4a O 280/09 – Chirurgischer Clip

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 1632

Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 24. Februar 2011, Az. 4a O 280/09

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages. Die Sicherheitsleistung kann auch durch eine unwiderrufliche, unbedingte, unbefristete und selbstschuldnerische Bürgschaft einer in der Europäischen Union als Zoll- oder Steuerbürgin anerkannten Bank oder Sparkasse erbracht werden.

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen Verletzung des deutschen Patents 199 35 XXX C2 (Klagepatent) in Anspruch. Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des Klagepatents, das von ihr – damals noch firmierend unter A AG & Co. KG – am 28.07.1999 angemeldet wurde. Die Offenlegung der Patentanmeldung erfolgte am 08.02.2001, die Veröffentlichung der Patenterteilung am 12.07.2001. Das Patent steht in Kraft. Die Beklagte zu 1) hat mit Schriftsatz vom 28.07.2010 beim Bundespatentgericht Nichtigkeitsklage gegen das Klagepatent eingereicht, über die noch nicht entschieden ist.

Das Klagepatent bezieht sich auf einen chirurgischen Clip. Der von der Klägerin geltend gemachte Patentanspruch 1 des Klagepatents lautet:

Chirurgischer Clip mit zwei relativ zueinander um eine Drehachse verschwenkbaren und in einer Klemmstellung einen im wesentlichen aneinander anliegenden Klemmbereich aufweisenden Klemmarmen, die jeweils ein freies und ein mit einem Lager versehenes Ende aufweisen, wobei in den beiden Lagern eine gemeinsame, die Drehachse definierende Welle gelagert ist, und mit einem den beiden Klemmarmen zugeordneten und diese in der Klemmstellung unter Vorspannung haltenden Spannelement,
dadurch gekennzeichnet, dass die Welle von dem Spannelement (10) gebildet wird.

Wegen des Wortlauts der in Form von „insbesondere“-Anträgen geltend gemachten Unteransprüche 2, 4 bis 7, 13 bis 15, 17 und 19 wird auf die Klagepatentschrift Bezug genommen.

Nachfolgend werden in leicht verkleinerter Form aus der Klagepatentschrift stammende zeichnerische Darstellungen bevorzugter Ausführungsformen der Erfindung abgebildet. Die Figuren 1 und 2 zeigen jeweils eine perspektivische Ansicht eines ersten und eines zweiten Ausführungsbeispiels eines Clips mit gekreuzten Klemmarmen.

Die Beklagte zu 1), deren Geschäftsführer der Beklagte zu 2) ist, stellt her und vertreibt in der Bundesrepublik Deutschland mikrochirurgische Instrumente, darunter auch chirurgische Clips mit der Bezeichnung B-Clip (angegriffene Ausführungsform). Abbildungen eines Musters der angegriffenen Ausführungsform im geschlossenen und geöffneten Zustand sind nachstehend wiedergegeben.

Die Klägerin ließ die Beklagten mit anwaltlichem Schreiben vom 16.12.2009 abmahnen, wodurch Rechtsanwaltskosten in Höhe von 4.494,00 EUR (1,5 Geschäftsgebühr bei einem Gegenstandswert von 500.000,00 EUR zuzüglich Auslagen) entstanden.

Die Klägerin ist der Ansicht, mit dem Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform verletzten die Beklagten das Klagepatent. Nach der Lehre des Klagepatentanspruchs habe das die Welle bildende Spannelement neben der Momentenerzeugung die Funktion, die Klemmarme zu lagern, das heißt sie zu führen und abzustützen, und die Drehachse zu definieren. Diese Aufgaben übernehme bei der angegriffenen Ausführungsform die Schraubenfeder, was sich durch verschiedene Untersuchungen bestätigt habe. Die Schraubenfeder liege an den Lagern der Klemmarme an und sei daher in den Lagern gelagert. Sie definiere die Drehachse, weil erst durch das Anschweißen der Schraubenfeder das seitliche Spiel der Lager der Klemmarme ausgeschlossen werde.

