4b O 517/03 – Sicherheits-Karton-Messer

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 431

Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 20. Januar 2005, Az. 4b O 517/03

I.
Die Beklagte wird verurteilt,

1.
es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,– €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall bis zu zwei Jahren, zu vollziehen an den Geschäftsführern der Beklagten, zu unterlassen,

Messer mit einem Messergehäuse, in welchem ein eine Messerklinge aufnehmender Klingenträger relativ beweglich geführt ist, welcher mittels einer Betätigungshandhabe entgegen Rückstellkraft (Zugfeder) aus einer im Messergehäuse geschützten, zurückgezogenen Ausgangsposition der Messerklinge in eine aus dem Messergehäuse vorragende Schneidposition der Messerklinge versetzbar ist,

im Geltungsbereich des deutschen Patents DE 197 23 xxx C1 anzubieten oder in Verkehr zu bringen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen,

bei denen die Betätigungshandhabe von einem relativ zum Klingenträger beweglichen gesonderten Betätigungsteil gebildet ist, welches entgegen der Ausfahrbewegung des Klingenträgers mit einer gesonderten Rückstellkraft (Zugfeder) belastet ist, bei denen Klingenträger und Betätigungsteil in ihrer Ausgangsposition durch ein primäres Kupplungselement des Betätigungsteils und durch ein korrespondierendes sekundäres Kupplungselement des Klingenträgers nur im Ausfahrsinne des Klingenträgers auf Mitnahme bewegungsgekuppelt, jedoch im Einfahrsinne des Klingenträgers außer Eingriff miteinander sind, bei denen die Bewegung des Betätigungsteils im Ausfahrsinne des Klingenträgers begrenzt ist und bei denen dem Klingenträger eine zusätzliche Relativbewegung in Ausfahrrichtung gestattet ist, welche die beiden Kupplungselemente außer Eingriff miteinander versetzt;

2.
der Klägerin unter Vorlage eines einheitlichen, geordneten Verzeichnisses darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang die Beklagte die vorstehend unter Ziffer I. 1. bezeichneten Handlungen seit dem 24. Mai 1998 begangen hat, und zwar unter Angabe
a)
der Herstellungsmengen und -zeiten,

b)
der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen (und gegebenenfalls Typenbezeichnungen) sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer,

c)
der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen (und gegebenenfalls Typenbezeichnungen) sowie den Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,

d)
der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, Auflagen und Stückzahlen pro Auflage pro Werbeträger, nach Verbreitungszeiten und Verbreitungsgebieten,

e)
der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns, der nicht durch Abzug von Fixkosten und variablen Gemeinkosten gemindert ist, es sei denn, diese können ausnahmsweise den zu Ziffer I. 1. genannten Gegenständen unmittelbar zugeordnet werden,

wobei

– die Beklagte zu den Angaben zu b) die betreffenden Rechnungen, Lieferscheine und Zollpapiere vorzulegen hat,

– der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der Abnehmer und Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;

3.
die in der Bundesrepublik Deutschland im Besitz oder Eigentum der Beklagten befindlichen Produkte gemäß vorstehender Ziffer I. 1. zu vernichten.

II.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, welcher der Klägerin durch die vorstehend unter Ziffer I. 1. bezeichneten, seit dem 25. Mai 1998 begangenen Handlungen entstanden ist und künftig noch entstehen wird.

III.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

IV.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.

V.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 500.000,– EUR vorläufig vollstreckbar.

VI.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 500.000,– EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des deutschen Patents 197 ####2 (Anlage K 1, Klagepatent), welches am 4.06.1997 angemeldet und dessen Erteilung am 23. April 1998 veröffentlicht wurde.

