4a O 51/07 – Radioaktive Diagnostika II

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 884

Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 6. März 2008, Az. 4a O 51/07

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar. Die Sicherheit kann auch durch eine unwiderrufliche, unbedingte, unbefristete und selbstschuldnerische Bürgschaft einer in der Europäischen Union als Zoll- oder Steuerbürgin anerkannten Bank oder Sparkasse erbracht werden.

Tatbestand

Die Klägerin macht mit der Klage gegen die Beklagte wegen einer Verletzung des deutschen Teils des europäischen Patents 0 395 xxx B1 (Klagepatent) Unterlassung, Rechnungslegung, Vernichtung und Feststellung der Schadensersatzpflicht geltend. Die Klägerin ist unter ihrer gegenwärtigen Firmenbezeichnung seit dem 22.12.2006 eingetragene Inhaberin des Klagepatents, das am 06.09.1988 unter Inanspruchnahme einer US-Priorität vom 11.09.1987 von der A angemeldet und dessen Erteilung am 18.01.1995 veröffentlicht wurde. Die deutsche Übersetzung der in englischer Sprache abgefassten Patentschrift wurde am 18.05.1995 veröffentlicht. Das Patent steht in Kraft.

Ursprünglich wurde das Klagepatent von der A angemeldet. Diese übertrug alle mit der Anmeldung im Zusammenhang stehenden Rechte am 01.08.1991 auf die Klägerin. Diese firmierte im Zeitpunkt der Übertragung unter der Bezeichnung B. Später firmierte sie in C um und nahm schließlich den gegenwärtigen Firmennamen an.

Das Klagepatent bezieht sich unter anderem auf Tris(isonitril)kupfer(I)-Addukte. Der von der Klägerin geltend gemachte Patentanspruch 1 des Klagepatents, dessen Verfahrenssprache Englisch ist, lautet in der veröffentlichen deutschen Übersetzung wie folgt:

1. Tris(isonitril)kupfer(I)-Komplex der Formel [Cu(R’’NC)3]X, worin
X ein Anion ist, das aus BF4, PF6, ClO4, I, Br, Cl und CF3COO ausgewählt ist; und R’’ die Formel:
-A-O-R oder AOR

OR’
(I) (Ia)
besitzt, worin
A eine geradkettige oder verzweigte Alkylengruppe ist
und
R und R’ jeweils unabhängig eine geradkettige oder verzweigte Alkylgruppe sind oder zusammengenommen eine geradkettige oder verzweigte Alkylengruppe sind, mit der Maßgabe, dass:
(1) die Gesamtzahl der Kohlenstoffatome in A plus R in Formel (I) 4 bis 6 ist, mit der weiteren Maßgabe, dass wenn die Gesamtzahl der Kohlenstoffatome 6 ist, das zu der Isonitrilgruppe -ständige Kohlenstoffatom ein quartäres Kohlenstoffatom ist, und
(2) die Gesamtzahl der Kohlenstoffatome in A plus R plus R’ in Formel (Ia) 4 bis 9 ist.

Wegen des Wortlauts des „insbesondere“ geltend gemachten Unteranspruchs 2 wird auf die Übersetzung der Klagepatentschrift (Anlage K13) Bezug genommen.

Die Beklagte zu 1) ist ein pharmazeutisches Unternehmen mit Sitz in B, die Beklagte zu 2) hat ihren Sitz in B, Ungarn. Beide Unternehmen vertreiben radioaktive Diagnostika. Die Beklagte zu 1) vertreibt unter anderem ein Arzneimittel mit der Bezeichnung „D“ (nachfolgend angegriffene Ausführungsform) in der Bundesrepublik Deutschland. Die Beklagte zu 2) stellt die angegriffene Ausführungsform in Ungarn nach den zu ihren Gunsten erteilten ungarischen Patenten HU 203 xxx und HU 202 xxx her. Für die angegriffene Ausführungsform besteht in der Bundesrepublik Deutschland keine arzneimittelrechtliche Zulassung. Die Beklagte zu 2) bewirbt die angegriffene Ausführungsform seit dem Ablauf der Patente EP 0 211 xxx und EP 0 233 xxx auf ihrer englischsprachigen Internetseite, die unter anderem die Erklärung enthält, dass die Produkte der Beklagten zu 2) in mehr als 30 Länder – darunter auch die Bundesrepublik Deutschland – verkauft werden. Wegen des weiteren Inhalts des Internetauftritts wird auf die Anlage K23 Bezug genommen.

Das angegriffene Arzneimittel wird in der englischsprachigen Packungsbeilage als „J“ bezeichnet. Die angegriffene Ausführungsform enthält laut Packungsbeilage 0,06 mg Cu(MIBI)4BF4, einen Komplex aus Kupfer, MIBI sowie Fluorborat. Dabei steht MIBI für die Trivialbezeichnung Methoxy-isobutyl-isonitril beziehungsweise nach der IUPAC-Klassifikation für 1-Isocyano-2-Methoxy-2-Methyl-Propan. MIBI hat die Summenformel CNCH2C(CH3)2OCH3. Wird MIBI mit 99mTc vermischt, entsteht nach Reduktion des Technetiums der Koordinationskomplex 99mTc-MIBI6+.

Die Klägerin ist der Ansicht, die angegriffene Ausführungsform mache von der Lehre des Klagepatentanspruchs 1 wortsinngemäß Gebrauch. Zwar handele es sich bei der in der Packungsbeilage ausgewiesenen Verbindung Cu(MIBI)4BF4 um einen Tetrakis(isonitril)kupfer(I)-Komplex. Aber die angegriffene Ausführungsform enthalte dadurch notwendig auch einen Tris(isonitril)kupfer(I)-Komplex der Form [Cu(R’’NC)3]X mit MIBI als R’’NC und das Anion Tetrafluorborat (BF4) als X. Dies habe sich aus Studien zu dem von ihr – der Klägerin – selbst hergestellten Produkt „E“ ergeben, das ebenfalls Cu(MIBI)4BF4 als Wirkstoff enthalte. Wegen des Ablaufs der Untersuchung und der Ergebnisse wird auf die zur Akte gereichte eidesstattliche Versicherung von D. Scott F, eines Mitarbeiters der Klägerin, Bezug genommen (Anlagen K20 und K20a).
Die Klägerin behauptet, aus Cu(MIBI)4BF4 dissoziiere nach kurzer Lagerzeit MIBI. Dabei entstehe notwendig Cu(MIBI)3BF4. Ebenso reagiere das MIBI wieder mit Cu(MIBI)3BF4 zu Cu(MIBI)4BF4. Es handele sich um eine Gleichgewichtsreaktion, die auch bei der angegriffenen Ausführungsform stattfinde. Die Bildung von Bis(isonitril)kupfer(I)-Komplexen sei aufgrund der 18-Elektronen-Regel ausgeschlossen.
Weiterhin behauptet die Klägerin, die Beklagte zu 2) verkaufe die angegriffene Ausführungsform an die Beklagte zu 1). Die Beklagten müssten eng zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass das Diagnosemittel den arzneimittelrechtlichen Anforderungen in der Bundesrepublik Deutschland entspreche. Daher müsse die Beklagte zu 2) vom Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform in Deutschland gewusst haben.

