicht ausgeschlossen, dass die Stoppfäden als Teil der textilen Grundstruktur verarbeitet sein können. Auch aus der Wahl der Bezeichnung der textilen Grundstruktur als „Grund“struktur kann geschlussfolgert werden, dass diese lediglich die Basis für das Gewebe oder Gewirke dienen soll und nicht zwingend bereits für sich gesehen ohne Berücksichtigung der Stoppfäden ein vollständiges Gewebe oder Gewirke darstellen muss.
Zur klagepatentgemäßen Art und Weise der „Integration“ der Stoppfäden in die textile Grundstruktur macht das Klagepatent keine Angaben. Das Klagepatent überlässt es vielmehr dem Fachmann, die Stoppfäden mit der textilen Grundstruktur derart zu verbinden, z.B. zu verweben, bzw. die Stoppfäden in die textile Grundstruktur derart einzubringen, dass deren technischer Zweck erreicht wird.
Dieses Verständnis von Merkmalsgruppe 4 ergibt sich auch unter technisch-funktionalen Gesichtspunkten. In den Absätzen [0007] und [0008] beschreibt die Patentschrift die technische Lösung als „mehrstufige Struktur“, bei der zwei Systeme integriert werden, d.h. ein System, das bei Übersteigen einer definierten Zugbelastung reißt, um hierdurch einen Großteil der auftretenden Zugbelastung aufzunehmen, und ein zweites System, das ein definiertes Öffnen des Airbagdeckels (Öffnungswinkel) bei sicherem Halt realisiert. Gemäß diesem technischen Zweck der Erfindung ist es notwendig, dass die textile Grundstruktur im Sinne der Merkmale 3 und 4 eine gewisse Mindeststabilität aufweist, um – wie vom Klagepatent vorausgesetzt – in der Lage zu sein, einen Großteil der beim Auslösen des Airbags auf das Scharnier einwirkenden Zugbelastung aufzunehmen. Hierfür ist es notwendig, dass die textile Grundstruktur nicht lediglich aus wenigen, losen Fäden besteht, sondern derart gewoben bzw. gewirkt ist, dass es bereits ohne die eingebrachten Stoppfäden eine zusammengehaltene, textile Struktur darstellt. Dabei erfordert es der technische Sinn des Klagepatents jedoch nicht, dass die textile Grundstruktur ohne die Stoppfäden aus einem vollständigen Gewebe oder Gewirke besteht, sondern die Stoppfäden sind bei der Betrachtung der Zugbelastbarkeit des textilen Grundgewebes zu berücksichtigen. Die im Klagepatent beschriebene „Mehrstufigkeit“ der textilen Struktur ergibt sich nach ihrem technischen Sinngehalt vielmehr daraus, dass die gegenüber der textilen Grundstruktur reißfester und länger ausgebildeten Stoppfäden nach Reißen der weniger reißfesten und kürzeren Fäden der textilen Grundstruktur bei dem Öffnen des Airbagdeckels halten. Diese technischen Erfordernisse der Erfindung werden bei dem dargestellten Verständnis erfüllt und es ist zur Erreichung des klagepatentgemäßen Zwecks gerade nicht notwendig, dass die Stoppfäden nicht auch Teil der textilen Grundstruktur sind.