Das Klagepatent betrifft ein Sicherheitsmesser; der im vorliegenden Rechtsstreit allein interessierende Anspruch 1 hat folgenden Wortlaut:

„Messer (10) mit einem Messergehäuse (11), in welchem ein eine Messerklinge (14) aufnehmender Klingenträger (15) relativ beweglich geführt ist, welcher mittels einer Betätigungshandhabe (42) entgegen Rückstellkraft (Zugfeder 24) aus einer im Messergehäuse (11) geschützten zurückgezogenen Ausgangsposition (A) der Messerklinge (14) in eine aus dem Messergehäuse (11) vorragende Schneidposition der Messerklinge (14) versetzbar ist, dadurch gekennzeichnet, dass die Betätigungshandhabe (42) von einem relativ zum Klingenträger (15) beweglichen gesonderten Betätigungsteil (27) gebildet ist, welches entgegen der Ausfahrbewegung des Klingenträgers (15) mit einer gesonderten Rückstellkraft (Zugfeder 38) belastet ist, dass Klingenträger (15) und Betätigungsteil (27) in ihrer Ausgangsposition (A) durch ein primäres Kupplungselement (P) des Betätigungsteils (27) oder des Klingenträgers (15) und durch ein korrespondierendes sekundäres Kupplungselement (S) des Klingenträgers (15) oder des Betätigungsteils (27) nur im Ausfahrsinne des Klingenträgers (15) auf Mitnahme bewegungsgekuppelt, jedoch im Einfahrsinne des Klingenträgers (15) außer Eingriff miteinander sind, dass die Bewegung (bei a) des Betätigungsteils (27) im Ausfahrsinne des Klingenträgers (15) begrenzt ist, und dass dem Klingenträger (15) eine zusätzliche Relativbewegung (Weg R) in Ausfahrrichtung (x) gestattet ist, welche die beiden Kupplungselemente (P, S) außer Eingriff miteinander versetzt.“

Die nachfolgenden Abbildungen (Figuren 1, 4, 6 und 7 der Klagepatentschrift) veranschaulichen den Erfindungsgegenstand anhand eines bevorzugten Ausführungsbeispiels:

Die Klägerin ist weiterhin eingetragene Inhaberin des europäischen Patents 0 882 xxx (Anlage ROP 1), welches unter Inanspruchnahme der Priorität des Klagepatents am 31.03.1998 angemeldet wurde und dessen Erteilung am 14.08.2002 bekannt gemacht wurde. Dieses Patent betrifft dieselbe Erfindung. In der ursprünglichen Anmeldung beim Europäischen Patentamt war die Bundesrepublik Deutschland als Vertragsstaat benannt worden. Mit Schreiben vom 04.07.2002 wurden die eingetragenen Vertreter der Klägerin durch das Europäische Patentamt darauf hingewiesen, dass eine Entscheidung getroffen worden sei, das europäische Patent zu erteilen. In diesem Schreiben befindet sich der weitere Hinweis, dass die Veröffentlichung der Patenterteilung am 14.08.2002 erfolgen sollte. Mit Schreiben vom 6.08.2002 erklärten die Vertreter der Klägerin gegenüber dem Europäischen Patentamt, dass die Benennung des Vertragsstaates Deutschland zurückgenommen werde.

Die Beklagte vertreibt in der Bundesrepublik Deutschland Sicherheitsmesser, deren Ausgestaltung die Beklagte bei dem Europäischen Patentamt zur Patenterteilung angemeldet hat. Die Klägerin hat ein solches Messer als Anlage K 6 im Original zur Gerichtsakte gereicht. Dieses Messer entspricht in der Ausgestaltung den nachfolgend wiedergegebenen Figuren 1 bis 3 der europäischen Patentanmeldung 1 177 xxx (Anlage K 8).

Die Klägerin ist der Ansicht, dass die Beklagte mit dem Vertrieb solcher Sicherheitsmesser, die ihr, der Klägerin, aus dem Klagepatent zustehenden Schutzrechte wortsinngemäß verletzt und nimmt die Beklagte auf Unterlassung, Rechnungslegung, Vernichtung und Schadenersatz in Anspruch.

