4b O 09/12 – Umpositionierung von Zähnen

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 2082

Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 4. Juli 2013, Az. 4b O 09/12

I. Die Beklagten werden verurteilt,
1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu € 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, letztere zu vollziehen an dem Beklagten zu 2), zu unterlassen,
ein System zum Umpositionieren von Zähnen aus einer anfänglichen Zahnanordnung in eine endgültige Zahnanordnung in der Bundesrepublik Deutschland herzustellen, und/oder anzubieten und/oder in den Verkehr zu bringen, wobei,
a) das System mehrere Instrumente zum inkrementellen Einstellen der Zahnposition enthält, die umfassen:
b) ein erstes Instrument mit einer Geometrie, die gewählt ist, um die Zähne aus der anfänglichen Zahnanordnung in eine erste Zwischenanordnung umzupositionieren;
c) ein oder mehrere Zwischeninstrumente mit Geometrien, die gewählt sind, um die Zähne aus der ersten Zwischenanordnung nach und nach in aufeinanderfolgende Zwischenanordnungen umzupositionieren;
d) und ein letztes Instrument mit einer Geometrie, die gewählt ist, um die Zähne aus der letzten Zwischenanordnung nach und nach in die endgültige Zahnanordnung umzupositionieren,
e) wobei die mehreren Instrumente zum inkrementellen Einstellen der Zahnposition als ein einheitliches Paket bereitgestellt werden;
2. der Klägerin durch Vorlage eines einheitlichen, geordneten Verzeichnisses Rechnung zu legen, in welchem Umfang die Beklagten die zu Ziffer 1. beschriebenen Handlungen seit dem 14.11.2009 begangen haben, und zwar unter Angabe
a) der Herstellungsmengen und – zeiten,
b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, – zeiten und –preisen unter Einschluss der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer
c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, – zeiten und – preisen unter Einschluss der Namen und Anschriften der einzelnen gewerblichen Angebotsempfänger
d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
wobei die Beklagte zu 1) hinsichtlich der Angabe zu I.2.b) Kopien von Rechnungen hilfsweise Lieferscheinen vorzulegen hat und
wobei den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften ihrer nicht-gewerblichen Abnehmer und Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden, dieser gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten und in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten die durch dessen Einschaltung entstandenen Kosten übernehmen und ihn ermächtigen, der Klägerin auf Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter nicht-gewerblicher Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Rechnungslegung enthalten ist.
II. Die Beklagte zu 1) wird verurteilt,
1. die in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder in ihrem Eigentum befindlichen, unter Ziffer I.1. bezeichneten Systeme zu vernichten oder nach ihrer Wahl an einen von ihr zu benennenden Treuhänder zum Zwecke der Vernichtung auf ihre – der Beklagten zu 1) – Kosten herauszugeben;
2. die vorstehend zu Ziffer I.1. bezeichneten, seit dem 14.11.2009 vertriebenen, im Besitz gewerblichen Abnehmer befindlichen Systeme zurückzurufen, indem diejenigen gewerblichen Abnehmer, die sich im Besitz dieser Systeme befinden, darüber schriftlich informiert werden, dass die Kammer mit dem hiesigen Urteil auf eine Verletzung des Patents EP 1 369 XXX erkannt hat, ihnen ein Angebot zur Rücknahme dieser Systeme durch die Beklagten unterbreitet und den gewerblichen Abnehmern für den Fall der Rückgabe der Systeme eine Erstattung des gegebenenfalls bereits gezahlten Kaufpreises bzw. eines sonstigen Äquivalents für die zurückgerufenen Systeme sowie die Übernahme der Verpackungs- und Transport- bzw. Versendungskosten für die Rückgabe zugesagt wird sowie die Systeme wieder an sich zu nehmen.
III. Es wird festgestellt, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, der Klägerin sämtlichen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die unter Ziffer I. 1 bezeichneten, seit dem 14.11.2009 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
IV. Im Übrigen wird die Klage hinsichtlich der angegriffenen Ausführungsformen II und III abgewiesen.
V. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 70% und die Beklagten zu 30%.
VI. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 500.000,00 € und für die Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Tatbestand
Die Klägerin, die dentaltechnische Produkte und hierauf bezogene Verfahren herstellt und vertreibt, ist Inhaberin des Europäischen Patents EP 1 369 XXX (Anlage K 4, K 4a, im Folgenden: Klagepatent). Das Klagepatent wurde als Teilanmeldung zusammen mit der Stammanmeldung am 19.06.1998 angemeldet und nimmt Prioritäten vom 20.06.1997 und 08.10.1997 in Anspruch. Der Hinweis auf die Erteilung des Klagepatents wurde am 14.10.2009 veröffentlicht. Das Klagepatent steht in Kraft. Am 21.05.2012 erhoben die Beklagten Nichtigkeitsklage (Az.: 4 Ni 21/12) gegen das Klagepatent vor dem Bundespatentgericht. Bislang ist weder über diese Klage noch über die ebenfalls gegen das Klagepatent von der A GmbH erhobene Nichtigkeitsklage (Az.: 4 Ni 35/12) entschieden worden.
Das Klagepatent betrifft ein System für inkrementelles Bewegen bzw. Verschieben der Zähne von einer anfänglichen Zahnanordnung in eine endgültige Zahnanordnung.
Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch 1 des Klagepatents lautet in der deutschen Übersetzung wie folgt:
„System zum Umpositionieren von Zähnen aus einer anfänglichen Zahnanordnung in eine endgültige Zahnanordnung, wobei das System mehrere Instrumente zum inkrementellen Einstellen der Zahnposition enthält, die umfassen: ein erstes Instrument mit einer Geometrie, die gewählt ist, um die Zähne aus der anfänglichen Zahnanordnung in eine erste Zwischenanordnung umzupositionieren; ein oder mehrere Zwischeninstrumente mit Geometrien, die gewählt sind, um die Zähne aus der ersten Zwischenanordnung nach und nach in aufeinanderfolgende Zwischenanordnungen umzupositionieren; und ein letztes Instrument mit einer Geometrie, die gewählt ist, um die Zähne aus der letzten Zwischenanordnung nach und nach in die endgültige Zahnanordnung umzupositionieren, wobei die mehreren Instrumente zum inkrementellen Einstellen der Zahnposition als ein einheitliches Paket bereitgestellt werden.“

Die Beklagte zu 1), deren Geschäftsführer der Beklagte zu 2) ist, bietet durchsichtige Zahnschienen an, stellt diese her und liefert sie an Zahnärzte aus (vgl. Anlage K 5). Zunächst werden Abformungen aus Silikon, Doppelmischabformungen oder Klasse 3 Hartgipsmodelle benötigt. Sobald der Zahnarzt diese Unterlagen mit einem Wachsbiss an das Labor der Beklagten zu 1) gesandt hat – üblicherweise stellt die Beklagte zu 1) davon selbst Hartgipsmodelle her –, werden die Modelle dort 3-dimensional eingescannt. Es wird ein virtuelles Set-Up auf dem Rechner erzeugt und zur Ansicht und Freigabe in einen geschützten Kundenbereich gestellt. Die Beklagte zu 1) weist auf eventuelle Maßnahmen wie zum Beispiel Extraktionen hin. Bei Zustimmung des Zahnarztes und/oder des Patienten zu dem virtuellen Set-Up wird ein Schienensatz (nachfolgend: angegriffene Ausführungsform I) hergestellt, dieser wird zusammen mit der Einzelrechnung und der Trageempfehlung für den Patienten „als Maxibrief“ zugestellt. Der Patient wechselt dann alle 6 bis 8 Wochen zur nächsten Schiene, bis er am Schluss auf die Retentionsschiene übergeht. Oft werden den Zahnärzten und Kieferorthopäden auch nur Teilmengen des Schienensatzes zur Verfügung gestellt und Zwischenabdrücke genommen, wobei die Ausgestaltung dieser angegriffenen Ausführungsformen im Einzelnen zwischen den Parteien streitig ist.
Die Klägerin ist der Ansicht, die angegriffene Ausführungsformen machten von der durch das Klagepatent unter Schutz gestellten technischen Lehre wortsinngemäß Gebrauch.