Der vorliegende Rechtsstreit ist durch eine Trennung des Verfahrens aus dem Rechtsstreit 4a O 42/06 hervorgegangen. Die Klägerin hat die Beklagten bereits mit einer am 03.02.2006 unter dem Aktenzeichen 4a O 42/06 eingereichten Klage wegen der Verletzung der Patente EP 0 211 xxx und EP 0 233 xxx auf Unterlassung, Auskunft, Vernichtung und Feststellung der Schadensersatzpflicht in Anspruch genommen. Die Klage war auf die gleichen Verletzungshandlungen wie im vorliegenden Rechtsstreit gestützt. Früher erster Termin zur mündlichen Verhandlung, in dem die Beklagte zu 2) mangels Klagezustellung nicht vertreten war, fand am 06.04.2006 statt. Mit einem am 02.02.2007 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz hat die Klägerin die Klage erweitert und nunmehr auch die Verletzung des Klagepatents geltend gemacht. Im Haupttermin am 13.03.2007 haben die Beklagten die Verspätung der Klageerweiterung gerügt. Mit einem in der mündlichen Verhandlung verkündeten Beschluss ist der mit der Klageerweiterung geltend gemachte Anspruch abgetrennt worden.

Die Klägerin beantragt,

I. die Beklagten zu verurteilen,
1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu zwei Jahren, zu unterlassen, in der Bundesrepublik Deutschland
Tris(isonitril)kupfer(I)-Komplexe der Formel [Cu(R’’NC)3]X, worin X ein Anion ist, das aus BF4, PF6, ClO4, I, Br, Cl und CF3COO ausgewählt ist; und R’’ die Formel:
-A-O-R oder AOR

OR’
(I) (Ia)
besitzt, worin A eine geradkettige oder verzweigte Alkylengruppe ist und R und R’ jeweils unabhängig eine geradkettige oder verzweigte Alkylgruppe sind oder zusammengenommen eine geradkettige oder verzweigte Alkylengruppe sind, mit der Maßgabe, dass: (1) die Gesamtzahl der Kohlenstoffatome in A plus R in Formel (I) 4 bis 6 ist, mit der weiteren Maßgabe, dass wenn die Gesamtzahl der Kohlenstoffatome 6 ist, das zu der Isonitrilgruppe -ständige Kohlenstoffatom ein quartäres Kohlenstoffatom ist, und (2) die Gesamtzahl der Kohlenstoffatome in A plus R plus R’ in Formel (Ia) 4 bis 9 ist
anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen.
2. der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang die Beklagten die zu Ziffer I.1. genannten Handlungen seit dem 08.02.1995 begangen haben und zwar jeweils unter Angabe
a) der Herstellungsmengen und -zeiten durch die Beklagte zu 2), sowie der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse, sowie der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer durch die Beklagte zu 1)
b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen (und gegebenenfalls Typenbezeichnungen) sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer,
c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen (und gegebenenfalls Typenbezeichnungen) sowie den Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
wobei es den Beklagten nach ihrer Wahl vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften ihrer nicht gewerblichen Abnehmer und ihrer Angebotsempfänger nur einem von der Klägerin zu bezeichnenden, zur Verschwiegenheit gegenüber der Klägerin verpflichteten vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern sie diesen ermächtigt, der Klägerin darüber Auskunft zu geben, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Rechnungslegung enthalten ist;
3. die in unmittelbarem oder mittelbarem Besitz oder Eigentum der Beklagten zu 1) befindlichen Erzeugnisse gemäß Ziffer I.1. zu vernichten.
II. Es wird festgestellt, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu Ziffer I.1. bezeichneten und ab dem 18.02.1995 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte zu 1) behauptet, die angegriffene Ausführungsform weise keine Tris(isonitril)kupfer(I)-Komplexe auf, sondern nur Tetrakis(isonitril)kupfer(I)-Komplexe. Tris(isonitril)kupfer(I)-Komplexe seien selbst unter Laborbedingungen in der angegriffenen Ausführungsform nicht nachweisbar. Unabhängig von der konkreten Verwendung der angegriffenen Ausführungsform enthalte diese keine Tris(isonitril)kupfer(I)-Komplexe und sie würden auch nicht vorübergehend entstehen. Sie lagere und transportiere die angegriffene Ausführungsform bei Temperaturen von 2° bis 8° C.
Die Beklagte zu 2) bestreitet mit Nichtwissen, dass sich aus Tetrakisisonitril-Verbindungen bei ordnungsgemäßer Verwendung Trisisonitril-Verbindungen bilden würden. Sie habe mehrfach ihr Produkt auf die verschiedensten Verunreinigungen untersucht, sei aber nicht auf Tris(isonitril)kupfer(I)-Komplexe gestoßen. Im Übrigen lagere sie die angegriffene Ausführungsform in einem Argon-Gasbehälter unter Ausschluss von Sauerstoff bei -20° C.
Die Beklagten sind der Ansicht, die Ergebnisse aus den Untersuchungen der Klägerin seien auf die angegriffene Ausführungsform nicht übertragbar. Die Klägerin habe Cu(MIBI)3BF4 nicht unmittelbar nachgewiesen. Die Reaktionsmechanismen bei der Bildung von MIBI aus Tetrakis(isonitril)kupfer(I)-Komplexen seien in der Fachwelt bislang nicht geklärt, so dass nicht ohne weiteres auf die Existenz von Tris(isonitril)kupfer(I)-Komplexen geschlossen werden könne. Zudem habe die Klägerin auf Grundlage ihrer Studien nur für Lagertemperaturen von 25° C oder höher auf die Bildung von Tris(isonitril)kupfer(I)-Komplexen geschlossen.
Abgesehen davon sei das Patent nicht verletzt, wenn lediglich 0,4 % des Cu(MIBI)4BF4 zu MIBI und Cu(MIBI)3BF4 dissoziiere. Die angegriffene Ausführungsform weise nicht die für die Reaktion mit 99mTc in der Klagepatentschrift beschriebenen Vorteile von Cu(MIBI)3BF4 auf. Vielmehr würden Tetrakis(isonitril)kupfer(I)-Komplexe zum Stand der Technik gehören und damit auch die Entstehung von Tris(isonitril)kupfer(I)-Komplexen nach einer gewissen Lagerzeit.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze und die nachfolgenden Entscheidungsgründe verwiesen.

