4b O 135/12 – Riluzol

Düsseldorfer Entscheidung Nr.:  1941

Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 19. Oktober 2012, Az. 4b O 135/12

I. Die einstweilige Verfügung vom 19. September 2012 bleibt aufrechterhalten.

II. Die Verfügungsbeklagten tragen die weiteren Kosten des Verfahrens.

III. Die Anordnung der Sicherheitsleistung bleibt aufrechterhalten.

T a t b e s t a n d
Die Verfügungsklägerin ist eingetragene Inhaberin des europäischen Patents 0 627 XXX (nachfolgend: Verfügungspatent), das am 22. Oktober 1992 in französischer Verfahrenssprache unter Inanspruchnahme der Priorität der FR 92 02 XXX vom 6. März 1992 angemeldet wurde. Die Veröffentlichung der Erteilung des Verfü-gungspatents im Patentblatt erfolgte am 11. September 1997. Der deutsche Teil des Verfügungspatents (DE 692 18 XXX T2) steht in Kraft.

Das Verfügungspatent trägt die Bezeichnung Verwendung von Amino-2-trifluormethoxy-6-benzothiazol (Riluzol) zur Herstellung eines Medikamentes zur Behandlung von Erkrankungen des Motoneurons. Die vorliegend streitgegen-ständlichen Patentansprüche 1, 2 und 5 lauten in der eingetragenen deutschen Übersetzung:

„Verwendung von 2-Amino-6-trifluormethoxy-benzothiazol oder einem Salz dieser Verbindung mit einer pharmazeutisch akzeptablen Säure zur Herstellung eines Arzneimittels für die Behandlung von Erkrankungen des Motoneurons.

Verwendung nach Anspruch 1 von 2-Amino-6-trifluormethoxy-benzothiazol oder einem Salz dieser Verbindung mit einer pharmazeutisch akzeptablen Säure zur Herstellung eines Arzneimittels für die Behandlung von amyotrophischer Lateralsklerose.

Verwendung nach Anspruch 1 bis 4 zur Herstellung eines Arzneimittels, das 25 mg bis 200 mg 2-Amino-6-trifluormethoxy-benzothiazol umfasst.“

Die Verfügungsklägerin ist seit dem 10. Juni 1996 Inhaberin einer u.a. in Deutschland geltenden EU-weiten arzneimittelrechtlichen Genehmigung (Zulassungsnummer EU/1/96/010/001) für das Arzneimittel „A 50 mg Filmtablette“, welches eine Zulassung ausschließlich zur Behandlung von amyotropher Lateralsklerose (ALS) innehat. Seit dem 15. September 2012 vertreibt ein mit der Verfügungsklägerin konzernverbundenes Unternehmern, B GmbH, ein Generikum mit dem Wirkstoff Riluzol unter der Bezeichnung „Riluzol C“ zu einem Preis von 474,37 €. Das Originalprodukt der Verfügungsklägerin wird zu einem Preis von 532,35 € vertrieben.

Bei den Verfügungsbeklagten handelt es sich um Generika-Unternehmen, die zu dem Konzern D Ltd. mit Sitz in Israel gehören. Die Verfügungsbeklagten haben für die Bundesrepublik Deutschland Arzneimittelzulassungen beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) für das Arzneimittel „Riluzol-E 50 mg Filmtabletten“ (Verfügungsbeklagte zu 1)) und „Riluzol-F 50 mg Filmtabletten“ (Verfügungsbeklagte zu 2)) (insgesamt angegriffene Ausführungsformen) am 28. Juli 2009 erhalten. Die Verfügungsbeklagten bieten die angegriffenen Ausführungsformen seit dem 15. September 2012 über die Listung „Lauer-Taxe“ zum Verkauf an. Die Lauer-Taxe enthält die Daten aller Arzneimittel, die in Deutschland für den Handel zugelassen sind. Sie bildet so die Grundlage für den Einkauf und die Arzneimittelausgabe seitens der Apotheken, denen die in der Lauer-Taxe enthaltenen Informationen über Apothekensoftwareprodukte verschiedener Unternehmen zugänglich sind. Die Lauer-Taxe wird überwiegend mit den von der Informationsstelle für Arzneimittelspezialitäten GmbH (IFA) gesammelten Daten gespeist und erscheint zweimal monatlich. Bereits einige Tage vor dem jeweiligen „offiziellen“ Veröffentlichungstermin der Lauer-Taxe und den damit korrespondierenden Aktualisierungen der jeweiligen Apotheken-softwareprodukte sind die demnächst darin gelisteten Arzneimittel elektronisch einsehbar.

Nachdem die Verfügungsklägerin Kenntnis von der Listung in der Lauer-Taxe erhalten hat, hat sie die Verfügungsbeklagten mit Schreiben vom 13. September 2012 (Anlage AG 12) mit Frist bis zum 14. September 2012 abgemahnt. Die Verfügungsbeklagte zu 1) teilte auf die Abmahnung hin mit Schreiben vom 14. September 2012 mit, dass ihre Muttergesellschaft am 3. September 2012 eine Nichtigkeitsklage zum Bundespatentgericht (3 Ni 28/12) eingereicht habe. Die Nichtigkeitsklage ist der Verfügungsklägerin inzwischen zugestellt worden.

Mit Schriftsatz vom 18. September 2012 hat die Verfügungsklägerin beim Land-gericht Düsseldorf den Erlass einer einstweiligen Verfügung im Beschlussweg beantragt. Die Kammer hat den Verfügungsbeklagten daraufhin mit Beschluss vom 19. September 2012 unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel und Anordnung einer Sicherheitsleistung in Höhe von 300.000,- € untersagt,

vor dem 22. Oktober 2012 Arzneimittel enthaltend 2-Amino-6-trifluormethoxy-benzothiazol (Riluzol) zur Behandlung amyotrophischer Lateralsklerose anzubieten, in Verkehr zu bringen, zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen,

insbesondere wenn das Arzneimittel dabei 25 mg bis 200 mg 2-Amino-6-trifluormethoxy-benzothiazol (Riluzol) umfasst.

