4b O 157/06 – Verbrennungsmotor-Auslassventil

Düsseldorfer Entscheidung Nr.:  1900

Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 31. Mai 2012, Az. 4b O 157/06

I. Die Beklagte wird verurteilt,

es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis sechs zu 6 Monaten, im Falle mehrfacher Zuwiderhandlung bis zu insgesamt 2 Jahren, wobei die Ordnungshaft an den Geschäftsführern der Beklagten zu vollziehen ist, zu unterlassen, in der Bundesrepublik Deutschland

1.
Auslassventile für einen Verbrennungsmotor, insbesondere einen Zweitaktkreuzkopfmotor, die eine bewegliche Spindel mit einem Ventilteller aus einer Legierung auf der Basis von Nickel mit einem ringförmigen Sitzbereich an der oberen Fläche des Ventiltellers enthalten, wobei der Sitzbereich in der geschlossenen Position des Ventils an einem entsprechenden Sitzbereich an einem stationären Ventilelement anliegt und wobei der Sitzbereich des Ventiltellers bei seiner Herstellung einem thermomechanischen Umformungsverfahren unterzogen wurde, bei dem das Material zumindest teilweise kaltbearbeitet wurde,

herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen, zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen, die dadurch gekennzeichnet sind,

dass der Ventilteller aus einer Legierung auf der Basis von Nickel hergestellt ist, die eine Streckgrenze von mindestens 1100 MPa erreichen kann, und dass der Sitzbereich an der oberen Fläche des Ventiltellers mit Hilfe des thermomechanischen Umformungsverfahrens und eventuell einer Wärmebehandlung zur Erhöhung der Streckgrenze mit Eigenschaften zur Verhinderung von Vertiefungen in Form einer Streckgrenze (Rp0,2) von mindestens 1100 MPa bei einer Temperatur von etwa 20º C ausgestattet ist;

2.
eine chromhaltige Nickelbasislegierung mit einer Streckgrenze von mindestens 1100 MPa bei etwa 20º C als Material zur Beschränkung oder Verhinderung von Vertiefungen in einem ringförmigen Sitzbereich an der oberen Fläche eines beweglichen Ventiltellers an einem Auslassventil für einen Verbrennungsmotor, insbesondere für einen Zweitaktkreuzkopfmotor, zu verwenden, wobei der Sitzbereich an einem entsprechenden Sitzbereich an einem stationären Ventilelement anliegt, wenn das Ventil geschlossen ist;

3.
der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie die gemäß Ziffern 1. und 2. bezeichneten Handlungen seit dem 2.12.2000 begangen hat, und zwar unter Angabe

a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
c) der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse gezahlt wurden,

wobei

– die Einkaufspreise und Verkaufsstellen erst für die Zeit seit dem 30.4.2006 mitzuteilen sind;

– die Beklagte zum Nachweis der Angaben Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine in Kopie vorzulegen hat, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;

4.
der Klägerin unter Vorlage eines einheitlichen, geordneten Verzeichnisses darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfange sie die unter Ziffer 1. und 2. genannten Handlungen seit dem 2.12.2000 begangen hat, und zwar unter Angabe

a) der Herstellungsmengen und –zeiten,
b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer, einschließlich der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Typenbezeichnungen, Angebotsmengen, -zeiten und -preisen sowie den Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,

wobei

– der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften ihrer nicht-gewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten und in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte die durch dessen Einschaltung entstehenden Kosten übernimmt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;

5.
die unter Ziffer 1. beschriebenen, seit dem 30.4.2006 in Verkehr gebrachten Erzeugnisse gegenüber den gewerblichen Abnehmern unter Hinweis auf den gerichtlich festgestellten patentverletzenden Zustand der Erzeugnisse und mit der verbindlichen Zusage zurückzurufen, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten sowie mit der Rückgabe verbundene Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen und die Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen;

6.
die im unmittelbaren und mittelbaren Besitz oder Eigentum der Beklagten befindlichen, unter 1. bezeichneten Erzeugnisse auf ihre Kosten zu vernichten oder nach ihrer (der Beklagten) Wahl an einen von der Klägerin zu benennenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf ihre (der Beklagten) Kosten herauszugeben.

II.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu Ziffer 1. und 2. bezeichneten, seit dem 2.12.2000 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.

III.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

IV.
Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 1/3 und die Beklagte 2/3 zu tragen.

V.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 1.000.000 und für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