Entscheidungsgründe

A
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Die Klage ist zulässig. Sie ist – vor der Abtrennung des Verfahrens – im Wege einer nachträglichen Klageerweiterung in das Verfahren 4a O 42/06 eingeführt worden und diese Klageerweiterung war zulässig. Auf eine nachträgliche Klageerweiterung sind die Regeln für eine Klageänderung im Sinne von § 263 ZPO entsprechend anwendbar (Benkard/Rogge/Grabinski, PatG 10. Aufl.: § 145 PatG Rn 2 a.E.; Zöller/Greger, ZPO 26. Aufl.: § 263 Rn 2 m.w.N.). Ob eine Einwilligung der Beklagten zur Klageerweiterung angesichts der in der mündlichen Verhandlung erhobenen Verspätungsrüge gemäß § 267 ZPO noch vermutet werden kann, kann dahinstehen. Denn die Klageerweiterung ist sachdienlich im Sinne von § 263 ZPO.
Nach ständiger Rechtsprechung kommt es für die Frage der Sachdienlichkeit allein auf die objektive Beurteilung an, ob und inwieweit die Zulassung der Klageänderung den sachlichen Streitstoff im Rahmen des anhängigen Rechtsstreits ausräumt und einem andernfalls zu gewärtigenden weiteren Rechtsstreit vorbeugt. Maßgebend ist der Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit. Dafür ist nicht die beschleunigte Erledigung dieses Prozesses, sondern die Erledigung der Streitpunkte zwischen den Parteien entscheidend. Deshalb steht der Sachdienlichkeit einer Klageänderung nicht entgegen, dass im Falle ihrer Zulassung Beweiserhebungen nötig werden und dadurch die Erledigung des Prozesses verzögert würde. (BGH NJW 2000, 800; Zöller/Greger, ZPO 26. Aufl.: § 263 Rn 13). Soweit eine Klageerweiterung im Hinblick auf die Präklusionswirkung des § 145 PatG erfolgt, ist ihre Sachdienlichkeit regelmäßig zu bejahen (Benkard/Rogge/Grabinski, PatG 10. Aufl.: § 145 PatG Rn 2 a.E.).
So liegt der Fall auch hier, denn die Klägerin stützt die Verletzung des Klagepatents auf die selben Herstellungs- und Vertriebshandlungen wie die Verletzung der Patente EP 0 211 424 und EP 0 233 368. Zudem betreffen die drei Patente thematisch das gleiche Sachgebiet, nämlich Radionuklid-Komplexe im Bereich der Nukleardiagnostik und die Verfahren zu ihrer Herstellung. Die Klägerin konnte und durfte davon ausgehen, dass der gesamte Streitstoff, der mit der Herstellung und dem Vertrieb des Produkts „H“ verbunden ist, in einem Prozess erledigt werden kann. Dass gegebenenfalls die Frage, ob die angegriffene Ausführungsform von der Lehre des neu in den Prozess eingeführten Klagepatentanspruch tatsächlich Gebrauch macht, weiterer Aufklärung bedarf, ist insofern unbeachtlich und die damit verbundene Verzögerung hinzunehmen.
Die Beklagten können dagegen nicht einwenden, eine Begründung der Sachdienlichkeit mit der Präklusionswirkung des § 145 PatG sei ein Zirkelschluss, weil im Fall der Unzulässigkeit der Klageerweiterung eine weitere Klage gemäß § 145 PatG ohnehin ausgeschlossen sei. Die Präklusionswirkung des § 145 PatG stellt ein besonderes Prozesshindernis dar, das nicht von Amts wegen, sondern nur auf Einrede des Beklagten zu beachten ist (Benkard/Rogge/Grabinski, PatG 10. Aufl.: § 145 PatG Rn 2). Wird eine nachträgliche Klageerweiterung als nicht sachdienlich abgewiesen, folgt daraus also nicht zwingend, dass ein weiterer Prozess ausgeschlossen ist. Dies hängt vielmehr davon ab, ob sich der Beklagte auf § 145 PatG berufen wird und ob die Voraussetzungen des § 145 PatG erfüllt sind.
Die nachträgliche Klageerweiterung war auch nicht wegen Verspätung unzulässig. Die Vorschriften über die Zurückweisung verspäteten Vorbringens (§ 296 ZPO) beziehen sich lediglich auf Angriffs- und Verteidigungsmittel, nicht aber auf den „Angriff“ selbst, also auf Sachanträge wie die Klageänderung oder die Klageerweiterung. Diese können nie wegen Verspätung zurückgewiesen werden, sondern allenfalls als nicht sachdienlich aufgrund vorwerfbarer Verspätung und Prozessverschleppung (Zöller/Greger, ZPO 26. Aufl.: § 282 Rn 2a und § 263 Rn 13). Eine vorwerfbare Verspätung und Prozessverschleppung seitens der Klägerin ist jedoch mit Blick auf die oben angeführten Kriterien für die Sachdienlichkeit einer Klageerweiterung zu verneinen. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin ein Interesse daran haben könnte, eine zügige Erledigung des Prozesses zu verzögern.

B
Die Klage ist unbegründet.

Die Klägerin hat gegen die Beklagten keine Ansprüche auf Unterlassung, Schadensersatz, Rechnungslegung und Vernichtung aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ, §§ 139 Abs. 1 und 2, 140a Abs. 1, 140b Abs. 1 PatG, §§ 242, 259 BGB. Die angegriffene Ausführungsform macht von der Lehre des geltend gemachten Klagepatentanspruchs 1 keinen Gebrauch.

I.
Gegenstand des Klagepatentanspruchs 1 ist ein Tris(isonitril)kupfer(I)-Addukt zur Herstellung von Radionuklid-Komplexen, die in der Nukleardiagnostik verwendet werden können.