Sie beantragt,
sinngemäß wie erkannt, wobei sie hinsichtlich des geltend gemachten Rechnungslegungsanspruchs über den im Tenor ersichtlichen Umfang hinaus auch die Vorlage entsprechender Belege durch die Beklagte begehrt hat.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen;

hilfsweise, ihr zu gestatten,
die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung ohne Rücksicht auf eine Sicherheitsleistung der Klägerin abzuwenden.

Die Beklagte macht geltend:
Die Klage sei bereits deshalb unbegründet, weil durch die Erteilung des europäischen Patentes das Klagepatent gemäß Art. II § 8 IntPatÜG keine Wirkung mehr entfalte. Beide Schutzrechte hätten dieselbe Erfindung zum Gegenstand. Die Klägerin habe die Benennung der Bundesrepublik Deutschland für das europäische Patent nach dem 04.07.2002 auch nicht mehr zurücknehmen können, da an diesem Tag das europäische Patent bereits erteilt worden sei.

Die von ihr, der Beklagten, vertriebenen Sicherheitsmesser machten von der technischen Lehre des Klagepatents keinen Gebrauch. So werde die Entkupplung zwischen Betätigungshandhabe und Klingenträger nicht alleine – wie vom Klagepatent gefordert – durch eine zusätzliche Relativbewegung des Klingenträgers in Ausfahrrichtung bewirkt. Bei den von ihr angebotenen Messern sei hierzu vielmehr zusätzlich eine weitere Bewegungskomponente senkrecht zur Klingenschneide erforderlich.

Die Klägerin tritt dem Vorbringen der Beklagten entgegen.

Wegen des Sach- und Streitstandes im übrigen wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie der zu den Akten gereichten Unterlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist ganz überwiegend begründet.

I.
Die Klägerin kann aus dem Klagepatent Rechte geltend machen, da sie die Benennung der Bundesrepublik Deutschland in dem parallelen europäischen Patent 0 882 xxx wirksam zurückgenommen hat.
Art. II § 8 IntPatÜG bestimmt, dass ein deutsches Patent keine Wirkung mehr entfaltet, soweit dessen Gegenstand eine Erfindung ist, für die dem selben Erfinder ein europäisches Patent bestandskräftig erteilt wurde. Vorliegend ist für denselben Gegenstand, nämlich das erfindungsgemäße Sicherheitsmesser, sowohl ein nationales deutsches Patent erteilt worden, wie auch ein europäisches. In der hier fraglichen europäischen Patentschrift ist auch die Bundesrepublik Deutschland als benannter Mitgliedstaat aufgeführt.
Bei dieser Angabe handelt es sich aber um eine offensichtliche Unrichtigkeit, da die Klägerin die ursprüngliche Benennung der Bundesrepublik Deutschland wirksam zurückgenommen hat.

