2 U 44/12 – Virostatikum

Düsseldorfer Entscheidung Nr.:  2042

Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil vom 20. September 2012, Az. 2 U 44/12

Vorinstanz: 4a O 16/12

I.
Die Berufung der Verfügungsklägerinnen wird zurückgewiesen.
II.
Die Verfügungsklägerinnen tragen auch die Kosten des Berufungsverfahrens jeweils zur Hälfte.
III.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 1.000.000,- EUR festgesetzt.

Gründe:

I.
Von einer Darstellung des Sachverhaltes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1, 542 Abs. 2 S. 1 ZPO abgesehen.
II.
Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte, welche der Senat auch in der Berufungsinstanz von Amts wegen zu prüfen hat (vgl. BGHZ 157, 224; Zöller/Vollkommer, ZPO, 28. Auflage, § 513 Rn 8), folgt aus Art. 5 Nr. 3 EuGVVO. Insoweit nimmt der Senat auf die zutreffenden, in zweiter Instanz auch nicht angegriffenen Ausführungen des Landgerichts Bezug und macht sich diese vollumfänglich zu eigen (siehe Ziffer I. der landgerichtlichen Entscheidungsgründe).

III.
Die zulässige Berufung der Verfügungsklägerinnen ist unbegründet.

1)
Die Verfügungsklägerinnen haben keine Tatsachen glaubhaft zu machen vermocht, aufgrund derer ein Verfügungsanspruch aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 139 Abs. 1 S. 2 i.V.m. S. 1 PatG (i.V.m. § 16a Abs. 2 PatG) zu bejahen wäre. Zu Recht hat das Landgericht deshalb mangels einer „Erstbegehungsgefahr“ einen Verfügungsanspruch verneint.

a)
Gemäß Art. 64 Abs.1 EPÜ, § 139 Abs. 1 S. 2 PatG besteht ein Unterlassungsanspruch auch dann, wenn eine Zuwiderhandlung erstmals droht. Damit stellt das Gesetz klar, dass selbst dann, wenn es bislang an einer objektiv eingetretenen Patentverletzung fehlt – mithin keine Wiederholungsgefahr besteht -, unter den Voraussetzungen einer sog. „Erstbegehungsgefahr“ mit Erfolg Unterlassung verlangt werden kann. Eine derartige Erstbegehungsgefahr muss ebenso wie eine Wiederholungsgefahr objektiv vorliegen. Während eine Wiederholungsgefahr aufgrund einer bereits begangenen Verletzung vermutet wird, muss der Kläger die nachfolgend wiedergegebenen tatsächlichen Anforderungen an die Bejahung einer Erstbegehungsgefahr im Einzelnen darlegen und beweisen, worin eine besondere Schwierigkeit für den Kläger liegt (vgl. Köhler, in: Köhler/Bornkamm, UWG, 30. Auflage, 2012, § 8 Rn 1.17). Die Beurteilung einer Erstbegehungsgefahr hängt insoweit von einer umfassenden Würdigung der jeweiligen tatsächlichen Umstände des konkreten Einzelfalles ab (Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 9. Auflage 2007, 10. Kap., S. 115, Rn 8 m.w.N.).

Eine Erstbegehungsgefahr setzt konkrete Tatsachen voraus, aus denen sich greifbar ergibt, dass ein Eingriff in das Klageschutzrecht drohend bevorsteht (BGH, GRUR 1970, 358 – Heißläuferdetektor; BGH, GRUR 2001, 1174, 1175 – Berühmungsaufgabe). Neben einer objektiv möglichen zukünftigen Patentverletzung müssen also konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Verletzung ernsthaft und greifbar zu besorgen ist (BGH, GRUR 1991, 470 – Telefonwerbung IV; 1992, 318 – Jubiläumsverkauf). Unter anderem aus Vorbereitungshandlungen kann sich die Gefahr einer Benutzung ergeben (BGH, GRUR 1952, 410 – Constanze I; 1987, 125 – Berühmung; 1995, 595 – Kinderarbeit; 1992, 612 – Nicola). Ausreichend ist das Vorliegen von Umständen, die darauf schließen lassen, dass der Entschluss zur Verletzung bereits gefasst ist und es nur noch vom potentiellen Verletzer abhängt, ob es zu einer Verletzung kommt oder nicht (BGH, GRUR 1992, 612 – Nicola). Nicht ausreichend für die Bejahung einer Erstbegehungsgefahr ist die bloße Möglichkeit, dass sich die Gefahr eines Patenteingriffs ergeben könnte, selbst wenn die Übernahme einer förmlichen Unterlassungsverpflichtung abgelehnt wird (BGH, GRUR 1957, 348, 349 – Klasen-Möbel; GRUR 1970, 358 – Heißläuferdetektor; 1992, 318 – Jubiläumsverkauf; 1992, 612 – Nicola) oder bei auslaufendem Patentschutz ein erhebliches wirtschaftliches Interesse an einer durch einstweilige Verfügung nicht mehr abzuwendenden Patentverletzung besteht (OLG Düsseldorf, Mitt. 2006, 426 – Terbinafin).