Im Stand der Technik sind Isonitril-Komplexe verschiedener Radionuklide und ihre Verwendung als Bildgebungsmittel bekannt. Im US-Patent 4.452.774 werden Radionuklid-Komplexe mit der allgemeinen Formel [A((CN)xR)yBzB’z’]n beschrieben. Dabei stellt A ein Radionuklid dar, das aus den radioaktiven Isotopen Tc, Ru, Co, Pt, Fe, Os, Ir, W, Re, Cr, Mo, Mn, Ni, Rh, Pd, Nb und Ta ausgewählt ist, zum Beispiel auch 99mTc. In der Formel bezeichnet (CN)xR einen ein- oder mehrzähnigen Isonitrilligand, der über das Kohlenstoffatom der CN-Gruppe an das Radionuklid gebunden ist. R ist ein organischer Rest. B und B’ sind unabhängig aus anderen Liganden ausgewählt, die dem Fachmann bekannt sind und zu Isonitril-Komplexen führen. Die Variablen x und y sind unabhängige ganze Zahlen von 1 bis 8; z und z’ sind jeweils unabhängig 0 oder eine ganze Zahl von 1 bis 7 mit der Maßgabe, dass (xy)+z+z’ kleiner oder gleich 8 ist. n gibt die Ladung des Komplexes an, die auch 0 sein kann. Die in der US 4.452.774 beschriebenen Stoffe dienen in Bildgebungsverfahren insbesondere der Lunge, des Knochenmarks oder des Leber-Galle-Systems, reichern sich in der Praxis aber insbesondere in Lunge und Leber an.

In der Anmeldung der EP 213 945 werden Isonitrilliganden der Form (CNX)R beschrieben, wobei X eine Niederalkylgruppe mit 1 bis 4 Kohlenstoffatomen ist und R aus der Gruppe ausgewählt wird, die aus COOR1 und CONR²R³ besteht. Dabei kann R1 Wasserstoff, ein pharmazeutisch annehmbares Kation oder eine Alkylgruppe mit 1 bis 4 Kohlenstoffatomen sein und R² und R³ können gleich oder verschieden sein. Diese Isonitrilliganden führen zu Isonitril-Radionuklid-Komplexen mit den Vorteilen aus der US 4.452.774, hinsichtlich der Eliminierung aus Lunge und Leber aber überlegen sind.

Weitere Isonitril-Komplexe werden in der US 4.988.827 beschrieben. Es handelt sich dabei um ethersubstituierte Isonitrile der Formel
(I) CN-A-O-R oder
(Ia) CNAOR

OR’
wobei A eine geradkettige oder verzweigte Alkylgruppe ist und R und R’ jeweils unabhängig eine geradkettige oder verzweigte Alkylgruppe oder zusammengenommen eine geradkettige oder verzweigte Alkylengruppe darstellen. Dabei ist die Gesamtzahl der Kohlenstoffatome in A+R in Formel (I) 4 bis 6, und im Fall einer Anzahl von 6 Kohlenstoffatomen handelt es sich bei dem Kohlenstoffatom in -Stellung zur Isonitrilgruppe um ein quartäres Kohlenstoffatom. Die Gesamtzahl der Kohlenstoffatome in Formel (Ia) ist 4 bis 9.

Nach der Klagepatentschrift besteht die Schwierigkeit bei der Herstellung von Isonitril-Komplexen darin, dass viele Isonitrile extrem flüchtig sind. Daher ist die Herstellung lyophilisierter – also gefriergetrockneter – Kits für kommerzielle Zwecke nicht möglich. Die EP 0 211 424 löst dieses Problem, indem lösliche Isonitril-Komplexe mit Metallen wie Cu, Mo, Pd, Co, Ni, Cr, Ag und Rh hergestellt und mit dem gewünschten Radionuklid zur Reaktion gebracht werden. Das Metallpaar und das Medium müssen so gewählt werden, dass das nichtradioaktive Metall durch das Radionuklid aus dem Isonitril-Komplex verdrängbar ist, so dass das gewünschte Radiopharmakon entsteht. Die EP 0 211 424 beschreibt solche Isonitril-Komplexe mit Kupfer. Es handelt sich dabei um (Bisisonitril)phenanthrolin- und Tetrakis(isonitril)kupfer(I)-Komplexe. Eine weitere Schwierigkeit besteht laut Klagepatentschrift jedoch darin, dass solche Isonitril-Addukte eines nichtradioaktiven Metalls wie Kupfer bei der Reaktion mit einem Radionuklid wie zum Beispiel 99mTc nur unter erhöhten Temperaturen rasch das gewünschte Radiopharmakon bilden. Die Reaktion bei Raumtemperatur ist langsam und es kann mehrere Stunden dauern, bis eine hohe Ausbeute des gewünschten Radiopharmakons erzielt wird.

Das Problem, das der Erfindung zugrunde liegt, besteht demnach darin, Isonitril-Addukte in einem Komplex mit einem nichtradioaktiven Metall bereitzustellen, die bei der Reaktion mit einem Radionuklid unter Raumtemperatur möglichst rasch eine möglichst hohe Ausbeute eines Radiopharmakons liefern. Dies soll durch folgende Merkmalskombination gelöst werden:

1. Tris(isonitril)kupfer(I)-Komplex der Formel [Cu(R’’NC)3]X;
2. Darin ist X ein Anion, das aus BF4, PF6, ClO4, I, Br, Cl und CF3COO ausgewählt ist;
3. R’’ besitzt die Formel:
-A-O-R oder AOR

OR’
(I) (Ia)
3.1 Darin ist A eine geradkettige oder verzweigte Alkylengruppe und
3.2 R und R’ sind jeweils unabhängig eine geradkettige oder verzweigte Alkylgruppe oder zusammengenommen eine geradkettige oder verzweigte Alkylengruppe, mit der Maßgabe:
3.3 (1) die Gesamtzahl der Kohlenstoffatome in A plus R in Formel (I) ist 4 bis 6 und, wenn die Gesamtzahl der Kohlenstoffatome 6 ist, das zu der Isonitrilgruppe -ständige Kohlenstoffatom ist ein quartäres Kohlenstoffatom, und
3.4 (2) die Gesamtzahl der Kohlenstoffatome in A plus R plus R’ in Formel (Ia) ist 4 bis 9.

