2 U 11/11 – Rodungsmesser

Düsseldorfer Entscheidung Nr.:  1877

Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluß vom 18. April 2012, Az. 2 U 11/11

Vorinstanz: 4a O 237/09

Die Verhandlung wird bis zur erstinstanzlichen Entscheidung über den gegen die Erteilung des deutschen Patentes 10 2008 027 XXX eingelegten Einspruch ausgesetzt.

G r ü n d e :

Nach § 148 ZPO kann das Gericht seine Verhandlung aussetzen und die Erledigung eines anderen Rechtsstreits abwarten, wenn die eigene Entscheidung ganz oder zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses bildet, das den Gegenstand des anderen anhängigen Rechtsstreits bildet. Die eigene Entscheidung des Senats im vorliegenden Fall hängt vom Bestand des im Beschlussausspruch näher bezeichneten Klagepatentes ab, über den im Einspruchsverfahren beim Deutschen Patent- und Markenamt entschieden wird.

I.

Allerdings vertritt der Senat in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass die Aussetzung eines Patentverletzungsrechtsstreits nach § 148 ZPO bei einem anhängigen Einspruchsverfahren oder Nichtigkeitsverfahren in aller Regel nur in Betracht kommt, wenn das Klagepatent mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht rechtsbeständig ist. Diese hohe Wahrscheinlichkeit besteht nur dann, wenn das Klagepatent im Stand der Technik neuheitsschädlich vorweggenommen wird oder die Erfindungshöhe angesichts des entgegengehaltenen Standes der Technik so fragwürdig geworden ist, dass sich ein vernünftiges Argument für ihre Zuerkennung nicht mehr finden lässt. Bloße Zweifel des Verletzungsgerichts an der Erfindungshöhe können hingegen eine Aussetzung in aller Regel nicht rechtfertigen. Außerdem muss der dem Verletzungsgericht vorgelegte Stand der Technik dem Klagepatent näher stehen als der im Erteilungsverfahren bereits berücksichtigte, der der zuständigen Erteilungsbehörde gerade keinen Anlass gegeben hat, das Patent zu versagen. Die Beurteilung der Frage, ob eine Patenterfindungshöhe zukommt, ist eine wertende Entscheidung, die das Verletzungsgericht nicht zu treffen hat.

An dieser auch vom Bundesgerichtshof (GRUR 1987, 284 ff. – Transportfahrzeug) gebilligten Rechtsprechung hält der Senat im Grundsatz weiterhin fest; es erscheint ihm jedoch geboten, die Frage der Aussetzung des Verletzungsrechtsstreits in zweiter Instanz unter etwas weniger strengen Gesichtspunkten zu beurteilen, wenn der Patentinhaber bereits ein erstinstanzliches obsiegendes Urteil erstritten hat, aus dem er gegen Sicherheitsleistung nach § 709 Satz 1 ZPO vollstrecken kann. In diesem Fall greift die Erwägung, auf der u.a. die vorgenannte Rechtsprechung des Senats beruht, dass die Aussetzung der Verhandlung das dem Patentinhaber ohnehin nur für eine begrenzte Zeit verliehene Ausschließlichkeitsrecht praktisch suspendiert, nicht mehr. Vielmehr kann der Schutzrechtsinhaber in einem solchen Fall seine Rechte durchsetzen, wobei dies allerdings mit dem sich aus § 717 Abs. 2 ZPO ergebenden Risiko verbunden ist, dem Beklagten den durch die Vollstreckung des Urteils entstandenen Schaden ersetzen zu müssen, wenn das erstinstanzliche Urteil aufgehoben oder abgeändert wird. Diese Möglichkeit, seine Patentrechte auf eigenes Risiko durchzusetzen, wird auch nicht entscheidend dadurch geschmälert, dass der in Anspruch genommene Beklagte die Möglichkeit hat, gemäß den §§ 719 Abs. 1, 797 ZPO die Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem erstinstanzlichen Urteil zu beantragen. Nach ebenfalls ständiger Rechtsprechung des Senats kommt eine solche Einstellung der Zwangsvollstreckung aus nur gegen Sicherheitsleistung des Vollstreckungsgläubigers vollstreckbaren Urteilen nur ausnahmsweise in Betracht, wenn der Vollstreckungsschuldner darlegt und glaubhaft macht, dass die Zwangsvollstreckung ganz ungewöhnliche Nachteile für ihn mit sich brächte und wenn das mit dem Rechtsmittel angefochtene Urteil offensichtlich keinen Bestand haben könnte. Kann der Patentinhaber seine Ausschließlichkeitsrechte auf der Grundlage eines erstinstanzlichen Urteils durchsetzen, steht allein der Umstand, dass ein gegen ein erteiltes Patent ergriffener Rechtsbehelf sich nur auf bereits gewürdigten Stand der Technik stützt, einer Aussetzung nicht entgegen (vgl. Senat, Mitteilungen 1997, 257, 258 – Steinknacker).

