4b O 318/04 – Eisenbahnrad

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 416

Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 2. August 2005, Az. 4b O 318/04

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.

III. Das Urteil ist für die Beklagte wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung von 95.000,– Euro vorläufig vollstreckbar.

IV. Der Streitwert wird auf 5.000.000,– Euro festgesetzt.

T a t b e s t a n d :

Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des unter anderem mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 798 xxx, das auf einer am 1.10.1997 veröffentlichen Anmeldung vom 21.3.1997 beruht und dessen Erteilung am 25.8.1999 bekanntgemacht worden ist. Die Verfahrenssprache des Klagepatents ist Französisch; die Patentansprüche sind am 2.6.1999 in deutscher Übersetzung veröffentlicht worden.

Das Klagepatent betrifft ein „krümmungsfestes Schienenfahrzeugrad aus Stahl“. In einem gegen den deutschen Teil des Klagepatents geführten Nichtigkeitsverfahren hat der im vorliegenden Rechtsstreit allein interessierende Patentanspruch 1 durch Urteil des Bundespatentgerichts vom 14.1.2004 folgende Fassung erhalten:

„Um eine Achse XX’ senkrecht zu einer Mittelebene P drehendes Eisenbahnrad mit einem Radkranz (1), dessen Halb-Dicke sich in einer Ebene P befindet, und der eine Lauffläche (2) und einen Spurkranz (3) aufweist, mit einer Nabe (4), einer Radscheibe (5), einer Verbindungszone (6) der Radscheibe (5) mit dem Radkranz (1), einer Verbindungszone (7) der Radscheibe (5) mit der Nabe (4), wobei der Schnitt der Radscheibe (5) längs einer Meridianlinie AB konstruiert ist, die sich zwischen einem an der Verbindungsstelle der Radscheibe (5) und der Verbindungszone (6) der Radscheibe (5) mit dem Radkranz (1) gelegenen Punkt A, und einem an der Verbindungsstelle der Radscheibe (5) und der Verbindungszone (7) der Radscheibe (5) mit der Nabe (4) gelegenen Punkt B erstreckt,

d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t ,

dass die beiden Punkte A und B auf gegenüberliegenden Seiten der Mittelebene P gelegen sind, wobei der Punkt A auf der gleichen Seite der Ebene P wie der Spurkranz (3) gelegen ist, beide symmetrisch in Bezug auf den Schnittpunkt I der Meridianlinie AB mit der Ebene P sind, wobei der Punkt I ein Wendepunkt der Kurve AB ist, und wobei der Schnittpunkt J der Tangente TA an die Kurve AB im Punkt A mit der Grenzlinie J1J2 zwischen der Verbindungszone (6) der Radscheibe (5) mit dem Radkranz (1) und dem Radkranz (1) von der Ebene P beabstandet auf der Seite des Spurkranzes (3) liegt, und der Schnittpunkt M der Tangente TB an die Kurve AB im Punkt B mit der Grenzlinie M1M2 zwischen der Verbindungszone (7) der Radscheibe (5) mit der Nabe (4) und der Nabe (4) von der Ebene P beabstandet auf der dem Spurkranz (3) gegenüberliegenden Seite liegt.“

Zur Verdeutlichung der Erfindung ist nachfolgend die einzige Figur der Klagepatentschrift wiedergegeben.

Die Beklagte vertreibt – selbst und über Dritte – in der Bundesrepublik Deutschland Eisenbahnräder sowie auf Achsen montierte Räderpaare unter der Bezeichnung „X“. Die konstruktiven Einzelheiten dieser Räder erschließen sich aus der als Anlage K 5 vorgelegten Konstruktionszeichnung, die nachstehend (verkleinert) eingeblendet ist.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass die streitbefangenen Eisenbahnräder der Beklagten wortsinngemäß, zumindest aber äquivalent von der technischen Lehre des Klagepatents Gebrauch machen. Mit ihrer Klage nimmt sie die Beklagte deshalb auf Unterlassung, Rechnungslegung, Entschädigung und Schadenersatz in Anspruch.