Die Klägerin beantragt,

A. die Beklagten zu verurteilen,

I. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlungen bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft im Falle der Beklagten zu 1) an ihrem jeweiligen Geschäftsführer zu vollstrecken ist, zu unterlassen,

Chirurgische Clips mit zwei relativ zueinander um eine Drehachse verschwenkbaren und in einer Klemmstellung einen im wesentlichen aneinander anliegenden Klemmbereich aufweisenden Klemmarmen, die jeweils ein freies und ein mit einem Lager versehenes Ende aufweisen, wobei in den beiden Lagern eine gemeinsame, die Drehachse definierende Welle gelagert ist, und mit einem den beiden Klemmarmen zugeordneten und diese in der Klemmstellung unter Vorspannung haltenden Spannelement,

in der Bundesrepublik Deutschland herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,

wobei die Welle von dem Spannelement gebildet wird;

II. der Klägerin in einer geordneten Aufstellung unter Vorlage von Rechnungen oder Lieferscheinen oder Quittungen hinsichtlich der Angaben zu 1-3 darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die zu A. I. bezeichneten Handlungen im Falle der Beklagten zu 1) seit dem 08.03.2001 und im Falle der Beklagten zu 2) Seit dem 12.08.2001 begangen haben, und zwar unter Angabe

1. der Herstellungsmengen und Herstellungszeiten, aufgeschlüsselt nach Typenbezeichnungen,

2. der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse, sowie der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,

3. der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen und der jeweiligen Typenbezeichnungen, sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer,

4. der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen und der jeweiligen Typenbezeichnungen, sowie den Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,

5. der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet, im Falle von Internetwerbung der Domain, der Zugriffszahlen und der Schaltungszeiträume,

6. der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,

wobei die Angaben zu 6) auch für die Beklagte zu 1) nur für die Zeit ab dem 12.08.2001 zu machen sind und

wobei den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nicht-gewerblichen Abnehmer und Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen und ihn ermächtigen und verpflichten, der Klägerin auf konkrete Nachfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;

B. festzustellen, dass

I. die Beklagte zu 1) verpflichtet ist, der Klägerin für die zu A I. bezeichneten, in der Zeit vom 08.03.2001 bis zum 11.08.2001 begangenen Handlungen eine angemessene Entschädigung zu zahlen;

II. die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu A I. bezeichneten und seit dem 12.08.2001 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird;

C. Die Beklagte zu 1) zu verurteilen,

I. die vorstehend unter A I. bezeichneten, seit dem 01.09.2008 im Besitz Dritter befindlichen Erzeugnisse aus den Vertriebswegen zurückzurufen, indem diejenigen Dritten, denen durch die Beklagte oder mit deren Zustimmung Besitz an den Erzeugnissen eingeräumt wurde, unter Hinweis darauf, dass die Kammer mit dem hiesigen Urteil auf eine Verletzung des Klagepatents DE 199 35 XXX C2 erkannt hat, ernsthaft aufgefordert werden, die Erzeugnisse an die Beklagte zurückzugeben, und den Dritten für den Fall der Rückgabe der Erzeugnisse eine Rückzahlung des gegebenenfalls bereits gezahlten Kaufpreises sowie die Übernahme der Kosten der Rückgabe zugesagt wird, und endgültig zu entfernen, indem die Beklagte diese Erzeugnisse wieder an sich nimmt oder die Vernichtung derselben beim jeweiligen Besitzer veranlasst,

II. die in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz und/oder Eigentum befindlichen, vorstehend zu A I. bezeichneten Erzeugnisse auf eigene Kosten zu vernichten oder nach ihrer Wahl an einen von ihr zu benennenden Treuhänder zum Zwecke der Vernichtung auf ihre – der Beklagten – Kosten herauszugeben;

D. die Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag von jeweils 4.494 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klageerhebung zu zahlen;

hilfsweise ihr zu gestatten, die Zwangsvollstreckung wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Form einer Bankbürgschaft ohne Rücksicht auf eine Sicherheitsleistung der Beklagten abzuwenden.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Nichtigkeitsklage gegen das Klagepatent DE 199 35 XXX auszusetzen.

hilfsweise ihnen nachzulassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung abzuwenden

