4b O 10/15 – Zigarettenpapier

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 2399

Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 21. April 2015, Az. 4b O 10/15

Rechtsmittelinstanz: 2 U 21/15

Leitsatz der Redaktion:

Der Erlass einer einstweiligen Verfügung, insbesondere auf Unterlassung, kommt nur in Betracht, wenn sowohl die Frage der Patentverletzung als auch der Bestand des Verfügungspatentes im Ergebnis so eindeutig zugunsten der Verfügungsklägerin zu beantworten sind, dass eine fehlerhafte, in einem etwa nachfolgenden Hauptsacheverfahren zu revidierende Entscheidung nicht ernstlich zu erwarten ist (st. Rspr. des OLG Düsseldorf).

I. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückge-wiesen.

II. Die Kosten des Verfahrens werden der Verfügungsklägerin auferlegt.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Verfügungsklägerin kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 Prozent des aus diesem Urteil zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Verfügungsbeklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

TATBESTAND

Die Verfügungsklägerin nimmt die Verfügungsbeklagten aus dem europäischen Patent EP 1 482 XXX (Verfügungspatent) im Wege der einstweiligen Verfügung auf Unterlassung und Auskunft in Anspruch. Das Verfügungspatent wurde am 20.01.2003 unter Inanspruchnahme einer us-amerikanischen Priorität vom 23.01.2002 von der A International, Inc. angemeldet. Der Hinweis auf die Patenterteilung wurde am 04.03.2009 veröffentlicht. Am 26.08.2009 wurde eine korrigierte Patentschrift veröffentlicht. Der deutsche Teil des Verfügungspatents (DE 603 26 XXX) steht in der Bundesrepublik Deutschland in Kraft.

Gegen das Verfügungspatent wurde Einspruch eingelegt. Nach einer Selbstbeschränkung durch die Patentinhaberin hat das Europäische Patentamt durch Entscheidung vom 23.01.2015 (Anlage AS5, in deutscher Übersetzung Anlage AS5a) das Verfügungspatent in eingeschränktem Umfang aufrechterhalten.

Das Verfügungspatent trägt die Bezeichnung „Smoking articles with reduced ignition proclivity characteristics“ („Rauchartikel mit verminderter Entzündungstendenz“). Patentanspruch 1 lautet in der im Einspruchsverfahren aufrechterhaltenen und in diesem Rechtsstreit geltend gemachten Fassung in deutscher Übersetzung wie folgt:

Papierumhüllung für einen Rauchartikel, welche den Rauchartikel mit verringerten Entzündungsneigungs-Charakteristika ausstattet, umfassend:
eine Papierbahn, welche geeignet gestaltet ist, um eine rauchbare Füllung zu umgeben, wobei die Papierbahn getrennte Bereiche (18) einschließt, welche mit einer filmbildenden Zusammensetzung behandelt wurden, wobei die behandelten Bereiche (18) durch unbehandelte Bereiche (28) getrennt sind, wobei die behandelten Bereiche (18) eine Durchlässigkeit von weniger als 40 Coresta zum ausreichenden Verringern der Entzündungsneigung eines Rauchartikels (10), welcher die Umhüllung (10) beinhaltet, aufweisen, wobei die filmbildende Zusammensetzung, welche auf die Papierumhüllung (14) aufgetragen wird, ein filmbildendes Material umfasst, welches in einer Lösung in einer ausreichenden Menge enthalten ist, damit die Lösung einen Feststoffgehalt von mindestens 6% Gewichtsanteil aufweist, wobei das filmbildende Material eine Viskosität von weniger als 500 cP aufweist, wenn dieses in einer Lösung von 3% Gewichtsanteil bei 25°C vorliegt, wobei das filmbildende Material ein Alginat umfasst oder ein Material umfasst, welches aus der Gruppe ausgewählt ist, bestehend aus Guar-Gummi, Pektin, Polyvinylalkohol, einem Zellulosederivat, Stärke, einem Stärkederivat und Mischungen davon.

Nachfolgend wird zur Veranschaulichung eine erfindungsgemäße Papierumhüllung für einen Rauchartikel wiedergegeben (Figuren 1 und 2 der Klagepatentschrift):

Die Verfügungsklägerin ist die luxemburgische Tochtergesellschaft der A International Inc. und seit dem 06.05.2014 ausschließliche Lizenznehmerin am Verfügungspatent.

Die Verfügungsbeklagte zu 1) ist – ebenso wie die A International Inc. – Herstellerin von Papieren für die Zigarettenindustrie. Die Verfügungsbeklagte zu 2) ist eine 100%-ige Tochtergesellschaft der Verfügungsbeklagten zu 1). Sie veredelt die von der Verfügungsbeklagten zu 1) hergestellten Papiere zu B Zigarettenpapier. Bei den Verfügungsbeklagten zu 3) und 4) handelt es sich um die (jeweils identischen) Geschäftsführer der Verfügungsbeklagten zu 1) und 2).

Die Verfügungsbeklagten zu 1) und 2) stellen B-Zigarettenpapiere mit der Produktbezeichnung „C Zigarettenpapier“ (angegriffene Ausführungsform) her und vertreiben diese unter anderem in Deutschland. Das C Zigarettenpapier weist voneinander getrennte behandelte und unbehandelte Bereiche auf. Die Zusammensetzung, die auf die behandelten Bereiche aufgebracht wird, besteht aus Wasser, mechanisch fragmentierter und chemisch vernetzter Stärke (D S 500) sowie wahlweise Natrium Alginat. Die Parteien streiten darüber, ob es sich bei dieser Zusammensetzung um eine „Lösung“ im Sinne des Klagepatents handelt.

