4b O 263/09 – Flaschenkasten und Herstellverfahren

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 1723

Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 7. Juni 2011, Az. 4b O 263/09

Rechtsmittelinstanz: 2 U 63/11

I.1. Die Beklagten werden verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,- EUR, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall bis zu zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an den jeweiligen Geschäftsführern zu vollziehen ist, zu unterlassen,

einen Flaschenkasten, mit einem Boden und Seitenwänden, welche mindestens aus einem ersten Kunststoff gebildet sind, wobei an den Seiten mindestens ein Bereich aus einem zweiten Kunststoff stoffschlüssig mit dem ersten Kunststoff verbunden ist, wobei der zweite Kunststoff auf den ersten Kunststoff auf- oder angespritzt ist und zwar in einem Bereich, der durch eine durch eine von der Seitenwand hervorstehende Dichtlippe gebildete umlaufende Dichtleiste begrenzt ist,

in der Bundesrepublik herzustellen, anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen.

2. Die Beklagten werden verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,- EUR, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall bis zu zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an den jeweiligen Geschäftsführern zu vollziehen ist, zu unterlassen,

Flaschenkästen gemäß Ziffer 1. in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland einzuführen oder zu besitzen, die mittels eines Verfahrens hergestellt worden sind, bei dem ein Flaschenkastenteil aus einem ersten Kunststoff hergestellt wird, dass das Flaschenkastenteil aus dem ersten Kunststoff derart zumindest teilweise in Bezug auf eine Spritzgussform angeordnet wird, dass der Flaschenkasten aus dem ersten Kunststoff einen Teil der Form für das Spritzgießen bildet und dass ein zweiter Kunststoff in den Hohlraum zwischen Spritzgussform und erstem Kunststoff eingespritzt wird, wobei der zweite Kunststoff in einem Bereich auf den ersten Kunststoff auf- oder angespritzt wird, der durch eine durch eine hervorstehende Dichtlippe gebildete umlaufende Dichtleiste begrenzt ist, die mit der Spritzgussform abdichtend abschließt und dass der Flaschenkasten nach ausreichender Härtung des zweiten Kunststoffs von der Spritzgussform getrennt wird.

II. Die Beklagten werden verurteilt, der Klägerin Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die in Ziffer I.1. und 2. bezeichneten Handlungen seit dem 11. April 2004 begangen haben, und zwar unter Angabe

a) der Herstellungsmengen und –zeiten,

b) der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,

c) der einzelnen Lieferungen aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und –preisen unter Einschluss von Typen- und Größenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer,

d) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und –preisen unter Einschluss von Typen- und Größenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,

e) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,

f) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,

– wobei den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften ihrer Angebotsempfänger und der nichtgewerblichen Abnehmer statt der Klägerin einem von dieser zu benennenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten Wirtschaftsprüfer mit Sitz in der Bundesrepublik Deutschland mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen und ihn ermächtigen und verpflichten, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Angebotsempfänger oder ein bestimmter Abnehmer in der Rechnung enthalten ist,

– wobei die Angaben zu a) bis e) nur von der Beklagten zu 1) machen sind und den Zeitraum vom 11. April 2004 bis 18. Mai 2007 betreffen,

– wobei die Angaben zu a) bis f) von den Beklagten ab dem 19. Mai 2007 zu machen sind.

III. Es wird festgestellt, dass

1) die Beklagte zu 1) der Klägerin für die zu Ziffer I.1) und 2) bezeichneten und in der Zeit vom 11. April 2004 bis zum 18. Mai 2007 begangenen Handlungen eine angemessene Entschädigung leisten hat;

2) die Beklagten der Klägerin den ihr und der F GmbH entstandenen Schaden zu ersetzen haben, der ihnen durch die zu Ziffer I.1) und 2) bezeichneten, seit dem 19. Mai 2007 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.

IV. Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits zu 90 %, im Übrigen die Klägerin.