II.

Ausgehend von diesen Grundsätzen kommt auch hier dem gegen die Erteilung des Klagepatentes eingelegten Einspruch eine solch hinreichende Erfolgsaussicht zu, dass der Senat eine Aussetzung der Verhandlung des Patentverletzungsrechtsstreits in der Berufungsinstanz für geboten hält.

1.
Das Klagepatent betrifft mit seinem Anspruch I einen Schweißadapter mit Rodungsmesser.

Wie die Klagepatentschrift einleitend ausführt (Abs. [0002]), müssen insbesondere in Parkanlagen und im innerstädtischen Bereich Stumpf und Wurzeln gefällter Bäume (Wurzelstöcke) entfernt werden, damit die Oberfläche planiert und wieder bepflanzt werden kann; im Pflanzbereich verbleibende Wurzeln wirken sich biologisch ungünstig auf das Wachstum der neuen Bäume aus.

An den bisher verwendeten Wurzelstockfräsen wird in der Klagepatentschrift als nachteilig beanstandet, sie seien teuer, ihre Frästiefe sei durch den Radius der Frästrommel begrenzt, und der Aushub sei ein Gemisch aus Erde und Holzsplittern (Abs. [0003]).

Anschließend wird der aus dem deutschen Patent 936 XXY (Anlage K 7) bekannte „Rodehaken“ bzw. „Rodezahn“ beschrieben. Diese auch als „Reißzahn“ bezeichnete Vorrichtung wird mit Hilfe eines Löffelbaggerarms unter den Baumstumpf geführt und dann nach oben bewegt, so dass der Baumstumpf herausgerissen wird. Dazu müssen jedoch sehr schwere Bagger eingesetzt werden, weil die zum Ausreißen des Baumstumpfes benötigten Kräfte sehr hoch sind (Klagepatentschrift Abs. [0004] und [0005]).

Zur Vermeidung dieses Nachteils wird in der deutschen Auslegeschrift 1 940 XXZ (Anlage K 8) vorgeschlagen, den Reißzahn drehend unter den Baumstumpf zu schieben, bis sich der Baggerarm auf dem Boden aufstützt und der Baumstumpf dann durch die weitere Drehung des Reißzahns aus dem Erdreich herausgerissen wird (vgl. Figuren 4 und 5 der älteren Druckschrift). Diese Lösung hat sich jedoch nicht durchgesetzt (Klagepatentschrift Abs. [0005]).

Schließlich ist aus der DD-Patentschrift 242 XYX (Anlage K 6) eine Vorrichtung zum Spalten von Baumstümpfen mit zwei Schneidelementen vergleichbar einer Zange oder Schere bekannt, die beide den Baumstumpf umfassen, sich schließen und auf diese Weise den Baumstumpf zerschneiden bzw. spalten. Daran wird als nachteilig bezeichnet, dass die zum Spalten benötigten Kräfte über eine hydraulische Mechanik aufgebracht werden müssten, die aufgrund der hohen Kräfte sehr aufwendig angelegt sein müsse (Abs. [0006]).

