4a O 95/10 – Schubladenbefestigung

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 1680

Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 16. Juni 2011, Az. 4a O 95/10

Rechtsmittelinstanz: 2 U 68/11

I. Die Beklagte wird verurteilt,

1. es bei Meidung eines für jeden Einzelfall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR, an dessen Stelle im Falle der Uneinbringlichkeit eine Ordnungshaft bis zu sechs Monaten tritt, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall bis zu zwei Jahren – die Ordnungshaft zu vollziehen an den gesetzlich für sie handelnden Personen – zu unterlassen,

im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland

Beschläge zur Befestigung einer Rückwand einer Schublade an Schubladenteilen wie Schubladenzargen oder Ausziehschienen einer Schublade mit einem an einem Schubladenteil befestigbaren Tragteil, der Befestigungszapfen aufweist, die in Befestigungslöchern eines korrespondierenden, an der Rückwand befestigbaren Halteteiles einrasten an jeder Seite der Schublade,

anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen,

wenn die Halteteile parallel zur Rückwand ausgerichtete Befestigungsstege aufweisen, die in Montagelage außen an der Rückwand anliegen und über die sie mit der Rückwand verbunden, vorzugsweise verschraubt sind, und gehäuseartige Abschnitte mit je einer in Montagelage parallel zur Rückwand ausgerichteten Abschlusswand aufweisen, die in Montagelage mit der Schubladeninnenseite der Rückwand abschließt und mit je einer in Montagelage von der Stirnseite der Rückwand entfernten Seitenwand, in der sich die Befestigungslöcher befinden, in denen die Befestigungszapfen von außen einrasten;

2. der Klägerin durch Vorlage eines einheitlichen, geordneten Verzeichnisses vollständig darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die in Ziffer I. 1. bezeichneten Handlungen seit dem 20.03.2003 begangen hat, und zwar unter Angabe

a) der einzelnen Lieferungen und Bestellungen, aufgeschlüsselt nach Typenbezeichnungen, Liefer- und Bestellmengen, Bestellzeiten und Bestellpreisen sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer,

b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Typenbezeichnungen, Angebotsmengen, -zeiten und -preisen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,

c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Herstellungs- und Verbreitungsauflage, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,

d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,

wobei die Beklagte hinsichtlich der Angaben zu a) Rechnungen oder Lieferscheine vorzulegen hat,

wobei der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften ihrer nicht-gewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden, dieser gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten und in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte die durch dessen Einschaltung entstehenden Kosten übernimmt und ihn ermächtigt, der Klägerin auf Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter nicht-gewerblicher Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Rechnungslegung enthalten ist.

II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin jeden Schaden zu ersetzen, der ihr durch die in Ziffer I. 1. bezeichneten und seit dem im Antrag zu I. 2. bezeichneten Zeitpunkt begangenen Handlungen entstanden ist und künftig noch entstehen wird.

III. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 250.000,00 EUR. Die Sicherheitsleistung kann auch durch eine unwiderrufliche, unbedingte, unbefristete und selbstschuldnerische Bürgschaft einer in der Europäischen Union als Zoll- oder Steuerbürgin anerkannten Bank oder Sparkasse erbracht werden.

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen Verletzung des deutschen Teils des europäischen Patents EP 0 664 XXX (Klagepatent) auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung und Feststellung der Schadensersatzpflicht in Anspruch. Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des Klagepatents, das am 21.12.1994 unter Inanspruchnahme einer österreichischen Priorität vom 17.01.1994 in deutscher Verfahrenssprache angemeldet wurde. Der Hinweis auf die Erteilung des Klagepatents wurde am 19.02.2003 veröffentlicht. Das Patent steht in Kraft.