V. Das Urteil ist für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 375.000,- Eur des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar, für die Beklagten in Höhe von 120 % des zu volltreckenden Betrages. Die Sicherheit kann auch durch die unbedingte Bürgschaft einer im Gebiet der Europäischen Union ansässigen, als Zoll- und Steuerbürgin zugelassenen Bank oder Sparkasse erbracht werden.

T a t b e s t a n d

Die Klägerin nimmt die Beklagten aus dem deutschen Patent 102 39 XXX (im Folgenden: Klagepatent), dessen eingetragene Inhaberin die B GmbH mit Sitz in C zusammen mit der D-Gesellschaft mbH, E, ist, auf Unterlassung, Rechnungslegung sowie Feststellung der Entschädigungs- und Schadenersatzpflicht in Anspruch. Die Klägerin ist eine Zweigniederlassung der eingetragenen Inhaberin des Klagepatentes. Das Klagepatent wurde am 27. August 2002 angemeldet, die Offenlegung erfolgte am 11. März 2004, die Veröffentlichung der Patenterteilung am 19. April 2007. Das Klagepatent wurde wegen einer Firmenänderung auf die F GmbH, E, sowie die B Systems GmbH, C, umgeschrieben (vgl. Anlage K 2). Die F GmbH hat die Klägerin zur Geltendmachung der Rechte aus dem Patent ermächtigt (vgl. Anlage K 16). Gegen das Klagepatent wurde am 17. Juli 2007 Einspruch eingelegt. Mit Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 2. Dezember 2008 wurde das Klagepatent eingeschränkt aufrechterhalten (vgl. Anlage K 4b). Die Beklagte zu 1) hat hiergegen Beschwerde zum Bundespatentgericht eingelegt, über die noch nicht entschieden wurde.

Das Klagepatent trägt die Bezeichnung „Zweikomponenten Kunststoffbehälter“. Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits sind die Patentansprüche 1 und 13. Die Patentansprüche 1 und 13 lauten in der eingeschränkt aufrechterhaltenen Fassung:

„Flaschenkasten, mit einem Boden (4) und Seitenwänden (3), welche mindestens aus einem ersten Kunststoff gebildet sind, wobei an den Seitenwänden (3) mindestens ein Bereich (5) aus einem zweiten Kunststoff stoffschlüssig mit dem ersten Kunststoff verbunden ist, wobei der zweite Kunststoff auf den ersten Kunststoff auf- oder angespritzt ist und zwar in einem Bereich (5), der durch eine durch eine von der Seitenwand (3) hervorstehende Dichtlippe gebildete umlaufende Dichtleiste (7) begrenzt ist.“

„Verfahren zur Herstellung eines Flaschenkastens nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass ein Flaschenkastenteil (1) aus einem ersten Kunststoff hergestellt wird, dass das Flaschenkastenteil (1) aus dem ersten Kunststoff derart zumindest teilweise in Bezug auf eine Spritzgussform angeordnet wird, dass der Flaschenkasten (1) aus dem ersten Kunststoff einen Teil der Form für das Spritzgießen bildet und dass ein zweiter Kunststoff in den Hohlraum zwischen Spritzgussform und erstem Kunststoff eingespritzt wird, wobei der zweite Kunststoff in einem Bereich (5) auf den ersten Kunststoff auf- oder angespritzt wird, der durch eine durch eine hervorstehende Dichtlippe gebildete umlaufende Dichtleiste (7) begrenzt ist, die mit der Spritzgussform abdichtend abschließt und dass der Flaschenkasten (1) nach ausreichender Härtung des zweiten Kunststoffs von der Spritzgussform getrennt wird.“

Wegen des Wortlauts der lediglich insbesondere geltend gemachten Patentansprüche 2 bis 5 sowie 8 und 10 bis 12 wird auf die Klagepatentschrift verwiesen.

Die nachfolgende einzige Figur der Klagepatentschrift zeigt ein bevorzugtes Ausführungsbeispiel der Erfindung.