Als Aufgabe (technisches Problem) der Erfindung gibt die Klagepatentschrift bezogen auf die Vorrichtungsansprüche an, ein preisgünstiges Gerät zur Beseitigung auch tiefgehender Wurzelstöcke bereitzustellen, dass die Holzteile weitgehend unvermengt mit dem Erdreich abräumen kann.

Zur Lösung dieser Problemstellung schlägt Anspruch 1 des Klagepatentes folgende Merkmalskombination vor:

1. Schweißadapter für Bagger,

2. mit einer Befestigungsvorrichtung für den Arm des Baggers an der Oberseite einer Schweißplatte (1),

3. mit Rodungsmesser,

4. das Rodungsmesser ist als Haken ausgebildet,

5. der Haken besteht aus

5.1. einem von der Unterseite der Schweißplatte nach unten abstehenden Teil (2) und

5.2. einem quer zu diesem verlaufenden Teil (3),

6. der Haken ist zumindest auf einer Seite über seine ganze Länge quer zur Hakenebene zu einer scharfen Messerkante (4) verjüngt.

Eine Vorrichtung mit den vorbezeichneten Merkmalen kann nach den Ausführungen der Klagepatentschrift (Abs. [0012]) mit Hilfe eines Baggers Wurzelstöcke in der Weise entfernen, dass die Stichplatte das Holz des Stumpfes mit den etwa senkrecht verlaufenden Fasern spaltet bzw. abschabt und zugleich die Schürfplatte die stammnahen Wurzelteile ebenfalls etwa entlang der Faser abschabt bzw. spaltet. Ist jeweils nur eine Kante von Stich- und Schürfplatte als Messerkante ausgebildet, bezeichnet es die Klagepatentschrift als zweckmäßig, diese zum Bagger hin zeigend anzuordnen; das soll die Möglichkeit schaffen, den Arm des Baggers wie beim Schaufelbagger bewegen zu können, ihn nämlich den Arbeitszyklus gestreckt beginnen, sich kreisförmig nach unten bewegen und diese Bewegung zurück zum Bagger hin fortsetzen zu lassen, wobei die Messerkanten das Material des Wurzelstocks in der vorbeschriebenen Weise spalten bzw. schneiden (Klagepatentschrift Abs. [0018]).

2.
Nach der bisherigen Einschätzung des Senats verwirklicht die angegriffene Vorrichtung der Ausführungsform II die im Klagepatent unter Schutz gestellte technische Lehre wortsinngemäß, so dass die Entscheidung des Senats vom Rechtsbestand des Klageschutzrechtes abhängt.

III.

Der Einspruch der Beklagten gegen die Erteilung des Klagepatentes bietet hinreichende Erfolgsaussicht. Zwar hat die Beklagte, wie das Landgericht im angefochtenen Urteil zu Recht ausgeführt hat, kein neuheitsschädliches Material vorgelegt. Nach Auffassung des Senats haben jedoch die vorliegenden Entgegenhaltungen, insbesondere die europäischen Patentanmeldungen 0 315 XYY (Anlage B 12) und 0 161 XYZ dem angesprochenen Durchschnittsfachmann am Prioritätstag die im Klagepatent beschriebene Lösung nahe gelegt.

Hierbei beschränkt sich die Prüfung der europäischen Patentanmeldung 0 315 XYY auf das, was sich aus den Figurendarstellungen in Verbindung mit der deutschen Übersetzung der Patentansprüche ergibt; die französischsprachige Fassung der Beschreibung und der Ansprüche wird nicht in die Prüfung einbezogen. Beschränkt man sich darauf, ist die Entgegenhaltung aus den vom Landgericht zutreffend dargelegten Gründen (vgl. Umdruck S. 16, Abschnitt 2. a)) nicht neuheitsschädlich. Das beruht jedoch allein auf dem Umstand, dass die beiden schneidenden Teile der vorbekannten Vorrichtung bestehend aus einem ein senkrechtes Schneidemesser bildenden Ständer (8; Bezugszeichen entsprechen der älteren Druckschrift) und aus einem waagerechten Schneidemittel (5, 6) nicht an einem Schweißadapter für Bagger befestigt sind. Für den Senat ist nicht erkennbar, worin die erfinderische Leistung liegt, auf der Suche nach einer Lösung für das in der Klagepatentschrift angegebene technische Problem ausgehend von dort beschriebenen Stand der Technik die beiden genannten Funktionsteile statt an der dort gezeigten Vorrichtung senkrecht an einer Schweißplatte eines Schweißadapters für Bagger anzuschweißen und mit einer Schürfplatte zu versehen, die nur die Hälfte derjenigen der dort gezeigten Platte aufweist. In Bezug auf Letzteres ist besonders zu berücksichtigen, dass eine solche „halbseitige“ Schürfplatte bereits aus der europäischen Patentanmeldung 0 161 XYZ bekannt war. Die in der Klagepatentschrift beschriebene Arbeitsweise ist auch mit einer solchen Vorrichtung ohne weiteres möglich.

