4a O 291/04 – Testkit

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 358

Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 30. August 2005, Az. 4a O 291/04

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

III. Das Urteil ist für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar. Die Sicherheit kann auch durch die unbedingte Bürgschaft einer im Gebiet der Europäischen Union ansässigen, als Zoll- und Steuerbürgin zugelassenen Bank oder Sparkasse erbracht werden.

T a t b e s t a n d

Die Klägerin ist ausschließliche Lizenznehmerin des europäischen Patentes 0 690 xxx (Anlage K 1, deutsche Übersetzung Anlage K 3, nachfolgend Klagepatent). Eingetragene Patentinhaberin ist die A AB in B (Schweden). Der Lizenzvertrag zwischen der Klägerin, dem Erfinder und der Patentinhaberin wurde am 19. Dezember 1996 geschlossen. Das Klagepatent wurde unter Inanspruchnahme schwedischer Prioritäten vom 29. Januar 1993 und 20. Juli 1993 am 28. Januar 1994 angemeldet. Die Anmeldung wurde am 10. Januar 1996 veröffentlicht, die Patenterteilung am 22. Juli 1998. Das Klagepatent, dessen Verfahrenssprache Englisch ist, wurde auch mit Schutz für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilt.

Neben anderen führte die Beklagte ein Einspruchsverfahren gegen den Rechtsbestand des Klagepatentes bei dem Europäischen Patentamt. Mit Zwischenentscheidung vom 20. März 2003 (Anlage K 4, 4a), welche rechtskräftig geworden ist, hat die Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamtes das Klagepatent eingeschränkt aufrecht erhalten. Das Klagepatent betrifft eine neue Antikoagulant-Cofaktor-Aktivität.

Der für den vorliegenden Rechtsstreit maßgebliche Patentanspruch 29 hat in seiner eingeschränkt aufrechterhaltenen und veröffentlichten Fassung folgenden Wortlaut:

Verfahren zur Bestimmung des Auftretens einer oder mehrere Faktor V-Genmutationen, wobei die Mutationen auf einem oder mehreren Nucleinsäurefragmenten und/oder Sequenzen des Faktor V-Gens lokalisiert sind und die Expression eines mutierten Faktor V-Moleküls, das mit der Expression eines defekten Antikoagulationsfaktors V assoziiert ist, bewirken, wobei der defekte Antikoagulationsfaktor V keine APC-Cofaktoraktivität exprimiert und mit APC-Resistenz assoziiert ist, wobei die Mutation(en) als eine abnormale Abwesenheit oder Anwesenheit von einem oder mehreren Nucleinsäurefragmenten und/oder –sequenzen im Faktor V-Gen, die durch die Mutation(en) hervorgerufen ist (sind), bestimmt werden, wobei gebräuchliche Verfahren, z.B. Verfahren auf der Basis von Nucleinsäure-Hybridisierungstests, Nucleinsäuresequenzierung oder Immunoassays herangezogen werden.

Gegen den Rechtsbestand des Klagepatentes erhob die Beklagte am 3. Februar 2005 Nichtigkeitsklage vor dem Bundespatentgericht, über die noch nicht entschieden wurde.

Die Beklagte bietet in Deutschland u.a. diagnostische Produkte an. Sie vertreibt einen Testkit, der als „C-Kit“ bezeichnet wird. Der Testkit wird über die Internetseiten der Beklagten in Deutschland angeboten, wie sich anhand des von der Klägerin als Anlage K 7 überreichten Ausdrucks der Internetseiten mit der Überschrift „DE“ ergibt. Am unteren Rand der Seite wird unter dem Punkt „F“ ein Testkit angeboten.

Nachfolgend abgebildet ist Seite 1 der Beschreibung eines entsprechenden Testkits, welchen die Klägerin von einem in Deutschland ansässigen Abnehmer erhalten hat (Anlage K 8).

Die Klägerin vertritt die Auffassung, dass mit dem angegriffenen Testkit von dem erfindungsgemäßen Verfahren Gebrauch gemacht werde.