VI.
Der Streitwert beträgt
– bis zum 26.2.2007: EUR 1.000.000;
– anschließend: EUR 1.500.000.

T a t b e s t a n d :
Die Klägerin ist eingetragene, alleinige und ausschließlich verfügungsberechtigte Inhaberin des in englischer Verfahrenssprache verfassten europäischen Patents EP 0 901 XXX B1 („Klagepatent“, Anlage K 1; deutsche Übersetzung in Anlage K 2), das am 3.6.1997 unter Inanspruchnahme der dänischen Priorität DK 64XXX vom 7.6.1996 angemeldet wurde. Die Veröffentlichung der Anmeldung erfolgte am 17.3.1999, die Veröffentlichung der Patenterteilung im Patentblatt erfolgte am 2.11.2000. Die ursprüngliche Klägerin, die A, wurde aufgrund eines Verschmelzungsvertrages vom 18.7.2008 sowie Beschlüssen der Hauptversammlungen der betroffenen Gesellschaften vom selben Tage auf die jetzige Klägerin, welche bis zum 19.3.2010 als B firmierte, durch Aufnahme verschmolzen (vgl. Anlagen K 33, K 34).
Das Klagepatent, welches erfolgreich drei Einspruchsverfahren überstand (vgl. Anlagen K 3, K 4), wurde durch den Bundesgerichtshof (BGH) im Nichtigkeitsberufungsverfahren beschränkt aufrecht erhalten (Anlage K 36), nachdem das Bundespatentgericht es in erster Instanz vollständig für nichtig erklärt hatte. Im Rahmen des Berufungsnichtigkeitsverfahrens wurde das aus Anlage K 39 ersichtliche gerichtliche Sachverständigengutachten eingeholt.
Die Ansprüche 1 und 7 des Klagepatents lauten gemäß der beschränkt aufrecht erhaltenen Fassung in deutscher Übersetzung ohne Bezugszeichen:

„Auslassventil für einen Verbrennungsmotor, insbesondere einen Zweitaktkreuzkopfmotor, das eine bewegliche Spindel mit einem Ventilteller aus einer Legierung auf der Basis von Nickel mit einem ringförmigen Sitzbereich an der oberen Fläche des Ventiltellers enthält, wobei dieser Sitzbereich in der geschlossenen Position des Ventils an einem entsprechenden Sitzbereich an einem stationären Ventilelement anliegt und wobei der Sitzbereich des Ventiltellers bei seiner Herstellung einem thermomechanischen Umformungsverfahren unterzogen wurde, bei dem das Material zumindest teilweise kaltbearbeitet wurde, dadurch gekennzeichnet, dass der Ventilteller aus einer Legierung auf der Basis von Nickel hergestellt ist, die eine Streckgrenze von mindestens 1100 MPa erreichen kann, und dass der Sitzbereich an der oberen Fläche des Ventiltellers mit Hilfe des thermomechanischen Umformungsverfahrens und eventuell einer Wärmebehandlung zur Erhöhung der Streckgrenze mit Eigenschaften zur Verhinderung von Vertiefungen in Form einer Streckgrenze (Rp0,2) von mindestens 1100 MPa bei einer Temperatur von etwa 20º C ausgestattet ist.“

„Verwendung einer chromhaltigen Nickelbasislegierung mit einer Streckgrenze von mindestens 1100 MPa bei etwa 20º C als Material zur Beschränkung oder Verhinderung von Vertiefungen in einem ringförmigen Sitzbereich an der oberen Fläche eines beweglichen Ventiltellers an einem Auslassventil für einen Verbrennungsmotor, insbesondere für einen Zweitaktkreuzkopfmotor, wobei der Sitzbereich an einem entsprechenden Sitzbereich an einem stationären Ventilelement anliegt, wenn das Ventil geschlossen ist.“

Die nachstehend eingeblendete Figur 1 des Klagepatents zeigt einen Längsschnitt durch ein erfindungsgemäßes Auslassventil.

Die Beklagte stellt her und vertreibt unter anderem Auslassventile für Verbrennungsmotoren, insbesondere für Zweitaktkreuzkopfmotoren (vgl. Werbebroschüre gemäß Anlage K 10). Die Anlage K 12 enthält die Kopie einer Zeichnung, die die Beklagte mit Schriftsatz vom 17.6.2003 im Einspruchsverfahren vorlegte, um den Nichtigkeitseinwand einer offenkundigen Vorbenutzung zu belegen; die Zeichnung gibt die konkreten Größenangaben für die als Serie D hergestellten Auslassventile („angegriffene Ausführungsform 1“) der Beklagten wieder. Die Anlage K 13 – ebenfalls von der Beklagten im Einspruchsverfahren eingereicht – enthält einen Prüfbericht der Firma C betreffend die Untersuchung eines Auslassventils der Serie D, das nach dem Prioritätstag hergestellt wurde. Die Klägerin ließ ein weiteres Ventil der Beklagten untersuchen (vgl. Bericht gemäß Anlage K 16 nebst Anlagen K 43, K 44).
Ferner stellt die Beklagte her und vertreibt Auslassventile gemäß der Abbildung in Anlage K 23 („angegriffene Ausführungsform 2“): Der Ventilteller ist aus Nimonic 80A hergestellt; im Sitzbereich liegen die Streckgrenzen im Bereich von 1039 bis 1087 MPa.

Die Klägerin ist der Ansicht die Beklagte mache in Bezug auf die angegriffenen Ausführungsformen von sämtlichen Merkmalen der Ansprüche 1 und 7 des Klagepatents wortsinngemäßen Gebrauch. Insbesondere sei der Sitzbereich an der oberen Fläche des Ventiltellers mit Eigenschaften zur Verhinderung von Vertiefungen in Form einer Streckgrenze von mindestens 1100 MPa bei einer Temperatur von 20º C ausgestattet.