Nachdem die Klägerin ursprünglich auch einen Entfernungsanspruch geltend gemacht hat, beantragt sie nunmehr
wie zuerkannt.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen sowie,
hilfsweise den Rechtsstreit bis zur rechtkräftigen Entscheidung über die von den Beklagten gegen den deutschen Teil des Klagepatents EP 1 369 XXX eingelegt Nichtigkeitsklage (Az.: 4 Ni 21/12 (EP)) auszusetzen.

Die Beklagten behaupten, die Beklagte zu 1) liefere zwei Sätze an Zahnschienen (angegriffene Ausführungsform II), beispielsweise in Fällen, in denen das Gebiss des Patienten an den Einsatz einer Brücke angepasst werden muss. Schließlich würden Fälle auftreten, bei denen vor Abschluss der Behandlung ein weiterer Abdruck beim Patienten erfolge, um die letzte Schiene zur Umpositionierung in die endgültige Zahnstellung anzufertigen (angegriffene Ausführungsform III).
Die Beklagten sind weiter der Ansicht, die angegriffenen Ausführungsformen würden nicht als einheitliches Paket im Sinne des Klagepatents bereitgestellt. Im Übrigen dürften die Zahnschienen nicht einzeln verpackt sein, da eben jene Vorgabe, ausweislich der Hinweise des EPA im Erteilungsverfahren, derart verstanden nicht in der ursprünglichen Anmeldung offenbart gewesen wäre. Die Beklagte zu 1) verpacke hingegen die Zahnschienen einzeln. Im Übrigen stellten die Beklagten ihren Patienten niemals die Zahnschienen zur Verfügung, sondern ausschließlich Zahnärzten und Kieferorthopäden. Diese wiederum gäben die Geräte nur einzeln oder höchstens in kleinen Stückzahlen weiter.
Die Klägerin habe die Internationale Patentanmeldung vor der Anmeldung beim Europäischen Patentamt mehrfach geteilt, um aus der gleichen Erfindung mehrere Angriffsmöglichkeiten zu schaffen. Dieser Zweck sei jedoch rechtsmissbräuchlich, eine Zusammenführung der Teilanmeldung würde einen völlig anderen Gegenstand ergeben als denjenigen, der Inhalt der Stammanmeldung gewesen sei.
Sie sind ferner der Ansicht, das Klagepatent sei nicht rechtsbeständig. Der geschützte Gegenstand sei nicht neu. Das geforderte Bereitstellen mehrerer Instrumente zum schrittweisen Einstellen der Zähne als ein einheitliches Paket sei im Übrigen kein technisches Merkmal. Eine Auslieferung in einer Verpackung liege im Ermessen des Herstellers. Ferner mangele es an der Neuheit, da der erfindungsgemäße Gegenstand ca. Mitte der 1980er Jahre von den Herren Dr. B und Dr. C offenkundig vorbenutzt worden sei. Weiter fehle es an der erfinderischen Tätigkeit und der Schutzbereich des Klagepatents sei unzulässig erweitert worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und auf die zu den Akten gereichten Unterlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 13.06.2013 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist teilweise begründet. Im Hinblick auf die angegriffene Ausführungsform I stehen der Klägerin die aus dem Tenor ersichtlichen Ansprüche auf Auskunft, Rückruf, Vernichtung und Feststellung der Schadensersatzpflicht zu. Bezüglich der angegriffenen Ausführungsformen II und III ist die Klage hingegen mangels Verletzung abzuweisen. Veranlassung, den Rechtsstreit auszusetzen, besteht nicht.

I.
Die Klägerin macht eine widerrechtliche Benutzung der durch das Klagepatent geschützten Erfindung durch die verschiedenen angegriffenen Ausführungsformen geltend. Dabei handelt es sich um drei verschiedene Streitgegenstände, da mit den unterschiedlichen Ausgestaltungen der Verletzungsform dem Antrag jeweils eigenständige Lebenssachverhalte zugrunde gelegt werden. Im gewerblichen Rechtsschutz wird der Lebenssachverhalt durch den „Kern“ des vom Kläger geltend gemachten Rechtsverstoßes bestimmt, der regelmäßig durch die konkrete Verletzungsform beschrieben wird (Zöller/Vollkommer, ZPO, 28. Aufl., Einl. Rn 76). Die geltend gemachten Ansprüche sind daher für jede Ausführungsform gesondert zu prüfen.
Bei der angegriffenen Ausführungsform I handelt es sich um einen kompletten Schienensatz, der dem behandelnden Arzt zusammen mit der Einzelrechnung und der Trageempfehlung für den Patienten „als Maxibrief“ zugestellt wird. Die angegriffene Ausführungsform II besteht aus zwei Sätzen an Zahnschienen, wobei Zwischenabdrücke im Hinblick auf die weitere Behandlung, z.B. Anpassung des Patientengebisses für den Einsatz einer Brücke, genommen werden. Bei der angegriffenen Ausführungsform III wird vor Erstellung der finalen Zahnschiene noch ein dritter Abdruck beim Patienten genommen.