b)
Auf Grundlage dieses Verständnisses macht die angegriffene Ausführungsform I von Merkmal 4 des Anspruchs 1 des Klagepatents wortsinngemäßen Gebrauch. Die angegriffene Ausführungsform I ist ausweislich des als Anlage rop 8a vorgelegten Musters sowie gemäß der klägerischen, zeichnerischen Darstellung auf Bl. 12 d.A., die von der Beklagten nicht angegriffen worden ist, als Gewebe ausgeführt, wobei die in der zeichnerischen Darstellung blau markierten Fäden die Kettfäden, die rot markierten Fäden die Schussfäden und die gelb dargestellten Fäden die Stoppfäden der Gewebestruktur bilden. Die aus Baumwolle bestehenden Kett- und Schussfäden bilden eine klagepatentgemäße textile Grundstruktur, in welche die gelben, aus Aramid bestehenden Stoppfäden integriert sind. Diese textile Grundstruktur weist für sich gesehen aufgrund der gleichmäßigen Anordnung der Kett- und Schussfäden bereits eine gewisse Stabilität und Festigkeit auf, und in diese textile Grundstruktur sind Fäden aus hochreißfestem Material, die eine größere Länge als die rot und blau gekennzeichneten Fäden aufweisen, eingewoben. Dabei sind die stellenweise in Schlaufen gelegten, gelb gekennzeichneten Aramidfäden auch nicht als zusätzliche Kettfäden anzusehen, sondern als klagepatentgemäße Stoppfäden. Die Stoppfäden sind zwar in gleicher Weise wie die Kettfäden in das Gewebe eingewoben; diese Art der „Integration“ steht der Verwirklichung von Merkmal 4 des Patentanspruchs jedoch, wie bereits dargelegt, nicht entgegen, weil das Klagepatent keine Vorgaben zur Art und Weise der klagepatentgemäßen Integration macht.
Die gelben Stoppfäden verfügen – dies ist zwischen den Parteien unstreitig – über eine höhere Reißfestigkeit und sie weisen zudem eine größere Länge auf.
Die in der angegriffenen Ausführungsform I vorgesehene textile Struktur erfüllt auch den klagepatentgemäßen Zweck, weil bei Auslösen des Airbags und Übersteigen einer definierten Zugbelastung das aus Kett- und Schussfäden bestehende Gewebe reißt und hierbei bereits einen Großteil der auftretenden Zugbelastung aufnimmt, und danach die in Schlaufen gelegten und aus Aramid bestehenden Stoppfäden ein definiertes Öffnen des Airbagdeckels (Öffnungswinkel) bei sicherem Halt ermöglichen.

3.
Dass auch die angegriffene Ausführungsform II von der technischen Lehre des Klagepatents wortsinngemäß Gebrauch macht, hat die Klägerin hingegen nicht dargelegt. Aus dem Vortrag der Klägerin, die in Bezug auf die Voraussetzungen der Verletzung darlegungs- und beweisbelastet ist, ergibt sich insbesondere nicht, dass die angegriffene Ausführungsform das Merkmal 4.1 der Anspruchs 1 des Klagepatents verwirklicht. Die Klägerin hat nicht schlüssig dargetan, dass bei der angegriffenen Ausführungsform II Stoppfäden in eine textile Grundstruktur integriert sind, die eine höhere Reißfestigkeit als die textile Grundstruktur aufweisen.

a)
Merkmal 4 sieht vor, dass in der textilen Grundstruktur Stoppfäden integriert sind, die reißfester sind als die textile Grundstruktur (Merkmal 4.1) und gegenüber der textilen Grundstruktur eine größere Länge aufweisen (Merkmal 4.2). Dabei ist Merkmal 4.1 dahingehend zu verstehen, dass die höhere Reißfestigkeit der Stoppfäden zusätzlich zu ihrer größeren Länge gegenüber der textilen Grundstruktur vorliegen muss und nicht, dass sich eine höhere Reißfestigkeit der Stoppfäden auch – allein – aus der Tatsache ergeben kann, dass die Stoppfäden länger sind als die Grundstruktur und deshalb erst zu einem späteren Zeitpunkt nach Öffnung des Airbagdeckelscharniers reißen. Merkmale 4.1 und 4.2 müssen beide, unabhängig voneinander, erfüllt sein.
Dieses Verständnis ergibt sich zu einem aus dem sprachlichen und semantischen Zusammenhang der Merkmale 4.1 und 4.2, weil beide Merkmale durch ein „und“ verknüpft sind, das nach dem allgemeinen Sprachverständnis kumulativ und nicht alternativ zu verstehen ist. Zum anderen folgt auch aus der Beschreibung in Abs. [0007], dass die klagepatentgemäßen Stoppfäden sowohl reißfester als auch länger als die textile Grundstruktur ausgebildet sein müssen („… Stoppfäden als Kraftaufnahmefäden integriert sind, die eine höhere Reißfestigkeit als auch einen längeren Weg als die textile Grundstruktur aufweisen.“).