Die Klagepatentschrift führt dazu aus, das im Anspruch 1 beschriebene Addukt reagiere bei Raumtemperatur leicht und schnell mit Radionukliden wie 99mTc, um mit einer guten Ausbeute Radiopharmaka herstellen zu können.

II.
Die angegriffene Ausführungsform macht von der Lehre nach dem Patentanspruch 1 des Klagepatents keinen wortsinngemäßen Gebrauch. Die Klägerin hat nicht dargelegt, dass das Merkmal 1 des Klagepatentanspruchs verwirklicht ist und das Produkt „CARDIOSPEKT UNIT DOSE“ Tris(isonitril)kupfer(I)-Komplexe der Formel [Cu(R’’NC)3]X enthält.

1. Gegenstand der patentgemäßen Erfindung ist ein Tris(isonitril)kupfer(I)-Komplex, dessen Zusammensetzung mit der allgemeinen Formel [Cu(R’’NC)3]X beschrieben wird. Dabei müssen die Platzhalter R‘‘ und X bestimmten, in den Merkmalen 2 bis 3.4 des Patentanspruchs beschriebenen Anforderungen genügen. Die angegriffene Ausführungsform enthält neben anderen Verbindungen unstreitig Cu(MIBI)4BF4. Es handelt sich um einen Isonitrilkupfer(I)-Komplex, bei dem MIBI dem (R‘‘NC) und BF4 dem X aus der allgemeinen Formel [Cu(R’’NC)3]X für einen erfindungsgemäßen Isonitrilkupfer(I)-Komplex entsprechen. Insofern sind die Merkmale 2 bis 3.4 des Klagepatentanspruchs unstreitig verwirklicht. Allerdings handelt es sich bei Cu(MIBI)4BF4 um einen Tetrakis(isonitril)kupfer(I)-Komplex der Formel [Cu(R’’NC)4]X, nicht aber um einen Tris(isonitril)kupfer(I)-Komplex der Formel Cu(MIBI)3BF4. Das dem (R‘‘NC) entsprechende MIBI kommt in den Isonitrilkupfer(I)-Komplexen der angegriffenen Ausführungsform vierfach und nicht nur dreifach vor.

2. Die Klägerin hat vorgetragen, die angegriffene Ausführungsform enthalte neben Tetrakis(isonitril)kupfer(I)-Komplexen gleichzeitig auch Tris(isonitril)kupfer(I)-Komplexe der Form Cu(MIBI)3BF4. Nach der Herstellung von Cu(MIBI)4BF4 bilde sich bereits nach einer kurzen Lagerzeit neben dem Cu(MIBI)4BF4 auch Cu(MIBI)3BF4 und MIBI. Dies haben die Beklagten bestritten. Die Klägerin kann dagegen nicht einwenden, das Bestreiten mit Nichtwissen seitens der Beklagten zu 2) sei gemäß § 138 Abs. 4 ZPO unzulässig, da es sich um ihr eigenes Produkt handele. Vielmehr ist der weitere Vortrag der Beklagten zu 2) als qualifiziertes Bestreiten der klägerischen Darlegungen anzusehen.
Die Beklagte zu 2) hat vorgetragen, die angegriffene Ausführungsform enthalte als aktiven Bestandteil Tetrakis(isonitril)kupfer(I)-Komplexe, und hat ausdrücklich mit Nichtwissen bestritten, dass sich aus Tetrakis(isonitril)kupfer(I)-Komplexen bei ordnungsgemäßer Verwendung Trisisonitril-Komplexe bilden. Ihr sei nicht bekannt, ob ihr Produkt zu irgendeinem Zeitpunkt unter irgendwelchen Umständen Tris(isonitril)kupfer(I)-Komplexe enthalte. Weiter hat sie aber erklärt, in mehreren Langzeitstudien die angegriffene Ausführungsform auf verschiedenste Verunreinigungen untersucht, Tris(isonitril)kupfer(I)-Komplexe jedoch nicht entdeckt zu haben. Sie lagere ihr Produkt bei -20° C in einem Argon-Gasbehälter unter Ausschluss von Sauerstoff, was eine chemische Reaktion und die Bildung von Tris(isonitril)kupfer(I)-Komplexen ausschließe. Diese weiteren Darlegungen stellen inhaltlich kein Bestreiten mit Nichtwissen dar, sondern stellen den Vortrag der Klägerin über die Bildung von Tris(isonitril)kupfer(I)-Komplexen in der angegriffenen Ausführungsform in Abrede und sind somit als qualifiziertes Bestreiten des Klägervortrags anzusehen. Von der Beklagten zu 2) kann nicht verlangt werden, dass sie über die Zusammensetzung ihres Produkts zu jedem Zeitpunkt und unter allen nur denkbaren Umständen – zum Beispiel unter den Bedingungen der von der Klägerin durchgeführten Untersuchungen – informiert ist.