Sie sind der Ansicht, durch die angegriffene Ausführungsform werde das Klagepatent nicht wortsinngemäß verletzt. Der angegriffene Clip weise keine Welle im Sinne der Lehre des Klagepatentanspruchs auf, weil die beiden Klemmarme des Clips durch ihre jeweiligen Stecklageraufnahmen zueinander gelagert, abgestützt und geführt würden. Die als Spannelement fungierende Schraubenfeder trage dazu nichts bei, so dass sie nicht als Welle angesehen werden könne. Durch die Stecklageraufnahmen werde im Übrigen auch die Drehachse definiert. Die Funktion der Schraubenfeder beschränke sich allein auf die Momentenerzeugung.

Die Beklagten sind weiterhin der Ansicht, dass die Klägerin weder Auskunft über ihre – der Beklagten – Lieferanten verlangen könne, noch über die Zugriffszahlen bezüglich der Internetwerbung. Schließlich sei das Klagepatent nicht schutzfähig, so dass eine Vernichtung des Klagepatents im Nichtigkeitsverfahren zu erwarten sei.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Die Klägerin hat gegen die Beklagten keine Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Feststellung der Verpflichtung zur Entschädigungszahlung und zum Schadensersatz, Rückruf und Entfernung aus den Vertriebswegen und Vernichtung aus §§ 33 Abs. 1, 139 Abs. 1 und 2, 140a Abs. 1 und 3, 140b Abs. 1 PatG, §§ 242, 259 BGB. Die angegriffene Ausführungsform macht von der Lehre des Klagepatentanspruchs nicht wortsinngemäß Gebrauch.

I.
Das Klagepatent schützt im Patentanspruch 1 einen chirurgischen Clip.

In der Beschreibung des Klagepatents wird ausgeführt, dass zum Abklemmen von Hohlorganen, insbesondere von Blutgefäßen, chirurgische Clips verwendet würden. Im Stand der Technik sei ein so genannter „Clip nach Heifetz“ bekannt, wie er in der DE 35 23 031 A1, der US 3 598 125 oder der US 3 802 437 beschrieben werde. Bei diesem Clip seien zwei Cliphälften relativ zueinander verschwenkbar an einem eine Drehachse definierenden Lagerstift gelagert. Zusätzlich sei eine den Stift umgebende Torsionsfeder innenliegend mit den beiden Cliphälften verbunden, um diese in der Klemmstellung unter Verspannung zu halten. Clips dieser Bauart beständen demnach aus mindestens vier Bauteilen, nämlich den Cliphälften, der Torsionsfeder und dem Lagerstift. In der Klagepatentschrift wird daran der Zusammenbau aller vier Bauteile als nachteilig angesehen, weil der Lagerstift mit den beiden Cliphälften unlösbar verbunden werden müsse, damit er nicht unbeabsichtigterweise herausfallen und verloren gehen könne, wobei gleichzeit der Clip in seine Bestandteile zerfallen würde.

Weiterhin werde in der US 4 324 248 ein Clip beschrieben, bei dem die beiden Schenkel des Clips über ein Filmscharnier miteinander verbunden seien, während in einem Hohlraum zwischen diesen verschwenkbaren Schenkeln eine Feder eingelegt sei, die die beiden Schenkel in die Schließstellung spanne. Auch bei dieser Konstruktion sei laut Klagepatentschrift durch das Vorsehen des Scharniergelenks ein relativ komplizierter Aufbau nötig.

Dem Klagepatent liegt vor diesem Hintergrund das Problem zu Grunde, einen Clip derart auszugestalten, dass der konstruktive Aufbau und die Herstellung vereinfacht werden. Dies soll durch den Klagepatentanspruch 1 erreicht werden, dessen Merkmale wie folgt gegliedert werden können:

1. Chirurgischer Clip
2. mit zwei Klemmarmen;
2.1 die Klemmarme sind relativ zueinander um eine Drehachse verschwenkbar;
2.2 die Klemmarme weisen in einer Klemmstellung einen im wesentlichen aneinander anliegenden Klemmbereich auf;
2.3 die Klemmarme weisen jeweils ein freies und ein mit einem Lager versehenes Ende auf;
2.4 in den beiden Lagern ist eine gemeinsame, die Drehachse definierende Welle gelagert;
und
3. mit einem Spannelement;
3.1 das Spannelement ist den beiden Klemmarmen zugeordnet und hält diese in der Klemmstellung unter Vorspannung;
3.2 die Welle wird von dem Spannelement (10) gebildet.

