4a O 216/08 – Textil-Schneeketten II

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 1239

Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 13. Oktober 2009, Az. 4a O 216/08

Rechtsmittelinstanz: 2 U 137/09

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits und der Nebenintervention trägt die Klägerin.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Die Sicherheitsleistung kann auch durch eine unwiderrufliche, unbedingte, unbefristete und selbstschuldnerische Bürgschaft einer in der Europäischen Union als Zoll- oder Steuerbürgin anerkannten Bank oder Sparkasse erbracht werden.

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagte aus dem europäischen Patent EP 1 165 xxx B9 (Nachfolgend: Klagepatent), dessen eingetragene Inhaberin sie ist, auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Vernichtung und Feststellung der Schadensersatzpflicht in Anspruch. Die zugrunde liegende PCT-Anmeldung wurde unter Inanspruchnahme einer Priorität vom 06.04.1999 am 06.04.2000 eingereicht und am 02.01.2002 veröffentlicht. Der Hinweis auf die Patenterteilung wurde am 14.12.2005 veröffentlicht. Am 22.03.2006 wurde eine um Schreibfehler korrigierte Patentschrift veröffentlicht. Der deutsche Teil des Klagepatents (DE 600 24 xxx) steht in der Bundesrepublik Deutschland in Kraft. Gegen das Klagepatent wurde Einspruch eingelegt, den das Europäische Patentamt durch rechtskräftige Entscheidung vom 08.05.2008 zurückgewiesen hat.

Das Klagepatent trägt die Bezeichnung „A gliding preventer for vehicle wheels“ („Gleitschutzvorrichtung für Fahrzeugräder“). Die Klägerin macht eine Kombination aus den Patentansprüchen 1 und 2 geltend.

Patentanspruch 1 lautet in der englischen Verfahrenssprache:

A device to be fitted on a vehicle wheel (1) of a predetermined size in order to increase the friction between the wheel and the road surface during winter conditions comprising a belt (3) made substantially from textile material and intended to encircle the tread (4) of the wheel (2) and be held in place by means of flexible inner and outer side portions (5, 8) which, at least on the inner side of the wheel, is tightened by means of an elastic member (7)

characterized in that

the belt (3) is to encircle the tread (4) with a clearance resulting from the internal circumference of the belt (3) being at least 4 % larger than the largest circumference oft he tread (4) of the wheel (1).

In der eingetragenen deutschen Übersetzung lautet Patentanspruch 1 wie folgt:

Vorrichtung zum Anbringen an einem Fahrzeugrad (1) vorgegebener Größe, um unter den Winterverhältnissen die Reibung zwischen dem Rad und der Straßenoberfläche zu erhöhen, die ein wesentlich aus textilem Material hergestelltes Band (3) umfasst, das dafür vorgesehen ist, die Lauffläche (4) des Rades (1) zu umgeben und mittels flexibler innerer und äußerer seitlicher Abschnitte (5, 8) festgehalten zu werden, die, mindestens an der inneren Seite des Rades, mittels eines elastischen Gliedes (7) festgespannt ist,

dadurch gekennzeichnet, dass

das Band (3) vorgesehen ist, die Lauffläche (4) in einem durch den inneren Umfang des Bandes (3) ergebenden Abstand zu umgeben, der um mindestens 4 % größer als der größte Umfang der Lauffläche (4) des Rades (1) ist.

Patentanspruch 2 lautet in der eingetragenen deutschen Übersetzung:

Vorrichtung nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass der innere Umfang des Bandes (3) um 4-10 %, bevorzugt um 5-6 % größer als der größte Umfang der Lauffläche (4) des Rades ist.

Nachfolgend werden die Seitenansicht und die Schnittansicht einer bevorzugten Ausführungsform aus der Klagepatentschrift wiedergegeben.

Die Beklagte wollte auf der Messe „Automechanika“, die vom 16.-21.09.2008 in Frankfurt am Main stattfand, unter der Produktbezeichnung „A“ rutschfeste Textilbezüge für Kfz-Reifen (Nachfolgend: Angegriffene Ausführungsform) ausstellen. Dies ist ihr durch einstweilige Verfügung vom 17.09.2008 untersagt worden (Az: 4a O 215/08). Die angegriffene Ausführungsform wird von der italienischen Firma B S.r.I. hergestellt, die ihre Produkte in Deutschland auch über die Firma C S.r.I. vertreibt.