3. Im Hinblick auf das Bestreiten der Beklagten hat die Klägerin ihren Vortrag, die angegriffene Ausführungsform enthalte Tris(isonitril)kupfer(I)-Komplexe, nicht hinreichend konkretisiert. Die Behauptung beruht vielmehr auf einer bloßen Vermutung, denn die Klägerin stützt ihren Vortrag auf Untersuchungen des Produkts „E“, das als Wirkstoff Cu(MIBI)4BF4 enthält und von der Klägerin selbst hergestellt und vertrieben wird. Eine Untersuchung der angegriffenen Ausführungsform fand seitens der Klägerin überhaupt nicht statt. Vielmehr wurde seitens der Klägerin von Untersuchungsergebnissen, die das Produkt „E“ betreffen, auf das Vorhandensein von Tris(isonitril)kupfer(I)-Komplexen in der angegriffenen Ausführungsform geschlossen.
Dabei hat die Klägerin nicht einmal die Untersuchungsergebnisse selbst oder die den Ergebnissen zugrundeliegenden Studien in ihrer Gesamtheit nachvolllziebar dargelegt. Der Vortrag der Klägerin basiert vielmehr auf einer eidesstattlichen Versicherung eines Herrn F, Vizepräsident der Global Research & Development der Medical Imaging Abteilung der Klägerin. Dieser hat lediglich den Ablauf der Experimente skizziert und einzelne Ergebnisse aus den Versuchen dargestellt.
Darüber hinaus stammen die Daten, die dem Vortrag der Klägerin zugrunde liegen, aus Studien, die im Zulassungsantrag der New York Drug Application (NDA) für „E“ beschrieben wurden (vgl. Anlage K20 bzw. K20a). Die Beklagte zu 2) hat – ohne dass die Klägerin dem widersprochen hätte – in Abrede gestellt, dass diese Studien auf den Nachweis von Cu(MIBI)3BF4 in dem Produkt „E“ gerichtet waren. Dementsprechend wurde in den Untersuchungen des Produkts „E“ die Existenz von Tris(isonitril)kupfer(I)-Komplexen nicht unmittelbar nachgewiesen. Vielmehr schließt die Klägerin aus Daten von zwei Studien auf Cu(MIBI)3BF4 in einem Produkt, dessen Wirkstoff aus Cu(MIBI)4BF4 besteht.
In der eidesstattlichen Versicherung von Herrn F (Anlage K20 bzw. K20a) werden zwei Studien geschildert. In der ersten Studie wurde das MIBI in dem als Trockenpulver gelagerten Cu(MIBI)4BF4 teilweise mit 14C-Atomen (Spurenmenge von 0,45 Ci) radioaktiv markiert. Nach einer dreiwöchigen Lagerzeit der Proben bei 25° und 50° C wurde eine Liquid Scintillation Counting Analyse (LSC) der Fläschchen durchgeführt . In beiden Proben wurde ein Verlust von Radioaktivität in den Feststoffen und damit eine Dissoziierung von 14C-MIBI festgestellt, wobei sich ein Teil im Gummipropfen der Fläschchen verfangen hatte. Die Kupfermenge in den Feststoffen blieb unverändert. In einer weiteren Untersuchung wurden die Tetrakis(isonitril)kupfer(I)-Komplexe von „E“-Produkten ebenfalls mit 14C-Atomen markiert und anschließend acht Wochen bei 0° C, Zimmertemperatur und 50° C gelagert. Die Analyse durch High Performance Liquid Chromatography (HPLC) habe für die bei 50° C gelagerten Ampullen eine durchschnittliche Senkung der gesamten Cu(MIBI)4BF4 um ~40 % im Vergleich zu den Anfangswerten ergeben. Außerdem wurde die Anwesenheit von 14C-MIBI beobachtet. Die Mengen an MIBI in den bei niedrigeren Temperaturen gelagerten Proben waren in beiden Untersuchungen geringer als in den bei höheren Temperaturen gelagerten Proben.
Gegenstand der beiden Untersuchungen war nicht der Nachweis von Cu(MIBI)3BF4. Vielmehr wurde mit den beiden Studien allenfalls die Dissoziierung von 14C-MIBI nachgewiesen. Herr F hat in seiner eidesstattlichen Versicherung zu der zweiten Untersuchung sogar ausdrücklich bestätigt, die Existenz von Cu(MIBI)3BF4 werde in der HPLC nicht direkt erkannt (Seite 4 der Anlage K20a). Aber auch in der ersten Untersuchung hat die Klägerin lediglich aus den Ergebnissen von Radioaktivitätsmessungen darauf geschlossen, dass sich 14C-MIBI verflüchtigt haben müsse. Die Klägerin folgert daraus weiter, dass die Existenz von MIBI in Ampullen mit Cu(MIBI)4BF4 nur durch Dissoziation von MIBI aus Cu(MIBI)4BF4 erklärt werden könne, wobei das notwendige Produkt einer solchen Dissoziation von MIBI eine stöchiometrische Menge von Cu(MIBI)3BF4 sei. Der unmittelbare Nachweis von Cu(MIBI)3BF4 in „E“ und erst Recht nicht in der angegriffenen Ausführungsform wurde hingegen nicht erbracht.

4. Die Klägerin hat außerdem nicht im einzelnen dargelegt, dass ihre Schlussfolgerung, die Dissoziation von MIBI aus Cu(MIBI)4BF4 im Produkt „E“ führe zwingend zur Bildung von Cu(MIBI)3BF4, zutreffend ist und so weit verallgemeinert werden kann, dass sie auf die angegriffene Ausführungsform übertragbar ist.
Die Klägerin hat als Erklärung für ihre Schlussfolgerungen lediglich vorgetragen, die Bildung von Cu(MIBI)3BF4 in einem aus Tetrakis(isonitril)kupfer(I)-Komplexen bestehenden Produkt beruhe auf einer Gleichgewichtsreaktion. Wenn Cu(MIBI)4BF4 hergestellt werde, zerfalle ein Teil zwangsläufig zu Cu(MIBI)3BF4 und MIBI. Zugleich reagiere MIBI aber auch wieder mit Cu(MIBI)3BF4 zu Cu(MIBI)4BF4. Diese Gleichgewichtsreaktion sei unabhängig von der Formulierung im „E“-Produkt.
Die Beklagten haben eine solche Gleichgewichtsreaktion bestritten. Beide Beklagten haben erhebliche Einwände gegen die Durchführung und die Ergebnisse der Studien vorgetragen, auf die sich die Schlussfolgerungen der Klägerin stützen. Mit diesen Einwänden hat sich die Klägerin nicht im einzelnen auseinandergesetzt. Konkreter Vortrag zur Bildung von Tris(isonitril)kupfer(I)-Komplexen in der angegriffenen Ausführungsform fehlt.

a) Die Beklagte zu 2) hat eingewandt, dass die Untersuchungen der Klägerin bereits keine Angaben dazu enthalten, mit welchem Verfahren und mit welchem Ergebnis die Tetrakis(isonitril)kupfer(I)-Komplexe mit 14C-Atomen markiert wurden. Diese Angaben sind jedoch für die statistische Auswertung der Messergebnisse erforderlich. Es ist nicht nachvollziehbar, in welchem Umfang welche Verbindungen mit 14C-Atomen markiert wurden. Weiterhin vermisst die Beklagte zu 2) Angaben dazu, ob nicht die Dissozierung von MIBI aus Cu(MIBI)4BF4 gerade durch die 14C-Atome veranlasst wurde. Es versteht sich von selbst, dass bejahendenfalls die Ergebnisse aus den Studien verfälscht sind, da mit 14C-Atomen markierte Tetrakis(isonitril)kupfer(I)-Komplexe in der angegriffenen Ausführungsform nicht vorkommen und die Dissoziierung von MIBI nicht veranlassen können. Zu diesem Einwand hat sich die Klägerin – bislang – gar nicht geäußert.