b)
In Anbetracht der unter a) wiedergegebenen Anforderungen greifen die Verfügungsklägerinnen das erstinstanzliche Urteil ohne Erfolg mit der Begründung an, dass das Landgericht verfehlt eine „Erstbegehungsgefahr“ verneint habe.

aa)
Eine Erstbegehungsgefahr ist zunächst nicht schon allein daraus abzuleiten, dass die Verfügungsbeklagte zu 1) die arzneimittelrechtliche Genehmigung für E.-T. bereits lange Zeit vor Ablauf der Verfügungsschutzrechte beantragt und erhalten hat.
Eine Erstbegehungsgefahr lässt sich nicht schon dann annehmen, wenn ein G.unternehmen vor Ablauf des Patentschutzes im Besitz einer europäischen Arzneimittelzulassung für das G. ist, sofern die Zulassung bei Nichtbenutzung während der restlichen Patentlaufzeit nicht verfällt (und deswegen für eine Benutzungsabsicht ausschließlich nach Ende des Patentschutzes Sinn macht). Insofern ist es zu Recht anerkannt, dass weder ein Antrag auf eine arzneimittelrechtliche Zulassung patentgeschützter Medikamente noch die Erteilung der Zulassung allein geeignet sind, eine „Erstbegehungsgefahr“ zu begründen, und dass aus der Genehmigungserteilung nicht auf einen bestimmten Zeitpunkt des erstmaligen Inverkehrbringens geschlossen werden kann (OLG München, Mitt. 1996, 312 – Patentverletzung durch ärztliche Verschreibung). Allgemein gilt, dass allein der Antrag auf Erteilung einer staatlichen Zulassung für ein bestimmtes Erzeugnis noch nicht als Patentverletzung einzuordnen ist (vgl. BGH, GRUR 1990, 997 – Ethofumesat), weshalb daraus ohne sonstige Umstände auch keine Erstbegehungsgefahr hergeleitet werden kann. Dies wird für den Bereich der Pharmazie letztlich auch durch die ratio des § 11 Nr. 2b PatG (sog. Roche Bolar-Regel) bestätigt, der es G.herstellern ermöglichen soll, eine arzneimittelrechtliche Zulassung/Genehmigung schon vor Ablauf eines Patents vorzubereiten (vgl. Ensthaler, in: Fitz/Lutzner/Bodewig, PatG, 4. Auflage 2012, § 11 Rn 16). Es müssen vielmehr über diese bloße Vorbereitung hinausgehende Anhaltspunkte gegeben sein, die einen vorbeugenden Rechtsschutz rechtfertigen, an denen es vorliegend – wie unten näher ausgeführt – indes fehlt.
Wie zwischen den Parteien unstreitig ist, erhielt die Verfügungsbeklagte zu 1) die arzneimittelrechtliche Zulassung für E.-T. rund 22 Monate vor dem Ablauf der Verfügungsschutzrechte. Gemäß der sog. „Sunset Clause“ des Art. 14 Abs. 4 VO 726/2004/EG verfällt die Marktzulassung für ein zentral zugelassenes Medikament selbst im Falle, dass der Zulassungsinhaber gegenüber der Zulassungsbehörde nicht anzeigt, dass für den betreffenden Wirkstoff vorerst noch patentrechtlicher Schutz besteht, frühestens nach Ablauf von drei Jahren ab Erteilung der Zulassung. Für den vorliegenden Fall ergibt sich daraus, dass die für E.-T. erteilte Zulassung noch mehr als ein Jahr nach dem Zeitpunkt des Ablaufes der Verfügungsschutzrechte Gültigkeit besitzen wird. Da aus dem Umstand der Arzneimittelzulassung nicht auf einen bestimmten Zeitpunkt des Beginns von Vertriebshandlungen geschlossen werden kann, spricht unter diesem Gesichtspunkt nichts dafür, dass die Verfügungsbeklagten entsprechende Benutzungshandlungen schon während der Gültigkeitsdauer der Verfügungsschutzrechte vornehmen werden. Es ist vor diesem Hintergrund ebenso möglich, dass solches erst später und damit rechtmäßig erfolgen wird, so dass ein Entschluss der Verfügungsbeklagten zur Patent- bzw. Schutzzertifikatsverletzung hieraus nicht mit der notwendigen überwiegenden Wahrscheinlichkeit abzuleiten ist. Im Gegenteil spricht der unstreitige Umstand, dass die Verfügungsbeklagten trotz der seit langem erteilten Zulassung bis heute nicht mit der angegriffenen Ausführungsform in den deutschen Markt eingetreten sind, eher dafür, dass solches (allenfalls) für die Zeit nach der Gültigkeit beider Verfügungsschutzrechte intendiert ist.