Die Verfügungsklägerin ist der Auffassung, das Verfügungspatent sei nicht auf „Lösungen“ im engeren chemischen Sinne begrenzt, sondern umfasse auch Suspensionen, bei denen das filmbildende Material in Wasser nicht vollständig aufgelöst werde, sondern als fein verteilte Festkörper erkennbar bleibe. Diese seien funktional in gleichem Maße geeignet, das Ziel der Erfindung zu erreichen, nämlich eine filmbildende Zusammensetzung mit niedriger Viskosität bei gleichzeitig hohem Feststoffgehalt bereitzustellen. Hilfsweise werde das Verfügungspatent durch die angegriffene Ausführungsform jedenfalls in äquivalenter Weise verletzt.

Die Verfügungsklägerin beantragt,

I. den Verfügungsbeklagten bei Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei im Falle der Verfügungsbeklagten zu 1) und 2) die Ordnungshaft an ihren jeweiligen Geschäftsführern zu vollziehen ist, zu untersagen,
Papierumhüllungen für einen Rauchartikel, welche den Rauchartikel mit verringerten Entzündungsneigungs-Charakteristika ausstatten,
in der Bundesrepublik Deutschland herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,
umfassend eine Papierbahn, welche geeignet gestaltet ist, um eine rauchbare Füllung zu umgeben, wobei die Papierbahn getrennte Bereiche einschließt, welche mit einer filmbildenden Zusammensetzung behandelt wurden, wobei die behandelten Bereiche durch unbehandelte Bereiche getrennt sind, wobei die behandelten Bereiche eine Durchlässigkeit von weniger als 40 Coresta zum ausreichenden Verringern der Entzündungsneigung eines Rauchartikels, welcher die Umhüllung beinhaltet, aufweisen, wobei die filmbildende Zusammensetzung, welche auf die Papierumhüllung aufgetragen wird, ein filmbildendes Material umfasst, welches in einer Lösung in einer ausreichenden Menge enthalten ist, damit die Lösung einen Feststoffgehalt von mindestens 6% Gewichtsanteil aufweist, wobei das filmbildende Material eine Viskosität von weniger als 500 cP aufweist, wenn dieses in einer Lösung von 3% Gewichtsanteil bei 25°C vorliegt, wobei das filmbildende Material ein Alginat umfasst oder ein Material umfasst, welches aus der Gruppe ausgewählt ist, bestehend aus Guar-Gummi, Pektin, Polyvinylalkohol, einem Zellulosederivat, Stärke, einem Stärkederivat und Mischungen davon;

hilfsweise,

den Verfügungsbeklagten bei Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei im Falle der Verfügungsbeklagten zu 1) und 2) die Ordnungshaft an ihren jeweiligen Geschäftsführern zu vollziehen ist, zu untersagen,
Papierumhüllungen für einen Rauchartikel, welche den Rauchartikel mit verringerten Entzündungsneigungs-Charakteristika ausstatten,
in der Bundesrepublik Deutschland herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,
umfassend eine Papierbahn, welche geeignet gestaltet ist, um eine rauchbare Füllung zu umgeben, wobei die Papierbahn getrennte Bereiche einschließt, welche mit einer filmbildenden Zusammensetzung behandelt wurden, wobei die behandelten Bereiche durch unbehandelte Bereiche getrennt sind, wobei die behandelten Bereiche eine Durchlässigkeit von weniger als 40 Coresta zum ausreichenden Verringern der Entzündungsneigung eines Rauchartikels, welcher die Umhüllung beinhaltet, aufweisen, wobei die filmbildende Zusammensetzung, welche auf die Papierumhüllung aufgetragen wird, die fragmentierte Stärke D S 500 umfasst, die in einer Suspension in einer ausreichenden Menge enthalten ist, damit die Suspension einen Feststoffgehalt von mindestens 6% Gewichtsanteil aufweist;

II. die Verfügungsbeklagten zu verurteilen, der Verfügungsklägerin für die Zeit seit dem 06.05.2014 schriftlich und vollständig Auskunft darüber zu erteilen, in welchem Umfang sie die vorstehend zu I. bezeichneten Handlungen begangen haben, und zwar unter Angabe von Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer der Erzeugnisse sowie der gewerblichen Abnehmer und der Verkaufsstellen, für die sie bestimmt waren.

Die Verfügungsbeklagten beantragen,

den auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gerichteten Antrag zurückzuweisen.

Sie meinen, das Verfügungspatent sei auf „Lösungen“ im engeren chemischen Sinne beschränkt und umfasse daher gerade keine Suspensionen. Die von ihnen verwendete Zusammensetzung aus Wasser und fragmentierter Stärke zeichne sich dadurch aus, dass die fragmentierte Stärke sich in Wasser nicht auflöse, sondern vielmehr dergestalt reagiere, dass sich der Strukturtypus des sog. „hairy ball“ bilde. Die Verteilung der Stärkepartikel sei unregelmäßig, es entstehe eine rauere Oberfläche als bei Verwendung einer Lösung. Die heterogene Struktur der filmbildenden Zusammensetzung habe unter anderem auch zur Folge, dass sie nicht einfach in herkömmlichen Auftragungstechniken verwendet werden könne. Vielmehr habe es einige Versuche erfordert, die Suspension fachgerecht aufzutragen, um die gewünschte Verringerung der Entzündungsneigung zu erreichen.

