2 U 7/12 – Steckhülse für Leiterplatten

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 2102

Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil vom 18. Juli 2013, Az. 2 U 7/12

Vorinstanz: 4a O 220/10

I.
Die Berufung der Beklagten gegen das am 15. Dezember 2011 verkündete Urteil der 4a Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass im Urteilstenor des Landgerichts zu I. 2. in der letzten Zeile des ersten Absatzes hinter das Wort „Lieferscheine“ die Worte „zu den Angaben gemäß a) und b)“ eingefügt und das Wort „insbesondere“ ersetzt wird durch „und zwar“.

II.

Die Beklagte hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III.

Das vorliegende Urteil und das vorbezeichnete Urteil des Landgerichts Düsseldorf sind vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 300.000,– Euro abzuwenden, falls nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV.

Die Revision wird nicht zugelassen.
V.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 300.000,– Euro festgesetzt.

G r ü n d e :

I.

Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des auch mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten und in deutscher Verfahrenssprache veröffentlichten europäischen Patentes 0 884 XXX (Klagepatent, Anlage K 2) betreffend eine Steckhülse für Leiterplatten; aus diesem Schutzrecht nimmt sie die Beklagte auf Unterlassung, Auskunft, Rechnungslegung, Vernichtung der angegriffenen Erzeugnisse und Feststellung ihrer Verpflichtung zum Schadenersatz in Anspruch.

Die dem Klagepatent zugrunde liegende Anmeldung ist am 8. Juni 1998 unter Inanspruchnahme einer deutschen Unionspriorität vom 11. Juni 1997 eingereicht und am 16. Dezember 1998 im Patentblatt veröffentlicht worden; die Bekanntmachung des Hinweises auf die Patenterteilung und die Veröffentlichung der Klagepatentschrift sind am 26. März 2003 erfolgt. Anspruch 1 des Klagepatentes lautet wie folgt:

Steckhülse für Leiterplatten, mit einem Gehäuse (1), das eine Einstecköffnung (2) zum Einstecken eines Steckers oder dergleichen aufweist, einem metallischen zum Festklemmen des einzusteckenden Steckers ausgebildeten Klemmelement (4), das in dem Gehäuse (1) gehaltert ist, mindestens einen Arm (8) sowie eine mit dem Arm (8) zusammenwirkende auslenkbare Zunge (10) und mindestens einen aus dem Gehäuse (1) herausragenden Ansatz (5) aufweist, der in eine durchkontaktierte Bohrung der Leiterplatte einpressbar ist, dadurch gekennzeichnet, dass der Arm (8) an seinem rückwärtigen Ende eine Schulter (14) aufweist, die an der Innenseite (18) der Rückwand (19) des Gehäuses (1) anliegt.

Die nachfolgend wiedergegebenen Figurendarstellungen erläutern die unter Schutz gestellte technische Lehre anhand eines Ausführungsbeispiels. Figur 1 zeigt einen Längsschnitt durch ein Gehäuse mit einer Steckhülse, Figur 2 eine Stirnansicht des Gehäuses von der rechten Seite in Figur 1 aus gesehen, Figur 3 das Klemmelement aus der gleichen Richtung wie Figur 1, Figur 4 eine Aufsicht auf das Klemmelement von oben, Figur 6 einen vertikalen Schnitt durch das Gehäuse und Figur 7 einen horizontalen Gehäuseschnitt.

Die in der Schweiz geschäftsansässige Beklagte vertrieb in der Bundesrepublik Deutschland eine Steckhülse zur Anbringung an einer Leiterplatte, zu deren Beschreibung die Klägerin in erster Instanz das Muster gemäß Anlage K 13 nebst Abbildung gemäß Anlage K 13a (Anlage zur landgerichtlichen Sitzungsniederschrift vom 22. November 2011 [Bl. 77 d.A.]) vorgelegt hat. Musterstück und Abbildung zeigen, dass die Schulter mit ihren abgefasten Ecken an entsprechend geformten vorspringenden Stufen des Gehäuses im Eckbereich Seiten-/Rückwand anliegt.