In der Klagepatentschrift wird als vorteilhaft angesehen, dass dadurch, dass die Welle von dem Spannelement gebildet werde, die Zahl der Bauteile von vier auf drei reduziert werde, da ein als Welle dienender Lagerstift überflüssig sei. Der Zusammenbau werde deutlich vereinfacht, da der kleine Lagestift nicht mehr mühsam mit den Klemmarmen verbunden werden müsse.

II.
Ein erfindungsgemäßer chirurgischer Clip besteht anders als der aus dem Stand der Technik bekannte Clip nach Heifetz aus drei Teilen, nämlich zwei Klemmarmen (Merkmalsgruppe 2) und dem als Welle fungierenden Spannelement (Merkmalsgruppe 3). Die Reduktion auf drei Bauteile wird dadurch möglich, dass das Spannelement nicht nur der Erzeugung der auf die Klemmarme wirkenden Vorspannung dient (Merkmal 3.1), sondern auch die in den beiden Lagern der Klemmarme gelagerte Welle bildet (Merkmal 3.2).

Damit übernimmt das Spannelement neben der Funktion der Momentenerzeugung auch die Funktion, die im Stand der Technik der Lagerstift in dem Clip nach Heifetz hatte. Bei diesem sind die beiden Cliphälften relativ zueinander verschwenkbar an dem eine Drehachse definierenden Lagerstift gelagert (Sp. 1 Z. 13-15; Textstellen ohne Bezugsangabe stammen aus der Klagepatentschrift, Anlage K 1). Damit korrespondiert im Klagepatentanspruch die Anweisung, eine die Drehachse definierende Welle – sprich das Spannelement – in den beiden Lagern der Klemmarme zu lagern (Merkmal 2.4). Unter einer Welle ist daher nicht im technisch-mechanischen Sinn eine meist runde, drehbar gelagerte Stange zur Weiterleitung von Drehmomenten zu verstehen (vgl. Anlage B 5), weil bei einem chirurgischen Clip – sei es nach Heifetz oder nach der Lehre des Klagepatentanspruchs – über die Welle ein Drehmoment nicht übertragen wird. Als Welle im Sinne des Klagepatents ist vielmehr jedes Bauteil zu verstehen, das die Klemmarme lagert und die Drehachse definiert. Entsprechend heißt es in der Beschreibung des Klagepatents, dass das als Welle fungierende Spannelement neben der Momentenerzeugung auch der Lagerung der Klemmarme diene und die Dreh- oder Schwenkachse festlege (Sp. 1 Z. 45-51).

Unter der Lagerung der beiden Klemmarme versteht das Klagepatent die Führung und Abstützung der Klemmarme durch die Welle (Sp. 1 Z. 46-48). Da die Klemmarme relativ zueinander verschwenkbar sein sollen (Merkmal 2.1) und die Drehachse gerade durch die Welle festgelegt beziehungsweise definiert werden soll (Merkmal 2.4), bedeutet „Führung und Abstützung“, dass die Klemmarme mit ihren Lagern an der Welle beziehungsweise dem Spannelement anliegen und bei ihrer Drehbewegung mit den Lagern um die Welle geführt werden. In der Beschreibung des Klagepatents wird entsprechend ausgeführt, dass es besonders vorteilhaft sei, wenn das eine der beiden Lager einen von der Welle durchsetzten Lagerring aufweise, weil sich dadurch der Klemmarm über den Lagerring direkt an der Welle abstützen könne, so dass eine Rotation des Lagerrings um die Welle sowie auch eine axiale Verschiebung der Welle in Richtung der Drehachse möglich werde (Sp. 1 Z. 61-67).