Sie beantragt,

I. die Beklagte zu verurteilen,

1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,- €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlungen bis zu insgesamt zwei Jahren,

Testkits zur Durchführung eines Verfahrens zur Bestimmung des Auftretens einer Faktor V-Genmutation

in Deutschland anzubieten oder zu liefern,

wobei die Mutation auf einem Nucleinsäurefragment des Faktor V-Gens lokalisiert sind und die Expression eines mutierten Faktor V-Moleküls, das mit der Expression eines defekten Antikoagulationsfaktors V assoziiert ist, bewirkt, wobei der defekte Antikoagulationsfaktor V keine APC-Cofaktoraktivität exprimiert und mit APC-Resistenz assoziiert ist, wobei die Mutation als eine abnormale Abwesenheit oder Anwesenheit von einem Nucleinsäurefragment und/oder Sequenz im Faktor V-Gen, die durch diese Mutation hervorgerufen ist, bestimmt wird, wobei ein gebräuchliches Verfahren auf der Basis eines Nucleinsäure-Hybridisierungstests herangezogen wird;

2. der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie seit dem 22. August 1998 die vorstehend zu I.1. gekennzeichneten Handlungen in Deutschland begangen hat, und zwar unter Angabe

a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, Lieferzeiten und Lieferpreisen nebst Chargennummern sowie Namen und Anschriften der Abnehmer,

b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, Angebotszeiten und Angebotspreisen nebst Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,

c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,

d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns, der nicht durch Abzug von Fixkosten und variablen Gemeinkosten gemindert ist, es sei denn, diese könnten ausnahmsweise den schutzrechtsverletzenden Gegenständen unmittelbar zugeordnet werden,

wobei es der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nicht gewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Nachfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;

II. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu I.1. bezeichneten, seit dem 22. August 1998 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise, den Rechtsstreit bis zur Entscheidung des Bundespatentgerichts über die Nichtigkeitsklage der Beklagten gegen den deutschen Teil DE 694 11 xxx des Europäischen Patentes EP 0 690 xxx B2 auszusetzen.

Sie vertritt die Auffassung, dass eine Patentverletzung nicht vorliege. Denn das Klagepatent stelle kein Verfahren zur Bestimmung des Auftretens einer bestimmten Faktor V-Genmutation unter Schutz. Mit dem erfindungsgemäßen Verfahren könne vielmehr das Auftreten von einer oder mehreren Genmutationen des Faktor V bestimmt werden. Um ein solches Verfahren handle es sich bei dem angegriffenen Testkit jedoch nicht. Denn damit werde eine bestimmte Faktor V-Genmutation bestimmt, nämlich eine solche, welche unter der Bezeichnung C-bekannt sei. Hierbei handle es sich um einen Gendefekt an Position 1691 der DNA.
Auch werde bei dem C-durch den defekten Antikoagulationsfaktor V nicht eine solche APC-Kofaktor Aktivität exprimiert, dass eine solche überhaupt nicht vorliege. Dies setzte des Klagepatent jedoch voraus.
Im Übrigen sei das Klagepatent nicht rechtsbeständig. Es liege eine unzulässige Erweiterung, eine unzureichende Offenbarung sowie fehlende Neuheit und Erfindungshöhe vor.

Die Klägerin tritt diesem Vorbringen entgegen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Klägerin stehen die geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung, Rechungslegung und Feststellung der Schadensersatzverpflichtung nicht zu, da die angegriffene Ausführungsform von der Lehre nach dem Klagepatent keinen Gebrauch macht.

I.
Die Erfindung nach dem Klagepatent betrifft, nach dessen einleitender Beschreibung, allgemein eine neuartige antikoagulierende Kofaktor-Aktivität, die am menschlichen Blutkoagulationssystem und möglicherweise auch am Blutkoagulationssystem von einigen anderen Säugetieren beteiligt ist.

