4b O 74/11 – Handgelenkorthese

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 1712

Landgericht Düsseldorf
Anerkenntnisurteil vom 9. Juni 2011, Az. 4b O 74/11

I. Die Beklagte wird verurteilt,

1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, die Ordnungshaft im Fall wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt 2 Jahren und zu vollziehen an den jeweiligen gesetzlichen Vertretern der Beklagten, zu unterlassen,

Handgelenkorthesen mit einer Manschette, die für den Durchtritt des Daumens geöffnet sind und die mit Stabilisierungsstäben sowie mit mindestens einem Spannband zur Fixierung der Orthese am Handgelenk versehen sind, und die zwei nebeneinander liegende Daumenöffnungen zur Aufnahme entweder des linken oder rechten Daumens aufweisen, wobei sich ein mittlerer Stabilisierungsstab zwischen den Daumenöffnungen und jeweils an deren jeweiligen Außenseiten ein seitlicher Stabilisierungsstab erstreckt,

in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zubringen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,

bei denen die Daumenöffnungen jeweils zwischen dem mittleren Stabilisierungsstab und dem jeweiligen seitlichen Stabilisierungsstab angeordnet sind, und die Stabilisierungsstäbe im Bereich ihrer Erstreckung neben den Daumenöffnungen diesen folgend dreidimensional gewölbt ausgebildet sind;

2. der Klägerin darüber Rechnung zulegen, in welchem Umfang sie die vorstehend unter Ziffer 1) bezeichneten Handlungen seit dem 9. April 2011 begangenen hat, und zwar unter Angabe

a) der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse, der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer sowie bezahlter Preise,

b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen sowie der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer einschließlich der Verkaufsstellen, für welche die Erzeugnisse bestimmt waren,

c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten, und -preisen sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,

d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,

e) der nach einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,

wobei der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger oder eine bestimmt bezeichnete Lieferung in der Aufstellung enthalten ist,

wobei die Beklagte zum Nachweis der Angaben vorstehend lit. a) und b) die entsprechenden Einkaufs- und Verkaufsbelege (Rechnungen) in Kopie vorzulegen hat, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;

3. die in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder Eigentum befindlichen, vorstehend zu Ziffer 1) bezeichneten Erzeugnisse an einen von der Klägerin zu benennenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf Kosten der Beklagten herauszugeben;

4. die vorstehend unter Ziffer 1) bezeichneten Erzeugnisse gegenüber den gewerblichen Abnehmern unter Hinweis auf den gerichtlich festgestellten patentverletzenden Zustand der Sache mit der verbindlichen Zusage zurückzurufen, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten mit der Rückgabe verbundene Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen.

II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der dieser durch die vorstehend unter Ziffer I. 1) bezeichneten, seit dem 9. April 2011 begangenen Handlungen entstanden ist sowie zukünftig noch entstehen wird.

III. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

T a t b e s t a n d
Die Klägerin ist Inhaberin des europäischen Patents EP 2 061 XXX (nachfolgend: Klagepatent). Das u.a. für Deutschland und Spanien eingetragene Klagepatent, welches Handgelenkorthesen betrifft, wurde am 28. August 2007 angemeldet. Der Tag der Veröffentlichung und der Bekanntmachung ist der 09. März 2011.

Mit Klageschrift vom 20. April 2011, der Beklagten im schriftlichen Vorverfahren am 05. Mai 2011 mit Erklärungsfrist bis zum 19. Mai 2011 zugestellt, nimmt die Klägerin die Beklagte wegen rechtswidriger Benutzung des Klagepatents auf Unterlassung, Auskunft- und Rechnungslegung, Vernichtung, Rückruf und Schadenersatzfeststellung in Anspruch.

Mit Schriftsatz vom 16. Mai 2011, bei Gericht eingegangen am 19. Mai 2011, erkannte die Beklagte unter Verwahrung gegen die Kostenlast die geltend gemachten Ansprüche vollumfänglich an. Sie führte zudem u.a. aus, seit dem 9. April 2011 die Handgelenkorthesen in der Bundesrepublik Deutschland nicht angeboten, in den Verkehr gebracht oder eingeführt zu haben. Auch habe sie die Ware seit dem 9. April 2011 nicht erhalten oder bestellt. Sofern die streitgegenständlichen Erzeugnisse bereits seit bzw. vor dem 9. April 2011 ausgeliefert worden seien, werde sie diese zurückrufen.

