4a O 172/10 – Fixationssystem für Knochen

Düsseldorfer Entscheidung Nr.:  1626

Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 24. Februar 2011, Az. 4a O 172/10

I. Die einstweilige Verfügung vom 24.08.2010 wird mit der Maßgabe aufrecht erhalten, dass es im Aktivrubrum statt „A Labor zur Entwicklung und Herstellung von Implantaten in Traumatologie und Orthopädie sowie Spezialimplantaten und deren Vertrieb Komman-ditgesellschaft (GmbH & Co. KG)“ nunmehr heißt „A GmbH“.

II. Die weiteren Kosten des einstweiligen Verfügungsverfahrens werden der Verfügungsbeklagten auferlegt.

Tatbestand:

Das Handelsgeschäft der A Labor zur Entwicklung und Herstellung von Implantaten in Traumatologie und Orthopädie sowie Spezialimplantaten und deren Vertrieb Kommanditgesellschaft GmbH & Co. KG (im Folgenden: A GmbH & Co. KG) ist im Wege der Anwachsung ohne Liquidation mit allen Akti-ven und Passiven von der alleinigen persönlich haftenden Gesellschafterin A Verwaltungsgesellschaft Labor zur Entwicklung und Herstellung von Im-plantaten in Traumatologie und Orthopädie sowie Spezialimplantaten und deren Vertrieb mbH Hamburg übernommen worden, was am 08.10.2010 in das Handelsregister eingetragen wurde. Deren Gesellschafterversammlung be-schloss am 29.09.2010, ihre Firma in die A GmbH zu ändern. Die entspre-chende Eintragung im Handelsregister erfolgte am 29.10.2010.

Die Verfügungsklägerin ist einfache Lizenznehmerin des deutschen Patents DE 43 43 XXX C2 (im Folgenden: Verfügungspatent), das am 17.12.1993 angemeldet und am 22.06.1995 offen gelegt wurde. Die Veröffentlichung der Patenterteilung erfolgte am 04.11.1999. Inhaber des Verfügungspatents ist Herr Prof. Dr. Dietmar B, welcher mit „Ermächtigungs- und Abtretungsvertrag“ (Anlage GDM 19) die A GmbH & Co. KG ermächtigte, unter anderem Ansprü-che auf Unterlassung gegen die Verfügungsbeklagte gerichtlich geltend zu machen.

Das Verfügungspatent ist in Kraft. Sowohl die C AG als auch die Verfü-gungsbeklagte haben gegen das Verfügungspatent Nichtigkeitsklage erhoben, wobei über diese Nichtigkeitsklagen bisher nicht entschieden wurde.

Das Verfügungspatent trägt die Bezeichnung „Fixationssystem für Knochen“. Sein Patentanspruch 1 lautet:

„Fixationssystem für Knochen mit einer Knochenplatte (8) mit we-nigstens einem Durchgangsloch (9), wenigstens einer in ein Durch-gangsloch eingesetzten Knochenschraube (1), eine gegenseitige Ausrichtung unter verschiedenen Winkeln ermöglichenden Sitzflä-chen (4, 11) von Knochenplatte (8) und Knochenschraube (1) und Mitteln zum Festlegen der Knochenschraube in einem bestimmten Winkel zur Knochenplatte, dadurch gekennzeichnet, dass die Mittel zum Festlegen eine durch Eindrehen der Knochenschraube (1) in dem bestimmten Winkel von einem vorgeformten Gewinde (6, 10) an mindestens einer Sitzfläche (4, 11) gebildete Gewinde-verbindung der Sitzflächen von Knochenplatte (8) und Kno-chenschraube (1) aufweisen.“

Nachfolgend verkleinert eingeblendet ist die Figur 1 des Verfügungspatents, welche eine Knochenschraube vor Verbindung mit verschiedenen Knochen-platten a-c im Teilschnitt zeigt.
Die Verfügungsbeklagte bietet über ihre Internetseite http://www.D.de bun-desweit Fixationssysteme an. Hierzu gehört das „D-Verriegelungssystem für OsteoCeplatten“ (im Folgenden: angegriffene Ausführungsform I), dessen Funktionsweise sich dem als Anlage GDM 13 vorgelegten Prospekt entnehmen lässt, wo sich auf Seite 2 die nachfolgend verkleinert wiedergege-bene Abbildung findet:
Des Weiteren finden sich in diesem Prospekt folgende Hinweise:

„Die Funktionsweise basiert auf einer plastischen Verformung zwischen dem Kopfgewinde und den Artrisken des Plattenlochs beim Eindrehen der Schraube. […]