Die Beklagte zu 1), deren Geschäftsführer der Beklagte zu 2) ist, steht mit der Klägerin im Wettbewerb und stellt her und vertreibt Flaschenkästen. Gegenstand der vorliegenden Klage sind die in den Anlagen K 11 bis K 15 photographisch wiedergegebenen Flaschenkästen, welche von der Beklagten hergestellt wurden und welche nachfolgend als angegriffene Ausführungsformen bezeichnet werden. Einen Flaschenkasten, welcher für G hergestellt wurde, hat die Klägerin im Griffteil aufgeschnitten, was der Anlage K 12d entnommen werden kann.

Nach Auffassung der Klägerin machen die angegriffenen Ausführungsformen von der technischen Lehre des Klagepatents wortsinngemäßen Gebrauch.

Die Klägerin beantragt daher, nachdem sie in der mündlichen Verhandlung vom 21. April 2011 den gegen den Beklagten zu 2) gerichteten Antrag auf Feststellung der Entschädigungsverpflichtung zurückgenommen und den Zeitraum der Entschädigungsverpflichtung eingeschränkt sowie den Antrag auf Rechnungslegung entsprechend beschränkt hat,

zu erkennen, wie geschehen.

Die Beklagten beantragen,

1. die Klage abzuweisen;

2. den Rechtsstreit bis zur rechtskräftigen Entscheidung über das vor dem Bundespatentgericht in der Beschwerdeinstanz anhängige Einspruchsverfahren gegen das Klagepatent DE 102 393 19 gemäß § 148 ZPO auszusetzen.

Sie stellen eine Verletzung des Klagepatentes in Abrede. Im Übrigen werde sich das Klagepatent im Einspruchsbeschwerdeverfahren als nicht rechtsbeständig erweisen. Der Gegenstand der Erfindung nach dem Klagepatent werde durch die EP 1 000 XXX (Anlage D 4) in Kombination mit der JP 0 124 71 XXX (Anlage D 9), EP 0 271 XXX (Anlage D 10), GB 2 266 XXX (Anlage D 11) oder DE 2 145 XXX (Anlage D 12) naheliegend vorweggenommen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

Die Klage ist zulässig und hat in der Sache Erfolg, da die angegriffenen Ausführungsformen die technische Lehre des Klagepatents verwirklichen.

I.
Die Klage ist zulässig. Die Klägerin ist zwar lediglich Zweigniederlassung der neben der F GmbH, E, eingetragenen Inhaberin des Klagepatentes, der B Systems GmbH, C. Ein Unternehmensträger kann jedoch unter der Firma der Zweigniederlassung klagen und verklagt werden (vgl. BGHZ 4, 65; Zöller/Vollkommer, ZPO, 28. Aufl. § 50 Rn. 26a), so dass auch die Klägerin als Zweigniederlassung der B Systems GmbH, C, zur Klageerhebung berechtigt ist. Die Klägerin wurde von der weiteren eingetragenen Inhaberin, der F GmbH, E, zur Geltendmachung der Rechte aus dem Klagepatent ermächtigt.

II.
Die Klage ist auch begründet. Die angegriffenen Ausführungsformen machen von der technischen Lehre des Klagepatentes wortsinngemäßen Gebrauch.

1.
Die Erfindung nach dem Klagepatent betrifft einen Kunststoffbehälter.

Nach der Patentbeschreibung werden Kunststoffbehälter in zahlreichen Bereichen des Lebens vielfältig eingesetzt. In der Regel ist ihre bestimmungsgemäße Aufgabe der sichere Transport von Gegenständen. So zeigen die EP 0571 XXX A1, EP 0 692 XXX sowie DE 197 31 XXX Behälter oder Träger für den Transport von Halbleiterrohlingen und die EP 571 XXX mehrteilige Kunststoffbehälter mit Lamellenstrukturen für die Rohlingaufnahme. Die EP 0 770 XXX zeigt Kästen mit zusätzlich stoffschlüssig angespritztem Kunststoff, die mit dem Problem eines unscharfen Übergangsbereichs zwischen den Kunststoffen behaftet ist. Die deutsche Druckschrift DE 197 31 XXX beschreibt schließlich, dass Lamellenstrukturen aufweisende Tragsäulen aus einem unterschiedlichen Kunststoffmaterial gefertigt sein können, welches sich von dem übrigen Material, mit dem die Seitenwände, Boden und Decke gefertigt sind, unterscheidet. Die Anbringung der Tragsäulen erfolgt dabei formschlüssig.