Mit Schriftsatz vom 25. September 2012 haben die Verfügungsbeklagten gegen diese Beschlussverfügung Widerspruch eingelegt.

Sie meinen, es fehle dem Verfügungsantrag an einem hinreichend gesicherten Rechtsbestand des Verfügungspatentes, so dass es an einem Verfügungsgrund fehle. Das Prioritätsdokument der im Erteilungsverfahren berücksichtigten EP 0 374 XXX (Anlage rop 13 und 13a, nachfolgend EP ‚XXX)), die FR 88 165 48, welche unter der Registernummer 2 XXX 624 (Anlage AG 6 = NiK2, deutsche Übersetzung Anlage AG 7, nachfolgend FR ‚624)) veröffentlicht worden sei, nehme den Gegenstand der Erfindung nach dem Klagepatent neuheitsschädlich vorweg. Im Gegensatz zur EP ‚XXX werde in der FR ‚624 Riluzol, nämlich 6-Trifluormethoxy-2-benzothiazolamin nicht von den offenbarten Verbindungen ausgenommen. Das Europäische Patentamt (EPA) habe das Verfügungspatent auch nur deshalb erteilt, weil bei dem EP ‚XXX Riluzol gerade ausgenommen worden sei. Dies ergebe sich ohne Weiteres aus dem Schreiben des EPA vom 11. Januar 1996 (Anlage AG 15, deutsche Übersetzung Anlage AG 15.1) und dem Antwortschreiben der Verfügungsklägerin vom 9. Februar 1996 (Anlage AG 16, deutsche Übersetzung Anlage AG 16.1). Im Übrigen werde Riluzol in der FR ‚624 für den Fachmann hinreichend individualisiert. Riluzol falle unter die allgemeine Markush-Formel des Anspruchs 1 und werde darüber hinaus im Beispiel 7 unter Angabe eines Herstellungsverfahrens individuell offenbart. Auch werde die Verwendung von Riluzol zur Behandlung von ALS hinreichend offenbart, wie der Anlage AG 7 auf Seite 4 letzter Absatz bis Seite 5 1. Absatz entnommen werden könne. Amyotrophe Lateralsklerose werde hier ausdrücklich genannt, gleich ob an der Krankheit Glutamat beteiligt sei oder nicht. Die von der Verfügungsklägerin in der Antragsschrift in Bezug genommene Entscheidung eines US-Gerichts sei für das vorliegende Verfahren mangels Vorlage der maßgeblichen Dokumente wie die US-amerikanische Patentschrift sowie Stand der Technik ohne Relevanz.
Im Übrigen habe die Verfügungsklägerin kein überwiegendes Interesse am Erlass einer einstweiligen Verfügung, da die Vrfügungsklägerin über die konzernverbundene B GmbH bereits ein eigenes Generikum vertreibe, was zu einem Preisverfall des Originalproduktes führe; ein nicht wieder gut zu machender Schaden könne nicht entstehen. Der Verfügungsklägerin gehe es ausschließlich darum ihre Position als erstes Generika-Unternehmen auf dem Markt zu sichern, um sich die daraus erwachsenden Vorteile zu sichern. Ein Lizenzangebot der Verfügungsbeklagten nach Erlass der einstweiligen Verfügung durch Zahlung einer Lizenzgebühr von 15 % habe die Verfügungsklägerin nicht beantwortet. Demgegenüber würden die angegriffenen Ausführungsformen erst ab dem 15. November 2012 wieder in der Lauer-Taxe gelistet, mithin weit nach Ablauf des Verfügungspatentes.

Die Verfügungsbeklagten beantragen,

die einstweilige Verfügung des Landgerichts Düsseldorf vom 19. September 2012 aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 18. September 2012 zurückzuweisen.

Die Verfügungsklägerin beantragt,

die einstweilige Verfügung des Landgerichts Düsseldorf vom 19. September 2012 zu bestätigen.

Sie meint, der Rechtsbestand des Verfügungspatents sei hinreichend gesichert. Auch im Erteilungsverfahren hätte die Berücksichtigung der FR ‚624 zu keinem anderen Ergebnis geführt. In der Druckschrift werde eine allgemeine, eine Vielzahl von Verbindungen umfassende, nur durch eine Markush-Formel charakterisierte Gruppe als möglicherweise geeignet zur Behandlung einer Vielzahl von verschiedenen Erkrankungen bezeichnet. Belege für die Wirksamkeit jeder einzelnen der vielen von der Gruppe erfassten Verbindungen für die jeweiligen Erkrankungen enthalte die Druckschrift nicht, insbesondere auch nicht für das auch dort als vorbekannt beschriebene Riluzol. Es entspreche der ständigen Rechtsprechung des EPA, dass bei einer im Stand der Technik gelehrten Strukturformel, die eine Vielzahl von Verbindungen umfasse, nicht davon ausgegangen werden könne, dass jede einzelne die pauschal behauptete Wirkung und/oder gar eine Wirkung zeige, die eine Formulierung dieser Substanz als Wirkstoff in einem Medikament gestatte. Die Druckschrift enthalte keinerlei Hinweise, gerade Riluzol aus der Gruppe der durch die Markush-Formel definierten Verbindungen zur Behandlung einer speziellen Krankheit aus der Gruppe der vorgeschlagenen Anwendungsgebiete, nämlich ALS, auszuwählen.
Der Fachmann habe auf der Grundlage der ‚624 ebenso wenig Veranlassung, gerade Riluzol zur Behandlung von ALS auszuwählen. Die Tatsache, dass Riluzol ausweislich der Beschreibung des Beispiels 7 schon in der FR ‚624 als vorbekannt beschrieben ist, offenbare dem Fachmann, dass die Autoren der FR ‚624 Riluzol gerade nicht als eine der neuen, erfindungsgemäßen Verbindungen im Sinn gehabt hätten. Dies werde dadurch bestätigt, dass das nur in Beispiel 7 erwähnte Riluzol dort lediglich als Zwischenprodukt für die Erzeugung einer erfindungsgemäßen Verbindung diene. Gerade der Umstand, dass die Autoren der FR ‚624 zunächst übersehen hatten, dass das von ihnen selbst als vorbekannt beschriebene Riluzol ebenfalls unter die beanspruchte Markush-Formel fällt, spreche dagegen, anzunehmen, die FR ‚624 offenbare Riluzol zur Behandlung von ALS. Der im Laufe des Erteilungsverfahrens in die EP ‚XXX eingefügte Disclaimer spiegele diesen Sachverhalt wieder.
Die Listung eines Generikums durch ein konzernverbundenes Unternehmern zum 15. September 2012 spreche nicht gegen einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil. Es liege im Rahmen der Entscheidungsfreiheit einer Patentinhaberin Lizenzen am Verfügungspatent zu vergeben. Auch die erst nach Erlass und Zustellung der einstweiligen Verfügung von den Verfügungsbeklagten unternommenen Versuche, ihren vorzeitigen Markteintritt durch das Angebot einer Lizenzzahlung doch noch zu erreichen, ändere an der Interessenabwägung zu Gunsten der Verfügungsklägerin nichts. Ein entsprechendes Angebot hätte vor Markteintritt erfolgen müssen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewech-selten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Ver-handlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe
Der Widerspruch der Verfügungsbeklagten hat in der Sache keinen Erfolg.

