4a O 354/06 – Schleifprodukt

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 868

Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 10. Januar 2008, Az. 4a O 354/06

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages. Die Sicherheit kann auch durch eine unwiderrufliche, unbedingte, unbefristete und selbstschuldnerische Bürgschaft einer in der Europäischen Union als Zoll- oder Steuerbürgin anerkannten Bank oder Sparkasse erbracht werden.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt mit der Klage Unterlassung, Feststellung der Schadensersatzpflicht, Rechnungslegung und Auskunft, Vernichtung und Zahlung anwaltlicher Kosten wegen Verletzung des deutschen Teils des europäischen Patents 0 779 xxx B1 (im Folgenden: Klagepatent) durch die Beklagten. Die Klägerin, die auch unter der Bezeichnung „A“ firmiert, ist unter dieser Bezeichnung als Inhaberin des Klagepatents im Register eingetragen. Das Klagepatent wurde unter Inanspruchnahme zweier finnischer Prioritäten vom 06.09.1994 und 28.10.1994 am 05.09.1995 angemeldet und seine Erteilung am 20.05.1998 veröffentlicht. Die deutsche Übersetzung der Klagepatentschrift wurde unter der Nummer DE 695 02 xxx T2 am 10.09.1998 veröffentlicht. Das Patent steht in Kraft. Im April 2007 wurde vor dem Bundespatentgericht hinsichtlich des Klagepatents Nichtigkeitsklage erhoben, über die noch nicht entschieden wurde.

Das Klagepatent bezieht sich auf ein Schleifprodukt mit einem Tuch und einem auf dem Tuch aufgebrachten Schleifmittel. Der von der Klägerin geltend gemachte Patentanspruch 1 des Klagepatents, dessen Verfahrenssprache Englisch ist, lautet in der deutschen Übersetzung wie folgt:

1. Schleifprodukt mit: einem Tuch aus gewebten oder gestrickten Fäden (1); Fadenteilen, wie Schlaufen (3) oder Fadenenden (5), die sich auf einer Oberfläche des Tuchs befinden und aus dem Tuch hervortreten; und einem Schleifmittel, das als separate Agglomerate (4) auf die Oberfläche des Schleifprodukts mit hervortretenden Fadenteilen (3, 5) zumindest auf den hervortretenden Fadenteilen aufgebracht wird,
dadurch gekennzeichnet, dass die hervortretenden Fadenteile Schlaufen (3) oder Enden (5) der Fäden (1) des Tuchs aufweisen.

Wegen des Wortlauts des „insbesondere“ geltend gemachten Patentanspruchs 8 wird auf die Klagepatentschrift (Anlage H-E 2) verwiesen. Nachfolgend abgebildet sind zeichnerische Darstellungen bevorzugter Ausführungsformen der Erfindung, welche aus der Klagepatentschrift stammen. Figur 1 und 2 zeigen eine etwa 50-fach vergrößerte Ansicht eines Schleifprodukts jeweils im Querschnitt und in der Aufsicht. In Figur 3 und 4 sind weitere Ansichten einer Ausführungsform abgebildet.

Die Beklagte zu 1) ist die operative Hauptgesellschaft im „B-Konzern“, die weltweit auftritt. Die Beklagte zu 2) ist die operative Niederlassung der Beklagten zu 1) in der Bundesrepublik Deutschland (BRD). Beide Beklagten bieten seit Anfang April 2006 in der BRD unter der Bezeichnung „C velvet“ verschiedene Schleifprodukte an und vertreiben diese Produkte auch, die sich nur durch ihre Konfektionierungsform (Scheiben oder Streifen) und die Größe des Schleifkorns (240, 500, 600, 800, 1000, 1500, 2000, 3000, 4000) unterscheiden. In der Folgezeit brachten die Beklagten ein weiteres Schleifprodukt unter der Bezeichnung „C carat“ auf den Markt und vertreiben es in der BRD. „C carat“ verwendet das gleiche Tuch wie „C velvet“, aber ein anderes Schleifmittel. Die Schleifprodukte „C velvet“ und „C carat“ werden nachfolgend als angegriffene Ausführungsform bezeichnet.

Ein Muster einer angegriffenen Ausführungsform findet sich als Anlage B2 bei der Akte. Nachfolgend werden außerdem fotografische Abbildungen von Ausschnitten von Schleifprodukten gezeigt, von denen die Klägerin behauptet, dass sie von einer angegriffenen Ausführungsform stammen, die in der Bundesrepublik Deutschland vertrieben worden sei. Während die erste Abbildung die verschiedenen Lagen im Querschnitt zeigt, ist auf den drei weiteren Abbildungen die angegriffene Ausführungsform in einer Draufsicht in unterschiedlichen Vergrößerungen zu sehen. Die fünfte Abbildung zeigt die Schleifoberfläche in höherer Vergrößerung und die sechste Abbildung stellt eine Aufnahme der Schleifoberfläche dar, die mit einem optischen Mikroskop angefertigt wurde.