Soweit die Verfügungsklägerinnen demgegenüber aus einer früheren Senats-Entscheidung (Mitt. 1996, 426) in einem Umkehrschluss herleiten wollen, dass im Falle der Beantragung/Erteilung einer arzneimittelrechtlichen Zulassung deutlich vor Ablauf der relevanten Schutzrechte grundsätzlich davon auszugehen sei, dass von der Zulassung auch ohne Rücksicht auf bestehende Schutzrechte vor deren Ablauf Gebrauch gemacht werde, verfängt dies nicht. In der betreffenden Senats-Entscheidung heißt es sinngemäß, dass jedenfalls dann, wenn der Ablauf des Schutzrechts in relativ kurzer Zeit bevorstehe, sich aus der Beantragung/Erteilung der Zulassung nicht auf ein Gebrauchmachen vor Ablauf der Schutzrechte schließen lasse. Die betreffende Entscheidung verhält sich also letztlich nicht zu einer Fallkonstellation, in der die Erteilung der Zulassung lange Zeit vor Ablauf der relevanten Schutzrechte erfolgt. Auch aus einer solchen Fallkonstellation lässt sich allerdings ohne weitergehende Anhaltspunkte aus folgenden Gründen keine Erstbegehungsgefahr herleiten:
Unwidersprochen haben die Verfügungsbeklagten vorgebracht (vgl. auch die eidesstattlichen Versicherungen von Dr. G. G. gemäß Anlage AG 6, Ziffern 11 bis 13, und Anlage AG 9, Ziffern 2 und 3), dass die Dauer der Verfahren zum Erhalt einer Marktzulassung stark variierten – nach den Erfahrungen der Verfügungsbeklagten zwischen 252 und 651 Tagen – und pharmazeutische Unternehmen durch eine Beantragung der Zulassung weit vor Schutzrechtsablauf sicherstellen müssten, dass am ersten Tag nach Schutzrechtsablauf die Möglichkeit bestehe, auf den Markt gelangen zu können.
Dass bislang kein anderes G.unternehmen eine entsprechende arzneimittelrechtliche Zulassung erhielt, vermag die Berechtigung dieses Einwandes nicht zu entkräften. Jedenfalls ist auch daraus allein nicht mit der erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit zu folgern, dass die Verfügungsbeklagten vor Schutzrechtsablauf in den deutschen Markt für Efavirenz eintreten wollen. Dies gilt selbst dann, wenn die Zulassung – wie hier – schon mehr als ein Jahr vor Schutzrechtsablauf vorliegt.
bb)
Aus dem unter aa) Ausgeführten folgt zugleich, dass die Verfügungsklägerinnen das erstinstanzliche Urteil zu Unrecht dahingehend angreifen, dass das Landgericht bei der Beurteilung der Erstbegehungsgefahr von einem unzutreffenden Prüfungsmaßstab ausgegangen sei:

aaa)
Die Verfügungsbeklagten meinen, das Landgericht habe verfehlt darauf abgestellt, ob ein Markteintritt der Verfügungsbeklagten in Bezug auf E.-T. „unmittelbar“ bevorstünde. Mit dem High Court of Justice (vgl. die Entscheidung gemäß Anlagen HL 20a/20b) komme es nicht darauf an, dass die Verletzung innerhalb (sehr) kurzer Zeit zu befürchten sei. Vielmehr ergebe sich die Gefahr aus der Erwägung heraus, dass bereits jetzt mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sei, dass eine Vermarktung vor Schutzrechtsablauf erfolgen wird (Anlage HL 20b, Ziffer 39). Auch nach der Rechtsprechung des BGH seien lediglich zwei Kriterien zur Begründung der Erstbegehungsgefahr maßgeblich, nämlich einerseits eine drohende Gefahr der Benutzung und andererseits eine so „greifbar abgezeichnete“ Handlung, die aus rechtlicher Sicht eine zuverlässige Beurteilung erlaube. Dabei sei die „Greifbarkeit“ dem zweiten Kriterium zuzuordnen und vorliegend zu bejahen, weil bereits feststehe, dass E-T von der Lehre der Verfügungsschutzrechte Gebrauch mache und eine rechtliche Beurteilung der drohenden Handlung damit ohne Weiteres möglich sei.