Das Klagepatent bezieht sich auf einen Beschlag zur Befestigung einer Rückwand einer Schublade an Schubladenteilen. Der von der Klägerin geltend gemachte Patentanspruch 1 des Klagepatents lautet wie folgt:

Beschlag zur Befestigung einer Rückwand einer Schublade an Schubladenteilen wie Schubladenzargen oder Ausziehschienen einer Schublade mit einem an einem Schubladenteil befestigbaren Tragteil (7), der Befestigungszapfen (27) aufweist, die in Befestigungslöchern (17) eines korrespondierenden, an der Rückwand befestigbaren Halteteiles (5, 10) einrasten an jeder Seite der Schublade,
dadurch gekennzeichnet, dass die Halteteile (5, 10) parallel zur Rückwand (6, 11) ausgerichtete Befestigungsstege (14) aufweisen, die in Montagelage außen an der Rückwand (6, 11) anliegen und über die sie mit der Rückwand (6, 11) verbunden, vorzugsweise verschraubt sind, und gehäuseartige Abschnitte (15) mit je einer in Montagelage parallel zur Rückwand (6, 11) ausgerichteten Abschlusswand (19), die in Montagelage mit der Schubladeninnenseite der Rückwand (6, 11) abschließt und mit je einer in Montagelage von der Stirnseite der Rückwand (6, 11) entfernten Seitenwand (16), in der sich die Befestigungslöcher (17) befinden, in denen die Befestigungszapfen (27) von außen einrasten.

Nachfolgend werden in verkleinerter Form aus der Klagepatentschrift stammende zeichnerische Darstellungen bevorzugter Ausführungsformen der Erfindung abgebildet. Figur 2 zeigt die Explosionsansicht einer Schublade, in Figur 3 ist die Rückwand einer Schublade abgebildet und in Figur 5 ist das Ausführungsbeispiel eines Halteteils zu sehen.

Die Beklagte verteilte auf der Messe Interzum 2009 in Köln vom 13. bis 16.05.2009 Prospekte, in denen ein Schubkastensystem unter Verwendung eines Holzrückwandhalters (angegriffene Ausführungsform) abgebildet war. Die Klägerin erwarb in der Türkei ein Muster des beanstandeten Holzrückwandhalters, von dem Abbildungen – von der Klägerin beschriftet – nachstehend wiedergegeben sind. Zudem wird eine von der Beklagten stammende schematische Zeichnung einer perspektivischen Ansicht der angegriffenen Ausführungsform gezeigt.

Die Klägerin ist der Ansicht, die angegriffene Ausführungsform mache von der Lehre des Klagepatentanspruchs 1 wortsinngemäß Gebrauch. Die Seitenwand weise zwei Öffnungen auf, die ohne weiteres als Befestigungslöcher bezeichnet werden könnten. Durch diese Öffnungen griffen zwei am Tragteil angeformte Bauteile, die von der Beklagten als Führungselement bezeichnet würden. Diese Bauteile seien als Befestigungszapfen im Sinne der Lehre des Klagepatentanspruchs anzusehen. Sie seien hakenförmig ausgebildet und aufgrund des gewählten Materials sogar elastisch. Darauf käme es mit Blick auf den Unteranspruch 5 jedoch nicht einmal an. Der Begriff des „Einrastens“ umfasse auch Verbindungen zwischen zwei Bauteilen, deren Verbindungsflächen so ausgebildet seien, dass diese bei mechanischem Stoß gegeneinander eine mechanische Verriegelung ausbildeten. Dies sei bei der angegriffenen Ausführungsform der Fall. Die „Führungselemente“ der angegriffenen Ausführungsform hätten durchaus die gewollte Befestigungswirkung, was anhand eines Musters ohne die Rastklinke erkennbar sei. Auf eine klemm- und/oder formschlüssige Verbindung komme es hingegen nicht an.

Die Klägerin beantragt,

– wie erkannt –

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise ihr zu gestatten, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung (Bank- oder Sparkassenbürgschaft) abzuwenden.