Mögliche Materialien 1.4441 / Ti6AIV4 / Ti“
(vgl. Anlage GDM 13, S. 2)

Überdies bietet die Verfügungsbeklagte auf ihrer Internetseite ein „D-Handset“ an (im Folgenden: angegriffene Ausführungsform II), das nach dem als Anlage GDM 14 vorgelegten Prospekt wie folgt gestaltet ist:
Darüber hinaus findet sich in dem zugehörigen Prospekt hierzu folgender Hin-weis:

„Optional stehen dem Anwender hierbei Platten mit winkelstabiler Ver-riegelung und Kompressionsmöglichkeit zur Verfügung. […]

…biokompatibles Titan-Material (Ti-Platten, TiAI6V4-Schrauben) […]

polyaxial winkelstabile Verriegelung von Schraube und Platte […]“
(vgl. Anlage GDM 14, S. 2)

Schließlich gehört zu den auf der Internetseite der Verfügungsbeklagten angebotenen Produkten ein „Veterinäres OsteoCeset“ (im Folgenden: ange-griffene Ausführungsform III), welches in dem als Anlage GDM 15 vorgelegten Prospekt wie nachfolgend verkleinert wiedergegeben abgebildet ist:

Diesbezüglich findet sich in dem zugehörigen Prospekt:

„Die Funktionsweise der Verriegelung basiert auf einer plastischen Ver-formung zwischen dem Kopfgewinde der Schraube und den Artrisken des Plattenlochs beim Eindrehen der Schraube. […]

biokompatibles Titan-Material (Ti-Platten, TiAI6V4-Schrauben) […]

polyaxial winkelstabile Verriegelung von Schraube und Platte“
(vgl. Anlage GDM 15, S. 2)

Nach Auffassung der A GmbH & Co. KG und der Verfügungsklägerin machen die angegriffenen Ausführungsformen damit von der technischen Lehre des Verfügungspatents wortsinngemäß Gebrauch. Die A GmbH & CO. KG hat da-her mit Schriftsatz vom 18.08.2010 bei der Kammer den Erlass einer einstweiligen Verfügung beantragt. Daraufhin hat die Kammer der Verfügungsbeklagten unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel aufgrund der besonderen Eilbedürftigkeit ohne vorherige mündliche Verhandlung am 24.08.2010 untersagt,

Fixationssysteme für Knochen mit einer Knochenplatte mit wenigstens einem Durchgangsloch, wenigstens einer in ein Durchgangsloch einsetzbaren Knochenschraube, eine gegenseitige Ausrichtung unter verschiedenen Winkeln ermöglichenden Sitzflächen von Knochenplatte und Knochenschraube und Mitteln zum Festlegen der Knochenschraube in einem bestimmten Winkel zur Knochenplatte, wobei die Mittel zum Festlegen eine durch Eindrehen der Knochenschraube in einen bestimmten Winkel von einem vorgeformten Gewinde an mindestens einer Sitzfläche gebildete Gewindeverbindung der Sitzflächen von Knochenplatte und Knochenschraube aufweisen,

in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten und/oder in Verkehr zu bringen und/oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen.

Gegen diese Beschlussverfügung hat die Verfügungsbeklagte mit Schriftsatz vom 07.01.2011 Widerspruch eingelegt.

Die Verfügungsbeklagte meint, es fehle an einem Verfügungsgrund, weil auf-grund der durch sie erhobenen Nichtigkeitsklage überwiegende Zweifel am Rechtsbestand des Verfügungspatents bestünden. Weder sei die ohnehin nicht ausführbare Erfindung neu, noch erfinderisch.

Die Verfügungsbeklagte beantragt daher,

die einstweilige Verfügung vom 24.08.2010, Az. 4a O 172/10 aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

Den durch die Verfügungsbeklagte darüber hinaus gestellten Antrag auf vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung hat die Kammer mit Beschluss vom 25.01.2011 zurückgewiesen.

Die Verfügungsklägerin beantragt,

die einstweilige Verfügung vom 24.08.2010 zu bestätigen.

Hinsichtlich der durch die Klägerin darüber hinaus gestellten Hilfsanträge wird auf die Schriftsätze der Verfügungsklägerin vom 31.01.2001 sowie vom 09.02.2011Bezug genommen.