Die Klagepatentschrift führt weiter aus, dass neben den üblichen funktionellen Aufgaben, die derartige Kunststoffbehälter zu erfüllen haben, wie beispielsweise die sichere Aufnahme von bestimmten Gegenständen, wie z.B. Flaschen bei einem Flaschenkasten, an derartige Behälter zunehmend weitere und dadurch auch komplexere Anforderungen gestellt werden. So treten neben die ursprüngliche Aufgabe als Behältnis auch Anforderungen hinsichtlich Bedienbarkeit, Komfort bei der Handhabung sowie ästhetischem Gesamteindruck, insbesondere wenn es sich bei dem Behälter um einen Verkaufsbehälter handelt, wie dies beispielsweise auch bei Flaschenkästen der Fall ist. Hier ist es erforderlich, eine ganze Reihe von Anforderungen, die teilweise einander widerstrebend sind, gleichzeitig zu erfüllen. So sollen beispielsweise bei Flaschenkästen neben der einfachen Herstellbarkeit, der Robustheit beim Gebrauch, der sicheren Aufnahme von Flaschen usw. auch Anforderungen hinsichtlich einer guten designerischen Gestaltung und einer komfortablen Handhabung erfüllt werden, wie dies beispielsweise die bereits bekannten teilbaren Flaschenkästen hinsichtlich der Tragbarkeit erfüllen.

Das Klagepatent formuliert daher die Aufgabe (das technische Problem), einen Kunststoffbehälter mit hochwertigem Erscheinungsbild, insbesondere einen Flaschenkasten bereitzustellen, der bei Verwendung von mindestens zwei Kunststoffen, leichter Herstellbarkeit sowie ausreichender Robustheit für den Alltagsgebrauch einen höheren Komfort für den Nutzer und bessere designerische Gestaltungsmöglichkeiten erlaubt, sowie ein Verfahren zu dessen Herstellung zu schaffen.

Zur Lösung dieser Aufgabe sieht das Klagepatent in dem Patentanspruch 1 eine Vorrichtung mit folgenden Merkmalen vor:

1. Flaschenkasten mit einem Boden und Seitenwänden.

2. Boden und Seitenwände sind mindestens aus einem ersten Kunststoff gebildet.

3. An den Seitenwänden ist mindestens ein Bereich aus einem zweiten Kunststoff stoffschlüssig mit dem ersten Kunststoff verbunden.

a) Der zweite Kunststoff ist auf den ersten Kunststoff auf- oder angespritzt ist, und zwar

b) in einem Bereich, der durch eine durch eine von der Seitenwand hervorstehende Dichtlippe gebildete umlaufende Dichtleiste begrenzt ist.

In Patentanspruch 13, welcher durch die Klägerin vorliegend auch geltend gemacht wird, wird ein entsprechendes Verfahren zur Herstellung eines solchen Flaschenkastens unter Schutz gestellt.

2.
Die angegriffenen Ausführungsformen machen von den vorstehenden Merkmalen Gebrauch. Die Beklagten haben dies zwar in der Klageerwiderung in Abrede gestellt. Zu den Ausführungen der Klägerin in der Replik haben sie hingegen keine Stellung mehr genommen und auch in der mündlichen Verhandlung ohne weitere Darlegungen lediglich vorgetragen, dass eine Verletzung weiterhin bestritten werde. Eine Verwirklichung der Merkmale des Patentanspruches 1 des Klagepatentes gilt daher mangels konkreten Bestreitens gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden. Denn die Beklagten sind nach dem schlüssigen Verletzungsvorbingen der Klägerin ihrer Verpflichtung zu einem substantiierten Bestreiten der Verletzung nach dem weiteren Vorbringen der Klägerin in der Replik nicht mehr nachgekommen.