Die Beklagte ist der Ansicht, durch die angegriffene Ausführungsform werde das Klagepatent nicht wortsinngemäß verletzt. Der Begriff „einrasten“ beschreibe ein mechanisches Ineinandergreifen, welches eine feste Verbindung durch Formschluss herbeiführe. In der Regel erfolge dies durch flexible Elemente, die zu Beginn des Einrastvorgangs eingebogen und nach Durchführen durch das Befestigungsloch wieder in ihre ursprüngliche Position zurückfedern würden. Nach dem Zurückfedern verhindere der Befestigungszapfen eine Bewegung des korrespondierenden Teils. Dieses Verständnis liege auch dem Ausführungsbeispiel zugrunde. Bei der angegriffenen Ausführungsform werde das Tragteil mit dem Halteteil verbunden, indem die elastische Rastklinke des Tragteils mit einer in der Abschlusswand befindlichen Öffnung in Eingriff gebracht werde. Die beiden Öffnungen in der Seitenwand des Halteteils dienten lediglich dazu, dass das Halteteil an zwei durch diese Öffnungen durchgreifenden Führungselementen in senkrechter Richtung geführt werde – bis es mit der Rastklinke verraste. Die Führungselemente stellten keine Befestigungszapfen dar, da sie keine Befestigungswirkung, sondern nur eine Führungsfunktion hätten. Da sie nicht elastisch seien und allenfalls ein Reibschluss erfolge, finde eine Verrastung nicht statt.

Die Klägerin wendet dagegen ein, dass sich bei der angegriffenen Ausführungsform die Öffnung, in die die Rastklinke von außen eingreife, bis in die Seitenwand erstrecke. Auch in dieser Hinsicht werde die Lehre des Klagepatentanspruchs wortsinngemäß verwirklicht. Ginge man von der Auffassung der Beklagten aus, sei jedenfalls eine Patentverletzung mit äquivalenten Mitteln gegeben, weil durch das Einhängen des Halteteils in das Tragteil wie durch das Einrasten beide Bauteile miteinander verbunden würden. Die Art der Verbindung sei gleichwirkend, aber auch gleichwertig, weil es auf die genaue Art der Verbindung nicht ankomme. Da dem Fachmann die verschiedenen Verbindungsarten im Prioritätszeitpunkt bekannt gewesen seien, sei das Einhängen auch naheliegend gewesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung und Feststellung der Schadensersatzpflicht aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ, §§ 139 Abs. 1 und 2, 140b Abs. 1 PatG, §§ 242, 259 BGB, da die Beklagte das Klagepatent wortsinngemäß verletzt.

I.
Das Klagepatent schützt im Patentanspruch 1 einen Beschlag zur Befestigung einer Rückwand einer Schublade an Schubladenteilen wie Schubladenzargen oder Ausziehschienen einer Schublade.

In der Klagepatentschrift wird ausgeführt, dass solche Beschläge im Stand der Technik beispielsweise aus der EP-A-0 012 030 bekannt seien. Sie wiesen ein an einem Schubladenteil befestigbares Tragteil mit Befestigungszapfen auf, die in Aufnahmeöffnungen eines korrespondierenden Teils an jeder Seite der Schublade einrasten können.

Im modernen Möbelbau – so die Klagepatentschrift – seien Schubladen üblicherweise gänzlich aus Kunststoff gespritzt oder beständen aus Zargen aus Kunststoff oder Metall, die mit einer Rückwand – ebenso aus Kunststoff oder Metall gefertigt – verbunden würden. In manchen Fällen, vor allem bei der Herstellung kleiner Serien, sei es jedoch für den Möbelhersteller von Vorteil, wenn er, was die Breite der Schublade angehe, nicht auf vorgefertigte Teil angewiesen sei, sondern bei der Herstellung des Möbels ohne besonderen Aufwand Schubladen jeder beliebigen Breite herstellen könne.