b) Die Beklagten wenden zudem ein, dass bei der Bildung von MIBI in einem Produkt aus Cu(MIBI)4BF4 nicht zwingend Cu(MIBI)3BF4 entstehen müsse. Es sei ebenso denkbar, dass die Tetrakis(isonitril)kupfer(I)-Komplexe unmittelbar zu Bis(isonitril)kupfer(I)-Komplexen und MIBI dissoziieren, was stöchiometrisch durchaus möglich sei.
Die Klägerin hat darauf lediglich erwidert, dass MIBI nacheinander von Cu(MIBI)4BF4 unter Bildung von Cu(MIBI)3BF4 dissoziiere und sich nicht unmittelbar Bis(isonitril)kupfer(I)-Komplexe bilden würden. Denn Tris(isonitril)kupfer(I)-Komplexe seien aufgrund der 18-Elektronenregel stabiler als Bis-Komplexe. Die 18-Elektronenregel sei auch auf Übergangsmetalle wie Kupfer anwendbar und besage, dass Komplexe mit 18 Valenzelektronen besonders stabil seien. Daher seien Tris(isonitril)kupfer(I)-Komplexe stabiler als Bis-Komplexe.
Nach dem eigenen Vortrag der Klägerin sind Tetrakis(isonitril)kupfer(I)-Komplexe jedoch noch stabiler als Tris-Komplexe, weil sie tatsächlich 18 Valenzelektronen aufweisen. Vor diesem Hintergrund erklärt sich nicht, warum eine Gleichgewichtsreaktion stattfinden und ein Tetrakis(isonitril)kupfer(I)-Komplex in einen Tris(isonitril)kupfer(I)-Komplex und MIBI dissoziieren soll. Im Übrigen gilt die 18-Elektronenregel nicht ohne Einschränkung. Bereits der von der Klägerin vorgelegten Anlage K24 ist zu entnehmen, dass die 18-Elektronenregel bei eher elektrostatischen (elektrovalenten, ionischen) Bindungsbeziehungen nicht zwingend erfüllt sein muss.
Darüberhinaus haben die Beklagten in der mündlichen Verhandlung unbestritten vorgetragen, dass für Isonitril-Komplexe keine Untersuchungen zu Stabilitätskonstanzen vorliegen. Auch der im Parallelverfahren 4a O 44/07 von den dortigen Beklagten beauftragte Privatgutachter G hat – von der Klägerin unbestritten – erklärt, dass in der Fachwelt keine Anhaltspunkte für die Bildung oder den Umfang der Bildung von Tris(isonitril)kupfer(I)-Komplexen aus trocken gelagertem Cu(MIBI)4BF4 bekannt sind. Dem steht nicht entgegen, dass sich das von der Beklagten zu 1) im Parallelverfahren vorgelegte Privatgutachten, auf das im vorliegenden Rechtsstreit Bezug genommen wurde, auf die angegriffene Ausführungsform aus dem Parallelrechtsstreit („Polatom Kit“) bezieht. Denn die Ausführungen der Privatgutachters G wurden allgemein für Tetrakis(isonitril)kupfer(I)-Komplexe getätigt. Worauf die Klägerin die Geltung der 18-Elektronen-Regel und letztlich ihre Auffassung von der Bildung von Tris(isonitril)kupfer(I)-Komplexen im Wege einer Gleichgewichtsreaktion gründet, ist daher nicht nachvollziehbar.

c) Die Klägerin hat sich auch nicht damit auseinandergesetzt, dass Cu(MIBI)4BF4 in dem untersuchten Produkt „E“ in einer anderen Zusammensetzung enthalten ist als in der angegriffenen Ausführungsform. Diese enthält lediglich 0,06 mg Cu(MIBI)4BF4, „E“ hingegen 1 mg. Bezogen auf dieses Verhältnis der Mengen an Cu(MIBI)4BF4 weist die angegriffene Ausführungsform sehr viel mehr Zinn(II)chlorid Dihydrat auf als „E“ (0,72 mg absolut gegenüber 0,025 – 0,075 mg). Im Übrigen enthält die angegriffene Ausführungsform unter anderem Natriumdiphosphat Decahydrat (3,6 mg) statt Natrium Citrat Dihydrat (2,6 mg), L-Cysteinhydrochlorid Monohydrat (1,38 mg) statt L-Cystein Monohydrochlorid Monohydrat (1 mg) und Glycin (50 mg) statt Mannitol (20 mg). Es ist nicht nachvollziehbar, ob die von der Klägerin aus ihren früheren Studien gezogenen Schlussfolgerungen angesichts der unterschiedlichen Zusammensetzung beider Produkte überhaupt auf die angegriffene Ausführungsform übertragen werden könnten.
Die Beklagte zu 2) hat dazu vorgetragen, Glycin und Natriumdiphosphat Decahydrat würden in dieser Kombination der Stabilisierung des Kupferkomplexes in der angegriffenen Ausführungsform dienen und die Bildung von Verunreinigungen mindern. Beide Stoffe sind im untersuchten Produkt „E“ nicht enthalten. Die Klägerin hat dazu in der mündlichen Verhandlung zwar vorgetragen, Natrium Citrat Dihydrat im Produkt „E“ habe die gleiche Wirkung wie Natriumdiphosphat Decahydrat in der angegriffenen Ausführungsform und stelle einen Puffer dar; Mannitol in „E“ sei ein Träger ebenso wie Glycin. Aber unklar ist weiterhin, ob die unterschiedliche Zusammensetzung nicht auch Auswirkungen auf das Dissoziierungsverhalten von Cu(MIBI)4BF4 hat.
Die Klägerin kann dagegen auf Grundlage des in der mündlichen Verhandlung überreichten Auszugs des Internetauftritts der Beklagten zu 2) vom 30.01.2008 nicht einwenden, die Zusammensetzung sei eine völlig andere; sie beinhalte unter anderem 0,5 mg Cu(MIBI)4BF4. Denn wie bereits dem vorgelegten Auszug aus dem Internetauftritt zu entnehmen ist, bezieht sich die Zusammensetzung auf ein „Multi dose Kit“, nicht aber auf das hier streitgegenständliche „Cardiospekt Unit dose“.