Nachfolgend werden eine Abbildung der angegriffenen Ausführungsform sowie eine Anleitung zu deren Montage wiedergegeben:

Die Beklagte stellt eine Tabelle (vgl. Anlage K13 S. 18 Abb. 31) zur Verfügung, aus der sich eine Zuordnung der angebotenen Größen des „A“ zu gängigen Reifentypen ergibt.

Die Klägerin ist der Auffassung, die angegriffene Ausführungsform mache von der technischen Lehre des Klagepatents wortsinngemäß Gebrauch. Insbesondere sei der innere Umfang des die Lauffläche des Rades umgebenden textilen Bandes – bei Einhaltung der Empfehlungen der Beklagten zur Wahl der richtigen Größe – stets um mindestens etwa 4 % größer als der größte Umfang der Lauffläche des jeweils zugeordneten Rades. Insoweit seien die von ihr angewandten Messmethoden („Gauging“-Methode und „Pinching“-Methode) geeignet, den inneren Umfang des textilen Bandes in erfindungsgemäßer Weise zu bestimmen. Denn das Klagepatent sei dahingehend auszulegen, dass die Umfangsmessung in montiertem Zustand stattzufinden habe, wobei eine leichte (bestimmungsgemäße) Dehnung des Bandes hinzunehmen sei. Der Umfang der Lauffläche des jeweils zugeordneten Rades könne über die offiziellen Reifentabellen der E.T.R.T.O. bestimmt werden, wobei allerdings der Abrieb bei Gebrauch der Reifen zu berücksichtigen sei.

Die Firma B S.r.I. ist dem Rechtsstreit durch Schriftsatz vom 07.09.2009 auf Seiten der Beklagten beigetreten.

Die Klägerin beantragt,

I. die Beklagte zu verurteilen,

1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen an ihren Geschäftsführern, zu unterlassen,

Bezüge zum Anbringen an Kraftfahrzeugrädern vorgegebener Größe, um unter den Winterverhältnissen die Reibung zwischen dem Rad und der Straßenoberfläche zu erhöhen, die ein wesentlich aus textilem Material hergestelltes Band umfassen, das dafür vorgesehen ist, die Lauffläche des Rades zu umgeben und mittels flexibler innerer und äußerer seitlicher Abschnitte festgehalten zu werden, die mindestens an der inneren Seite des Rades mittels eines elastischen Gliedes festgespannt sind,

in Deutschland anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen,

wenn das Band vorgesehen ist, die Lauffläche in einem sich durch den inneren Umfang des Bandes ergebenden Abstand zu umgeben, welcher Umfang um mindestens 4 bis 10 % größer als der größte Umfang der Lauffläche des Rades ist.

2. der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang die Beklagte die zu Ziffer I. 1. bezeichneten Handlungen seit dem 14.01.2006 begangen hat und zwar unter Angabe
a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen nebst Namen und Anschriften der Abnehmer,
b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und –preisen sowie Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
d) sowie desjenigen Gewinns – unter Angabe der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten,

wobei es der Beklagten vorbehalten bleiben mag, die Namen und Anschriften der nicht gewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist,

3. die im Besitz oder Eigentum der Beklagten in Deutschland befindlichen, unter Ziffer I. 1. bezeichneten Gegenstände zu vernichten,

II. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu Ziffer I. 1. bezeichneten, seit dem 14.01.2006 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.

Die Beklagte und die Nebenintervenientin beantragen,

die Klage abzuweisen.