Die Klägerin meint, die vorbezeichnete Vorrichtung verwirkliche die in Anspruch 1 des Klagepatentes unter Schutz gestellte technische Lehre wortsinngemäß, in jedem Fall aber mit patentrechtlich äquivalenten Mitteln. Vor dem Landgericht hat sie vorgetragen, patentgemäß brauche die Schulter nicht formschlüssig an der Innenseite der Gehäuserückwand anzuliegen. Die dieser Ausgestaltung zugeschriebene Funktion, die Schulter mit der Innenseite zwecks Ausbildung einer Positionierhilfe zusammenwirken und die Innenseite als Anschlag für die Schulter dienen zu lassen, die den Einschiebeweg des Klemmelementes begrenzt, werde auch erreicht, wenn die Schulter nur abschnittsweise an der Innenseite anliege.

Die Beklagte stellt eine Verletzung des Klageschutzrechtes in Abrede und hat in erster Instanz zunächst vorgetragen, während das Klagepatent ein formschlüssiges Anliegen der Schulter des Klemmelementes an der Gehäuserückwand verlange, liege bei dem angegriffenen Gegenstand die Schulter nicht an der Rückwand des Gehäuses an, sondern sei 1 mm davon beabstandet. Befestigt und gehaltert sei das Klemmelement dadurch, dass statt der Schultern die Flanken der Arme kraftschlüssig in seitliche V-förmige Nuten des erwärmten Gehäuses diese verformend eingepresst und zwischen den Nutböden festgeklemmt würden. In ihrer erstinstanzlichen Duplik hat sie demgegenüber unter Vorlage der Abbildungen gemäß Anlage B 6/6a der Beschreibung gemäß Anlage B 7, der Abbildung gemäß Anlage B 8 und den Mustern gemäß Anlagen B 9 und 10 ausgeführt, ihre Steckhülse habe normalerweise überhaupt keinen Gehäuseboden (womit offenbar gemeint ist, dass die Nuten die Gehäuserückwand durchbrechen); einzig das als Anlage K 13 zur Gerichtsakte gelangte Exemplar sei mit einem Gehäuseboden ausgerüstet gewesen; es sei aber nur zu Studienzwecken hergestellt worden. Darüber hinaus bilde das angegriffene Erzeugnis gegenüber dem Stand der Technik keine schutzfähige Erfindung. Auch das Klagepatent sei gegenüber dem Stand der Technik nicht schutzfähig und könne für nichtig erklärt werden. Da nur eine einzige Lieferung zu einem Warenwert von 392,– Euro in die Bundesrepublik Deutschland gegangen sei, sei auch der Streitwert von 300.000,– Euro überhöht.

Mit Urteil vom 15. Dezember 2012 hat das Landgericht der Klage im Wesentlichen entsprochen und wie folgt erkannt:

I. Die Beklagte wird verurteilt,

1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu 250.000,– Euro, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Wiederholungsfall Ordnungshaft bis zu 2 Jahren, wobei die Ordnungshaft an dem jeweiligen Geschäftsführer der Beklagten zu vollstrecken ist, zu unterlassen

Steckhülsen für Leiterplatten mit einem Gehäuse, das eine Einstecköffnung zum Einstecken eines Steckers oder dergleichen, ein zum Festklemmen eines Steckers ausgebildeten und in dem Gehäuse gehalterten metallischen Klemmelements mit mindestens einem Arm sowie eine mit dem Arm zusammenwirkende Zunge, die auslenkbar ist, und mindestens einen aus dem Gehäuse herausragenden Ansatz aufweist, der in eine durchkontaktierte Bohrung einer Leiterplatte einpressbar ist,

in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in den Verkehr zu bringen und/oder zu gebrauchen und/oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen‚ und/oder zu besitzen, bei denen der Arm an seinem rückwärtigen Ende eine Schulter aufweist, die an der Innenseite der Rückwand des Gehäuses anliegt;

2. der Klägerin über den Umfang der vorstehend zu I. 1. bezeichneten und seit dem 30. Mai 2003 begangenen Handlungen Rechnung zu legen, und zwar unter Vorlage eines geordneten Verzeichnisses unter Beifügung der Belege in Form von Kopien der Rechnungen oder Lieferscheine, insbesondere unter Angabe

a) der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie die im Hinblick auf erhaltene Lieferungen der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,

b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen unter Einschluss von Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer,

c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen unter Einschluss von Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,

d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet;

e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns.

II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu I. 1. bezeichneten und seit dem 30. Mai 2003 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.

