4b O 184/10 – Escitalopram II

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 1762

Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 30. September 2011, Az. 4b O 184/10

Die einstweilige Verfügung der Kammer vom 17.09.2010 bleibt im Kostenausspruch (Ziffer IV.) aufrecht erhalten.

Die Antragsgegnerin trägt auch die weiteren Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

Die Antragstellerin ist alleinige Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 347 XXX sowie des ergänzenden Schutzzertifikats DE 103 99 XXX.5. Beide Schutzrechte betreffen den Wirkstoff Escitalopram bzw. mit diesem Wirkstoff hergestellte Arzneimittel.

Durch ein Schreiben vom 12.08.2010 (Anlage Ast 9), eingegangen bei der Antragstellerin am 13.08.2010, hat die Antragstellerin Kenntnis davon erlangt, dass die Antragsgegnerin Arzneimittel mit dem Wirkstoff Escitalopram in fertiger Tablettenform für die A GmbH, Antragsgegnerin des Verfahrens 4b O 249/10, liefert.

Am 14.09.2010 hat die Antragstellerin deshalb eine einstweilige Verfügung beantragt, woraufhin der Antragsgegnerin, nachdem die Antragstellerin die Anträge mit Schriftsatz vom 15.09.2010 konkretisiert hat, durch Beschluss der Kammer vom 17.09.2010 unter Ziffer I. untersagt worden ist, Arzneimittel mit dem Wirkstoff Escitalopram bzw. dessen nicht-toxischen Säure-Additionssalzen, einschließlich Escitalopramoxalat, in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen. Zugleich ist der Antragsgegnerin in Ziffer III. des Beschlusses – neben der unverzüglichen Rechnungslegung – aufgegeben worden, die in ihrem Besitz oder Eigentum befindlichen, unter Ziffer I. bezeichneten Erzeugnisse an einen von der Antragstellerin zu bestimmenden, örtlich zuständigen Gerichtsvollzieher zum Zwecke der vorläufigen Verwahrung herauszugeben. Der Beschluss wurde der Antragsgegnerin am 27.09.2010 zugestellt. Mit Schreiben vom 28.09.2010 erkannte die Antragsgegnerin die Verpflichtung der Ziffern I. bis III. als endgültige Regelung an.

Gegen die einstweilige Beschlussverfügung hat die Antragsgegnerin mit einem am 02.09.2011 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz Kostenwiderspruch eingelegt, mit dem sie geltend macht, keinen Anlass zur Einleitung des einstweiligen Verfügungsverfahrens gegeben zu haben. Sie habe, was zwischen den Parteien unstreitig ist, den Unterlassungsanspruch sowie die weiteren Ansprüche der Ziffern II. und III. sofort anerkannt. Auch habe sie keine Veranlassung zu einem gerichtlichen Vorgehen gegeben. Eine Abmahnung sei unstreitig nicht erfolgt, obwohl diese nicht entbehrlich gewesen. Es habe nicht die Gefahr bestanden, dass sie die angegriffenen Präparate wegschaffen würde. Entsprechende Präparate seien bei ihr weder vorhanden noch in ihrer Verfügungsgewalt gewesen. Dies habe der Antragstellerin klar sein müssen. Es handele sich auch um keine „flüchtigen Waren“ im Sinne der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf (Beschluss vom 28.10.1996, Az. 2 W 55/96). Überdies habe auch kein Vernichtungsanspruch bestanden, so dass ein entsprechender Sequestrationsanspruch nicht bestanden habe.

Die Antragsgegnerin beantragt sinngemäß,

die einstweilige Verfügung des Landgerichts Düsseldorf vom 17.09.2010 im Kostenpunkt (Ziffer IV.) dahingehend abzuändern, dass der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens auferlegt werden.

Die Antragstellerin beantragt,

den Kostenwiderspruch zurückzuweisen.

Die Antragstellerin ist der Auffassung, eine vorherige Abmahnung der Antragsgegnerin sei vorliegend entbehrlich gewesen, weil sie in ihrem Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung nicht nur Unterlassung und Rechnungslegung, sondern auch Sequestration beantragt habe. In einem solchen Fall könne eine Abmahnung grundsätzlich nicht verlangt werden, weil diese es der Gegenseite ermöglichen würde, patentverletzende Waren vor Erlass und Vollziehung der einstweiligen Verfügung zu beseitigen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und der zur Gerichtsakte gereichten Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Nachdem die Antragsgegnerin ihren Widerspruch ausdrücklich auf die Kostenentscheidung beschränkt hat, steht die materielle Berechtigung der gegen sie ergangenen Beschlussverfügung fest. Bei der infolge des Kostenwiderspruchs gegebenen Verfahrenslage ist die Antragsgegnerin ohne weiteres als in der Sache unterlegene Partei anzusehen, welche nach der allgemeinen Regelung in § 91 Abs. 1 ZPO die Kostenlast trifft.

Die Sondervorschrift des § 93 ZPO – die grundsätzlich auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes einschlägig ist (Zöller/Herget, ZPO, 28. Aufl., § 93 Rn. 6, Stichwort: Einstweilige Verfügung) – kommt vorliegend nicht zum Tragen. Die Bestimmung besagt, dass dem obsiegenden Kläger die Kosten aufzuerlegen sind, wenn der Beklagte den Klageanspruch sofort anerkennt und dem Kläger zuvor keinen Anlass zur Klageerhebung gegeben hat. Vorliegend fehlt es an der letztgenannten Voraussetzung.