Schließlich erschließt sich auch aus den im Klagepatent gelehrten Ausführungsbeispielen, dass die in den Merkmalen 4.1 und 4.2 genannten Anforderungen an die Stoppfäden – größere Reißfestigkeit und größere Länge als die textile Grundstruktur – zwei unterschiedliche Kriterien aufstellen, die bei einem klagepatentgemäßen Scharnier unabhängig voneinander erfüllt sein müssen. In Abschnitt [0014] beschreibt das Klagepatent, in welcher Weise die größere Länge der Stoppfäden bevorzugt ausgebildet werden kann, während in Abschnitt [0018] ohne systematischen Zusammenhang zur Längenanforderung an die Stoppfäden Angaben dazu gemacht werden, in welcher bevorzugten Form die größere Reißfestigkeit der Stoppfäden gewährleistet werden kann, nämlich durch die Wahl eines hochfesten Materials für die Stoppfäden (z.B. dtex 1100) und eines nicht-hochfesten Materials (z.B. Polyester oder andere geeignete Materialien) für die textile Grundstruktur.

b)
Dass die angegriffene Ausführungsform II diese Eigenschaften aufweist, hat die Klägerin nicht substantiiert dargelegt.
Die Klägerin hat zur Reißfestigkeit der Stoppfäden in der angegriffenen Ausführungsform II unter Zugbelastung zunächst schriftsätzlich vorgetragen, dass die Fäden der textilen Grundstruktur aus Polyester bzw. Baumwolle bestehen und die Stoppfäden aus dem Material Aramid, wobei Aramid eine höhere Reißfestigkeit als Polyester bzw. Baumwolle habe. Da es sich bei Baumwolle und Polyester um zwei vollkommen unterschiedliche Materialien handelt, deren Verhalten unter Zugbelastung zudem von verschiedenen Umständen, z.B. der der Dicke und Dichte des Materials abhängt, reicht allein der Verweis auf die – alternativ – gewählte Art des Materials für die Darlegung der vom Klagepatentanspruch geforderten höheren Reißfestigkeit der Stoppfäden bei der angegriffenen Ausführungsform II nicht aus. Soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung ihren Vortrag dann insoweit präzisiert hat, dass die Fäden der textilen Grundstruktur der angegriffenen Ausführungsform II aus Polyester (und nicht aus Baumwolle) bestehen, hätte es dennoch des weiteren Vortrags zu der von ihr behaupteten höheren Reißfestigkeit der Stoppfäden gegenüber der textilen Grundstruktur, insbesondere zum Materialverhalten unter Zugbelastung und im Zusammenhang mit der konkreten Art der Verwendung bedurft. Denn die Reißfestigkeit der Stoppfäden und der Fäden der Grundstruktur mag in diesem Zusammenhang auch von der Materialstärke sowie der Verteilung und Anordnung der jeweiligen Fäden abhängen. Deshalb ist auch der im nicht nachgelassenen Schriftsatz der Klägerin vom 9. Mai 2014 enthaltene Vortrag, bei der angegriffenen Ausführungsform II gebe es nur wenige, sehr dünne Kettfäden und eine Vielzahl erheblich dickerer Stoppfäden, nicht hinreichend detailliert und substantiiert, weil er keine Angaben zur Verteilung der Fäden innerhalb des Gewebes und keine Angaben zum Verhalten des Textils unter Zugbelastung macht.
Die dargelegten Substantiierungsanforderungen waren auch nicht der Beklagten im Rahmen einer etwaigen sekundären Darlegungs- und Beweislast aufzuerlegen.