Die Verfügungsklägerin tritt dem Vorbringen der Verfügungsbeklagten entge-gen. Weder werde die technische Lehre des Verfügungspatents in dem durch die Verfügungsbeklagte zitierten Stand der Technik neuheitsschädlich, noch naheliegend offenbart. Zudem sei die technische Lehre des Verfü-gungspatents auch ausführbar, da es bei der Beurteilung der Frage der Aus-führbarkeit nicht allein auf den Patentanspruch ankomme. Vielmehr sei auf den Offenbarungsgehalt der Patentschrift abzustellen.

In Ergänzung dieses Tatbestandes wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung hat auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Verfügungsbeklagten in der Sache Er-folg. Die Verfügungsklägerin hat sowohl das Bestehen eines Verfügungsan-spruchs als auch eines Verfügungsgrundes glaubhaft gemacht.

I.
Das Verfügungspatent betrifft ein Fixationssystem für Knochen. Mit Hilfe eines solchen Fixationssystems wird eine Fraktur zum Beispiel durch eine Knochen-platte, die mit Knochenschrauben am Knochen befestigt ist, überbrückt.

Nach den einleitenden Bemerkungen des Verfügungspatents ist es wün-schenswert, die Knochenschraube in Anpassung an die Gegebenheiten der zu verbindenden Knochenteile unter verschiedenen Winkeln in die Knochenplatte einzubringen. Um dies zu ermöglichen, weist nach einem bekannten Fixationssystem die Knochenschraube einen Kopf mit einer etwa halbkugelförmigen Sitzfläche auf, der eine im Durchgangsloch der Knochenplatte angeordnete Sitzfläche zugeordnet ist. Nach dem Eindrehen der Schraube sind beide Sitzflächen aneinander gepresst, so dass eine feste Verbindung von Knochenteilen, Knochenplatte und Knochenschrauben hergestellt ist.

Das Verfügungspatent kritisiert das vorbekannte Fixationssystem da-hingehend, dass sich die Knochenschrauben-Knochenplattenverbindung lockere, was vor allem auch auf die ungenügende Stabilität der Winkelver-bindung von Knochenschraube und Knochenplatte zurückzuführen sei, weil diese nur durch die Reibkräfte zwischen Schraubenkopf und Plattenloch gesichert sei.

In der Beschreibung des Verfügungspatents werden daran anknüpfend mehrere im Stand der Technik bekannte Lösungen vorgestellt, mit denen eine winkelstabile Verbindung von Knochenschraube und Knochenplatte hergestellt werden kann (vgl. dazu im Einzelnen: Anlage GDM 1, Sp. 1, Z. 34 ff.). Insbesondere sei es bekannt, den Schraubenkopf mit einem Außen-gewinde und das Plattenloch mit einem Innengewinde zu versehen, so dass mit dem Eindrehen der Schraube eine Gewindeverbindung entstehe, bei der eine winkelstabile Ausrichtung von Platte und Schraube verwirklicht sei. Diese Lösung habe jedoch den gravierenden Nachteil, dass die Schraube nicht in einem beliebigen Winkel, sondern nur in der durch die Gewindeachsen vorgegebenen Ausrichtung in das Plattenloch eingebracht werden könne.

Vor diesem technischen Hintergrund liegt dem Verfügungspatent die Aufgabe (das technische Problem) zugrunde, ein Fixationssystem mit wählbarem und fixierbarem Winkel zwischen Knochenplatte und Knochenschraube vorzu-schlagen, das überdies einen geringen Platzbedarf hat und weniger aufwendig ist.

Zur Lösung dieses technischen Problems schlägt das Verfügungspatent in seinem Anspruch 1 ein Fixationssystem für Knochen mit folgenden Merkmalen vor:

1. Fixationssystem für Knochen,

2. mit einer Knochenplatte (8) mit wenigstens einem Durchgangsloch (9),

3. mit wenigstens einer in ein Durchgangsloch (9) eingesetzten Knochenschraube (1),

4. mit Sitzflächen von Knochenplatte (8) und Knochenschraube (1), die eine gegenseitige Ausrichtung unter verschiedenen Winkeln ermöglichen, und

5. Mitteln zum Befestigen der Knochenschraube (1),

5.1 in einem bestimmten Winkel zur Knochenplatte (8),

5.2 wobei die Mittel zum Festlegen eine Gewindeverbindung der Sitzflächen von Knochenplatte (8) und Knochenschraube (1) aufweisen,

5.3 wobei die Gewindeverbindung an mindestens einer Sitzfläche (4, 11) von einem Gewinde (6, 10) gebildet ist, das durch Ein-drehen der Knochenschraube (1) in dem bestimmten Winkel vorgeformt ist.