Es hält die angegriffene Vorrichtung für wortsinngemäß mit der technischen Lehre des Klagepatentes übereinstimmend und hat zur Begründung ausgeführt, die durch die V-förmige Ausbildung ihrer Nut entstehenden Dreieckflächen bildeten eine Anschlagfläche im Sinne des Klagepatentes, welche zum einen den Einschub des Klemmelementes lenke und zum anderen dessen Einschiebebewegung in das Gehäuse begrenze, indem seine Schulter an der der Einstecköffnung gegenüberliegenden Gehäuseinnenwandung anschlage. Unerheblich sei, ob das Material des Gehäuses erwärmt, hiernach das Klemmelement in das Gehäuse eingeschoben, dadurch Material des Gehäuses verdrängt wird und nach dem Erkalten durch Kraftschluss gehalten werde. In diesem Fall bilde das verdrängte Material die erforderliche Anschlagfläche. Die dreieckigen Anschlagflächen bildeten zudem einen Bestandteil der Rückwand der angegriffenen Ausführungsform, die nach der Lehre des Klagepatentes auch eine schräg ausgebildete Stufe aufweisen könne. Wegen weiterer Einzelheiten der Begründung wird auf das Urteil des Landgerichts Bezug genommen.

Mit ihrer Berufung verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter und führt zur Begründung unter ergänzender Bezugnahme auf ihren erstinstanzlichen Sachvortrag aus: Es bleibe dabei, dass das Musterstück gemäß Anlage K 13 lediglich zu Studienzwecken hergestellt worden sei. Das tatsächliche Handelserzeugnis sei in den Abbildungen gemäß Anlage B 6a, Bl. 1 und 2 bzw. 6 dargestellt. Das Klemmelement werde zunächst in den rechteckförmigen Teil der Nut geschoben, bis seine Schultern (14; Bezugszeichen entsprechen den letztgenannten Abbildungen) auf der über der V-förmigen Nut (1a) befindlichen Stufe zur „Anlage“ kämen. Anschließend würden die seitlichen rechteckigen Flanken des Klemmelements in die V-förmigen Nuten gepresst, wodurch, da der dreieckige Nutenquerschnitt kleiner sei als der rechteckige Flankenquerschnitt, in Richtung der Nutenwände seitlich Material verdrängt werde. Die Schultern (14) lägen nicht gegen die virtuell dargestellte Rückwandinnenseite des Gehäuses an. Um beim Einpressen der Flanken eine Beschädigung des Klemmelementes und des einen hohen Graphitfaser-Anteil enthaltenden Gehäuses zu verhindern, werde das Gehäuse vor dem Einpressen so weit erwärmt, dass dessen Material kurzfristig plastifiziert bzw. geschmeidig gemacht werde. Im eingepressten Zustand wirkten auf das Klemmelement infolge der Materialverdrängung kraftschlüssig seitlich bzw. senkrecht zur Einpressrichtung des Klemmelementes wirkende Klemmkräfte auf das Klemmelement ein. Diese durch Materialverdrängung bedingten Klemmkräfte würden zusätzlich erhöht durch das beim Abkühlen des erwärmten Gehäusematerials auftretende Schrumpfen, weshalb bei der Steckhülse der Beklagten die Klemmelemente nur mit hohem Kraftaufwand wieder aus dem Gehäuse herausgezogen bzw. herausgedrückt werden könnten. Die als Anlage B 8/3 vorgelegten Bilder 0475 und 0479 zeigten ebenfalls, dass durch das Einpressen der Flanken des Klemmelementes in die V-förmigen Nuten das Material des Gehäuses seitlich verdrängt werde und es damit gerade nicht zu der vom Landgericht im angefochtenen Urteil unterstellten Stufenbildung komme. Dasselbe ergebe sich aus der als Anlage B 13/B 