4b O 70/07 – Tabletten-Testgerät

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 768

Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 6. November 2007, Az. 4b O 70/07

Rechtsmittelinstanz: 2 U 117/07

I.
Die Beklagte wird verurteilt,

1.
es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 € – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an dem gesetzlichen Vertreter der Beklagten zu vollziehen ist, zu unterlassen,

eine Vorrichtung zum Ausrichten von Tabletten an einer Mess-Station eines Tablettenprüfgeräts mit einem ebenen Transfertisch

in der Bundesrepublik Deutschland herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,

wobei in der Auflageebene des Transfertisches zwei parallel nebeneinander angeordnete Rollen vorgesehen sind, die oberen Mantellinien der Rollen mit der genannten Auflagenebene bündig sind oder über diese leicht hervorstehen, eine Antriebsvorrichtung die beiden Rollen beim Betrieb der Vorrichtung so gegenläufig antreibt, dass die linke Rolle im Uhrzeigersinn und die rechte Rolle gegen den Uhrzeigersinn gedreht werden, und wobei eine auf beiden Rollen transferierte Testtablette sich automatisch nach den Achsen der beiden Rollen ausrichtet;

2.
der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie (die Beklagte) die zu 1. bezeichneten Handlungen seit dem 12.12.2003 begangen hat, und zwar unter Angabe

a) der Herstellungsmengen und –zeiten,

b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und –preisen sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer,

c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und –preisen sowie den Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,

d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,

e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns, wobei die Gemeinkosten nur abgezogen werden dürfen, wenn und soweit sie ausnahmsweise den unter 1. bezeichneten Gegenständen unmittelbar zugeordnet werden können,

w o b e i

– die Angaben zu e) nur für die Zeit ab dem 20.08.2005 zu machen sind;

– hinsichtlich der Angaben zu a) und b) die zugehörigen Einkaufs- und Verkaufsbelege vorzulegen sind, wobei Daten, auf die sich die geschuldete Auskunft und Rechnungslegung nicht bezieht und hinsichtlich derer ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse der Beklagten besteht, abgedeckt oder geschwärzt werden können;

– der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften ihrer nicht gewerblichen Abnehmer und ihrer Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten Wirtschaftsprüfer mit Sitz in der Bundesrepublik Deutschland mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Rechnung enthalten ist.

II.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist,

1.
der Klägerin für die zu I. 1. bezeichneten, in der Zeit vom 12.12.2003 bis 19.08.2005 begangenen Handlungen eine angemessene Entschädigung zu zahlen;

2.
der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu I. 1. bezeichneten, seit dem 20.08.2005 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.

III.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

IV.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung von 250.000,00 € vorläufig vollstreckbar.

V.
Der Streitwert wird auf 250.000,00 € festgesetzt.

T a t b e s t a n d :

Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des mit Wirkung u.a. für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 361 xxx, das auf einer am 12.11.2003 veröffentlichten Anmeldung vom 19.03.2003 beruht und dessen Erteilung am 20.07.2005 im Patentblatt bekannt gemacht worden ist. Das Klagepatent, welches eine schweizerische Priorität vom 07.05.2002 in Anspruch nimmt, trägt die Bezeichnung „Vorrichtung zum Ausrichten von Tabletten“. Der im vorliegenden Rechtsstreit allein interessierende Patentanspruch 1 hat in deutscher Verfahrenssprache folgenden Wortlaut:

„Vorrichtung zum Ausrichten von Tabletten (5) an einer Mess-Station eines Tablettenprüfgerätes, mit einem ebenen Transfertisch (7),

g e k e n n z e i c h n e t d u r c h

o zwei in der Auflageebene des Transfertisches (7) vorgesehene, parallel nebeneinander angeordnete Rollen (8, 9), wobei die oberen Mantellinien der Rollen (8, 9) mit der genannten Auflageebene bündig sind oder leicht über diese vorstehen, und

o eine Antriebsvorrichtung (10), welche beim Betrieb der Vorrichtung die beiden Rollen (8, 9) so gegenläufig antreibt, dass die linke Rolle im Uhrzeigersinn und die rechte Rolle gegen den Uhrzeigersinn gedreht werden, so dass sich eine auf die beiden Rollen (8, 9) transferierte Testtablette (5) automatisch nach den Achsen der beiden Rollen (8, 9) ausrichtet.“

Die nachfolgenden Abbildungen (Figuren 1, 2 und 4 der Klagepatentschrift) verdeutlichen den Gegenstand der Erfindung anhand eines bevorzugten Ausführungsbeispiels.