Die Kammer hat im Rahmen eines selbständigen Beweisverfahrens unter dem Aktenzeichen 4b O 178/11 durch Einholung eines Sachverständigengutachtens Beweis erhoben u.a. über die Frage, ob die Verfügungsbeklagten zu 1) und 2) Papierumhüllungen für Rauchartikel gemäß dem Anspruch 1 des Klagepatents herstellen. Auf den Inhalt des Gutachtens von Univ.-Prof. Dr. E vom 13.02.2012 (Anlage AS3) wird Bezug genommen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 17.03.2015 verwiesen.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung hat in der Sache keinen Erfolg. Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Verfügung liegen nicht vor. Die Kammer vermag im Rahmen des vorliegenden Verfügungsverfahrens nicht festzustellen, dass die Verfügungsbeklagten mit der angegriffenen Ausführungsform von der technischen Lehre des Verfügungspatents Gebrauch machen und der Verfügungsklägerin deshalb ein Verfügungsanspruch aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ i.V.m. § 139 Abs. 1 PatG gegen die Verfügungsbeklagten zusteht.

I.
Das Verfügungspatent betrifft eine Papierumhüllung für einen Rauchartikel, die den Rauchartikel mit verringerten Entzündungsneigungs-Charakteristika ausstattet. In der Tabakindustrie gibt es einen fortwährenden Bedarf an solchen Papierumhüllungen, insbesondere für Zigaretten. Denn es soll verhindert werden, dass die Zigarette Oberflächen entzündet, die mit ihr in Berührung kommen. Insbesondere soll die Zigarette von selbst erlöschen, wenn sie fallengelassen oder auf brennbaren Materialien liegengelassen wird (Anlage AS1a Abs. [0002]).

Einen wesentlichen Einfluss auf die Schwelcharakteristika der Zigarette hat ihre Umhüllung. Sie reguliert die Menge an Sauerstoff, die zur glühenden Tabakkohle in der Zigarette gelangt. Im Stand der Technik war bekannt, zu diesem Zweck filmbildende Lösungen auf das Zigarettenpapier aufzubringen, um die Papierdurchlässigkeit zu verringern und die Brennrate zu steuern. Dabei hat sich gezeigt, dass es besonders vorteilhaft ist, die filmbildende Lösung in getrennten Bereichen entlang der Länge der Zigarette aufzutragen (Anlage AS1a Abs. [0004]). Dies geschieht üblicherweise in ringförmigen Bändern (vgl. Bezugsziffer 18 in Figur 2 der Klagepatentschrift).

Schwierigkeiten beim Aufbringen der filmbildenden Lösung ergeben sich in der industriellen Praxis insbesondere bei der Behandlung von Papieren mit einer hohen Permeabilität. Die filmbildende Zusammensetzung muss so aufgetragen werden, dass sie trotz dieser hohen Permeabilität einen gleichmäßigen und dichten Film hinterlässt, der eine zuverlässige Sauerstoff-Reduktion ermöglicht.

Entsprechend formuliert die Klagepatentschrift die Aufgabe (das technische Problem), ein verbessertes Verfahren zum Auftragen einer filmbildenden Lösung auf eine Papierumhüllung in getrennten Bereichen zum Verringern der Durchlässigkeit der Umhüllung zur Verfügung zu stellen, insbesondere wenn die Umhüllung eine anfänglich hohe Porosität aufweist (Anlage AS1a Abs. [0006]).

Dieses Ziel erreicht die verfügungspatentgemäße Erfindung durch die in Anspruch 1 beschriebene Papierumhüllung. Anspruch 1 in seiner im Einspruchsverfahren erlangten Fassung kann wie folgt gegliedert werden:

1. Papierumhüllung für einen Rauchartikel, welche den Rauchartikel mit verringerten Entzündungsneigungs-Charakteristika ausstattet.
2. Die Papierumhüllung umfasst eine Papierbahn.
2.1. Die Papierbahn ist geeignet gestaltet, um eine rauchbare Füllung zu umgeben.
2.2. Die Papierbahn schließt getrennte Bereiche ein.
3. Die getrennten Bereiche
3.1. wurden mit einer filmbildenden Zusammensetzung behandelt,
3.2. sind durch unbehandelte Bereiche getrennt,
3.3. weisen eine Durchlässigkeit von weniger als 40 Coresta zum ausreichenden Verringern der Entzündungsneigung eines Rauchartikels, welcher die Umhüllung beinhaltet, auf.
4. Die filmbildende Zusammensetzung
4.1. wird auf die Papierumhüllung aufgetragen,
4.2. umfasst ein filmbildendes Material.
5. Das filmbildende Material
5.1. ist in einer Lösung in einer ausreichenden Menge enthalten, damit die Lösung einen Feststoffgehalt von mindestens 6% Gewichtsanteil aufweist,
5.2. weist eine Viskosität von weniger als 500 cP auf, wenn dieses in einer Lösung von 3% Gewichtsanteil bei 25°C vorliegt,
5.3. umfasst ein Alginat oder ein Material, welches aus der Gruppe ausgewählt ist, bestehend aus Guar-Gummi, Pektin, Polyvinylalkohol, einem Zellulosederivat, Stärke, einem Stärkederivat und Mischungen davon.