Von der Funktion der Lagerung ist die Definition der Dreh- oder Schwenkachse durch die Welle zu unterscheiden. Dies ergibt sich sowohl aus dem Wortlaut des Klagepatentanspruchs, als auch aus der Beschreibung des Klagepatents, in der zwischen der Funktion der Lagerung der Klemmarme einerseits und der Festlegung der Dreh- oder Schwenkachse andererseits differenziert wird (Sp. 1 Z. 46-51). Mit der im Klagepatentanspruch genannten, „die Drehachse definierenden Welle“ ist nach der Beschreibung des Klagepatents gemeint, dass „das Spannelement die Dreh- oder Schwenkachse festlegt“ (Sp. 1 Z. 50 f). Damit kommt dem Spannelement eine die Dreh- oder Schwenkachse konstituierende Funktion zu. Erst durch das als Welle fungierende Spannelement wird sichergestellt, dass die beiden Klemmarme um die durch das Spannelement festgelegte Drehachse verschwenken. Da das Spannelement zugleich als Welle fungiert, die die Klemmarme lagert, fällt die Drehachse zudem regelmäßig mit dem Spannelement zusammen. Das heißt, ohne das Spannelement findet – soweit überhaupt eine Verschwenkung ohne Welle möglich ist und die Lage der Klemmarme während der Verschwenkung zueinander festgelegt ist – eine Drehung um eine beliebige, nicht vom Spannelement festgelegte Achse statt.

Dieses Verständnis von den Funktionen des Spannelements entspricht – wie eingangs bereits angedeutet worden ist – genau den Aufgaben, die der Lagerstift in dem aus dem Stand der Technik bekannten Clip nach Heifetz erfüllt. Bei diesem sind die Klemmarme an einem eine Drehachse definierenden Lagerstift gelagert (Sp. 1. Z. 13-15), und ohne den Lagerstift zerfällt der Clip in seine Bestandteile (Sp. 1 Z. 26-31). Erst durch die Existenz des Lagerstifts wird daher die Drehachse festgelegt. Ohne den Lagerstift sind die Klemmarme um eine beliebige Achse beziehungsweise gar nicht zueinander verschwenkbar, weil der Clip zerfällt und nicht gebrauchstauglich ist.

Daraus kann jedoch nicht gefolgert werden, dass mit jeder Einwirkung des Spannelements auf die Lage der Cliphälften zueinander zugleich die Drehachse im Sinne der Lehre des Klagepatentanspruchs definiert wird. Denn dann würde auch in dem Clip nach Heifetz die Drehachse durch das Spannelement definiert, weil zwischen den Lagern der Cliphälften und dem Lagerstift zwingend ein Lagerspiel vorhanden sein muss, um die Beweglichkeit der Cliphälften zueinander und bezüglich des Lagerstifts zu erhalten, und die Spannkraft der Feder die Lage der Cliphälften zueinander und damit auch deren Schwenkachse im Rahmen des Lagerspiels beeinflusst. Solche Einwirkungen des Spannelements auf die Cliphälften im Rahmen eines vorhandenen Lagerspiels oder auch im Rahmen bestehender Herstellungstoleranzen können daher nicht als Definition einer Drehachse angesehen werden. Der Hinweis darauf, dass es sich bei den Clips um chirurgische Clips handele, die aufgrund ihres Einsatzes in der (Hirn-)Chirurgie eine äußerst sorgfältige und präzise Herstellung erforderten, greift nicht durch, weil ein Lagerspiel für die Verschwenkung der Cliphälften zueinander zwingend erforderlich ist und auch in der Klagepatentschrift mit Blick auf den Einsatzzweck der Clips nicht auf entsprechende Präzisionserfordernisse hingewiesen wird.

Der Ansicht der Klägerin, das Klagepatent schließe nicht aus, dass die Klemmarme allein, das heißt ohne Welle, bereits in sich gegen ein Auseinanderfallen gesichert seien, kann nicht gefolgt werden, soweit man unter einem Auseinanderfallen bereits eine relative Beweglichkeit der Cliphälften außerhalb der Schwenkbewegung um die durch das Spannelement definierte Drehachse versteht. Wenn nämlich die Schwenkachse bereits ohne das Spannelement festgelegt und eine relative Beweglichkeit der Klemmarme zueinander ausgeschlossen ist, wird die Schwenkachse nicht mehr durch das Spannelement definiert.