Dem Klagepatent liegt vor diesem Hintergrund die Aufgabe (das technische Problem) zu Grunde, einen Beschlag zu schaffen, der es ermöglicht, eine Rückwand, insbesondere aus Holz oder stranggepresstem Kunststoff, die in gewünschter Länge abgeschnitten wurde, in einer Schnellmontage mit einer Schubladenzarge oder mit einem mit der Schubladenzarge oder einer Ausziehschiene der Schublade verbundenen Adapter in einer Schnellmontage zu verbinden.

Dies soll durch den Klagepatentanspruch 1 erreicht werden, dessen Merkmale wie folgt gegliedert werden können:

1. Beschlag zur Befestigung einer Rückwand einer Schublade an Schubladenteilen wie Schubladenzargen oder Ausziehschienen einer Schublade;
2. mit einem an einem Schubladenteil befestigbaren Tragteil (7),
2.1 der Befestigungszapfen (27) aufweist,
2.2 die in Befestigungslöchern (17) eines korrespondierenden, an der Rückwand befestigbaren Halteteiles (5, 10) einrasten an jeder Seite der Schublade;
3. die Halteteile (5, 10)
3.1 weisen parallel zur Rückwand (6, 11) ausgerichtete Befestigungsstege (14) auf,
3.1.1 die in Montagelage außen an der Rückwand (6, 11) anliegen und
3.1.2 über die sie mit der Rückwand (6, 11) verbunden, vorzugsweise verschraubt sind;
3.2 weisen gehäuseartige Abschnitte (15) auf
3.2.1 mit je einer in Montagelage parallel zur Rückwand (6, 11) ausgerichteten Abschlusswand (19), die in Montagelage mit der Schubladeninnenseite der Rückwand (6, 11) abschließt, und
3.2.2 mit je einer in Montagelage von der Stirnseite der Rückwand (6, 11) entfernten Seitenwand (16), in der sich die Befestigungslöcher (17) befinden, in denen die Befestigungszapfen (27) von außen einrasten.

II.
Nach der Lehre des Klagepatentanspruchs besteht der Beschlag aus zwei Teilen: dem an der Schubladenrückwand zu befestigenden Halteteil (Merkmal 2.2) und dem an dem anderen Schubladenteil anzubringenden Tragteil (Merkmal 2). Das Halteteil weist erfindungsgemäß jedenfalls zwei wesentliche Abschnitte auf, nämlich einen Befestigungssteg einerseits und einen gehäuseartigen Abschnitt andererseits. Für deren räumlich-körperliche Gestaltung und ihre Relativlage zueinander geht der Klagepatentanspruch von der Montagelage aus (Merkmal 3.1.1, 3.2.1 und 3.2.2). Es handelt sich dabei um die Lage der Bauteile, in der diese miteinander verbunden werden. Dabei soll sich der Befestigungssteg des Halteteils parallel zur Rückwand erstrecken und außen an der Rückwand anliegen, so dass er mit dieser verbunden werden kann (Merkmalsgruppe 3). Der gehäuseartige Abschnitt hingegen besteht erfindungsgemäß jedenfalls aus zwei Wänden, einer Abschlusswand und einer Seitenwand. Die Abschlusswand ist – wie der Befestigungssteg – parallel zur Rückwand ausgerichtet, soll aber in der Montagelage mit der Schubladeninnenseite der Rückwand abschließen (Merkmal 3.2.1). Die Seitenwand ist hingegen von der Stirnseite der Rückwand entfernt (Merkmal 3.2.2). Unter der Stirnseite ist die regelmäßig schmalere, zur Schubladenseite orientierte Fläche der Schubladenrückwand zu verstehen. Da die Seitenwand nicht mit der Abschlusswand, die mit der Schubladeninnenseite abschließt, identisch ist und von der Stirnseite der Rückwand entfernt sein soll, handelt es sich um eine Wandung des gehäuseartigen Abschnitts, die sich in einem Winkel von der der Stirnseite der Schubladenrückwand abgewandten Seite der Abschlusswand erstreckt. Regelmäßig wird es sich um eine zur Stirnseite der Schubladenrückwand parallele Wand des gehäuseartigen Abschnitts handeln, die im rechten Winkel zur Abschlusswand angeordnet ist, wie dies auch in den Ausführungsbeispielen dargestellt ist (vgl. Figuren 2 bis 6 der Klagepatentschrift, Anlage K 5).