Gem. Art. 79 Abs. 3 EPÜ kann die Benennung eines Vertragsstaates bis zur Erteilung des europäischen Patents zurückgenommen werden.
Mit Schreiben vom 04.07.2002 wurde den Vertretern der Klägerin mitgeteilt, dass eine Entscheidung getroffen worden sei, das europäische Patent zu erteilen (vgl. Anl. ROP 2). In dieser Mitteilung befindet sich der weitere Hinweis, dass diese Entscheidung an dem Tag wirksam wird, an dem im Europäischen Patentblatt auf die Erfindung hingewiesen worden ist (Art. 97 Abs. 4 EPÜ).
Weiter wird darauf hingewiesen, dass dieser Hinweis am 14.08.2002 erfolgen soll.
Mit Schreiben vom 06.08.2002 (Anl. ROP 3) erklärten die Vertreter der Klägerin gegenüber dem EPA, dass die Benennung des Vertragsstaats Deutschland zurückgenommen werde.
Diese Erklärung ist noch rechtzeitig im Sinne des Art. 79 Abs. 3 erfolgt. Denn die Erteilung wird nach der –auch in dem Schreiben des EPA angeführten- Vorschrift des Art. 97 Abs. 4 EPÜ wirksam erst mit der Veröffentlichung. Es ist damit, da die Patenterteilung die Begründung von Verbietungsrechten gegenüber der Öffentlichkeit darstellt, auf den Zeitpunkt abzustellen, ab dem die Öffentlichkeit Kenntnis von den dem Patentinhaber zustehenden Recht erhält. Die vorherige Mitteilung an den Patentanmelder, dass die Erteilung erfolgt ist, kann damit keine Wirksamkeit begründen. Es handelt sich um einen verfahrensinternen Vorgang, der das Verfahren der Erteilung noch nicht abschließt. Die Anmeldung bleibt in dieser Phase anhängig und kann vom Anmelder zurückgenommen oder übertragen werden, weiterhin können zulässige Berichtigungen vorgenommen werden (vgl. Busse / Schwendy, PatG, 6. Aufl., § 49 RN 49; Benkard / Ehlers, EPÜ, Art. 97 RN 42; Singer / Stauder, EPÜ, 2. Aufl. Art. 97 RN 48). Wird aber die Rücknahme des Patents und auch eine Berichtigung –in den zulässigen Schranken, da eine neue Sachprüfung nicht mehr erfolgen soll- zugelassen, so ist auch die „teilweise“ Rücknahme der Anmeldung in Bezug auf einen benannten Vertragsstaat zulässig.

Damit ist das europäische Patent 0 882 xxx für die Bundesrepublik Deutschland nicht erteilt worden, so dass für eine Anwendung des Art. II § 8 IntPatÜG kein Raum bleibt.

II.

Das Klagepatent betrifft ein Sicherheitsmesser, mit dem die Gefahr von Verletzungen während der Anwendung reduziert werden soll.

Im in der Klagepatentschrift gewürdigten Stand der Technik war ein solches –als Kartonmesser bezeichnetes- Sicherheitsmesser bereits aus der Offenlegungsschrift DE 36 22 342 bekannt. Dieses Messer besteht aus einem im wesentlichen hohlen Griffkörper, in dem sich ein Klingenträger mit Schneidklinge befindet, der durch ein mit ihm verbundenes Handhabungsteil, welches durch den Griffkörper hindurchgreift, aus dem Griffkörper heraus verschoben werden kann. An dem Klingenträger befindet sich eine Spiralfeder, die durch das Herausschieben des Klingenträgers so ausgedehnt wird, dass sie die Klinge mit Klingenträger und Handhabungsteil wieder in die Ausgangsposition zurückzieht, sobald auf die Klinge keine der Federkraft entgegengesetzten Schneidekräfte mehr wirken. Hierdurch befindet sich die Schneide der Klinge wieder insgesamt in dem Griffkörper, so dass eine Verletzungsgefahr ausgeschlossen ist. Als nachteilig hieran kritisiert das Klagepatent jedoch, dass nicht nur die Schneidekräfte –während des Arbeitsvorganges- ein Zurückschnellen der Klinge in den Griffkörper verhindert, sondern auch das Festhalten des Handhabungsteils in der Position, mit der die Klinge zunächst aus dem Griffkörper herausgeschoben wurde. Hierdurch können, beispielsweise bei einem versehentlichen Abrutschen, Verletzungen durch die Klingenschneide verursacht werden.

Vor diesem Hintergrund stellt das Klagepatent sich die Aufgabe, das bekannte Messer hinsichtlich seiner Sicherheitsfunktion zu verbessern.