Mit Schreiben vom 19.05.2006 forderte die Klägerin – gestützt auf den selbstständigen Anspruch 4 des Klagepatents – die Beklagte zu 1) auf, bis zum 31.05.2006 eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben und bis zum 09.06.2006 die Kosten für die Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe in Höhe von 5.375,20 EUR zu zahlen. Der Anspruch 4 hat in der deutschen Übersetzung folgenden Wortlaut:

4. Schleifprodukt mit: einem Tuch aus gewebten oder gestrickten Fäden (1); Fadenteilen, wie Schlaufen (3), die sich auf einer Oberfläche des Tuchs befinden und aus dem Tuch hervortreten; und einem Schleifmittel (4), das als separate Agglomerate zumindest auf die andere, im Wesentlichen ebene Oberfläche des Tuchs aufgebracht wird,
dadurch gekennzeichnet, dass die hervortretenden Fadenteile Schlaufen (3) aus Fäden (1), die in dem Tuch enthalten sind oder Schlaufen aus Fasern (2) solcher Fäden aufweisen.

Die Beklagte zu 1) trat der Verwarnung entgegen. Von den außergerichtlichen Kosten macht die Klägerin nunmehr für die Tätigkeit eines Rechtsanwalts und eines Patentanwalts 6.196,00 EUR (jeweils 1,5 Geschäftsgebühren zuzüglich Auslagenpauschale bei einem Gegenstandswert von 250.000,00 EUR) geltend.

Die Klägerin ist der Ansicht, die angegriffene Ausführungsform mache von der technischen Lehre des geltend gemachten Klagepatentanspruchs 1 wortsinngemäß Gebrauch. Ein „Hervorstehen von Fadenteilen“ im Sinne des Klagepatentanspruchs läge auch dann vor, wenn aufgrund einer durch das Strickmuster bedingten Unebenheit des Tuches einzelne Fäden höher ständen.
Im Übrigen behauptet die Klägerin, bei dem in den Anlagen H-E 8 bis 11 abgebildeten Gewebe handele es sich um ein Schleifprodukt des Typs „C velvet“ der Beklagten, das in der Bundesrepublik Deutschland vertrieben worden sei.

Die Klägerin beantragt,

I. die Beklagten zu verurteilen,
es bei Meidung eines Ordnungsgeldes von 5 bis 250.000,00 EUR, an dessen Stelle im Falle der Uneinbringlichkeit eine Ordnungshaft bis zu 6 Monaten tritt, oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Widerholungsfall Ordnungshaft bis zu 2 Jahren, diese zu vollziehen an dem jeweiligen CEO bzw. Geschäftsführer, zu unterlassen,
Schleifprodukte
anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu gebrauchen,
die folgende Merkmale aufweisen:
• Tuch aus gestrickten Fäden;
• mit Fadenteilen, wie Schlaufen;
– die Fadenteile befinden sich auf einer Oberfläche des Tuchs;
– die Fadenteile treten aus dem Tuch hervor;
– die Fadenteile weisen Schlaufen des Tuchs auf;
• Schleifmittel;
– das Schleifmittel wird als separate Agglomerate auf die Oberfläche des Schleifprodukts mit hervortretenden Fadenteilen zumindest auf den hervortretenden Fadenteilen aufgebracht;
insbesondere Schleifprodukte der Serien „C velvet“ und „C Carat“;

II. festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, ihr allen Schaden zu ersetzen, der dieser aus Handlungen gemäß Ziffer I. seit dem 20.06.1998 entstanden ist und noch entstehen wird;

III. die Beklagten zu verurteilen, ihr in einem geordneten Verzeichnis darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die Handlungen gemäß Ziffer I. seit dem 20.06.1998 begangen haben, und zwar unter Angabe
a) der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer;
b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen und Typenbezeichnungen sowie nach Namen und Anschriften der Abnehmer;
c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen und Typenbezeichnungen sowie nach Namen und Anschriften der Angebotsempfänger;
d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet;
e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns;
wobei
– die Beklagten hinsichtlich der Angaben zu a) und b) die zugehörigen Bestellscheine, Lieferscheine und Rechnungen in Kopie vorzulegen haben;
– den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften ihrer nicht gewerblichen Abnehmer und ihrer Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten Wirtschaftsprüfer mit Sitz in der Bundesrepublik Deutschland mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen und ihn ermächtigen und verpflichten, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer bzw. Angebotsempfänger in der Rechnung enthalten ist;

IV. die Beklagte zu verurteilen, die in Ziffer I. beschriebenen Erzeugnisse zu vernichten oder nach ihrer Wahl an einen von der Klägerin bezeichneten Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf Kosten der Beklagten herauszugeben;

V. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 6.196,00 EUR nebst Zinsen nach folgender Aufstellung zu zahlen:
10.06.2006 – 30.06.2006 6,35 % p.a.
01.07.2006 – 31.12.2006 6,95 % p.a.
01.01.2007 – 30.06.2007 7,70 % p.a.
01.07.2007 – 8,19 % p.a.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen
hilfsweise Aussetzung der Verhandlung.

Die Klägerin tritt dem Aussetzungsantrag entgegen.

Die Beklagten sind der Auffassung, eine Patentverletzung sei zu verneinen. Nur solche Fadenteile würden im Sinne der patentierten Lehre hervorstehen, die über die Maschengrundstruktur des Tuches hinaus aus dem Tuch hervorständen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

A
Die Anträge zu I. bis IV. sind unbegründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagten keine Ansprüche auf Unterlassung, Schadensersatz, Rechnungslegung und Auskunft und Vernichtung aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ, §§ 139 Abs. 1 und 2, 140a Abs. 1, 140b Abs. 1 PatG, § 242 BGB. Die angegriffene Ausführungsform macht von dem geltend gemachten Anspruch 1 des Klagepatents keinen Gebrauch.

