4b O 208/03 – Faltbare Hartfaserplatten

Düsseldorfer Entscheidung Nr.:  266

Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 25. Mai 2004, Az. 4b O 208/03

I.

Die Beklagte wird verurteilt,

1.

es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,– EUR – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, zu unterlassen,

Q, insbesondere Hartfaserplatten,

in der Bundesrepublik Deutschland herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,

bei denen wenigstens eine eine Faltung der Platte um eine Schwenkachse ermöglichende und im Bereich der Schwenkachse angeordnete Nut vorgesehen ist und bei denen die Nut wenigstens teilweise mit einem die zu faltenden Plattenteile verschwenkbar verbindenden Kleber versehen ist;

2.

der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie, die Beklagte, die unter 1. bezeichneten Handlungen seit dem 5. April 1997 begangen hat, und zwar unter Angabe

a)

der Herstellungsmengen und Herstellungszeiten,

b)

der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,

c)

der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, Lieferzeiten und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der jeweiligen Abnehmer,

d)

der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, Angebotszeiten und Preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,

e)

der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,

f)

der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns, der nicht durch Abzug von Fixkosten und variablen Gemeinkosten gemindert ist, es sei denn, diese könnten ausnahmsweise den unter 1. genannten Gegenständen unmittelbar zugeordnet werden;

wobei die Angaben zu f) lediglich für die Zeit seit dem 4. März 1998 zu machen sind;

wobei der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nicht gewerblichen Abnehmer sowie der Angebotsempfänger anstelle der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn gleichzeitig beauftragt und ermächtigt, der Klägerin auf Verlangen Auskunft darüber zu erteilen, ob ein bestimmt bezeichneter Abnehmer oder ein bestimmt bezeichneter Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist.

II.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist,

1.

der Klägerin für die unter I. 1. bezeichneten, in der Zeit vom 5. April 1997 bis zum 3. März 1998 begangenen Handlungen eine angemessene Entschädigung zu zahlen;

2.

der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die unter I. 1. bezeichneten, in der Zeit seit dem 4. März 1998 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.

III.

Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.

IV.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 1 Millionen EUR vorläufig vollstreckbar. Die Sicherheit kann auch durch die unbedingte Bürgschaft einer in Deutschland ansässigen, als Zoll- und Steuerbürgin anerkannten Bank oder Sparkasse erbracht werden.

Tatbestand:

Die ehemals als V-Werk B. I GmbH & Co. KG firmierende Klägerin ist eingetragene Inhaberin des u.a. mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 759 839 (Klagepatent, Anlage K 1), dessen Anmeldung vom 20. April 1995 am 5. März 1997 veröffentlicht und dessen Erteilung am 4. Februar 1998 bekanntgemacht wurde. Mit Entscheidung vom 27. September 2002 (Anlage K 7) hat die Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts nach der Einlegung mehrerer Einsprüche gegen die Patenterteilung das Klagepatent im Umfang seiner Patentansprüche 1 bis 15 aufrechterhalten. Die Klägerin ist ferner eingetragene Inhaberin des deutschen Gebrauchsmusters 295 22 390 (Klagegebrauchsmuster, Anlage K 3), dessen Eintragung vom 9. Januar 2003 am 13. Februar 2003 bekanntgemacht wurde. Die Klageschutzrechte betreffen eine Platte, insbesondere Hartfaserplatte. Der im vorliegenden Rechtsstreit vornehmlich interessierende Patentanspruch 1, der inhaltsgleich mit Schutzanspruch 1 des Klagegebrauchsmusters ist, weist folgenden Wortlaut auf:

„Platte, insbesondere Hartfaserplatte, dadurch gekennzeichnet, dass wenigstens eine eine Faltung in der Platte (10) um eine Schwenkachse (51) ermöglichende und im Bereich der Schwenkachse (51) angeordnete Nut (40; 48) vorgesehen ist und dass die Nut (48; 40) wenigstens teilweise mit einem die zu faltenden Plattenteile verschwenkbar verbindenden Kleber (46) versehen ist“.

Die nachfolgenden Abbildungen (Figuren 3 und 4 der Klagepatentschrift) veranschaulichen den Erfindungsgegenstand anhand eines bevorzugten Ausführungsbeispiels.

Die Beklagte stellt her und vertreibt faltbare Hartfaserplatten, von denen die Klägerin als Anlage K 9 ein Musterstück zur Akte gereicht hat. Die Faltplatte besteht aus zwei einzelnen Q, welche mit einem Kleber verbunden sind. Auf der der Sichtseite gegenüberliegenden Seite sind die Kanten der Einzelplatten im Verbindungsbereich abgeschrägt. Auf den Abschrägungen befindet sich die die Q verbindende Kleberschicht.