Die Klägerin begehrt

A. mit ihrem Hauptantrag,

I. die Beklagte zu verurteilen,

1. es bei Meidung der (näher bezeichneten) gesetzlichen Ordnungsmittel zu unterlassen,

um eine Achse senkrecht zu einer Mittelebene P drehendes Eisenbahnrad mit einem Radkranz, dessen Halb-Dicke sich in einer Ebene P befindet, und der eine Lauffläche und einen Spurkranz aufweist, mit einer Nabe, einer Radscheibe, einer Verbindungszone der Radscheibe mit dem Radkranz, einer Verbindungszone der Radscheibe mit der Nabe, wobei der Schnitt der Radscheibe längs einer Meridianlinie AB konstruiert ist, die sich zwischen einem an der Verbindungsstelle der Radscheibe und der Verbindungszone der Radscheibe mit dem Radkranz gelegenen Punkt A, und einem an der Verbindungsstelle der Radscheibe und der Verbindungszone der Radscheibe mit der Nabe gelegenen Punkt B erstreckt,

in Deutschland selbst oder über Dritte anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen,

bei dem die beiden Punkte A und B auf gegenüberliegenden Seiten der Mittelebene P gelegen sind, wobei der Punkt A auf der gleichen Seite der Ebene P wie der Spurkranz gelegen ist, beide symmetrisch in Bezug auf den Schnittpunkt I der Meridianlinie AB mit der Ebene P sind, wobei der Punkt I ein Wendepunkt der Kurve AB ist, und wobei der Schnittpunkt J der Tangente TA an die Kurve AB im Punkt A mit der Grenzlinie J1J2 zwischen der Verbindungszone der Radscheibe mit dem Radkranz und dem Radkranz von der Ebene P beabstandet auf der Seite des Spurkranzes liegt, und der Schnittpunkt M der Tangente TB an die Kurve AB im Punkt P mit der Grenzlinie M1M2 zwischen der Verbindungszone der Radscheibe mit der Nabe und der Nabe von der Ebene P beabstandet auf der dem Spurkranz gegenüberliegenden Seite liegt;

2. ihr (der Klägerin) Rechnung darüber zu legen, in welchem Umfang sie (die Beklagte) die zu 1. bezeichneten Handlungen seit dem 2.7.1999 begangen hat, und zwar unter Angabe

a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, Lieferzeiten, Lieferpreisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Namen und Anschriften von Dritten, über die Lieferungen erfolgt sind,

b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, Angebotszeiten, Angebotspreisen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,

c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,

d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,

wobei die Angaben zu d) lediglich für die Zeit seit dem 25.9.1999 zu machen sind;

II. festzustellen,

1. dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr (der Klägerin) für die zu I.1. bezeichneten, in der Zeit vom 2.7.1999 bis 24.9.1999 begangenen Handlungen eine angemessene Entschädigung zu zahlen;

2. dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr (der Klägerin) allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu I.1. bezeichneten, seit dem 25.9.1999 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.

B. Hilfsweise verfolgt die Klägerin ihr Begehren mit der Maßgabe, dass

1. die im Hauptantrag zu I.1. bezeichneten Eigenschaften bis auf +/- 4 mm genau eingehalten sind,

2. und weiter hilfsweise mit der Maßgabe, dass Gegenstand der Verurteilung das aus der (oben wiedergegebenen) Konstruktionszeichnung gemäß Anlage K 5 – einschließlich der dort ausgewiesenen Form,- Maß- und Lagetoleranzen – ersichtliche Eisenbahnrad sein soll.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bestreitet den Vorwurf der Patentverletzung und ist der Ansicht, dass einer Einbeziehung der angegriffenen Eisenbahnräder in den Äquivalenzbereich des Klagepatents in jedem Fall der „Formstein“-Einwand entgegenstehe. Die angegriffene Ausführungsform habe sich nämlich für einen Durchschnittsfachmann naheliegend aus dem für das Klagepatent maßgeblichen Stand der Technik ergeben.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

Das Gericht hat Beweis erhoben. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die schriftlichen Gutachten des Sachverständigen A vom 8.7.2004 und 30.4.2005 sowie das Protokoll über die mündliche Anhörung des Sachverständigen vom 23.6.2005 verwiesen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Der Klägerin stehen die geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung, Rechnungslegung, Entschädigung und Schadenersatz gegen die Beklagte nicht zu, weil das streitbefangene Eisenbahnrad keinen Gebrauch von der technischen Lehre des Klagepatents macht.

