2 U 53/06 – Monoklines Metazachlor

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 938

Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil vom 27. März 2008, Az. 2 U 53/06

Vorinstanz: 4a O 50/05

I.
Die Berufung der Beklagten zu 1. gegen das am 06.04.2006 verkündete Urteil der 4a. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf wird zurückgewiesen.

II.
Die Beklagte zu 1. hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte zu 1. darf die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung von 1.700.000,00 € abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 1.700.000,00 € festgesetzt.

G r ü n d e :

I.

Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des mit Wirkung u. a. für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 411 xxx, das auf einer am 06.02.1991 veröffentlichten Anmeldung vom 20.07.1990 beruht und auf dessen Erteilung am 03.11.1993 im Patentblatt hingewiesen worden ist. Das Klagepatent trägt die Bezeichnung „monoklines Metazachlor und Verfahren zu seiner Herstellung“. Der im vorliegenden Rechtsstreit vornehmlich interessierende Anspruch 1 hat folgenden Wortlaut:

Monoklines, bei 76° C schmelzendes 2-Chlor-(2’, 6’-dimethyl-N-pyrazol-1-yl-methyl)-acetanilid der Formel I

Eine von der Beklagten zu 1. gegen den deutschen Teil des Klagepatents erhobene Nichtigkeitsklage hat das Bundespatentgericht durch Urteil abgewiesen.

Die Beklagte zu 1., deren Geschäftsführer der Beklagte zu 2. ist, vertreibt Generikaprodukte im Bereich der Pflanzenschutzmittel. Zu ihrem Sortiment gehört u. a. ein Herbizid mit der Bezeichnung „XY“, welches im Internetauftritt mit folgenden Bemerkungen beworben worden ist:

„Dieses EU-Importprodukt ist im Rahmen der zulässigen Toleranzen chemisch identisch mit dem in Deutschland zugelassenen Produkt Z, das laut Website xxx die Zulassungsnummer xxx trägt und deren Antragsteller und Markeninhaber die Firma E Aktiengesellschaft Länderbereich Vertrieb Deutschland ist.

Die chemische Identität wird durch eine umfangreiche aktuelle chemische Analyse bestätigt. Das EU-Importprodukt ist inhaltlich korrekt und deutschsprachig etikettiert und erfüllt damit die Bedingungen für den zulassungsfreien Parallelimport in die Bundesrepublik Deutschland unter Berufung auf die bestehende Zulassung des Referenzmittels.“

Bei dem in Bezug genommenen Produkt „Z“ handelt es sich um ein Erzeugnis der Klägerin, welches nach deren unwiderlegten Angaben das im Klagepatent unter Schutz gestellte monokline Metazachlor enthält.

Gestützt auf eine im eigenen Unternehmen durchgeführte Untersuchung, welche eine Differenzialthermoanalyse, eine Infrarot-Spektroskopie sowie eine Röntgenstrukturanalyse umfasst hat, vertritt die Klägerin die Auffassung, dass das „XY“ der Beklagten wortsinngemäß von der technischen Lehre des Klagepatents im Umfang von dessen Patentanspruch 1 Gebrauch macht. Mit der vorliegenden Klage nimmt sie die Beklagten deshalb auf Unterlassung, Auskunftserteilung, Rechnungslegung, Vernichtung, Entschädigung und Schadenersatz in Anspruch.

Die Beklagten haben eine Benutzung des Klagepatents unter Hinweis darauf in Abrede gestellt, dass sich die patentgemäße monokline und die aus dem vorbekannten Stand der Technik geläufige trikline Kristallform von Metazachlor im Laufe der Zeit ineinander umwandeln, weswegen es sich bei dem von der Klägerin angegriffenen Herbizid um eine Mischung aus beiden Kristallformen handele. Hilfweise haben die Beklagten eingewandt, dass der geltend gemachte Patentanspruch 1 nicht rechtsbeständig sei.