Denn die Klägerin hat nicht dargetan, dass es ihr etwa aus tatsächlichen Gründen nicht möglich war, ein Muster der angegriffenen Ausführungsform II zu erhalten und näher hinsichtlich seiner Eigenschaften zu beschreiben. Die Klägerin hat vielmehr selbst vorgetragen, sie habe Gelegenheit gehabt, ein textiles Airbagdeckelscharnier entsprechend der angegriffenen Ausführungsform II in Augenschein zu nehmen und hat dieses Muster als Anlage rop 12 zu den Gerichtsakten gereicht.
Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Klägerin eine Untersuchung dieses Musters aus tatsächlichen Gründen nicht möglich war. Soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung darauf verwiesen hat, Untersuchungen zu den Materialeigenschaften dieses Musters der angegriffenen Ausführungsform II hätten zerstörerische Wirkung, steht dies der Möglichkeit einer Untersuchung zur Erforschung der Materialzusammensetzung und der Materialeigenschaften nicht entgegen. Denn die Klägerin hätte eine solche Untersuchung und deren Ergebnis in Wort und Bild dokumentieren können. Darüber hinaus hat sich die Klägerin ausdrücklich damit einverstanden erklärt (Bl. 64 d.A.), dass die Beklagte ein Teilstück von maximal 50% des als Anlage rop 12a vorgelegten Musters für eigene Untersuchungen abschneidet, um herauszufinden, aus welchem Material die textile Grundstruktur des Musters besteht. Hierdurch hat die Klägerin zu erkennen gegeben, dass sie selbst davon ausgeht, dass bereits die Hälfte des ihr zur Verfügung stehenden Musters der angegriffenen Ausführungsform II für Materialuntersuchungen geeignet und sogar ausreichend ist.
Schließlich hat die Beklagte vorgetragen, die Reißfestigkeit der bei der angegriffenen Ausführungsform II für die Grundkette verwendeten Fäden sei um etwa 25% höher als diejenigen Fäden, die als Stoppfäden (bzw. von der Beklagten als „Polkette“ bezeichneten Fäden) verwendet würden. Jedenfalls auf diesen erheblichen Beklagtenvortrag hin hätte es der Klägerin oblegen, ihrerseits substantiierte, durch Untersuchungen belegte Angaben zur Reißfestigkeit der bei der angegriffenen Ausführungsform II einerseits für die Grundstruktur und andererseits für die Stoppfäden verwendeten Fäden zu machen. Dieser Darlegungslast ist sie nicht nachgekommen.

II.
Die Beklagte hat die angegriffene Ausführungsform I auch i.S.d. § 9 PatG angeboten und hierdurch das Klagepatent verletzt.
Der in § 9 PatG verwendete Begriff des „Anbietens“ ist ganz im wirtschaftlichen Sinne zu verstehen und fällt nicht mit dem juristischen Begriff eines Vertragsangebots zusammen. Dies folgt aus dem Zweck von § 9 PatG, der dahin geht, dem Inhaber des Schutzrechts – sieht man von den im Gesetz geregelten Ausnahmefällen ab – alle wirtschaftlichen Vorteile zu sichern, die sich aus der Benutzung der patentgeschützten Erfindung ergeben können, und ihm andererseits einen effektiven Rechtsschutz zu gewähren. Deshalb unterfällt dem Tatbestand des Anbietens nicht nur ein Angebot i.S.d. § 145 BGB. Verstanden wird unter „Anbieten“ vielmehr jede im Inland begangene Handlung, die nach ihrem objektiven Erklärungswert das Erzeugnis der Nachfrage wahrnehmbar zum Erwerb der Verfügungsgewalt bereitstellt (BGH, GRUR 2006, 927 – Kunststoffbügel). Umfasst sind auch vorbereitende Handlungen, die das Zustandekommen