Der Kern der im Patentanspruch 1 beschriebenen technischen Lehre des Verfügungspatents besteht in der Verwendung eines Materials mit geringer Viskosität, das in einem Lösungsmittel zu einer filmbildenden Zusammensetzung gelöst werden kann, um auf die Papierumhüllung eines Rauchwarenartikels aufgebracht zu werden.

II.
Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Düsseldorf (vgl. InstGE 9, 140 – Olanzapin; InstGE 12, 114 – Harnkatheter), dass der Erlass einer einstweiligen Verfügung, insbesondere auf Unterlassung, nur in Betracht kommt, wenn sowohl die Frage der Patentverletzung als auch der Bestand des Verfügungspatentes im Ergebnis so eindeutig zugunsten der Verfügungsklägerin zu beantworten sind, dass eine fehlerhafte, in einem etwa nachfolgenden Hauptsacheverfahren zu revidierende Entscheidung nicht ernstlich zu erwarten ist (ebenso: OLG Karlsruhe, InstGE 11, 143 – VA-LVD-Fernseher). Das ist hier nicht der Fall, weshalb dem Verfügungsbegehren der Verfügungsklägerin nicht entsprochen werden kann.

Die Kammer kann im Rahmen des vorliegenden Verfügungsverfahrens – mit den in diesem Verfahren in Betracht kommenden Glaubhaftmachungsmitteln – nicht feststellen, dass die angegriffene Papierumhüllung der Verfügungsbeklagten von der technischen Lehre des Verfügungspatents Gebrauch macht. Sie kann sich nämlich nicht die Überzeugung bilden, dass die filmbildende Zusammensetzung auch aus einem filmbildenden Material erzeugt werden kann, das wie im Fall der angegriffenen Ausführungsform nicht in Lösung, sondern nur in Suspension gehen kann.

1.
Die erfindungsgemäße filmbildende Zusammensetzung umfasst gemäß Merkmal 4.2 ein filmbildendes Material, das in der Merkmalsgruppe 5 genauer spezifiziert wird. Gemäß Merkmal 5.1 ist es in einer Lösung in einer ausreichenden Menge enthalten, damit die Lösung einen Feststoffgehalt von mindestens 6% Gewichtsanteil aufweist. Nach Merkmal 5.2 weist das filmbildende Material eine Viskosität von weniger als 500cP auf, wenn es in einer Lösung von 3% Gewichtsanteil bei 25°C vorliegt. Merkmal 5.3 benennt schließlich bestimmte filmbildende Materialien, nämlich Alginat oder ein Material, welches aus der Gruppe ausgewählt ist, bestehend aus Guar-Gummi, Pektin, Polyvinylalkohol, einem Zellulosederivat, Stärke, einem Stärkederivat und Mischungen davon.

Der Fachmann entnimmt den Merkmalen 5.1 und 5.2, dass das filmbildende Material ein solches sein soll, das in einem Lösungsmittel in Lösung gehen kann. Denn gerade mit Hilfe der entstandenen Lösung soll er bestimmte Eigenschaften des filmbildenden Materials messen und bewerten.

Unter dem Begriff der „Lösung“ versteht der Fachmann im weitesten Sinne „homogene Gemische verschiedener Stoffe, wobei auch noch die winzigsten Teilvolumina der Lösung eine gleichartige Zusammensetzung aufweisen“ (Römpp, Chemielexikon, 9. Auflage, S. 2537). Hiervon abzugrenzen sind die „Suspensionen“, die „Dispersionen unlöslicher Feststoffteilchen“ darstellen, wobei sich die suspendierten Teilchen früher oder später am Boden absetzen (Sedimentation), wenn sie nicht lediglich die Größe von Kolloidteilchen (Schwebstoffe, Teilchengröße <10-5 cm) haben (Römpp, Chemielexikon, 9. Auflage, S. 4401). Aufgrund ihres Verhaltens als Schwebstoffe werden die kolloidalen Suspensionen zum Teil auch als kolloidale Lösungen bezeichnet (Römpp, Chemielexikon, 9. Auflage, S. 2537).

Von diesem Grundverständnis wird der Fachmann ausgehen, wenn er den Begriff der „Lösung“ in den Merkmalen 5.1 und 5.2 auszulegen hat. Die Kammer verkennt nicht, dass ein bestimmter Begriff im Patentanspruch durchaus abweichend vom üblichen oder fachmännischen Verständnis zu verstehen sein kann, wenn der Sinngehalt der Patentschrift dies erfordert. Insofern stellt die Patentschrift stets ihr eigenes Lexikon dar (BGH, GRUR 1999, 909, 911 – Spannschraube). Der Verfügungspatentschrift ist vorliegend hingegen kein Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, dass sich die Anmelderin bei der Abfassung nicht des allgemeinen technischen Sprachgebrauchs bedient und mit dem Begriff der „Lösung“ ein homogenes Gemisch gemeint hat.