Die Klägerin begehrt den Erlass eines Anerkenntnisurteils, wobei die Kosten der Beklagten aufzuerlegen seien. Sie ist der Ansicht, die Kostenlast treffe die Beklagte. Diese habe durch ihr Verhalten zur Erhebung der Klage Anlass gegeben, denn sie habe in zugestandener Weise die Verletzungsgegenstände vor dem 9. April 2011 in Deutschland benutzt, obwohl sie die Klagepatentanmeldung gekannt habe oder jedenfalls hätte kennen müssen. Durch das unbefugte Gebrauchen der technischen Lehre des Klagepatents habe die Beklagte eine Wiederholungsgefahr dahingehend begründet, ihr Handeln auch am und nach dem 9. April 2011 fortzusetzen. Durch das bloße – von der Beklagten – behauptete stillschweigende Einstellen der klagepatentverletzenden Handlungen vor dem Ablauf der Karenzzeit sei die Wiederholungsgefahr nicht beseitigt worden. Eine Abmahnung ihrerseits sei nicht erforderlich gewesen. Mit einer Abmahnung hätte sie, die Klägerin, zu ihrem eigenen Nachteil eine – rechtsmissbräuchliche – Torpedoklage riskiert. Wegen der Belieferung mit den klagepatentverletzenden Handgelenkorthesen dürften der Beklagten vermutlich kaufrechtliche Regressansprüche gegen den Hersteller und Lieferanten, die in Spanien ansässige A S.L., zustehen. Dementsprechend habe sie davon ausgehen müssen, dass die Beklagte jene insofern im Fall einer außergerichtlichen Abmahnung in Anspruch nehmen würde. Eine solche Inanspruchnahme hätte aus Sicht der Klägerin die auf der Hand liegende Gefahr begründet, dass – wenn schon die Beklagte selbst von sich aus nicht eine Torpedoklage erwägt – jedenfalls die A S.L. eine Torpedoklage favorisiere und – zur Bekämpfung der kaufrechtlichen Regressansprüche – versuchen werde, die Beklagte davon zu überzeugen, sich daran zu beteiligen, möglicherweise unter Kostenübernahmezusage.

Die Beklagte ist demgegenüber der Ansicht, keinen Anlass zur Klageerhebung gegeben zu haben; eine Abmahnung sei – insoweit unstreitig – nicht erfolgt.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I.
Aufgrund des mit Schriftsatz vom 16. Mai 2011 erklärten vollumfänglichen Anerkenntnisses der Beklagten ist gem. § 307 ZPO ein Anerkenntnisurteil mit dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zu erlassen.

II.
Die Kosten des Verfahrens sind gem. § 93 ZPO der Klägerin aufzuerlegen, da die Beklagte die geltend gemachten Ansprüche sofort anerkannt und keine Veranlassung zur Klageerhebung gegeben hat.

1.
Das Anerkenntnis der Beklagten erfolgte „sofort“ im Sinne des § 93 ZPO. Die Beklagte hat im schriftlichen Vorverfahren mit Schriftsatz vom 16. Mai 2011, eingegangen am 19. Mai 2011, innerhalb der laufenden Erklärungsfrist gem. § 276 Abs. 1 S. 1 ZPO (Anzeige der Verteidigungsbereitschaft) die geltend gemachten Ansprüche vollumfänglich anerkannt.

2.
Eine Veranlassung zur Klageerhebung seitens der Beklagten ist nicht festzustellen.

Anlass zur Klage auf Unterlassung, Rechnungslegung, Rückruf, Vernichtung und Feststellung der Schadenersatzpflicht wegen Patentverletzung ist dann gegeben, wenn Tatsachen vorliegen, die im Kläger vernünftigerweise die Überzeugung oder Vermutung hervorrufen mussten, er werde ohne Klage nicht zu seinem Recht kommen (OLG Düsseldorf, InstGE 2, 237 – Turbolader II; Benkard/Rogge/Grabinski, PatG, 10. Aufl. § 139 Rn. 163; Zöller/Herget, ZPO, 28. Aufl., § 93 Rn. 3). Davon kann vorliegend nicht ausgegangen werden.

Die Patentverletzung als solche, auch wenn sie sich aus Sicht des Klägers als vorsätzlich begangene darstellt, ist keine Tatsache im ausgeführten Sinne (OLG Düsseldorf, InstGE 2, 237 – Turbolader II; Benkard/Rogge/Grabinski, PatG, 10. Aufl. § 139 Rn. 163). Aus ihr allein lässt sich nicht ohne Weiteres der Schluss ziehen, ein Verletzer werde sich allein in einem gerichtlichen Verfahren bzw. einem gerichtlichen Titel beugen. In Anbetracht dessen verfangen die Ausführungen der Klägerin zu den Handlungen der Beklagten vor dem 9. April 2011 sowie einer ihrer Ansicht nach daraus folgenden Wiederholungsgefahr bereits dem Ansatz nach nicht.