5. Selbst wenn aber nach der Herstellung von Tetrakis(isonitril)kupfer(I)-Komplexen eine Gleichgewichtsreaktion stattfände und sich ein gewisser Anteil von Tris(isonitril)kupfer(I)-Komplexen bilden würde, hat die Klägerin nicht dargelegt, dass dies bei der angegriffenen Ausführungsform der Fall ist.
Die Klägerin hat aus ihren Untersuchungen unter anderem auch den Schluss gezogen, dass bei höheren Temperaturen mehr Cu(MIBI)3BF4 gebildet werde. In der ersten Untersuchung seien 14C-markierte Tetrakis(isonitril)kupfer(I)-Komplexe bei 50° C und 25° C gelagert worden. In der bei 50° C gelagerten Probe seien 0,14 Ci im Propfen absorbiert worden, in der zweiten Probe (25° C) lediglich 0,002 Ci. Bei einer Temperatur von 25° C bildete sich also – nach dem Vortrag der Klägerin – nur etwa ein siebzigstel der Menge an MIBI, die bei 50° C dissoziierte. Es handelte sich dabei um ca. 0,4 % MIBI. Zu der weiteren Untersuchung – der HPLC-Studie – hat die Klägerin lediglich angegeben, bei einer Lagerung bei 50° C sei eine Senkung von Cu(MIBI)4BF4 um ca. 40 % nachweisbar gewesen. Die Anwesenheit geringerer Mengen von 14C-MIBI sei bei den Proben beobachtet worden, die bei Zimmertemperatur und bei 0° C gelagert worden seien. Es fehlt aber jeglicher Vortrag zu konkreten Messwerten, insbesondere zu Messwerten für die Lagerung bei 0° C. Die Anlage K20 bzw. K20a zeigt zwar hinsichtlich der HPLC-Studie ein Beta Detektor Chromatogramm für Proben, die bei 50° C, Zimmertemperatur und 0° C gelagert wurden, und ein Diagramm für einen Standard. Für die bei 0° C gelagerte Proben lassen sich aber keine Werte ablesen.
Mit diesem Vortrag genügt die Klägerin nicht ihrer Darlegungslast. Denn wenn die Dissoziierung von MIBI aus Tetrakis(isonitril)kupfer(I)-Komplexen – und damit auch die von der Klägerin behauptete Bildung von Tris(isonitril)kupfer(I)-Komplexen – so stark temperaturabhängig ist, kommt es maßgeblich darauf an, bei welcher Temperatur die Beklagten die angegriffene Ausführungsform lagern beziehungsweise transportieren. Dazu fehlt seitens der Klägerin jeglicher Vortrag.
Die Beklagte zu 1) ihrerseits hat behauptet, dass sie die angegriffene Ausführungsform während der Lagerung und des Transports im Kühlschrank bei 2° bis 8° C aufbewahre, also weit unter 25° C. Die Beklagte zu 2) hat vorgetragen, dass sie die angegriffene Ausführungsform sogar bei einer Temperatur von -20° C in einem Argon-Gasbehälter unter Ausschluss von Sauerstoff lagere. Im Hinblick auf diesen Vortrag fehlt seitens der Klägerin – ungeachtet der Frage nach der Tragfähigkeit ihrer Untersuchungsergebnisse – jeglicher Vortrag dazu, ob bereits bei Temperaturen von -20° C bzw. 2° bis 8° C MIBI aus den Tetrakis(isonitril)kupfer(I)-Komplexen dissoziiert. Dies ist kaum anzunehmen, wenn bei einer Lagertemperatur von 25° C lediglich ein Siebzigstel der Menge an MIBI dissoziiert, die sich nach dem Vortrag der Klägerin bei einer Lagertemperatur von 50° C bildet. Dabei ist außerdem zu berücksichtigten, dass aus der bei 25° C gelagerten Probe nur ca. 0,4 % MIBI aus der Ausgangsmenge dissoziiert sein sollen.
Die Klägerin kann dagegen nicht einwenden, dass die Verpackung für die angegriffene Ausführungsform die Empfehlung enthält, das Kit bei unter 25° C im Dunkeln aufzubewahren (vgl. Anlage K24 und K25). Denn für die Frage, ob die angegriffene Ausführungsform von der Lehre aus dem Anspruch 1 des Klagepatents Gebrauch macht, kommt es nicht auf Empfehlungen auf der Verpackung an, sondern ob die angegriffene Ausführungsform den erfindungsgemäßen Stoff – hier einen Tris(isonitril)kupfer(I)-Komplex – tatsächlich enthält. Das hat die Klägerin aber nicht dargelegt. Abgesehen davon enthält die Packungsbeilage (Anlage K19 bzw. K19a) den Hinweis, die angegriffene Ausführungsform bei 2° bis 8° C aufzubewahren.
Unbeachtlich ist weiterhin die Auffassung der Klägerin, dass sich Tris(isonitril)kupfer(I)-Komplexe während der Reaktion von 99mTc mit Cu(MIBI)4BF4 bilden würden. Zwar muss die angegriffene Ausführungsform für die Herstellung des Radiopharmakons unter Zugabe von 99mTc in einem Wasserbad erhitzt werden. Dies geschieht aber erst beim Erwerber und Anwender der angegriffenen Ausführungsform. Die Tätigkeit der Beklagten beschränkt sich allein auf die Herstellung und den Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform. Unstreitig weist die Zusammensetzung der angegriffenen Ausführungsform unmittelbar nach der Herstellung allein Cu(MIBI)4BF4 auf, was nicht patentverletzend ist. Für die Bildung von Tris(isonitril)kupfer(I)-Komplexen während der Lagerung und des Transports der angegriffenen Ausführungsform durch die Beklagten hat die Klägerin nichts dargelegt. Außerdem wird das Kit „I“ von den Beklagten unstreitig nicht zur Herstellung von Radiopharmaka verwendet. Selbst wenn also bei der Herstellung des Radiopharmakons vorübergehend Tris(isonitril)kupfer(I)-Komplexe entstehen sollten, um Tc99m Sestamibi [99mTc(MIBI)6+] herstellen zu können, kann den Beklagten die Herstellung dieser Tris(isonitril)kupfer(I)-Komplexe nicht zugerechnet werden.

Nach alledem bedarf es eines Schriftsatznachlasses, den die Beklagte zu 2) in der mündlichen Verhandlung beantragt hat, nicht. Abgesehen davon, dass die Verteidigung der Beklagten zu 2) gegen die Klage ohnehin Erfolg hat, gibt es zu dem im Parallelverfahren 4a O 44/07 vorgelegten Privatgutachten von G keinen Tatsachenvortrag der Klägerin, auf den sich die vorliegende Entscheidung stützt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.

Streitwert: 500.000,00 EUR.
250.000,00 EUR für die Anträge gegen die Beklagte zu 1)
250.000,00 EUR für die Anträge gegen die Beklagte zu 2).