Zur Lösung dieser Aufgabe sieht Patentanspruch 1 die Kombination der folgenden Merkmale vor:

Messer (10) mit einem Messergehäuse (11),

1. in dem Messergehäuse ist ein eine Messerklinge (14) aufnehmender Klingenträger (15) relativ beweglich ausgeführt;

2. der Klingenträger (15) ist mittels einer Betätigungshandhabe (42) entgegen Rückstellkraft (Zugfeder 24) aus einer im Messergehäuse (11) geschützten, zurückgezogenen Ausgangsposition (A) der Messerklinge (14) in eine aus dem Messergehäuse (11) vorragende Schneidposition der Messerklinge (14) versetzbar;

3. die Betätigungshandhabe (42) ist von einem relativ zum Klingenträger (15) beweglichen gesonderten Betätigungsteil (27) gebildet;

4. das Betätigungsteil (27) ist entgegen der Ausfahrbewegung des Klingenträgers (15) mit einer gesonderten Rückstellkraft (Zugfeder 38) belastet;

5. der Klingenträger (15) und das Betätigungsteil (27) sind in ihrer Ausgangsposition (A) durch ein primäres Kupplungselement (P) des Betätigungsteils (27) oder des Klingenträgers (15) und durch ein korrespondierendes sekundäres Kupplungselement (S) des Klingenträgers (15) oder des Betätigungsteils (27) nur im Ausfahrsinne des Klingenträgers (15) auf Mitnahme bewegungsgekuppelt, jedoch im Einfahrsinne des Klingenträgers (15) außer Eingriff miteinander;

6. die Bewegung (bei a) des Betätigungsteils (27) ist im Ausfahrsinne des Klingeträgers (15) begrenzt;

7. dem Klingenträger (15) ist eine zusätzliche Relativbewegung (Weg R) in Ausfahrrichtung (x) gestattet;

8. die zusätzliche Relativbewegung (Weg R) in Ausfahrrichtung (x) versetzt die beiden Kupplungselemente (P,S) außer Eingriff miteinander.

Mit einem erfindungsgemäßen Messer nach dem Klagepatent wird der im Stand der Technik kritisierte Nachteil dadurch behoben, dass, sobald die Klingenschneide in Eingriff mit einem zu schneidenden Material kommt, diese durch die hierdurch auftretenden Kräfte weiter in Ausfahrrichtung heraus gezogen wird, wodurch eine Entkopplung des Klingenträgers und des Handhabungsteils erfolgt, so dass der Klingenträger unabhängig von der Position des Handhabungsteils –also auch, wenn der Benutzer letzteres in der vordersten Ausfahrstellung festhält- durch die auf ihn wirkende Federkraft der nur ihm zugeordneten Rückstellfeder in das Gehäuse des Griffkörpers zurückgezogen wird. Hierdurch ist die Gefahr von Verletzungen gerade auch bei einem versehentlichen Abrutschen deutlich reduziert.

III.
Die von der Beklagten vertriebene angegriffene Ausführungsform gem. Anl. K 6 macht von der technischen Lehre des Klagepatents wortsinngemäßen Gebrauch.

1.
Hinsichtlich der Merkmale 1 – 4 sowie 6 und 7 der obigen Merkmalsanalyse steht dies zwischen den Parteien zu Recht außer Streit.