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Landgericht der Klage stattgegeben und wie folgt erkannt:

I. Die Beklagten werden verurteilt,

1. es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,- Eur, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle mehrfacher Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, zu unterlassen,

im Geltungsbereich des deutschen Teils des europäischen Patentes 0 411 xxx

monoklines, bei 76° C schmelzendes 2-Chlor-(2‘, 6‘ dimethyl-N-pyrazol-1-yl-methyl)-acetanilid der Formel I

Formel Bl. 101 R. einsetzen

anzubieten, in Verkehr zu bringen, zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen.

2. der Klägerin unter Vorlage eines einheitlichen, geordneten Verzeichnisses vollständig darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die zu Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 6. März 1991 begangen haben, und zwar unter Angabe

a) der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,

b) der einzelnen Lieferungen und Bestellungen, aufgeschlüsselt nach Typenbezeichnungen, Liefer- und Bestellmengen, -zeiten und –preisen unter Einschluss sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer,

c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Typenbezeichnungen, Angebotsmengen, -zeiten und –preisen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,

wobei den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften ihrer Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden, dieser gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten und in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten die durch dessen Einschaltung entstehenden Kosten übernimmt und ihn ermächtigt, der Klägerin auf Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Angebotsempfänger in der Rechnungslegung enthalten ist,

d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Herstellungs- und Verbreitungsauflage, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,

e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns, der nicht durch den Abzug von Fixkosten und variablen Gemeinkosten gemindert ist, es sei denn, diese können ausnahmsweise den unter Ziffer I.1. genannten Gegenständen unmittelbar zugeordnet werden,

– wobei die Beklagten hinsichtlich der Angaben zu lit. a) und b) Bestell-, Lieferscheine und Rechnungen vorzulegen haben,

– von dem Beklagten zu 2. sämtliche Angaben und von beiden Beklagten die Angaben zu e) nur für die Zeit seit dem 3. Dezember 1993 zu machen sind;

– sich die Verpflichtung zur Rechnungslegung für die Zeit vor dem 1. Mai 1992 auf Handlungen in dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland in den bis zum 2. Oktober 1990 bestehenden Grenzen beschränkt.

3. die im unmittelbaren und mittelbaren Besitz oder Eigentum der Beklagten befindlichen unter Ziffer I.1. beschriebenen Erzeugnisse zu vernichten oder nach Wahl der Beklagten an einen von der Klägerin zu benennenden Treuhänder zum Zwecke der Vernichtung auf Kosten der Beklagten herauszugeben.

II. Es wird festgestellt,

1. dass die Beklagte zu 1. verpflichtet ist, an die Klägerin für die unter Ziffer I.1. bezeichneten, seit dem 6. März 1991 begangenen Handlungen eine angemessene Entschädigung zu zahlen;

2. dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die unter Ziffer I.1. bezeichneten, seit dem 3. Dezember 1993 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.

Gegen das landgerichtliche Urteil hat die Beklagte zu 1. Berufung eingelegt.

Sie wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen, dass unter bestimmten, in einer wissenschaftlichen Abhandlung im Einzelnen dargestellten Bedingungen eine Umwandlung der triklinen in die monokline Kristallform des Metazachlor, und umgekehrt, stattfinde. Herbizide – und folglich auch das angegriffene Produkt – enthielten deshalb keine Reinform des monoklinen Metazachlor, sondern eine Mischung, die sich aus der triklinen und der monoklinen Form zusammensetze. Ferner hält sie daran fest, dass die technische Lehre nach Patentanspruch 1 nicht neu, jedenfalls aber nicht erfinderisch sei.

Die Beklagte zu 1. beantragt,

das landgerichtliche Urteil (soweit es sie betrifft) abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten zu 1. zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil im Ergebnis und in der Begründung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung der Beklagten zu 1. bleibt in der Sache ohne Erfolg.

Mit zutreffenden Erwägungen ist das Landgericht zu der Überzeugung gelangt, dass das streitbefangene Herbizid der Beklagten zu 1. dem Wortsinn nach von der technischen Lehre des Klagepatents Gebrauch macht. Es hat die Beklagte zu 1. deswegen zu Recht zur Unterlassung, zur Auskunftserteilung, zur Rechnungslegung und zur Vernichtung verurteilt und deren Pflicht zur Entschädigung und zum Schadenersatz festgestellt. Anlass, das Berufungsverfahren auszusetzen, besteht nicht.