I.

Das Klagepatent betrifft ein Eisenbahnrad, welches eine leichte Verkrümmung aufweist, wenn es durch Backen gebremst wird. Ein derartiges Rad kann für schwer beladene Waggons und für Hochgeschwindigkeitsreisezüge, insbesondere solche mit Neigetechnik, verwendet werden. Nach der Patentbeschreibung führen die in dem Eisenbahnrad durch Bremsungen verursachten Belastungen und Dehnungen vor allem infolge Erhitzung zu einer Verformung der Radscheibe (Verkrümmung genannt), durch die die axiale Lage des Radkranzes im Verhältnis zur Nabe verändert wird. Dabei – so heißt es – werde zwischen der Heißverkrümmung während der Bremszeiten und der Restverkrümmung nach Abkühlung des Rades unterschieden, die das Ergebnis von permanenten Verformungen aufgrund von Erhitzung sei. Die Verkrümmung hänge von der Geometrie des Rades ab und müsse auf ein Mindestmaß reduziert werden. Im Stand der Technik (FR-A 2 687 098) sei ein Rad mit geringer Restverkrümmung beschrieben, das jedoch wie alle leichter gemachten Räder dennoch anfällig für eine Verkrümmung während der Bremsung sei. Diese Art von Rädern erweise sich als ungeeignet für den Einsatz bei schwer beladenen Güterwaggons. Das Problem der Verkrümmung bzw. allgemeiner das Problem der geometrischen Betriebsstabilität stelle sich ebenfalls bei Rädern von Hochgeschwindigkeitszügen. Aufgrund der dort herrschenden Betriebsbedingungen sei es wünschenswert, dass die Räder eine Radscheibe mit gekrümmter Meridianlinie besäßen, um ihnen ausreichend Radial- und Axialelastizität zu verleihen, damit die Verformung bei lang andauernden oder sehr starken Bremsungen möglichst gering sei. Gleichwohl könnten die Belastungen, denen die Räder insbesondere im Hochgeschwindigkeitsbetrieb ausgesetzt seien, zu folgenschweren Brüchen durch Werkstoffermüdung führen.

Ziel der Erfindung ist es, diese Nachteile zu beheben, indem ein leichtes Eisenbahnrad mit geringer Anfälligkeit für Heiß- und Restverkrümmungen vorgeschlagen wird, wobei die verbleibende Zugbelastung sehr deutlich gesenkt wird.

Zur Lösung der besagten Aufgabenstellung sieht Patentanspruch 1 in seiner vom Bundespatentgericht aufrechterhaltenen Fassung die Kombination folgender Merkmale vor:

(1) Eisenbahnrad, das sich um eine Achse XX’ senkrecht zu einer Mittelebene P dreht,

(2) mit einem R a d k r a n z (1),

(a) dessen Halb-Dicke sich in einer Ebene P befindet, und der

(b) eine Lauffläche (2) und

(c) einen Spurkranz (3) aufweist,

(3) mit einer N a b e (4),

(4) mit einer R a d s c h e i b e (5),

(5) mit einer V e r b i n d u n g s z o n e (6) der Radscheibe (5) mit dem Radkranz (1),

(6) mit einer V e r b i n d u n g s z o n e (7) der Radscheibe (5) mit der Nabe (4),

(7) wobei der Schnitt der Radscheibe (5) längs einer Meridianlinie AB konstruiert ist, die sich

(a) zwischen einem Punkt A, der an der Verbindungsstelle der Radscheibe (5) und der Verbindungszone (6) der Radscheibe (5) mit dem Radkranz (1) gelegen ist, und

(b) einem Punkt B, der an der Verbindungsstelle der Radscheibe (5) und der Verbindungszone (7) der Radscheibe (5) mit der Nabe (4) gelegen ist, erstreckt;

(c) die beiden Punkten A und B sind auf gegenüberliegenden Seiten der Mittelebene P gelegen, wobei der Punkt A auf der gleichen Seite der Ebene P wie der Spurkranz (3) gelegen ist;