Über eine von der Beklagten gegen den deutschen Teil des Klagepatents erhobene Nichtigkeitsklage ist derzeit noch nicht entschieden.

Die Beklagte stellt her und vertreibt Testgeräte für die pharmazeutische Industrie. Zu ihrem Sortiment gehört u.a. ein sogenanntes „Auto-Position Tool“, welches für die Bruchfestigkeits- und Kombinationstester-Serien „A“ und „B“ angeboten wird. Wegen der näheren Einzelheiten wird auf den Internet-Auftritt der Beklagten (Anlagen K 7, K 8), ein von der Klägerin zur Akte gereichtes Video (Anlage K 10) sowie die nachfolgend eingeblendete fotografische Abbildung (Anlage K 11) Bezug genommen.

Zur weiteren Verdeutlichung sind ferner eine von der Beklagten vorgelegte Skizze (Anlage B 3)

sowie die Figuren 4 bis 6 der deutschen Offenlegungsschrift 10 2004 036 xxx (Anlage K 12) der Beklagten wiedergegeben, welche die bei der streitbefangenen Vorrichtung gegebene Konstruktion im Detail erläutert.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass das „Auto-Position Tool“ der Beklagten wortsinngemäß von der technischen Lehre des Klagepatents Gebrauch macht. Vorliegend nimmt sie die Beklagte deshalb auf Unterlassung, Auskunftserteilung, Rechnungslegung, Entschädigung und Schadenersatz in Anspruch.

Die Klägerin beantragt,

wie erkannt.

Die Beklagte beantragt,

1. die Klage abzuweisen;

2. hilfsweise,

a) das Verfahren bis zur Entscheidung über die gegen den deutschen Teil des Klagepatents anhängige Nichtigkeitsklage auszusetzen,

b) ihr Vollstreckungsschutz zu gewähren.

Die Beklagte bestreitet den gegen sie erhobenen Vorwurf der Patentverletzung. Sie ist zunächst der Auffassung, dass es bereits an einem „ebenen Transfertisch“ fehle, weil – wie sich aus der Abbildung gemäß Anlage K 11 erschließt – beiderseits der Rollen lediglich ein relativ schmaler horizontal verlaufender Bereich vorhanden ist, an den sich jeweils geneigt nach unten verlaufende Schrägen anschließen, über die ein automatischer Transfer der zu prüfenden Tabletten in Richtung auf die Rollen nicht erfolgen könne und bestimmungsgemäß auch nicht vorgesehen sei. Darüber hinaus – und vor allem – seien die Rollen auch nicht „parallel nebeneinander angeordnet“. Die Mantelfläche jeder Rolle sei – im Gegenteil – konisch ausgebildet, und zwar dergestalt, dass der Rollendurchmesser am einen Rollenende 4,7 mm und am gegenüberliegenden Rollenende 4,2 mm betrage. Außerdem sei der Abstand zwischen den beiden Rollenachsen nicht gleichbleibend, sondern variiere: am einen Ende der Rollen belaufe sich der Achsabstand auf 4,9 mm, am anderen Ende der Rollen auf 4,8 mm. Konsequenz beider vorgenannten Maßnahmen sei, dass der zwischen den beiden Rollen vorhandene Spalt keine gleichbleibende, sondern eine unterschiedliche Weite besitze.

Abgesehen vom mangelnden Benutzungstatbestand – so meint die Beklagte – werde sich das Klagepatent im anhängigen Nichtigkeitsverfahren auch als nicht rechtsbeständig erweisen. Zur Begründung verweist die Beklagte auf die im Prüfungsverfahren noch nicht berücksichtigte US-PS 3 739 909 (Anlage B 4.1). Der Verletzungsrechtsstreit sei deswegen zumindest auszusetzen, um den Ausgang des Nichtigkeitsverfahrens abzuwarten.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die zulässige Klage hat auch in der Sache Erfolg.

Die angegriffene Ausführungsform macht von der technischen Lehre des Klagepatents wortsinngemäß Gebrauch. Die Beklagte ist der Klägerin deshalb im zuerkannten Umfang zur Unterlassung, zur Auskunftserteilung und Rechnungslegung sowie zur Entschädigung und zum Schadenersatz verpflichtet. Anlass, den Verletzungsrechtsstreit einstweilen auszusetzen, besteht nicht.