Zur Erläuterung des Blutkoagulationssystems führt das Klagepatent aus, dass es sich hierbei um ein komplexes System handelt, an dem eine große Anzahl von Proteinen beteiligt ist, die in Verbindung mit Blutplättchen eine Hämostase (Blutgerinnung) bewirken. Dabei unterliegt das Koagulationssystem einer genauen Regulation durch eine Reihe von antikoagulierenden Proteinen, die im Plasma und auf der Oberfläche von Endothelblutzellen vorliegen (Esmon, J.Biol.Chem.Bd. 264 (1989), S. 4743-4746; Bauer, Sem.Hematol. Bd. 28 (1991), S. 10-18; Rapaport, Blood, Bd. 73 (1989), S. 359-365). Unter physiologischen Bedingungen sind pro- und antikoagulierende Mechanismen sorgfältig ausgewogen, um eine Hämostase und Koagulation zu bewirken. Störungen in diesem Gleichgewicht führen entweder zu Blutungen oder zu thromboembolischen Störungen.

Die Erfindung bezieht sich, wie das Klagepatent ausführt, auf eine neue Aktivität, die an einem physiologisch wichtigen Antikoagulationssystem beteiligt ist, das mit Protein C und Protein S assoziiert ist. Dieses System wurde in den letzten Jahren aufgeklärt und ist nachstehend als Teil der Blutkoagulationswechselwirkungen dargestellt.

Zum Stand der Technik führt das Klagepatent weiter aus, dass sich keine Druckschrift mit der neuartigen Aktivität befasst, welche mit dem antikoagulierenden Protein-C-System assoziiert ist.

In diesem Antikoagulationssystem stellt Protein C, ein von Vitamin K abhängiges Plasmaprotein, eine Schlüsselkomponente dar, die nach Aktivierung zu aktiviertem Protein C (APC) an Endothelzellen durch den Thrombin/Thrombomodulin-Komplex selektiv die Koagulationsfaktoren Va und VIIIa, d.h. die aktivierten Formen des Koagulationsfaktors V bzw. VIII, abbaut (Esmon, a.a.O.; Stenflo, Protein C and related proteins, Hrsg. Bertina Churchill Livonstone Langham Group, UK (1988), S. 21-54; Mann et al., Ann. Rev. Biochem., Bd. 57 (1988), S. 915-956; Kane et al., Blood, Bd. 71 (1988), S. 539-555). Die Aktivität von APC wird durch ein weiteres, von Vitamin K abhängiges Plasmaprotein mit der Bezeichnung Protein S beeinflusst, das als Kofaktor für APC beim Abbau der Faktoren Va und VIIIa wirkt (Esmon, a.a.O.; Stenflo, a.a.O.; Dahlbäck, Thromb. Haemostats., Bd. 66 (1991), S. 49-61). Die Faktoren Va und VIIIa sind Phospholipid-gebundene Kofaktoren, die an der Aktivierung von Faktor X bzw. Prothrombin und somit indirekt bei der Umwandlung von Fibrinogen zu Fibrin, d.h. an der Gerinnselbildung, beteiligt sind. Demgemäss ist die Geschwindigkeit der Koagulationsreaktion vom Gleichgewicht zwischen der Aktivierung der Faktoren VIII und V und dem Abbau ihrer aktivierten Formen abhängig, wobei die unaktivierten Faktoren VIII und V schlechte Substrate für APC sind.

Störungen im Blutkoagulationssystem machen sich häufig als ernsthafte und oft lebensbedrohende Zustände bemerkbar. Kenntnisse über die zugrundeliegenden Ursachen für die Störungen sind häufig von entscheidender Bedeutung, um eine Diagnose und/oder eine erfolgreiche Therapie einer aufgetretenen Krankheit oder ein Screening von Personen mit einer Veranlagung für eine Blutkoagulationskrankheit zu ermöglichen. So wurde die therapeutische Anwendung von gereinigtem Protein C als ein Ergebnis der Entdeckung entwickelt, dass ein Protein-C-Mangel mit Thrombophilie verbunden ist. Thrombophilie lässt sich als eine Tendenz zu einem frühen Einsetzen einer venösen thromboembolischen Krankheit bei Erwachsenen in Abwesenheit von bekannten Risikofaktoren definieren. Obgleich Abnormalitäten bei einigen Thrombophiliepatienten festgestellt wurden, wurden beim Großteil derartiger Fälle im Laboratoriumstest keine Abnormalitäten gefunden.