I.
Das Verfügungspatent betrifft die Verwendung von 2-Amino-6-trifluormethoxy-benzothiazol oder einem Salz dieser Verbindung mit einer pharmazeutisch akzeptablen Säure zur Herstellung eines Arzneimittels für die Behandlung von Erkrankungen des Motoneurons, insbesondere für die Behandlung von amyotrophischer Lateralsklerose mit bulbärem Beginn oder in bulbärer Form.

Die Verfügungspatentschrift führt zum Stand der Technik aus, es sei bekannt, dass 2-Amino-6-trifluormethoxy-benzothiazol (allgemeine internationale Bezeichnung: Riluzol) als antikonvulsives, anxiolytisches und hypnotisches Mittel (EP 50551), bei der Behandlung von Schizophrenie (EP 305 277), bei der Behandlung von Schlafstörungen und Depressionen (EP 305 277), bei der Behandlung von cerebrovasculären Störungen und als Anästhetikum (EP 282 971) nützlich ist.

Die Verfügungspatentschrift nimmt als Stand der Technik Bezug auf die EP-A-374 XXX (Anlage rop 13, deutsche Übersetzung rop 13a), welche Derivate von 2-Benzothiazolaminen mit Ausnahme von Riluzol und ihre Anwendung bei der Behandlung von amyotrophischer Lateralsklerose beschreibt.

Die Verfügungspatentschrift führt hieran anschließend ohne eine konkrete Aufgabenstellung zu nennen weiter aus, dass nunmehr gefunden worden sei, dass 2-Amino-6-trifluormethoxy-benzothiazol oder ein Salz dieser Verbindung bei der Behandlung von Erkrankungen des Motoneurons nützlich ist, insbesondere bei der Behandlung von amyotrophischer Lateralsklerose und ganz besonders von amyotrophischer Lateralsklerose mit bulbärem Beginn oder in bulbärer Form. Hierzu schlägt das Verfügungspatent in den für das vorliegende Verfahren maßgeblichen Patentansprüchen 1, 2 und 5 nachfolgende Verwendungen von 2-Amino-6-trifluormethoxy-benzothiazol vor:

Patentanspruch 1:
1. Verwendung von 2-Amino-6-trifluormethoxy-benzothiazol oder einem Salz dieser Verbindung mit einer pharmazeutisch akzeptablen Säure
2. zur Herstellung eines Arzneimittels für die Behandlung von Erkrankungen des Motoneurons.

Patentanspruch 2:
1. Verwendung von 2-Amino-6-trifluormethoxy-benzothiazol oder einem Salz dieser Verbindung mit einer pharmazeutisch akzeptablen Säure
2. zur Herstellung eines Arzneimittels für die Behandlung von amyotrophischer Lateralsklerose.

Patentanspruch 3:
1. Verwendung von 2-Amino-6-trifluormethoxy-benzothiazol oder einem Salz dieser Verbindung mit einer pharmazeutisch akzeptablen Säure
2. zur Herstellung eines Arzneimittels für die Behandlung von Erkrankungen des Motoneurons, insbesondere von amyotrophischer Lateralsklerose
3. wobei das Arzneimittel 25 mg bis 200 mg 2-Amino-6-trifluormethoxy-benzothiazol umfasst.

Zwischen den Parteien unstreitig machen die angegriffenen Ausführungsformen widerrechtlich von der technischen Lehre des Verfügungspatents wortsinngemäßen Gebrauch. Die Verfügungsbeklagten haben die angegriffenen Ausführungsformen zu der am 15. September 2012 erschienenen Lauer-Taxe angemeldet. Der Verfügungsklägerin steht daher der geltend gemachte Unter-lassungsanspruch aus Art. 64 EPÜ i. V. m. § 139 Abs. 1 PatG zu.

II.
Darüber hinaus hat die Verfügungsklägerin auch das Bestehen eines Verfü-gungsgrundes glaubhaft gemacht hat.

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des OLG Düsseldorf (InstGE 9, 140 – Olanzapin; InstGE 12, 114 – Harnkatheterset; bestätigt in: OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2011, 81 – Gleitsattelscheibenbremse II), dass der Erlass einer einstweiligen Verfügung insbesondere auf Unterlassung nur in Betracht kommt, wenn sowohl die Frage der Patentverletzung als auch der Bestand des Verfügungspatents im Ergebnis so eindeutig zugunsten des Antragstellers zu beantworten sind, dass eine fehlerhafte, in einem etwa nachfolgenden Hauptsacheverfahren zu revidierende Entscheidung nicht ernstlich zu erwarten ist (ebenso: OLG Karlsruhe, InstGE 11, 143 – VA-LVD-Fernseher).