I.

Das Klagepatent betrifft eine Vorrichtung zum Ausrichten von Tabletten, insbesondere sogenannten Oblong-Tabletten, die in Draufsicht eine im Wesentlichen ovale Form, einen flachen Steg an ihrem Umfang sowie eine gewölbte Ober- und Unterseite aufweisen. Einer Ausrichtung der Tabletten bedarf es, bevor sie in einem Prüfgerät behandelt, z.B. einer Bruchhärteprüfung unterzogen werden. Eine solche Bruchhärteprüfung geschieht mit Hilfe einer Kraftmessdose, die einen feststehenden Anschlag und einen beweglichen Pressbacken besitzt. Der Tablettenprüfling wird in den Bereich zwischen Anschlag und Pressbacken befördert, wobei der Prüfling vorzugsweise den Anschlag berührt. Der bewegliche Pressbacken wird anschließend mit Hilfe eines Schrittmotors gegen den Anschlag und den vor diesem liegenden Tablettenprüfling verfahren. Die vom Pressbacken mit jedem Schritt des Motors ausgeübte Kraft wird gemessen und aufgezeichnet, bis der Prüfling zerbricht. Damit die Bruchhärteprüfung ordnungsgemäß stattfinden kann, muss der oval (oder sonst unregelmäßig) ausgebildete Tablettenprüfling entlang seiner eigenen Körperlängsachse ausgerichtet sein, d. h. mit seinen schmalen Seiten am Anschlag sowie am Pressbacken anliegen.

Nach den Erläuterungen der Klagepatentschrift ist aus der DE-OS 197 33 436 als Teil eines Tablettenprüfgerätes bereits eine Zufuhreinrichtung bekannt, die – wie die nachfolgenden Figuren 1 und 2 verdeutlichen –

die einzelnen Tabletten an eine Waage weiterfördern, deren Waagschalen einen in Transportrichtung geneigten Boden in Form einer Rinne aufweisen. Eine Transporteinrichtung unterhalb der Waagschale, auf die die Prüflinge von der Waagschale mit ihrer Längsachse parallel zur Längsrichtung der Rinne abgelegt werden, befördert die Prüflinge in der besagten Ausrichtung zu den Teststationen. Nach der Würdigung der Klagepatentschrift geschieht die Ausrichtung der Prüftabletten in der geschilderten Weise nicht optimal, was zu Fehlmessungen und Störungen des Prüfgerätes führe.

Als weiteren Stand der Technik erörtert das Klagepatent ein aus der DE 100 24 970 bekanntes Prüfgerät zur Härtemessung, bei dem der bewegliche Pressbacken oszillierend vor- und zurückgeschoben wird, wie dies aus der nachfolgend eingeblendeten Zeichnungsfolge (Figur 3 der DE 100 24 970) ersichtlich ist.

Infolge der Vor- und Zurückbewegung des Pressbackens schwingt die Prüftablette jeweils in ihre Ruhelage zurück, bevor der Pressbacken erneut zum Schub in Richtung des feststehenden Anschlages ansetzt, und zwar so lange, bis der Prüfling den Anschlag erreicht hat und die Härtemessung beginnen kann. Auch an dieser Konstruktion bemängelt das Klagepatent eine nicht störungsfreie Messung von Oblong-Tabletten.

Die Aufgabe der Erfindung sieht die Klagepatentschrift dementsprechend darin, eine Vorrichtung zur Verfügung zu stellen,

 die ein manuelles, halbautomatisches oder automatisches Ausrichten von in einer Mess-Station eines Tablettenprüfgerätes eingebrachten Tabletten erlaubt,

 wobei die Messung mit ausreichender Genauigkeit kontrolliert werden kann,

 sich in verhältnismäßig kurzen Zeitabständen mit neuen Testtabletten wiederholen lässt,

 wobei gleichzeitig die Nachteile der in vorbekannten Prüfgeräten eingesetzten Ausrichtungsmitteln vermieden werden.

Zur Lösung dieser Problemstellung sieht Patentanspruch 1 des Klagepatents die Kombination folgender Merkmale vor:

(1) Vorrichtung zum Ausrichten von Tabletten (5) an einer Mess-Station eines Tablettenprüfgerätes.

(2) Die Ausrichtvorrichtung besitzt einen ebenen Transfertisch (7).