Die Verbindung von Halteteil und Tragteil erfolgt mittels Befestigungszapfen, die am Tragteil angeordnet sind und in Befestigungslöchern in der Seitenwand des Halteteils einrasten. Der Begriff „einrasten“ wird weder im Klagepatentanspruch, noch in der Beschreibung des Klagepatents definiert. Die Beklagte hat dargelegt, eine Rastverbindung oder synonym eine Schnappverbindung beschreibe eine formschlüssige Verbindung, bei der ein Fügepartner vor der Verbindung elastisch vorgeformt werde, damit das Fügeteil nach dem Einlegen und Rückfedern durch Formschluss gehalten werde (vgl. Anlage B 9, dort S. 35). Kennzeichnend für ein „Einrasten“ seien daher die elastische Verformbarkeit des Rastelements und der Formschluss durch ein Zurückfedern des Rastelements. Regelmäßig werde der Formschluss dadurch hergestellt, dass das Rastelement durch Rippen, Stege, Vorsprünge, einen Versatz oder dergleichen eine Öffnung, Ausnehmung, Nut oder dergleichen des Fügepartners hintergreift und dadurch die formschlüssige Verbindung entsteht.

Es mag sein, dass das Verständnis der Beklagten vom Begriff „einrasten“ dem allgemeinen technischen Sprachgebrauch entspricht. Bei einem solchen Verständnis darf die Auslegung des Klagepatentanspruchs jedoch nicht stehenbleiben, wenn sich aus der Beschreibung des Klagepatents ergibt, dass der im Klagepatentanspruch verwendete Begriff vom allgemeinen Sprachgebrauch abweicht. Patentschriften stellen im Hinblick auf die dort gebrauchten Begriffe gleichsam ihr eigenes Lexikon dar. Weichen diese vom allgemeinen (technischen) Sprachgebrauch ab, ist letztlich nur der aus der Patentschrift sich ergebende Begriffsinhalt maßgebend (BGH GRUR 1999, 909 – Spannschraube). So liegt der Fall auch hier. Denn die Beklagte hat durch ihre Auslegung des Begriffs „einrasten“ nichts anderes als eine „Schnappverbindung“ beschrieben, die im Unteranspruch 5 des Klagepatents ausdrücklich genannt ist. Demnach sollen die Befestigungszapfen in den Löchern der Seitenwand federnd einschnappen. Das federnde Einschnappen stellt damit einen Unterfall des im Klagepatentanspruch verwendeten Begriffs „Einrasten“ dar.

Der von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung geäußerten Vermutung, der Unteranspruch 5 beruhe auf einem Irrtum im Erteilungsverfahren, weil sich der Begriff „einrasten“ nicht vom federnden Einschnappen unterscheide, kann nicht gefolgt werden. Für die Auslegung des Klagepatents kommt es auf Vorgänge im Erteilungsverfahren grundsätzlich nicht an. Vielmehr ist das Klagepatent einschließlich der Beschreibung, den Zeichnungen und Unteransprüchen im Verletzungsverfahren so hinzunehmen, wie es erteilt wurde. Dies rechtfertigt den Schluss, dass der Unteranspruch 5 mit dem federnden Einschnappen einen Sonderfall des im Hauptanspruch 1 genannten Einrastens darstellt.