Die Klägerin sieht durch Herstellung und Vertrieb der vorbezeichneten Faltplatte ihre Rechte aus dem Klagepatent und dem Klagegebrauchsmuster verletzt und nimmt die Beklagte deshalb auf Unterlassung, Rechnungslegung, Entschädigung und Schadensersatz in Anspruch.

Die Klägerin beantragt,

zu erkennen wie geschehen.

Die Beklagte beantragt,

1.

die Klage abzuweisen;

2.

hilfsweise, den Rechtsstreit mit Rücksicht auf die gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung erhobenen Beschwerden bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die gegen das Klagepatent eingelegten Einsprüche auszusetzen;

3.

äußerst hilfsweise, ihr hinsichtlich des Rechnungslegungsbegehrens einen Wirtschaftsprüfervorbehalt einzuräumen.

Die Beklagte bestreitet den Verletzungstatbestand und macht geltend: Da bei der angegriffenen Ausführungsform entsprechend dem in der DE-PS 198 04 787 (Anlage B 3) offenbarten Verfahren lediglich die Faltbarkeit zwischen zwei getrennten Faserplatten hergestellt werde, handele es sich nicht im Sinne der Klageschutzrechte um eine Platte mit einer hierin befindlichen Nut, die mit Kleber versehen sei.

Das Klagegebrauchsmuster sei nicht schutzfähig. Das Klagepatent werde sich im anhängigen Einspruchsverfahren nicht als rechtsbeständig erweisen, so dass der Rechtsstreit zumindest auszusetzen sei.

Die Klägerin tritt dem Aussetzungsantrag der Beklagten entgegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der beiderseitigen Schriftsätze und der mit ihnen vorgelegten Anlagen und Urkunden Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Der Klägerin stehen die zuerkannten Ansprüche auf Unterlassung, Rechnungslegung, Entschädigung und Schadensersatz zu, da die Beklagte von der technischen Lehre der Klageschutzrechte widerrechtlich Gebrauch gemacht hat.

I.

Die Klageschutzrechte betreffen eine Platte, insbesondere Hartfaserplatte.

Gemäß den einleitenden Ausführungen der Klageschutzschriften ist es üblich, für die Rückwand von Schränken Hartfaserplatten zu benutzen. Die Sichtseite der Platte war dabei häufig mit einer Kunststofffolie versehen. Dies erlaubte es, die Hartfaserplatte zu unterteilen, um sie während der Weiterverarbeitung, der Lagerung oder des Transports mit den Sichtseiten zueinander falten zu können. Bei einer derartigen Anordnung ist die Zweiteilung der Platte nicht sichtbar, da die einzelnen Teile durch die Folie zusammengehalten werden. PVC-Folien sollen aus Gründen des Umweltschutzes aber nicht mehr benutzt werden. Als Alternative bietet sich insoweit an, auf der Rückseite der Hartfaserplatten im Teilungsbereich eine Klebefolie anzubringen, um dann die beiden Rückseiten gegeneinander falten zu können. Nachteilig ist hieran jedoch, dass die Sichtseiten zur Vermeidung von Beschädigungen gesondert verpackt werden müssen und dass nach dem Einbau der Rückwand in einen Schrank eine deutlich sichtbare Fuge verbleibt und die Rückwand nicht die gewünschte Stabilität aufweist.

Eine weitere Möglichkeit der Platzersparnis bei Transport und Lagerung von Hartfaserplatten besteht darin, sie als mehrteilige Rückwand anzuliefern und über Kunststoffverbindungsstücke miteinander vor Ort zu verbinden. Dazu müssen jedoch verschiedene Teile hergestellt, ausgeliefert und zusammengebaut werden. Auch ist die Stabilität einer solchen Rückwand problematisch.

Vor diesem Hintergrund liegt der Erfindung nach den Klageschutzrechten die Aufgabe zugrunde, eine Platte, insbesondere Hartfaserplatte, bereitzustellen, bei der eine Faltung in Richtung der Sichtflächen ohne Verwendung eines auf die Sichtfläche aufzubringenden Klebestreifens möglich ist und dies bei gleichzeitig hoher Stabilität der Q im auseinandergefalteten Zustand und gleichzeitig geringen Herstellungskosten. Zur Lösung dieser Aufgabe sehen Patentanspruch 1 des Klagepatents und Anspruch 1 des Klagegebrauchsmusters die Kombination folgender Merkmale vor:

1.