Im Übrigen liegt eine Verletzung jedoch auch vor.

Merkmal 3, welches von den Beklagten in der Klageerwiderung bestritten wurde, sieht vor, dass an den Seitenwänden mindestens ein Bereich aus einem zweiten Kunststoff schlüssig mit dem ersten Kunststoff verbunden ist. Die Beklagten meinen, eine Verletzung liege nicht vor, da bei den angegriffenen Ausführungsformen nicht verschiedene Kunststoffe, sondern nur ein Kunststoff verwendet werde, nämlich Polyethylen. Hierauf kommt es nach dem Hautpanspruch hingegen nicht an. Die Verwendung verschiedener Kunststoffmaterialen wird nicht vorausgesetzt, wie sich bereits aus dem Unteranspruch 2 ergibt. Es kommt dem Klagepatent auch aus technischen Gesichtspunkten nicht darauf an, ob verschiedene Kunststoffe verwendet werden, sondern nur darauf, dass ein erster Kunststoff den Grundkasten bildet, an dem dann der zweite Kunststoff, angespritzt wird. Die Wahl von Kunststoffen mit verschiedenen Eigenschaften wird zwar als vorteilhaft angesehen. Die Eigenschaften können jedoch auch unter Beibehaltung des gleichen Kunststoffs verändert werden.

Merkmal 3.a), welches besagt, dass der zweite Kunststoff auf den ersten Kunststoff auf- oder angespritzt ist, wird von den Beklagten insoweit in Abrede gestellt, als eine ausreichende Darlegung durch die Klägerin nicht erfolgt sei. Ein Auf- oder Anspritzen ergebe sich aus den vorgelegten Anlagen nicht. Unabhängig hiervon, ob dies schon als ausreichendes Bestreiten angesehen werden kann, hat die Klägerin in der Replik eine Verletzung des Merkmals ausreichend vorgetragen. Der zweite Kunststoff, welcher in der Anlage K 12d in silberfarben gezeigt ist, umgibt den roten ersten Kunststoff flächig. Dies genügt für ein Aufspritzen im Sinne des Klagepatentes. Dieses führt hierzu in Absatz [0007] aus, dass Aufspritzen bedeutet, dass ein dünner, flächiger, vorzugsweise auch großflächiger Auftrag des zweiten Kunststoffs in einer Art einer Beschichtung auf den ersten Kunststoff erfolgt. Hierbei wird der zweite Kunststoff in einem Bereich auf den ersten Kunststoff aufgespritzt, der durch eine hervorstehende Dichtlippe oder eine in den ersten Kunststoff hineinragende Dichtnut begrenzt wird. Eine solche Beschichtung bildet auch der zweite Kunststoff bei den angegriffenen Ausführungsformen.

Auch Merkmal 3.b), welches besagt, dass das Auf- oder Anspritzen in einem Bereich erfolgt, der durch eine von der Seitenwand hervorstehende Dichtlippe gebildete umlaufende Dichtleiste begrenzt ist, wird verwirklicht. Eine Verwirklichung liege nach Ansicht der Beklagten in der Klageerwiderung nicht vor, da unter einer Lippe der Fachmann eine elastische Dichtung mit einer bestimmten Flexibilität verstehe; die angegriffenen Ausführungsformen bestünden hingegen aus einem starren Kunststoff. Das Klagepatent setzt elastische Eigenschaften der Dichtlippe jedoch nicht voraus. Denn das Klagepatent macht hierzu keine Angaben. Hinsichtlich der Dichtleiste wird lediglich zwischen einer Dichtlippe, also einer nach außen stehenden Wulst und einer Dichtnut unterschieden, welche in den ersten Kunststoff eingreift (vgl. Absatz [0007]). Angaben zu flexiblen Eigenschaften dieser Dichtlippe, welche dem ersten Kunststoff zugehörig ist, werden nicht gemacht. Diese erfolgen erst im Zusammenhang mit der Beschreibung des zweiten Kunststoffs (vgl. Absätze [0011] bis [0013]). Erst im Rahmen der Beschreibung eines Ausführungsbeispiels [0023] wird die Funktion des Stegs 7, der Dichtleiste, näher beschrieben. Diese soll verhindern, dass der zweite Kunststoff beim Auf- oder Anspritzen über die Dichtleiste hinweg aufgetragen wird, was das äußere Erscheinungsbild stört. Elastische Eigenschaften werden hierfür jedoch nicht verlangt, so dass auch eine starre Dichtlippe wie bei den angegriffenen Ausführungsformen genügt.