Für das Einrasten kann es vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung der Funktion des Einrastens nicht zwingend darauf ankommen, dass eine formschlüssige Verbindung erst dadurch hergestellt wird, dass der Befestigungszapfen zu Beginn des Verbindungsvorgangs elastisch vorgespannt wird und am Ende des Verbindungsvorgangs in seine Position zurückfedert. Bei der gebotenen funktionsorientierten Betrachtung wird man es für ein „Einrasten“ vielmehr als ausreichend ansehen müssen, wenn die Befestigungszapfen, entsprechend eingeführt in die Befestigungslöcher, diese hintergreifen und dadurch überhaupt eine formschlüssige Verbindung entsteht, durch die die Rückwand der Schublade an den übrigen Schubladenteilen mittels Halteteil und Tragteil befestigt wird. Der Begriff der Befestigung beschreibt insofern eine durch die Befestigungszapfen in den Befestigungslöchern definierte Endposition der zu verbindenden Schubladenteile. Durch die Befestigung wird Lagesicherheit hinsichtlich der zu verbindenden Bauteile geschaffen. Dies kann jedenfalls auch dadurch erfolgen, dass der Befestigungszapfen – wie auch im Ausführungsbeispiel beschrieben (Sp. 2 Z. 24 f der Klagepatentschrift, Anlage K 5) – hakenförmig ausgebildet ist und das Halteteil mittels seiner Öffnungen lediglich eingehängt wird. Die formschlüssige Verbindung wird dadurch geschaffen, dass das Halteteil nunmehr auf dem Befestigungszapfen aufliegt und aufgrund der Hakenform des Befestigungszapfens von diesem regelmäßig nur durch eine Bewegung nach oben durch die Hakenöffnung (die Gegenrichtung, in der es eingehängt wurde) abgezogen werden kann.

Eine solche Verbindung, wie sie vorstehend beschrieben ist, genügt für eine Befestigung des Halteteils mit dem Tragteil. Durch den Klagepatentanspruch wird nicht vorgegeben, dass die Schubladenrückwand über das Halteteil in jede Richtung gegenüber der übrigen Schublade mit dem Tragteil festgelegt sein muss. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine Schubladenrückwand nicht in allen Richtungen mechanischen Beanspruchungen ausgesetzt ist. Darauf deutet auch der Begriff „Tragteil“ hin, der deutlich macht, dass die Schubladenrückwand im Grunde vom übrigen Schubladenteil getragen wird und selbst keine tragende Funktion hat. Vor diesem Hintergrund ist es unter funktionalen Gesichtspunkten nicht zwingend, dass durch ein Einrasten in alle Richtungen eine formschlüssige Verbindung hergestellt wird. Ebenso wenig ist eine unlösbare Verbindung erforderlich.

Damit ergibt sich auch, wie der Begriff Befestigungszapfen im Sinne der Lehre des Klagepatentanspruchs zu verstehen ist. Es handelt sich dabei um das Bauteil, das im Zusammenwirken mit den Befestigungsöffnungen eine Verbindung von Tragteil und Halteteil herstellt, wie sie in den vorstehenden Absätzen erläutert worden ist.

Die Beklagte kann sich für die von ihr vertretene Auslegung nicht mit Erfolg auf den in der Klagepatentschrift gewürdigten Stand der Technik berufen. Abgesehen davon, dass in der Klagepatentschrift die im Stand der Technik verwendete Rastverbindung nicht näher beschrieben wird, führt selbst der Rückgriff unmittelbar auf die EP-A-0 012 030 zu keinem anderen Ergebnis. In der EP-A-0 012 030 weisen die Tragteile Rastnasen auf, die in Ausnehmungen im Halteteil einrasten. Damit wird in der EP-A-0 012 030 durchaus eine Rastverbindung offenbart, der Begriff des Einrastens im Klagepatentanspruch ist jedoch nicht auf eine solche spezielle Rastverbindung beschränkt. Ebenso wenig kann sich die Beklagte für die von ihr vertretene Auslegung mit Erfolg auf die Beschreibung des Ausführungsbeispiels der Klagepatentschrift stützen, nach der der Befestigungszapfen „elastisch und vorzugsweise hakenförmig ausgeführt sind“ (Sp. 2 Z. 24 f der Klagepatentschrift, Anlage K 5). Denn ein Ausführungsbeispiel erlaubt regelmäßig keine einschränkende Auslegung eines die Erfindung allgemein kennzeichnenden Patentanspruchs (GRUR 2004, 1023 – bodenseitige Vereinzelungseinrichtung).