Sie meinen, die angegriffene Ausführungsform verletze das Klagepatent nicht, da bei keiner der von ihr angebotenen Größen der Mindestgrenzwert von 4 % erreicht sei. Zur Bestimmung des Größenunterschiedes zwischen dem inneren Umfang des textilen Bandes und dem größten Umfang der Lauffläche des zugeordneten Rades sei nach der erfindungsgemäßen Lehre das textile Band in ungedehntem Zustand zu messen. Hierzu sei die von ihr gewählte Messmethode geeignet, bei der das textile Band aufgeschnitten, der Länge nach ausgebreitet und anschließend ausgemessen werde. Die Messergebnisse könnten sodann mit den Reifenumfangsangaben der E.T.R.T.O. verglichen werden, wobei ein Abrieb außer Betracht zu bleiben habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 22.09.2009 verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Vernichtung und Feststellung der Schadensersatzverpflichtung (Art. 64 Abs. 1 EPÜ i.V.m. §§ 139 Abs. 1 und 2, 140a Abs. 1, 140 b, 9 S. 2 Nr. 1 PatG, 242, 259 BGB) nicht zu. Die angegriffene Ausführungsform verwirklicht nicht alle Merkmale der geltend gemachten Kombination aus den Klagepatentansprüchen 1 und 2.

I.
Das Klagepatent betrifft eine Gleitschutzvorrichtung, welche auf ein Fahrzeugrad montiert wird, um die Reibung zwischen dem Rad und der Straßenoberfläche bei winterlichen Straßenverhältnissen zu erhöhen. Es handelt sich dabei um eine alternative Vorrichtung zu den üblichen Schneeketten, die mit einem Gleitschutzgürtel aus Textilmaterial ausgeführt ist. Dieser Gleitschutzgürtel umgibt die Lauffläche des Rades und wird durch flexible, mit mindestens einem Spannelement am Rad fixierte Seitenteile innen und außen in Position gehalten. (Anlage K2, Abs. [0001])

Eine solche Vorrichtung war im Stand der Technik aus der US 2,682,907 bekannt. Als Nachteil der dort beschriebenen Erfindung hebt die Patentbeschreibung hervor, dass der Gleitschutzgürtel sehr eng am Fahrzeugrad hängt und nicht auf das Rad aufgebracht werden kann, ohne dass dieses vom Boden angehoben wird. (Anlage K2 Abs. [0004])

Die Klagepatentschrift benennt daher als Aufgabe (technisches Problem), eine Gleitschutzvorrichtung der vorbeschriebenen Art bereitzustellen, die an dem Fahrzeugrad auch dann befestigt werden kann, wenn das Rad auf der Straßenoberfläche mit dem vollen Gewicht des Fahrzeugs ruht, vorzugsweise auch dann, wenn das Rad in mehr oder weniger tiefem Schnee steckt. (Anlage K2 Abs. [0005])

Zur Lösung dieser Aufgabe sieht das Klagepatent nach den geltend gemachten Patentansprüchen 1 und 2 eine Vorrichtung mit folgenden Merkmalen vor:

a) Vorrichtung zum Anbringen an einem Fahrzeugrad (1) vorgegebener Größe, um unter Winterverhältnissen die Reibung zwischen dem Rad und der Straßenoberfläche zu erhöhen,
b) wobei die Vorrichtung ein wesentlich aus textilem Material hergestelltes Band (3) umfasst,
c) das dafür vorgesehen ist, die Lauffläche (4) des Rades (1) zu umgeben, und
d) das dafür vorgesehen ist, mittels flexibler innerer und äußerer seitlicher Abschnitte (5, 8) festgehalten zu werden,
e) wobei der seitliche Abschnitt zumindest an der inneren Seite des Rades mittels eines elastischen Gliedes (7) festgespannt ist,
f) wobei das Band (3) dazu bestimmt ist, die Lauffläche (4) in einem Abstand zu umgeben, welcher sich daraus ergibt, dass der innere Umfang des Bandes mindestens 4% und höchstens 10 % größer ist als der größte Umfang der Lauffläche des Rades.

