4a O 535/05 – Reagenzbehälter-Verschlussvorrichtung

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 539

Landgericht Düsseldorf
Versäumnisurteil vom 26. Januar 2006, Az. 4a O 535/05

I. Die Beklagte wird verurteilt,
1. es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,- €, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle mehrfacher Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, jeweils zu vollziehen an ihrem Geschäftsführer, zu unterlassen,
im Geltungsbereich des deutschen Teils des europäischen Patents EP 0 419 xxx B1
Verschlussvorrichtungen für eine, einem verschlossenen Ende gegenüberliegende offene Stirnseite eines, insbesondere evakuierbaren zylinderförmigen Gehäuses, mit einer die Stirnseite des zylinderförmigen Gehäuses umfassenden Kappe, mit einer Stirnwand, in der eine Bohrung angeordnet ist und mit einer zwischen der Bohrung und einer inneren Anlagefläche des zylinderförmigen Gehäuses zugeordneten umlaufenden Dichtfläche einer durchstechbaren Dichtungsvorrichtung, wobei ein flanschartiger Arretierfortsatz der Dichtungsvorrichtung diese Dichtfläche radial nach außen überragt, der zwischen zwei Fortsätzen der Kappe abgestützt ist, die gemeinsam mit dem Arretierfortsatz Kupplungsteile einer Kupplungsvorrichtung zwischen der Kappe und der Dichtungsvorrichtung bilden, die der umlaufenden Dichtfläche in Richtung der Längsachse benachbart angeordnet sind,
anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,
bei denen nur zwei Fortsätze angeordnet sind, die über die zylinderförmige Innenfläche der Kappe in Richtung der Längsachse vorragen und einen nutförmigen Aufnahmebereich für den flanschartigen Arretierfortsatz bilden, wobei der dem Gehäuse zugewandte Fortsatz zwischen der Stirnseite des Gehäuses und dem Arretierfortsatz angeordnet ist;

2. der Klägerin unter Vorlage eines einheitlichen, geordneten Verzeichnisses vollständig darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die zu Ziffer I. 1. bezeichneten Handlungen seit dem 03. Mai 1991 begangen hat, und zwar unter Angabe
a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer,
wobei der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten vereidigten und in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte die durch dessen Einschaltung entstehenden Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer in der Rechnungslegung enthalten ist,
b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen und nicht-gewerblichen Angebotsempfänger,
wobei der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten vereidigten und in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte die durch dessen Einschaltung entstehenden Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Angebotsempfänger in der Rechnungslegung enthalten ist,
c) der betrieblichen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestellungskosten und des erzielten Gewinns, der nicht durch Abzug von Fixkosten und variablen Gemeinkosten gemindert ist, es sei denn, diese können ausnahmsweise den im Urteilsausspruch zu Ziffer I. 1. genannten Gegenständen unmittelbar zugeordnet werden,
wobei
– die Angaben zu Ziffer I. 2. Buchstabe d) nur für die Zeit seit dem 10. Dezember 1993 zu machen sind und
– die Beklagte hinsichtlich der Angaben zu Ziffer I. 2. Buchstabe a) entsprechende Auftragsbelege, -bestätigungen, Rechnungen sowie Liefer- und Zollpapiere vorzulegen hat;

3. die in der Bundesrepublik Deutschland im unmittelbaren und mittelbaren Besitz oder Eigentum der Beklagten befindlichen unter Ziffer I. 1. beschriebenen Erzeugnisse zu vernichten oder nach Wahl der Beklagten an einen von der Klägerin zu benennenden Treuhänder zum Zwecke der Vernichtung auf Kosten der Beklagten herauszugeben.

II. Es wird festgestellt,
1. dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin für die unter Ziffer I. 1. bezeichneten, in der Zeit vom 03. Mai 1991 bis zum 10. Dezember 1993 begangenen Handlungen eine angemessene Entschädigung zu zahlen;
2. dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, welcher ihr durch die unter Ziffer I. 1. bezeichneten, seit dem 10. Dezember 1993 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entsteht.

III. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

V. Der Streitwert wird auf 500.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand:
Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des europäischen Patents 0 419 xxx B1 betreffend eine Verschlussvorrichtung für ein insbesondere evakuierbares zylinderförmiges Gehäuse (nachfolgend: Klagepatent). Das Klagepatent wurde am 04. April 1989 angemeldet und nahm zwei österreichische Prioritäten vom 15. April 1988 bzw. 23. Dezember 1988 in Anspruch. Die Veröffentlichung der Patenterteilung erfolgte am 10. November 1993. Das Klagepatent steht in Kraft.

Der im vorliegenden Rechtsstreit geltend gemachte Patentanspruch 1 lautet:
Verschlussvorrichtung für eine, einem verschlossenen Ende gegenüberliegende offene Stirnseite (2) eines, insbesondere evakuierbaren zylinderförmigen Gehäuses (3), mit einer die Stirnseite (2) des zylinderförmigen Gehäuses (3) umfassenden Kappe (5), mit einer Stirnwand (10), in der eine Bohrung (8) angeordnet ist und mit einer zwischen der Bohrung (8) und einer inneren Anlagefläche (21) des zylinderförmigen Gehäuses (3) zugeordneten umlaufenden Dichtfläche (18) einer durchstechbaren Dichtungsvorrichtung (6), wobei ein flanschartiger Arretierfortsatz (16) der Dichtungsvorrichtung (6) diese Dichtfläche radial nach außen überragt, der zwischen zwei Fortsätzen (86, 87) der Kappe (5) abgestützt ist, die gemeinsam mit dem Arretierfortsatz (16) Kupplungsteile (80) einer Kupplungsvorrichtung (13) zwischen der Kappe (5) und der Dichtungsvorrichtung (6) bilden, die der umlaufenden Dichtfläche (18) in Richtung der Längsachse (19) benachbart angeordnet ist, dadurch gekennzeichnet, dass nur zwei Fortsätze (86, 87) angeordnet sind, die über die zylinderförmige Innenfläche der Kappe (5) in Richtung der Längsachse (19) vorragen und einen nutförmigen Aufnahmebereich (88) für den flanschartigen Arretierfortsatz (16) bilden, wobei der dem Gehäuse (3) zugewandte Fortsatz (87) zwischen der Stirnseite (2) des Gehäuses (3) und dem Arretierfortsatz (16) angeordnet ist.