Patentanspruch 1 beansprucht somit ein aus Knochenplatte und Knochen-schraube bestehendes Fixationssystem für Knochen, bei dem die Sitzflächen von Knochenplatte und Knochenschraube eine gegenseitige Ausrichtung unter verschiedenen Winkeln ermöglichen (Merkmal 4). Zwar lässt es der Patentanspruch, worauf die Verfügungsbeklagte zutreffend hinweist, offen, wie der Winkel zwischen Knochenplatte und –schraube zustande kommt. Gleichwohl schließt es Patentanspruch 1 bereits nach seinem Wortlaut aus, dass der Winkel zwischen Schraube und Platte allein durch eine Ausrichtung der Durchgangsbohrung vorgegeben wird, da dann nicht die Sitzflächen von Knochenplatte und Knochenschraube in ihrem Zusammenwirken eine gegenseitige Ausrichtung unter verschiedenen Winkeln ermöglichen.

Eine Bestätigung dieser Auslegung erhält der Fachmann in der Patent-beschreibung. Danach war es im Stand der Technik bereits bekannt, den Schraubenkopf mit einem Außengewinde und das Plattenloch mit einem Innengewinde zu versehen. Von dieser Lösung, mit Hilfe derer die Schraube nur in der durch die Gewindeachsen vorgegebenen Ausrichtung in das Plattenloch eingebracht werden kann (vgl. Anlage GDM 1, Sp. 1, Z. 49 – 57), will sich das Verfügungspatent gerade abgrenzen und eine gegenseitige Ausrichtung von Knochenschraube und Knochenplatte mit einem frei wählbaren und fixierbaren Winkel zwischen Knochenplatte und Knochenschraube schaffen (vgl. Anlage GDM 1, Sp. 1, Z. 58 – 62). Diese Auf-gabe wird jedoch dann nicht gelöst, wenn das Bohrloch – wie im Stand der Technik bekannt – den Winkel vorgibt. Entsprechend enthält Patentanspruch 1 die zwingende Vorgabe, dass eine gegenseitige Ausrichtung von Knochenplatte und Knochenschraube unter verschiedenen Winkeln ermöglicht werden soll.

Schließlich entnimmt der Fachmann der Merkmalsgruppe 5, dass die Knochenschraube in einem bestimmten Winkel zur Knochenplatte festgelegt sein soll, nämlich durch eine Gewindeverbindung, die von einem Gewinde durch Eindrehen der Knochenschraube in dem bestimmten Winkel gebildet werden soll, wobei das Gewinde an mindestens einer Sitzfläche vorgeformt ist.

II.
Zurecht gehen die Parteien übereinstimmend davon aus, dass die angegriffe-nen Ausführungsformen I – III von der technischen Lehre des Verfügungspa-tents wortsinngemäß Gebrauch machen, so dass der Verfügungsklägerin ge-gen die Verfügungsbeklagte ein Unterlassungsanspruch aus § 139 Abs. 1 PatG zusteht. Darüber hinaus hat die Verfügungsklägerin auch das Bestehen eines Verfügungsgrundes glaubhaft gemacht.

1.
Ohne Erfolg beruft sich die Verfügungsbeklagte darauf, der Rechtsbestand des Verfügungspatentes sei nicht hinreichend gesichert.

a)
Grundsätzlich kommt der Erlass einer einstweiligen Unterlassungsverfügung wegen einer Schutzrechtsverletzung nur in Betracht, wenn nicht nur die Verletzung des Schutzrechts, sondern auch der Bestand des Verfü-gungspatents so eindeutig zugunsten der Verfügungsklägerin zu bewerten ist, dass eine fehlerhafte, in einem späteren Hauptsacheverfahren zu revi-dierende Entscheidung nicht ernstlich zu erwarten ist. Damit sich Zweifel des Verletzungsgerichts am Rechtsbestand des Verfügungspatents in einer Zurückweisung des Verfügungsantrages niederschlagen können, muss das Schutzrecht tatsächlich angegriffen werden oder ein Angriff zumindest verlässlich vorauszusehen sein. Dabei steht es zur Glaubhaftmachungslast der Verfügungsklägerin, dass die gegen das Verfügungspatent vorgebrachten Einwendungen unberechtigt sind und das Verfügungspatent mit Sicherheit im Rechtsbestandsverfahren bestehen wird. Von einem hinreichend gesicherten Rechtsbestand kann daher im Allgemeinen nur ausgegangen werden, wenn das Verfügungspatent bereits ein erstinstanzliches Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren überstanden hat. Von diesem Erfordernis einer der Verfügungsklägerin günstigen zweiseitigen Rechtsbestandsentscheidung kann daher nur in besonderen Fällen abgesehen werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich die Einwendungen gegen den Rechtsbestand des Verfügungspatents als haltlos erweisen (vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 29.04.2010, I-2 U 126/09 – Harnkatheterset).