eines späteren Geschäfts über einen unter dem Schutz des Patents stehenden Gegenstand ermöglichen oder befördern sollen, das die Benutzung dieses Gegenstands einschließt. Es ist nicht erforderlich, dass das angebotene Erzeugnis bereits fertiggestellt ist oder sich im räumlichen Schutzbereich des verletzten Schutzrechts befindet (Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 6. Auflage 2013, Rdnr. 153, zu § 9 PatG). Handelt es sich um ein Sachpatent, muss das patentgeschützte Erzeugnis den Nachfragern wahrnehmbar zum Erwerb der Verfügungsgewalt bereitgestellt werden (Kühnen, aaO, Rdr. 153, zu § 9 PatG). Aus dem Angebot, z.B. einem Werbeprospekt mit einer Darstellung des Gegenstandes, müssen sich nicht einmal sämtliche Merkmale der geschützten Lehre ergeben, sofern deren Vorliegen aus sonstigen, objektiven Gesichtspunkten zuverlässig geschlossen werden kann (BGH GRUR 2003, 1031 – Kupplung für optische Geräte). Dies wird meist nur zu bejahen sein, wenn der fragliche Gegenstand bereits existiert und den von dem Angebot angesprochenen Verkehrskreisen bekannt oder für sie (z.B. anhand der Typenbezeichnung oder dergleichen) ermittelbar ist. Ob die Präsentation eines schutzrechtsrelevanten Gegenstandes auf einer reinen Leistungsschau ein „Angebot“ darstellt, entscheidet sich auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung aller Umstände des konkreten Einzelfalles (BGH, GRUR 2006, 927 – Kunststoffbügel; BGH GRUR 1970, 358, Heißläuferdetektor).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat die Beklagte die angegriffene Ausführungsform I i.S.d. § 9 PatG durch ihren Auftritt auf der Messe „E“ in Frankfurt am Main vom 11. -13. Juni 2013 angeboten. Die Beklagte hat unstreitig im Rahmen ihres dortigen Messeauftritts ein textiles Airbagdeckelscharnier entsprechend der angegriffenen Ausführungsform I präsentiert. Da eine Messe regelmäßig nicht nur einer Darstellung der grundsätzlichen Entwicklungs- und Fertigungsmöglichkeiten eines Ausstellers im Sinne einer Leistungsschau dient, sondern auch der konkreten Anbahnung von Geschäften zwischen Produzenten und möglichen Kunden in Bezug auf die auf der Messe präsentierten Produkte, ist in dem Ausstellen der angegriffenen Ausführungsform I auch ein Anbieten zu sehen. Messebesucher konnten die Präsentation der angegriffenen Ausführungsform I durch die Beklagte so verstehen, dass ihnen das Produkt zum Erwerb der Verfügungsgewalt vor- bzw. bereitgestellt werden sollte. Auch wenn die angegriffene Ausführungsform I den Messebesuchern und potentiellen Kunden nur als Beispiel der entwicklungs- und fertigungstechnischen Fertigkeiten der Beklagten dienen sollte, weil Kunden aus der Automobilbranche in der Regel ein speziell auf ein Fahrzeugmodell zugeschnittenes und für den Automobilhersteller konfiguriertes Zubehörteil wünschen und nachfragen, diente die Präsentation der angegriffenen Ausführungsform I zumindest der Anbahnung von Verkaufsgesprächen über die Entwicklung und den Vertrieb von Airbagdeckelscharnieren entsprechend der angegriffenen Ausführungsform I. Damit stellte die Messepräsentation zumindest eine vorbereitende Handlung dar, die das Zustandekommen eines späteren Geschäfts über einen unter dem Schutz des Patents stehenden Gegenstand ermöglichen oder befördern sollte.