2.
Merkmal 5 verlangt, dass die beiden Kupplungselemente, die die lösbare Verbindung zwischen Klingenträger und Betätigungsteil herstellen, nur dann in Eingriff miteinander stehen, wenn beide in Ausfahrrichtung bewegt werden. Diese Verbindung soll dann außer Eingriff sein, wenn der Klingenträger im Einfahrsinne bewegt wird. Die Beklagte stellt eine Verwirklichung dieses Merkmals mit dem Argument in Abrede, dass beide -auch bei der angegriffenen Ausführungsform vorhandenen- Kupplungselemente in Eingriff zueinander stehen, wenn Betätigungsteil und Klingenträger eingefahren werden. Dieser Argumentation kann nicht gefolgt werden.
Es ist für den Fachmann offensichtlich –und wird ihm überdies in Spalte 2 Zeilen 1- 36 mitgeteilt-, dass sich die Forderung, dass beide Kupplungselemente außer Eingriff sein sollen, wenn der Klingenträger zurückgezogen wird, nur auf die Situation bezieht, in der sich der Klingenträger alleine im Einfahrsinne bewegt. Nur für diesen Fall soll eine von dem Betätigungsteil unabhängige Rückzugbewegung der Klinge ermöglicht werden. Es besteht keinerlei Bedarf und auch unter den gewürdigten Sicherheitsaspekten keinerlei Notwendigkeit, ein Entkuppeln der beiden Verbindungselemente zu erreichen, wenn auch das Betätigungsteil zurückbewegt wird. Denn in diesem Falle wird die gewünschte Rückwärtsbewegung der Klinge weder ver- noch behindert. Der Fachmann wird zudem durch das in der Klagepatentschrift beschriebene Ausführungsbeispiel davon abgehalten, Anspruch 1 des Klagepatents so auszulegen, wie die Beklagte dies meint. Denn nach ihrer Auslegung würde auch dieses Ausführungsbeispiel Merkmal 5 nicht verwirklichen. Dass beide Kupplungselemente von Betätigungsteil und Klingenträger bei der angegriffenen Ausführungsform auch außer Eingriff stehen, wenn der Klingenträger alleine im Einfahrsinne bewegt wird (durch die Rückstellkraft der Feder), wird von der Beklagten zutreffend nicht in Abrede gestellt.

3.
Auch Merkmal 8 wird von dem angegriffenen Sicherheitsmesser der Beklagten wortsinngemäß verletzt. Dieses Merkmal verlangt, dass die zusätzliche Relativbewegung (des Klingenträgers) in Ausfahrrichtung die beiden Kupplungselemente „außer Eingriff miteinander versetzt“. Die Beklagte stellt zunächst nicht in Abrede, dass auch dem Klingenträger bei der angegriffenen Ausführungsform eine weitere Relativbewegung in Ausfahrrichtung möglich ist, wenn das Betätigungsteil durch die vorhandenen Anschlagsflächen an einer weiteren Bewegung gehindert ist. Sie ist gleichwohl der Ansicht, dass eine Verwirklichung dieses Merkmals ausscheidet, da nicht diese Bewegung alleine ausreicht, die beiden Kupplungselemente außer Eingriff zu bringen, sondern vielmehr eine Schwenkbewegung erforderlich ist, um das „Lösen“ des Klingenträgers von dem Betätigungsteil zu ermöglichen. Auch dieser Ansicht kann so nicht gefolgt werden. Die angegriffene Ausführungsform ist Gegenstand des von der Beklagten angemeldeten Patentes 1 177 xxx (dt. Übersetzung gem. Anl. K 10). Die Funktion, die hinsichtlich der Verwirklichung des Merkmals 8 in Rede steht, wird darin wie folgt beschrieben:

„(…) wobei Klingenträger und Schiebeläufer mit Hilfe von Rückstellfedern in die eingefahrene Ruhestellung zurückgestellt werden, und dass Mittel vorgesehen sind, um den Schiebeläufer und den Klingenträger aneinander zu befestigen, um die Klinge in die erste Stellung zu bringen, wobei die Mittel durch eine vereinte Dreh- und Herausziehwirkung des Kingenträgers in Bezug auf den Schiebeläufer, die durch den Schneidvorgang bedingt ist, voneinander gelöst werden.“ (S. 2, 3. Abs. a.E.)

Beide Bauteile werden voneinander entkoppelt,

„sobald sich die Klinge im Schneidvorgang befindet, in der Weise, dass sich die Kerbe nicht mehr auf der Rückkehrbahn des Vorsprungs befindet, wenn der Klingenträger zurückgezogen wird.“ (S. 2, 4 Abs. a.E.)