(3) In der Auflageebene des Transfertisches (7) sind zwei, parallel nebeneinander angeordnete Rollen (8, 9) vorgesehen.

(4) Die oberen Mantellinien der Rollen (8, 9) sind mit der genannten Auflageebene bündig oder stehen leicht über diese hervor.

(5) Eine Antriebsvorrichtung (10) treibt die beiden Rollen (8, 9) beim Betrieb der Vorrichtung so gegenläufig an, dass die linke Rolle im Uhrzeigersinn und die rechte Rolle gegen den Uhrzeigersinn gedreht werden.

(6) Eine auf beiden Rollen (8, 9) transferierte Testtablette (5) richtet sich automatisch nach den Achsen der beiden Rollen (8, 9) aus.

Zu den Vorteilen einer diesen Merkmalen entsprechenden Vorrichtung führt die Klagepatentschrift aus, dass ohne Einsatz von horizontalen Ausrichtungselementen vor allem Oblong-Tabletten absolut genau und automatisch entlang ihrer eigenen Körperlängsachse ausgerichtet werden, sobald sie auf das Rollenpaar der Vorrichtung zu liegen kommen. Die der Ausrichtung dienenden horizontalen Rollen – so heißt es – sind darüber hinaus weniger störanfällig als verschiebbare mechanische Elemente. Deswegen eigne sich die patentgemäße Vorrichtung besonders gut für automatische, halbautomatische oder manuelle Härteprüfungen von Tabletten.

II.

Die angegriffene Ausführungsform der Beklagten verwirklicht sämtliche Anspruchsmerkmale dem Wortsinn nach.

Für die Merkmale (1), (4) bis (5) steht dies zwischen den Parteien zu Recht außer Streit und bedarf deswegen keiner weiteren Erläuterung.

Gebrauch gemacht wird darüber hinaus – anders als die Beklagte geltend macht – aber auch von den Merkmalen (2), (3) und (6):

1.
Soweit die Beklagte darauf hinweist, dass sich beiderseits der Rollen jeweils nach unten geneigte Schrägen anschließen, trifft es unbestreitbar zu, dass über diese Tabletten ein automatischer Transport von Prüftabletten in Richtung auf die Ausrichtrollen nicht stattfinden kann. Er ist – wie die Beklagte unwidersprochen geltend gemacht hat – auch nicht vorgesehen, weil die Testtabletten jeweils manuell auf die Rollen aufgegeben werden sollen. Der geschilderte Sachverhalt schließt indessen eine wortsinngemäße Benutzung des Merkmals (2) nicht aus, wonach die Ausrichtvorrichtung einen „ebenen Transfertisch“ aufweisen soll.

Sinn und Zweck des Transfertisches ist es nicht, die Prüftablette zwischen verschiedenen Messstationen zu transportieren. Dies ergibt sich mit aller Deutlichkeit bereits daraus, dass der Transfertisch nach der Anspruchsformulierung Teil der „Vorrichtung zum Ausrichten von Tabletten“ ist, welche sich ihrerseits an einer Messstation eines Tablettenprüfgerätes befindet. Der Transfertisch ist folglich Bestandteil einer bloßen Untereinheit des – mit gegebenenfalls sogar mehreren Messstationen ausgestatteten – Prüfgerätes als Ganzem, nämlich Teil der einer Messstation zugeordneten Ausrichtvorrichtung. Der Transfertisch dient infolge dessen nicht dem Transport der Prüftabletten zu anderen Messstationen, sondern dem Ausrichten der Testtablette, bevor diese in eine Messstation des Tablettenprüfgerätes gelangt.

Das besagte Verständnis deckt sich inhaltlich vollständig mit dem erläuternden Beschreibungstext der Klagepatentschrift. Die Ausführungsbeispiele der Figuren 1 bis 3 zeigen keine Ausgestaltung, bei der der Transfertisch (7) den Transport der Prüftabletten zu einer weiteren Messstation bewerkstelligen könnte. Folgerichtig ist auch nirgends erwähnt, dass mit Hilfe des Transfertisches ein automatischer Transport von Prüftabletten erfolgen soll oder kann. Bereits beim Betrachten der Patentzeichnungen ist dem Fachmann – im Gegenteil – klar, dass er die Testtabletten bei der gezeigten Vorrichtung manuell auf den mit zwei Rollen versehenen Transfertisch aufgeben muss. Exakt in diesem Sinne sieht – vollkommen konsequent – auch Merkmal (3) vor, dass der Transfertisch (als Bestandteil der Ausrichtvorrichtung) eine „Auflageebene“ hat, in der die beiden Rollen vorgesehen sind. Der Transfertisch definiert somit eine Ebene, auf die die Prüftablette aufgelegt werden kann, um mittels der beiden Rollen vor ihrer Vermessung ausgerichtet zu werden. Nichts anderes besagt schließlich auch Absatz [0016] der Klagepatentschrift, wenn dort ausgeführt wird, dass die Ebene zwischen Anschlag (6) und Stößel (4) der Härtemesseinrichtung durch den Transfertisch (7) gebildet wird, welcher der Tablettenführung während der Ausrichtung und der anschließenden Härtemessung dient.