Soweit die eingetragene deutsche Übersetzung des Patentanspruchs 1 dahingehend lautet, dass der Abstand zwischen der Lauffläche des Rades und dem inneren Umfang des Bandes um mindestens 4 % größer sein soll als der größte Umfang der Lauffläche des Rades, beruht dies ersichtlich auf einer fehlerhaften Übersetzung. In der englischen Verfahrenssprache heißt es an dieser Stelle:

„… the belt is to encircle the tread with a clearance resulting from the internal circumference of the belt being at least 4 % larger than the largest circumference of the tread of the wheel.“

Die angegebene Größenrelation ist hiernach auf den inneren Umfang des Bandes und den größten Umfang der Lauffläche des Rades bezogen. Dies findet seine Bestätigung in dem Wortlaut von Patentanspruch 2 sowie in den Absätzen [0006] und [0018] der Klagepatentschrift.

II.
Zwar verwirklicht die angegriffene Ausführungsform die Merkmale a) bis e) der unter Ziffer I. wiedergegebenen Merkmalsgliederung, was zwischen den Parteien auch – zu Recht – außer Streit steht. Keinen Gebrauch macht die angegriffene Ausführungsform dagegen von dem kennzeichnenden Merkmal f), wonach der innere Umfang des Bandes mindestens 4 % und höchstens 10 % größer sein soll als der größte Umfang der Lauffläche des Rades.

1.
Weder der Patentanspruch selbst noch die Patentbeschreibung oder die Zeichnungen enthalten konkrete Angaben dazu, auf welche Weise der innere Umfang des Bandes und der größte Umfang der Lauffläche des Rades bestimmt werden sollen. Vielmehr ist es dem Fachmann überlassen, welche Messmethode angewandt wird.

Entgegen der Auffassung der Klägerin ist weder dem Wortlaut der Patentansprüche noch der Beschreibung zu entnehmen, dass der innere Umfang des Bandes im aufgezogenen und hierdurch ggf. gedehnten Zustand gemessen werden soll. Dass das textile Band die Lauffläche des Rades in einem Abstand umgeben soll, bezeichnet lediglich die Lage des Bandes am Rad, enthält aber keinen Hinweis auf ein bestimmtes Messverfahren. Bei funktionaler Betrachtung ist der Patentschrift vielmehr zu entnehmen, dass es auf eine Montage des Bandes mit ggf. damit einhergehender Dehnung des Bandes für die Bestimmung des Abstandes zwischen der Gleitschutzvorrichtung und dem Reifen nicht ankommen kann. Denn dieser Abstand hat nach der Patentbeschreibung den Zweck, die Gleitschutzvorrichtung auch dann an dem Reifen befestigen zu können, wenn dieser mit dem vollen Gewicht des Fahrzeugs auf der Straßenoberfläche ruht (Anlage K2 Abs. [0005]). Daraus und aus dem Umstand, dass der Abstand mindestens 4 % betragen soll, ist für den Fachmann ersichtlich, dass der größere Umfang der Gleitschutzvorrichtung gegenüber dem Reifenumfang nicht erst durch eine Dehnung erreicht werden soll, sondern auf den ungespannten Zustand bezogen ist, weil nur hierdurch ermöglicht wird, die Gleitschutzvorrichtung auf das auf der Straßenoberfläche ruhende Rad aufzuziehen.

Der solchermaßen ermittelte innere Umfang des Bandes ist ins Verhältnis zu setzen zu dem Umfang der Lauffläche eines vorgegebenen Rades. Aus der Bezugnahme auf einen vorgegebenen Reifen entnimmt der Fachmann, dass nicht jeder beliebige Reifen, sondern eben ein bestimmter Reifen für die Umfangsmessung maßgebend sein soll. Für die Messung heranzuziehen ist ein bestimmter, vorschriftsmäßig aufgepumpter Neureifen. Insofern ist dem Fachmann bekannt, dass es genormte Größen für Reifen und Felgen gibt, so dass er die Gleitschutzvorrichtung entsprechend für diese Größen konzipieren wird. Auch der Anwender, der eine Gleitschutzvorrichtung benutzt, wird sich an den für Neureifen bekannten Größen, etwa den von der European Tyre and Rim Technical Organisation (E.T.R.T.O.) veröffentlichten Tabellen, orientieren. Eine andere Auslegung würde das Merkmal f) der Beliebigkeit preisgeben und die Abgrenzung zum Stand der Technik, in dem eng anliegende Gleitschutzvorrichtungen bekannt waren, vernachlässigen.