Dies gilt umso mehr, als im Stand der Technik sowohl Lösungen als auch Suspensionen bekannt waren, um die Entzündungsneigungscharakteristika von Rauchwaren zu verringern. Die Verfügungspatentschrift verweist in Abs. [0005] explizit auf die US 5,878,753. Obwohl diese sowohl Lösungen als auch Suspensionen zum Verringern der Durchlässigkeit von Papierumhüllungen von Rauchwaren beschreibt, nimmt die Verfügungspatentschrift in diesem Zusammenhang ausdrücklich nur auf die filmbildenden wässrigen Lösungen Bezug.

Soweit die Verfügungsklägerin einwendet, der Fachmann erkenne, dass die „Lösung“ im Patentanspruch lediglich als Anknüpfungspunkt für die Messung der Viskosität diene, das filmbildende Material aber keineswegs zwingend in Lösung gehen können muss, überzeugt dieser Einwand die Kammer nicht. Die Prüfung, ob die patentgemäßen Vorgaben im Hinblick auf das filmbildende Material erfüllt werden, erfordert nach der erfindungsgemäßen Lehre die Herstellung einer „Lösung“. Damit setzt der Patentanspruch zugleich voraus, dass das filmbildende Material überhaupt (im weiteren Sinne, d.h. unter Einbeziehung kolloidaler Suspensionen) in Lösung gehen kann. Die Klagepatentschrift erläutert nämlich nicht, wie andernfalls die erforderlichen Messungen vorgenommen werden sollten.

In diesem Verständnis der Merkmale 5.1. und 5.2. wird der Fachmann bestärkt durch die Aufzählung erfindungsgemäßer filmbildender Materialien in Merkmal 5.3. Die dort genannten Stoffe sind – mit Ausnahme von Pektin – sämtlich in Wasser löslich. Insbesondere werden an dieser Stelle nur Cellulosederivate, nicht aber reine Cellulose genannt, da letztere in Wasser nicht löslich ist. Bei Pektin handelt es sich um ein sog. Hydrokolloid, das in Wasser mit Teilchengrößen in kolloidaler Größenordnung dispergiert. Insofern lässt sich die Merkmalsgruppe 3 stimmig mit dem üblichen fachmännischen Verständnis vom Begriff der „Lösung“ lesen.

Dass die genannten Stoffe ggf. mechanisch oder chemisch so behandelt werden können, dass sie in Wasser andere Eigenschaften zeigen, ändert nichts daran, dass das Verfügungspatent in Merkmal 5.3. zunächst einmal Stoffe aufzählt, die grundsätzlich geeignet sind, zur Herstellung einer erfindungsgemäßen filmbildenden Zusammensetzung verwendet zu werden. Dies ist soweit der Fall, wie sie in einem Lösungs- bzw. Dispersionsmittel weitgehend gelöst bzw. fein verteilt werden können und damit in Wasser homogene Gemische darstellen, bei denen auch noch die winzigsten Teilvolumina eine gleichartige Zusammensetzung aufweisen.

Eben durch diese Eigenschaften kann das erfindungsgemäße filmbildende Material in Wasser oder einem anderen Lösungs- bzw. Dispersionsmittel eine filmbildende Zusammensetzung darstellen, die, aufgetragen auf die Papierumhüllung eines Rauchwarenartikels, einen dichten und gleichmäßigen Film erzeugt, der auch bei Papieren mit hoher Permeabilität zuverlässig zu einer Durchlässigkeit von weniger als 40 Coresta führt (vgl. Anlage AS1a Abs. [0006], Abs. [0016]). Hierzu bedarf es eines möglichst kontinuierlichen Films ohne Risse oder andere Fehler (Anlage AS1a Abs. [0025]). Die niedrige Viskosität des verwendeten Materials und seine Fähigkeit, sich in einem Lösungs- bzw. Dispersionsmittel zu lösen bzw. gleichmäßig (schwebend) zu verteilen, ermöglichen es, auch bei einem höheren Feststoffgehalt die filmbildende Zusammensetzung mit konventionellen (Sprüh-, Streich- oder Druck-) Techniken auf das Papier aufzubringen (vgl. Anlage AS1a Abs. [0009], [0029], [0031]).

Die demzufolge auch unter Berücksichtigung funktionaler Aspekte begründete (engere) Auslegung des Begriffs der „Lösung“ wird durch die Entscheidung des Europäischen Patentamtes im Einspruchsverfahren bestätigt (vgl. Anlage AS3). Auf Seite 6 der Entscheidung heißt es unter Ziffer 19.2.2, es sei klar, „dass der Fachmann keine derartige organische Lösung wählen würde, in der Natrosol unlöslich ist, da die unabhängigen Ansprüche ein in einer Lösung vorliegendes filmbildendes Material erfordern“. Der fachkundige Prüfer ist damit offensichtlich davon ausgegangen, dass das Verfügungspatent die Verwendung eines filmbildenden Materials voraussetzt, das in einem Lösungsmittel gelöst werden kann.

Das Sachverständigengutachten des Herrn Prof. Dr. E vom 13.02.2012 (Anlage AS3) ist nicht geeignet, bei der Kammer ein von der zuvor dargestellten Auslegung abweichendes Verständnis des Verfügungspatentanspruchs 1 zu begründen. Soweit der Sachverständige auf S. 6 seines Gutachtens die Auffassung vertritt, Anspruch 1 des Verfügungspatents erfasse mit dem Begriff der „Lösung“ auch Suspensionen, überzeugt seine diesbezügliche Argumentation nicht.