III.

Da die Beklagten das Klagepatent widerrechtlich benutzt haben, sind sie der Klägerin gemäß §§ 139 Abs. 1, 9 PatG zur Unterlassung der Benutzungshandlungen verpflichtet.

Die Beklagten trifft ein zumindest fahrlässiges Verschulden. Bei Anwendung der von ihnen im Geschäftsverkehr zu fordernden Sorgfalt hätten sie die Benutzung des Klagepatents erkennen und vermeiden können. Für die Zeit nach Patenterteilung schulden die Beklagten daher Ersatz des Schadens, welcher der Klägerin und der weiteren eingetragenen Inhaberin entstanden ist und noch entstehen wird, § 139 Abs. 2 PatG. Für die Zeit nach Offenlegung der Patentanmeldung ist die Beklagte zu 1) gemäß § 33 PatG zur Leistung einer angemessenen Entschädigung verpflichtet.

Da die genaue Schadensersatz- und Entschädigungshöhe derzeit noch nicht feststeht, die Klägerin nämlich keine Kenntnis über den Umfang der Benutzungs- und Verletzungshandlungen durch die Beklagten bzw. die Beklagte zu 1) hat, hat sie ein rechtliches Interesse gemäß § 256 ZPO daran, dass die Entschädigungs- und Schadensersatzpflicht der Beklagten bzw. der Beklagten zu 1) dem Grunde nach festgestellt wird. Um die Klägerin in die Lage zu versetzen, die ihr zustehenden Ansprüche auf Entschädigung und Schadensersatz zu beziffern, sind die Beklagten verpflichtet, im zuerkannten Umfange über ihre Benutzungshandlungen Rechnung zu legen.

IV.
Für eine Aussetzung der Verhandlung besteht keine Veranlassung, § 148 ZPO.

Es besteht keine überwiegende Wahrscheinlichkeit der Vernichtung des Klagepatentes wegen Naheliegens der Erfindung auf Grundlage der in der Klageerwiderung eingewandten Druckschriftkombinationen, und zwar der JP 0 124 71 XXX (Anlage D 9, deutsche Übersetzung Anlage D9a), der EP 0 271 XXX (Anlage D 10) und der GB 2 266 XXX (Anlage D 11) in Verbindung mit der EP 1 000 XXX (Anlage D 4) oder der DE 2 145 XXX (Anlage D 12) in Verbindung mit der EP 1 000 XXX (Anlage D 4).

Die D 4 offenbart einen Flaschenkasten mit den Merkmalen 1. bis 3.a). der obigen Merkmalsgliederung.

Bei diesem Flaschenkasten wird zur Erhöhung des Tragekomforts im Bereich des Tragegriffs (9) ein zweiter Kunststoff (7) aufgespritzt, welcher eine aus einem Plastomer hergestellte Schicht bildet.