III.
Von der vorstehenden Auslegung des Klagepatentanspruchs ausgehend macht die angegriffene Ausführungsform von der geschützten technischen Lehre wortsinngemäß Gebrauch.

Unstreitig handelt es sich bei der angegriffenen Ausführungsform um einen Beschlag zur Befestigung einer Rückwand einer Schublade an Schubladenteilen (Merkmal 1), der aus einem am Schubladenteil – hier der Seitenwand – befestigbaren Tragteil und einem damit korrespondierenden, an der Rückwand der Schublade befestigbaren Halteteil besteht (Merkmal 2 und 2.2). Weiterhin sind sich die Parteien zu Recht einig, dass das Halteteil einen erfindungsgemäßen Befestigungssteg (Merkmalsgruppe 3) und einen gehäuseartigen Abschnitt mit Abschlusswand und Seitenwand (Merkmalsgruppe 4) aufweist.

Entgegen der Auffassung der Beklagten weist das Tragteil Befestigungszapfen im Sinne der Lehre des Klagepatentanspruchs auf (Merkmal 2.1), die in Befestigungslöcher des Halteteils erfindungsgemäß einrasten (Merkmale 2.2 und 3.2.2), wobei sich die Befestigungslöcher – wie vom Klagepatent gefordert – in der Seitenwand des gehäuseartigen Abschnitts befinden (Merkmal 3.2.2). Es handelt sich bei den Befestigungszapfen um die von der Beklagten als Führungselemente bezeichneten, am Tragteil angeformten hakenförmigen Bauteile. Genau genommen werden diese Befestigungszapfen jeweils durch einen waagerechten und einen dazu senkrechten Abschnitt gebildet. Die beiden Befestigungszapfen werden zunächst mittels einer Bewegung senkrecht zur Seitenwand durch zwei als Befestigungslöcher fungierende Öffnungen in der Seitenwand des Halteteils geführt, bis die Seitenwand an verschiedenen Stegen des Tragteils zur Anlage kommt. Wird das Halteteil anschließend durch eine Bewegung in senkrechter Richtung bewegt, liegt der obere Rand der Befestigungslöcher auf dem waagerechten Abschnitt der Befestigungszapfen auf. Die senkrechten Abschnitte der Befestigungszapfen hintergreifen nun die Seitenwand, die sich im Übrigen aber ober- und unterhalb der waagerechten Abschnitte erstreckt.

Das Halteteil ist damit formschlüssig mit dem Tragteil verbunden. Beide Bauteile befinden sich in einer durch den Befestigungszapfen und die Befestigungslöcher festgelegten Endposition: In seitlicher Richtung (Längsrichtung der Rückwand) wird das Halteteil durch die Anlage am Tragteil beziehungsweise den senkrechten Abschnitten der Befestigungszapfen an einer Bewegung gehindert. Eine Bewegung in Richtung Front- oder Rückseite der Schublade (Querrichtung der Rückwand) wird dadurch verhindert, dass die Seitenwand auch mit den seitlichen Rändern der Befestigungslöcher auf beiden Seiten am waagerechten Abschnitt der Befestigungszapfen anliegt. In senkrechter Richtung nach unten liegt das Halteteil mit der Seitenwand auf dem waagerechten Abschnitt der Befestigungszapfen auf. Die Rückwand ist damit über das Halteteil am Rest der Schublade mit dem Tragteil befestigt. Lediglich in senkrechter Richtung nach oben kann das Halteteil abgezogen werden. Dieser Umstand führt nach der hier vertretenen Auslegung des Klagepatentanspruchs jedoch nicht aus der Lehre des Klagepatentanspruchs heraus. Insbesondere rasten die Befestigungszapfen von außen in die Befestigungslöcher ein, da sie durch die Befestigungslöcher geführt die Seitenwand hintergreifen und dadurch zu einer formschlüssigen Verbindung führen.