Platte (10), insbesondere Hartfaserplatte;

2.

die Platte verfügt über wenigstens eine Nut (40, 48),

a)

die eine Faltung der Platte um eine Schwenkachse (51) ermöglicht und

b)

im Bereich der Schwenkachse angeordnet ist;

3.

die Nut ist wenigstens teilweise mit einem die zu faltenden Plattenteile verschwenkbar verbindenden Kleber (46) versehen.

Den weiteren Ausführungen der Klageschutzschriften zufolge schafft die erfindungsgemäße Anordnung die Möglichkeit, die Platte derart zu falten, dass die zu schützenden Sichtseiten gegeneinanderliegend gelagert werden können, ohne dass ein Klebestreifen auf die Nut aufgebracht werden muß. Es wird eine Platte geschaffen, die nach ihrer Entfaltung eine hohe Seitenstabilität aufweist.

Eine optimale Verschwenkbarkeit der Q wird erreicht, wenn im Bereich der Schwenkachse zwei einander gegenüberliegende Nuten angeordnet sind, von der wenigstens eine mit einem die zu faltenden Plattenteile verschwenkbar verbindenden Kleber versehen ist. Ein erhöhter Auftrag im Bereich der Schwenkachse ist in diesem Fall nicht zu befürchten, d.h. die Q können weitgehend plan gegeneinander gelegt und bei Bedarf auseinandergefaltet werden, ohne dass hierzu weitere technische Hilfsmittel von Nöten sind (vgl. Spalte 2, Zeilen 37 bis 49 der Klagepatentschrift).

Der Kleber dient nach den Darlegungen der Klageschutzschriften nur dem Zweck, die Faltbarkeit der Q sicherzustellen. Ein Verkleben anlässlich des Positionierens beim Zusammenbau in Berührung tretender Kleber beschichteter Flächen ist weder beabsichtigt noch zu erwarten, weil der Kleber eine Scharnierfunktion hat, die auch nach Zerlegen eines mit den erfindungsgemäßen Q montierten Möbels weiterhin nutzbar ist.

II.

Die angegriffene Hartfaserplatte macht von der technischen Lehre der Klageschutzrechte Gebrauch.

Ob es sich bei der angegriffenen Ausführungsform im Sinne von Merkmal 1 um eine Platte mit einer in ihr befindlichen Nut (Merkmal 2), die mit Kleber versehen ist (Merkmal 3), handelt, hängt davon ab, ob der Fachmann die in Patentanspruch 1 des Klagepatents und Schutzanspruch 1 des Klagegebrauchsmusters niedergelegte technische Lehre auf eine (Hartfaser-)Platte beschränkt, die im Bereich der Nut nicht durchtrennt ist, also nicht – wie die angegriffene Ausführungsform – aus zwei Q(teilen) besteht, die mittels Kleber verbunden sind, so dass man nur dann vom Vorhandensein einer Nut sprechen kann, wenn man den Kleber als Teil der Nut (Nutgrund) begreift. Eine derart einschränkende Betrachtung ist zu verneinen.

Bereits der Anspruchswortlaut spricht gegen die Auslegung der Beklagten. Wie Merkmal 3 zu entnehmen ist, besteht die faltbare Platte aus Plattenteilen. Ferner lehrt Merkmal 3, dass die Plattenteile mit Kleber verbunden sind. Ebenso heißt es in der allgemeinen Patentbeschreibung mehrfach, dass die Nuten mit einem die zu faltenden Plattenteile verschwenkbar verbindenden Kleber versehen sind (z.B. Spalte 2, Zeilen 27/28; Zeilen 41 bis 43). Soll die Platte aber aus mehreren Teilen bestehen, die mittels Kleber verbunden sind oder verbunden bleiben, folgt daraus, dass die Klageschutzrechte auch eine Ausführungsform erfassen, bei der die Plattenteile in keinem einheitlichen Materialkontakt im Bereich der Faltungslinie stehen. Anderenfalls läge keine Klebeverbindung zwischen den Teilen, sondern allenfalls eine den Materialzusammenhalt unterstützende Klebeschicht vor.

Vor diesem Hintergrund kann der Beklagten nicht in der Einschätzung gefolgt werden, von einer Nut im technischen Sinne könne nicht mehr gesprochen werden, wenn eine Materialdurchtrennung vorliege. Es mag sein, dass im allgemeinen technischen Sprachgebrauch eine Nut nicht so tief in das Material eingreifen darf, dass es durchtrennt wird. Vorliegend entnimmt der Fachmann den Klageschutzrechten jedoch die technische Lehre, dass im Bereich der Nut die zu faltenden Plattenteile (verschwenkbar) durch Kleber verbunden sind. Verbinden heißt aber (auch) die Trennung von zwei Gegenständen mittels eines Verbindungsmediums (Kleber) aufzuheben und so zu einem Gesamtgegenstand (Platte) mit den erfindungsgemäßen Eigenschaften zu gelangen.