Soweit die Beklagte geltend gemacht hat, sie habe jeden interessierten Messebesucher darauf hingewiesen, dass sie die angegriffene Ausführungsform I lediglich in Lizenz fertige und insoweit Schutzrechte der Klägerin bestehen, steht dies der Annahme eines Angebots i.S.d. § 9 PatG nicht entgegen. Zum einen hätte es der Beklagten oblegen, substantiiert darzulegen, in welcher Form sie Messebesucher insoweit informiert haben will. Zum anderen kann nach der allgemeinen Lebenserfahrung schon nicht ausgeschlossen werden, dass ein Messeteilnehmer ein präsentiertes Airbagdeckelscharnier entsprechend der angegriffenen Ausführungsform I in Augenschein genommen, jedoch nicht mit einem Mitarbeiter der Beklagten gesprochen hat. In dieser Hinsicht ist unklar, inwieweit und in welcher Form die Beklagte überhaupt sichergestellt haben will, dass tatsächlich alle möglichen Interessenten auf der Messe auf die Lizenzpflicht hingewiesen worden sind.
Darüber hinaus ist die Präsentation der angegriffenen Ausführungsform I im Rahmen der Messe im Zusammenhang mit der aus dem gleichen Zeitraum stammenden Pressemitteilung der Beklagten (Anlage rop 2) und dem Artikel in der Fachzeitschrift „F“ (Anlage rop 7) zu sehen und zu bewerten. Es ist davon auszugehen, dass die Beklagte ihren Messeauftritt im Hinblick auf ihre Werbeaussagen in gleicher Weise wie ihre Presseerklärung gestaltet und begleitet hat. In ihrer Presseerklärung stellt die Beklagte sich ohne jeglichen Verweis auf bestehende Schutzrechte der Klägerin als Entwicklerin und insoweit unabhängige Herstellerin von Airbagdeckelscharnieren dar. Diese Werbeaussagen werden in der Online-Veröffentlichung „F“ aufgegriffen und konkret auf den Messeauftritt der Beklagten bezogen.
Eine Patentverletzung ist schließlich nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Beklagte vorgetragen hat, die Klägerin habe gewusst, dass die Beklagte mit dem textilen Airbagscharnier auf Messen werbe und die Klägerin habe dies gestattet. Dieser von der Klägerin bestrittene Vortrag der Beklagten ist gänzlich unsubstantiiert und somit unerheblich, weil er keine Angaben dazu macht, wie die Klägerin von solchen Aktivitäten der Beklagten Kenntnis erlangt haben und wann und in welcher Form sie hierzu ihr Einverständnis erklärt haben soll. Die vorgelegten Lizenzverträge selbst (Anlagen rop 3a und rop 3b) enthalten hierzu keine Regelung, insbesondere keine Zustimmungsklausel der Klägerin zu Werbe- und Angebotsaktivitäten der Beklagten. Bei einem einfachen (nicht-ausschließlichen) Lizenzvertrag kann auch nicht generell davon ausgegangen werden, dass der Lizenznehmer grundsätzlich befugt sein soll, mit dem lizensierten Produkt zu werben und dieses auf Messen auszustellen. Dies gilt insbesondere dann, wenn – wie hier – der Lizenzvertrag die Abnehmer des Lizenzgegenstandes konkret benennt und sich die Lizenz lediglich auf diese konkret benannten Abnehmer erstreckt.

III.
Aus der festgestellten Schutzrechtsverletzung hinsichtlich der angegriffenen Ausführungsform I ergeben sich die zuerkannten Klageansprüche. Die Beklagte ist der Klägerin gem. Art. 64 EPÜ, § 139 Abs. 1 PatG im tenorierten Umfang zur Unterlassung ihrer Angebots- und Vertriebshandlungen verpflichtet.
Die Beklagte trifft ein zumindest fahrlässiges Verschulden. Als Fachunternehmen hätte sie bei Anwendung der von ihr im Geschäftsverkehr zu fordernden Sorgfalt die Benutzung des Klagepatents erkennen und vermeiden können, § 276 BGB. Für die Zeit ab Erteilung des Patents schuldet die Beklagte daher Ersatz des Schadens, welcher der Klägerin im Hinblick auf den Vertrieb der angegriffenen Ausführungsformen entstanden ist und noch entstehen wird, Art. 64 EPÜ, § 139 Abs. 2 PatG. Für die Zeit vor Patenterteilung besteht ein Anspruch auf Entschädigung, Art. 64 EPÜ, § 33 PatG.