Es ist zwar richtig, dass die von den Verfügungsbeklagten verwendete fragmentierte und vernetzte Stärke ein Stärkederivat im Sinne von Absatz [0011] der Klagepatentschrift darstellt, dies bedeutet aber im Umkehrschluss nicht, dass ein solches besonders behandeltes und zum Prioritätszeitpunkt des Verfügungspatents unstreitig noch nicht bekanntes Stärkederivat zwingend geeignet ist, mit Wasser eine „Lösung“ im Sinne des Verfügungspatents herzustellen. Insofern ist in Absatz [0011] nur eine Aufzählung grundsätzlich geeigneter filmbildender Materialien enthalten, eine besondere chemische oder mechanische Behandlung dieser Materialien kann aber durchaus dazu führen, dass mit dem entsprechend behandelten Material eben keine Lösung im Sinne des Verfügungspatents erzeugt werden kann.

Soweit in Abs. [0033] der Klagepatentschrift in der Beschreibung eines Ausführungsbeispiels die Möglichkeit erwähnt wird, Metallkationen enthaltende Füllstoffe in die Zusammensetzung einzubringen, die ggf. mit dem als filmbildendes Material verwendeten Alginat vernetzen, ist zwischen dem filmbildenden Material und der filmbildenden Zusammensetzung zu unterscheiden. Das filmbildende Material ist auch in diesem Fall löslich. Dass die filmbildende Zusammensetzung durch Hinzufügung von Füllstoffen ggf. keine echte Lösung mehr darstellt, ist nach der erfindungsgemäßen Lehre unerheblich. Zudem geht die Klagepatentschrift an dieser Stelle lediglich von einer teilweisen Vernetzung aus.

Dass die Verfügungspatentschrift den Begriff der „filmbildenden Zusammensetzung“ (vgl. etwa Anlage AS1a Abs. [0008], [0009], [0011]-[0015]) im Rahmen der Beschreibung häufiger verwendet als den Begriff der „Lösung“ (Anlage AS1a Abs. [0006], [0029], [0031]), lässt nicht den Rückschluss zu, der Begriff der „Lösung“ sei zu vernachlässigen. Dies ist schon deshalb nicht zulässig, weil er im Wortlaut von Anspruch 1, genauer in den Merkmalen 5.1. und 5.2., explizit genannt ist.

Inwieweit die Verfügungsbeklagten selbst in der Vergangenheit den Begriff des „Lösungsmittels“ ggf. auch im Zusammenhang mit Suspensionen verwendet haben, ist für die Auslegung der Verfügungspatentschrift ohne Relevanz.

Auf der Grundlage des bisherigen Sach- und Streitstandes ist die Kammer daher der Auffassung, dass der Fachmann unter einem „filmbildenden Material“ im Sinne der verfügungspatentgemäßen Lehre einen Stoff versteht, der mit einem Lösungs- bzw. Dispersionsmittel ein homogenes Gemisch bilden kann, bei dem jeder Teilbereich die gleiche Zusammensetzung aufweist. Dass dem nicht so ist und der Fachmann den Begriff des filmbildenden Materials dahin versteht, dass auch Stoffe, die in einem Dispersionsmittel mit Teilchengrößen über 10-5 cm dispergieren, erfasst werden, vermag die Kammer jedenfalls nicht festzustellen.

2.
Versteht man Anspruch 1 des Verfügungspatentes im vorstehend erläuterten Sinne, macht die angegriffene Ausführungsform von dessen Lehre weder wortsinngemäß noch mit äquivalenten Mitteln Gebrauch.

a)
Eine wortsinngemäße Verwirklichung des Verfügungspatentanspruchs 1 kommt nicht in Betracht, weil die angegriffene Ausführungsform keine filmbildende Zusammensetzung aufweist, deren filmbildendes Material die Anforderungen der Merkmalsgruppe 5 erfüllt

Die angegriffenen Zigarettenpapiere der Verfügungsbeklagten werden mit einer Zusammensetzung behandelt, die Wasser, Stärke und wahlweise Natrium Alginat enthält. Bei der verwendeten Stärke D S 500 der Firma F-Stärke handelt es sich um eine mechanisch fragmentierte und chemisch vernetzte Stärke. Diese wird nach einem patentierten Extrusionsprozess hergestellt. Hierbei entstehen überwiegend unlösliche Stärkefragmente und eine geringe Menge löslicher Stärkeanteile (vgl. Anlage AS11, S. 1381, Ziffer 1.1.2). Eine Quellung der Fragmente in Wasser generiert den Strukturtypus „hairy ball“. Gröbere Teilchen zerfallen dabei zu Teilchen mittlerer Größe. Die entstandene Zusammensetzung bezeichnen sowohl der gerichtlich bestellte Sachverständige Prof. Dr. E als auch der von den Verfügungsbeklagten beauftragte Privatgutachter Prof. Dr. G als Suspension (vgl. Anlage AS3 S. 6, Anlage AR20, S. 2).

Letzterer verdeutlicht dies im Rahmen seines Gutachtens (Anlage AR20, S. 3, Abbildung 1) anhand einer optischen Darstellung von Lösungen/Suspensionen mit Alginat, konventioneller Stärke (Solsize C 40) und fragmentierter Stärke (D S 500):

Lediglich bei der fragmentierten Stärke (D S 500) sind Partikel auf den Boden sedimentiert und es hat sich ein relativ klarer und durchsichtiger Überstand ausgebildet. Alginat und die konventionelle Stärke (Solsize C 40) bilden demgegenüber eine klassische Lösung, d.h. die Flüssigkeit ist homogen und klar.