bbb)
Die dogmatischen Überlegungen der Verfügungsklägerinnen vermögen nicht zu überzeugen.

Ob eine Erstbegehungsgefahr in zeitlicher Hinsicht verlangt, dass die Zuwiderhandlung in naher Zukunft bevorsteht (so z.B. BGH, GRUR 2001, 1174, 1175 – Berühmungsaufgabe; GRUR 2007, 890, 896 – Jugendgefährdende Medien bei ebay), bedarf im vorliegenden Fall keiner abschließenden Klärung. Die Forderung nach einer zeitlichen Nähe der drohenden Zuwiderhandlung hat allerdings durchaus ihre Berechtigung. Zwar kann bereits heute „greifbar“ sein, dass jemand in einem Jahr eine Patentverletzung beabsichtigt. Allerdings verlangt dies vor dem Hintergrund, dass sich die Verhältnisse bis dahin noch verändern können und die Begehungsgefahr sich „auflösen“ kann, es nicht, dass bereits jetzt Rechtsschutz gewährt wird.
Im vorliegenden Fall krankt die Sichtweise der Verfügungsklägerinnen jedenfalls daran, dass sie gezwungen sind, Benutzungshandlungen der Verfügungsbeklagten vor Ablauf der Verfügungsschutzrechte zu unterstellen, um eine Erstbegehungsgefahr zu begründen (siehe explizit Berufungsbegründung vom 06.06.2012, Seite 6 unter a): „Eine rechtliche Beurteilung der drohenden Handlung – unterstellt sie erfolgt vor Ablauf der Verfügungsschutzrechte – …“). Wie eng oder weit auch immer die zeitlichen Grenzen für die Prüfung einer Erstbegehungsgefahr zu ziehen sein mögen, ist jedenfalls festzuhalten, dass es dem Schutzrechtsinhaber zumindest obliegt, solche Umstände darzutun, aus denen jedenfalls geschlossen werden kann, dass eine Benutzungshandlung während der Gültigkeitsdauer des Schutzrechts droht. Insoweit reicht es ersichtlich nicht aus, eine Zuwiderhandlung während der Schutzrechtsdauer zu fingieren.
Die Kritik der Verfügungsklägerinnen, wonach die so verstandene Rechtsprechung zur Erstbegehungsgefahr letztlich die unterschiedlichen Anwendungsbereiche von § 139 Abs. 1 S. 1 PatG und § 139 Abs. 1 S. 2 PatG einebne, geht fehl. Zutreffend ist der Ansatz der Verfügungsklägerinnen, dass durch S. 2 der Anwendungsbereich des § 139 Abs. 1 S. 1 PatG erweitert werden soll und somit von S. 2 auch solche Verhaltensweisen erfasst sein müssen, die noch nicht die Schwelle zu einer die Wiederholungsgefahr begründenden Verletzung überschritten haben. Allerdings gebietet dieser dogmatische Ausgangspunkt es nicht, bereits die Erteilung einer Arzneimittelzulassung regelmäßig für die Bejahung einer Erstbegehungsgefahr ausreichen zu lassen. So meinen die Verfügungsklägerinnen zu Recht auch selbst, dass „der Erhalt einer Zulassung unter Berücksichtigung aller weiteren Umstände hinreichend gewürdigt“ werden müsse (Schriftsatz vom 16.03.2012, S. 8 unter b) (2), Bl. 80 GA). Soweit die Verfügungsklägerinnen das landgerichtliche Urteil dahingehend angreifen, dass unklar bleibe, wie der Anwendungsbereich der Erstbegehungsgefahr abstrakt von demjenigen der Wiederholungsgefahr abzugrenzen sei, ist dies nicht nachvollziehbar. Eine Erstbegehungsgefahr ist unter den unter a) genannten abstrakten Voraussetzungen gegeben, wobei auch berücksichtigt ist, dass diese gerade keine bereits begangene Verletzung erfordert. Insofern durfte das Landgericht sich darauf beschränken, die von den Verfügungsklägerinnen vorgebrachten Umstände darauf hin zu prüfen, ob sie diesen Anforderungen genügten. Auch der Senat ist nicht gehalten, den Verfügungsklägerinnen aufzuzeigen, welche hypothetischen tatsächlichen Umstände im Einzelfall noch hätten hinzukommen müssen, um hier – etwa unter dem Gesichtspunkt von Vorbereitungshandlungen – eine Erstbegehungsgefahr bejahen zu können. Jedenfalls sind – unabhängig vom hiesigen Einzelfall – Verhaltensweisen denkbar, die (ohne schon eine Verletzung darzustellen) eine Erstbegehungsgefahr begründen, z.B. Berühmungen einer Berechtigung zur Vornahme bestimmter Handlungen (BGH, GRUR 1992, 612 – Nicola; GRUR 2001, 2174, 2175 – Berühmungsaufgabe). Insofern ist der Vorwurf, dass für § 139 Abs. 1 S. 2 PatG kein praktischer Anwendungsbereich verbleibe und daher das Gebot effektiven Rechtsschutzes nach Art 19 Abs. 4 GG verletzt werde, unberechtigt.