(d) beide Punkte (A, B) sind symmetrisch in Bezug auf den Schnittpunkt I der Meridianlinie AB mit der Ebene P,

(e) wobei der Punkt I ein Wendepunkt der Kurve AB ist;

(8) der Schnittpunkt J der Tangente TA an die Kurve AB im Punkt A mit der Grenzlinie J1J2 zwischen der Verbindungszone (6) der Radscheibe (5) mit dem Radkranz (1) und dem Radkranz (1) liegt von der Ebene P beabstandet auf der Seite des Spurkranzes (3);

(9) der Schnittpunkt M der Tangente TB an die Kurve AB im Punkt B mit der Grenzlinie M1M2 zwischen der Verbindungszone (7) der Radscheibe (5) mit der Nabe (4) und der Nabe (4) liegt von der Ebene P beabstandet auf der dem Spurkranz (3) gegenüberliegenden Seite.

II.

Die angegriffenen Eisenbahnräder der Beklagten verwirklichen die vorstehend beschriebene Lehre des Klagepatents nicht; es fehlt an dem Merkmal (7 d), welches besagt, dass die Punkte A, B symmetrisch in Bezug auf den Schnittpunkt I der Meridianlinie AB mit der Mittelebene P sein sollen.

1.
Soweit im Merkmal (7 d) von „Symmetrie“ die Rede ist, setzt das Klagepatent eine Punktsymmetrie voraus (SV-GutA vom 30.4.2005, Seite 28; BPatG, Urteil vom 14.1.2004, Seite 16; PrivatGutA vom 12.6.2005, Seite 4). Das Klagepatent gibt dem Fachmann folglich die Anweisung, die Punkte A und B in gleicher Entfernung zum Schnittpunkt I, jedoch um 180° gedreht, anzuordnen (SV-GutA vom 30.4.2004, Seite 28; BPatG, Urteil vom 14.1.2004, Seite 16). Sinn und Zweck dieser Maßnahme ist die Einsparung von Fertigungs- und Prüfkosten, vor allem aber die Tatsache, dass sich bei einheitlicher Temperaturänderung des Eisenbahnrades im Bremsbetrieb die sich auf der einen Seite des Schnittpunktes I einstellende Biegungsänderung durch die entgegengerichtete Biegungsänderung auf der anderen Seite des Schnittpunktes I kompensiert (SV-GutA vom 30.4.2005, Seiten 28/29).

Bezugspunkt für die vom Klagepatent geforderte Symmetriebetrachtung sind einerseits

– der Schnittpunkt I (welcher definiert ist als der Kreuzungspunkt zwischen der Meridianlinie AB der Radscheibe und der Mittelebene P)

und andererseits

– die Punkte A und B (welche definiert sind als die Übergangsstelle zwischen der Radscheibe und der Verbindungszone zum Radkranz bzw. als die Übergangsstelle zwischen der Radscheibe und der Verbindungszone zur Radnabe).

a)
Bereits der Anspruchswortlaut („Punkte“) macht für den Fachmann deutlich, dass es sich bei den genannten Bezugsgrößen nach der Vorstellung des Klagepatents um mathematisch-geometrisch exakte Positionen handelt, die an einem erfindungsgemäßen Eisenbahnrad nicht nur bereichs- oder näherungsweise, sondern („punkt“-)genau festgelegt werden können.