II.
Die Erfindung ist im Allgemeinen auf das Gebiet der Kieferorthopädie bezogen. Das Klagepatent betrifft ein System für inkrementelles Bewegen bzw. Verschieben der Zähne von einer anfänglichen Zahnanordnung in eine endgültige Zahnanordnung.
Das Klagepatent führt einleitend aus, dass aus dem Stand der Technik Zahnspangen bekannt seien, mit deren Hilfe das Umpositionieren von Zähnen erreicht werde und die aus einer Vielzahl von Vorrichtungen wie, z.B. sog. Brackets, Drahtbögen, Ligaturen etc. bestünden. Das Anbringen dieser Spangen erfordere jedenfalls einen Vorbereitungstermin für die Erstellung von Aufnahmen der Kieferstruktur des Patienten und der Anfertigung eines Abdrucks. Nach Erstellung eines Behandlungsplans seien in der Regel zwei Termine zur Befestigung der Spange notwendig. Darauffolgend seien dann periodische Termine, üblicherweise alle drei bis sechs Wochen, zur Installierung eines neuen Drahtbogens, der andere Krafterzeugungseigenschaften aufweist, oder zum Ersetzen oder Anziehen vorhandener Ligaturen erforderlich. Es sind dem Klagepatent zufolge auch Silikon-Positionierungsvorrichtungen vorbekannt sowie sogenannte „Retainer“ aus durchsichtigem Kunststoff, mit denen Zahnpositionen endgültig festgelegt und aufrechterhalten werden können.
Das Klagepatent kritisiert an dem Einsatz herkömmlicher Zahnspangen das langwierige und zeitaufwändige Verfahren, welches zahlreiche Termine beim Kieferorthopäden erfordere. Ferner wirke die Zahnspange aus Sicht des Patienten unansehnlich, sie sei unbequem, stelle ein Infektionsrisiko dar und erschwere das Bürsten sowie den Einsatz von Zahnseide und andere Verfahren der Zahnhygiene.
Ausgehend von diesem Stand der Technik stellt sich das Klagepatent daher die Aufgabe, alternative Verfahren und Systeme zum Umpositionieren von Zähnen zu schaffen, die wirtschaftlich sind und den Zeitumfang verringern, der für Planung und Betreuung für jeden einzelnen Patienten durch den Kieferorthopäden erforderlich ist. Die Verfahren und Systeme sollten zudem für den Patienten weniger unangenehm sein, insbesondere unauffälliger, weniger unbequem, weniger anfällig für Infektionen und besser mit der täglichen Zahnhygiene vereinbar.
Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Klagepatent folgenden Anspruch 1 vor:
1.
Ein System zum Umpositionieren von Zähnen aus einer anfänglichen Zahnanordnung in eine endgültige Zahnanordnung, wobei das System mehrere Instrumente (100) zum inkrementellen Einstellen der Zahnposition enthält, die umfassen:
1.1
Ein erstes Instrument mit einer Geometrie, die gewählt ist, um die Zähne aus der anfänglichen Zahnanordnung in eine erste Zwischenanordnung umzupositionieren.
1.2.
Ein oder mehrere Zwischeninstrumente mit Geometrien, die gewählt sind, um die Zähne aus der ersten Zwischenanordnung nach und nach in aufeinanderfolgende Zwischenanordnungen umzupositionieren.
1.3
Und ein letztes Instrument mit einer Geometrie, die gewählt ist, um die Zähne aus der letzten Zwischenanordnung nach und nach in die endgültige Zahnanordnung umzupositionieren,
2.
wobei die mehreren Instrumente (100) zum inkrementellen Einstellen der Zahnposition als ein einheitliches Paket bereitgestellt werden.

III.
Die angegriffene Ausführungsform I macht von sämtlichen Merkmalen des Anspruchs 1 wortsinngemäß Gebrauch. Die angegriffene Ausführungsform II und III verwirklichen jedoch Merkmal 2 des Anspruchs 1 nicht mit der Folge, dass hinsichtlich dieser Ausführungsform eine Verletzung ausscheidet.
Die Parteien streiten über die Verwirklichung des Merkmals 2. Die restlichen Merkmale sind zu recht zwischen den Parteien unstreitig, so dass sich Ausführungen der Kammer hierzu erübrigen.

1)
Merkmal 2 sieht vor, dass die mehreren Instrumente zum inkrementellen Einstellen der Zahnposition als ein einheitliches Paket bereitgestellt werden.

2)
Darunter versteht der Fachmann, dass sämtliche Zahnschienen, aus denen das geschützte System besteht, in einer einzigen Einheit („provided as a single package“) bereitgestellt werden. Dem Sinn und Zweck des Klagepatents entsprechend, ein System zur Zahnkorrektur zur Verfügung zu stellen, das eine wirtschaftlich und zeitlich effiziente Behandlung gewährleistet, werden danach alle zur Behandlung nötigen Zahnschienen dem Anwender am Behandlungsbeginn, also von Anfang an, zur Verfügung gestellt.
Das Klagepatent versteht unter dem Begriff des Instruments eine Vorrichtung, die im herkömmlichen Sprachgebrauch als Zahnschiene bezeichnet wird. Ausweislich der allgemeinen Beschreibung ist das Instrument so ausgestaltet, dass es die Zähne in einem Hohlraum aufnehmen kann. Eine der bevorzugten Ausführungsformen stellt eine Polymerschale dar, in der der Zahnaufnahme-Hohlraum üblicherweise durch bestimmte Formen ausgebildet wird (Anlage K 4a, Seite 5).
Der Fachmann entnimmt dem Wortlaut weiter, dass die Zahnschienen als einheitlicher Körper („provided as a single package“) bereitgestellt werden soll. Entscheidend ist der englische Wortlaut des Anspruchs als die gewählte Verfahrenssprache, Art. 70 Abs.1 EPÜ. Zutreffend gehen die Beklagten davon aus, dass die Vorgabe des „einheitlichen Körpers“ im Merkmal 2 nach dem Verständnis des Fachmanns erfordert, dass sämtliche Instrumente des beanspruchten Systems in einem Gesamtpacket vorgesehen sind. Allerdings erfasst dies nicht primär die körperliche Gestaltung einer Verpackung, sondern vielmehr die Anzahl der Schienen in ihrer Gesamtheit. Der Fachmann erkennt am Anspruchswortlaut „einheitliches Paket“, der eine Anordnung bzw. Zusammenstellung vorgibt, dass die geschützten Instrumente insgesamt dem Anwender bereitgestellt werden sollen.
Ferner zieht der Fachmann seine Erkenntnis aus der Beschreibung, nach der das geschützte System im Gegensatz zu Instrumenten und Systemen nach dem Stand der Technik eine Vielzahl derartiger Instrumente bereitstellt, die nacheinander von einem Patienten getragen werden sollen, um die allmähliche Zahn-Umpositionierung zu erreichen (Anlage K 4a, Seite 15, Absatz 1). An anderer Stelle weist das Klagepatent daraufhin, dass nach der Herstellung die Vielzahl von Instrumenten, die das System der vorliegenden Erfindung bilden, dem behandelnden Spezialisten in einer Lieferung übersandt wird (Anlage K 4a, Seite 32, Absatz 3). In der Beschreibung (Anlage K 4 a, Seite 8, Absatz 3) wird weiter ausgeführt, dass die dem Klagepatent zugrundeliegende Erfindung Verbesserungen für derartige Verfahren vorsieht, die umfassen, dass zu Beginn der Behandlung Formen für wenigstens drei der Instrumente bestimmt werden, die nacheinander von einem Patienten getragen werden müssen, um Zähne von einer anfänglichen Zahnanordnung in die endgültige Zahnanordnung zu positionieren. Insoweit stellt Merkmal 2 in Zusammenschau mit den Merkmalen 1.1 – 1.3 klar, dass der Anwender bereits zur Anfang der Behandlung auf sämtliche Zahnschienen, die für die gesamte Behandlung erforderlich sind, zugreifen kann.
Weder aus dem Anspruch noch aus der Beschreibung ergeben sich allerdings Anhaltspunkte für das Verständnis der Beklagten, dass eine einzelne Verpackung der Zahnschienen nicht unter das Merkmal 2 des Klagepatents falle, selbst wenn sie dann gemeinsam verpackt dem Behandler zur Verfügung gestellt werden. Sofern sich die Beklagten auf Protokolle des EPA aus dem Erteilungsverfahren beziehen, sind diese grundsätzlich nicht auslegungsrelevant. Den Hinweisen kommt allenfalls indizielle Bedeutung zu (BGH in NJW 1997, 3377 – Weichvorrichtung II; Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 6. Aufl., Rn. 49). Darüber hinaus verfängt das Argument auch in der Sache nicht. Das EPA sah in dem damaligen Anspruchswortlaut „said system comprising a set of packaged dental incremental position adjustment appliance“ – übersetzt „besagtes System beinhaltend einen Satz verpackter Instrumente zur inkrementellen Anpassung von Zahnpositionen“– offenbar eine Gefahr der unzulässigen Beschränkung des Anmeldungsgegenstandes, da in Anspruch 10 der Ursprungsanmeldung lediglich definiert war, dass die Instrumente als einheitliches Paket bereitgestellt würden und darunter nicht die Möglichkeit der einzelnen Verpackung falle. In erteilten Anspruch hat schließlich der weite Wortlaut „single package“ – übersetzt „einheitliches Packet“ – seinen Niederschlag gefunden. Das kumulative Vorliegen der beiden Möglichkeiten, einzeln verpackter Zahnschienen und die Bereitstellung der Schienen als Gesamtheit, verbietet der Anspruch also gerade nicht. Aus dem Hinweis des Prüfers zieht der Fachmann lediglich den Schluss, dass das Merkmal nicht so formuliert sein durfte, dass der Wortlaut „nur“ die Alternative der einzelnen Verpackung erfasst. Zu Recht weist die Klägerin darauf hin, dass dieses Verständnis des Fachmanns in der Zusammenschau mit Unteranspruch 9 gestützt wird, der ausdrücklich vorsieht, dass die Instrumente von Beuteln oder anderen Gegenständen umschlossen sein können.
Schließlich differenziert der Anspruch nicht danach, wem die Schienen bereitgestellt werden, dem Patienten oder dem behandelnden Arzt oder Kieferorthopäden. Der Fachmann erkennt, dass auch Zahnschienensysteme erfasst sind, die zunächst dem Zahnarzt bereitgestellt werden.