In einigen Fällen ist Thrombophilie mit hypothetischen Faktoren assoziiert, z.B. einem Anti-Protein-C-Antikörper (Mitchell et al., New England Journal of Medicine, Bd. 316 (1987), S. 1638-1642), einem Anti-Kardiolipin-Antikörper (Amer et al., Thrombosis Research, Bd. 57 (1990), S. 247-258) und einem defekten Faktor VIII-Molekül (Dahlbäck et al., Thromb. Haemost., Bd. 65, Abstract 39 (1991), S. 658). In der WO-93/10261, einer Druckschrift die nach dem frühesten Prioritätsdatum des Klagepatentes veröffentlicht wurde, werden in vitro-Verfahren zur Diagnose einer manifestierten Blutkoagulationsstörung oder zum Screening von Personen, die eine Disposition für eine Blutkoagulationsstörung zeigen, beschrieben. Diese Verfahren beruhen auf der Messung der Antikoagulationsreaktion auf exogenes APC, das einer zu testenden Plasmaprobe der Person zugesetzt wird, wobei eine schwache Antikoagulationsreaktion auf APC, d.h. APC-Resistenz, einen Hinweis auf eine Manifestation von oder Veranlagung für Blutkoagulationsstörungen und insbesondere für eine thromboembolische Erkrankung darstellt. Es wird keine Erklärung für die APC-Resistenz gegeben, jedoch wird darauf hingewiesen, dass die Resistenz gegen APC auf unbekannte Wechselwirkungen im Blutkoagulationssystem oder auf einen oder mehrere unbekannte Koagulationsfaktoren davon zurückzuführen sein kann. Jedoch wurden mehrere mögliche Erklärungen, die einen Zusammenhang zwischen der APC-Resistenz mit einem funktionellen Protein-S-Mangel, einem Protein-C-Hemmantikörper, einem Protease-Inhibitor für APC oder einer Mutation, die einen APC-resistenten Faktor Va-Molekül oder eine Faktor VIII-Genmutation ergibt, herstellen, ausgeschlossen.

Das Klagepatent bezieht sich auf einen neuen Defekt bei der Antikoagulationsantwort auf aktiviertes Protein C, die als APC-Resistenz bezeichnet wird. Erfindungsgemäß sei festgestellt worden, dass die APC-Resistenz auf einen Mangel einer bisher unerkannten antikoagulierenden Kofaktor-Aktivität zurückzuführen ist, die die proteolytische Wirkung von APC gegen Faktor Va und Faktor VIIIa verstärkt. Die Befunde, die die Grundlage für das Auffinden der antikoagulierenden Kofaktor-Aktivität darstellen, werden von Dahlbäck et al., Proc. Natl. Acad. Sci. USA, Bd. 90 (1993), S. 1004-1008, (Anlage F 3) beschrieben. Diese Druckschrift weist ein Veröffentlichungsdatum nach dem frühesten Prioritätsdatum des Klagepatentes auf. In seinem Patentanspruch 29 schlägt das Klagepatent auf dieser Grundlage in Übersetzung der englischen Originalfassung folgendes Verfahren vor:

1. Verfahren zur Bestimmung des Auftretens einer oder mehrerer Faktoren V-Genmutationen, wobei

2. die Mutationen auf einem oder mehreren Nucleinsäurefragmenten und/oder Sequenzen des Faktor V-Gens lokalisiert sind und

3. die Expression eines mutierten Faktor V-Moleküls, das mit der Expression eines defekten Antikoagulationsfaktors V assoziiert ist, bewirken, wobei

4. der defekte Antikoagulationsfaktor keine APC-Kofaktor Aktivität exprimiert und

5. mit APC-Resistenz assoziiert ist, wobei

6. die Mutation(en) als eine abnormale Abwesenheit oder Anwesenheit von einem oder mehreren Nucleinsäurefragmenten und/oder Sequenzen im Faktor V-Gen, die durch die Mutation(en) hervorgerufen ist (sind) bestimmt werden, wobei

7. gebräuchliche Verfahren, z.B. Verfahren auf der Basis von Nucleinsäure-Hybridisierungstests oder Nucleinsäuresequenzierung, herangezogen werden.