13a vorgelegten Schliffbilderserie. Die Klägerin habe bei dem Muster gemäß Anlage K 13 das Gehäuse offensichtlich unsachgemäß aufgeschnitten und die V-Nut derart verformt, dass das von diesem Muster gefertigte Foto gemäß Anlage K 13a nicht aussagekräftig sei. In den Handel gebracht habe sie – die Beklagte – ein Produkt der in Anlage K 13a gezeigten Art nicht. Das Klemmelement stamme von ihr. Allerdings habe die in Anlage B 5 dokumentierte Lieferung in die Bundesrepublik Deutschland eine Ausführungsform entsprechend Anlage K 13 zum Gegenstand gehabt.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die gegnerische Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und tritt dem Vorbringen der Beklagten unter Wiederholung und Ergänzung ihres erstinstanzlichen Sachvortrages entgegen. Sie erklärt wie schon in erster Instanz, Gegenstand des Klageangriffs sei lediglich die Steckhülse gemäß Anlage K 13/K 13a, nicht aber das Erzeugnis gemäß den Anlagen B 6/B 6a, B 9 und B 10. Das Muster gemäß Anlage K 13 habe sie im Mai 2009 vom Stand der Beklagten auf der Messe PCIM Europe in Nürnberg zusammen mit zwei weiteren Mustern mitgenommen. Eines dieser Muster sei dasjenige gemäß Anlage K 9, das in seiner Ausgestaltung dem von ihr geöffneten Muster gemäß Anlage K 13 entspreche. Das dritte Muster befinde sich noch in ihrem – der Klägerin – Besitz; von ihm sei die das Klemmelement zeigende Abbildung gemäß Anlage K 10 gefertigt worden. Die Abbildung K 13a lasse erkennen, dass die Schultern des Klemmelementes im Außenbereich auf einem der Innenseite der Rückwand des Gehäuses zurechenbaren Materialwulst abgestützt seien und insoweit zumindest teilweise an der Innenseite der Rückwand anlägen. Nur gegenüber den verbleibenden Bereichen der Innenseite der Rückwand des Gehäuses bestehe ein Abstand. Die Abbildung Anlage K 13a zeige weiterhin, dass dieser Abstand gerade demjenigen Überstand des Klemmelementes entspreche, mit welchem dieses an der der Rückwand gegenüberliegenden Seite des Gehäuses herausrage. Da die Anlage K 13a die angegriffene Steckhülse in unverpresstem Zustand zeige, dürfe davon ausgegangen werden, dass spätestens nach dem Verpressen der Hülse die freie Oberkante des Klemmelementes mit der Einstecköffnung des Gehäuses fluchte, so dass nach dem Verpressen der Steckhülse die Schulter über ihre gesamte Länge an der Innenseite der Rückwand des Gehäuses anliege. Im Zuge des Erwärmens werde der in Anlage K 13a sichtbare und der Rückwand zurechenbare Materialwulst, auf welchem die Schulter beidseitig abgestützt sei, so weit plastifiziert, dass das Klemmelement bei seinem Einpressen den Materialwulst verdrängen und die Schulter an der Innenseite der Rückwand des Gehäuses zur Anlage gebracht werden könne. Das Bestreiten der Beklagten, dass das in Anlage K 13a abgebildete Erzeugnis von ihr stamme, sei widersprüchlich und verspätet. In der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht habe sie nämlich nicht bestritten, dass das Bild gemäß Anlage K 13a eine vergrößerte Aufnahme ihres eigenen hier angegriffenen Erzeugnisses sei. Das Vorbringen der Beklagten, die Lieferung gemäß Anlage B 5 habe Steckhülsen der Ausführungsform gemäß Anlagen K 13/K 13a zum Gegenstand gehabt, mache sie sich hilfsweise zu Eigen.