Die vormalige Klägerin hat die Anträge aus der Klageschrift vom 25.4.2006 gestellt. Im Anschluss an die beschränkte Aufrechterhaltung des Klagepatents im Berufungsnichtigkeitsverfahren beantragt die neue Klägerin nunmehr,

im Wesentlichen wie erkannt, wobei sich ihre Anträge jedoch auch auf die angegriffene Ausführungsform 2 erstrecken.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat sich seit ihrer Klageerwiderung vom 30.11.2006 bis zu ihrem Schriftsatz vom 26.10.2011 ausschließlich mit der Geltendmachung eines privaten Vorbenutzungsrechts nach § 12 PatG gegen den Verletzungsvorwurf verteidigt und hat insofern im Wesentlichen Folgendes vorgebracht: Zwischen Anfang 1987 und dem 15.7.1987 habe sie unter Projektleitung des Herrn E Schmiedeversuche mit dem Werkstoff NiCr20TiAI (Nimonic 80A) zur Erhöhung der Streckgrenze an Ventilspindeln durchführen lassen. Der Sitzbereich des Ventiltellers sei bei seiner Herstellung einem thermomechanischen Umformungsverfahren unterzogen worden, bei dem das Material teilweise kalt bearbeitet worden sei – diese Methode sei in ihrem Unternehmen lange vor dem Prioritätszeitpunkt bekannt gewesen. Aus den erhaltenen Ventilen seien Proben an technisch relevanten Teilen herausgeschnitten und den Schmiedeversuchen durch eindeutige Kennzeichnungen zugeordnet worden. Sie habe fünf Proben der RWTH Aachen zur Untersuchung der Streckgrenze übersandt. Die RWTH Aachen habe Proben untersucht, welche der DIN 50125 entsprochen hätten. Sie habe vier weitere Proben aus dem ebenfalls aus dem Jahre 1987 stammenden Schmiedeversuch „F“ an die RWTH Aachen übergeben. Die Untersuchung der Proben sei entsprechend dem Untersuchungsbericht (Anlage B 1) durchgeführt worden, wobei sich hinsichtlich der Probe M 10 5a ein Wert der Streckgrenze in Höhe von 1.232 MPa ergeben habe. Ihren Mitarbeitern sei lange vor dem Prioritätszeitpunkt bekannt gewesen, dass eine Steigerung der Härte eines Ventilstahls zugleich dessen Streckgrenze erhöhe, und dass so schädliche Vertiefungen im Sitzbereich eines Ventils zu verhindern seien. Dem Industrielabor G seien kaltumgeformte Proben von Inconel 751 und Nimonic 80 A zur Untersuchung übergeben worden. Ventile wie diejenigen, welche der H übergebenen worden seien, habe sie in derselben Weise schon vor dem Prioritätszeitpunkt hergestellt. Es komme nicht auf einen exakt linearen Zusammenhang zwischen Härte und Streckgrenze an, es genüge vielmehr eine Umrechenbarkeit anhand bestimmter Tabellen. Härte und Zugfestigkeit beschrieben nur eine Eigenschaft eines Werkstoffs, nämlich die Festigkeit, also dessen Widerstandsfähigkeit gegen Verformung. Sie habe die betreffenden Ventile seit 1990 in unveränderter Weise vor und nach dem Prioritätsdatum hergestellt und u.a. nach Frankreich geliefert. Ein weiterer Typ Ventilspindeln, nämlich die Serie I sei bereits 1996 serienreif gewesen (vgl. Anlage B 4).
Nunmehr ist die Beklagte der Ansicht, dass die Klägerin eine Patentverletzung gar nicht schlüssig vorgetragen habe. Durch das Urteil des Bundesgerichtshofes im Nichtigkeitsverfahren seien „die Karten neu gemischt worden“. Mit der gleichen Begründung, mit der dort eine Vorwegnahme des Merkmals „Streckgrenze von mindestens 1.100 MPa“ verneint worden sei, sei auch in Bezug auf die angegriffenen Ausführungsformen eine solche Beschaffenheit nicht schlüssig dargetan. Der Prüfbericht gemäß Anlage K 13 und der Testbericht gemäß Anlage K 16 hätten sich aufgrund der Ausführungen des BGH als irrelevant erwiesen, und zwar deshalb, weil die Messpunkte zur Feststellung dieser Beschaffenheit „nicht an der Oberseite des Ventiltellers, sondern in dessen Inneren“ lägen. Der Sitzbereich des Ventils sei der ringförmige Teil an einem Ventilteller mit einer konischen Dichtfläche, der in der geschlossenen Position an einem entsprechend ausgeprägten Sitzbereich des feststehenden Teils des Ventils (Zylinderkopfs) sich anlege. Bei der Ermittlung der korrekten Tiefe eines Sitzbereichs sei bei jedem Ventil auf die sog. Verschleißgrenze zu achten; es dürfe ausschließlich in einem Bereich von 2,5 mm unterhalb der Oberfläche gemessen werden, um tragfähige Ergebnisse zu erhalten. Ergänzend verweist die Beklagte auf die Präsentation gemäß Anlage B 10, die Publikation gemäß Anlage B 11 und das Privatgutachten gemäß Anlage B 12. Auch der Untersuchungsbericht gemäß Anlage B 1 vermöge die Verletzung nicht zu belegen, da die Streckgrenze nicht an dem an der Oberfläche des Ventils befindlichen Sitzbereich gemessen worden sei, sondern im Ventilinneren und allenfalls teilweise im Sitzbereich. Der zu vermessende Testkörper müsse im Hinblick auf die DIN 50125 über einen Durchmesser von mindestens 4 mm und eine kalibrierte Länge von mindestens 20 mm verfügen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung von Zeugen gemäß Beweisbeschluss vom 28.6.2007 (Blatt 189 ff. GA) sowie gemäß Beweisbeschluss vom 29.8.2007 (Blatt 206 f. GA). Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll vom 30.8.2007 (Blatt 210 ff. GA) Bezug genommen.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen verwiesen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Der gewillkürte Parteiwechsel auf Klägerseite ist zulässig. Insbesondere liegt die notwendige Sachdienlichkeit im Sinne von § 263 ZPO (vgl. zu diesem Erfordernis BGHZ 65, 264 (268 f.)) vor, da die zuvor gewonnen Ergebnisse des Rechtsstreits auch im geänderten Prozessrechtsverhältnis verwertet werden können.