Bestätigung findet dies auch in der Aufgabenstellung des Klagepatents (Spalte 2, Zeilen 3 bis 10) und deren Lösung, mit der es sich vom vorbekannten Stand der Technik abgrenzen will. Die vorbekannten Q mit Kunststofffolienbeschichtung oder mit Klebefolie im rückseitigen Teilungsbereich sind geteilt bzw. getrennt. Die für eine Faltung der Q notwendige Teilung aufzugeben, ist nicht erklärtes Ziel des Klagepatents. Gemäß seiner Aufgabenstellung soll lediglich eine Platte bereitgestellt werden, bei der eine Faltung in Richtung der Sichtflächen ohne Verwendung eines auf die Sichtfläche aufzubringenden Klebestreifens möglich ist, wobei die Q im auseinandergefalteten Zustand eine hohe Stabilität aufweisen sollen. Die Forderung einer festen Materialverbindung zwischen den Q lässt sich daraus nicht ableiten. Im Gegenteil: Ein sauberes Falten von Hartfaserplatten um 180° erscheint nur möglich, wenn eine Trennung in zwei Plattenteile vorliegt, da ansonsten mit dem Reißen und/oder Brechen der noch bestehenden Materialverbindung der Plattenteile zu rechnen ist. Dies würde die Optik der Platte in nicht erwünschter Weise negativ beeinflussen. Darüber hinaus ist aus dem in Figur 4 gezeigten Ausführungsbeispiel ersichtlich, dass in der dort gezeigten Ausführungsform mit zwei sich gegenüberliegenden trapezförmigen Nuten die Plattenteile nur noch durch die eingebrachten schraffierten Klebebereiche 46 und die der Sichtseite angepasste elastische Farbe 36 verbunden sind (vgl. auch Spalte 3 Zeilen 10 bis 22 der Klagepatentschrift). Da es für den Fachmann insoweit nur eine optionale Möglichkeit darstellt, die in die Sichtfläche ragende Nut mit der elastischen Farbe 36 zu versehen, ergibt sich auch daraus, dass über die Klebeverbindung hinaus keine Materialverbindung zwischen den Plattenteilen bestehen muß. Auch hieraus folgt, dass der Begriff Nut nicht im engen Sinne eine Vertiefung mit materialeinheitlichem Nutgrund (d.h. mit verbleibender Materialverbindung der Platte) bezeichnet. Vielmehr ergibt sich für den Fachmann aus der Patentbeschreibung und Figur 4, die Platte in zwei Teile zu trennen und die entstehenden Plattenteile mit einem Kleber zu verbinden, der gleichzeitig eine Scharnierfunktion übernimmt.

Bestätigung findet diese Sichtweise in der fachkundigen Auslegung des Klagepatents durch die Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts in ihrer Entscheidung vom 27. September 2002 (Anlage K 7). Dort führt die Einspruchsabteilung mehrfach aus, dass in Abgrenzung zum entgegengehaltenen Stand der Technik Kern der Erfindung nach dem Klagepatent ist, allein dem die Plattenteile verbindenden Kleber die Funktion des Faltscharniers zuzuweisen (vgl. Anlage K 7, Seite 6 unter 4.3, Seite 9 3. Absatz und insbesondere Seite 11 3. und vorletzter Absatz; vgl. auch Spalte 3, Zeilen 32 bis 39 der Klagepatentschrift). Dem widerspräche es, wenn zwischen den Plattenteilen und der dort befindlichen Nut eine Materialverbindung bestehen bleiben würde, da in diesem Falle nicht nur die über die Nut hergestellte Klebeverbindung (bzw. genauer gesagt Klebeverstärkung), sondern das Plattenmaterial selbst an der Scharnierfunktion beteiligt würde.