Dabei wird klarstellend darauf hingewiesen, dass im Hinblick auf die maßgebliche englische Fassung und abweichend von der veröffentlichten deutschen Übersetzung des Patentanspruches 29 in dem Merkmal 7 das Wort „Immunoassay“ gestrichen wurde.

Im Rahmen der Erfindung nach dem Klagepatent wurde festgestellt, dass die antikoagulierende Aktivität durch den Faktor V exprimiert wird, ein Befund, der recht überraschend gewesen sei, da Faktor V eine Vorstufe des Prokoagulationsfaktors Va darstellt, der durch APC im vorerwähnten Protein C-Antikoagulationssystem abgebaut wird. Somit stellt, nach den Ausführungen der Klagepatentschrift, Faktor V den zweiten Kofaktor dar, der für APC gefunden worden ist, wobei es sich beim ersten Kofaktor um Protein S handelt. Das Klagepatent führt weiter aus, dass die antikoagulierende Kofaktor-Aktivität als „APC-Kofaktor-2-Aktivität“ bezeichnet werde, so dass der Kofaktor an sich als „APC-Kofaktor 2“ bezeichnet werde. Da jedoch dessen Verbindung zu Faktor V bestätigt worden sei, werde die Bezeichnung „Faktor-V-Antikoagulationsaktivität“ verwendet.

II.
Die angegriffene Ausführungsform macht von der Lehre nach dem Klagepatent keinen Gebrauch. Eine Verwirklichung des Merkmals 1, welches zwischen den Parteien maßgeblich im Streit steht, liegt nicht vor. Merkmal 1 sieht ein Verfahren zur Bestimmung des Auftretens einer oder mehrerer Faktor V-Genmutationen vor.

Die Klägerin vertritt die Ansicht, dass hierunter auch Diagnoseverfahren zur Identifikation einer spezifisch vorhandenen Mutation bei einem Patienten zu verstehen seien, insbesondere auch ein Diagnoseverfahren zur Bestimmung des Faktor V Leidens, wie bei der angegriffenen Ausführungsform. Bei dem C-handelt es sich um eine Punktmutation an Position 1691 im Faktor-V Gen, welche eine Substitution von Arginin durch Glutamin an Position 506 im Faktor V-Protein verursacht, wodurch dieses partiell resistent gegen Inaktivierung durch APC wird und so die Hemmung der Blutkoagulation verzögert wird.

Demgegenüber vertritt die Beklagte die Auffassung, dass vom Schutzbereich des Verfahrensanspruchs nur Verfahren umfasst seien, die dem Auffinden einer bis dahin nicht bekannten Mutation dienen würden.

Nach Art. 69 EPÜ, § 14 PatG wird der Schutzbereich des europäischen Patentes durch die Patentansprüche bestimmt. Die Beschreibung und die Zeichnungen sind jedoch zur Auslegung der Patentansprüche heranzuziehen. Grundsätzlich wird der Schutzbereich eines Patentes aus der Sicht des auf dem jeweiligen Fachgebiet tätigen, angesprochenen Fachmanns bestimmt. In zeitlicher Hinsicht maßgeblich ist das Verständnis, das dem Fachmann zum Prioritätszeitpunkt zu Gebote stand (BGH, GRUR 1999, 909, 911 – Spannschraube; Benkard/Scharen, EPÜ, Art. 69 Rdnr. 6).

Bei rein philologischer Betrachtungsweise ist nach dem Wortlaut des Merkmals 1 zwar ein Verfahren zur Bestimmung des Auftretens einer bestimmten Faktor V-Genmutationen nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Für das Verständnis der Beklagten spricht jedoch nach Heranziehung der Beschreibung entscheidend, dass der Fachmann beim Studium der Klagepatentschrift keine Anhaltspunkte für eine Faktor V-Genmutation erhält, die ursächlich für die mangelnde Kofaktoraktivität des Faktors V in Verbindung mit dem aktivierten Protein C (nachfolgend APC) ist und anhand derer er ein Diagnoseverfahren an einem konkreten Patienten durchführen könnte.