Danach ist in Patentverletzungsstreitigkeiten das Vorliegen eines Verfügungsgrundes besonders sorgfältig zu prüfen. Gerade hier ergeben sich regelmäßig besondere Schwierigkeiten daraus, die Schutzfähigkeit bzw. Rechtsbeständigkeit des Antragsschutzrechtes innerhalb kurzer Zeit und ohne eine dem Verfahren der Hauptsache entsprechende schriftsätzliche Vorbereitung sachgerecht zu beurteilen. Die eingeschränkten Möglichkeiten treffen besonders den Antragsgegner. Während dem Antragsteller, der sich zwar beschleunigt um eine Durchsetzung seiner Rechte bemühen muss, um die zeitliche Dringlichkeit nicht zu beseitigen, auch unter den Voraussetzungen des § 940 ZPO regelmäßig ausreichend Zeit bleibt, den Rechtsbestand des Schutzrechtes vor dem Einreichen eines Verfügungsantrages sorgfältig zu prüfen, sieht sich der Antragsgegner auch im Falle einer vorherigen mündlichen Verhandlung nach der Zustellung des Verfügungsantrags regelmäßig erheblichem Zeitdruck ausgesetzt, um in der verhältnismäßig kurzen Zeit bis zum Verhandlungstermin seine Verteidigung aufzubauen. Ergeht eine Unterlassungsverfügung, greift sie darüber hinaus meist in sehr einschneidender Weise in die gewerbliche Tätigkeit des Antragsgegners ein und führt während ihrer Bestandsdauer zu einer Erfüllung des geltend gemachten Anspruchs (OLG Düsseldorf, InstGE 9, 140, 145 – Olanzapin; InstGE 12, 114, 118 f. – Harnkatheterset).

Das alles bedeutet nach der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf aber nicht, dass eine einstweilige Verfügung wegen Patentverletzung generell nicht oder nur in ganz besonders seltenen Ausnahmefällen in Betracht kommt. Eine einstweilige Unterlassungsverfügung wegen Patentverletzung verlangt allerdings in der Regel, dass die Rechtsbeständigkeit des Antragsschutzrechts hinlänglich gesichert ist (OLG Düsseldorf, InstGE 9, 140, 146 – Olanzapin; InstGE 12, 114, 119 – Harnkatheterset). Zweifel an der grundsätzlich zu respektierenden Schutzfähigkeit des Verfügungspatents können das Vorliegen eines Verfügungsgrundes ausschließen. Das Verletzungsgericht kann sich dabei nicht kurzerhand auf den Erteilungsakt verlassen, sondern hat selbständig zu klären, ob angesichts des Sachvortrages des Antragsgegners ernstzunehmende Anhaltspunkte dafür bestehen, dass das Verfügungsschutzrecht gegebenenfalls keinen Bestand haben wird. Seine Vernichtung muss als Folge der Einwendungen des Antragsgegners aus Sicht des Verletzungsgerichts nicht zwingend und sie muss auch nicht überwiegend wahrscheinlich, aber aufgrund einer in sich schlüssigen, vertretbaren und letztlich nicht von der Hand zu weisenden Argumentation des Antragsgegners möglich sein, um einem Verfügungsantrag den Erfolg versagen zu können (OLG Düsseldorf, InstGE 12, 114, 119 – Harnkatheterset).

Grundsätzlich kann von einem hinreichenden Rechtsbestand nur dann ausgegangen werden, wenn das Verfügungspatent bereits ein erstinstanzliches Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren überstanden hat (OLG Düsseldorf, InstGE 9, 140, 146 – Olanzapin; InstGE 12, 114, 121 – Harnkatheterset; GRUR-RR 2011, 81 – Gleitsattelscheibenbremse II). Um ein Verfügungspatent für ein einstweiliges Verfügungsverfahren tauglich zu machen, bedarf es grundsätzlich einer positiven Entscheidung der dafür zuständigen, mit technischer Sachkunde ausgestatteten Einspruchs- oder Nichtigkeitsinstanzen. Von dem Erfordernis einer dem Antragsteller günstigen kontradiktorischen Rechtsbestandsentscheidung kann nur in Sonderfällen abgesehen werden. Sie können – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – vorliegen, wenn der Antragsgegner sich bereits mit eigenen Einwendungen am Erteilungsverfahren beteiligt hat, so dass die Patenterteilung sachlich der Entscheidung in einem zweiseitigen Einspruchsverfahren gleichsteht, oder wenn ein Rechtsbestandsverfahren deshalb nicht durchgeführt worden ist, weil das Verfügungspatent allgemein als schutzfähig anerkannt wird (was sich durch das Vorhandensein namhafter Lizenznehmer oder dergleichen widerspiegelt) oder wenn sich die Einwendungen gegen den Rechtsbestand des Verfügungspatents schon bei der dem vorläufigen Rechtsschutzverfahren eigenen summarischen Prüfung als haltlos erweisen oder wenn (z. B. mit Rücksicht auf die Marktsituation oder die aus der Schutzrechtsverletzung drohenden Nachteile) außergewöhnliche Umstände gegeben sind, die es für den Antragsteller ausnahmsweise unzumutbar machen, den Ausgang des Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahrens abzuwarten (InstGE 12, 114, 121 – Harnkatheterset).