ccc)
Ohne Erfolg berufen sich die Verfügungsklägerinnen für ihre Rechtsauffassung auf die Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums. Die hier vertretene Auslegung des § 139 Abs. 1 S. 2 PatG ist richtlinienkonform. Insbesondere ist der Durchsetzungsrichtlinie nicht (auch nicht mittelbar) zu entnehmen, dass ein zeitliches Kriterium für eine Erstbegehungsgefahr obsolet sei oder dass Generikaunternehmer sich auf eine Aufforderung des Schutzrechtsinhabers dahingehend zu erklären hätten, dass kein vorzeitiger Markteintritt geplant sei.
Zutreffend hat bereits das Landgericht ausgeführt, dass die oben referierte deutsche Rechtsprechung zu den Anforderungen der Erstbegehungsgefahr den Anforderungen des Art. 9 Abs. 1 der Durchsetzungsrichtlinie genügt: Auf deren Basis ist sichergestellt, dass auf Antrag gegen den angeblichen Verletzer eine einstweilige Maßnahme anzuordnen ist, um eine drohende Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums zu verhindern. Dass die betreffenden Anordnungen zu eng seien, lässt sich aus der Durchsetzungsrichtlinie nicht herleiten. Insbesondere lässt sich dem maßgeblichen Erwägungsgrund (22) zur Durchsetzungsrichtlinie, der sich ohnehin nur mit Fällen bereits eingetretener Verletzungen befasst, nicht entnehmen, dass die Anforderungen der nationalen Rechtsprechung zur Erstbegehungsgefahr zu strikt seien. Wann eine Verletzungshandlung „droht“, gibt die Durchsetzungsrichtlinie nicht vor.

2)
Keiner der von den Verfügungsklägerinnen ins Feld geführten sonstigen tatsächlichen Umstände ist für sich oder in Kombination mit dem Umstand, dass schon während der Laufzeit der Verfügungsschutzrechte eine Arzneimittelzulassung zugunsten der Verfügungsbeklagten besteht, geeignet, die Anforderungen einer Erstbegehungsgefahr zu erfüllen.