Zur notwendigen Führung der (z.B. manuell) aufgegebenen Testtablette reicht bei der angegriffenen Ausführungsform der beiderseits der Rollen vorhandene horizontal verlaufende Bereich zwischen feststehendem Anschlag und verschiebbarem Pressbacken der Härtemesseinrichtung vollständig aus. Es ist von daher unbestreitbar, dass die angegriffene Ausführungsform eine Vorrichtung zum Ausrichten von Prüftabletten ist, die nicht nur über zwei Rollen, sondern auch über einen die Rollen umgebenden ebenen Transfertisch verfügt. An dieser Beurteilung ändert auch nichts der Hinweis der Beklagten auf die vom Klagepatent angestrebte automatische Betriebsweise. Nach der Aufgabenformulierung (Spalte 3, Zeilen 5 – 6) soll das Ausrichten der Tabletten automatisiert werden können. Derartiges geschieht selbstverständlich auch dann, wenn die Prüftablette – in beliebiger Anordnung – manuell (statt maschinengesteuert) aufgegeben wird.

2.
Merkmal (6) ist aufgrund der vorstehenden Darlegungen gleichfalls wortsinngemäß verwirklicht. Der Anspruchswortlaut verlangt nicht mehr, als dass die Testtablette „auf beiden Rollen“ transferiert wird. Genau solches leistet auch die angegriffene Ausführungsform.

3.
Die streitbefangene Vorrichtung entspricht schließlich auch der Anweisung des Merkmals (3), wonach die beiden Rollen „parallel nebeneinander angeordnet“ sein sollen.

Insofern kann in tatsächlicher Hinsicht von derjenigen Konstruktion ausgegangen werden, die sich aus der zeichnerischen Darstellung der Beklagten gemäß Anlage B 3 ergibt.

Da die Mantelflächen der Rollen auf die Testtablette einwirken sollen, ist zunächst nicht entscheidend, ob die Rollenachsen parallel zueinander verlaufen. Vielmehr kann von vornherein nur maßgeblich sein, wie der gegenseitige Abstand der Rollenflächen ist, d.h. genauer, ob dieser Abstand gleich bleibt. Auch mit konisch verlaufenden Mantelflächen – welche Patentanspruch 1 mangels anderweitiger Vorgaben keineswegs ausschließt – lässt sich eine parallele Anordnung der Rollen erreichen, sofern die Achsen nicht parallel, sondern unter dem Kegelwinkel zueinander ausgerichtet werden. Die Beklagte selbst erläutert dies in ihrer Offenlegungsschrift 10 2004 036 777 (Anlage K 12) in den Absätzen [0018] bis [0022], denen die nachfolgenden Beschreibungsstellen entnommen sind:

„Das Walzensystem (12) umfasst zwei baugleiche, aus rostfreiem Stahl gefertigte Walzen (21, 22), die jeweils eine konische Mantelfläche aufweisen, wobei die Bereiche verringerten Durchmessers der Walzen (21, 22) der Seite des ortsfesten Bruchbackens (16) und die Bereiche vergrößerten Durchmessers der Walzen (21, 22) der Seite des verfahrbaren Bruchbackens (17) zugeordnet sind. … Die Achsen der Walzen (21, 22) sind … in einem Winkel zueinander angeordnet, der dem jeweils durch die Mantelfläche der Walze (21 bzw. 22) aufgespannten Kegelwinkel entspricht. Die beiden Walzen (21, 22) begrenzen damit mit jeweils einer Mantellinie einen Spalt (31) konstanter Breite zwischen den Walzen (21, 22). … Im Betrieb der Vorrichtung (10) sind die beiden Walzen (21, 22) … gemäß den Pfeilen A und B gegenläufig angetrieben. Durch die Rotation der Walzen (21, 22) wird die auf den Walzen (21, 22) angeordnete Oblong-Tablette (11), ausgehend von einer beliebigen Anordnung, entsprechend der in Figur 2 dargestellten Anordnung ausgerichtet, so dass die Längsachse der Oblong-Tablette (11) parallel zu dem Spalt (31) zwischen den beiden Walzen (21, 22) und rechtwinklig zu den Wirkflächen (18, 19) der Bruchbacken (16, 17) ausgerichtet ist.“