Dass das Verfügungspatent entgegen der in der „Harnkatheterset“-Entscheidung des OLG Düsseldorf geäußerten grundsätzlichen Ansicht bisher noch kein erstinstanzliches Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren überstanden hat, steht dem Vorliegen eines Verfügungsgrundes nicht entgegen. Denn das OLG Düsseldorf hat zu Recht Sonderkonstellationen hervorgehoben, die ein Absehen von dem Erfordernis rechtfertigen. Eine solche Sonderkonstellation liegt insbesondere dann vor, wenn außergewöhnliche Umstände gegeben sind, die es für den Antragsteller unzumutbar machen, den Ausgang eines Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahrens abzuwarten. Die in diesem Zusammenhang gebotene Interessenabwägung führt vorliegend zur Annahme derartiger außergewöhnlicher Umstände:

Während grundsätzlich in die Betrachtung einzubeziehen ist, dass im Eilverfahren der Antragsgegner auf Grund des Zeitdrucks regelmäßig nicht in der Lage sein wird den Rechtsbestand eines Antragspatentes hinreichend zu überprüfen, hatten die Verfügungsbeklagten im Vorfeld des Markteintritts ausreichend Zeit, den Rechtsbestand des Verfügungspatentes in einem Nichtigkeitsverfahren zu überprüfen. Die Verfügungsbeklagten sind seit dem 28. Juli 2009 Inhaber der arzneimittelrechtlicher Zulassungen für die angegriffenen Ausführungsformen, was den Schluss zulässt, dass bereits langfristig der Markteintritt mit den angegriffenen Ausführungsformen zumindest intendiert war. Ihnen wäre es daher ohne weiteres möglich gewesen, um den Markteintritt hinreichend abzusichern, den Rechtsbestand des Verfügungspatentes durch eine Nichtigkeitsklage überprüfen zu lassen. Selbst wenn die entsprechenden Zulassungen rein vorsorglich („auf Halde“) bereits im Jahr 2009 beantragt worden sind, die Entscheidung zu einer tatsächlichen Vermarktung der angegriffenen Ausführungsformen hingegen erst zu einem späteren Zeitpunkt getroffen wurde, hätte jedenfalls dann unmittelbar der Angriff gegen den Rechtsbestand des Verfügungspatentes erfolgen müssen. Zu welchem Zeitpunkt die Entscheidung erfolgte, konnte die Prozessbevollmächtigte der Verfügungsbeklagten in der mündlichen Verhandlung nicht mitteilen. Selbst wenn die Entscheidung erst Ende Juli/Anfang August 2012 gefällt worden sein sollte, was im Hinblick darauf, dass sowohl die Herstellung des Arzneimittels sowie der Umverpackung eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt, eher unwahrscheinlich ist, erfolgte die Erhebung der Nichtigkeitsklage immer noch zögerlich. Denn die Verfügungsbeklagten haben den Angriff gegen den Rechtsbestand des Verfügungspatentes nicht unmittelbar eingeleitet. Bei der mit der Schutzschrift vom 2. August 2012 übermittelten Nichtigkeitsklage handelte es sich lediglich um einen Entwurf, die endgültige Erhebung erfolgte erst am 3. September 2012.

Hinzukommt, dass der Arzneimittelmarkt ein besonderes sensibler Markt ist. Dies gilt sowohl bezüglich des Markteintritts von Generikaunternehmen und die (Rück-)Er-oberung von Marktanteilen als auch bezüglich eines Preisverfalls. Dies ist den Verfügungsbeklagten bewusst. Gerade deswegen werden Generika wie die angegriffenen Ausführungsformen vor Ablauf der Schutzdauer des Verfügungspatentes in die Lauer-Taxe aufgenommen, um auf diese Weise als erstes bzw. eines der ersten Generikaunternehmen auf den Markt zu kommen und sich die entsprechenden Marktanteile im Bereich der Generika zu sichern.

Vergleicht man die Folgen, die sich für die Verfügungsklägerin ergeben, wenn man die begehrte Unterlassungsverfügung versagte, das Verfügungspatent sich aber im Nichtigkeitsverfahren als rechtsbeständig erweist, mit denjenigen Nachteilen, die den Verfügungsbeklagten drohen, wenn man ihnen einstweilen den im Zeitpunkt der Zustellung der einstweiligen Verfügung gerade erst begonnenen Vertrieb der angegriffenen Generika verbietet, so erscheinen die Interessen der Verfügungsklägerin schutzwürdiger. Denn welche grundsätzlichen Konsequenzen der Marktzutritt eines oder mehrerer Generika-Hersteller auf den Preis eines patentierten Produktes sowie die Marktposition haben kann, ist den Parteien zweifellos bekannt. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die Entwicklung eines patentierten Präparates mit erheblich höheren Kosten als die Herstellung, die Zulassung und der Vertrieb eines Generikums verbunden ist. Gerade deshalb ist die Verfügungsklägerin als Patentinhaberin jedoch darauf angewiesen, dass sie während der Patentlaufzeit ihren Patentschutz effektiv durchsetzen kann. Dem steht nicht entgegen, dass die Verfügungsklägerin einer konzernangehörigen Gesellschaft, B GmbH, vor Ablauf der Schutzdauer des Verfügungspatentes den Vertrieb eines Generikums gestattet hat. Zwar besteht natürlich hierdurch die Gefahr, dass der Umsatz mit dem eigenen Produkt der Verfügungsklägerin geschmälert wird. Es liegt indes im Rahmen der Entscheidungsfreiheit eines Patentinhabers, Lizenzen, im vorliegenden Fall für den Vertrieb eines Generikums, gegen Zahlung einer Lizenzgebühr zu vergeben, um so bereits kurz vor Ablauf eines Patentes ein Generikum auf dem Markt zu etablieren. Zwar mag in einem solchen Fall der Zweck eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung auch der Einrichtung und Sicherung einer Marktposition im Bereich der Generika im Sinne eines first-entries dienen. Auch ein solches Ansinnen des Patentinhabers ist gerechtfertigt und Ausfluss der effektiven Durchsetzung des Patentschutzes durch den Patentinhaber. Dieses mag zwar auch Auswirkungen über den Ablauf des Patentschutzes hinaus entfalten. Solches ist indes hinzunehmen. Den Verfügungsbeklagten stand es frei vor Markteintritt mit den angegriffenen Ausführungsformen die Verfügungsklägerin um eine Lizenz zu ersuchen, was sie nicht getan haben. Ein solches Ansinnen wurde erst nach Zustellung der einstweiligen Verfügung an die Verfügungsklägerin gerichtet. Überdies muss auch berücksichtigt werden, dass die Verfügungsbeklagten nur noch für eine kurze Dauer an einem zulässigen Markteintritt gehindert sind, nämlich bis zum 22. Oktober 2012. Ab diesem Zeitpunkt ist ihnen, wie jedem anderen Generikahersteller auch, der Vertrieb riluzolhaltiger Arzneimittel zur Verwendung bei der Behandlung von ALS ohne weiteres gestattet. Dass sich bis zum 22. Oktober 2012 die Marktposition im Bereich der Generika schon so weit zugunsten der Verfügungsklägerin auf Grund der Lizenzvergabe an die B GmbH verfestigt haben könnte, dass nach Ablauf des Verfügungspatentes dieses ausschließliche Wirkungen in der Weise zeigt, dass für weitere Generikahersteller kein Raum mehr ist, ist weder zu erkennen noch von den Verfügungsbeklagten behauptet worden. Soweit die Verfügungsbeklagten in der mündlichen Verhandlung vorgetragen haben, dass eine neuerliche Listung in der Lauer-Taxe erst zum 15. November 2012 erfolgen könne, mithin weit nach Ablauf der Schutzdauer des Verfügungspatentes, ist die Verfügungsklägerin diesem Vorbringen entgegen getreten, woraufhin die Verfügungsbeklagten mitgeteilt haben, dass ein Antrag auf Listung zum 1. November 2012 gestellt wurde, jedoch ein positiver Bescheid, dass eine Listung erfolgen würde, vom IFA nicht erteilt worden sei. Es steht daher nicht fest, dass den Verfügungsbeklagten gegenüber den weiteren Generikaunternehmen, welche nach Ablauf der Schutzdauer des Verfügungspatentes ihre Produkte auf dem Markt platzieren und zum 1. November 2012 in der Lauer-Taxe gelistet werden, ein Nachteil entsteht.