a)
Dies gilt zunächst mit Blick darauf, dass Aufforderungen durch die Verfügungsklägerinnen (vgl. Anlagen HL 13, 14 und 15), eine Erklärung dahingehend abzugeben, das Medikament E-T vor Ablauf der in Rede stehenden Schutzrechte nicht zu vermarkten, oder sich wenigstens zu verpflichten, die Verfügungsklägerinnen so rechtzeitig über eine Vermarktungsabsicht zu informieren, dass diese zuvor gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen kann, (zunächst) unbeantwortet blieben und die gewünschten Erklärungen nicht abgegeben wurden.
Bei auslaufendem Patentschutz für einen Arzneimittelwirkstoff schafft allein das erhebliche wirtschaftliche Interesse eines Generikaherstellers, mit der Aufnahme in die Lauer-Taxe kurz vor Ablauf des Patentschutzes zu beginnen, selbst dann keine Erstbegehungsgefahr, wenn – wegen des Erscheinens der Lauer-Taxe in vorgegebenen festen Abständen – einer möglichen Patentverletzung nicht mehr durch eine erst nach erfolgter Aufnahme in die Taxe beantragte einstweilige Verfügung abgeholfen werden kann und der G.hersteller sich auf eine vorgerichtliche Abmahnung außerdem nicht zu einer Verpflichtungserklärung bereit erklärt hat, vor Ablauf des Patentschutzes keinen Antrag auf Aufnahme in die Lauer-Taxe zu stellen (Senat, Mitt. 2006, 426 – Terbinafin).
Aus dem betreffenden Schweigen der Verfügungsbeklagten ist nicht mit der notwendigen überwiegenden Wahrscheinlichkeit zu schließen, dass sie einen Marktzugang vor Ablauf der Verfügungsschutzrechte intendierten. Schweigen kommt im Rechtsverkehr nur dann ein Erklärungswert zu, wenn eine Verpflichtung zur Äußerung besteht. Wer schweigt, bringt grundsätzlich weder Zustimmung noch Ablehnung zum Ausdruck (vgl. betreffend Willenserklärungen BGH, NJW 2002, 3629). Es gibt jedoch keinen allgemeinen Grundsatz, nach dem Adressaten derartiger Aufforderungen zwecks Vermeidung der Begründung einer Erstbegehungsgefahr gehalten wären, entsprechende Unterlassungserklärungen abzugeben (vgl. BGH, GRUR 1970, 358, 360 – Heißläuferdetektor; Senat, Mitt. 2006, 426, 427 – Terbinafin). Aufgrund des Schweigens der Verfügungsbeklagten durften die Verfügungsklägerinnen daher nicht annehmen, einen Markteintritt der Verfügungsbeklagten während der Schutzrechtsdauer mittels gerichtlicher Hilfe unterbinden zu müssen.
Zutreffend hat das Landgericht insoweit angemerkt: Die Abgabe formloser Erklärungen durch die Verfügungsbeklagten wäre zwar geeignet gewesen, eine anderweitig bereits begründete Erstbegehungsgefahr wieder auszuräumen (vgl. Senat, Mitt. 2006, 426, 427 – Terbinafin). Mangels Bestehens einer Erstbegehungsgefahr aus anderen Gründen bedurfte es solcher Erklärungen vorliegend indes a priori nicht.
Eine Erklärungspflicht bestand entgegen der Ansicht der Verfügungsklägerinnen auch nicht unter Berücksichtigung vermeintlicher Besonderheiten im Arzneimittelbereich. Die abstrakte Möglichkeit eines vorzeitigen generischen Markteintritts rechtfertigt es nicht, Gherstellern entsprechende Erklärungspflichten aufzuerlegen, um dem Schutzrechtsinhaber die Erfüllung seiner Darlegungs-/Glaubhaftmachungslasten zu erleichtern. Soweit die Verfügungsklägerinnen vorbringen, es sei unzumutbar, ein erstes (Wiederholungsgefahr begründendes) Angebot abzuwarten, weil durch eine damit verbundene erhebliche Marktverwirrung irreparable Schäden entstünden, verkennen sie die oben wiedergegebenen Grundsätze zur maßgeblichen Darlegungs- und Glaubhaftmachungslast. Es obliegt dem Schutzrechtsinhaber, die entsprechenden Umstände, die ihn in den Genuss eines vorverlagerten Unterlassungsanspruchs bringen, darzutun/glaubhaft zu machen. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass unter den Voraussetzungen des § 139 Abs. 1 S. 2 PatG ein Unterlassungsanspruch zuzuerkennen ist, ohne dass es objektiv zu einer Verletzungshandlung gekommen ist, ist es nicht gerechtfertigt, dem potentiellen Verletzer eine entsprechende Erklärungspflicht aufzubürden. Das gilt auch für den Bereich des Arzneimittelrechts: Überzeugend haben die Verfügungsbeklagten darauf hingewiesen, dass aufgrund der Veröffentlichung eines Marktzutritts es gerade hier besonders leicht möglich ist, den Markt durch regelmäßige Datenbankrecherchen (z.B. der Lauer-Taxe, die häufig noch vor der tatsächlichen Liste vorangekündigt wird) zu überwachen. Insofern zeichnet sich der Arzneimittelmarkt durch eine besondere Transparenz aus.
Abgesehen von alledem haben die Verfügungsklägerinnen unstreitig selbst gar kein Originalprodukt auf dem deutschen Markt, so dass der drohende Eintritt eines irreparablen Schadens jedenfalls im vorliegenden Einzelfall nicht ersichtlich ist.
Soweit die Verfügungsklägerinnen ihre Sichtweise durch eine Entscheidung des OLG Koblenz (GRUR-RR 2010, 490) bestätigt zu sehen glauben, übersehen sie, dass der betreffende presserechtliche Sachverhalt einen ganz erheblichen Unterschied zur hier zu entscheidenden Fallkonstellation aufweist: Während es dort darum ging, die Ausstrahlung einer für den kommenden Tag angesetzten Sendung zu unterbinden, ist es vorliegend gänzlich unklar, ob das vermeintliche drohende Zuwiderhandeln während der Gültigkeit der Verfügungsschutzrechte stattfinden soll. Es ist gerade nicht überwiegend wahrscheinlich, dass eine Zuwiderhandlung während der Laufzeit der Verfügungsschutzrechte droht.