Soweit die Beklagten behaupten, die Seitenwand des Halteteils liege nicht auf den Befestigungszapfen auf, ist dies unerheblich, weil sie ihren Vortrag in der mündlichen Verhandlung allein auf ein verändertes Muster eines Halteteils gestützt hat, bei dem bereits verschiedene Elemente entfernt worden waren. Im Übrigen ist es nach der Lehre des Klagepatentanspruchs aber auch nicht erforderlich, dass das Halteteil gegenüber dem Tragteil in alle Richtungen festgelegt wird. Ebenso wird durch die Lehre des Klagepatentanspruchs nicht ausgeschlossen, dass weitere Bauteile an der Befestigung von Halteteil und Tragteil mitwirken. Vor diesem Hintergrund ist es unbeachtlich, wenn tatsächlich zwischen der Oberseite der Befestigungsöffnung in der Seitenwand und dem Befestigungszapfen ein geringfügiges Spiel vorhanden sein sollte.

IV.
Die Beklagte hat den Erfindungsgegenstand benutzt im Sinne von § 9 S. 2 Nr. 1 PatG, indem sie die angegriffene Ausführungsform durch die Werbung in ihrem Prospekt auf der Messe Interzum in Köln im Jahr 2009 anbot. Aufgrund dieser Benutzung ergeben sich die nachstehenden Rechtsfolgen.

Die Beklagte ist der Klägerin gemäß Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 139 Abs. 1 PatG zur Unterlassung verpflichtet, da die Benutzung des Erfindungsgegenstands ohne Berechtigung erfolgt.

Weiterhin hat die Klägerin gegen die Beklagte dem Grunde nach einen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 139 Abs. 1 und 2 PatG, weil die Beklagte die Patentverletzung schuldhaft beging. Als Fachunternehmen hätte sie die Patentverletzung bei Anwendung der im Geschäftsverkehr erforderlichen Sorgfalt zumindest erkennen können, § 276 BGB. Es ist auch nicht unwahrscheinlich, dass der Klägerin als Inhaberin des Klagepatents durch die Patentverletzung ein Schaden entstanden ist. Das für die Zulässigkeit des Feststellungsantrags gemäß § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse ergibt sich daraus, dass die Klägerin derzeit nicht in der Lage ist, den konkreten Schaden zu beziffern und ohne eine rechtskräftige Feststellung der Schadensersatzpflicht die Verjährung von Schadensersatzansprüchen droht.

Der Klägerin steht gegen die Beklagte auch ein Anspruch auf Rechnungslegung und Auskunft aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 140b Abs. 1 PatG, §§ 242, 259 BGB zu. Der Anspruch auf Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg der angegriffenen Ausführungsform ergibt sich aufgrund der unberechtigten Benutzung des Erfindungsgegenstands unmittelbar aus § 140b Abs. 1 PatG, der Umfang der Auskunftspflicht aus § 140b Abs. 3 PatG. Die weitergehende Auskunftspflicht und die Verpflichtung zur Rechnungslegung folgen aus §§ 242, 259 BGB, damit die Klägerin in die Lage versetzt wird, den ihr zustehenden Schadensersatzanspruch zu beziffern. Die Klägerin ist auf die tenorierten Angaben angewiesen, über die sie ohne eigenes Verschulden nicht verfügt, und die Beklagte wird durch die von ihr verlangten Auskünfte nicht unzumutbar belastet.

V.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1 ZPO.

Streitwert: 250.000,00 EUR