3)
Die angegriffene Ausführungsform I verwirklicht Merkmal 2. Die Beklagten stellen innerhalb von 10 Labortagen den gesamten für die Behandlung benötigten Schienensatz her und schicken diesen mit Einzelrechnung und der Trageempfehlung für den Patienten als Maxibrief zu (Anlage K 5). Dabei senden sie die Schienen an den behandelnden Arzt oder Kieferorthopäden. Schließlich gehen die Einwände der Beklagten, ihre Zahnschienen bestünden aus zwei verschiedenen Materialien und seien im Vergleich zu denen der Klägerin höherwertig, ins Leere. Entscheidend für den Tatbestand der Verletzung ist lediglich, ob die angegriffene Ausführungsform die seitens des Klagepatents unter Schutz gestellte Lehre verwirklicht. Dies ist der Fall. Unerheblich ist, ob sie diese – wie die Beklagten behaupten – „besser“ verwirklicht als die von der Klagepatentinhaberin vertriebene Erfindung.
Die angegriffenen Ausführungsformen II und III verletzen das Klagepatent hingegen nicht. Bei beiden angegriffenen Ausführungsformen erfolgt eine Bereitstellung der Zahnschienen nicht in einem einheitlichen Paket, sondern in mindestens zwei Sätzen. Die Beklagten liefern Schienen für verschiedene Behandlungsphasen, in denen Zwischenabdrücke notwendig sind. Danach wird dann die Behandlung weiter ausgerichtet oder völlig neu angesetzt. Damit leisten die angegriffenen Ausführungsformen II und III gerade nicht den erfindungsgemäßen Vorteil, dass dem Anwender bereits zu Beginn der Behandlung auf alle bis zum Therapieziel erforderlichen Zahnschienen bereitgestellt werden.
Sofern die Klägerin pauschal bestreitet, dass die Beklagten die angegriffenen Ausführungsformen II und III vertreibe, kann sie damit nicht gehört werden. Denn die Beklagten haben jedenfalls in der mündlichen Verhandlung die Ausgestaltung der beiden angegriffenen Ausführungsformen substantiiert beschrieben. Der Vortrag ist zudem nicht verspätet. Die Beklagten haben bereits in ihrer Duplik dargetan, dass den behandelnden Ärzten oftmals nur Teilmengen der Geräte zur Verfügung gestellt werden. Diesen Vortrag haben die Beklagten in der mündlichen Verhandlung konkretisiert.
Schließlich führt auch das klägerische Vorbingen nicht zum Erfolg, nach dem die Schienensätze, die ausgehend von dem Zwischenabdruck bis hin zur Endposition angefertigt würden, das Klagepatent ebenfalls verletzten. Denn die Anordnung der Zähne nach dem Zwischenabdruck stellt gerade nicht die anfängliche Zahnanordnung im Sinne des Klagepatents dar. Die Klägerin übersieht bei ihrer Argumentation, dass das Klagepatent in der Systematik der Merkmale 1.1 bis 1.3 und Merkmal 2 eine Reihenfolge lehrt, bei der es zwischen Anfang, Zwischenteil und Ende unterscheidet. Danach werden nicht Schienen für Zahnanordnungen einer beliebigen Reihenfolge zur Verfügung gestellt, sondern für die vollständige Behandlung vom Beginn bis zum Ende. Zwischenabdrücke will das Klagepatent gerade vermeiden, so dass eine darauf basierende Schiene kein Instrument zur Umpositionierung aus der anfänglichen Zahnanordnung darstellt.

4)
Der Patentinhaber ist grundsätzlich zur Ergreifung der zur Abwehr von Beeinträchtigungen seines Schutzrechts erforderlichen Maßnahmen berechtigt. Die Beklagten können daher mit dem Einwand des Rechtsmissbrauches nicht gehört werden, da sie konkreten Vortrag zum Inhalt des Vorwurfes des rechtsmissbräuchlichen Verhaltens vermissen lassen.
Sofern die Beklagten in der Auffächerung der amerikanischen Stammanmeldung in verschiedene europäische Teilanmeldungen, auf die mehrere (Teil-)patente erteilt wurden zu denen auch das Klagepatent gehört, einen Rechtsmissbrauch sehen möchten, überzeugt dies nicht. Aus dem Vortrag der Beklagten ist zunächst nicht nachzuvollziehen, wieso die Beklagten der Ansicht sind, dass bei einer Zusammenführung der Teilanmeldungen sich ein völlig anderer Gegenstand als der der Stammanmeldung ergeben würde. Weiter ist nicht ersichtlich, inwieweit diese Konsequenz rechtsmissbräuchlich sein soll. Soweit das aus dem recht pauschalen Vortrag nachvollziehbar ist, schützen die jeweiligen Hauptansprüche des Klagepatents und der jeweiligen Teilpatente unterschiedliche Erfindungen, unter anderem Verfahren zu Herstellung der Zahnschienen unter Verwendung von digitalen Datensätzen ebenso wie die Vorrichtungen und Systeme, also die Zahnschienen als solche. Damit ist gerade nicht der „gleiche“ Gegenstand immer wieder unter Schutz gestellt. Zuzugeben ist, dass die Erfindungen alle die gleiche Aufgabe lösen möchten. Dennoch werden hier unterschiedliche Lösungswege aufgezeigt. Allein aus der Tatsache, dass zur Vernichtung der einzelnen Schutzrechte mehrere Einspruchs-und Nichtigkeitsverfahren geführt werden müssten, lässt sich nicht herleiten, dass sich die Klägerin unredlich ein größeres Monopol auf die geschützten Lehren verschafft hätte. Schließlich geht damit auch einher, dass die Klägerin zur Aufrechterhaltung von mehreren einzelnen Schutzrechten mehrere Gebührentatbestände erfüllen muss.