Die Antragstellerin steht zu Recht auf dem Standpunkt, dass die Antragsgegnerin Veranlassung zur Einreichung des Antrages auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegeben hat.

In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass eine Abmahnung, sofern eine Sequestration zur Sicherung des Anspruchs auf Vernichtung rechtsverletzender Ware begründet geltend gemacht wird, unzumutbar ist, wenn die Abmahnung die Durchsetzung der berechtigten Ansprüche des Antragstellers vereiteln würde oder dies aus der Sicht des Antragstellers zumindest zu befürchten steht. Von einem derartigen Sachverhalt wird ausgegangen, wenn die in Verwahrung zu nehmende Sache aufgrund ihrer geringen Größe und ihrer Mobilität ohne weiteres beiseite geschafft und dadurch dem Zugriff des Gläubigers entzogen werden kann (OLG Düsseldorf, WRP 1997, 471, 472 – Ohrstecker). Wird mit dem Sequestrationsanspruch zugleich ein Unterlassungsanspruch geltend gemacht, so entfällt die Notwendigkeit einer Abmahnung nicht nur teilweise (für den Sequestrationsanspruch), sondern insgesamt, d.h. auch für den gleichzeitig eingeklagten Unterlassungsanspruch (OLGR Düsseldorf 1998, 270-272; OLG Hamburg, WRP 1988, 47; OLG Frankfurt/Main, InstGE 6, 51 – Sequestrationsanspruch).

Im Streitfall musste die Antragstellerin damit rechnen, dass sie sich durch eine vorherige Abmahnung der Antragsgegnerin der Gefahr aussetzt, dass die patentverletzenden Arzneimittel beiseite geschafft werden und der Sequestrationsanspruch dadurch vereitelt wird. Denn die streitgegenständlichen Arzneimittel konnten aufgrund ihrer Beschaffenheit ohne weiteres, d.h. insbesondere ohne übermäßig großen Logistik- und Zeitaufwand, an einen anderen Ort verbracht werden. Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt ist hierbei, worauf die Antragstellerin zu Recht verweist, der Zeitpunkt der Antragstellung, mithin eine ex-ante- und nicht – wie die Antragsgegnerin meint -eine ex-post-Betrachtung (vgl. OLG Düsseldorf, NJW-RR 1997, 1064).
Soweit die Antragsgegnerin darauf verweist, der Antragstellerin habe klar gewesen sein müssen, dass die Antragsgegnerin keine Escitalopram-Präparate mehr in ihrem Besitz oder Eigentum habe, ist ihr Vortrag nicht nachvollziehbar. Sie verweist insoweit darauf, dass der Antragstellerin auf Grund der Auskünfte der A GmbH klar gewesen sein müsse, dass im Zeitpunkt des Verfügungsantrages, d.h. ein Jahr nach dem Urteil des BGH über den Rechtsbestand des Verfügungspatentes, bei der Antragsgegnerin keine Präparate mehr hätten vorhanden sein können. Woraus sich dies ergeben soll, hat die Antragsgegnerin nicht vorgetragen. Insbesondere wurden die entsprechenden Auskünfte der A GmbH, auf welche die Antragsgegnerin in diesem Zusammenhang Bezug nimmt, nicht vorgelegt.
Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin handelt es sich bei den Escitalopram-Präparaten auch um „flüchtige Waren“, welche ohne Weiteres beiseite geschafft werden können. Die Präparate sind von ihrer Größe her nicht wesentlich größer als Ohrstecker, welche Gegenstand der Entscheidung des OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28.10.1996, Az. 2 W 55/96, waren. Für diese wurde indes entschieden, dass sie leicht beiseite geschafft werden können. Aus welchem Grunde dies für die nur unwesentlich größeren Escitalopram-Präparate nicht gelten soll, hat die Antragsgegnerin nicht vorgetragen. Der Verweis auf die Vertriebsstruktur, die auf Grund langer Rücklaufwege einem schlagartigen Beiseiteschaffen entgegen stehe, genügt insofern nicht. Die Antragsgegnerin hat zur Vertriebsstruktur keine Angaben gemacht. Im Übrigen ist auch nicht zu erkennen, aus welchem Grunde die Struktur der Vertriebswege einem Beiseiteschaffen von Präparaten geringerer Größe entgegen stehen sollte.
Auch der weitere Verweis, dass eine Gefährdung des Sequestrationsanspruches nicht bestanden habe, da der Antragstellerin ein zugrunde liegender Vernichtungsanspruch nicht zugestanden habe, überzeugt nicht. Denn aus Sicht der Antragstellerin, und auf diese kommt es bei der Beurteilung an, war das Bestehen eines Vernichtungsanspruches und damit die Gefährdung eines Sequestrationsanspruchs nicht per se ausgeschlossen. Diese hat die Auskunft der A GmbH erhalten, dass die Antragsgegnerin die streitgegenständlichen Escitalopram-Präparate vertrieben hat. Dass der Antragsstellerin zum Zeitpunkt des Verfügungsantrages bewusst gewesen sein muss, dass die Antragsgegnerin über entsprechende Präparate nicht mehr verfügt, hat die Antragsgegnerin – wie ausgeführt – behauptet, aber die Behauptung nicht durch Tatsachen unterlegt.

Die Entscheidung über die weiteren Kosten des Verfahrens folgt aus § 91 ZPO.

Der Streitwert wird wie folgt festgesetzt:

– bis zum 01.09.2011: 500.000,00 Euro,
– sodann: Kosteninteresse.