Auf der angegriffenen Papierumhüllung bilden die in wässriger Suspension vorliegenden fragmentierten Stärketeilchen zwar einen zusammenhängenden Film, dabei sind die Konturen der einzelnen Stärketeilchen aber deutlich sichtbar (Anlage AS3, S. 4, 3. Absatz). Prof. Dr. G visualisiert dies durch lichtmikroskopische Aufnahmen, die die oben beschriebenen Suspensionen/Lösungen mit Alginat, konventioneller Stärke (Solsize C 40) und fragmentierter Stärke (D S 500), aufgebracht auf einem Objektträger, nach Trocknung zeigen:

Während bei Solsize C40 und etwas stärker bei Alginat nur vereinzelte Schmutzpunkte in einem ansonsten homogenen Film zu sehen sind, zeigt D S 500 ein sehr viel heterogeneres Bild, auf dem deutlich die einzelnen Stärkefragmente zu erkennen sind. Soweit die Verfügungsklägerin geltend macht, die Aufnahmen würden Zusammensetzungen mit nur 3% Gewichtsanteil des filmbildenden Materials zeigen, während der Gewichtsanteil von D S 500 bei der angegriffenen Ausführungsform tatsächlich 13 % betrage, mag es richtig sein, dass die einzelnen Partikel bei der in der angegriffenen Ausführungsform verwendeten Zusammensetzung näher aneinander liegen und entsprechend weniger Zwischenräume zu erkennen sind. Dies ändert aber nichts an der Tatsache, dass die einzelnen Partikel als solche in der Zusammensetzung erkennbar sind und nicht etwa in Lösung vorliegen. Dies bestätigt auch das von der Verfügungsklägerin eingereichte Gutachten von Prof. Dr. H (Anlage AS12), in dem sich auf S. 7 in Abbildung 8 die nachfolgend wiedergegebene lichtmikroskopische Aufnahme von D S 500, aufgebracht auf einen Objektträger, befindet:

Wie der Gutachter angesichts dieser Aufnahme zu der Annahme einer nahezu homogenen Struktur kommt, erschließt sich der Kammer nicht. Vielmehr sind die Konturen der einzelnen Teilchen deutlich erkennbar. Dass diese kolloidale Dimensionen (< 10-5 cm) hätten, wird von keiner Seite behauptet und hat auch der Gutachter nicht festgestellt. Der erzeugte Film stellt sich – jedenfalls nach dem derzeitigen Kenntnisstand der Kammer – gerade nicht als gleichmäßig dar.

Die in D S 500 enthaltene geringe Menge wasserlöslicher Teilchen (ca. 4,6 Masseprozent) ändert hieran – auch in funktionaler Hinsicht – offensichtlich nichts. Prof. Dr. G verifiziert diese Annahme in seinem Gutachten durch den Vergleich mit einer lichtmikroskopischen Aufnahme einer Schicht, hergestellt aus der gewaschenen und von löslichen Stärkeanteilen befreiten Fraktion von D S 500 (Anlage AR20, S. 5, Abbildung 3).

Dass die D S 500-Stärke als hydrogelartige Substanz ggf. Eigenschaften von gelösten Substanzen aufweist (vgl. Anlage AR20, S. 11), reicht nicht zur Verwirklichung der Merkmalsgruppe 5. Denn diese verlangt zur Verringerung der Entzündungsneigungscharakteristika von Rauchwaren gerade die Verwendung eines bestimmten filmbildenden Materials, das in Lösung die Eigenschaften der Merkmale 5.1 und 5.2 aufweist. Nachdem die in der angegriffenen Ausführungsform verwendete D S 500-Stärke aber gerade nicht in erfindungsgemäßer Weise in Lösung gehen kann, lässt sich die Verwirklichung von Merkmal 5.2 nicht feststellen. Dies gilt insbesondere deshalb, weil bei einer mit D S 500 hergestellten Suspension eben nicht jede Teilmenge exakt die gleiche Zusammensetzung aufweist, wie dies bei echten oder auch bei kolloidalen Lösungen gerade der Fall ist.

b)
Vor diesem Hintergrund muss auch die Annahme einer Verwirklichung des Verfügungspatentanspruchs 1 mit äquivalenten Mitteln ausscheiden.

Damit eine vom Wortsinn des Patentanspruchs abweichende Ausführung in dessen Schutzbereich fällt, muss dreierlei erfüllt sein. Die Ausführung muss erstens das der Erfindung zugrunde liegende Problem mit zwar abgewandelten, aber objektiv gleichwirkenden Mitteln lösen. Zweitens müssen seine im Prioritätszeitpunkt gegebenen Fachkenntnisse den Fachmann befähigt haben, die abgewandelte Ausführung mit ihren abweichenden Mitteln als gleichwirkend aufzufinden. Die Überlegungen, die der Fachmann hierzu anstellen muss, müssen schließlich drittens am Sinngehalt der im Patentanspruch unter Schutz gestellten Lehre orientiert sein (OLG Düsseldorf, CIPR 2014, 13).