So heißt es in der Beschreibung des Klagepatentes allgemein, dass festgestellt worden sei, dass die APC-Resistenz auf einen Mangel einer bisher unerkannten antikoagulierenden Kofaktor-Aktivität zurückzuführen ist, die die proteolytische Wirkung von APC gegen Faktor Va und VIIIa verstärke (vgl. Klagepatent Abs. 19) und diese koagulierende Aktivität durch den Faktor V exprimiert werde, weshalb der Faktor V den zweiten Kofaktor darstelle, der für APC gefunden worden sei (vgl. Klagepatent Abs. 20).

Auch an späterer Stelle in der Beschreibung wird dem Fachmann lediglich erläutert, dass es Hinweise darauf gebe, dass eine Information über verschiedene Faktor V-Mutationen auf der Grundlage der Wechselwirkungen zwischen der Faktor V-Antikoagulationsaktivität und Protein S erhalten werden könnten. So wird in Absatz 74 des Klagepatentes ausgeführt:

„Es gibt Hinweise darauf, dass eine Information über verschiedene Faktor V-Mutationen auf der Grundlage der Wechselwirkungen zwischen der Faktor V-Antikoagulationsaktivität und Protein S erhalten werden können. Es lassen sich Verfahren zur Gewinnung von derartigen Informationen in Anwesenheit oder Abwesenheit eines geeigneten Antikörpers bereit stellen. Derartige Verfahren in Anwesenheit eines Antikörpers können als quantitatives Verfahren für einen Analyten, wie Faktor V-Antikoagulationsaktivität und Protein S, herangezogen werden.“

Von der Bereitstellung eines Diagnoseverfahrens zur Bestimmung einer bestimmten Mutation im Faktor V-Gen ist in diesem Zusammenhang nicht die Rede.

Daran ändert sich auch nichts, wenn dem Fachmann anschließend in der Klagepatentschrift (Abs. 75) mitgeteilt wird:

„Neue Ergebnisse unmittelbar vor Einreichung der vorliegenden Patentanmeldung haben bei einer herkömmlichen DNA-Verknüpfungsuntersuchung einer großen Familie mit ererbter APC-Resistenz gezeigt, dass es eine starke Verknüpfung zwischen einem neutralen Polymorphismus im Faktor V-Gen und der Expression von APC-Resistenz gibt. Dies lässt darauf schließen, dass eine Mutation im Faktor V-Gen die Ursache für APC-Resistenz ist. Dies ist ein schlüssiger Beweis dafür, dass Nucleinsäuren-Hybridisierungstests sowie die Nucleinsäuresequenzierung in herkömmlicher Weise eingesetzt werden können, um Individuen mit einem Risiko für thrombotische Ereignisse auf Grund einer geringen Konzentration an APC-Kofaktor-Aktivität von Faktor V aufzufinden. Somit können diese Typen von Tests dazu herangezogen werden, in einem Individuum die abnormale Anwesenheit oder Abwesenheit von einem oder mehreren Nucleinsäurefragmenten und/oder Sequenzen, die spezielle Merkmale für das Vorliegen oder Fehlen der Expression eines Faktor V-Moleküls, das entweder die APC-Kofaktor-Aktivität trägt oder einen Mangel bezüglich dieser Aktivität aufweist, darstellen, zu prüfen.“

Denn auch an dieser Stelle erhält der Fachmann keine Informationen, auf welche spezifische Mutation im Faktor V-Gen die APC-Resistenz zurückgeführt werden kann. Für den Fachmann ergibt sich daraus, dass das in Anspruch 29 unter Schutz gestellte Verfahren allein dem Auffinden einer oder mehrerer solcher spezifischer Mutationen im Faktor V-Gen dient. Erst wenn diese Mutationen aufgefunden sind, können – wie es weiter in der Beschreibung des Klagepatentes heißt – Tests herangezogen werden, in einem Individuum die abnormale Anwesenheit oder Anwesenheit von einem oder mehreren Nucleinsäurefragmenten und/oder Sequenzen zu prüfen, die spezielle Merkmale für das Vorliegen oder Fehlen der Expression eines Faktor V-Moleküls, das entweder die APC-Kofaktoraktivität trägt oder einen entsprechenden Mangel aufweist, darstellen.