b)
Ausgehend von diesen Überlegungen ist der Rechtsbestand des Verfügungs-patents in einem für den Erlass einer einstweiligen Verfügung hinreichenden Maß gesichert. Zum Einen war das Verfügungspatent bereits wiederholt Ge-genstand von Patentverletzungsstreitigkeiten, ohne dass es zwischenzeitlich in einem Nichtigkeitsverfahren vernichtet worden wäre. Zum Anderen erweisen sich die Einwendungen der Verfügungsbeklagten gegen den Rechtsbestand des Verfügungspatents als haltlos.

(1)
In der US 3,741,205 (Anlagen NHG 4 und NHG 4a) wird die technische Lehre von Patentanspruch 1 weder neuheitsschädlich, noch naheliegend offenbart.

Die Entgegenhaltung betrifft eine Knochenfixationsplatte zur Ruhigstellung eines zervikalen Wirbels. Wie insbesondere die nachfolgend verkleinert einge-blendete Figur 3 der Entgegenhaltung zeigt, sind die Ecken der Platte mit einer mit einem Gewinde versehenen Aushöhlung oder einem Loch (23) versehen, die sich in einem vorbestimmten Winkel erstrecken (vgl. Anlage NHG 4a, S. 9, Z. 8 – 12).
Befestigungsmittel oder –pins (27) mit einem vergrößerten Kopfteil (29) und daran fixierten, relativ weichen Schaftteilen (31) sind lösbar mit jeder Gewinde-bohrung (23) verbunden. Diese Pins erstrecken sich, unabhängig davon, ob es sich dabei überhaupt um Knochenschrauben im Sinne des Verfügungspatentes handelt, vorzugsweise von einer Seite der Platte im gleichen vorbestimmten konvergenten oder divergenten Winkel relativ zueinander und zu der Platte (vgl. Anlage NHG 4a, S. 9, Z. 17 – 23). Nach der in der Entgegenhaltung offenbarten technischen Lehre werden die Pins somit gerade – wie aus dem in der Verfügungspatentschrift beschriebenen Stand der Technik – in einem vorbestimmten Winkel eingebracht (vgl. Anlage NHG 4a, S. 11, Z. 10 – 20). Auch wenn die Pins wie aus Figur 3 ersichtlich links und rechts einen anderen Winkel zur Knochenplatte haben, ermöglichen anders als durch Merkmal 4 gefordert gerade nicht die Sitzflächen von Knochenplatte und Knochenschraube eine gegenseitige Ausrichtung unter verschiedenen Winkeln. Der jeweilige Winkel wird vielmehr durch die entsprechende Bohrung vorgegeben.

(2)
Die technische Lehre von Patenanspruch 1 des Verfügungspatents wird auch durch eine Kombination der CH 675531 (Anlage NHG 5) mit der Entgegenhal-tung NHG 4/NHG 4a nicht naheliegend offenbart.

Zwar betrifft die CH 675531 eine osteosynthetische Vorrichtung, bei der die Knochenschrauben in starrer und funktionsstabiler Weise mit einer OsteoCeplatte verbindbar sind. Jedoch entnimmt der Fachmann der Entgegenhaltung nicht, dass das Festlegen der Knochenschraube dadurch erfolgen soll, dass eine Gewindeverbindung von einem Gewinde durch Eindrehen der Knochenschraube in dem bestimmten Winkel gebildet wird, wobei das Gewinde an mindestens einer Sitzfläche vorgeformt ist (Merkmalsgruppe 5). Vielmehr weisen die Bohrwandungen der Schraubenlöcher, wie die nachfolgend verkleinert eingeblendete Figur 1 der Entgegenhaltung zeigt, eine konische Innenfläche auf, welche als Anpressfläche für den Kopf der Knochenschraube ausgebildet ist.
Beim Anziehen der Knochenschraube wird durch „Linienkontakt“ eine hohe spezifische Pressung erzeugt, so dass in optimal starrer und funktionsstabiler Weise eine Verklemmung mit der OsteoCeplatte (1) erfolgt, wobei die sphärische Oberfläche des Schraubenkopfes und die konische Bohrwandung eine gewisse axiale Ausrichtung der Knochenschrauben zulässt.