IV.
Angesichts der Patentbenutzung durch die angegriffene Ausführungsform I stehen der Klägerin die aus dem Tenor ersichtlichen Ansprüche gegen die Beklagten zu, wobei der Beklagte zu 2) als gesetzliche Vertreter der Beklagten zu 1) haftet. Bezüglich der angegriffenen Ausführungsformen II und III war die Klage hingegen abzuweisen.

1)
Der Unterlassungsanspruch beruht auf §§ 139 Abs. 1 PatG i.V.m. Art. 64 Abs. 1 EPÜ, da die Benutzung des Erfindungsgegenstandes ohne Berechtigung erfolgt ist.

2)
Die Klägerin hat gegen die Beklagte zu 1) dem Grunde nach einen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz, der aus § 139 Abs. 2 PatG i.V.m. Art. 64 Abs. 1 EPÜ folgt. Als Fachunternehmen hätte die Beklagte zu 1) die Patentverletzung bei Anwendung der im Geschäftsverkehr erforderlichen Sorgfalt zumindest erkennen könne, § 276 BGB. Da überdies durch die rechtsverletzenden Handlungen der Beklagten zu 1) die Entstehung eines Schadens hinreichend wahrscheinlich ist, der durch die Klägerin noch nicht beziffert werden kann, weil sie den Umfang der rechtsverletzenden Benutzungshandlungen ohne ihr Verschulden nicht im Einzelnen kennt, ist ein rechtliches Interesse der Klägerin an der Feststellung der Schadensersatzverpflichtung anzuerkennen, § 256 ZPO.

3)
Damit die Klägerin in die Lage versetzt, wird den Schadensersatzanspruch zu beziffern, steht ihr gegen die Beklagte zu 1) ein Anspruch auf Auskunft im zuerkannten Umfang zu. Der Anspruch auf Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg der angegriffenen Ausführungsformen ergibt sich aufgrund der unberechtigten Benutzung des Erfindungsgegenstandes unmittelbar aus § 140b Abs. 1 PatG i.V.m. Art. 64 Abs. 1 EPÜ, der Umfang der Auskunftspflicht aus § 140b Abs. 3 PatG i.V.m. Art. 64 Abs. 1 EPÜ. Die weitergehende Auskunftspflicht folgt aus §§ 242, 259 BGB i.V.m. Art. 64 Abs. 1 EPÜ. Für nicht gewerbliche Abnehmer und die Angebotsempfänger ist der Beklagten zu 1) ein Wirtschaftsprüfervorbehalt zu gewähren (OLG Düsseldorf, InstGE 3, 176 – Glasscheiben-Befestiger). Die Klägerin ist im Übrigen auf die Angaben angewiesen, über die sie ohne eigenes Verschulden nicht verfügt; die Beklagte zu 1) wird durch die von ihr verlangten Auskünfte nicht unzumutbar belastet.

4)
Die Beklagte zu 1) ist gemäß § 140a Abs. 3 S. 1, 1. Alt. PatG i.V.m. Art. 64 Abs. 1 EPÜ zum Rückruf in der aus dem Tenor ersichtlichen Weise verpflichtet.

5)
Der Vernichtungsanspruch findet seine Grundlage in §§ 140a Abs. 1, S. 1 PatG i.V.m. Art. 64 Abs. 1 EPÜ. Anhaltspunkte für eine Unverhältnismäßigkeit der Vernichtung gem. § 140a Abs. 4 PatG i.V.m. Art. 64 Abs. 1 EPÜ sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

V.
Eine Veranlassung, den Rechtsstreit im Hinblick auf die Nichtigkeitsverfahren gem. § 148 ZPO auszusetzen, besteht nicht.
Die Erhebung einer Nichtigkeitsklage stellt als solche noch keinen Grund dar, den Verletzungsrechtsstreit auszusetzen, weil dies faktisch darauf hinauslaufen würde, dem Angriff auf das Klagepatent eine den Patentschutz hemmende Wirkung beizumessen, die dem Gesetz fremd ist. Die Interessen der Parteien sind vielmehr gegeneinander abzuwägen, wobei grundsätzlich dem Interesse des Patentinhabers an der Durchsetzung seines erteilten Patents Vorrang gebührt. Angesichts des Umstandes, dass ein Patent seinem Inhaber nur ein zeitlich begrenztes Monopolrecht verleiht und dass ein wesentlicher Teil dieses Rechtes, nämlich der Unterlassungsanspruch gegenüber einem Patentverletzer, durch eine Aussetzung der Verhandlung des Verletzungsrechtsstreits praktisch suspendiert würde, kommt eine Aussetzung wegen eines gegen das Klagepatent anhängigen Nichtigkeitsverfahrens nur dann in Betracht, wenn eine Vernichtung des Klageschutzrechtes nicht nur möglich, sondern mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Ist dies nicht der Fall, so verdient das Interesse des Patentinhabers an einer alsbaldigen Durchsetzung seiner – zeitlich ohnehin begrenzten – Rechte aus dem Patent den Vorrang vor dem Interesse der Gegenpartei, nicht aus einem Patent verurteilt zu werden, das sich möglicherweise später als nicht rechtsbeständig erweist. Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Vernichtung des Klagepatents kann regelmäßig dann nicht angenommen werden, wenn der ihm am nächsten kommende Stand der Technik bereits im Erteilungsverfahren berücksichtigt worden ist oder wenn neuer Stand der Technik lediglich belegen soll, dass das Klagepatent nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, sich jedoch auch für eine Bejahung der Erfindungshöhe, die von der wertenden Beurteilung der hierfür zuständigen Instanzen abhängt, zumindest noch vernünftige Argumente finden lassen.

1)
Der Einwand, Anspruch 1 in der geltend gemachten Fassung sei mangels Technizität nicht patentierbar, Art. 52 Abs. 1 EPÜ, trägt keine überwiegende Erfolgswahrscheinlichkeit in sich.