Die Beklagte hat ein von ihr in Auftrag gegebenes Gutachten von Professor Dr.-Ing. B aus C/Österreich (Anlage B 16) zu den Akten gereicht.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, aber unbegründet. Zu Recht hat das Landgericht sie zur Unterlassung und Rechnungslegung verurteilt und ihre Verpflichtung zum Schadenersatz dem Grunde nach festgestellt, und es ist auch zu Recht zu dem Ergebnis gekommen, dass die angegriffene Steckhülse wortsinngemäß mit der in Anspruch 1 des Klagepatentes unter Schutz gestellten technischen Lehre überein stimmt.

1.
Das Klagepatent betrifft eine Steckhülse, die an einer Leiterplatte angebracht werden soll. Wie die Klagepatentschrift zu Beginn der Beschreibung ausführt (Abs. [0001]), müssen häufig Bauelemente, Leitungen oder dergleichen lösbar an Leiterplatten angebracht werden. Die bislang üblicherweise hierzu verwendeten Buchsen oder Buchsenelemente werden an der Leiterplatte angeschraubt oder angelötet.

Aus der deutschen Gebrauchsmusterschrift 93 10 XXY (Anlage K 3) ist ein elektrischer Anschlussklemmenstift (20; Bezugszeichen entsprechen der nachstehend wiedergegebenen Abbildung aus der älteren Druckschrift) aus einem leitfähigen Blechmaterial zum Eindrücken in eine Schaltkarte bekannt. Der Anschlussklemmenstift weist einen Trageabschnitt (8) auf, der in einem Gehäuse gehaltert ist. An der einen Seite des Trageabschnittes befindet sich der eigentliche Klemmenabschnitt (14) zum Einstecken eines Stiftes und am anderen Ende der Teil (10 bis 12), der in die Bohrung der Leiterplatte einzustecken ist (Klagepatentschrift Abs. [0003]).

Als Aufgabe (technisches Problem) der Erfindung gibt die Klagepatentschrift an (Abs. [0004]), eine verbesserte Möglichkeit der Befestigung zu steckender Bauteile an Leiterplatten zu schaffen.

Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt Anspruch 1 folgende Vorrichtung vor:

Es handelt sich um eine Steckhülse für Leiterplatten mit

1. einem Gehäuse (1), das

1.1 eine Einstecköffnung (2) zum Einstecken eines Steckers oder dergleichen aufweist, und

2. einem metallischen Klemmelement, das

2.1 zum Festklemmen des einzusteckenden Steckers ausgebildet ist,
2.2 in dem Gehäuse (1) gehaltert ist,
2.3 mindestens einen Arm (8) sowie eine mit dem Arm zusammenwirkende auslenkbare Zunge (10) und
2.4 mindestens einen aus dem Gehäuse (1) herausragenden Ansatz (5) aufweist, der

2.4.1 in eine durchkontaktierte Bohrung der Leiterplatte einpressbar ist.

3. Der Arm (8) weist an seinem rückwärtigen Ende eine Schulter (14) auf, die

3.1 an der Innenseite (18) der Rückwand (19) des Gehäuses (1) anliegt.

Im allgemeinen Teil der Klagepatentbeschreibung wird ausgrführt (Abs. [0005]), die leitende Verbindung zwischen dem metallischen Klemmelement und der Leiterplatte könne durch Einpressen des Einpressansatzes in eine durchkontaktierte Bohrung der Leiterplatte erfolgen. Die einfach herzustellende Anbringung des Klemmelementes an der Leiterplatte ermögliche eine sehr einfache und wenig aufwändige Montage der Steckhülse und biete dennoch die Möglichkeit, ein zu steckendes Bauteil elektrisch und mechanisch mit dem Klemmelement und damit mit der Leiterplatte zu verbinden. Die Funktion der in der Merkmalsgruppe 3 gelehrten am rückwärtigen Ende des Arms vorhandenen Schulter, die an der Innenseite der Rückwand anliegt, erschließt sich dem Durchschnittsfachmann aus der Darstellung der in Unteranspruch 3 unter Schutz gestellten Ausgestaltung (Abs. [0007]) und des bevorzugten Ausführungsbeispiels (Abs. [0023] und [0026]). Aus den dortigen Erläuterungen ergibt sich, dass die Schulter die Einschiebebewegung des Klemmelements in den Innenraum des Gehäuses begrenzen und mit dem Anschlagen der Schulter an der Rückwand des Gehäuses ein Weiterschieben ausgeschlossen sein soll. Der Fachmann sieht, dass diese Funktion der Schulter als Begrenzung des Einschiebeweges für das Klemmelement keine Besonderheit der als bevorzugt dargestellten Ausgestaltung bildet, sondern dass sie auch allgemein und im Rahmen des Patentanspruches 1 so beabsichtigt ist und somit das Wesen der Erfindung ausmacht. Dem Durchschnittsfachmann ist ferner bewusst, dass diese Funktion nicht die vollständige Anlage der Schulter über die gesamte Länge der Innenseiten-Rückwand voraussetzt, sondern dass es genügt, nur einen Abschnitt der Innenwand als Anlage- bzw. Anschlagfläche zu nutzen, während der restliche Teil der Rückwand von der Schulter beabstandet sein kann. Bestätigt wird dieses Verständnis durch Unteranspruch 8, der eine Steckhülse mit zwei Armen lehrt, zwischen denen die Zunge angeordnet ist. Anspruch 1 schützt in Merkmal 2.3 dagegen auch Ausführungsformen mit nur einem Arm, der dann zwangsläufig nur auf einer Seite der Zunge angeordnet sein kann. Genügt aber nur an einer Seite die Anlage des Klemmelementes, so ist auch kein Grund dafür ersichtlich, weshalb in Bezug auf die einzelne Schulter eine Anlage über die gesamte Schulterbreite oder Innenwandlänge erforderlich sein soll.