Die NHG 5 lehrt somit ein in sich geschlossenes System, welches dadurch ge-prägt ist, dass durch eine Ausnutzung von Klemmkräften zwischen Schraube und Bohrwandung eine Fixation der Schraube an die Platte erzielt wird (vgl. Anlage NHG 5, Sp. 1, Z. 35 – 37).

Soweit die Verfügungsbeklagte meint, der Fachmann, der vor der Aufgabe steht, ein Fixationssystem mit einem wählbaren und fixierbaren Winkel zwi-schen Knochenplatte und –schraube zu schaffen, welches einen geringen Platzbedarf hat und weniger aufwendig ist, werde die in der Entgegenhaltung NHG 5 offenbarte Lösung naheliegend mit der NHG 4/4a kombinieren, über-zeugt dies nicht. Vielmehr handelt es sich dabei um eine unzulässige rück-schauende Betrachtung. Beide Schriften offenbaren jeweils in sich abge-schlossene Lösungen. Während die Winkelvariabilität bei der NHG 5 gerade dadurch erzielt wird, dass lediglich Anpresskräfte zwischen Schraubenkopf und Bohrloch ausgenutzt werden, weisen die in der NHG 4/NHG 4a offenbarten Pins ein Gewinde auf, welches nicht mit der in der NHG 5 offenbarten Klemmlösung in Einklang zu bringen ist.

(3)
Überdies ist auch nicht ersichtlich, weshalb der Fachmann die Entgegenhal-tung NHG 5 mit der US 5,085,660 (NHG 6/NHG 6a) kombinieren sollte. Wie die NHG 5 offenbart auch die NHG 6/NHG 6a ein abgeschlossenes System zur Fixation von Knochen, wobei im Rahmen dieses Systems verschiedene Ver-schlussstifte zum Einsatz kommen, die an beiden Enden ein Gewinde aufwei-sen.

Das in der Entgegenhaltung offenbarte Verschlussplattensystem weist zwei Arten von Knochenschrauben auf. Die Verschlussstifte (20) besitzen ein Kno-chengewinde (21), mit dem sie in den Knochen eingedreht werden können. Der Verschlussträger (22) ist so ausgebildet, dass Langlöcher (11) einer Knochenplatte (10) unter verschiedenen Winkeln eingesetzt werden können. Die Fixierung der Verschlussstifte (20) erfolgt über zusätzliche Verschlusselemente (40). Damit wird die Knochenschraube gerade nicht wie in der Merkmalsgruppe 5 beschrieben festgelegt, sondern es werden zusätzliche Bauteile verwendet. Davon will sich das Verfügungspatent jedoch gerade abgrenzen (vgl. Anlage GDM 1, Sp. 3, Z. 25 f.).

Soweit in der Entgegenhaltung darüber hinaus Schraubstifte (30) verwendet werden, erfolgt dort zwar eine unmittelbare Verbindung zwischen Schraube und Plattenloch. Jedoch fehlt es dort an der nach Merkmal 4 erforderlichen Winkelvariabilität.

Somit ist nicht erkennbar, welchen Anlass der Fachmann haben sollte, diese in sich abgeschlossene und eine Vielzahl von Bauteilen erfordernde Lösung mit der in der Entgegenhaltung NHG 5 offenbarten, ebenfalls in sich abgeschlossenen Klemmlösung zu kombinieren.

(4)
Überdies wird die technische Lehre des Verfügungspatents auch nicht in der CH 614 761 (Anlage NHG 7) naheliegend offenbart, da sich dieser Entgegen-haltung, welche eine Schraube zur festen Verbindung von Bauelementen mit bestimmter Zwischendistanz betrifft, kein Anhaltspunkt dafür entnehmen lässt, eine Knochenplatte und eine Knochenschraube mit Sitzflächen zu versehen, die eine gegenseitige Ausrichtung unter verschiedenen Winkeln ermöglichen.

(5)
Auch die lediglich durch die C GmbH in deren Nichtigkeitsklage gegen das Verfügungspatent eingeführten Entgegenhaltungen nehmen die technische Lehre des Verfügungspatents weder neuheitsschädlich, noch naheliegend vorweg.