Die Auslegung der Kammer wird durch das Verständnis der fachkundig besetzten Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamtes gestützt. Der Ansicht der Einspruchsabteilung kommt zwar keine Verbindlichkeit für das hiesige Verletzungsverfahren zu; sie ist aber als gewichtige sachverständige Stellungnahme zu berücksichtigen (BGH, GRUR 1998, 895, 896 – Regenbecken). So hat die Einspruchsabteilung in ihrer Entscheidung vom 20. März 2003 zu dem Anspruch 29 ausgeführt (vgl. Ziffer 5.4.3 der Anlage K 4a):

„Anspruch 29 bezieht sich auf ein Verfahren, Faktor V-Genmutationen, die die Expression eines APC-resistenten Faktor V-Moleküls bewirken, durch geläufige Verfahren festzustellen (und zu identifizieren). Dieser Anspruch benennt somit nur die Absicht oder Aufforderung, weitere Untersuchungen zur genetischen Basis der mit Faktor V verbundenen APC-Resistenz durchzuführen. Der genannte Anspruch ist nicht mit einem bestimmten Resultat verbunden und setzt nur die Kenntnis des Gens voraus sowie die Kenntnis, wie die durch übliche Verfahren aufgefundenen Mutationen in einer oder mehr vorbestimmten Populationen mit dem Vorhandensein der APC-Resistenz zu korrelieren sind.“

Danach bezieht sich Anspruch 29 lediglich auf ein Verfahren Faktor V-Genmutationen, die die Expression eines APC-resistenten Faktor V-Moleküls bewirken, durch geläufige Verfahren festzustellen und zu identifizieren. Der Anspruch benennt nach Einschätzung der Einspruchsabteilung nur die Absicht oder Aufforderung, weitere Untersuchungen zur genetischen Basis der mit Faktor V verbundenen APC-Resistenz durchzuführen.

Unabhängig von der vorstehend dargestellten Auslegung des Patentanspruches 29 war dem Durchschnittsfachmann zum Zeitpunkt der Anmeldung des Klagepatentes bzw. zum Prioritätszeitpunkt – 29. Januar 1993 und 20. Juli 1993 – eine Mutation des Faktors V, wie sie in den Merkmalen 2 bis 6 der obigen Merkmalsgliederung beschrieben ist, auch nicht bekannt. So wird in einer Druckschrift des Erfinders (Proc. Natl. Acad. Sci. USA, Vol. 90, S. 1004 –1008, Anlage F 3), welche nach dem frühesten Prioritätsdatum des Klagepatentes veröffentlicht wurde und auf welche das Klagepatent Bezug nimmt, auf Seite 1004 linke Spalte am Ende ausgeführt:

„This suggests that there are genetic defects predisposing for thrombosis yet to be identified.“

„Dies legt nahe, dass es genetische Defekte gibt, die für eine noch festzustellende Thrombose prädisponieren.“ (Anlage F 3a Seite 2 vorletzter Absatz)

Weiter wird unter „Results“ auf Seite 1005 rechte Spalte ausgeführt:

The poor anticoagulant response to APC could be due to any of the following mechanisms: (i) an autoantibody to protein C, (ii) a fast-acting protease inhibitor to APC, (iii) protein S deficiency, (iv) mutations in the genes for factors VIII or V (in or close to the regions encoding the APC-cleavage sites), and (v) a previously unrecognized mechanism. These possibilities were investigated.“