Dies vorausgeschickt, ist zunächst der Auffassung der Beklagten zu widersprechen, dass die Mittelebene P nicht in der geometrischen Mitte zwischen den den Radkranz begrenzenden Ebenen liegen muss, sondern auch davon abweichende Lagen anspruchsgemäß sind. Patentanspruch 1 bezeichnet die Ebene P nicht nur als „Mittel“-Ebene, sondern sieht im Merkmal (2 a) – in völliger Übereinstimmung hiermit – weiter vor, dass die Ebene P in der Halb-Dicke des Radkranzes verläuft. Wie der Privatgutachter der Beklagten (GutA, Seite 3) einräumt, bezeichnet „Halb-Dicke“ die Mitte des Radkranzes, was zu dem Schluss führt, dass es sich bei der Ebene P um die geometrische Mittelebene zwischen den den Radkranz begrenzenden Ebenen handelt. Zu derselben Auffassung sind auch der gerichtliche Sachverständige (SV-GutA vom 30.4.2005, Seite 27) und das Bundespatentgericht (Urteil vom 14.1.2004, Seite 19) gelangt. Zu Unrecht versucht die Beklagte, aus der Patentzeichnung nach Figur 1 der Klagepatentschrift und dem Beschreibungstext auf Seite 5 (Absatz 0031) ein abweichendes Verständnis herzuleiten. Bei der zeichnerischen Darstellung in Figur 1 handelt es sich offensichtlich nicht um eine Konstruktionszeichnung, sondern um eine Skizze, die dem Fachmann das Prinzip der Erfindung verdeutlichen soll. Schon von daher verbietet es sich, Merkmale des Patentanspruchs anhand von Erkenntnissen auszulegen, die erst bei genauem Nachmesssen der Patentzeichnung zutage treten. Wie das Bundespatentgericht (Urteil vom 14.1.2004, Seite 20) zutreffend festgestellt hat, ist die in Figur 1 dargestellte Ebene P im übrigen allenfalls um 1 mm zur exakten Mittelebene des Radkranzes verschoben. Eine derart geringfügige Abweichung (d.h. zeichnerische Ungenauigkeit) kann den Fachmann nicht von der Annahme abhalten, dass die Figur als patentgemäß anzusehen ist, d.h. dasjenige zeigt, was der Patentanspruch mit Worten beschreibt (BPatG, Urteil vom 14.1.2004, Seite 20). Nichts anderes gilt für den von der Beklagten ins Feld geführte Beschreibungstext im Absatz 0031. Am angegebenen Ort heißt es:

„Die Dicke e3 des Radkranzes beträgt 136,5 mm, die Nabe hat eine Dicke von e4 = 169,1 mm, und die Ebene P befindet sich in einer Axialdistanz von 69,9 mm von der auf der gegenüberliegenden Seite des Spurkranzes gelegenen Vorderseite der Nabe. Die Seitenfläche des Radkranzes, auf der Seite des Spurkranzes, springt um 22,225 mm von der Seitenfläche der auf der Seite des Spurkranzes gelegenen Nabe zurück.“

Aus diesen Maßangaben mag sich rechnerisch ergeben, dass die Ebene P um 8,725 mm gegenüber der Mittelebene des Radkranzes zu der dem Spurkranz abgewandten Seite verschoben ist. Eine Aussage des Klagepatents dahingehend, dass die Ebene P – entgegen der Anspruchsformulierung („Mittelebene“, Halb-Dicke des Radkranzes) – nicht in der geometrischen Mitte des Radkranzes verlaufen muss, wird der Fachmann der Patentbeschreibung dennoch nicht entnehmen. Überlegungen diesen Inhalts steht bereits entgegen, dass einleitend im Absatz 0031 ausdrücklich für das nachfolgend detailliert beschriebene Eisenbahnrad angegeben ist, dass das Rad eine Symmetrieebene P besitzt, die durch die Halb-Dicke (= Mitte) des Radkranzes verläuft. Abgesehen davon räumt der Privatgutachter der Beklagten (Seite 5 zu f) selbst ein, dass die Figur der Klagepatentschrift offensichtlich identisch mit der Beschreibung im Absatz 0031 ist, d.h. Absatz 0031 dasjenige in Worten beschreibt, was Figur 1 zeichnerisch darstellt. Die Patentzeichnung indessen vermittelt dem Fachmann – wie ausgeführt – eindeutig die Erkenntnis, dass die Ebene P in der Mitte des Radkranzes liegt. Ein Fachmann, der anhand der Maßangaben in der Patentbeschreibung die von der Beklagten eingewandte Berechnung anstellt, wird deshalb zu dem Schluss gelangen, dass die für das in Figur 1 gezeigte Rad mitgeteilten Abmessungen so nicht richtig sein können. Wie die Beklagte nachgewiesen hat, stimmen sie mit der Figurendarstellung überein, wenn der Wert für die Dicke der Nabe von 169,1 mm in 162,1 mm korrigiert wird. Bei dem erstgenannten Wert der Patentbeschreibung handelt es sich demgemäß offensichtlich um einen Schreibfehler, der für sich keine vom Anspruchswortlaut und dem übrigen Inhalt der Patentschrift abweichende Interpretation tragen kann.

