2 U 40/10 – Hunde-Gendefekt

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 1518

Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil vom 11. November 2010, Az. 2 U 40/10

I. Die Berufung gegen das am 16. Februar 2010 verkündete Urteil der 4b Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf wird zurückgewiesen.

II. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Berufungsklägerin zu tragen.

III. Der Streitwert wird auf 150.000,– € festgesetzt.

I.

Von einer Darstellung des Tatbestandes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1, 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO abgesehen.

II.

Die zulässige Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg.

Zu Recht hat das Landgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung mangels Verfügungsanspruchs zurückgewiesen.

1.
Das Verfügungspatent verfolgt das Ziel, ein Verfahren bereitzustellen, mit dem sich feststellen lässt, ob ein individueller Hund empfindlich gegenüber dem Antiparasitikum A ist. Es geht dabei von der Erkenntnis aus, dass der Übertritt von Arzneistoffen in das Gehirn üblicherweise durch eine Blut/Gehirnschranke verhindert wird, die maßgeblich durch das sogenannte MDR1-Protein bereitgestellt wird. Fehlen dem MDR1-Gen vier Basenpaare, so wird die Synthese des MDR1-Proteins gestört, so dass Arzneistoffe (z.B. A) barrierefrei in das Nervengewebe des Gehirns eindringen und dort schwere neurologische Symptome verursachen können.

In seinem – im Berufungsverfahren allein noch interessierenden – Anspruch 1 schlägt das Verfügungspatent (EP 1 389 240) ein Verfahren zum Aufspüren des beschriebenen Gendefektes mit folgenden Merkmalen vor:

A) Verfahren zur Detektion der A-Empfindlichkeit eines hundeartigen Subjekts,

B) welches das Bestimmen umfasst, ob
a. eine homozygote oder heterozygote
b. Gentrunkierungsmutation
c. in einer für MDR1 kodierenden Sequenz des hundeartigen Subjekts

C) oder ein trunkiertes P-Glykoprotein (P-gp) im hundeartigen Subjekt vorhanden ist,

D) worin das trunkierte P-gp keine der ATP-Bindungsstellen, Substratbindungsstellen, Phosphorylierungsstellen und mehreren membrandurchdringenden Motive, von denen die Arzneimittelausscheidungsfunktion des P-gp abhängt, aufweist

E) oder die Gentrunkierungsmutation ein trunkiertes P-gp ergibt, das keine dieser Stellen oder Motive aufweist,

F) und worin die Gegenwart der Gentrunkierungsmutation oder Trunkierung von P-gp anzeigt, dass das hundeartige Subjekt empfindlich gegenüber A ist.

2.
Im Berufungsverfahren steht zwischen den Parteien außer Streit, dass die Antragsgegnerin zu 1) das ihr von Kunden zur Verfügung gestellte DNA-Probenmaterial nicht selbst untersucht, sondern an ein Partnerlabor in der schutzrechtsfreien Slowakei übersendet, welches das patentgemäße Testverfahren vor Ort durchführt und die dabei gewonnenen Ergebnisse anschließend an die Antragsgegnerin zu 1) übermittelt, welche den Befund ihrerseits an den jeweiligen Kunden weitergibt. Das durchgeführte Testverfahren kann – wie das Landgericht unangefochten festgestellt hat – zu drei möglichen Ergebnissen führen, für welche die Antragsgegnerin zu 1) Kurzformeln verwendet: „N/N“ (= keine Genmutation festgestellt), „N/MDR1“ (= Genmutation festgestellt, hälftige Wahrscheinlichkeit der Vererbung), „MDR1/MDR1“ (= Genmutation und Vererbung festgestellt).

Als schutzrechtsverletzend greift die Antragstellerin im Berufungsrechtszug nur noch die Einfuhr und den Besitz der „Testergebnisse und/oder Diagnosen“ zum Zwecke des Inverkehrbringens und Gebrauchens durch die Antragsgegnerin zu 1) in der Bundesrepublik Deutschland an.

3.
Da das patentgeschützte Verfahren als solches im schutzrechtsfreien Ausland durchgeführt wird, kann sie damit nur Erfolg haben, wenn es sich bei den von dem slowakischen Labor gewonnenen und an die Antragsgegnerin übermittelten Testresultaten um „unmittelbare Erzeugnisse“ des patentgeschützten Verfahrens handeln würde, die gemäß § 9 Satz 2 Nr. 3 PatG, Art. 64 Abs. 2 EPÜ in der Bundesrepublik Deutschland selbständigen Erzeugnisschutz genießen würden. Dem hat indessen bereits das Landgericht zu Recht eine Absage erteilt.