I.
Das Klagepatent schützt mit dem Patentanspruch 1 ein Schleifprodukt mit einem Tuch aus gewebten oder gestrickten Fäden und einem auf den Stoff aufgebrachten Schleifmittel.

1. Aus dem Stand der Technik bekannte Schleifprodukte wendeten verschiedene Techniken an, um zu verhindern, dass Schleifstaub das Schleifprodukt nach kurzer Zeit zusetzt und dadurch die Schleifwirkung vermindert oder gar aufgehoben wird. Das Klagepatent führt dazu aus, dass solche vorbekannten Schleifprodukte die Körnungsdichte variierten, verschiedene Arten von Bindemitteln nutzten oder eine stearinsaure Schicht aufwiesen, um eine staubabweisende Oberfläche zu erzeugen. Teilweise wurden Schleifprodukte auch gelocht, um den Staub durch die Löcher absaugen zu können. Daran ist jedoch nachteilig, dass die den Staub aufnehmenden Luftströme gering sind.
Ein weiteres vorbekanntes Schleifprodukt wies eine relativ dicke, zufällig nadelgestanzte Schicht aus Nylonfasern auf, hatte aber im Übrigen eine offene elastische Struktur. Daran kritisiert die Klagepatentschrift, dass das Verbindungsverfahren die Schleifoberfläche des ungewebten Produkts uneben und unregelmäßig macht. Die Dicke des Produkts macht es zudem sperrig und starr.
Aus der Patentschrift US 3 324 609 war ein Schleifprodukt mit einer Papierschicht bekannt, bei dem eine Schicht aus ungewebten Fasern auf einem Tuch aus gewebten Fasern befestigt wurde. Die Befestigung erfolgte mittels Fasern, die sich durch das Tuch ausdehnten und an ihrem Ende zu Klumpen verschmolzen wurden, um die Fasern am Tuch zu befestigen. Das Schleifmittel wurde auf die Schicht ungewebter Fasern aufgebracht. Nachteile an diesem Stand der Technik sah das Klagepatent unter anderem darin, dass das Schleifprodukt aufgrund der ungewebten Schicht und der zusammengeschmolzenen Klumpen relativ starr war. Die Klumpen an den Faserenden behinderten den Transport von Luft und Staub durch das Tuch.
Schließlich benennt das Klagepatent zum Stand der Technik das Patent US 4.437.269. Dieses bezog sich auf ein Schleifprodukt mit einer Papierschicht, das auf einer Seite ein Schleifmittel und auf der anderen Seite ein Gewebe trug. Die freie Oberfläche des Gewebes wies Faserschlaufen oder –enden auf, mit denen das Schleifprodukt abnehmbar an einer Trägerfläche befestigt werden konnte. Die Trägerfläche war dafür mit Haken oder pilzartigen Stiften versehen, die in die Gewebeschlaufen griffen.

2. Dem Klagepatent liegt die Aufgabe zu Grunde, ein Schleifprodukt zur Verfügung zu stellen, das wegen seines guten Widerstands gegen die Zusetzwirkung des Schleifstaubes eine deutlich längere Betriebsdauer als die bekannten Schleifprodukte besitzt. Dies soll durch den Klagepatentanspruch 1 erreicht werden, der folgende Merkmale aufweist:

Schleifprodukt:
1. mit einem Tuch aus gestrickten Fäden (1);
2. mit Fadenteilen, wie Schlaufen (3);
a) die Fadenteile befinden sich auf einer Oberfläche des Tuchs;
b) die Fadenteile treten aus dem Tuch hervor;
c) die hervortretenden Fadenteile weisen Schlaufen (3) der Fäden (1) des Tuchs auf;
3. mit einem Schleifmittel, das als separate Agglomerate (4) auf die Oberfläche des Schleifprodukts mit hervortretenden Fadenteilen (3, 5) zumindest auf den hervortretenden Fadenteilen aufgebracht wird.

Die Klagepatentschrift sieht die Vorteile der Erfindung nach Hauptanspruch 1 darin, dass das Schleifprodukt sehr flexibel ist, weil die Fadenteile aus den Fäden des Tuches selbst bestehen und keine Bindemittel zur Befestigung separater Fäden erforderlich sind. Der Schleifstaub kann leichter entfernt werden, weil das Tuch keine Bindemittel benötigt und eine offene Struktur besitzt. Dadurch dass die vorstehenden Fadenteile biegsam sind und verschiedene Teile der Agglomerate des Schleifmaterials in Kontakt zu der zu schleifenden Oberfläche treten, wird die Nutzungsdauer des Schleifprodukts verlängert und der Staubtransport unterstützt. Außerdem wird der Staubtransport verbessert, weil sich die Fäden im gewebten oder gestrickten Tuch im Verhältnis zueinander bewegen können. Schließlich hat ein solches Tuch eine elastische und ebene Oberfläche, die die Qualität der geschliffenen Oberfläche verbessert.

II.
Die technische Lehre des Anspruchs 1 des Klagepatents wird durch die angegriffene Ausführungsform nicht wortsinngemäß verwirklicht, da es an aus dem Tuch hervortretenden oder -stehenden Fadenteilen fehlt (Merkmal 2b).