„Die schlechte gerinnungshemmende Reaktion auf APC könnte von einer der folgenden Mechanismen herrühren: (i) einem Autoantikörper für Protein C, (ii) einem schnell wirkenden Proteaseinhibitor für APC, (iii) einem Mangel an Protein S, (iv) Mutationen in den Genen für Faktor VIII oder V (in oder nahe bei den Bereichen, die für die APC-Spaltstellen kodieren), und (v) einem zuvor nicht erkannten Mechanismus. Diese Möglichkeiten wurden untersucht.“ (Anlage F 3a Seite 7 Absatz 2)

Der Erfinder der Lehre nach dem Klagepatent vermutet mithin, dass eine Mutation in den Genen der Faktoren VIII oder V die Ursache der APC-Resistenz sein könnte. Dabei werden jedoch auch andere Vermutungen aufgestellt. Auch wird auf Seite 1008 linke Spalt weiter ausgeführt:

Although linkage analysis to the factor V gene was not performed, a mutation in the factor V gene was unlikely because the poor APC response was less pronounced in the factor Xa assay (which only reflected factor Va degradation) than in the APTT- and factor IXa-based assays (which were sensitive to inhibition of both factors VIIIa and Va)….

The inherited poor anticoagulant response to APC described here cannot be explained by the currently accepted scheme of the protein C anticoagulant system. On the basis of results presented in this paper, it would appear to be reasonable to hypothesize the presence in normal plasma of a previously unrecognized cofactor to APC. The poor anticoagulant response to APC found in the proband and many of his relatives appears to be best explained by an inherited deficiency of such a cofactor.“

„Obwohl eine Verknüpfungsanalyse mit dem Gen des Faktors V nicht durchgeführt wurde, war eine Mutation im Gen des Faktors V unwahrscheinlich, weil die schlechte APC-Reaktion im Faktor Xa-Assay weniger ausgeprägt war (der nur einen Faktor Va-Abbau widerspiegelte) als in den auf APTT und Faktor IXa basierenden Assays (die sowohl für die Hemmung von Faktor VIIIa als auch Va) empfindlich waren)…..

Die geerbte schlechte gerinnungshemmende Reaktion auf APC, die hier beschrieben ist, lässt sich nicht durch das gegenwärtig akzeptierte Schema des Protein C-Antikoagulationssystems erklären. Auf der Grundlage von in dieser Studie präsentierten Ergebnissen scheint es vernünftig zu sein, vom Vorhandensein eines vorher nicht erkannten Kofaktors auf APC im normalen Plasma auszugehen. Die schlechte gerinnungshemmende Reaktion auf APC, die beim Probanden und bei vielen seiner Verwandten gefunden wurde, scheint am besten durch einen geerbten Mangel an einem solchen Kofaktor erklärt zu werden.“ (Anlage F 3a Seite 14 Abs. 1 am Ende und Abs. 2)

Diese Druckschrift, welche ohnehin nach dem ersten Prioritätstag des Klagepatentes veröffentlicht wurde, gibt mithin keinen Anhaltspunkt für das Vorliegen eines Gendefektes entsprechend der Merkmale 2 bis 6 der obigen Merkmalsgliederung. Tatsächlich wurde ein Zusammenhang zwischen spezifischen Mutationen im Faktor V-Gen und der APC-Resistenz – wie zwischen den Parteien unstreitig ist – erst im Mai 1994 anhand umfangreicher Studien entdeckt, wie sich aus Bertina et al. (Mutation in blood coagulation factor V associated with the resistence to activated protein C, Nature, Vol. 369, S. 64-67, Anlage F 4, 4a) ergibt.

Diese Auslegung des Merkmals 1 zugrundelegend verwirklicht der angegriffene Testkit das Merkmal nicht. Denn der Testkit beruht auf der bereits gewonnenen Erkenntnis, dass eine bestimmte Punktmutation an der Position 1691 des den Faktor V kodierenden Gens für die APC-Resistenz des Faktors V verantwortlich ist. Das Diagnostikum stellt also das Vorhandensein einer bereits identifizierten Mutation bei einem bestimmten Patienten fest.

III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 709, 108 ZPO.

Der Streitwert beträgt 2.500.000,- EUR.