Soweit die Klägerin demgegenüber unter Berufung auf das Urteil des OLG Düsseldorf vom 08.12.1977 (GRUR 1978, 425 ff. – Umlenktöpfe) die Auffassung vertritt, dass der Abrieb der Reifen zu berücksichtigen sei, vermag die Kammer dem nicht zu folgen. In der betreffenden Entscheidung hat sich das Oberlandesgericht Düsseldorf mit der Frage einer räumlichen Veränderung der angegriffenen Ausführungsform durch deren bestimmungsgemäße Abnutzung auseinandergesetzt und festgestellt, dass eine Patentverletzung auch dann zu bejahen sein kann, wenn die angegriffene Ausführungsform erst durch ihre bestimmungsgemäße Abnutzung in den Schutzbereich des Klagepatentes fällt. Diese Entscheidung betraf allein die Veränderung der angegriffenen Ausführungsform. Demgegenüber geht es vorliegend nicht um eine Abnutzung der Gleitschutzvorrichtung, sondern um einen Abrieb des lediglich als Bezugsgröße für den Schutzbereich des Klagepatents dienenden Reifens. Diese Bezugsgröße muss feststehen, da andernfalls der Schutzbereich des Klagepatents der Beliebigkeit preisgegeben wäre.

Zu derselben Auffassung ist auch das Europäische Patentamt in seiner Entscheidung vom 08.05.2008 (Anlage B2) gelangt. Dort wird im Hinblick auf die Ausführbarkeit der Erfindung die Auffassung vertreten, dass es für den Fachmann naheliegend ist, die Messung an einer ungespannten Gleitschutzvorrichtung und einem neuen Reifen durchzuführen. In dieser Einschätzung liegt eine gewichtige sachverständige Stellungnahme, die auch im Verletzungsverfahren zu berücksichtigen ist (vgl. BGH, GRUR 1998, 895 ff. – Regenbecken) und der sich die Kammer aus den vorstehenden Erwägungen auch im Rahmen der Auslegung des Klagepatents anschließt. Diese Auslegung bietet zugleich ausreichende Rechtssicherheit für Dritte (vgl. hierzu auch: BGH, GRUR 2009, 653 ff. – Straßenbaumaschine).

Wurden der innere Umfang des Bandes und der größte Umfang der Lauffläche des Reifens solchermaßen ermittelt, sind die Messergebnisse zueinander ins Verhältnis zu setzen. Die Klagepatentschrift erfordert, dass der innere Umfang des Bandes um mindestens 4 % größer ist als der größte Umfang der Lauffläche des Reifens. Dieser untere Grenzwert nimmt an der Verbindlichkeit des Patentanspruchs als maßgebliche Grundlage für die Bestimmung des Erfindungsgegenstands teil. Eine Unterschreitung führt aus dem Schutz des Klagepatents heraus.

2.
Vor diesem Hintergrund kann nicht festgestellt werden, dass die angegriffene Ausführungsform Merkmal f) wortsinngemäß verwirklicht.

Die Klägerin hat zur Messung des inneren Umfangs des textilen Bandes zwei Messmethoden entwickelt, die sie als „Gauging-Methode“ und als „Pinching-Methode“ bezeichnet. Bei der Gauging-Methode wird ein Referenzreifen ausgewählt, dessen Reifenumfang um mindestens 4 % größer ist als der für die jeweilige Gleitschutzvorrichtung empfohlene Reifen. Kann die Gleitschutzvorrichtung auf diesen Referenzreifen aufgezogen werden, bedeutet dies nach Auffassung der Klägerin, dass die Gleitschutzvorrichtung gegenüber dem empfohlenen Reifen in erfindungsgemäßer Weise ein Spiel von mindestens 4 % aufweist. Im Rahmen der Pinching-Methode wird die Gleitschutzvorrichtung auf einen empfohlenen Reifen aufgezogen. Nach der Montage wird die Gleitschutzvorrichtung mitsamt dem Reifen an der Oberseite angehoben, so dass das textile Band an der Unterseite gestrafft wird und sich an der Oberseite eine Falte bildet. Diese Falte wird ausgemessen, um das Übermaß der Gleitschutzvorrichtung zu bestimmen.