2.
Von dieser Ausgestaltung macht die angegriffene Steckhülse wortsinngemäß Gebrauch. In diesem Zusammenhang hat die Klägerin mehrfach erklärt, Gegenstand des Klageangriffs sei allein das als Anlage K 13 vorgelegte teilaufgeschnittene Musterstück, von dem auch die Abbildung gemäß Anlage K 13a gefertigt worden ist. Die von der Beklagten mehrfach ausführlich beschriebenen Ausführungsformen ohne Gehäuserückwand im Bereich der Schulter (etwa Anlagen B6, B9, B 10 und B13 bis 16) werden nach der ausdrücklichen Erklärung der Klägerin nicht angegriffen, so dass insbesondere das als Anlage B 16 vorgelegte Privatgutachten von Professor Dr. B schon deshalb zur Aufklärung nichts beiträgt, weil eine im vorliegenden Rechtsstreit nicht angegriffene Steckhülse untersucht worden ist.

a)
Unstreitig verwirklicht das Muster gemäß Anlage K 13 die Merkmale 1 bis 3 der vorstehenden Merkmalsgliederung wortsinngemäß, so dass sich hierzu weitere Ausführungen erübrigen. Streitig ist lediglich, ob die Schulter des Arms in Übereinstimmung mit Merkmal 3.1 an der Innenseite der Rückwand des Gehäuses anliegt. Auf das Muster gemäß Anlage K 13 trifft das ohne Weiteres zu, wenn man das Klemmelement weit genug einschiebt. Anhand des Musters lässt sich ohne Schwierigkeiten nachvollziehen, dass das noch nicht endgültig befestigte und lose verschiebbar eingelegte Klemmelement sich so weit in das Gehäuse vorschieben lässt, bis seine Schulter im Eckbereich an entsprechende Vorsprünge im Inneren des Gehäuses anstößt, die im Eckbereich von Seiten- und Rückwand des Gehäuses liegen und die das Landgericht zutreffend auch der Rückwand zugerechnet hat. Dass diese Vorsprünge bzw. Stufen auch Teil der Rückwand sind, ergibt sich daraus, dass sie auch und sogar materialeinheitlich mit der Rückwand fest verbunden sind, über ihre Längserstreckung parallel zu ihr verlaufen und auf diese Weise aufgrund ihrer Lage ebenso wie auch die übrigen Abschnitte der Rückwand den Innenraum des Gehäuses in Einschubrichtung gesehen zur Rückseite hin begrenzen und abschließen. Dass sie ebenso den Gehäuseseitenwänden zuzuerechnen sind, weil sie auch von ihnen stufenförmig vorstehen, auch mit ihnen einstückig verbunden sind, auch zu ihnen parallel verlaufen und den Gehäuseinnenraum zufolge dieser Anordnung auch zur Seite hin begrenzen, hindert nicht, sie auch als Teil der Gehäuserückwand zu betrachten. Das Klagepatent macht zur näheren Ausgestaltung der Gehäuserückwand keine weiteren Vorgaben und lässt auch eine gestufte Ausbildung zu, wie sie bei dem angegriffenen Muster verwirklicht ist. Indem bei der angegriffenen Steckhülse die Eckbereiche der Schulter des Klemmelementes an den im Wesentlichen parallel zu den übrigen Abschnitten der Rückwand verlaufenden stufenförmigen Vorsprünge anschlagen, liegen sie wie von Merkmal 3.1 der vorstehenden Merkmalsgliederung gefordert an der Innenseite der Gehäuserückwand an. Dass sie zu den zurückspringenden Abschnitten der Rückwand Abstand einhalten, ändert an der wortsinngemäßen Verwirklichung des genannten Merkmals nichts, weil das Klagepatent, wie vorstehend ausgeführt wurde, kein Anliegen an der Rückwand über die gesamte Längserstreckung der Schulter und/oder der Rückwand verlangt.