Nach Art. 52 Abs. 1 EPÜ werden europäische Patente für Erfindungen auf allen Gebieten der Technik erteilt, sofern sie neu sind, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen und gewerblich anwendbar sind.
Geschützt werden demzufolge nur Anweisungen zum technischen Handeln, die sich unter gleichen Bedingungen mit dem Ergebnis eines identischen Erfolges wiederholen lassen. Technisch ist eine Lehre, durch die technische Mittel (Naturkräfte oder Naturerscheinungen) eingesetzt oder eine technische Wirkung erzielt werden (BGH, GRUR 1992, 36 – Chinesische Schriftzeichen; Benkard/Melullis, EPÜ, 2. Aufl., Art. 52 Rn. 53 ff. Singer/Stauder-Steinbrenner, EPÜ, 5. Aufl., Art. 52 Rn. 11 ff.). Ob der Gegenstand einer Anmeldung neben technischen auch untechnische Merkmale aufweist, ist für das Technizitätserfordernis unerheblich. Die Patentfähigkeit einer solchen Kombination hängt insoweit allein von Neuheit und erfinderischer Tätigkeit ab (BGH, GRUR-Int. 2009, 528 – Steuerungseinrichtung für Untersuchungsmodalitäten; Fitzner/Lutz/Bodewig – Einsele, Patentrechtskommentar, 4. Aufl., § 1 Rn. 45 ff, 52.; Singer/Stauder-Steinbrenner, EPÜ, 5. Aufl., Art. 52 Rn. 11, 16 ff.).
Nicht schutzfähig sind demgegenüber der menschliche Verstand bzw. Anweisungen, die sich allein an den menschlichen Geist oder seine Wahrnehmung richten (BGH, GRUR 1992, 36 – Chinesische Schriftzeichen; BGH, GRUR 1975, 549 – Buchungsblatt; Benkard/Melullis, EPÜ, 2. Aufl., Art. 52 Rn. 58). Daran ändert sich auch nichts, wenn technische Mittel bei Gelegenheit einer menschlichen Tätigkeit eingesetzt werden oder wenn bei einer Anweisung an den menschlichen Geist zu ihrer Verwirklichung technische Geräte sinnvoll, praktisch oder notwendig sind (BGH GRUR 1976, 96 – Dispositionsprogramm für das ältere deutsche Recht; Benkard/Melullis, EPÜ, 2. Aufl., Art. 52 Rn. 68).

Ausgehend hiervon ist der Anspruch 1 und insbesondere das Erfordernis des Merkmals 2, die mehreren Instrumente zum schrittweisen Einstellen der Zahnposition als ein einheitliches Paket bereitzustellen, technisch.
Sofern die Beklagten vortragen, dass es im Ermessen des Herstellers liege, eine Verpackungsgröße zu wählen, geht dies an der Sache vorbei. Wie gesehen erschöpft sich das Merkmal 2 nicht in der Art der Verpackung, sondern stellt vielmehr darauf ab, dass die gesamte Anzahl der für eine abschließende Behandlung notwendigen Zahnschienen zu Beginn der Behandlung bereits vorhanden sind. Es handelt sich hierbei nicht lediglich um eine kaufmännische Entscheidung, sondern um ein technisches Mittel. Die technische Anweisung liegt darin, dass alle Instrumente bereits vorhanden, also bereits hergestellt sein müssen. Das physische Vorhandensein in Form der Bereitstellung stellt damit eine technische Anweisung zum Handeln dar, nämlich der Herstellung von physischen Gegenständen, die jeweils eine bestimmte Geometrie aufweisen, um eine Zahnanordnung in eine endgültige Position zu verschieben. Die Anweisung beinhaltet weiter die zeitliche Komponente, dass die Herstellung, inklusive der letzten Zahnschiene, zu Beginn der kieferorthopädischen Behandlung abgeschlossen sein muss. Denn auch die letzte Zahnschiene, mit der die endgültige Zahnstellung erreicht werden soll, muss physisch vorhanden sein. Ob dieses Merkmal hingegen trivial ist, ist keine Frage der Patentfähigkeit, sondern allein der erfinderischen Tätigkeit.

2)
Die Kammer vermag nicht festzustellen, dass Anspruch 1 in der geltend gemachten Fassung bereits in einer der von den Beklagten im Verletzungsverfahren hervorgehobenen Entgegenhaltungen – US-Schrift 2,467,432 (Anlage B 2, „Kesling“, deutsche Übersetzung Anlage B 2.2) und/oder McNamara, Jr., James A., Brudon, William L., Orthodontic and orthopedic treatment in the mixed dentition (Anlage B 3, „McNamara“, deutsche Übersetzung Anlage MH 4/Ü 4 aus dem Parallelverfahren 4b O 12/12) – neuheitsschädlich vorweg genommen ist, Art. 54 EPÜ.
Ein zum Stand der Technik gehörendes Dokument ist nur dann neuheitsschädlich, wenn der Gegenstand der Erfindung unmittelbar und eindeutig aus dem Dokument hervorgeht, wobei auch Merkmale, die nicht ausdrücklich im Dokument offenbart sind, aber vom Fachmann implizit miterfasst werden, offenbart sind (Benkard/ Mellulis, EPÜ, 2. Aufl., Art. 54 Rn. 51 ff; Singer/Stauder – Spangenberg, EPÜ, 5. Aufl., Art. 54 Rn. 25 ff. jeweils m. Rspr.- Nachw.). Die Einbeziehung von Fachwissen erlaubt keine Ergänzung der Offenbarung durch das Fachwissen, sondern dient lediglich der vollständigen Ermittlung des Sinngehalts (BGH, GRUR 2009, 382 – Olanzapin; Busse/Keukenschrijver, PatG, 7. Aufl., § 3 Rn. 73 m.w.N.).
Der für die vorliegende Erfindung zuständige Fachmann ist ein Kieferorthopäde, der im Team mit einem Zahntechniker auf dem Gebiet von Behandlungsmethoden zur Zahnkorrektur zusammenarbeitet.
Dies zugrundegelegt kann die Kammer nicht die Überzeugung gewinnen, dass die Entgegenhaltung Kesling oder die Entgegenhaltung McNamara jeweils für sich genommen sämtliche Merkmale des Anspruchs 1 zeigen.