(a)
Die US 5,067,956 (vgl. Anlagen GDM 6 und GDM 28) betrifft ein nicht zurück-drängendes Fixationsgerät für ein prothetisches Implantat. Dabei soll verhindert werden, dass die Befestigungselemente aufgrund der variierenden Kräfte zurück durch die Bohrung im Fixationsteil gedrängt werden und auf die Unterseite eines Gelenkeinsatzes, der das Fixationsteil abdecken kann, stoßen (vgl. Anlage GDM 28, Sp. 1, unten). Um dies zu erreichen, soll das Gewinde des Schraubenschaftes, wie dies beispielhaft in der nachfolgend verkleinert eingeblendeten Figur 6 dargestellt ist, mit einem vergleichsweise großen Außendurchmesser versehen werden, der größer als der Außendurchmesser des Schraubenkopfes ist, wobei der Durchmesser des Lochs der Fixationsvorrichtung größer als der Durchmesser des Schraubenkopfes, aber kleiner als der Außendurchmesser des Schraubengewindes am Schaft ausgestaltet ist (vgl. Anlage GDM 28, Sp. 2, unten und Sp. 6 Mitte).
Einen Hinweis darauf, die Sitzflächen einer Knochenschraube und einer Kno-chenplatte derart auszugestalten, dass eine gegenseitige Ausrichtung unter verschiedenen Winkeln ermöglicht wird (Merkmal 4), erhält der Fachmann demgegenüber nicht.

Auch wenn aus Figur 6 ersichtlich ist, dass der Kerndurchmesser des Innengewindes im Plattenloch deutlich größer als der Kerndurchmesser des Schraubenschaftes ist, stellt dies keine hinreichende Offenbarung der gegenseitigen Ausrichtungsmöglichkeit von Knochenschraube und Knochenplatte unter verschiedenen Winkeln dar. Zwar kann auch dasjenige offenbart sein, was im Patentanspruch und in der Beschreibung nicht ausdrücklich erwähnt, aus der Sicht des Fachmanns jedoch für die Ausführung der unter Schutz gestellten Lehre selbstverständlich ist und deshalb keiner besonderen Offenbarung bedarf, sondern „mitgelesen“ wird. Die Einbeziehung von Selbstverständlichem erlaubt jedoch keine Ergänzung der Offenbarung durch das Fachwissen, sondern dient, nicht anders als die Ermittlung des Wortsinns eines Patentanspruchs, lediglich der vollständigen Ermittlung des Sinngehalts, das heißt derjenigen technischen Information, die der fachkundige Leser der Quelle vor dem Hintergrund seines Fachwissens entnimmt (BGH GRUR 2009, 382 – Olanzapin). Dass die Schraube vorliegend unter verschiedenen Winkeln eingedreht werden kann und dies deshalb vom Fachmann mitgelesen wird, lässt sich – ohne in eine unzulässige rückschauende Betrachtung zu verfallen – nicht feststellen.

(b)
Auch die EP 0 530 585 A2 (Anlagen GDM 7 und GDM 29) offenbart die durch Patentanspruch 1 beanspruchte technische Lehre weder neuheitsschädlich, noch naheliegend.

Die Entgegenhaltung zeigt eine absorbierbare Knochenschraube, die einen gewindeten Schaftteil zur Einführung in den Knochen und einen Kopfteil zur starren Befestigung in der Schraubbohrung umfasst, wobei dieser Kopfteil zu-mindest teilweise zu diesem Schaftteil hin kegelförmig verjüngt ist.
Wie Patentanspruch 10 der Entgegenhaltung weiter lehrt, kann diese Knochenschraube mit einer absorbierbaren Knochenplatte kombiniert werden, die mehrere Schraubbohrungen aufweist, die entlang der Achse jeweils zur Aufnahme einer absorbierbaren Knochenschraube angebracht sind.
Die Innenfläche der Schraubbohrungen weist eine dreidimensionale Struktur auf, die der dreidimensionalen Struktur an der Außenfläche des Kopfteils der Knochenschraube entspricht.
Einen Hinweis darauf, Knochenplatte und Knochenschraube mit Sitzflächen zu versehen, die eine gegenseitige Ausrichtung unter verschiedenen Winkeln ermöglichen (Merkmal 4), findet der Fachmann demgegenüber nicht.