Die zulässige Klage ist teilweise begründet, nämlich soweit sie sich gegen die Auslassventile gemäß der angegriffenen Ausführungsform 1 richtet, während sie in Bezug auf die angegriffene Ausführungsform 2 keinen Erfolg hat.

I.

Das Klagepatent betrifft ein Auslassventil für einen Verbrennungsmotor, insbesondere einen Zweitaktkreuzkopfmotor, das eine bewegliche Spindel mit einem Ventilteller aus einer Legierung auf der Basis von Nickel mit einem ringförmigen Sitzbereich an der oberen Fläche des Ventiltellers enthält, wobei dieser Sitzbereich in der geschlossenen Ventilposition an einem entsprechenden Sitzbereich an einem stationären Ventilelement anliegt und wobei der Sitzbereich des Ventiltellers bei seiner Herstellung einem thermomechanischen Umformungsverfahren unterzogen wurde, bei dem das Material zumindest teilweise kaltbearbeitet wurde.
Die Entwicklung von Auslassventilen für Verbrennungsmotoren zielte viele Jahre lang darauf ab, die Lebensdauer und Zuverlässigkeit der Ventile zu erhöhen, indem die Ventilspindeln mit einem hitzekorrosionsbeständigen Material auf der unteren Tellerfläche und einem harten Material im Sitzbereich hergestellt wurden. Der Sitzbereich ist besonders entscheidend für die Zuverlässigkeit des Auslassventils, da das Ventil dicht schließen muss, um korrekt zu funktionieren. Es ist bekannt, dass die Fähigkeit des Sitzbereichs, dicht zu schließen, durch Korrosion in einem örtlichen Bereich durch sogenanntes Durchbrennen verringert werden kann, bei dem über der ringförmigen Dichtungsfläche eine kanalförmige Furche entsteht, durch die heißes Gas strömt, wenn das Ventil geschlossen ist. Unter ungünstigen Umständen kann dieser Fehlzustand auftreten und sich innerhalb von weniger als 80 Betriebsstunden zu einem defekten Ventil entwickeln, was bedeutet, dass es häufig nicht möglich ist, den entstehenden Ausfall bei der gewöhnlichen Überholung zu entdecken. Daher kann ein Durchbrennen im Ventilsitz unplanmäßige Stilllegungen verursachen. Wenn der Motor ein Antriebsmotor in einem Schiff ist, kann der Ausfall während einer einzelnen Fahrt zwischen zwei Häfen auftreten, was Probleme während der Fahrt und eine unbeabsichtigt kostspielige Wartezeit im Hafen verursachen kann.
Im Hinblick darauf wurden im Stand der Technik über die Jahre viele verschiedene Ventilsitzmaterialien mit ständig steigenden Härten entwickelt, um den Sitz mit Hilfe der Härte abnutzungsbeständig zu machen und die Bildung von Vertiefungen zu verringern. Die Vertiefungen sind eine Voraussetzung für die Entwicklung eines Durchbrennens, da die Vertiefungen eine kleine Undichtigkeit erzeugen können, durch die heißes Gas strömt. Das heiße Gas kann das Material um die undichte Stelle herum auf ein Temperaturniveau erwärmen, bei dem das Gas mit den aggressiven Bestandteilen eine korrosive Wirkung auf das Sitzmaterial ausübt, so dass die Undichtigkeit rasch größer wird und die Undichtigkeitsströmung von heißem Gas zunimmt, wodurch die Erosion immer größer wird. Zusätzlich zur Härte sind die Sitzmaterialien ebenfalls in Richtung einer höheren Hitzekorrosionsbeständigkeit entwickelt worden, um die Erosion nach dem Auftreten einer kleinen Undichtigkeit zu verzögern.
Ein Auslassventil der oben genannten Art, das aus dem Material NIMONIC 80A hergestellt ist, ist in dem Artikel „Herstellung von Ventilspindeln aus einer Nickelbasislegierung für Schiffsdieselmotoren“, Berg- und Hüttenmännische Monatshefte, Band 130, September 1985, Nr. 9 beschrieben. Das thermomechanische Schmieden wird demnach so gesteuert, dass eine hohe Härte im Sitzbereich erreicht wird. In Anbetracht der mechanischen Eigenschaften des Auslassventils, wie beispielsweise Ermüdungsbeständigkeit usw., schreibt der Artikel vor, dass das NIMONIC 80A-Ventil eine Streckgrenze von mindestens 800 MPa aufweist.
Das EP-A-0 280 XXX beschreibt ein Auslassventil, das aus NIMONIC 80A gefertigt ist, das aus einem Grundkörper hergestellt ist, der nach dem Homogenisierungsglühen in die gewünschte Form geschmiedet wird. Der Sitzbereich ist demgemäß kaltbearbeitet, um eine hohe Härte bereitzustellen. Nachfolgend kann das Ventil ausscheidungsgehärtet werden.
Das Buch „Diesel engine combustion chamber materials for heavy fueloperation‘, veröffentlicht 1990 durch das Institute of Marine Engineers, London, stellt die Erfahrung, die im Bereich von Auslassventilmaterialien gewonnen wurde, in einer Reihe von Artikeln zusammen und stellt Empfehlungen hinsichtlich der Gestaltung von Ventilen bereit, um eine lange Lebensdauer zu erzielen. Ventilsitze betreffend weist der Artikel einstimmig an, dass das Sitzmaterial eine hohe Härte aufweisen muss und aus einem Material mit einem hohen Widerstand gegen Hitzekorrosion bestehen muss. Eine Reihe verschiedener bevorzugter Materialien für Auslassventile sind in Blatt 7 des Buchs ‚The physical and mechanical properties of valve alloys and their use in component evaluation analyses‘ beschrieben, wobei die Analyse der mechanischen Eigenschaften der Materialien eine vergleichende Tabelle der Streckgrenze der Materialien umfasst, die unterhalb von etwa 820 MPa liegt.
Das Klagepatent bezeichnet es als wünschenswert, die Lebensdauer des Auslassventils zu verlängern und insbesondere die unvorhersehbare und rasche Entwicklung von Durchbrennen im Sitzbereich des Ventils zu verringern oder zu vermeiden.
Die Anmelderin des Klagepatents hat Tests zur Vertiefungsbildung bei Sitzmaterialien durchgeführt und im Gegensatz zum Stand der Technik – so das Klagepatent – recht unerwarteter Weise nachgewiesen, dass die Härte des Sitzmaterials keinen großen Einfluss darauf hat, ob die Vertiefungen auftreten.