Der erweiternden Auslegung der Beklagten ist schließlich entgegen zu halten, dass, wenn die Mittelebene P nicht die geometrische Mitte des Radkranzes bezeichnen sollte, völlig offen bliebe, wie der daneben erfasste weitere Bereich um die geometrische Mitte herum definiert werden sollte. Auch die Beklagte führt nicht weiter aus, auf welche Weise und anhand welcher Kriterien das Merkmal der Mittelebene P in einer den Geboten der Rechtssicherheit genügenden Form ausgelegt werden soll. Allein auf die Merkmale (7 d) und (7 e) abzustellen, scheidet jedenfalls aus, weil das Merkmal der Mittelebene P damit praktisch jeglichen Inhalts beraubt würde.

Die Punkte A und B, deren Symmetrie gegenüber dem Schnittpunkt I es festzustellen gilt, sind ebenfalls geometrisch exakt festgelegt. A befindet sich an der Verbindungsstelle zwischen der Radscheibe einerseits und der Verbindungszone zum Radkranz andererseits. B ist definiert durch die Stelle, an der die Radscheibe auf die Verbindungszone zur Radnabe trifft (Merkmale 7 a, 7 b). Die im Rechtsstreit vorliegenden fachkundigen Stellungnahmen des gerichtlichen Sachverständigen (GutA vom 30.4.2005, Seite 28) und des Bundespatentgerichts (Urteil vom 14.1.2004, Seite 15) sind sich darin einig, dass der die Punkte A und B markierende Übergang von der Radscheibe zu den Verbindungszonen dort ist, wo die Kontor (Dicke) der Radscheibe eine Aufweitung erfährt. Dies folgt aus dem Umstand, dass die Radscheibe selbst entweder eine gleichbleibende Dicke oder eine sich in Richtung zum Radkranz bzw. zur Radnabe hin verringernde Stärke hat. Wo sich die Materialdicke von einem einheitlichen oder von einem sich verringernden Maß (= Radscheibe) erweitert, beginnen folglich die Verbindungszonen (die den Übergang von der schmalen Radscheibe zum breiten Radkranz bzw. zur breiten Radnabe schaffen) und befinden sich deshalb auch die Punkte A und B. Für ihre Positionierung ist demnach einzig entscheidend, dass der Materialquerschnitt eine Aufweitung erfährt, nicht hingegen – worauf der Privatgutachter der Beklagten (Seite 6) ohne nähere Begründung abstellt – dass die Aufweitung „deutlich“ ist. Dies gilt um so mehr, als der Begriff der „deutlichen“ Aufweitung diffus ist und von der Beklagten selbst nicht dargelegt wird, was genau damit gemeint sein sollte.

b)
Eine Relativierung ist freilich angebracht. Sie ergibt sich aus der – auch von der Klagepatentschrift (Absatz 0029) erörterten – Tatsache, dass Eisenbahnräder typischerweise geschmiedete oder warm geformte Teile sind, die aufgrund ihres Fertigungsprozesses eine relativ hohe Ungenauigkeit aufweisen (SV-Protokoll vom 23.6.2005, Seite 2). Weil dem so ist, kann der Schutzbereich des Klagepatents nicht auf solche Räder beschränkt werden, bei denen die Anspruchsmerkmale geometrisch-exakt verwirklicht sind. Der Patentanspruch beschreibt vielmehr eine – theoretische – Idealform, die sich – wie der Fachmann weiß – mit den in der Praxis gebräuchlichen Herstellungsmethoden nicht reproduzierbar erreichen lässt. Es gibt deshalb zu der anspruchsgemäß definierten Idealform einen fertigungsbedingten Toleranzbereich, d.h. Ausführungsformen, bei denen zwar die patentgemäßen Konstruktionsanweisungen als Vorlage gedient haben, bei denen die praktische Umsetzung jedoch – bedingt durch die Herstellung – nur „unvollständig“ gelungen ist. Auch solche Ausführungsvarianten müssen in den Schutzbereich des Klagepatents einbezogen werden, weil die Umsetzungsdefizite unvermeidlich sind und vom Klagepatent (als Abweichung von der im Anspruch idealisierten Formvorgabe) hingenommen werden.