Die Beklagten meinen nun, dass eine Kombination der D 4 mit den D 9 bis D 11 sowie D 12 den Gegenstand der Erfindung nach dem Klagepatent naheliegend vorwegnehme.

a)
Hiervon ist die Kammer nicht überzeugt. Denn die D 9, D 10 und D 11 haben eine schalldämmende Gehäuseabdeckung von Bremskraftmaschinen, eine Zylinderkopfdichtung und ein Wärmeschutzelement aus Aluminium zum Gegenstand. Diese mögen zwar isoliert betrachtet, wie die kolorierten Zeichnungen der Druckschriften in der Klageerwiderung (Bl. 109 f. GA) zeigen, die Merkmale 3.a) und b) der obigen Merkmalsgliederung offenbaren, da zwei Kunststoffe aufgespritzt werden und der eine Kunststoff durch eine von der Seitenwand hervorstehende Dichtlippe begrenzt ist. Es ist jedoch nicht zu erkennen, aus welchem Grund ein Fachmann ausgehend von der D 4 einen Flaschenkasten mit einem Boden und vier Seitenwänden, welcher aus zwei Kunststoffen gebildet ist, entsprechend der D 9 bis D 11, welche einen gattungsfremden Stand der Technik beinhalten, weiterbilden würde. Als Fachmann ist ein Maschinenbauingenieur der Fachhochschule anzusetzen, der über einschlägige Erfahrungen auf dem Gebiet der Konstruktion und auch Herstellung von Flaschenkästen verfügt und dabei auch Kenntnisse über das Spritzgießen von Kunststoffen hat. Dass dieser die genannten gattungsfremden Druckschriften mit der D 4 kombinieren würde, ist nicht zu erkennen. Dass es sich bei dem Gegenstand der D 9 bis D 11 um eine allgemeingültige Lehre im Bereich der Spritzgusstechnik, insbesondere bei der Verbindung zweier Kunststoffe handelt, ist nicht dargetan, so dass dem Fachmann der Inhalt dieser Druckschriften nicht ohne weiteres bekannt ist. Entfernte Gebiete, die mit dem Gebiet der Erfindung keine technologische Berührung haben, werden vom Fachmann jedoch nicht berücksichtigt. Dies gilt ausnahmsweise dann nicht, wenn dort dieselbe Aufgabe der breiten Öffentlichkeit durch ausgedehnte Diskussionen wohlbekannt ist oder wenn es sich um einen Gegenstand des täglichen Lebens handelt (vgl. Schulte/Moufang, PatG 8. Aufl. § 4 Rn. 54). Das Vorliegen einer dieser beiden Ausnahmen ist indes nicht zu erkennen. Denn es handelt sich weder um eine der breiten Öffentlichkeit bekannte Diskussion noch um einen Gegenstand des täglichen Lebens. Die D 9 bis D 11 betreffen vielmehr Spezialbereiche, nämlich eine schalldämmende Gehäuseabdeckung von Bremskraftmaschinen, eine Zylinderkopfdichtung und ein Wärmeschutzelement aus Aluminium.

Soweit die Beklagten darauf verweisen, dass der Fachmann bei der Verbesserung einer trennscharfen Linie zwischen zwei Kunststoffen auf die aus dem Stand der Technik bekannten Dichtmaßnahmen zurückgreifen würde, vermag dies nicht zu überzeugen. Isoliert betrachtet mögen die Druckschriften die Merkmale 3.a) und b) offenbaren, auch wenn die Klägerin dies unter Herstellungs- und Funktionsbetrachtungen von der Hand weist. Die Fähigkeit des Fachmanns zur erfindungsgemäßen Lösung ist zwar notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung des Naheliegens. Entscheidend ist die Anregung oder Veranlassung zu einer solchen Lösung (vgl. BGH GRUR 2009, 746 – Betrieb einer Sicherheitseinrichtung); diese ist jedoch nicht zu erkennen. Dabei muss sich die Anregung oder Veranlassung zu der erfindungsgemäßen Lösung nicht explizit aus der Druckschrift ergeben. Nicht ausreichend ist jedoch der ausschließliche Rückgriff auf das stetige Streben des Fachmanns nach Verbesserungen. Hierzu haben die Beklagten keine Tatsachen vorgetragen. Zwar mag sich für einen Fachmann ausgehend von der D 4 das Problem der fehlenden Trennschärfe der beiden Kunststoffe ergeben. Dies erklärt jedoch nicht aus welchem Grunde der Fachmann dann auf eine völlig gattungsfremde Druckschrift zurückgreifen sollte. Dies liegt vielmehr im Rahmen der unzulässigen ex-post—Betrachtung nahe.