Soweit sich die Klägerin für ihre Ansicht auf die Figur 1 der Klagepatentschrift stützt, wird für diese in der zugehörigen Beschreibung ausdrücklich erklärt, „der Clip 1 wird durch die Schraubenfeder 10 zusammengehalten“ (Sp. 5 Z. 44 f). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der von der Klägerin zitierten Textstelle zu den sich kreuzenden Klemmarmen (Sp. 4 Z. 49-.57). Abgesehen davon, dass das Ineinandergreifen der Klemmarme den Clip nur „zusätzlich“ gegen ein Auseinanderfallen sichern soll (Sp. 4 Z. 55-57), wird durch sich kreuzende Klemmarme noch keine Drehachse konstituiert. Dies ergibt sich auch nicht aus den in den Figuren 1 bis 4 dargestellten und in der Beschreibung des Klagepatents erläuterten Ausführungsbeispielen. Vielmehr ist aus allen Figuren ersichtlich, dass die beiden Cliphälften 6 und 8 ohne die Schraubenfeder 10 nicht nur um die Symmetrieachse des Lagerrings 16 zueinander verschwenkbar, sondern auch anderweitig zueinander beweglich sind. Insbesondere ist die Cliphälfte 6 nach der zeichnerischen Darstellung (ohne Schraubenfeder) relativ zur Cliphälfte 8 senkrecht nach oben beweglich, weil die an ihrem einen Ende befindliche Lagerschale 20 lediglich aus zwei am Lagerring 16 beidseitig anliegenden Schalenhälften 22 und 24 besteht (Sp. 5 Z. 21-26). Dies entspricht der in der allgemeinen Beschreibung erläuterten bevorzugten Ausführungsform, bei der die Lager der beiden Klemmarme zum einen aus einem Lagerring und zum anderen aus einer die Welle nur teilweise umfassenden Lagerschale bestehen, so dass der Zusammenbau der beiden Klemmarme besonders einfach ist, weil die Lagerschale einfach an die Welle angelegt oder auch aufgesteckt wird (Sp. 1 Z. 59 bis Sp. 2 Z. 10). Erst durch die Schraubenfeder wird diese Beweglichkeit der Cliphälften zueinander ausgeschlossen und eine Drehachse festgelegt (Sp. 5 Z. 59-63).

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem für eine bevorzugte Ausführungsform vorgesehenen Gegenlager, an dem sich einer der beiden Klemmarme in Richtung der Drehachse abstützen können soll. Dieses Gegenlager verhindert lediglich, dass die beiden Klemmarme aufgrund einer in Richtung der Drehachse wirkenden Kraft auseinanderfallen (Sp. 2 Z. 11-20). Ein solches Gegenlager legt aber noch nicht die Drehachse fest und schließt auch nicht zwingend jede Relativbewegung der Klemmarme mit Ausnahme einer Schwenkbewegung um eine festgelegte Drehachse aus. Dies lässt sich – wie bereits erläutert – auch nicht den ersten beiden Ausführungsbeispielen und den zugehörigen Figuren 1 und 2 entnehmen: Ohne das Spannelement sind die beiden Cliphälften 6 und 8 unabhängig von der Schwenkachse relativ zueinander beweglich und das Gegenlager 18 sorgt lediglich dafür, dass bei einer Betätigung des Clips die Lagerschale 20 nicht nach unten weggedrückt wird. Weder schließt das Gegenlager 18 Relativbewegungen der beiden Cliphälften zueinander aus, noch wird dadurch die Drehachse festgelegt.

III.
Ausgehend von dieser Auslegung machen die beanstandeten Clips der Beklagten von der Lehre des Klagepatentanspruchs nicht wortsinngemäß Gebrauch. Die angegriffene Ausführungsform weist kein als Welle fungierendes Spannelement auf (Merkmal 3.2), weil es nicht die Drehachse der beiden Klemmarme definiert (Merkmal 2.4).