1. Ein erfindungsgemäßes Schleifprodukt nach Hauptanspruch 1 besteht aus einem Tuch, aus Fadenteilen auf der Oberfläche des Tuchs und einem Schleifmittel, das auf die Seite des Tuchs mit den Fadenteilen aufgebracht wird. Der Begriff der Fadenteile wird im Klagepatentanspruch näher beschrieben als „Schlaufen“ oder „Fadenenden“. Mit Blick auf Merkmal 2c) handelt es sich also um Abschnitte von den Fäden, aus denen das Tuch gewebt beziehungsweise gestrickt ist.

2. In räumlicher Hinsicht befinden sich die Fadenteile auf einer Oberfläche des Tuchs (Merkmal 2a) und treten oder stehen aus dem Tuch hervor (Merkmal 2b). Der Fachmann schließt aus dem Begriff „hervortreten aus dem Tuch“, dass die Fadenteile, welche die Schlaufen bilden, nicht mit dem Tuch identisch sind, sondern sich über die durch das Web- oder Strickmuster erzeugte Oberfläche des Tuchs hinaus erheben. Der von der Klägerin geäußerten Ansicht, für ein Hervortreten oder Hervorstehen der Fadenteile aus dem Tuch reiche es aus, wenn das Tuch selbst aufgrund der Wahl der Maschenstruktur uneben oder wellig sei, kann nicht gefolgt werden.
a) Dabei kann zunächst dahinstehen, ob der in der maßgeblichen englischen Anspruchsfassung verwendete Begriff „projecting“ mit „hervortreten“ oder „hervorstehen“ zu übersetzen ist. Während im ersten Fall eine die Richtung angebende Bedeutung betont wird („woher“ oder „wohin“), wird im zweiten Fall auf den örtlichen Bezug („wo“) abgestellt. In beiden Fällen kommt die der englischen Anspruchsfassung „projecting from the cloth“ zugrunde liegende Bedeutung zum Ausdruck, dass die Fadenteile mit dem Tuch keine Einheit bilden, sondern über das Tuch hinaus ragen, weil sie aus dem Tuch hervortreten („wohin“) oder -stehen („wo“).
b) Bereits die Anordnung im Patentanspruch, dass sich die Fadenteile auf der Oberfläche des Tuchs („on one surface of the cloth“) befinden, deutet darauf hin, dass das Web- oder Strickmuster des Tuchs eine Oberfläche bildet, von der die erfindungsgemäß hervorstehenden oder hervortretenden Fadenteile begrifflich und räumlich zu unterscheiden sind. Der Wortlaut „aus dem Tuch hervorstehen/-treten“ beziehungsweise „projecting from the cloth“ macht deutlich, dass die Fadenteile („Schlaufen“) nicht mit dem Tuch identisch sind, sondern sich über die durch das Web- oder Strickmuster erzeugte Oberfläche des Tuchs hinaus erheben müssen. Das Ende eines Fadens tritt also dann aus dem Tuch hervor, wenn es sich in einem gewissen Abstand zu den Maschen, Unterlegungen und Überlegungen des Strickmusters befindet. Wird das Fadenteil hingegen durch eine Schlaufe gebildet, tritt diese aus dem Tuch hervor, wenn das Fadenteil länger ist, als es zum Beispiel für eine Masche oder Unerlegung erforderlich ist und dadurch eine Schlaufe entstehen kann, die über die gewebte oder gestrickte Struktur des Tuches hinaus hervorsteht.
c) Neben dem Wortlaut sind bei der Auslegung eines Patentanspruchs gemäß Art. 69 Abs. 1 EPÜ die Beschreibung und die Zeichnungen zu berücksichtigen. Dabei dient die Auslegung nicht nur zur Behebung etwaiger Unklarheiten in den Patentansprüchen, sondern auch zur Klarstellung der in den Patentansprüchen verwendeten technischen Begriffe sowie zur Klärung der Bedeutung und der Tragweite der dort beschriebenen Erfindung (BGHZ 105, 1 (11) – Ionenanlyse).
Die Darstellung des Stands der Technik in der Klagepatentschrift stützt bereits die vorstehende Auslegung des Patentanspruchs. Der nächstkommende Stand der Technik wird durch die US 3 324 609 beschrieben. Es handelt sich dabei laut Klagepatentschrift um ein Schleifprodukt, das zwei Gewebelagen aufweist. Die eine Schicht besteht aus ungewebten Fasern, die auf einem Tuch aus gewebten Fasern befestigt wird. Die Befestigung erfolgt mittels Erhitzung von Fasern, so dass sich an den Enden Klumpen bilden. Der Gegenstand des Klagepatents unterscheidet sich von diesem Stand der Technik dadurch, dass die beiden Schichten nicht aus verschiedenen, noch miteinander zu verbindenden Geweben beziehungsweise Fasern bestehen, sondern aus denselben Fäden. Dies ergibt sich aus dem Merkmal 2c) des Klagepatentanspruchs. Mit dem Gegenstand des Klagepatentanspruchs wird hingegen der aus dem Stand der Technik bekannte zweischichtige Aufbau des Schleifprodukts nicht aufgegeben. Vielmehr kritisiert die Klagepatentschrift an dem aus der US 3 324 609 bekannten Stand der Technik lediglich, dass das Schleifprodukt unter anderem wegen der Klumpen an den Enden der Fasern eher starr sei und stellt anschließend ausdrücklich fest, dass man ein flexibleres Schleifprodukt erhalte, wenn die hervortretenden Teile aus den Fasern gebildet werden, aus denen das Tuch hergestellt ist (S. 4 Zeile 15-17 der Anlage H-E 3; die nachfolgenden Textstellen beziehen sich alle auf die Anlage H-E 3). Dies weist deutlich darauf hin, dass auch bei erfindungsgemäßen Ausführungsformen von Schleifprodukten zwei Schichten vorhanden sein müssen: zum einen das Tuch selbst und zum anderen die daraus hervorstehenden Fadenteile, wobei letztere aus den Fäden bestehen, aus denen auch das Tuch gebildet wird.