Ähnliches gilt für die letztgenannte europäische Patentanmeldung 0 161 XYZ. Auch diese Vorrichtung ist aus den vom Landgericht dargestellten Gründen (Umdruck S. 17 Abs. 1-3) nicht neuheitsschädlich, weil sie kein Schweißadapter für Bagger ist. Allerdings weist auch sie eine senkrecht stehende Platte (1; Bezugsziffern entsprechen wiederum der älteren Druckschrift) mit einem senkrechten Schneidmesser (2, 3) auf, und sie verfügt über eine quer dazu verlaufende Schürfplatte, die sich über ihre gesamte Länge an einer Seite zu einer Schneidkante verjüngt; im Gegensatz zur erstgenannten Entgegenhaltung verläuft diese Schürfplatte auch nur an einer Seite der senkrechten Platte, so dass sich die im Klagepatent beschriebene „Hakenform“ ergibt. Wie Figur 1 der Entgegenhaltung zeigt, lässt sich diese Vorrichtung genauso einzusetzen, wie es die Klagepatentschrift in Bezug auf die in Anspruch 1 beschriebene Vorrichtung darstellt (nämlich dass die senkrecht stehende Platte das Holz des Stumpfes mit den etwa senkrecht verlaufenden Fasern spaltet bzw. abschabt und zugleich die Platte, die stammnahen Wurzelteile ebenfalls etwa entlang ihrer Fasern abschabt bzw. spaltet). Dass die Schneidkante der waagerechten „Schürfplatte“ bei der Entgegenhaltung abgestuft verläuft, steht der Verwirklichung der erfindungsgemäßen technischen Lehre nicht entgegen, denn Anspruch 1 des Klagepatentes lässt die weitere Ausgestaltung der Schneidkante offen. Auch hier vermag der Senat nicht zu erkennen, worin die erfinderische Leistung liegt, auf der Suche nach der Lösung der dem Klagepatent zugrunde liegenden Problemstellung ausgehend von dort beschriebenem Stand der Technik die aus der europäischen Patentanmeldung 0 161 XYZ bekannten und vorbezeichneten Funktionsteile als Rodungsmesser in einem Schweißadapter für Bagger zu integrieren, zumal in den Figuren 3 und 6 der Entgegenhaltung diese Funktionsteile auch separiert dargestellt werden.

Demgegenüber hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vergeblich eingewandt, für die dem Klagepatent zugrunde liegende Erfindung sei inzwischen ein europäisches Patent erteilt worden. Mit welchem Wortlaut genau die vom europäischen Patentamt erteilten Ansprüche haben, und welchen Stand der Technik der europäische Patentprüfer dabei berücksichtigt hat, hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung nicht näher dargelegt; auch die vom Kläger als Anlage K 23 zu seinem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 26. März 2012 überreichte Mitteilung des Europäischen Patentamtes besagt insoweit nichts Näheres. Da während des erstinstanzlichen Verfahrens und auch in der Berufungsinstanz die Schutzfähigkeit des Klagepatentes diskutiert worden ist, hätte von ihm erwartet werden können, dass er spätestens in der mündlichen Berufungsverhandlung die entsprechenden Unterlagen beibringt. Anlass, ihm nachzulassen, sie nachzureichen, bestand aus diesem Grunde nicht.