Zwar entspricht die angegriffene Ausführungsform nicht diesem Ausführungsbeispiel der eigenen Patentanmeldung der Beklagten; vielmehr hat die Konizität ein größeres Maß als die Neigung der Rollenachsen zueinander, so dass sich zwischen den beiden Rollen ein Spalt ergibt, der sich in Richtung auf die Rollenenden geringeren Durchmessers erweitert. Wie sich aus der – insoweit unwidersprochen gebliebenen – Beschriftung des die angegriffene Ausführungsform zeigenden Fotos in Anlage K 11 ergibt, ist die Spalterweiterung allerdings derart gering, dass sie visuell (d.h. mit bloßem Auge) nicht wahrzunehmen ist. Die Beklagte macht auch nicht geltend, dass aufgrund des Spaltverlaufs zwischen den beiden Rollen der patentgemäße Ausrichtungserfolg verloren ginge oder auch nur in irgendwie nennenswerter Weise beeinträchtigt würde. Dies ist auch dem Durchschnittsfachmann des Prioritätstages bekannt gewesen, der aufgrund seines allgemeinen Fachwissens unschwer erkennt, dass es für die gewünschte Ausrichtung der Oblong-Tablette entsprechend ihrer Körperlängsachse nicht darauf ankommt, dass die Mantelflächen der beiden Rollen im strengsten mathematischen Sinne parallel zueinander verlaufen, sondern dass allein wesentlich ist, eine Parallelität in dem Sinne zu gewährleisten, dass sich die von der Erfindung mit der betreffenden Anweisung verfolgten Wirkungen einstellen. Diesbezüglich kommt es – wie der Fachmann unmittelbar einsehen kann – nicht auf geringste Spalterweiterungen im Bruchteilsbereich eines Millimeters an. Der bei der angegriffenen Ausführungsform gegebene Spaltverlauf muss deshalb auch dann noch als „parallel“ im Sinne des Klagepatents betrachtet werden, wenn er – wie die Beklagte unwiderlegt geltend gemacht hat – nicht auf unvermeidbaren Fertigungstoleranzen beruht.

Für die rechtliche Beurteilung ist es in diesem Zusammenhang unerheblich, ob der in Merkmal (3) verwendete Begriff „parallel“ als Zahlen- oder Maßangabe verstanden wird. Selbst wenn dem diesbezüglichen Ausgangspunkt der Beklagten gefolgt wird, verbleibt es bei einer dem Wortsinn entsprechenden Patentbenutzung. Zahlenangaben bestimmen und begrenzen zwar grundsätzlich den geschützten Gegenstand abschließend, so dass ihre Über- oder Unterschreitung in der Regel nicht mehr zum Gegenstand des Patentanspruchs zu rechnen ist (BGH, GRUR 2002, 511, 512 – Kunststoffrohrteil). Dies schließt es allerdings nicht aus, dass der Fachmann im Einzelfall gewisse Abweichungen als mit dem technischen Sinngehalt der Zahlenangabe vereinbar ansieht (BGH, a.a.O., Seite 513). Ob dem so ist und welche Über- oder Unterschreitungen der Fachmann als unschädlich betrachtet, hängt maßgeblich davon ab, wie der Fachmann die Zahlenangabe im Gesamtzusammenhang des Patentanspruchs (d.h. im Kontext von Aufgabe und Lösung) versteht (BGH, a.a.O.). Erschließt sich ihm aus der Patentschrift, dass es sich um einen kritischen Wert handelt, dessen genaue Einhaltung für den erfindungsgemäßen Erfolg wesentlich ist, werden keine oder nur fertigungsbedingte Abweichungen in Betracht kommen. Umgekehrt verhält es sich hingegen, wenn sich dem Fachmann anhand des Gesamtinhalts der Klagepatentschrift erschließt, dass es für die Zwecke der Erfindung nicht auf eine mathematisch genaue Einhaltung der Zahlenangabe ankommt. Eine derartige Konstellation ist im Streitfall gegeben. Zum Sinn und Zweck der parallelen Rollenanordnung verhält sich die Klagepatentschrift in Absatz [0013] dahingehend, dass ohne den Einsatz von horizontalen Ausrichtungselementen vor allem Oblong-Tabletten absolut genau und automatisch entlang ihrer eigenen Körperlängsachse ausgerichtet werden können, sobald sie auf das Rollenpaar zu liegen kommen. Da der Fachmann – wie oben dargelegt – erkennt, dass der beabsichtigte Wirkmechanismus nicht davon abhängt, dass die Mantelflächen der Rollen im engsten mathematischen Sinne parallel zueinander angeordnet sind, sondern dass geringfügige Abweichungen aus der mathematischen Parallellage vollkommen unschädlich sind, besteht kein Anhalt dafür, den Begriff der „parallelen Anordnung“ dahingehend zu interpretieren, dass bereits geringfügige und für die erfindungsgemäßen Zwecke erkennbar unbeachtliche Abweichungen von einer konstanten Spaltbreite nicht mehr erfasst sind.