a)
Die US-Schrift Kesling offenbart nach Auffassung der Kammer das Merkmal 2 nicht eindeutig und unmittelbar.
Kesling beschreibt eine Methode zu Herstellung von verbesserten Zahnpositionierungsgeräten, mit denen eine optimale Positionierung der Zähne durch eine moderate Kraftanwendung effektiv bewirkt wird. Dabei werden die einzelnen Zähne aus einem Gipsabdruck herausgelöst und durch Auftragen von Wachs unter Berücksichtigung der jeweiligen optimalen Position wieder eingesetzt.
Die Schrift offenbart in Spalte 3, Zeilen 4 f., dass die gezeigten Zahnpositionierer dazu verwendet werden können, die Zähne durch eine Mehr- oder Vielzahl von Schritten mit diversen Zwischenpositionierern zu verschieben, die lediglich dazu dienen, die Zähne einen Bruchteil des Weges bis zu ihrer endgültigen Zahnstellung zu verschieben. Der Fachmann entnimmt der Schrift daher, dass eine Umpositionierung der Zähne mehrere Zahnpositionierer umfassen kann. Damit nimmt die Kesling-Schrift zwar die Merkmale, 1, 1.1 – 1.3 vorweg, zeigt indes nicht Merkmal 2.
Der Einwand der Beklagten, der Fachmann lese jedenfalls in der Stelle Spalte 5, Zeilen 40 ff. (nachfolgend zitiert nach deutscher Übersetzung B 2.2), nach der die beschriebene Methode dazu eingesetzt werden kann, um in mehreren Stufen die Zähne Schritt für Schritt aus einer extremen Position bis hin zu der erwünschten und endgültigen Position zu bewegen, mit, dass es möglich sein muss, alle – auch die vorhergehenden Geräte – vor Beginn der Behandlung bereits herzustellen, überzeugt nicht. Die Beklagten erläutern nicht, wo sich aus dem Offenbarungsgehalt der Schrift ergibt, dass die Geräte alle zum gleichen Zeitpunkt, nämlich vor dem Beginn der Behandlung, fertig und damit bereit gestellt werden. Diese zeitliche Vorgabe erkennt der Fachmann auch nicht durch die Angabe in Spalte 6, Zeilen 28 ff., wonach der – nach der korrigierten Übersetzung von „prearrange“ – Kieferorthopäde die Zähne nicht nur in jedem einzelnen Behandlungsfall in Übereinstimmung mit dem Typus vorausplanen kann, sondern es ihm auch ermöglicht, diese vorausgeplante Anordnung der Zähne für den behandelten Patienten zu erzielen. Eine mögliche Vorausplanung der Schienen zeigt dem Fachmann nicht, dass alle Schienen zur Beginn der Behandlung vorliegen bzw. bereitgestellt sein müssen. Diesen Schluss zieht der Fachmann auch nicht aus der Angabe, dass das Gerät viele zahnmedizinische Justierungen, die vorher für die gestalterische Positionierung der Zähne notwendig waren, überflüssig mache, wodurch die Behandlungszeit verkürzt werde (Spalte 6, Zeilen 24 ff.). Denn auch hier ist von der einzelnen Zahnschiene die Rede, die im Vergleich zu den Brackets-Systemen keine individuelle Anpassung mehr erfordert, jedoch nicht von mindestens drei Zahnschienen, die alle vor Behandlungsbeginn bereits fertig gestellt sind. Zwar zeigt die in Spalte 4, Zeilen 19 ff. vorgesehene Schale, die als Schablone für den nächsten Abdruck dient, nicht zwingend, dass Kesling für jede Schiene neue Zwischenabdrücke vorgesehen hat. Dennoch ist weder von den Parteien konkret vorgetragen noch ersichtlich an welcher Stelle sich für den Fachmann offenbart, dass alle zur Behandlung notwendigen Schienen am Behandlungsbeginn fertig gestellt sein müssen.
Schließlich vermögen die Ausführungen nicht zu überzeugen, der Fachmann erkenne, dass jederzeit ein einheitliches Paket bereitgestellt werden könne, z.B. auch zu Entsorgungszwecken am Ende der Behandlung in einem Abfallbehälter. Denn nach der zutreffenden Auslegung des Klagepatents gibt der Anspruch eine zeitliche Komponente der Bereitstellung vor Beginn der Behandlung vor. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen verwiesen. Daher wäre selbst bei einem solch unterstellten fachmännischen Verständnis das Merkmal 2 dennoch nicht offenbart.
b)
Auch die McNamara-Schrift nimmt nach Auffassung der Kammer den Gegenstand des Klagepatents nicht neuheitsschädlich vorweg.
Diese Entgegenhaltung offenbart die Herstellung und Funktion unsichtbarer Retainer mit Hilfe derer Zähne repositioniert werden können. Die Herstellung der Retainer erfolgt mittels eines Arbeitsmodells, welches auf dem Gipsabguss eines Patientengebisses beruht, und in dem pro Quadrant ein Zahn vor Herstellung der Zahnschiene repositioniert werden kann.
Auf Seite 347, Absatz 3 (nachfolgend zitiert nach deutscher Übersetzung MH4/Ü4 aus dem Parallelverfahren Az. 4b O 12/12) wird eine Serie von unsichtbaren Retainern genannt, mit der die Feineinstellung des Bisses erzielt werden könne, wobei bei der Repositionierung von mehreren Zähnen in einem Quadranten, mehrere Sätze unsichtbarer Retainer erforderlich seien. Sofern die Beklagten hier wiederum auf eine offenbarte Einzelverpackung rekurrieren, kommt es darauf – wie bereits gesehen – nicht entscheidend an. Die Beklagten legen nicht substantiiert da, wieso Merkmal 2 offenbart sein soll. Sie behaupten lediglich pauschal, für den Fachmann sei offensichtlich, dass die Serie der unsichtbaren Retainer an einem Modell hergestellt werden könne. Denn es sei bekannt, dass an einem Modell auch mehrere Schritte simuliert werden können, um den Behandlungsplan zu erstellen und auf dieser Basis sei es ebenso offensichtlich die Geräte herzustellen und als Paket zusammenzufassen. Es ist gerade nicht nachvollziehbar, warum der Fachmann diese genannten Schritte alle mitlesen sollte, wenn er die Information erhält, dass man Serien von Retainern bei der Repositionierung von mehreren Zähnen benötigt. Ebenso wenig erschließt sich, unterstellt der Fachmann verstünde die zitierte Stelle so, dass zu irgendeinem Zeitpunkt alle Retainer einmal in einem Raum körperlich nebeneinandergelegen haben, wie der Fachmann darin das Merkmal 2 erblicken soll. Wiederum vernachlässigen die Beklagten bei dieser Sichtweise die vorgegebene zeitliche Komponente zu Beginn der Behandlung, für die ein Zusammentreffen aller Zahnschienen zu einem beliebigen Zeitpunkt während der Herstellung irrelevant ist.

3)
Sofern die Beklagten auf die Entscheidung des United States Court of Appeals for the Federal Circuit vom 30.08.2006 rekurrieren und eine offenkundige Vorbenutzung behaupten, ist nicht überwiegend wahrscheinlich, dass das Bundespatentgericht die Neuheit aufgrund einer offenkundigen Vorbenutzung verneint.
Von einer offenkundigen Vorbenutzung im Sinne des Art. 54 Abs. 2 EPÜ wird ausgegangen, wenn die Benutzung vor dem Prioritätszeitpunkt des Klagepatents erfolgt ist, der benutzte Gegenstand so beschaffen ist, dass er der Aufrechterhaltung des Klagepatents in vollem Umfang entgegensteht und die Umstände der Benutzung den betreffenden Gegenstand der Öffentlichkeit zugänglich gemacht haben (vgl. Fitzner/Lutz/Bodewig – Münch, Patentrechtskommentar, 4. Aufl., Art. 54 EPÜ Rn. 18). Wird eine offenkundige Vorbenutzung geltend gemacht, müssen der genaue Gegenstand der Benutzung und die konkreten Umstände, unter denen die Benutzung erfolgte, z.B. konkrete Angaben zu was, wo, wann wie und durch wen benutzt wurde, substantiiert dargelegt und bewiesen werden (vgl. LG Düsseldorf, Urteil vom 27.05.2008, Az. 4a O 112/07; Fitzner/Lutz/Bodewig – Münch, Patentrechtskommentar, 4. Aufl., Art. 54 EPÜ Rn. 20).
Die Beklagten haben insoweit vorgetragen, dass die beanspruchte Erfindung bereits ca. 1981 oder 1982 von Dr. B, der auf den von Dr. C entwickelten Aligner aufmerksam geworden sei, entwickelt worden sei und er diese Mitte der 1980er Jahre öffentlich in Frankreich und den USA vorgestellt habe sowie im Jahre 1986 in einer Zeitung, dem Orange County Register.
Abgesehen davon, dass zweifelhaft ist, ob der konkrete Tatsachenvortrag den Anforderungen der Rechtsprechung genügt, ist die Vorbenutzung zwischen den Parteien streitig, insbesondere der Zugang zur Öffentlichkeit. Da das Bundespatentgericht gegebenenfalls eine Vernehmung der Zeugen durchzuführen hat – sofern seitens der Beklagten im Nichtigkeitsverfahren noch Zeugenbeweis angetreten wird – ist im hiesigen Verletzungsprozess bereits unvorhersehbar, in welcher Weise die benannten Zeugen aussagen und wie diese Aussagen zu würdigen sind. Da auch insoweit eine gänzlich unsichere Prognose im Raum stünde, verbietet sich die Annahme, es sei mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine Vernichtung des Klagepatents aufgrund des Vorliegens einer offenkundigen Vorbenutzung zu erwarten (vgl. Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 6. Aufl., Rn. 1591).