Anhand dieser Messverfahren kommt die Klägerin zu dem Ergebnis, dass die angegriffene Ausführungsform – jedenfalls für einen Teil der empfohlenen Reifengrößen – einen Innenumfang aufweist, der um mindestens 4 % größer ist als der Umfang des jeweiligen (neuen) Referenzreifens (vgl. Anlage K12). An den von der Klägerin angewandten Messverfahren erscheint problematisch, dass diese weitere Schritte vorsehen als eine einfache Längenmessung mit dem Metermaß. So wird die Gleitschutzvorrichtung bei dem Aufziehen auf einen übergroßen Referenzreifen nach der Gauging-Methode unter Umständen einer stärkeren Krafteinwirkung ausgesetzt als dies bestimmungsgemäß vorgesehen ist. Im Rahmen der Pinching-Methode wirken die Gewichtskräfte des mittels der Gleitschutzvorrichtung angehobenen Reifens auf das textile Band ein. Die Klägerin trägt zwar vor, die Dehnbarkeit der angegriffenen Ausführungsform sei nicht so groß, dass sie bei den angewandten Messverfahren zu relevanten Messabweichungen führen würde, woher die Klägerin aber diese Gewissheit nimmt, erklärt sie nicht. Zu den Auswirkungen einer Dehnung oder Verspannung der angegriffenen Ausführungsform auf die Messergebnisse fehlt es an substantiiertem Vortrag. Zweifel an der Genauigkeit der von der Klägerin vorgelegten Messergebnisse ergeben sich auch deshalb, weil die Messergebnisse nach der Gauging-Methode teilweise stark von den Ergebnissen nach der Pinching-Methode abweichen. So ergibt sich etwa für die Größe TG 80 nach der Gauging-Methode ein Übermaß von 2,8 %, nach der Pinching-Methode hingegen ein Übermaß von 3,4 % (Anlage K 16, S. 18 u. 22). Dabei wird nicht einmal eine eindeutige Tendenz sichtbar, etwa dass das Übermaß der Gleitschutzvorrichtung nach der Gauging-Methode stets etwas kleiner ausfällt als nach der Pinching-Methode. So wurde etwa bei der Größe TG 69 nach der Gauging-Methode ein Übermaß von 4,1 % und nach der Pinching-Methode ein Übermaß von 3,1 % ermittelt (Anlage K 16, S. 14 u. 22). Die Messergebnisse der einen Methode sind mal kleiner, mal größer als diejenigen der anderen Methode. Zudem fällt auf, dass die von der Verfügungsklägerin vorgelegten Messergebnisse auch im Hinblick auf die beiden Produkte „D“ und „A“, die nach dem übereinstimmenden Vortrag der Parteien identisch sind, voneinander abweichen (vgl. Anlagen K12 und K16). Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass sich im Hinblick auf den niedrigen Grenzwert von 4 % auch geringe Abweichungen in den Messergebnissen auf die Frage einer Patentverletzung auswirken können, sind die festgestellten Differenzen zwischen den Messergebnissen nach der Gauging-Methode und nach der Pinching-Methode jedenfalls nicht unerheblich.

Die Beklagte stellt den Messergebnissen der Klägerin zwei Gutachten gegenüber, ausweislich derer das Übermaß der Gleitschutzvorrichtung gegenüber dem jeweiligen Referenzreifen in keinem Fall das Mindestmaß von 4 % erreicht. Im Rahmen des in einem parallelen Rechtsstreit vor dem Landgericht Mailand eingeholten Gutachtens (Anlage B4) wurden fünf verschiedene Größen (TG 69, 74, 76, 77 und 87) des Produkts „D“ vermessen (vgl. Anlage B6). Die Messergebnisse ergaben ein Übermaß der Gleitschutzvorrichtung zwischen 0,55 % (Größe 69) und 3,43 % (Größe 76). Zur Vorbereitung der Messungen wurde der Gleitschutzgürtel aufgeschnitten, an einem Ende befestigt, zum Zwecke der Entfernung von Falten und Knicken spannungsfrei ausgebreitet und anschließend mit einem Metermaß ausgemessen. Dabei wurden jeweils mindestens zwei Messungen durchgeführt und hieraus der Mittelwert gebildet, um Messungenauigkeiten zu vermeiden. Ein ähnliches Messverfahren hat auch der TÜVRheinland angewandt, der die Größen 74, 80 und 85 des Produkts „D“ einer Überprüfung unterzogen hat (vgl. Anlage B7). Hier ergab sich ein Übermaß der Gleitschutzvorrichtung gegenüber dem Reifen von maximal 2,87 % (vgl. Anlage B8).