Das Klagepatent stellt sich die Aufgabe, Sitzmaterialien zu schaffen, die dem Mechanismus zuvorkommen, der zur Bildung von Vertiefungen führt, wobei die Grundbedingung für das Auftreten von Durchbrennen geschwächt oder beseitigt wird.

Zur Lösung dieses technischen Problems (der Aufgabe) schlägt das Klagepatent in Anspruch 1 folgendes Erzeugnis vor:

1. Auslassventil für einen Verbrennungsmotor, insbesondere einen Zweitaktkreuzkopfmotor.
2. Das Ventil enthält eine bewegliche Spindel mit einem Ventilteller mit einem ringförmigen Sitzbereich an der oberen Fläche des Ventiltellers, wobei dieser Sitzbereich in der geschlossenen Position des Ventils an einem entsprechenden Sitzbereich an einem stationären Ventilelement anliegt.
3. Der Ventilteller mit einem ringförmigen Sitzbereich ist aus einer Legierung auf der Basis von Nickel.
4. Der Sitzbereich des Ventiltellers wurde bei seiner Herstellung einem thermomechanischen Umformungsverfahren unterzogen, bei dem das Material zumindest teilweise kaltbearbeitet wurde.
5. Der Ventilteller ist aus einer Legierung auf der Basis von Nickel hergestellt, die eine Streckgrenze von mindestens 1100 MPa erreichen kann.
6. Der Sitzbereich an der oberen Fläche des Ventiltellers ist mit Eigenschaften zur Verhinderung von Vertiefungen in Form einer Streckgrenze (Rp0,2) von mindestens 1100 MPa bei einer Temperatur von etwa 20º C ausgestattet.
7. Die Streckgrenze (Rp0,2) von mindestens 1100 MPa bei einer Temperatur von etwa 20º C ist mit Hilfe des thermomechanischen Umfangsverfahrens und eventuell einer Wärmebehandlung zur Erhöhung der Streckgrenze erhalten worden.

Ferner schlägt Anspruch 7 folgende Lösung vor:

1. Verwendung einer chromhaltigen Nickelbasislegierung als Material zur Beschränkung oder Verhinderung von Vertiefungen in einem ringförmigen Sitzbereich an der oberen Fläche eines beweglichen Ventiltellers an einem Auslassventil für einen Verbrennungsmotor, insbesondere für einen Zweitaktkreuzkopfmotor.

2. Die chromhaltige Nickelbasislegierung weist eine Streckgrenze von mindestens 1100 MPa bei etwa 20º C auf.

3. Der Sitzbereich an der oberen Fläche des beweglichen Ventiltellers liegt an einem entsprechenden Sitzbereich an einem stationären Ventilelement an, wenn das Ventil geschlossen ist.