Die besagten Vorschriften (§ 9 Satz 2 Nr. 3 PatG, Art. 64 Abs. 2 EPÜ) sehen einen (das Anbieten, Inverkehrbringen, Gebrauchen, Einführen, Besitzen) umfassenden Sachschutz für diejenigen Erzeugnisse vor, die durch das patentierte Verfahren unmittelbar hergestellt sind. Bereits die Gesetzesformulierung macht unmissverständlich deutlich, dass der derivative Erzeugnisschutz nicht auf jedwedes Verfahren anwendbar ist, sondern nur für solche Verfahren gilt, die ein Erzeugnis hervorbringen. Es entspricht von daher zu Recht gefestigter Auffassung, dass § 9 Satz 2 Nr. 3 PatG allein bei Vorliegen eines Herstellungsverfahrens einschlägig ist, welches sich dadurch auszeichnet, dass mit ihm ein Erzeugnis hervorgebracht oder ein Erzeugnis äußerlich oder hinsichtlich seiner inneren Beschaffenheit irgendwie verändert wird. Demgegenüber bleiben reine Arbeitsverfahren, bei denen kein Erzeugnis geschaffen oder in seiner Konstitution variiert, sondern – im Gegenteil – veränderungsfrei auf eine Sache eingewirkt (diese z.B. bloß untersucht, gemessen oder befördert) wird, außerhalb des Anwendungsbereichs von § 9 Satz 2 Nr. 3 PatG (Schulte, PatG EPÜ, 8. Aufl., § 9 PatG Rn. 82 f.; Benkard, PatG GebrMG, 10. Aufl., § 9 PatG Rn. 53 f.; Benkard, EPÜ, 2002, Art. 64 Rn. 22; Busse, PatG, 6. Aufl., § 9 PatG Rn. 101; Mes, PatG GebrMG, 2. Aufl., § 9 PatG Rn. 44; von Meibom/vom Feld, Festschrift Bartenbach, 2005, S. 385, 390 f.; Kraßer, Patentrecht, 6. Aufl., S. 773; Schramm, Der Patentverletzungsprozess, 6. Aufl., S. 128 f.; Jestaedt, Patentrecht, 2. Aufl., Rn. 556-562). Zur Differenzierung zwingt zudem die weitere Überlegung, dass § 9 Satz 2 Nr. 3 PatG, Art. 64 Abs. 2 EPÜ einen Sachschutz fingieren, der – abgesehen von der Handlungsalternative des Herstellens, die im Rahmen des aus einem Verfahrenspatent abgeleiteten Erzeugnisschutzes naturgemäß keinen Platz hat – mit demjenigen Schutz übereinstimmt, der bestehen würde, wenn das Verfahrenserzeugnis selbst durch ein Sachpatent geschützt wäre. Daraus folgt umgekehrt, dass dasjenige, für das ein ergänzender Verfahrenserzeugnisschutz reklamiert wird, prinzipiell taugliches Objekt eines Sachpatents sein können muss.

Ein Untersuchungsbefund, der nach Abschluss des patentgemäßen Verfahrens erhalten wird und der z.B. – wie beim Verfügungspatent – eine Aussage darüber liefert, ob die untersuchte DNA-Probe einen bestimmten Gendefekt aufweist oder nicht, genügt den vorgenannten Anforderungen nicht. Am Ende des Verfahrens steht kein Erzeugnis, auf das ein Sachpatent gerichtet werden könnte, sondern lediglich ein bestimmtes Wissen um die DNA-Struktur der untersuchten Testprobe. Dieses Wissen mag therapeutisch und kommerziell bedeutsam sein; rechtlich entscheidend ist indessen allein, dass für den Untersuchungsbefund als bloß intellektuelle Erkenntnis ein Sachanspruch nicht gewährbar wäre. Er beruht zudem auf einem für § 9 Satz 2 Nr. 3 PatG, Art. 64 Abs. 2 EPÜ unzureichenden Arbeitsverfahren. Zwar mag die DNA-Probe im Zuge der Verfahrensführung in ihrer Substanz verändert werden. Die patentierte Erfindung bezweckt jedoch ersichtlich nicht diesen Substanzeingriff, wie schon daran deutlich wird, dass es nicht darum geht, die Testprobe nach der Verfahrensführung wieder – verändert – zur Verfügung zu haben; Anliegen ist vielmehr allein das Erlangen einer bestimmten Kenntnis um die innere Struktur der untersuchte Sache, nämlich die Aufdeckung der interessierenden DNA-Sequenz und ihres etwaigen Defekts.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.