Es kann dahinstehen, ob mit der in der angegriffenen Ausführungsform verwendeten Stärke D S 500 eine objektiv gleiche Wirkung erzielt werden kann wie mit einem erfindungsgemäßen filmbildenden Material gemäß der Merkmalsgruppe 5. Denn jedenfalls kann die Kammer nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand nicht feststellen, dass die Verwendung von D S 500 für den Fachmann nahe lag und dieser sich, um das Austauschmittel aufzufinden, gerade am Sinngehalt der im Verfügungspatent unter Schutz gestellten Lehre orientiert hat.

D S 500 war im Prioritätszeitpunkt des Verfügungspatents unstreitig noch nicht bekannt. Der Verfügungsbeklagten zu 1) ist mit dem EP 1 933 651 ein eigenes Patent auf die Verwendung eines mechanisch fragmentierten und chemisch vernetzten Polysaccharid in einem Umhüllungsmaterial für Rauchwaren erteilt worden. Diese Patenterteilung stellt eine sachverständige Äußerung gegen die Annahme von Äquivalenz dar. Für die Annahme der Unrichtigkeit dieser sachverständigen Äußerung fehlt es der Kammer – jedenfalls nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand – an stichhaltigen Argumenten.

Daneben kann die Kammer auch nicht mit der für den Erlass einer einstweiligen Verfügung notwendigen Sicherheit feststellen, dass der Fachmann gerade am Sinngehalt der im Patentanspruch unter Schutz gestellten Lehre orientiert das Austauschmittel aufzufinden vermochte. Dieses Erfordernis setzt voraus, dass der Patentanspruch in allen seinen Merkmalen nicht nur den Ausgangspunkt, sondern die maßgebliche Grundlage für die Überlegungen des Fachmanns bildet (BGHZ 150, 149 – Schneidmesser I; BGH, GRUR 1989, 903, 904 – Batteriekastenschnur; BGH, GRUR 2002 519, 521 – Schneidmesser II; BGH, GRUR 2002, 527, 528 – Custodiol II; BGHZ 189, 330 – Okklusionsvorrichtung; OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2014, 185, 193 – WC-Sitzgelenk). Es reicht demgegenüber nicht aus, dass der Fachmann aufgrund seines Fachwissens eine Lehre als technisch sinnvoll und gleichwirkend zu der in den Patentansprüchen formulierten Lehre erkennt. Die angegriffene Ausführungsform muss in ihrer für die Merkmalsverwirklichung relevanten Gesamtheit eine auffindbar gleichwertige Lösung darstellen (BGH, GRUR 2007, 959 – Pumpeneinrichtung). Bei allem ist der Patentinhaber an die technische Lehre gebunden, die er unter Schutz hat stellen lassen (BGHZ 150, 161 – Kunststoffrohrteil). Die vom Patent gegebene technische Lehre muss von ihm als sinnhaft hingenommen werden und darf bei der Suche nach einem gleichwirkenden Ersatzmittel in ihrer sachlichen Berechtigung nicht infrage gestellt werden (OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.09.2013, Az.: I-2 U 23/13, BeckRS 2013, 18749).

Unter Beachtung dieser Rechtsgrundsätze kann die Gleichwertigkeit im Streitfall nicht festgestellt werden. Die Klagepatentschrift trifft zwar keine Auswahlentscheidung in dem Sinne, dass sie für das von ihr formulierte Problem ausdrücklich nur filmbildende Materialien zulässt, die in Lösung gehen können, allerdings waren im Stand der Technik, auf den die Klagepatentschrift ausdrücklich Bezug nimmt, sowohl Lösungen als auch Suspensionen zur Verringerung der Durchlässigkeit von Papierumhüllungen für Rauchwaren bekannt. In Kenntnis dessen hat die Anmelderin den Verfügungspatentanspruch 1 so formuliert, dass in den Merkmalen 5.1. und 5.2. nur der Begriff der Lösung verwendet wird. Nach derzeitigem Sach- und Streitstand erscheint es der Kammer durchaus möglich und sogar wahrscheinlich, dass der Fachmann bei sinnvollem Verständnis der Patentschrift als Ganzes die Botschaft entnimmt, dass die erfindungsgemäße Lehre auf filmbildende Materialen beschränkt ist, die in Lösung gehen können (ggf. auch in kolloidale Lösung). Denn für den Fachmann stellt sich die Herstellung einer Suspension als chemische Alternative zu der erfindungsgemäßen Herstellung einer Lösung dar. Wählt der Fachmann vor diesem Hintergrund ein Material aus, dass in einem Dispersionsmittel mit Teilchengrößen suspergiert, die weit größer als 10-5 cm sind, orientiert er sich zur Lösung der im Verfügungspatent formulierten Aufgabe gerade nicht am Sinngehalt der im Patentanspruch unter Schutz gestellten Lehre, sondern stellt hiervon unabhängige Überlegungen an.

III.
Die Ausführungen der Verfügungsbeklagten in ihrem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 15.04.2015 geben keinen Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung. Sie befassen sich vordringlich mit der Analyse des durch D S 500 gebildeten Films, lassen aber den für die Kammer im Rahmen ihrer Entscheidung maßgeblichen Begriff der „Lösung“ außer Acht.

IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 (1. Halbsatz) ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 6, 711 S. 2 ZPO.

Der Streitwert wird auf 1.000.000,- EUR festgesetzt.