II.
1)
Die angegriffene Ausführungsform 1 stellt eine wortsinngemäße Verletzung des Anspruchs 1 des Klagepatents dar.
Dies gilt auch in Bezug auf das zwischen den Parteien (allein) streitige Merkmal 6, wonach der Sitzbereich an der oberen Fläche des Ventiltellers mit Eigenschaften zur Verhinderung von Vertiefungen in Form einer Streckgrenze (Rp0,2) von mindestens 1100 MPa bei einer Temperatur von etwa 20º C ausgestattet sein soll.

a)
Dass die angegriffene Ausführungsform 1 eine Streckgrenze (Rp0,2) von sogar mehr als 1300 MPa bei einer Temperatur von 20º Celsius im Sitzbereich an der oberen Fläche des Ventiltellers aufweist, gilt gemäß § 288 ZPO als zugestanden.
Das Geständnis enthält die Erklärung einer Partei, dass die von der Gegenseite behauptete Tatsache wahr ist (Musielak/Huber, 9. Auflage, 2012, § 288 Rn 2). Gemäß § 288 Abs. 1 ZPO kann das Geständnis als einseitige Erklärung, die gemäß Absatz 2 keiner Annahme bedarf, unter anderem in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht abgegeben werden; einer Protokollierung bedarf es dann nicht (Umkehrschluss aus § 160 Abs. 3 Nr. 3 ZPO, vgl. Musielak/Huber, a.a.O., § 288 Rn 6). Vor dem Prozessgericht kann das Geständnis also auch durch Bezugnahme auf schriftsätzlichen Vortrag gemäß § 137 Abs. 3 ZPO erfolgen (Zöller/Greger, ZPO, 28. Auflage, § 288 Rn 3 m.w.N.). Der erforderliche Geständniswille besteht darin, dass zum Ausdruck gebracht wird, die betreffende Tatsache solle ungeprüft zur Urteilsgrundlage gemacht werden, wobei das Wort „Geständnis“ nicht verwendet zu werden braucht (BGH, MDR 2005, 1307). Vielmehr genügt ein übereinstimmender Parteivortrag in der mündlichen Verhandlung oder sonstiges schlüssiges Verhalten. Bloßes Stillschweigen auf die gegnerische Behauptung reicht aber nicht. Das Nichtbestreiten nach § 138 Abs. 3 ZPO darf wegen der unterschiedlichen Rechtsfolgen grundsätzlich nicht als Geständnis angesehen werden. Anderes kann jedoch gelten, wenn weitere Umstände hinzutreten, die einen Schluss auf ein konkludentes Geständnis nahe legen (Zöller/Greger, a.a.O., § 288 Rn 5 m.w.N.): Begehrt die beklagte Partei die Abweisung der Klage wegen einer von ihr erklärten Primäraufrechnung, so sind damit in der Regel die den Klageanspruch begründenden tatsächlichen Behauptungen zugestanden (BGH, NJW-RR 1996, 699).

Die Klägerin hat vorliegend in der Klageschrift unter Bezugnahme auf die Anlage K 13 – einen Prüfbericht, den die Beklagte selbst in Auftrag gegeben und als Nachweis für die im Einspruchsverfahren geltend gemachte offenkundige Vorbenutzung vorgelegt hatte – und Anlage K 16 schlüssig vorgetragen, dass die Streckgrenze im Sinne von Merkmal 6 bei der angegriffenen Ausführungsform 1 mehr als 1300 MPa betrage. Diese Tatsachenbehauptung ließ die Beklagte unstreitig und berief sich ausschließlich auf den Einwand eines privaten Vorbenutzungsrechts, und zwar gerade unter Berufung auf die Richtigkeit der betreffenden klägerischen Angabe zur Streckgrenze. Das bereits in der Klageerwiderung jedenfalls konkludent enthaltene Geständnis wurde im Wege der Bezugnahme nach § 137 Abs. 3 ZPO im frühen ersten Termin und im ersten Haupttermin zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung: Bezeichnend sind diesbezüglich bereits die einleitenden Worte der Klageerwiderung: „Die Beklagte hat ein Vorbenutzungsrecht nach § 12 Absatz 1 PatG …“. Bis zum Schriftsatz vom 26.10.2011 wurde während eines Zeitraumes von annähernd fünf Jahren nicht mit einem Wort zu verstehen gegeben, dass die Beklagte die Richtigkeit der von der Klägerin eingeführten Werte bezweifle – schließlich entstammten sie u.a. einem von der Beklagten selbst in Auftrag gegebenen Prüfbericht, der dem Nachweis einer offenkundigen Vorbenutzung hatte dienen sollen. Ein Bestreiten erfolgte erst, nachdem das Nichtigkeitsverfahren letztlich nicht den erhofften Ausgang genommen hatte. Insofern hat die Beklagte sich „primär“ mit einem Vorbenutzungsrecht nach § 12 Abs. 1 PatG verteidigt und so ihr unbedingtes Einverständnis damit zum Ausdruck gebracht, dass das Prozessgericht den klägerischen Tatsachenvortrag zur Streckgrenze der angegriffenen Ausführungsform 1 ungeprüft zu seiner Urteilsgrundlage machen möge. Die Beklagte machte insbesondere nicht von der grundsätzlichen Möglichkeit Gebrauch, die private Vorbenutzung lediglich hilfsweise einzuwenden. Insofern liegt eine Fallkonstellation vor, die dem Einwand einer Primäraufrechnung – mit den oben geschilderten Konsequenzen in Bezug auf § 288 ZPO – wertungsmäßig gleichzusetzen ist.