1.
Das Klagepatent schützt in seinem Anspruch 1 eine bestimmte Kristallform des herbiziden Wirkstoffs Metazachlor, nämlich

1. monoklines,
2. bei 76° C schmelzendes
3. 2-Chlor-(2’, 6’-dimethyl-N-pyrazol-1-yl-methyl)-acetanilid der Formel

chem. Formel Bl. 103 oben einfügen

Dieser monoklinen Kristallform schreibt das Klagepatent gegenüber der aus dem Stand der Technik bekannten triklinen Kristallform von Metazachlor den Vorteil zu, dass der Wirkstoff, wenn er in Form konzentrierter wässriger Suspensionen in den Handel gebracht wird, keine Agglomerate bildet, so dass das Herbizid auch nach längerer Lagerung einwandfrei versprüht werden kann.

Da Patentanspruch 1 den Wirkstoff als solchen unter Schutz stellt, kommt es für eine Benutzung des Klagepatents nicht darauf an, ob das fragliche Herbizid ausschließlich die erfindungsgemäße monokline Kristallform enthält; rechtlich entscheidend ist allein, ob in dem Herbizid überhaupt (d.h. in irgendeiner Menge) die monokline Kristallform nach Maßgabe von Patentanspruch 1 des Klagepatents vorhanden ist. Diese bereits nach der Fassung von Patentanspruch 1 eindeutige Sachlage wird im übrigen auch dadurch gestützt, dass der nebengeordnete Anspruch 5 herbizide Mittel unter Schutz stellt, wobei lediglich verlangt wird, dass monoklines Metazachlor in dem Herbizid enthalten ist, wobei Unteranspruch 6 einen Gewichtsanteil von 0,1 % genügen lässt.

2.
Vor dem Hintergrund dieses Verständnisses kann zugunsten der Beklagten zu 1. unterstellt werden, dass unter bestimmten Temperaturbedingungen die monokline in die trikline und – umgekehrt – die trikline in die monokline Kristallform von Metazachlor umgewandelt wird. Selbst wenn aufgrund dieses Phänomens das streitbefangene Herbizid als Wirkstoff nicht ausschließlich monoklines Metazachlor enthalten würde, sondern eine Mischung aus monoklinem und triklinem Metazachlor, so bliebe es bei der Feststellung, dass das angegriffene Erzeugnis in einer bestimmten Menge eben auch den patentgeschützten monoklinen Wirkstoff umfassen würde. Dass dem so ist, hat die Beklagte zu 1. auch in der Berufungsverhandlung vom 31.01.2008 nicht in Abrede gestellt. Dann aber hat die Beklagte zu 1. – wie bereits das Landgericht zutreffend ausgeführt hat – mit dem Produkt „XY“ monoklines, bei 76° C schmelzendes Metazachlor im Sinne von Patentanspruch 1 des Klagepatents angeboten und in Verkehr gebracht.

3.
Aufgrund der vorgefallenen Verletzungshandlungen ist die Beklagte zu 1. im zuerkannten Umfang zur Unterlassung, zur Auskunftserteilung, zur Rechnungslegung, zur Vernichtung, zur Entschädigung und zum Schadenersatz verpflichtet. Der Senat nimmt insoweit auf die zutreffenden und von der Berufung auch nicht angegriffenen Ausführungen des Landgerichts (Urteil Seiten 14 bis 16) Bezug.

4.
Nachdem das Bundespatentgericht die Nichtigkeitsklage gegen den deutschen Teil des Klagepatents abgewiesen hat, besteht kein Anlass, das Berufungsverfahren gemäß § 148 ZPO auszusetzen.

5.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Anordnungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeben sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Sache keine rechtsgrundsätzliche Bedeutung hat und eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist (§ 543 Abs. 2 ZPO).