Die angegriffene Ausführungsform besteht aus zwei Klemmarmen, die mittels eines Lagerplättchens verschweißt sind und in deren Lagern eine Schraubenfeder eingesetzt ist. Die Klemmarme sind zueinander um eine Drehachse verschwenkbar. Es kann jedoch nicht festgestellt werden, dass die das Spannelement bildende Schraubenfeder die Drehachse definiert und insofern die Welle im Sinne der Lehre des Klagepatentanspruchs bildet. Vielmehr sind die beiden Klemmarme auch ohne Schraubenfeder um eine festgelegte Achse zueinander verschwenkbar. Die Schraubenfeder trägt zur Festlegung der Drehachse nichts bei.

Die Drehachse der beiden Cliphälften (10, 20) der angegriffenen Ausführungsform wird dadurch festgelegt, dass beide Cliphälften (10, 20) jeweils einen Lagerabschnitt aufweisen, der aus einer Stecklageraufnahme (14, 24) – gebildet aus einem Kreisring (13, 23) mit Seitenwandungen (15, 25) – besteht (die Bezugsziffern dieses Abschnitts beziehen sich auf die von der Beklagten vorgelegte Anlage B 3, aus der auch die nachstehenden Abbildungen stammen). Die einen Lagerring enthaltenden Kreisringe (13, 23) werden nicht vollumfänglich, sondern nur an zwei gegenüberliegenden Seiten durch die Seitenwandungen (15, 25) begrenzt, die auf der einen Seite in den Klemmarm (11, 21) und auf der anderen Seite in das Betätigungselement (12, 22) übergehen. Die Wandungen (15, 25) der beiden Cliphälften (10, 20) sind so zueinander versetzt, dass – werden die Cliphälften (10, 20) mit fluchtenden Kreisringen axial aneinandergelegt – jeder Kreisring (13, 23) jeweils als Boden für die Aufnahme des anderen Kreisrings (13, 23) dient und durch seine Seitenwandungen (15, 25) eine Relativbewegung des anderen Kreisrings (15, 25) in radialer Richtung (weitgehend) ausschließt. Die Klemmarme (11, 21) sind dadurch allein um die durch die Seitenwandungen (15, 25) festgelegte Drehachse zueinander verschwenkbar. Ein Auseinanderfallen der Cliphälften (10, 20) in axialer Richtung wird durch ein angeschweißtes teilkreisförmiges Lagerplättchen (30) verhindert. Dass die Schraubenfeder (40) etwas zur Festlegung der Drehachse beiträgt, lässt sich nicht feststellen.

Umgekehrt lässt sich ebenso wenig feststellen, dass die Drehachse der Cliphälften der angegriffenen Ausführungsform auch ohne die Seitenwandungen der Lagerabschnitte – im Umkehrschluss also durch die Schraubenfeder – festgelegt ist. Die Klägerin hat zwar eine Untersuchung durchgeführt, in deren Zuge sie – so ihr Vortrag – die Seitenwandungen abgefräst habe und gleichwohl die Verschwenkbarkeit der Cliphälften um eine Schwenkachse ohne Beeinträchtigung habe feststellen können (Anlagen K 13 bis K 15). Noch in der mündlichen Verhandlung hat sie erklärt, drei Seitenwandungen abgefräst zu haben. Allerdings ist bereits anhand der vorstehenden Zeichnungen und auch der als Muster überreichten Clipteile (Anlage B 2) ersichtlich, dass die Stecklageraufnahmen jeder Cliphälfte jeweils zwei Seitenwandungen aufweisen. Zu Recht haben daher die Beklagten bereits schriftsätzlich unter Verweis auf einzelne Abbildungen der Untersuchung darauf hingewiesen, dass für die Untersuchung nicht alle Drehlagerabschnitte entfernt worden seien (vgl. Anlage K 14a). Die Drehlagerabschnitte eines Klemmarms seien beibehalten worden, was auch an dem in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Clip, der Gegenstand der Untersuchung war (Anlage K 21), erkennbar ist. Dieser verbleibende Drehlagerabschnitt – so die Beklagten – sorge schon für eine Lagerung des Kreisrings der anderen Cliphälfte dergestalt, dass eine Drehachse festgelegt sei. Dem ist auch die Klägerin nicht weiter entgegengetreten. Vor diesem Hintergrund kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Drehachse durch die Schraubenfeder definiert wird.