b)
Soweit die Aufforderungen der Verfügungsklägerinnen später beantwortet wurden, ergibt sich auch aus diesem Inhalt keine Erstbegehungsgefahr.
Dies gilt namentlich in Bezug auf das Schreiben gemäß Anlage HL 19a, in dessen Rahmen unter anderem erklärt wird, es gehöre zu T. Unternehmenspolitik, rechtsbeständige Patente nicht zu verletzen. Entgegen der Ansicht der Verfügungsklägerinnen ergibt sich auch aus nachfolgend in deutscher Übersetzung wiedergegebenem Satz nicht, dass die Verfügungsbeklagten bereits alles veranlasst hätten, um generisches E.-T. zu vertreiben und es nur von ihnen abhinge, ob es zu einer Verletzung komme oder nicht:

„Die Erteilung der arzneimittelrechtlichen Zulassung erlaubt es T., verlangt es aber nicht, das betreffende Produkt jederzeit in jedem beliebigen Land zu vermarkten.“

Die Deutung der Verfügungsklägerinnen (vgl. S. 4 der Berufungsbegründung, Bl. 170 GA) überzeugt schon deshalb nicht, weil sie den Passus „verlangt es aber nicht“ und – vor allem – den nachfolgenden Satz ausblenden. Dadurch wird die Aussage aus dem Kontext gerissen und ihr so ein verfälschter Inhalt zugemessen. Die Verfügungsbeklagten führen aus, dass bei der Entscheidung, ob, wo und wann ein Produkt vermarktet werden solle, eine Reihe von kaufmännischen Faktoren berücksichtigt werde, einschließlich der Unternehmenspolitik, rechtsbeständige Patente nicht zu verletzen. Hieraus ist nicht abzuleiten, dass die Verfügungsbeklagten vor Ablauf der Schutzrechte mit E.-T. auf den deutschen Markt gelangen wollten. Dem steht nicht entgegen, dass die Verfügungsbeklagten nicht ausdrücklich erklärten, die Verfügungsschutzrechte als rechtsbeständig anzusehen – jedenfalls ergibt sich aus ihrer Antwort auch kein Anhalt für das Gegenteil.
Dem stehen auch nicht die Erklärungen des Vertreters der Verfügungsbeklagten (Mr. B.) vor dem High Court (siehe Anlagen HL 21, 21a) entgegen. Zum Einen ist zu bemerken, dass die Verfügungsklägerinnen auch Mr. B. Erklärung in deutscher Übersetzung unvollständig wiedergeben: Dieser führt nämlich kurz darauf aus, dass T. Politik dahin geht, rechtsbeständige Patente zu beachten (vgl. die Übersetzung auf Seite 6 der Berufungserwiderung, vorletzter Absatz, Bl. 215 GA). Zum Anderen kann aus der allgemeinen Erklärung, dass sich Vermarktungsabsichten ändern können, nicht geschlussfolgert werden, dass gerade in Deutschland ein Markteintritt vor Ablauf der Verfügungsschutzrechte intendiert wäre.

c)
Soweit die Verfügungsklägerinnen geltend machen, eine Erstbegehungsgefahr ergebe sich daraus, dass die Verfügungsbeklagten im Bereich der Behandlung von HIV-Infektionen bereits ein breites Produktportfolio aufgebaut hätten, scheitert dieser Ansatz jedenfalls daran, dass die Verfügungsklägerinnen ihren betreffenden Vortrag nicht glaubhaft gemacht haben. Demgegenüber haben die Verfügungsbeklagten durch eine eidesstattliche Versicherung belegt, dass sie in Deutschland derzeit kein einziges HIV-Produkt vertrieben (Anlage AG 9, Ziffer 9).

d)
Das Vorbringen, wonach die Verfügungsbeklagten im speziellen Bereich der Behandlung von HIV-Infektionen bereits in Kraft stehende Patente missachteten, ist aus mehreren Gründen nicht schlüssig in Bezug auf eine Erstbegehungsgefahr für die drohende Verletzung der Verfügungsschutzrechte in Deutschland.