d) Die vorstehende Auslegung des Patentanspruchs 1 wird weiterhin dadurch bestätigt, dass die Klagepatentschrift zwischen der lockeren Struktur des Tuches und den aus diesem Tuch hervorstehenden Fadenteilen unterscheidet. In der Beschreibung des Klagepatents wird ausgeführt, dass die Fadenteile biegsam sind und ihre Position im Verhältnis zum Tuch veränderlich ist (S. 4 Zeile 2 und S. 13 Zeile 11-12). Der Fachmann erkennt, dass die aus dem Tuch hervortretenden Fadenteile von der räumlichen Struktur des Web- oder Strickmusters eines Tuches zu unterscheiden sind, da sie „im Verhältnis zum Tuch“ (a.a.O., vgl. auch S. 9 Zeile 1-3) biegsam sind und insofern eine räumliche und begriffliche Abgrenzung von Fadenteilen und Tuch erfolgt. Dagegen ist an einigen anderen Stellen in der Klagepatentschrift (S. 4 Zeile 7-9, S. 10 Zeile 17-19 und Zeile 32-34, S. 11 Z. 11 ff und S. 13 Zeile 17-20) die Rede von der Beweglichkeit der Fäden im Tuch im Verhältnis zueinander – im Gegensatz zur Biegsamkeit der Fadenteile im Verhältnis zum Tuch. Diese Beweglichkeit der Fäden im Verhältnis zueinander ist aber nicht auf das Hervorstehen der Fadenteile zurückzuführen, sondern auf die lockere und elastische Struktur eines gewebten oder gestrickten Tuches, die wiederum dadurch bedingt ist, dass das Schleifprodukt im Unterschied zur vorbekannten US 3 324 609 aus einem einheitlichen Gewebe ohne Bindemittel besteht. Die Klägerin behauptet selbst nicht, dass Fäden, die aufgrund der räumlichen Struktur des Strickmusters über anderen Fäden verlaufen, in sich biegsam und im Verhältnis zum Tuch beweglich sind. Sie sind vielmehr Teil des Tuches und im Verhältnis zu den anderen Fäden des Tuches beweglich. Sie treten aber nicht im Sinne der Lehre des Klagepatentanspruchs aus dem Tuch hervor.
e) Mit dieser Unterscheidung zwischen biegsamen, im Verhältnis zum Tuch beweglichen Fadenteilen und im Verhältnis zueinander beweglichen Fäden des Tuchs sind auch funktionale Unterschiede verbunden. Infolge der Biegsamkeit hervorstehender Fadenteile können verschiedene Teile der Agglomerate des Schleifmaterials mit der zu schleifenden Oberfläche in Kontakt kommen, wenn während des Schleifvorgangs die Richtung oder die Größe der Schleifkraft geändert wird (S. 4 Zeile 2-5 und S. 13 Zeile 8-14). Hingegen sorgt die Beweglichkeit der Fäden im Verhältnis zueinander dafür, dass der Schleifstaub besser durch das Tuch hindurch befördert wird (S. 13 Zeile 17-20). Dem widerspricht es nicht, wenn es in der Klagepatentschrift heißt, „in den Ausführungsformen der Figuren 10, 11 und 12 ist es das lockere Gewebe, das es ermöglicht, dass sich die Agglomerate und die Fäden des Tuchs bewegen“ (S. 13 Zeile 26-28). Denn diese Ausführungsbeispiele beschreiben Schleifprodukte mit hervorstehenden Fadenteilen (Figur 10 und 11) oder mit Knoten (Figur 12), die nicht in sich biegsam, sondern starr sind (z.B. S. 10 Zeile 29). Da aber das Tuch locker ist und die Fäden des Tuchs im Verhältnis zueinander beweglich sind, können sich auch die auf der Tuchoberfläche befindlichen Agglomerate des Schleifmittels bewegen.
f) Eine andere Auslegung kann nicht damit begründet werden, dass nach der Klagepatentschrift für den Transport des Staubs nach außen ein Spalt erforderlich ist. Dieser Spalt kann nach der Klagepatentschrift von den Fadenteilen zwischen der zu schleifenden Oberfläche und dem Tuch gebildet werden (S. 12 Zeile 12) oder zwischen dem Tuch und der Trägerfläche liegen (S. 4 Zeile 35 und S. 10 Zeile 11). Die Klägerin ist der Ansicht, ein solcher Spalt könne auch durch Fadenteile hervorgerufen werden, die in die Maschenstruktur eines Tuchs mit einer unebenen Oberfläche eingebettet sind, aber erhöht im Tuch liegen. Diese Ansicht lässt außer acht, dass die hervorstehenden Fadenteile in sich biegsam sein müssen und gerade deswegen dafür sorgen, dass die Agglomerate des Schleifmittels jeweils mit verschiedenen Seiten in Kontakt mit der zu schleifenden Oberfläche treten. Dass dies auch durch Fadenteile möglich ist, die nur im Verhältnis zueinander beweglich sind, ergibt sich weder aus der Klagepatentschrift, noch wird dies vorgetragen. Fadenteile stehen daher nur dann aus dem Tuch hervor, wenn sie über die durch das Strickmuster entstandene räumliche Struktur hinausgehen und zu dieser ein gewisser Abstand besteht.
g) Diese Auslegung des Klagepatentanspruchs wird weiterhin durch die Art und Weise der Herstellung der hervortretenden Fadenteile – hier der Schlaufen – bestätigt. In der Patentbeschreibung heißt es, die Schlaufen könnten auch in Verbindung mit dem Weben oder Stricken des Tuchs hergestellt werden. Üblicherweise werden die Schlaufen jedoch gebildet, nachdem das Tuch hergestellt wurde, z.B. durch Anheben, Kardieren oder Bürsten der entsprechenden Oberfläche des Tuchs (Seite 8 Zeile 2-6). Der Herstellungsvorgang ist also darauf gerichtet, dass die hervortretenden Fadenteile über die räumliche Struktur des Tuches hinausragen und aus dem Tuch hervorstehen. Dieser Effekt muss auch dann erreicht werden, wenn die Schlaufen in Verbindung mit dem Web- oder Strickvorgang gebildet werden. Anders lässt sich nicht erklären, dass die Schlaufen „üblicherweise“ nach der Herstellung des Tuches gebildet werden. Daher greift die Ansicht der Klägerin nicht durch, die Möglichkeit, hervorstehende Fadenteile auch beim Web- oder Strickvorgang herstellen zu können, spreche dafür, dass hervorstehende Fadenteile bereits allein durch die räumliche Struktur des Tuches gebildet werden.