4)
Nach Art. 56 EPÜ gilt eine Erfindung als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend, wenn sie sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass eine erfinderische Tätigkeit nicht vorliegt, wenn der Fachmann aus dem Stand der Technik sowohl Rückschlüsse hinsichtlich der Problemstellung des Klagepatents, als auch in Bezug auf die Problemlösung mit Mitteln des Klagepatents ziehen kann. Dies ist auf der Grundlage des vorgetragenen Sach- und Streitstandes nicht ersichtlich.
Die Beklagten tragen auch hier nicht substantiiert vor. Sie behaupten Merkmal 2 sei nicht erfinderisch, da das Verpacken mehrerer Produkte üblich und gewöhnlich sei. Dies belegt nicht, dass ein konkret benannter Stand der Technik am Prioritätstag dem Fachmann Merkmal 2 nahe gelegt hat. Es ist nicht konkret dargetan, dass und warum der Fachmann in der Lage gewesen sein soll zu sehen, dass er einen komplette Behandlungssatz von Zahnschienen am Anfang der Behandlung fertig stellen und diesen im Set verkaufen kann. Es ist ferner nicht ersichtlich woher der Fachmann den Anlass für diese Überlegungen hatte.

5)
Auch der Nichtigkeitsgrund einer unzulässigen Erweiterung gemäß Art. 123 Abs. 2 EPÜ liegt nicht vor.
Von einer solchen unzulässigen Erweiterung wäre auszugehen, wenn der Gegenstand von Anspruch 1 über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldung hinausginge. Ob dies der Fall ist, ist mittels eines Vergleichs des Gegenstandes des erteilten Patents mit dem Inhalt der ursprünglichen Unterlagen zu klären, wobei der Inhalt der Patentanmeldung der Gesamtheit der Unterlagen zu entnehmen ist. Ergibt der Vergleich, dass der Patentanspruch auf einen Gegenstand gerichtet ist, den die ursprüngliche Offenbarung aus Sicht des Fachmanns nicht zur Erfindung gehörend erkennen lässt, wäre eine unzulässige Erweiterung zu konstatieren (BGH GRUR 2011, 1109 – Reifendichtmittel; BGH GRUR 2010, 513 – Hubgliedertor II).
Dies zugrunde gelegt, erkennt die Kammer diesen Nichtigkeitsgrund nicht als durchgreifend.
Nach dem Vortrag der Beklagten habe die Stammanmeldung das Merkmal 2 in der Form enthalten „[…] and the appliances may thus be provided to the patient as a single package or system“ – in der Übersetzung: „[…] und die Instrumente können daher dem Patienten als ein einheitliches Paket oder System zur Verfügung gestellt werden“–. Durch das Entfallen der Satzteile „to the patient“ und „or system“ sei der Schutzbereich im Vergleich zur Stammanmeldung nunmehr unzulässig erweitert worden. Dem ist nicht zu folgen.
Für die Zulässigkeit von Änderungen ist relevant, ob durch sie zusätzliche, technisch relevante Informationen zur Verfügung gestellt wurden, die in den ursprünglichen Unterlangen nicht enthalten waren (vgl. Fitzner/Lutz/Bodewig – Müller, Patentrechtskommentar, Art. 123 EPÜ Rn. 118 m.w.N.). Bei der Streichung von Merkmalen verstößt diese dann nicht gegen Art. 123 Abs. 2 EPÜ, wenn ein technisches Merkmal aus einem Anspruch gestrichen wird und ein dieses Merkmal nicht enthaltender Anspruch von der ursprünglich eingereichten Fassung der Anmeldung gestützt wird, wobei unerheblich ist, ob das betreffende Merkmal für die dem beanspruchten Gegenstand zugrunde liegende erfinderische Idee relevant ist (vgl. Fitzner/Lutz/Bodewig – Müller, Patentrechtskommentar, Art. 123 EPÜ, Rn. 127 m.w.N.).
Hier ist zwar die Bereitstellung an den Patienten gestrichen worden. Der nunmehrige Anspruch, der die „Empfängereigenschaft“ nicht benennt, war aber ebenfalls durch die ursprüngliche Anmeldung offenbart. Denn es ist für den Fachmann trotz der Konkretisierung des Anwenders ersichtlich, dass das Instrument/die Zahnschiene – bevor der Patient es/sie erhält – auch jedem anderen an der Behandlung beteiligten Person ausgehändigt werden kann. Durch die Streichung ist insoweit keine zusätzliche technisch relevante Information zur Verfügung gestellt worden. Auch wenn die Bereitstellung vor der Behandlung erfindungswesentlich ist, ist es für die klagepatentgemäße Lösung nur von untergeordneter Bedeutung ob sie direkt an den Patienten oder zunächst dem Arzt bereitgestellt wird. Die seitens der Beklagten angeblich zusätzlich erfassten Fälle (Übergabe an Zwischenhändler, Abbruch der Behandlung, Rückgabe wegen Mängeln, Musterpakete) waren bereits von dem ursprünglichen Wortlaut in der Anmeldung geschützt.
Schließlich stellt es keine unzulässige Erweiterung dar, wenn von zwei offenbarten Alternativen „package or system“ eine Alternative gestrichen wird. Die insoweit auch erfasste Versendungsart war durch den ursprünglichen Wortlaut ebenfalls nicht ausgeschlossen und insofern mit offenbart.

VI.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, 269 Abs. 3 S. 2. ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage in § 709 S. 1 ZPO.

VII.

Der nicht nachgelassene Schriftsatz der Beklagten vom 20.06.2013 hat bei der Urteilsfindung keine Berücksichtigung gefunden. Eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung ist nicht veranlasst. Dies bereits deshalb nicht, weil die Kammer ihrer Hinweispflicht gem. § 139 ZPO bereits mit Beschluss vom 13.01.2012 – also auf den Tag genau anderthalb Jahre vor der mündlichen Verhandlung – nachgekommen ist. Unter § 139 Abs. 2 ZPO fallen insbesondere nicht solche Gesichtspunkte, auf die das Gericht bereits aufmerksam gemacht hat, die aber dennoch unbeachtet blieben (vgl. Musielak, ZPO, 10. Aufl., § 139 Rn. 22). Schließlich hat die Vorsitzende in der mündlichen Verhandlung bei Einführung in den Sach-und Streitstand erneut erörtert, dass nur übersetzte Druckschriften im Rahmen der Rechtsbestandsprüfung Berücksichtigung finden.

VIII.

Der Streitwert des Verfahrens wird auf 500.000,00 € festgesetzt, wobei von diesem Gesamtstreitwert 111.111,00 € auf die Feststellung der gesamtschuldnerischen Schadenersatzpflicht der Beklagten (Tenor III.) entfallen (BGH, GRUR-RR 2008, 460, 461).