Anhand des dort beschriebenen Ausführungsbeispiels (der angegriffenen Ausführungsform) findet der Fachmann auf S. 4 letzte Zeile beginnend die Beschreibung:

„Wenn die Klinge 6 in Aktion (Fig. 14) ist, führt die auf die Klinge ausgeübte Zugkraft infolge der Schneidkräfte zu einem leichten Kippen des Klingenträgers 4 im Innern des Gehäuses 2, wodurch die Klinge etwas weiter hinausgeschoben wird, was zum Entkoppeln des Vorsprungs 16 von der Kerbe führt.“

Und weiter (S. 5, 3. Abs. f.):

„Es ist anzumerken, dass, sobald sich das Cuttermesser in der Außenstellung der Klinge 6 von Fig. 13 befindet, ein einfacher Druck der Klinge auf den zu schneidenden Gegenstand oder das Element nicht den Vorsprung 16 von der Kerbe 17 trennt.
Statt dessen ist ein Schneidvorgang, einschließlich einer Zugkraft auf das Gehäuse 2, erforderlich, so dass die Klinge 6, eingeklemmt zwischen den Seiten des Schneidschlitzes. zurückgehalten wird, um den gekoppelten Vorgang des leichten Kippens der Baugruppe Klinge 6 / Klingenträger 4 im Innern des Gehäuses 2 auszulösen, (…)“

Durch diese Beschreibungsstellen ist ersichtlich, dass auch bei der angegriffenen Ausführungsform für die Entkopplung zwingend die zusätzliche Relativbewegung der Klinge in Ausfahrrichtung erforderlich ist. Denn die Bewegungskomponente senkrecht zur Schneidfläche der Klinge ist gerade nicht alleine ausreichend. Es besteht aber kein Anlaß dafür, den Wortlaut des Klagepatents einengend dahingehend auszulegen, dass nur diese eine Bewegungskomponente erlaubt sein soll, um eine Entkopplung zu bewirken. Wird eine weitere Komponente hinzugefügt, so ist dies solange für den technischen Sinngehalt des Anspruchs 1 unschädlich, als diese weitere Komponente dazu führen würde, dass die gewünschte Sicherheit nicht mehr gegeben wäre. Werden aber zusätzliche „Sperren“ eingebaut, die bei dem bestimmungsgemäßen Einsatz der Sicherheitsmesser ohnehin überwunden werden (senkrechte Komponente auf die Schneidfläche und Zugkraft), so kann eine solche zusätzliche Sperre nicht aus dem Wortlaut des Klagepatents hinausführen.

IV.
Nachdem die Beklagte von der technischen Lehre des Klagepatents widerrechtlichen Gebrauch macht, kann die Klägerin Unterlassung und Schadenersatz in dem beantragten Umfang verlangen, § 139 PatG. Da die Entstehung eines Schadens bei der Klägerin wahrscheinlich ist und sie ohne ihr Verschulden nicht dazu imstande ist, diesen zu beziffern, ist die Beklagte der Klägerin gegenüber auch zur Auskunft und Rechnungslegung verpflichtet. Im Rahmen des § 140 b PatG ist die Beklagte ferner zur Belegvorlage verpflichtet.

Der Vernichtungsanspruch begründet sich aus § 140 a PatG, dieser ist jedoch auf die in der Bundesrepublik Deutschland in (mittelbarem) Besitz oder Eigentum der Beklagten befindlichen Messer zu beschränken.
V.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 ZPO. Die Zuvielforderung der Klägerin war nur geringfügig und hat keine weiteren Kosten verursacht.
Die Anordnungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgen aus §§ 709, 108 ZPO.

Dem hilfsweise gestellten Vollstreckungsschutzantrag war nicht zu entsprechen, da die Beklagte nichts dafür vorgetragen hat, dass eine Vollstreckung der Klägerin gegen Sicherheitsleistung für sie, die Beklagte, einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde, § 712 ZPO.

Dr. R1 Dr. R2 R3