h) Weiterhin wird die vorstehende Auslegung des Klagepatentanspruchs durch die Ausführungsbeispiele mit den zugehörigen Abbildungen bestätigt. Diese zeigen jeweils Schleifprodukte, bei denen Fadenteile – Schlaufen oder Fadenenden – aus dem Tuch hervortreten und sich über die durch die Maschen bedingte räumliche Struktur des Tuches erheben. Deutlich wird dies vor allem in den Figuren 1, 3, 5-8, 10 und 11 (vgl. Anlage H-E 3). Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Figur 2 kein Beleg dafür, dass bereits die durch Web- oder Strickmaschen bedingte räumliche Struktur eines Tuches der Lehre des Klagepatents genügt und allein aufgrund des Strickmusters Fadenteile aus dem Tuch im Sinne der erfindungsgemäßen Lehre „hervorstehen“. Denn die Klagepatentschrift führt zur Figur 2 aus, „eine oder mehrere Fasern 2 der Fäden treten an einigen Punkten über die Fäden hervor und bilden gekrümmte Schlaufen 3, die aus dem Tuch hervortreten“ (S. 7 Zeile 34 – S. 8 Zeile 2). Die Fäden des Tuches bestehen also aus mehreren Fasern (S. 7 Z. 30) und einzelne dieser Fasern treten an einigen Punkten aus den Fäden hervor und bilden die Schlaufen. Dies wird vor allem aus der Figur 1 erkennbar, die einen Querschnitt des in der Figur 2 in der Aufsicht abgebildeten Schleifprodukts zeigt. Dies gilt gleichermaßen für die Figuren 4 und 9 (vgl. S. 7 Zeile 10-20).
Die Figur 12 hingegen zeigt keine Fadenteile, die aus dem Tuch hervorstehen, und stellt daher kein erfindungsgemäßes Ausführungsbeispiel dar. Sie kann nicht die von der Klägerin vertretene Auslegung des Klagepatentanspruchs begründen. Zwar sind zur Auslegung eines Patentanspruchs die Beschreibung und die Zeichnungen heranzuziehen. Doch kann aus ihnen kein Gegenstand hergeleitet werden, der sich nicht aus dem Inhalt der Patentansprüche in ihrer Auslegung durch Beschreibung und Zeichnung ergibt (vgl. BGHZ 150, 149 – Schneidmesser). Die Klagepatentschrift führt zur Figur 12 aus, dass das Schleifmittel 4 auf einer Oberfläche des Tuchs auf die vorstehenden Teile der Knoten aufgebracht ist (S. 11 Zeile 17-19). Diese Beschreibung trägt dem Umstand Rechnung, dass jedes Tuch eine räumliche Struktur hat, insbesondere wenn es Knoten aufweist. An keiner Stelle wird aber beschrieben, dass diese Knoten oder Teile davon im Sinne der Lehre des Klagepatentanspruchs aus dem Tuch hervorstehen. Vielmehr heißt es in der weiteren Beschreibung, in den Ausführungsformen der Figuren 10, 11 und 12 ist es das lockere Gewebe, das es ermöglicht, dass sich die Agglomerate und die Fäden des Tuchs bewegen (S. 13 Z. 26-28). Die Klagepatentschrift nimmt hier wieder die Unterscheidung auf zwischen Fadenteilen, die im Verhältnis zum Tuch beweglich sind, und Fäden im Tuch, die zueinander beweglich sind (s.o., lit. d). Das in Figur 12 dargestellte Ausführungsbeispiel weist ausweislich dieser Textstelle also lediglich ein lockeres Gewebe auf, das eine Beweglichkeit der auf den Knoten angebrachten Agglomerate ermöglicht. Fadenteile im Sinne der Lehre des Klagepatentanspruchs 1, die aus dem Tuch hervortreten und im Verhältnis zum Tuch biegsam sind, werden in der Figur 12 nicht dargestellt.
i) Die Auslegung des Klagepatentanspruchs 1 und insbesondere des Begriffs „Hervortreten aus dem Tuch“ wird weiterhin durch den Wortlaut des Nebenanspruchs 4 gestützt. Dieser hat ebenfalls ein Schleifprodukt mit einem Tuch aus gewebten oder gestrickten Fäden zum Gegenstand, mit „Fadenteilen, wie Schlaufen (3), die sich auf einer Oberfläche des Tuches befinden und aus dem Tuch hervortreten; und einem Schleifmittel (4), das als separate Agglomerate zumindest auf die andere, im Wesentlichen ebene Oberfläche des Tuchs aufgebracht wird (…).“ Die Klagepatentansprüche gehen selbst davon aus, dass ein Tuch durch das Web- oder Strickmuster bedingte Unebenheiten aufweist, da nach dem Nebenanspruch 4 eine Seite des Schleifprodukts eine „im Wesentlichen ebene Oberfläche“ aufweist (vgl. auch S. 10 Zeile 11). Gleichwohl sieht die Klagepatentschrift trotz dieser räumlichen Struktur in den durch das Strickmuster bedingten Erhöhungen – wie zum Beispiel Unter- oder Überlegungen – kein „Hervorstehen“ oder „Hervortreten.“ Denn laut Nebenanspruch 4 weist die andere, also die nicht „im Wesentlichen ebene Oberfläche“ hervortretende Fadenteile auf. Diese dienen jedoch nicht der Aufnahme des Schleifmaterials, sondern als Mittel zur lösbaren Befestigung an einer Trägerfläche. Die Patentbeschreibung führt dazu aus, die Trägerfläche weise zum Beispiel Stifte mit einem Kopf auf, mit denen das Schleifprodukt befestigt werden kann (S. 9 Zeile 14-15). Dies ist auch in Figur 5 der Klagepatentschrift dargestellt. Eine solche Befestigung mit Stiften oder auch mit Haken, wie sie aus der US 4 437 269 bekannt waren, setzt technisch voraus, dass die Schlaufen aus dem Tuch selbst hervortreten, damit die Haken oder Stifte in diese Schlaufen greifen können. Eine Befestigung ist jedoch nicht möglich, wenn die Schlaufen durch die räumliche Struktur des Web- oder Strickmusters bedingt sind und sich vom Tuch nicht abheben.
Die Klägerin kann dagegen nicht einwenden, der Nebenanspruch 4 habe einen anderen Gegenstand und seine Auslegung sei auf den Klagepatentanspruch 1 nicht übertragbar. Denn in der gesamten Klagepatentschrift einschließlich der Ansprüche wird unterschiedslos dieselbe Begrifflichkeit verwandt und von „Fadenteilen, die aus dem Tuch hervortreten“ gesprochen. Es besteht kein Anlass, bei einem solchen Wortlaut zu unterschiedlichen Auslegungsergebnissen zu gelangen.
Schließlich steht dieser Auslegung des Klagepatentanspruchs auch nicht entgegen, dass in der Klagepatentschrift ausgeführt wird, „ein auf diese Weise erzeugtes Tuch“ – d.h. durch Weben oder Stricken – habe „eine elastische und ebene Oberfläche“ (S. 4 Zeile 10). Daraus allein kann nicht gefolgert werden, dass Fadenteile im Sinne der technischen Lehre des Klagepatents auch dann hervorstehen, wenn es sich um Erhebungen handelt, die allein durch das Strickmuster bedingt sind. Denn mit der zitierten Textstelle werden die Vorteile der erfindungsgemäße Lehre gegenüber der aus dem Stand der Technik bekannten nadelgestanzten Schicht aus Nylonfasern herausgestellt. Eine Aussage über den Begriff „hervorstehen“ ist damit nicht verbunden.