b)
Aufgrund des Geständnisses der Beklagten entfällt die Beweisbedürftigkeit der zugestandenen Tatsachen, die vorliegend die Feststellung der Verwirklichung des Merkmals 6 rechtfertigen. Zugleich tritt eine Bindungswirkung für die geständige Beklagte im Rahmen des § 290 S. 1 ZPO ein.
Vorgenannte Bindungswirkung ist auch nicht gemäß § 290 S. 2 ZPO entfallen. Denn die Beklagte hat ihr Geständnis nicht wirksam nach § 290 S. 1 ZPO widerrufen. Voraussetzung des Widerrufs ist nach § 290 S. 1 ZPO der Beweis durch die widerrufende Partei, dass das Geständnis der Wahrheit nicht entspreche und durch einen Irrtum veranlasst sei. Unter einem Irrtum versteht man die unbewusste Unkenntnis des wirklichen Sachverhalts, unabhängig davon, ob diese verschuldet oder unverschuldet ist, es sich um einen Tatsachen-, Rechts- oder Motivirrtum handelt, wobei es bei der Beurteilung dieser Voraussetzungen auf die Person ankommt, die das Geständnis abgegeben hat – in der Regel also auf die Partei, gegebenenfalls auf ihren gesetzlichen Vertreter oder ihren Rechtsanwalt (Zöller/Greger, a.a.O., § 290 Rn 2).
Vorliegend mag zugunsten der Beklagten unterstellt/fingiert werden, dass sie bzw. ihr gesetzlicher Vertreter oder ihre (früheren) Prozessbevollmächtigten insoweit einem Irrtum unterlagen, der erst im Rahmen des Nichtigkeitsberufungsverfahrens durch das BGH-Urteil aufgefallen sein mag. Jedenfalls fehlt es aber an der hinreichenden Darlegung der Beklagten und erst recht an einem Beweis der Tatsache, dass die maßgebliche Streckgrenze bei der angegriffenen Ausführungsform 1 tatsächlich weniger als 1300 MPa betrage. Die Beklagte wurde im Termin zur mündlichen Verhandlung ausweislich des Protokolls durch den Vorsitzenden auf die maßgebliche Beweislastverteilung hingewiesen sowie darauf, dass ein erfolgreicher Widerruf in erster Linie einmal der Angabe konkreter Werte der maßgeblichen Streckwertgrenze bei der angegriffenen Ausführungsform 1 bedinge. Gleichwohl beschränkte die Beklagte sich darauf, ihr Geständnis „wegen Irrtums“ zu widerrufen, ohne konkrete Werte anzugeben oder gar entsprechenden Beweis anzutreten. Sämtliche Einwendungen der Beklagten gegen die Messmethodik im Zusammenhang mit den Anlagen K 13 und K 16 sowie B 1 sind deshalb a priori unerheblich und bedürfen keiner weiteren Erörterung.

2)
Entsprechendes gilt in Bezug auf das Merkmal 2 des Anspruchs 7. Es gilt auch insoweit als zugestanden, dass die Beklagte zur Herstellung der angegriffenen Ausführungsform 1 eine chromhaltige Nickelbasislegierung, die eine Streckgrenze von mindestens 1100 MPa bei etwa 20° C aufweist, verwendete. Auch das diesbezügliche Geständnis wurde nicht wirksam widerrufen.

III.
Unschlüssig ist allerdings das Klagevorbringen hinsichtlich der angegriffenen Ausführungsform 2. Nach dem eigenen klägerischen Vortrag (S. 30 unten f. der Replik vom 23.2.2007) ergaben Zugprüfungen im Sitzbereich der angegriffenen Ausführungsform 2, den sie selbst als „weiteren Verletzungsgegenstand“ beschreibt, Streckgrenzen im Bereich von lediglich 1039 bis 1087 MPA.
Nach der beschränkt aufrecht erhaltenen Fassung der Ansprüche 1 und 7 des Klagepatents ist aber nunmehr eine Streckgrenze von mindestens 1100 MPa erforderlich, so dass die Klage insoweit abzuweisen war.

IV.
Sollte der Beklagtenvortrag so zu verstehen sein, dass sie den Einwand eines privaten Vorbenutzungsrechts nunmehr noch hilfsweise aufrecht erhalten möchte, wäre auch dies unerheblich. Denn die Voraussetzungen des § 12 PatG liegen nicht vor.

1)
Es fehlt jedenfalls am erforderlichen Erfindungsbesitz der Beklagten.