Unberücksichtigt bleiben muss im Rahmen der Interessenabwägung vorliegend der Umstand, dass der Rechtsbestand des parallelen US-amerikanischen Schutzrechtes durch ein US-amerikanisches Gericht bestätigt wurde. Ungeachtet dessen, dass das US-Verfahren nicht mit dem deutschen Nichtigkeitsverfahren vergleichbar ist, hat die Verfügungsklägerin weder die behauptete parallele US-Patentschrift sowie die entsprechenden parallelen Entgegenhaltungen vorgelegt, obwohl die Verfügungsbeklagten hierauf in ihrer Widerspruchsbegründung hingewiesen haben. Insoweit vermag die Kammer nicht zu beurteilen, ob es sich tatsächlich um parallele Schutzrechte und Entgegenhaltungen handelt, die von dem US-amerikanischen Gericht für nicht relevant erachtet wurden.

Für die Verfügungsbeklagten könnte lediglich sprechen, wenn sich das Verfügungspatent als nicht rechtsbeständig erweisen würde, wofür jedoch nach Auffassung der Kammer keine durchgreifenden Anhaltspunkte bestehen. Denn Maßstab für die Beurteilung, ob sich das Verfügungspatent als rechtsbeständig erweisen wird, ist in Sachverhalten wie dem Vorliegenden, eine Evidenz der Vernichtung. Denn das geschilderte Verhalten der Verfügungsbeklagten erweckt den Anschein, dass der Markteintritt der Verfügungsbeklagten mit den angegriffenen Ausführungsformen vor Ablauf der Schutzdauer des Verfügungspatentes am 22. Oktober 2012 unter Zuhilfenahme der wiedergegebenen Rechtsauffassung des OLG Düsseldorfs sowie der Kammern erfolgen sollte, indem sich nämlich der Umstand zunutze gemacht wird, dass für den Erlass einer einstweiligen Regelung grundsätzlich eine kontradiktorische Entscheidung über den Rechtsbestand erwartet wird, die hier augenscheinlich aber bereits rein zeitlich ausgeschlossen war. Eine solche Verhaltensweise mit dem Ziel der Verkürzung der Schutzdauer eines Patentes kann nicht zu Lasten der Patentinhaberin gehen. Vielmehr genügen in Konstellationen wie der Vorliegenden, bei denen der Rechtsbestand eines arzneimittelrechtlichen Verfügungspatentes, welches kurz vor Ende seiner Schutzdauer steht, über mehr als 15 Jahre von Wettbewerbern respektiert wurde und die Erhebung der Nichtigkeitsklage zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu welchem eine Entscheidung über den Rechtsbestand vor dem Ablauf des Schutzrechtes offensichtlich nicht mehr erfolgen kann, nicht lediglich Zweifel am Rechtsbestand eines Verfügungspatentes für das Fehlen eines Verfügungsgrundes, sondern eine Evidenz im Hinblick auf seine Vernichtung.