Die Beklagte, ein in China ansässiges Unternehmen, stellte auf der im November 2005 in Düsseldorf stattfindenden Messe „XY“ Verschlussvorrichtungen für ihre unter der Bezeichnung „A“ vertriebenen Blutprobenröhrchen aus. Mit einstweiliger Beschlussverfügung vom 18. November 2005 (Aktenzeichen 4a O 533/05) hat die Kammer bereits ein Verbot entsprechend der Ziffer I. 1. des vorliegenden Urteils ausgesprochen und die Beklagte verpflichtet, die in der Bundesrepublik Deutschland in ihrem Besitz oder Eigentum befindlichen (näher bezeichneten) Verschlussvorrichtungen an einen Gerichtsvollzieher zur Sicherung des Vernichtungsanspruchs der Klägerin herauszugeben.
Die Klägerin beantragt,
wie erkannt.
Die Beklagte war im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 12. Januar 2006 trotz auf der Messe am 18. November 2005 erfolgter ordnungsgemäßer Ladung säumig.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:
1.
Die Klägerin hat – gestützt auf Patentanspruch 1 des Klagepatents – gegen die Beklagte einen Anspruch auf Unterlassung der sich aus Ziffer I. 1. des Tenors ergebenden Benutzungshandlungen aus Artikel 64 Absatz 1 Europäisches Patentrechtsübereinkommen (EPÜ) in Verbindung mit § 139 Absatz 1 Patentgesetz (PatG).
Aus dem Stand der Technik waren verschiedene Verschlussvorrichtungen mit einer durchstechbaren Dichtungsvorrichtung zum luftdichten Verschluss von (insbesondere evakuierten) Reagenzbehältern bekannt. An ihnen kritisiert die Klagepatentschrift als nachteilig, dass das Einsetzen der Dichtungsvorrichtung in das evakuierte zylinderförmige Gehäuse nur schwer ohne eine Beschädigung der Dichtfläche möglich ist. Durch das zylinderförmige Gehäuse könnten die vorspringenden Nasen der Dichtungsvorrichtung so verformt werden, dass bei starker Adhäsion zwischen Reagenzglas und der Dichtungsvorrichtung diese außer Eingriff mit der vertieften Nut der Kappe geraten und beim Herausziehen des Röhrchens die Dichtungsvorrichtung mit dem Röhrchen aus der Kappe herausgezogen werden kann. Dadurch ist es – so die Klagepatentschrift – möglich, dass bei einem versehentlichen Entfernen der Kappe die Dichtungsvorrichtung den Reagenzbehälter weiterhin verschließt.
Das Klagepatent hat es sich dementsprechend zur Aufgabe gesetzt, eine Verschlussvorrichtung für ein zylinderförmiges Gehäuse (insbesondere ein Blutprobenröhrchen) zu schaffen, mit der ein sicherer gasdichter Verschluss des Innenraums eines derartigen zylinderförmigen Gehäuses auch über eine längere Lagerdauer aufrecht erhalten werden kann und welche einerseits eine Relativbewegung zwischen der Verschlussvorrichtung und dem zylinderförmigen Gehäuse in Längsrichtung desselben wirkungsvoll verhindern und andererseits ein vorsichtiges Öffnen ermöglichen soll. Darüber hinaus soll auch ein schlagartiger Austritt des Inhalts aus dem zylinderförmigen Gehäuse verhindert werden.
Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Klagepatent in Patentanspruch 1 die Kombination folgender Merkmale vor:
Verschlussvorrichtung (1) für eine, einem verschlossenen Ende gegenüberliegende offene Stirnseite (2) eines, insbesondere evakuierbaren zylinderförmigen Gehäuses (3), welche aufweist:
(1) eine Kappe (5), die die Stirnseite (2) des zylinderförmigen Gehäuses (3) umfasst;
(2) eine Stirnwand (10), in der eine Bohrung (8) angeordnet ist;
(3) eine umlaufende Dichtfläche (18) einer durchstechbaren Dichtungsvorrichtung (6), die zwischen der Bohrung (8) und einer inneren Anlagefläche (21) des zylinderförmigen Gehäuses (3) angeordnet ist;
(4) einen flanschartigen Arretierfortsatz (16) der Dichtungsvorrichtung (6), der diese Dichtfläche radial nach außen überragt.
(5) Der Arretierfortsatz (16) ist zwischen zwei Fortsätzen (86, 87) der Kappe (5) abgestützt.
(6) Die beiden Fortsätze (86, 87) bilden gemeinsam mit dem Arretierfortsatz (16) Kupplungsteile (80) einer Kupplungsvorrichtung (13) zwischen der Kappe (5) und der Dichtungsvorrichtung (16).
(7) Die Kupplungsvorrichtung ist der umlaufenden Dichtfläche (18) in Richtung der Längsachse (19) benachbart angeordnet.
(8) Es sind nur zwei Fortsätze (86, 87) angeordnet, die
(a) über die zylinderförmige Innenfläche der Kappe (5) in Richtung der Längsachse (19) vorragen;
(b) einen nutförmigen Aufnahmebereich (88) für den flanschartigen Arretierfortsatz (16) bilden.
(9) Der dem Gehäuse (3) zugewandte Fortsatz (87) ist zwischen der Stirnseite des Gehäuses (3) und dem Arretierfortsatz (16) angeordnet.