Ungeachtet dessen betreffen die Entgegenhaltungen auch nicht das gleiche technische Problem des sauberen Übergangs bei Aufspritzen zweier Kunststoffe. Aus der D 9 ergibt sich, dass den Werkstoffschrumpfungen beim Aushärten des harten Körpers Rechnung getragen werden soll. Durch den Wulst soll die Schrumpfung und der daraus resultierende Hohlraum geschlossen werden (vgl. Seite 3 Abs. 1 der Übersetzung). Daraus ist auch die Aufgabenstellung abgeleitet, Maßnahmen zu ergreifen, um der spaltbildenden Werkstückschrumpfung begegnen zu können. Hierbei handelt es sich um ein anderes Problem als dasjenige, welches bei der Herstellung von Flaschenkästen mit zwei Kunststoffen auftritt, da dort das Übertreten des zweiten Kunststoffes, welcher unter Druck auf den ersten aufgetragen wird, verhindert werden soll. Ein Schrumpfungsproblem entsteht hier nicht.

b)
Auch eine Kombination der D 4 mit der D 12, welche von den Beklagten in der Replik in den Rechtsstreit eingeführt wurde, begründet keine überwiegende Wahrscheinlichkeit des Naheliegens des Gegenstandes der Erfindung nach dem Klagepatent. Die D 12, welche ein Kunststoff-Bauelement mit darin fest angeordneten elastischen und/oder plastischen Ringen, Flächen oder ähnliches, vorzugsweise Bodenplatten von elektrischen Kondensatoren zum Gegenstand hat, zeigt in Figur 3

mit dem Bezugszeichen 5 eine umlaufende Hochkante wie sie bei der Herstellung einer Bodenplatte für einen elektrischen Kondensator verwendet wird, um ein unerwünschtes Beschichten der nicht hierfür vorgesehenen Flächen zu verhindern. Die Beklagten meinen nun, dass der Fachmann ausgehend von der D 4, welche einen Flaschenkasten mit den Merkmalen 1. bis 3.a) zeigt, vor die Aufgabe gestellt, einen Flaschenkasten aus Kunststoff mit einem bereichsweise aufgespritzten zweiten Kunststoff mit einer sauberen scharfen Abschlusskante für den aufgespritzten Kunststoff, der ein sauberes äußeres Erscheinungsbild gewährleistet, herzustellen, auf die D12 zurückgreifen würde, bei welcher es sich um eine Offenbarung allgemein für Kunststoff-Bauelemente handele.

Dem vermag die Kammer nicht zu folgen. Es ist wiederum nicht zu erkennen, aus welchem Grund ein Fachmann auf eine Druckschrift betreffend ein Kunststoff-Bauelement mit darin fest angeordneten elastischen und/oder plastischen Ringen, Flächen o.ä., vorzugsweise Bodenplatten von elektrischen Kondensatoren zurückgreifen sollte. Selbst wenn man – wiederum – einen Maschinenbauingenieur der Fachhochschule, der über einschlägige Erfahrungen auf dem Gebiet der Konstruktion und auch Herstellung von Flaschenkästen verfügt und dabei auch Kenntnisse über das Spritzgießen von Kunststoffen, zugrundelegt, scheint eine Kombination der beiden Druckschriften nicht nahegelegt. Denn es ist weder zu erkennen noch von den Beklagten vorgetragen worden, dass es sich bei dem Gegenstand der D 12 um eine allgemeingültige Lehre im Bereich der Spritzgusstechnik, insbesondere bei der Verbindung zweier Kunststoffe, handelt.

V.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 269 Abs. 3 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 709, 108 ZPO.

Der Streitwert beträgt 375.000,- EUR.