Eine solche Evidenz der Vernichtung des Verfügungspatentes besteht bei den von den Verfügungsbeklagten geltend gemachten Einwendungen nicht. Die Kammer vermag nicht zu beurteilen, ob der Prüfer des EPA im Erteilungsverfahren das Verfügungspatent erteilt hätte, wenn in der EP ‚XXX der Disclaimer nicht vorhanden gewesen wäre wie dies bei der prioritätsbegründenden FR ‚624 der Fall ist. Dass in der zur EP ‚XXX prioritätsbegründenden FR ‚624 Riluzol ausdrücklich nicht ausgenommen wird, wie dies in der vom Verfügungspatent genannten EP ‚XXX geschehen ist, bedingt nicht zwangsläufig, dass der Rechtsbestand des Verfügungspatentes durchgreifenden Zweifeln unterliegt. Denn es kann nicht abschließend festgestellt werden, dass das Verfügungspatent nicht erteilt worden wäre, wenn in der EP ‚XXX nicht der Disclaimer enthalten wäre. Der Prüfer des EPA wies zwar in seinem Schreiben vom 11. Januar 1996 darauf hin, dass die Ansprüche 1, 2 und 5 des Verfügungspatentes nicht neu seien, da die Verwendung von Riluzol für die Behandlung der amyotrophischen Lateralsklerose bereits beschrieben werde. Die Patentinhaberin wies indes in ihrer Antwort vom 9. Februar 1996 darauf hin, dass zum einen in der EP ‚XXX ein Disclaimer enthalten sei und zum anderen Riluzol lediglich als Zwischenprodukt für die Herstellung von 3-Dimethylaminoethyl-2-trifluormethoxyanilin-4-anilin genannt werde. Daraufhin wurde das Verfügungspatent erteilt. Ob ausschlagend hierfür ausschließlich der Disclaimer war oder nicht lediglich der Hinweis ausreichend gewesen wäre, dass es sich bei Riluzol in der EP ‚XXX lediglich um ein Zwischenprodukt handelt, vermag die Kammer nicht zu beurteilen. Es überrascht vielmehr, dass der Prüfer überhaupt die EP ‚XXX als neuheitsschädlich in Betracht gezogen hat, obwohl im Anspruch und in der Beschreibung Riluzol ausdrücklich ausgenommen wird. Eine Überprüfung des Gegenstands der FR ‚624 mag auch für den Prüfer nicht veranlasst gewesen sein, da sich der Disclaimer, wie von den Verfügungsbeklagten in der mündlichen Verhandlung klargestellt wurde, bereits zum Zeitpunkt der Anmeldung der EP ‚XXX vorhanden war, so dass der Prüfer möglicherweise keine Veranlassung hatte zu überprüfen, ob die prioritätsbegründende FR ‚624 einen entsprechenden Disclaimer enthält. Denn die Kammer vermag eben nicht zu beurteilen, ob das Verfügungspatent auch erteilt worden wäre, wenn der Disclaimer nicht enthalten gewesen wäre.

Die Fr ‚624 offenbart nach Auffassung der Kammer den Gegenstand der Erfindung des Verfügungspatents auch nicht eindeutig. In der Entgegenhaltung wird eine allgemeine, eine Vielzahl von Verbindungen umfassende, nur durch eine Markush-Formel charakterisierte Gruppe als möglicherweise geeignet zur Behandlung einer Vielzahl von verschiedenen Erkrankungen bezeichnet. Man gelangt zu Riluzol nach der im Anspruch 1 genannten Markush-Formel, wenn man den Rest R1 durch Trifluormethoxy- ersetzt, welches im Unteranspruch 2 genannt ist, die Reste R2 und R3 durch ein Wasserstoffatom ersetzt.

In der Entscheidung „Olanzapin“ (GRUR 2009, 382 ff.) hat der BGH zur Offenbarung einzelner (unbekannter) Verbindungen, welche durch eine Markush-Formel beschrieben werden, ausgeführt:

„Dass eine chemische Verbindung unter eine vorveröffentlichte Formel fällt, besagt deshalb für die Offenbarung der konkreten Verbindung ebenso wenig wie der Umstand, dass die konkrete Ausführungsform einer Vorrichtung unter einen allgemein formulierten Vorrichtungsanspruch fällt, etwas über die Offenbarung dieser konkreten Ausführungsform aussagt (BGHZ 103, 150 [157] = GRUR 1988, 447 Fluoran). Maßgeblich ist vielmehr, ob die konkrete Verbindung offenbart wird. Dazu bedarf es Angaben, die den Fachmann ohne Weiteres in die Lage versetzen, die eben diese chemische Verbindung betreffende Erfindung auszuführen, d.h. den betreffenden Stoff in die Hand zu bekommen (BGHZ 103, 150 [157] = GRUR 1988, 447 Fluoran).“

Vorliegend wird Riluzol konkret zwar im Beispiel 7 am Ende beschrieben und zwar wie folgt:

„6-Trifluormethoxy-2-benzothiazolamin kann nach dem Verfahren hergestellt werden wie es in L.M. YAGUPLSKII et al., Zh. Obshch. Khim. 33, 2301 (1963) beschrieben ist.“

Hierbei handelt es sich ausschließlich um eine Beschreibung des Herstellungsverfahrens für Riluzol, welches im Beispiel 7 als Ausgangsprodukt für die Herstellung von 6-Trifluormethoxy-5-nitro-2-benzothiazolamin, eine andere, unter die Markush-Formel fallende Verbindung eingesetzt wird. Diese Verbindung wird – neben anderen Verbindungen – auf Seite 5 Mitte der Entgegenhaltung als „von speziellen Interesse“ beschrieben. Gerade der Umstand, dass Riluzol lediglich als Zwischenprodukt offenbart und dessen Herstellung für die Verwendung als Ausgangsprodukt für die Herstellung einer anderen Verbindung beschrieben wird, macht dem Fachmann deutlich, dass Riluzol, obwohl es unter die im Anspruch 1 gezeigte Markush-Formel fällt, keine erfindungsgemäße Verbindung sein sollte. Zwar mag Riluzol isoliert betrachtet auf Grund der Beschreibung seines Herstellungsverfahrens individualisiert offenbart sein. Einzelaussagen einer Entgegenhaltung sind indes nach dem gesamten Inhalt der Entgegenhaltung zu werten (BPatGE 38, 122; Fitzner-Lutz-Bodewig/Münch, Patentrechtskommentar, 4. Aufl. § 3 Rdnr. 103). Setzt man die Beschreibung des Herstellungsverfahrens von Riluzol als Zwischenprodukt für die Herstellung einer weiteren Verbindung speziellen Interesses in den Gesamtzusammenhang der Offenbarung der Entgegenhaltung, erkennt der Fachmann, dass Riluzol gerade nicht zu den Verbindungen gehört, welche pharmakologische Wirkungen auf die auf Seite 4 letzter Absatz bis Seite 5 erster Absatz der Entgegenhaltung beschriebenen Erkrankungen zeigt.