2.
Ausgehend von dem vorstehend erläuterten Verständnis der Erfindung lässt sich eine Verwirklichung des Merkmals (7 d) durch die angegriffene Ausführungsform nicht feststellen.

a)
Insofern kann zugunsten der Klägerin davon ausgegangen werden, dass die Punkte A und B – entsprechend der oben bereits erläuterten allgemeinen Definition des Sachverständigen – dort anzusiedeln sind, wo sich der Querschnitt der Radscheibe aufzuweiten beginnt. Gegenüber der nachfolgend eingeblendeten Abbildung (SV-GutA vom 30.4.2005, Seite 32),

die auf anderer Auslegungsgrundlage bereits zu der Feststellung führt, dass die Mittelebene P um 8 mm aus der Symmetrieebene zwischen dem Punkt A und dem Punkt B verschoben ist (SV-GutA vom 30.4.2005, Seite 33), kann von einer Punktsymmetrie noch weniger die Rede sein. Anläßlich seiner mündlichen Anhörung (SV-Protokoll vom 23.6.2005, Seite 17) hat der gerichtliche Sachverständige nämlich dargelegt, dass bei Anwendung des eingangs geschilderten Verständnisses das Maß der Verschiebung aus der Symmetrieebene noch größer ausfällt, weil der Punkt A weiter als aus der obigen Zeichnung ersichtlich zur Mittelebene rückt, während die Lage des Punktes B nahezu unverändert bleibt.

Zu keiner anderen Beurteilung führt der Hinweis der Klägerin, dass für die angegriffenen Eisenbahnräder ausweislich der vorliegenden Konstruktionszeichnung (Anlage K 5) erhebliche Toleranzen vorgesehen sind. Zwar sind – wie dargetan – Abweichnungen von der anspruchsgemäßen Idealform unschädlich, soweit sie auf fertigungsbedingten Unregelmäßigkeiten beruhen. Ein derartiger Sachverhalt ist hier indessen nicht gegeben. Die der Herstellung zugrunde liegende Zeichnung entspricht keineswegs den Vorgaben des Patentanspruchs. Die für die angegriffenen Eisenbahnräder vorgesehene Form zeichnet sich im Gegenteil signifikant dadurch aus, dass die Radscheibe deutlich unterschiedliche Radien (R 65, R 105, R 65, R 30) besitzt. Eine Abweichung in der Konzeption des Rades, wie sie hier vorliegt, wäre nur dann unschädlich, wenn es unter Berücksichtigung der für die Fertigung in Rechnung zu stellenden Toleranzen bei der praktischen Umsetzung zu einer Ausführungsform kommen könnte, bei der die Anweisungen des Klagepatents eingehalten sind. Solches ist indessen nicht zu erkennen. Die Klägerin hat lediglich darauf hingeweisen, dass nach der Konstruktionszeichnung der Beklagten ein Toleranzbereich von 8 mm zugelassen sei. Sie hat jedoch weder ein konkretes Eisenbahnrad der Beklagten benannt, bei dem – unter Beachtung der sich fertigungsbedingt ergebenden Ungenauigkeiten – eine Symmetrie der Punkte A und B feststellbar ist, noch auch nur eine einzige Berechnung präsentiert, die belegt, dass es innerhalb des durch die Konstruktionszeichnung abgedeckten Toleranzbereiches zu einer Verwirklichung der Anspruchsmerkmale des Klagepatents kommen kann. Entsprechenden Vortrages hätte es hingegen bedurft, weil es Sache der Klägerin ist, diejenigen Tatsachen beizubringen, die ihren Verletzungsvorwurf erhärten.

b)
Die Annahme einer äquivalenten Benutzung scheidet unter den gegebenen Umständen gleichfalls aus. Die Anordnung asymmetrisch zu treffen, kann für einen Durchschnittsfachmann anhand der Klagepatentschrift nicht nahegelegen haben, weil diese ihn ausdrücklich zu einer symmetrischen Ausgestaltung anhält.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Anordnung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.