3. Vor diesem Hintergrund macht die angegriffene Ausführungsform von der technischen Lehre des Anspruchs 1 des Klagepatents keinen wortsinngemäßen Gebrauch. Denn die angegriffene Ausführungsform weist keine Fadenteile wie Schlaufen oder Enden von Fäden auf, die aus dem Tuch hervortreten.
a) Es kann dahinstehen, ob es sich bei den Ausführungsformen, wie sie aus den Anlagen H-E 8 bis H-E 11 ersichtlich sind und die Gegenstand des von der Klägerin eingeholten Privatgutachtens (Anlage H-E 13) waren, tatsächlich um die von den Beklagten vertriebenen Schleifprodukte „C velvet“ und „C carat“ handelt. Denn unstreitig handelt es sich um ein gestricktes Tuch, dass aus einer Kombination von Trikot- und Satin-Maschen gefertigt ist. Die Klägerin ist der Ansicht, bei den Unterlegungen der Trikot-Maschen – d.h. den Fadenabschnitten, die jeweils zwei Trikot-Maschen verbinden – handele es sich um hervorstehende Fadenteile, weil sie über drei Unterlegungen der Satin-Maschen geführt würden und dadurch erhöht seien. Es bilde sich ein Zick-Zack-Muster. Aus der Aufnahme mit dem optischen Mikroskop (Anlage H-E 11) sei die dreidimensionale Struktur deutlich sichtbar.
Nach diesem Vortrag handelt es sich bei den erhöhten Fadenteilen jedoch um ein Zick-Zack-Muster, dass allein durch das Strickmuster bedingt ist. Die Unterlegungen der Trikot-Maschen sind notwendige Bestandteile des Strickmusters und damit Teil des Tuches. Sie stehen nicht im Sinne der Lehre des Klagepatents aus dem Tuch hervor, da sie lediglich die Trikot-Maschen verbinden. Die Fadenteile sind in die Oberflächenstruktur des Tuchs eingebettet. Etwas anderes trägt auch die Klägerin nicht vor. Es mag insofern durchaus sein, dass das Tuch eine offene netzartige Struktur aufweist. Aber diese Struktur geht allein auf die Tatsache zurück, dass es sich um ein gestricktes Tuch handelt. Bloß weil die offenen Zwischenräume dieses Tuchs von Fadenteilen wie Maschen und Unterlegungen umgeben sind, folgt daraus noch nicht, dass diese Fadenteile aus dem Tuch hervorstehen.
b) Die Klägerin kann nicht dagegen einwenden, die angegriffene Ausführungsform entspreche der Figur 2 der Klagepatentschrift, da auch die Figur 2 ein Strickmuster aus Satin- und Trikot-Maschen schematisch darstelle. Zum einen ist nicht erkennbar, ob die Darstellung tatsächlich einem Strickmuster aus Satin- und Trikot-Maschen entspricht. Zum anderen führt die Klagepatentschrift zur Figur 2 aus, „eine oder mehrere Fasern 2 der Fäden treten an einigen Punkten über die Fäden hervor und bilden gekrümmte Schlaufen 3, die aus dem Tuch hervortreten“ (S. 7 Zeile 34 – S. 8 Zeile 2). Figur 2 belegt daher nicht, dass bereits ein Strickmuster aus Satin- und Trikot-Maschen der Lehre des Klagepatents genügt und allein aufgrund des Strickmusters Fadenteile aus dem Tuch im Sinne der erfindungsgemäßen Lehre hervorstehen würden. Vielmehr bestehen die Fäden des Tuches aus mehreren Fasern (S. 7 Z. 30) und einzelne dieser Fasern treten an einigen Punkten aus den Fäden hervor und bilden die Schlaufen. Dies wird aus der Figur 1 deutlich, die einen Querschnitt des in der Figur 2 abgebildeten Schleifprodukts zeigt.
c) Unbeachtlich ist, dass die Beklagten mit der dreidimensionalen Struktur ihrer Schleifprodukte werben. Zum einen bezieht sich die Werbeaussage auf den dreischichtigen Aufbau der von den Beklagten vertriebenen Schleifprodukte (vgl. H-E 1). Zum anderen sagt der Begriff „dreidimensional“ nichts darüber aus, inwiefern Fadenteile im Sinne der Lehre des Klagepatents hervorstehen.