Die Klägerin stellt sich auf den Standpunkt, die seitens der Beklagten und der Nebenintervenientin vorgelegten Gutachten gelangten bereits deshalb zu fehlerhaften Messergebnissen, weil die Gleitschutzvorrichtung nicht in montiertem, sondern in aufgeschnittenem und ausgebreiteten Zustand gemessen worden sei. Dieses Argument vermag hingegen nicht zu überzeugen. Denn die Patentschrift erfordert gerade nicht – wie oben unter Ziffer I. 1. ausgeführt -, dass der innere Umfang des textilen Bandes in aufgezogenem Zustand gemessen wird. Vielmehr ist die Messung an dem ungespannten Band vorzunehmen. Hier liegt es nahe, entsprechend den im Rahmen der von der Beklagten und der Nebenintervenientin vorgelegten Gutachten angewandten Messverfahren das textile Band spannungsfrei auszubreiten und linear zu vermessen.

Die Kammer verkennt nicht, dass im Rahmen der von der Beklagten und der Nebenintervenientin vorgelegten Gutachten nicht die angegriffene Ausführungform, d.h. die unter der Produktbezeichnung „A“ vertriebene Gleitschutzvorrichtung, und nicht sämtliche Größen untersucht wurden. Allerdings ist zwischen den Parteien unstreitig, dass das untersuchte Produkt „D“, das ebenso wie die angegriffene Ausführungsform von der Nebenintervenientin hergestellt wird, mit der angegriffenen Ausführungsform identisch ist. So hat die Klägerin selbst zunächst nur Untersuchungsergebnisse hinsichtlich der unter der Produktbezeichnung „D“ vertriebenen Gleitschutzvorrichtung vorgelegt (vgl. Anlage K12). Die diesbezüglich von der Klägerin erlangten Messergebnisse zeigen signifikante Unterschiede auf zu den Messergebnissen der von der Beklagten vorgelegten Gutachten. Es ist daher davon auszugehen, dass die angewandten Messmethoden zu grundsätzlich unterschiedlichen Ergebnissen führen und die Messmethoden der Klägerin nicht geeignet sind, die tatsächliche Länge des inneren Umfangs des Bandes zu ermitteln. Zu der Länge des inneren Umfangs des Bandes in ungespanntem Zustand fehlt es an substantiiertem Vortrag der Klägerin. Insbesondere behauptet die Klägerin nicht, dass bei einer Messung des textilen Bandes in aufgeschnittenem und ausgebreitetem Zustand das geforderte Übermaß der Gleitschutzvorrichtung gegeben sei. Die Klägerin hat vor diesem Hintergrund nicht schlüssig dargelegt, dass Merkmal f) bei der Messung des textilen Bandes in ungespanntem Zustand und unter Bezugnahme auf einen zugeordneten, vorschriftsmäßig aufgepumpten Neureifen von der angegriffenen Ausführungsform verwirklicht wird. Dass die verschiedenen Größen der angegriffenen Ausführungsform ggf. auch bei einer Verwendung mit kleineren als den empfohlenen Reifen noch funktionsfähig sein könnten, hat die Klägerin nicht vorgetragen und ist – unter anderem im Hinblick auf eine ggf. abweichende Reifenbreite – auch nicht offensichtlich.

III.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 101 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 709, 108 ZPO.

Der Streitwert wird auf 500.000,00 Euro festgesetzt.