b)
Erfolgslos wendet die Beklagte ein, das Muster gemäß Anlage K 13 lasse die Lage des Klemmelementes relativ zur Gehäuserückwand nicht zuverlässig erkennen, weil es unsachgemäß geöffnet worden sei. Die Beklagte hätte dazu auch darlegen müssen, dass auch bei der Ausführungsform gemäß Anlage K13 die Schulter im fertigmontierten Zustand mit Abstand von der rückseitigen Gehäuseinnenwand angeordnet ist. Dass sie dies unter Bezugnahme auf abweichend ausgebildete Steckhülsen getan hat, die nicht Gegenstand des Klageangriffes sind, vermittelt kein Bild davon, welche Ausgestaltung der angegriffenen Steckhülse sie behaupten will und vermag deshalb den schlüssigen Sachvortrag der Klägerin nicht zu widerlegen.

c)
Der Senat geht davon aus, dass nicht nur das teilweise geöffnete Muster gemäß Anlage K 13 wie vorbeschrieben ausgestaltet ist, sondern dass dies auch auf das Muster gemäß Anlage K 9 zutrifft, das die Klägerin in geschlossenem Zustand vorgelegt hat, das aber nach ihrem unwidersprochenen Vorbringen ebenso ausgestaltet ist wie das Muster gemäß Anlage K 13 und eine Konfiguration betrifft, wie sie von der Beklagten in den Verkehr gebracht worden ist. Da das Klemmelement des Musters gemäß Anlage K 9 sogar noch etwas weiter in das Gehäuse hinein geschoben worden ist als bei dem Muster gemäß Anlage K 13, was daran zu erkennen ist, dass das Klemmelement des Musters gemäß Anlage K 9 anders als dasjenige des Musters gemäß Anlage K 13 nahezu bündig mit den Gehäusewandungen abschließt und aus diesen kaum heraus ragt und die zum Einpressen in die Leiterplatte vorgesehenen Ansätze entsprechend weiter aus dem Gehäuse heraus ragen, ist davon auszugehen, dass die auf der Abbildung gemäß Anlage K 10 gezeigte und auch bei dem Muster gemäß Anlage K 9 nach dem unwidersprochenen Vorbringen der Klägerin vorhandene Schulter bis zum Anstoßen an den stufenförmigen Vorsprüngen der Rückwand in das Gehäuse eingeschoben worden ist.

d)
Dass sie die wie vorbeschrieben ausgestaltete Steckhülse in die Bundesrepublik Deutschland geliefert hat, hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vom 20. Juni 2012 vor dem Senat selbst eingeräumt, indem sie vorgetragen hat, die als Anlage B 5 vorgelegte Rechnung vom 1. März 2010 an die Kirstein GmbH in Augsburg habe Steckhülsen der aus den Anlagen K 13/K 13a ersichtlichen Ausführungsform zum Gegenstand gehabt. Nachdem die Klägerin sich dieses Vorbringen hilfsweise zu Eigen gemacht hat, konnte es der Entscheidung des Senats als unstreitig zugrunde gelegt werden.

3.
Dass die Beklagte als Folge der vorstehend dargelegten rechtswidrigen und schuldhaften Verletzung des Klagepatentes im zuerkannten Umfang zur Unterlassung, zur Rechnungslegung und dem Grunde nach zum Schadenersatz verpflichtet ist, hat das Landgericht im Abschnitt IV. der Entscheidungsgründe (Urteilsumdruck S. 13/14) zutreffend dargelegt; auf diese Ausführungen nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen ebenso Bezug wie auf die Ausführungen im Abschnitt V. der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Umdruck S. 14/15), aus denen sich ergibt, dass und aus welchen Gründen der von der Beklagten geltend gemachte Formsteineinwand und ihre Hinweise auf ihrer Meinung nach dem Klagepatent schutzhindernd entgegenstehenden Stand der Technik nicht durchgreifen. Der Rechnungslegungstenor bedarf lediglich der Korrektur insoweit, als eine Belegvorlage nach der Rechtsprechung des Senats nur hinsichtlich der Daten nach § 140 b PatG infrage kommt und der Ausspruch insgesamt hinreichend bestimmt zu sein hat.

III.

Als unterlegene Partei hat die Beklagte nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels zu tragen; die Anordnungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeben sich aus den §§ 708 Nr. 10, 711, 108 ZPO.

Es bestand keine Veranlassung, die Revision zuzulassen, weil die hierfür in § 543 ZPO aufgestellten Voraussetzungen ersichtlich nicht vorliegen. Als Einzelfallentscheidung hat die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO noch erfordern die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung oder die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung durch den Bundesgerichtshof als Revisionsgericht im Sinne des § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.