Die Klägerin begründet ihre Auffassung, dass die Schraubenfeder der angegriffenen Ausführungsform die Drehachse der Klemmarme definiere, weiterhin damit, dass nach dem Einbau der Schraubenfeder diese und die Lagerringe der Cliphälften aneinander anliegen und bei jeder Bewegung aneinander reiben (vgl. auch die in den Anlagen K 11 und K 12 wiedergegebenen Untersuchungen). Daraus allein kann jedoch nicht gefolgert werden, dass die Drehachse durch die Schraubenfeder im Sinne der Lehre des Klagepatentanspruchs definiert wird. Denn wenn die Drehachse bereits durch die Konstruktion der Stecklageraufnahme festgelegt ist, trägt die Schraubenfeder – auch wenn sie gegebenenfalls aufgrund ihrer Spannkraft an den Lagerringen anliegt – nichts mehr zur Festlegung der Drehachse bei. Vielmehr sind Abriebspuren in einem so geringen Umfangsabschnitt der Schraubenfeder eher ein Hinweis darauf, dass die Drehachse nicht durch das Spannelement definiert wird.

Die Klägerin hat schließlich anhand verschiedener Untersuchungen gezeigt, dass die Cliphälften auch ohne Schraubenfeder radial zueinander beweglich sind und die Lager der Klemmarme insofern ein gewisses Spiel – auch im Verhältnis zur Drehachse – zueinander aufweisen (vgl. Anlagen K 16 bis K 19). Das allein vermag jedoch noch nicht zu begründen, dass die Drehachse bei der angegriffenen Ausführungsform durch die Schraubenfeder festgelegt wird, da sich nicht feststellen lässt, dass das Spiel über das übliche Lagerspiel und Fertigungstoleranzen hinausgeht. Eine Beeinflussung der Relativlage der beiden Cliphälften durch das Spannelement, die sich im Rahmen des Lagerspiels und der Fertigungstoleranzen der beiden Cliphälften hält, kann jedoch nicht mehr als Definition einer Drehachse durch das Spannelement angesehen werden. Dazu hat die Beklagte vorgetragen, dass das aus den Abbildungen erkennbare Spiel von etwa 0,2 mm auf die bei der Herstellung bestehenden Fertigungstoleranzen von ±0,1 mm und dem hinzuzurechnenden Lagerspiel von 0,1 mm zurückzuführen sei. Dem ist auch die Klägerin nicht weiter entgegengetreten. Sie hat in der mündlichen Verhandlung lediglich vorgetragen, sie fertige bei „kritischen Teilen“, das heißt bei Teilen, die an der Drehbewegung beteiligt sind, mit einer Fertigungstoleranz von 0,01 mm. Dies vermag jedoch eine andere Entscheidung nicht zu begründen. Denn für den Bereich chirurgischer Clips bestehen hinsichtlich der Fertigung „kritischer Teile“ unstreitig keine verbindlichen Normen, die von den Herstellern solcher Clips einzuhalten wären. Es ist auch nicht ersichtlich, dass ein Spiel von 0,2 mm außerhalb üblicher Toleranzen liegt. Vielmehr haben die Beklagten darauf hingewiesen, dass bei den angegriffene Ausführungsform ein größeres Spiel möglich sei, weil die Cliphälften bereits durch die Stecklageraufnahmen und die Schweißverbindung mit dem Lagerplätten vor einem Auseinanderfallen gesichert seien, während diese Funktion bei einem erfindungsgemäßen Clip das Spannelement übernehmen müsse.

IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 709 S. 1 und 2 ZPO. Dem von der Klägerin hilfsweise geltend gemachten Vollstreckungsschutzantrag war nicht stattzugeben, da sie die Voraussetzungen des § 712 Abs. 1 ZPO weder dargelegt, noch gemäß § 714 Abs. 2 ZPO glaubhaft gemacht hat.

Streitwert: 1.000.000,00 EUR