Etwas anderes lässt sich auch nicht aus der von der Beklagten hervorgehobenen Beschreibungsstelle Spalte 2, Zeilen 44 bis 46 der Klagepatentschrift herleiten, wonach bei der Verwendung von zwei gegenüberliegenden Nuten eine optimale Verschwenkbarkeit der Q ermöglicht wird, ohne dass es zu einem erhöhten Auftrag im Bereich der Schwenkachse kommt. Die Beschreibungsstelle gibt nicht zwingend vor, welcher Art der angesprochene Auftrag zu sein hat. Es muß sich also nicht zwingend um einen Materialauftrag handeln, der durch das Zusammenstauchen einer zwischen den Plattenteilen noch vorhandenen Materialbrücke im Falle des Zusammenfaltens auftritt. Vielmehr kommt es ebenso zu einem Auftrag, wenn Kleber oder eine andere Füllmasse im Bereich derjenigen Nut, die der Sichtseite der Platte zugeordnet ist, aufgebracht ist. So steht bei dem in Figur 4 gezeigten Ausführungsbeispiel außer Frage, dass die in der Nut 48 eingebrachte Füllmasse 36 beim Falten der Plattenteile gegen die Sichtseite 27 zusammengestaucht und – jedenfalls im gefalteten Zustand – einen Auftrag bewirken wird.

Schließlich kann sich die Beklagte auch nicht mit Erfolg darauf berufen, bei der angegriffenen Ausführungsform sei im Sinne von Merkmal 3 die Nut nicht mit Kleber versehen. Bereits der Anspruchswortlaut schließt nicht aus, dass der Kleber an der Bildung der Nut bzw. konkreter gesagt des Nutgrundes beteiligt ist. Vielmehr leitet die erfindungsgemäße Funktion des Klebers den Fachmann sogar an, den Kleber als Nutgrund zu verwenden. Denn gerade bei einer solchen Ausgestaltung stellt der Kleber die Verbindung zwischen den Plattenteilen her und dient nicht lediglich als Klebeverstärkung. Ferner erscheint nur so gewährleistet, dass allein der Kleber die Verschwenkbarkeit der Plattenteile gegeneinander ermöglicht. Im übrigen ist Unteranspruch 8 zu entnehmen, dass die gegenüberliegenden Nuten 40 und 48 eine gemeinsame Grundlinie 49 aufweisen können, wobei – wie aus Figur 4 ersichtlich und in Unteranspruch 9 angeordnet – die Nut 48 der Plattensichtfläche mit der elastischen Farbe 36 gefüllt werden kann, so dass die Grundlinie 49 zwischen der elastischen Farbe 36 und dem Kleber 46 verläuft. Eine einstückige Materialverbindung zwischen den Plattenteilen im Bereich der Nut ist in diesem Fall nicht gegeben. Ferner ist das Vorsehen der elastischen Farbe 36 lediglich bevorzugt beansprucht mit der Konsequenz, dass die Nut 48 erfindungsgemäß auch materialfrei belassen werden kann. Dann werden die Plattenteile – nicht anders als bei der angegriffenen Ausführungsform – aber ausschließlich durch den Kleber 46 verbunden und schwenkbar gegeneinander gelagert.

III.

Aufgrund des festgestellten Verletzungstatbestandes ist die Beklagte der Klägerin gemäß Artikel 64 Abs. 1 EPÜ, § 139 Abs. 1 PatG zur Unterlassung und, da sie zumindest fahrlässig gehandelt hat, gemäß Artikel 64 Abs. 1 EPÜ, § 139 Abs. 2 Satz 2 PatG zum Schadensersatz und gemäß Artikel II § 1 Abs. 1 IntPatÜG zur Entschädigung verpflichtet.

Die Schadensersatz- und Entschädigungshöhe ist derzeit ungewiss. Die Klägerin hat deshalb ein berechtigtes Interesse daran, dass die Schadensersatzhaftung und Entschädigungsverpflichtung der Beklagten zunächst dem Grunde nach gemäß § 256 ZPO festgestellt wird. Damit die Klägerin in die Lage versetzt wird, ihren Anspruch auf Schadensersatz und Entschädigung zu beziffern, hat die Beklagte im zuerkannten Umfang Rechnung über ihre Benutzungshandlungen zu legen (§§ 242, 259 BGB, § 140 b PatG).

Da sich die von der Klägerin geltend gemachten Rechte bereits vollständig aus dem Klagepatent ergeben, kann dahingestellt bleiben, ob das Klagegebrauchsmuster schutzfähig ist und ebenfalls Unterlassungs-, Rechnungslegungs- und Schadensersatzansprüche gegenüber der Beklagten begründet.

IV.

Nachdem das Klagepatent im Einspruchsverfahren aufrechterhalten worden ist und die gegen die Einspruchsentscheidung gerichteten Beschwerden erfolglos geblieben sind, kommt die von der Beklagten beantragte Aussetzung des Rechtsstreits gem. § 148 ZPO nicht in Betracht.

V.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Anordnungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit und zur Sicherheitsleistung folgen aus §§ 709 Satz 1, 108 ZPO.

Der Streitwert beträgt 1.000.000,– EUR.

Dr. D2 M2 L2