B.
Der Klageantrag zu V. ist unbegründet.

Die Klägerin hat gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung von 6.196,00 EUR aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 139 Abs. 2 PatG oder aus §§ 683 S. 1, 670 BGB.

Ein Anspruch auf Ersatz der durch die Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe entstandenen Kosten aus § 139 Abs. 2 PatG ist zu verneinen, weil die Beklagten die patentierte Erfindung nicht benutzt haben. Das gilt sowohl im Hinblick auf den mit der Klage geltend gemachten Klagepatentanspruch 1, aber auch für den Nebenanspruch 4, auf den die Klägerin ihre Verwarnung stützt. In beiden Fällen fehlt es bei der angegriffenen Ausführungsform an Fadenteilen, die aus dem Tuch hervorstehen. Zur Begründung wird auf die Ausführungen unter A verwiesen, die den Klagepatentanspruch 1 betreffen. Hinsichtlich des Nebenanspruchs 4 wird eine rechtswidrige Benutzung der Erfindung von der Klägerin nicht behauptet. Da die Beklagten die patentierte Erfindung nicht benutzten, erfolgte die Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe nicht im Interesse und im mutmaßlichen Willen der Beklagten, so dass Ansprüche aus §§ 683 S. 1, 670 BGB ebenfalls nicht begründet sind.

Schließlich hat die Klägerin mangels Zahlungsforderung gegen die Beklagten auch keinen Anspruch auf Zahlung von Zinsen aus §§ 280 Abs. 1 und 2, 286 BGB.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.

Streitwert: 506.196,00 EUR
– 500.000,00 EUR für die Anträge zu I. bis IV., da abweichend von der ursprünglichen Klage mit einem Streitwert von 250.000,00 EUR eine weitere Ausführungsform („C carat“) angegriffen worden ist
– 6.196,00 EUR für den Antrag zu V.