Zwar ist es unstreitig, dass die T. UK Limited damit gedroht hat, eine generische Version von C.r ®, welches von der V. H., die Inhaberin eines entsprechenden Patents ist, vermarktet wird, in Großbritannien auf den Markt zu bringen. Abgesehen davon, dass ein patentverletzendes Handeln eines konzernverbundenen Unternehmens grundsätzlich nicht den anderen Konzernunternehmen zugerechnet werden kann (Senat, InstGE 6, 152 – Permanentmagnet), ist auch nicht ersichtlich, wie sich daraus konkrete Anhaltspunkte dafür ergeben sollten, dass die Verfügungsbeklagten unter Missachtung entgegenstehender Schutzrechte E.-T. auf den Markt bringen wollten. Allein der Umstand, dass die Behandlung von HIV-Infektionen die Kombination von verschiedenen Wirkstoffen, ausgewählt aus zwei oder drei verschiedenen Substanzklassen, erfordert, lässt einen solchen Schluss nicht zu. Insofern verfängt auch der Hinweis darauf, dass E. als nicht-nukleosidischer R.-T.-I. normalerweise als „dritter Wirkstoff“ bei der HIV-Behandlung eingesetzt wird, nicht. Es ist letztlich reine Spekulation, dass die Verfügungsbeklagten beabsichtigten, generisches E. in Kombination mit C. als B.-Präparat am Markt einzuführen.
Erst recht ist nicht nachvollziehbar, warum aus der angedrohten Vermarktung von generischem C. in Großbritannien eine Erstbegehungsgefahr dafür folgen sollte, dass die Verfügungsbeklagten (auch) auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland E.-T. vor Ablauf der Verfügungsschutzrechte zu vermarkten beabsichtigten. Der pauschale Verweis der Verfügungsklägerinnen darauf, dass die Verfügungsbeklagten „Teil einer weltweit zentral gesteuerten Vertriebsorganisation“ bzw. „länderübergreifender Strukturen“ seien, reicht für eine solche Annahme nicht aus. Soweit die Verfügungsklägerinnen meinen, es sei nicht ersichtlich, warum ein international tätiger Konzern in einem Mitgliedstaat rechtsbeständige Patente missachten, in einem anderen jedoch davor zurückschrecken würde, verkennen sie die maßgebliche Darlegungs-/Glaubhaftmachungslast. Es obliegt ihnen, aufzuzeigen, dass und warum dies nicht anzunehmen sein sollte. Mit Rücksicht auf den Territorialitätsgrundsatz, der – wie Art. 3 EPÜ zeigt – auch für europäische Patente gilt und nicht etwa durchbrochen ist (Benkard/Jestaedt, EPÜ, Art. 3 Rn 3), muss auch die Frage nach einer Erstbegehungsgefahr grundsätzlich allein anhand auf das Inland bezogener Handlungen/Erklärungen beantwortet werden. Letztlich hätte bei Richtigkeit der Ansicht der Verfügungsklägerinnen jede Verletzungshandlung in Bezug auf ein europäisches Patent in einem Mitgliedstaat die Folge, dass in allen anderen Mitgliedstaaten automatisch immer zumindest eine Erstbegehungsgefahr anzunehmen wäre. Dadurch würde aber der Territorialitätsgrundsatz letztlich ad absurdum geführt.
Soweit die Verfügungsklägerinnen die Senats-Entscheidung „T.“ (Mitt. 2006, 426) als Beleg dafür anführen wollen, dass es für die Beurteilung der Erstbegehungsgefahr nicht auf ein inländisches Verhalten ankomme, ist auch dem zu widersprechen. Zwar wird dort sinngemäß ausgeführt, es bedürfe lediglich eines beliebigen Verhaltens, das nahelege, die Beklagte werde das Erreichen eines hohen Marktanteils über die Beachtung fremder Schutzrechte stellen. Jedoch stehen diese Ausführungen gerade nicht im Kontext der Frage nach dem Ort, an dem dieses Verhalten an den Tag gelegt wird. Dieses Problem stellte sich ersichtlich nicht in der dort zu entscheidenden Fallkonstellation, so dass sich entsprechende Rückschlüsse verbieten.

IV.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.