Die nachstehend zur Verdeutlichung abgebildete Figur 14 des Klagepatents gibt eine Ausführungsvariante einer Verschlussvorrichtung nach Patentanspruch 1 wieder:

Die Beklagte bietet Verschlussvorrichtungen für Blutprobenröhrchen in der Bundesrepublik Deutschland an, die von der Lehre des Klagepatents wortsinngemäß Gebrauch machen. Die als Anlage Ast 8 im vorangegangenen einstweiligen Verfügungsverfahren vorgelegten angegriffenen Ausführungsformen zeigen die Verwirklichung der vorstehend wiedergegebenen Merkmale (1) bis (9) des Klagepatentanspruchs 1. Insbesondere weisen die Kappen der angegriffenen Ausführungsformen stirnseitig einen umlaufenden Vorsprung auf, der einen ersten Fortsatz im Sinne der Merkmale (5) und (8) (Bezugsziffer 86) bildet. Der weitere Fortsatz (entsprechend Bezugsziffer 87) ist auf der dem Reagenzbehälter zugewandten Seite innerhalb der Kappe angeordnet. Zwischen beiden Fortsätzen stützt sich der Arretierfortsatz der Dichtungsvorrichtung ab und bildet mit ihnen eine Kupplungsvorrichtung im Sinne des Merkmals (6), die entsprechend Merkmal (7) der umlaufenden Dichtfläche der Dichtungsvorrichtung in Richtung der Längsachse benachbart angeordnet ist. Der untere Fortsatz der Kappe ist zwischen der Stirnseite des Gehäuses und dem Arretierfortsatz angeordnet. Damit ist auch Merkmal (9) verwirklicht.
3.
Gemäß Artikel 64 Absatz 1 EPÜ in Verbindung mit § 139 Absatz 2 PatG hat die Beklagte der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der dieser durch die patentverletzenden Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird. Da sie als Herstellerunternehmen von medizintechnischem Zubehör und Importeur desselben nach Deutschland zu einer Überprüfung der Schutzrechtslage verpflichtet war und die Verletzung des Klagepatents bei Beachtung dieser Pflicht hätte feststellen können, handelte sie zumindest fahrlässig. Für den Zeitraum ab einem Monat nach Veröffentlichung der Anmeldung bis einen Monat nach Veröffentlichung der Patenterteilung hat die Klägerin einen Anspruch auf Entschädigung gemäß Artikel 64 Absatz 1 EPÜ in Verbindung mit § 33 Absatz 1 PatG.
Da die Klägerin zur Bezifferung des ihr entstandenen Schadens erst in der Lage ist, wenn die Beklagte über den Umfang ihrer Verletzungshandlungen Rechnung gelegt hat, steht der Klägerin ein gewohnheitsrechtlicher Anspruch auf Rechnungslegung über den Umfang der zum Schadensersatz bzw. zur Entschädigung verpflichtenden Handlungen der Beklagten zu, der diese Angaben ohne unzumutbaren Aufwand möglich sind. Der weitergehende Anspruch auf Drittauskunft ergibt sich aus Artikel 64 Absatz 1 EPÜ in Verbindung mit § 140b PatG. Zu einer ordnungsgemäßen Rechnungslegung gehört die Übergabe von Belegen in dem im Tenor genannten Umfang. Die Anspruchsvoraussetzungen für Schadensersatz und Entschädigung sind hinreichend wahrscheinlich.
3.
Der Anspruch auf Vernichtung der patentverletzenden Verschlussvorrichtungen, die in der Bundesrepublik Deutschland im Besitz oder Eigentum der Beklagten stehen, ergibt sich aus Artikel 64 Absatz 1 EPÜ in Verbindung mit § 140a Absatz 1 Satz 1 PatG.
4.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Absatz 1 Satz 1 (1. Halbsatz) ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 2 ZPO.
Die Einspruchsfrist, innerhalb derer gegen dieses Versäumnisurteil Einspruch eingelegt werden kann, wird auf drei Wochen nach Zugang dieses Urteils festgesetzt, §§ 338, 339 ZPO.