Erfindungsbesitz verlangt, dass der Erfindungsgedanke soweit erkannt worden sein muss, dass der patentgemäße Erfolg planmäßig im Sinne einer wiederholbaren technischen Lehre herbeigeführt werden kann (BGH, GRUR 2010, 47 – Füllstoff). Es reicht demnach nicht aus, dass der erfindungsgemäße Erfolg sich rein zufällig oder unerkannt eingestellt hat, wobei jedoch nicht erforderlich ist, dass die naturwissenschaftlichen Ursachen, die für den Erfolg verantwortlich sind, erkannt wurden (OLG Düsseldorf, InstGE 11, 193 – Desmopressintablette).

a)
Nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten war es das Ziel ihres seit 1987 durchgeführten Projektes „K“, höhere Härtewerte im Sitzbereich eines Ventils zu erzielen. Soweit die Beklagte in diesem Zusammenhang behauptet hat, es bestehe eine (wenn auch nicht unbedingt lineare) Korrelation zwischen Härtegrad und Streckwertgrenze, haben die vom Bundesgerichtshof nach sachverständiger Beratung getroffenen Feststellungen eine solche Korrelation für eine chromhaltige Nickelbasislegierung nicht ergeben (siehe im Detail Anlage K 36, Rn 22). Es fehlt gerade an einem kausalen Zusammenhang zwischen einer Änderung der Härte und einer solchen der Dehnfestigkeit, der es erlaubte, von einer bestimmten Härte auf eine bestimmte Streckgrenze zu schließen. Insofern war die Beklagte vor dem Prioritätszeitpunkt gerade nicht in der Lage, den Erfolg der technischen Lehre des Klagepatents planmäßig und wiederholbar zu erzielen.

b)
Entsprechendes gilt in Bezug auf das im Jahre 2003 gefertigte Ventil aus der Serie mit der Zeichnungsnummer D. Auch insoweit ist aus den unter a) genannten Gründen kein Erfindungsbesitz feststellbar. Im Übrigen hat die Beklagte auch im vorliegenden Rechtsstreit unzureichende Angaben dazu gemacht, dass dieses Ventil völlig übereinstimmend zu der Vorgehensweise vor dem Prioritätszeitpunkt hergestellt worden sei; insoweit wird auf Randnummern 30 f. des BGH-Urteils (Anlage K 36) verwiesen.

V.

Der mit Blick auf die angegriffene Ausführungsform 1 zuerkannte Unterlassungsanspruch ergibt sich aus Art. 64 EPÜ i.V.m. §§ 9, 139 Abs. 1 PatG. Gemäß Art. 64 EPÜ i. V. m. § 139 Abs. 2 PatG ist die Beklagte im Hinblick auf die Verletzung des Klagepatents durch die angegriffene Ausführungsform 1 schadensersatzpflichtig. Denn als Fachunternehmen hätte sie die Patentverletzung bei Anwendung der im Geschäftsverkehr erforderlichen Sorgfalt zumindest erkennen können, § 276 BGB. Überdies ist es hinreichend wahrscheinlich, dass durch die rechtsverletzenden Handlungen der Beklagten ein Schaden entstanden ist, der derzeit noch nicht beziffert werden kann, weil der Umfang der rechtsverletzenden Benutzungshandlungen ohne Verschulden der Klägerin nicht im Einzelnen bekannt ist. Ein rechtliches Interesse der Klägerin an der Feststellung der Schadensersatzverpflichtung ist demnach anzuerkennen, § 256 ZPO.
Damit die Klägerin die ihr zustehenden Schadensersatzansprüche beziffern kann, ist die Beklagte ihr gegenüber zur Rechnungslegung unter Vorlage von Rechnungen verpflichtet, §§ 242, 259 BGB, wobei (wie im Klageantrag berücksichtigt) ein Wirtschaftsprüfervorbehalt einzuräumen war. Die Klägerin ist auf die zuerkannten Angaben angewiesen, über die sie ohne eigenes Verschulden nicht verfügt. Die Beklagte wird durch die von ihr verlangten Auskünfte nicht unzumutbar belastet. Ferner ist die Beklagte gemäß Art. 64 EPÜ i.V.m. § 140b PatG auskunftspflichtig. Der zuerkannte Vernichtungsanspruch hinsichtlich der angegriffenen Ausführungsform 1 folgt aus § 140a Abs. 1, der Rückrufanspruch aus § 140a Abs. 3 S. 1 Alt. 1 PatG, wobei letzterer sich für die Zeit seit dem 30.4.2006 – also nach Ablauf der Frist für die Umsetzung der Enforcement-Richtlinie – aus einer analogen Anwendung des § 1004 BGB ergibt (OLG Düsseldorf, InstGE 13, 15 – Faktor VIII-Konzentrat).

VI.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1, 269 Abs. 3 S. 1 ZPO.
Unter Berücksichtigung dessen, dass der Streitwert nach den unwidersprochenen Angaben der Klägerin bei Klageerhebung – als nur die angegriffene Ausführungsform 1 streitgegenständlich war – EUR 1.000.000 betrug, schätzt die Kammer den Gesamtstreitwert auf EUR 1.500.000, so dass auf die im Wege der Klageerweiterung streitgegenständlich gewordene angegriffene Ausführungsform 2 EUR 500.000 entfallen und das Teilunterliegen der Klägerin ein Drittel des Gesamtstreitwertes betrifft.

Die Anordnungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeben sich jeweils aus § 709 S. 1 ZPO und aus § 709 S. 1 und S. 2 ZPO.