Es bedurfte vielmehr einer Abmahnung. Eine solche hat die Klägerin jedoch unterlassen.

Eine Abmahnung ist, will ein Kläger im Falle eines sofortigen Anerkenntnisses der Kostenfolge des § 93 ZPO entgehen, die Regel. Auf sie kann nur dann verzichtet werden, wenn die Abmahnung unzumutbar ist. Dies ist der Fall, wenn (a) die mit einer vorherigen Abmahnung notwendig verbundene Verzögerung unter Berücksichtigung der gerade im konkreten Fall gegebenen Eilbedürftigkeit schlechthin nicht mehr hinnehmbar ist, etwa um besonderen Schaden vom Kläger abzuwenden, oder (b) sich dem Kläger bei objektiver Sicht der Eindruck geradezu aufdrängen musste, der Verletzer baue auf die grundsätzliche Abmahnpflicht und wolle sich diese zunutze machen, um mindestens eine Zeit lang Verletzungshandlungen begehen zu können und sich gegebenenfalls nach damit erzieltem wirtschaftlichen Erfolg unter Übernahme vergleichsweise niedriger Abmahnkosten zu unterwerfen (OLG Düsseldorf, InstGE 2, 237 – Turbolader II; Benkard/Rogge/Grabinski, PatG, 10. Aufl. § 139 Rn. 163; Kühnen/Geschke, Die Durchsetzung von Patenten, 4. Aufl., Rn. 448 ff.).

Mit Blick auf die Konstellation (b) hat die Klägerin nichts vorgetragen. Es sind auch sonst keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Beklagte in der genannten Art und Weise auf die grundsätzlich bestehende Pflicht zur Abmahnung durch die Klägerin gebaut hat.

Im Ergebnis ist ebenso wenig von einer Konstellation gemäß (a) auszugehen. Zwar könnte die Gefahr einer negativen Feststellungsklage wegen angeblicher Nichtverletzung in einem anderen Mitgliedstaat, der bekanntermaßen langsamer Rechtsschutz gewährt (sog. Torpedo), grundsätzlich zu einem außergewöhnlichen Eilbedürfnis führen, wenn einem Kläger hierdurch ein besonderer Schaden entsteht (OLG Düsseldorf, InstGE 2, 237 – Turbolader II; Benkard/Rogge/Grabinski, PatG, 10. Aufl. § 139 Rn. 163). Indes hat die Klägerin weder Tatsachen vorgetragen, die die Gefahr eines Torpedos begründen, noch solche, die erkennen lassen, dass bei der Klägerin ein besonderer Schaden droht.
Zum letztgenannten Gesichtspunkt schweigt die Klägerin.
Hinsichtlich der Gefahr eines Torpedos belässt sie es bei Vermutungen, ohne Tatsachen vorzutragen, die bei objektiver Betrachtung den Schluss zuließen, die Beklagte zöge ein solches Vorgehen in Erwägung. Die Klägerin führt selbst aus, die Beklagte habe „vermutlich kaufrechtliche Regressansprüche“ gegen den in Spanien geschäftsansässigen Hersteller und Lieferanten der Handgelenkorthesen. Dass tatsächlich derartige Regressansprüche bestehen, weiß die Klägerin mithin nicht. Woher sie ihre Vermutung nimmt, erläutert sie nicht weiter. Selbst wenn derartige Regressansprüche bestünden, lässt ihr Vortrag Tatsachen vermissen, aus denen folgt, dass die Beklagte etwaige Regressansprüche zum Anlass nehmen würde, in Spanien eine negative Feststellungsklage gegen die Klägerin zu erheben. Denkbar wäre ebenso wenig lediglich ein (gerichtliches) Vorgehen nur gegen ihren Vertragspartner, die A S.L.. Die von der Klägerin vorgebrachten Vermutungen zu den Überlegungen der An S.L. und einer etwaigen Beeinflussung der Beklagten durch diese sind spekulativ. Überdies ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin die Beklagte nicht wenigstens mit einer so kurzen Frist hätte abmahnen können, dass dieser die Erhebung einer (vermuteten) negativen Feststellungsklage unmöglich gewesen wäre (OLG Düsseldorf, InstGE 2, 237 – Turbolader II). Abschließend ist zu berücksichtigen, dass das Klagepatent im Zeitpunkt der Klageerhebung erst seit ca. einem Monat in Kraft stand.

III.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 1 ZPO.

Der Streitwert des Verfahrens wird auf 250.000,00 € festgesetzt.