III.

Da die Beklagte nach allem das Klagepatent widerrechtlich benutzt hat, ist sie der Klägerin gemäß Art. 64 EPÜ, § 139 Abs. 1 PatG zur Unterlassung verpflichtet. Die Beklagte trifft, da sie die vorgekommenen Verletzungshandlungen hätte erkennen und vermeiden können, ein zumindest fahrlässiges Verschulden. Sie ist der Klägerin daher für den Offenlegungszeitraum zur Entschädigung und für die Zeit nach Bekanntmachung der Patenterteilung zum Schadenersatz verpflichtet (Art. II § 1 IntPatÜG, Art. 64 EPÜ, § 139 Abs. 2 PatG). Da die genaue Entschädigungs- und Schadenshöhe derzeit noch nicht feststeht, hat die Klägerin ein rechtliches Interesse daran, dass die Entschädigungs- und Schadenersatzpflicht der Beklagten zunächst dem Grunde nach festgestellt wird (§ 256 ZPO). Damit die Klägerin in der Lage ist, ihren Entschädigungs- und Schadenersatzanspruch zu beziffern, hat die Beklagte im zuerkannten Umfang über ihre Benutzungs- und Verletzungshandlungen Rechnung zu legen. Außerdem ist sie zur Aufdeckung weiterer potentieller Verletzer verpflichtet, der Klägerin Auskunft zu erteilen (§ 140b PatG), wobei insoweit auch die angeordnete Belegvorlage geschuldet ist.

IV.

Die von der Beklagten gegen den deutschen Teil des Klagepatents erhobene Nichtigkeitsklage bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Wie die Klägerin mit Recht einwendet, befasst sich die entgegengehaltene US-PS 3 739 909 nicht mit einer räumlichen Ausrichtung von Tabletten, sondern mit einer Sortierung nach ordnungsgemäß geschlossenen Kapseln, nach Kapseldeckeln, Kapselkörpern und unvollständig ineinander gesteckten Kapselteilen. Lediglich im Beschreibungstext (deutsche Übersetzung: Seite 9) ist eine Ausrichtung der Kapseln angesprochen, die allerdings nicht auf die in Merkmal (6) vorgesehene erfindungsgemäße Weise erfolgt. Darüber hinaus rotieren die bei dem vorbekannten Gegenstand vorgesehenen Rollen – worauf die Klägerin ebenfalls zutreffend hinweist – zwar gegenläufig, allerdings nicht „aufeinander zu“, sondern „voneinander weg“. Mit Rücksicht darauf kann ersichtlich keine Rede davon sein, dass die US-PS 3 739 909 den Gegenstand des Klagepatents neuheitsschädlich vorweg nimmt. Nach Auffassung der Kammer liegt die Druckschrift darüber hinaus so weit vom Gegenstand des Klagepatents entfernt, dass sie dem Fachmann ohne unzulässige rückschauende Betrachtung auch keine Hinweise in Richtung auf die Erfindung vermitteln konnte.

V.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 709, 108 ZPO.

Eine Vollstreckungsschutzanordnung zugunsten der Beklagten ist nicht gerechtfertigt, weil weder dargetan noch glaubhaft gemacht ist, dass die Vollstreckung des Urteils der Beklagten einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde.