4a O 53/13 – Nevirapin

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 2115

Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 22. Oktober 2013, Az. 4a O 53/13

Die einstweilige Verfügung vom 19.06.2013 wird im Kostenpunkt (Ziff. IV.) aufrecht erhalten.

Die weiteren Kosten des Verfügungsverfahrens werden der Verfügungsbeklagten auferlegt.

Tatbestand:

Die Verfügungsklägerinnen sind eingetragene Inhaberinnen des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten ergänzenden Schutzzertifikats DE 199 75 XXX.3 für den Wirkstoff Nevirapin, einem Wirkstoff zur Vorbeugung und Behandlung von Infektionen mit dem HIV-1-Virus. Zudem waren sie auch Inhaberinnen des Grundpatents (EP 0 429 XXX B1).

Die Verfügungsbeklagte hat eine Arzneimittelzulassung für ein Präparat mit dem Wirkstoff Nevapirin (D 200 mg Tabletten). Es handelt sich um eine generische Zulassung, die unter Bezugnahme auf das Referenzarzneimittel A® der Verfügungsklägerinnen beantragt und erteilt wurde.

Nachdem die Verfügungsbeklagte ihr Nevapirin zur Lauertaxe mit dem Erscheinungsdatum 15.06.2013 angemeldet, ihr Präparat zum 10.06.2013 in die ABDA Datenbank hat aufnehmen lassen und zudem der B C AG Düsseldorf angeboten hat, haben die Verfügungsklägerinnen mit Schriftsatz vom 18.06.2013 bei der Kammer ohne vorherige Abmahnung den Erlass einer einstweiligen Verfügung beantragt.

Die Kammer hat der Verfügungsbeklagten daraufhin mit Beschlussverfügung vom 19.06.2013 unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel untersagt,

a. Arzneimittel mit dem Wirkstoff Nevirapin in der Bundesrepublik Deutschland vor dem 24.06.2013 anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,

b. Bestellungen und/oder Vereinbarungen für die Lieferung des Arzneimittels „Nevirapin D 200mg Tabletten“ auszuführen, welche sie in der Bundesrepublik Deutschland vor dem 24.06.2013 veranlasst hat, einschließlich Bestellungen aufgrund einer mit der B C AG, Düsseldorf, infolge der Zuschlagsentscheidung dieser Gesellschaft vom 11.06.2013 abgeschlossenen Rahmenvereinbarung.

Darüber hinaus hat die Kammer den Antragsgegnerinnen in dieser Beschlussverfügung aufgegeben,

a. den Antragstellerinnen unverzüglich schriftlich und vollständig Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie die unter I. bezeichneten Handlungen seit dem 17.11.2010 begangen hat, und zwar durch Vorlage eines Verzeichnisses mit folgenden Angaben,

– Menge, Zeitpunkt und Einkaufspreise der erhaltenen und bestellten Erzeugnisse sowie der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,

– einzelne Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Lieferungen, Lieferzeiten und Einkaufspreisen sowie Namen und Anschriften der jeweiligen Abnehmer,

und unter Beifügung von Belegen in Form von gut lesbaren Kopien von sämtlichen Lieferscheinen, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;

b. die im Besitz oder Eigentum der Antragsgegnerin befindlichen, unter I. bezeichneten Erzeugnisse an einen von den Antragstellerinnen zu bestimmenden örtlich zuständigen Gerichtsvollzieher zum Zwecke der vorläufigen Verwahrung herauszugeben, die andauert, bis über das Bestehen eines Anspruchs der Antragstellerinnen auf Vernichtung der genannten Erzeugnisse eine einvernehmliche Einigung der Parteien herbeigeführt oder eine rechtskräftige Entscheidung ergangen ist.

Unter Ziffer IV. der Beschlussverfügung hat die Kammer der Verfügungsbeklagten die Kosten des Verfügungsverfahrens auferlegt.

Gegen diese Beschlussverfügung hat die Verfügungsbeklagte mit Schriftsatz vom 16.07.2013 Kostenwiderspruch eingelegt.

Nach Auffassung der Verfügungsbeklagten hätte es einer vorherigen Abmahnung durch die Verfügungsklägerinnen bedurft, um der Kostenfolge des § 93 ZPO zu entgehen. Insbesondere bestehe das Abmahnerfordernis auch bei Sequestrationsansprüchen. Andernfalls würden Schutzrechtsinhaber wie die Verfügungsklägerinnen den Sequestrationsanspruch nur deshalb geltend machen, um auf diese Weise die hinsichtlich des Unterlassungsanspruchs grundsätzlich bestehende Abmahnungsobliegenheit zu umgehen. Etwas anderes würde nur gelten, wenn konkrete, objektiv erkennbare Anhaltspunkte dafür bestünden, dass eine vorhergehende Abmahnung die Sequestrationsmöglichkeit nachhaltig erschweren oder vereiteln würde. Derartige konkrete Anhaltspunkte hätten vorliegend aber weder bestanden, noch seien diese durch die Verfügungsklägerinnen vorgetragen worden.

Die Verfügungsbeklagte beantragt,

die Kosten des Verfahrens den Verfügungsklägerinnen aufzuerlegen.

Die Verfügungsklägerinnen beantragen,

Ziffer IV. des Beschlusses vom 19.06.2013 aufrechtzuerhalten und die weiteren Kosten des Verfahrens der Verfügungsbeklagten aufzuerlegen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Kostenwiderspruch der Verfügungsbeklagten ist zwar zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Für eine Anwendung von § 93 ZPO, der grundsätzlich auch im einstweiligen Verfügungsverfahren Anwendung finden kann, besteht vorliegend kein Raum.

Die Verfügungsbeklagte hat durch ihr, das Schutzzertifikat der Verfügungsklägerinnen verletzendes Verhalten Anlass zur Einleitung eines einstweiligen Verfügungsverfahrens gegeben. Dem steht die fehlende Abmahnung durch die Verfügungsklägerinnen nicht entgegen.

Eine Abmahnung zur Abwendung einer Kostenentscheidung nach § 93 ZPO ist dann entbehrlich, wenn sie aus Sicht des Gläubigers zu der Zeit, zu der er entscheiden muss, ob er im betreffenden Einzelfall abmahnt oder dies unterlässt, bei Anlegung eines objektiven Maßstabes unzumutbar war, wenn die Abmahnung die Durchsetzung der berechtigten Ansprüche des Antragstellers vereiteln würde oder dies aus der Sicht des Antragstellers zumindest zu befürchten steht. (OLG Düsseldorf, NJW-RR 1997, 1065; KG GRUR-RR 2008, 372 – Abmahnkosten). Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn durch die mit der Abmahnung verbundene Warnung des Schuldners der Rechtsschutz vereitelt würde (vgl. Köhler/Bornkamm, UWG, 31. Auflage, § 12 Rz. 1.48).

Von einem derartigen Sachverhalt wird ausgegangen, wenn die in Verwahrung zu nehmende Sache aufgrund ihrer geringen Größe und ihrer Mobilität ohne weiteres beiseite geschafft und dadurch dem Zugriff des Gläubigers entzogen werden kann (OLG Düsseldorf, NJW-RR 1997, 1065; OLG Karlsruhe, GRUR-RR 2013, 182, 183 – Spielsteuerung). In derartigen Fällen liegt es im Allgemeinen zumindest nahe, dass der Schuldner den Beweis für sein schutzrechtswidriges Verhalten beiseiteschaffen würde, wenn er von der bevorstehenden Beschlussverfügung durch Abmahnung Kenntnis erhielte, um so wirtschaftliche Nachteile zu vermeiden (vgl. OLG Karlsruhe a. a. O.; Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 6. Auflage, Rz. 717; KG GRUR-RR 2008, 372 – Abmahnkosten). Wird mit dem Sequestrationsanspruch zugleich ein Unterlassungsanspruch geltend gemacht, so entfällt die Notwendigkeit einer Abmahnung nicht nur teilweise (für den Sequestrationsanspruch), sondern insgesamt, das heißt auch für den gleichzeitig eingeklagten Unterlassungsanspruch (Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 4. Auflage, Rz. 718; OLG Frankfurt/Main, InstGE 6, 51 – Sequestrationsanspruch).

Dass es sich bei den streitgegenständlichen Generika aufgrund ihrer geringen Größe um leicht beiseite zu schaffende Gegenstände handelt, bedarf keiner weiteren Erörterung.

Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Verfügungsklägerinnen ihrem damit grundsätzlich bestehenden Sicherungsbedürfnis zuwider handeln, sind weder hinreichend vorgetragen, noch ersichtlich. Insbesondere haben die Verfügungsklägerinnen die einstweilige Verfügung, anders als dies bei dem der durch die Verfügungsbeklagte zitierten Entscheidung des Kammergerichts (GRUR-RR 2008, 372 – Abmahnkosten) der Fall war, unstreitig auch in Bezug auf den Sequestrationsanspruch vollzogen.
Der Schriftsatz vom 16.10.2013 war verspätet und bot für eine Wiedereröffnung der Verhandlung keine Veranlassung, §§ 296a, 156 ZPO.