Auch der Hinweis der Verfügungsbeklagten, dass Riluzol an anderen Stellen in der Entgegenhaltung offenbart werde, überzeugt nicht. Die Verfügungsbeklagten verweisen insoweit auf Seite 2 Mitte der Entgegenhaltung, wo es heißt:

„Die bevorzugten Polyfluoralkoxyreste sind die Pentafluorethoxy-, 2, 2, 2-Trifluorethoxy- und 1, 1, 2, 2 – Tetrafluorethoxy- und Trifluormethoxyreste.“

Denn in der Textstelle wird lediglich wiedergegeben, was im Anspruch 2, der nach den eigenen Angaben der Verfügungsbeklagten „nicht mehr als 50 Verbindungen ohne die entsprechenden Salze“ umfasst, unter Schutz gestellt wird. Auch der Hinweis, dass auf Seite 4 Mitte beschrieben werde wie 6-Polyfluoralkoxy-2-benzothiazolamine hergestellt werden könnten, führt nicht zu einer hinreichenden Konkretisierung. Da die Beschreibungsstelle lediglich eine Literaturstelle für die Herstellung von 6-Polyfluoralkoxy-2-benzothiazolamine, also Verbindungen unter die auch Riluzol subsumiert werden kann, wenn Polyfluoralkoxy- durch Trifluormethoxy- ersetzt wird, nennt (im Übrigen die gleiche Literaturstelle, welche auch für das Herstellungsverfahren von Riluzol als Ausgangsprodukt für die Herstellung von 6-Trifluormethoxy-5-nitro-2-benzothiazolamin genannt wird), erfolgt auch keine hinreichende Individualisierung von Riluzol unter der Vielzahl der möglichen Verbindungen.

Hinzukommt, dass die FR ‚624 nach Auffassung der Kammer auch keinerlei Hinweis erhält, gerade Riluzol aus der Gruppe der durch die Markush-Formel definierten Verbindungen zur Behandlung einer speziellen Krankheit, nämlich ALS auszuwählen. In der FR ‚624 werden auf Seite 4 letzter Absatz bis Seite 5 erster Absatz eine Vielzahl von Krankheiten beschrieben. Die Verbindungen der Formel I des Anspruchs sollen dabei pharmakologische Wirkungen hinsichtlich der Behandlung solcher Erkrankungen zeigen.

Der Fachmann muss daher, um zum Gegenstand der Erfindung nach dem Verfügungspatent zu gelangen zunächst eine Auswahl hinsichtlich der Verbindung treffen, nach den eigenen Angaben der Verfügungsbeklagten „nicht mehr als 50 Verbindungen“, diese mithin individualisieren und auch eine Individualisierung hinsichtlich der Verwendung bei einer bestimmten Erkrankung, nämlich ALS vornehmen. Die Verfügungsklägerin hat zutreffend auf eine Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer des EPA – T 297/88 (Anlage rop 17) – verwiesen, welche die Ansicht vertritt, dass selbst dann, wenn eine bestimmte Verbindung offenbart ist, es sich nur um eine von vielen Verbindungen handelt. Die allgemeine Wirkung solcher Verbindungen sei dann nicht so zu verstehen, dass jede einzelne der offenbarten Verbindungen die genannten pharmakologischen Wirkungen zeige, sondern vielmehr dahingehend, dass unter den erfassten Verbindungen auch Vertreter zu finden seien, die die spezielle Wirkung zeigten. Damit sei indes nicht offenbart, dass eine speziell offenbarte Verbindung die für eine bestimmte Erkrankung maßgeblichen pharmakologischen Wirkungen zeige. Dem ist zuzustimmen. Der Fachmann, der gezwungen ist, eine doppelte Auswahlentscheidung zu treffen, gelangt daher trotz einer Offenbarung einer bestimmten Verbindung unter einer Vielzahl von Verbindungen nicht automatisch zu der Offenbarung, dass eben jene Verbindung auch pharmakologische Wirksamkeit bei einer bestimmten Erkrankung, die unter einer Vielzahl von Erkrankungen genannt ist, aufweist.

Soweit die Verfügungsbeklagten zur Begründung ihrer gegenteiligen Auffassung sowohl auf ein Gutachten zur Rechtsbeständigkeit der E, einem privatrechtlichen Unternehmen des österreichischen Patentamtes vom 3. Oktober 2012 (Anlage AG 17) sowie eine eidesstattliche Versicherung von Herrn Prof. Dr. F, Inhaber des Lehrstuhls für präparative Polymerchemie am Institut für organische Chemie und makromolekulare Chemie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (Anlage AG 19) verweisen, bleibt dies ohne Erfolg. Denn weder das Gutachten zur Rechtsbeständigkeit noch die eidesstattliche Versicherung setzen sich mit den patentrechtlichen Grundsätzen zur Frage der neuheitsschädlichen Offenbarung chemischer Verbindungen und deren pharmakologischer Wirksamkeit auseinander, bei welchen die chemischen Verbindungen durch eine Markush-Formel beschrieben werden mit dem Umstand, dass in der Entgegenhaltung eine Mehrzahl von Erkrankungen genannt wird.

Eine Evidenz der Vernichtung des Verfügungspatentes vermag die Kammer daher nicht zu erkennen.

III.
Die Aufrechterhaltung der Sicherheitsleistung beruht auf § 938 ZPO und ist deshalb sinnvoll und geboten, weil damit gewährleistet wird, dass der Unterlassungsausspruch nicht unter geringeren Bedingungen vollstreckbar ist, als er es bei einem entsprechenden erstinstanzlichen Hauptsacheurteil wäre (vgl. Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 5. Auflage, Rz. 1532).

Der Streitwert wird auf 300.000,- EUR festgesetzt.