(c)
Die ohnehin nur in englischer Sprache vorgelegte GB 997 733 (Anlage GDM 8) betrifft schließlich ein Fixationssystem zur wasserdichten Befestigung von Dachbedeckungselementen, so dass es bereits an einer Offenbarung der Merkmalsgruppen 1 bis 3 fehlt (vgl. insbesondere auch Anlage GDM 8, S. 1, Z. 44 – 46). Darüber hinaus offenbart die Entgegenhaltung auch kein Mittel zum Festlegen der Knochenschraube in einem bestimmten Winkel zur Knochen-platte, wie sie in der Merkmalsgruppe 5 beschrieben wird.
(6)
Ohne Erfolg macht die Verfügungsbeklagte schließlich eine mangelnde Aus-führbarkeit geltend. Dass das auch unter Patentanspruch 1 fallende und in den Figuren 4 – 8 dargestellte Ausführungsbeispiel, in dem ein segmentiertes Gewinde mit nicht-segmentierten Gewinden oder ebenfalls segmentierten Ge-winden unabhängig von der gewählten Materialart gezeigt wird, ausführbar ist, hat die Verfügungsbeklagte selbst nicht in Frage gestellt. Damit ist aber auch die Ausführbarkeit des Gegenstands des Patentanspruchs 1 gegeben. Hierfür ist es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nämlich nicht er-forderlich, dass alle denkbaren unter den Wortlaut des Patentanspruchs 1 fallenden Ausgestaltungen ausgeführt werden können (vgl. Senat, BGHZ 147, 306 [317] = GRUR 2001, 813 = NJW 2001, 3269 L – Taxol). Insbesondere müssen die Angaben, die der Fachmann zur Ausführung benötigt, nicht in Patentanspruch 1 enthalten sein, es genügt, wenn sie sich – wie hier – aus dem Inhalt der Patentschrift insgesamt ergeben (vgl. BGH GRUR 2003, 223, 225 – Kupplungsvorrichtung II; BGH GRUR 1998, 899, 900 – Alpinski).

Der als Anlage NHG 8 vorgelegte Untersuchungsbericht rechtfertigt keine an-dere Bewertung. Zum Einen hat die Verfügungsbeklagte dabei lediglich anhand einzelner Schrauben-/Plattenkombinationen versucht zu zeigen, dass ein Fixationssystem nach Patentanspruch 1 des Verfügungspatents jedenfalls nicht zu einer winkelstabilen Verbindung zwischen Knochenplatte und –schraube führt, wenn lediglich ein vorgeformtes Gewinde an der Knochenschraube vorgesehen ist. Ob dies auch beim Einsatz anderer Schrauben oder Platten der Fall ist, ergibt sich aus dem Gutachten demgegenüber nicht. Gleiches gilt für die Feststellung, bei einer Platte und Schraube aus demselben Material habe keine Gewindeverbindung hergestellt werden können, sowie für das gefundene Ergebnis, dass dann, wenn der Beschreibung folgend für die Platte ein weicheres Material als für die Schraube verwendet werde, komme keine winkelstabile Verbindung zustande.

Zum Anderen beschäftigt sich die Verfügungsbeklagte mit den insbesondere in den Figuren 4 – 8 dargestellten Möglichkeiten der unterschiedlichen Gestaltung der Gewinde nicht, sondern bezieht sich ausschließlich auf das erste Ausführungsbeispiel (vgl. Anlage NHG 8, S. 13 oben). Für die Ausführbarkeit der Erfindung genügt es jedoch, wie bereits ausgeführt, wenn dadurch eine hinreichende Winkelstabilität erreicht werden kann. Dass dies der Fall ist, lässt sich unmittelbar dem Untersuchungsbericht gemäß Anlage NGH 8 entnehmen, wonach „erst durch Weiterentwicklungen, wie sie auch in dem Streitpatent ausgeführt sind, […] eine Verriegelung, die den Anforderungen gerecht wird“, entsteht (vgl. Anlage NGH 8, S. 14 oben).

2.
Schließlich ist die Angelegenheit auch in zeitlicher Hinsicht dringlich. Die Verfügungsklägerin hat mit der als Anlage GDM 22 vorgelegten ei-desstattlichen Versicherung glaubhaft gemacht, dass ihre gesetzlichen Vertreter erst am 22.07.2010 darauf aufmerksam gemacht wurden, dass die Verfügungsbeklagte das Verfügungspatent verletzt. Da der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung mit Schriftsatz vom 18.08.2010 eingereicht wurde, hat die Verfügungsklägerin das Ihrige getan, um ihre Verbietungsrechte zügig durchzusetzen (vgl. Kühnen/Geschke, Die Durchsetzung von Patenten in der Praxis, 4. Auflage, Rz. 1126 m. w. N.).

III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Aufgrund des Eilcharakters des einstweiligen Verfügungsverfahrens bedurfte es eines gesonderten Ausspruchs der vorläufigen Vollstreckbarkeit des Urteils nicht.

Der Streitwert wird auf 300.000,- EUR festgesetzt.