Da die genaue Schadensersatzhöhe derzeit noch nicht feststeht, die Klägerin näm-lich keine Kenntnis über den Umfang der Benutzungs- und Verletzungshandlungen durch die Beklagte hat, hat sie ein rechtliches Interesse gemäß § 256 ZPO daran, dass die Schadensersatz- und Entschädigungspflicht der Beklagten dem Grunde nach festgestellt wird.
Um die Klägerin in die Lage zu versetzen, die ihr zustehenden Ansprüche auf Entschädigung und Schadensersatz zu beziffern, ist die Beklagte gemäß Art. 64 Abs. 1 EPÜ, §§ 242, 259 BGB verpflichtet, im zuerkannten Umfange über ihre Benut-zungshandlungen Rechnung zu legen. Im Rahmen der zudem gemäß § 140 b PatG bestehenden Auskunftspflicht hat die Beklagte außerdem die betreffenden Belege zu überlassen (vgl. OLG Düsseldorf, InstGE 5, 249 – Faltenbalg). Hinsichtlich der Angebotsempfänger und der nicht gewerblichen Abnehmer ist der Beklagten ein Wirtschaftsprüfervorbehalt einzuräumen (OLG Düsseldorf, InstGE 3, 176, – Glasscheiben-Befestiger).
Der Klägerin steht gegen die Beklagte als Patentverletzerin auch ein Anspruch auf Rückruf und Vernichtung aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 140a Abs. 1, Abs. 3 PatG zu. Eine Unverhältnismäßigkeit ist insoweit auf Grundlage des vorgetragenen Sach- und Streitstandes nicht erkennbar.

IV.
Die Ausführungen in den nicht nachgelassenen Schriftsätze der Klägerin vom 9. Mai 2014 und der Beklagten vom 12. Mai 2014 geben der Kammer keinen Anlass für eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gemäß § 156 ZPO.

V.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Satz 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 Satz 1 ZPO.
Der Streitwert war entgegen der klägerischen Streitwertangabe mit insgesamt 1.000.000,00 € zu beziffern, wovon auf die Auskunfterteilung und Rechnungslegung ein Teilstreitwert von 125.000,00 € (für beide Ausführungsformen) entfällt.
Zwar ist der Streitwert grundsätzlich nach dem wirtschaftlichen Interesse zu bemessen, das die Klägerin daran hat, dass die Beklagte die patentverletzenden Handlungen unterlässt. Dabei kommt der klägerischen Wertangabe im gewerblichen Rechtsschutz und Wettbewerbsrecht regelmäßig indizielle Bedeutung zu, weil der Kläger, zumal wenn er die Angabe – wie vorliegend – bei Klageerhebung macht, erstens am besten in der Lage ist, sein für den Streitwert maßgebliches Angriffsinteresse zu bestimmen, und weil er zweitens bei einer anfänglichen Angabe diese ohne Kenntnis von den Erfolgschancen seiner Rechtsverfolgung machen wird (Büttner in: Ahrens, Der Wettbewerbsprozess, 7. Auflage, Kap. 40 Rdnr. 26 f.). Die klägerische Wertangabe muss jedoch auf objektiven, wirtschaftlichen Kriterien beruhen, die von der Klägerin darzulegen sind, so z.B. Umsätze und Marktanteile. Da die Klägerin in der mündlichen Verhandlung lediglich mitgeteilt hat, in Europa würden insgesamt jährlich 11 Millionen Autos produziert, jedoch keine Angaben zu der Zahl der produzierten Airbags, Marktanteilen und Umsatzzahlen von textilen Airbagdeckelscharnieren gemacht hat, erscheint ein Gesamtstreitwert in Höhe von 2.500.000,00 € übersetzt und vielmehr ein Gesamtstreitwert in Höhe von 1.000.000,00 € angemessen.