2 U 50/09 – Bürstenaggregat II

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 1511

Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil vom 16. September 2010, Az. 2 U 50/09

Vorinstanz: 4a O 96/08

I.

Die Berufung gegen das am 26. März 2009 verkündete Urteil der 4a Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf wird zurückgewiesen.

II.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Berufungsklägerin zu tragen.

III.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Berufungsklägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Berufungsbeklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV.

Die Revision wird nicht zugelassen.

V.

Der Streitwert wird auf 300.000,– € festgesetzt.

G r ü n d e :

I.

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des deutschen Patentes 42 05 YYY, das auf einer Anmeldung vom 21.02.1992 beruht und dessen Erteilung am 26.08.1993 veröffentlicht worden ist. Eine von dritter Seite erhobene Nichtigkeitsklage hat das Bundespatentgericht mit (rechtskräftigem) Urteil vom 30.09.2008 abgewiesen. Das Klagepatent betrifft ein rotativ antreibbares Bürstenaggregat, wobei die im vorliegenden Rechtsstreit interessierenden Patentansprüche 1 und 12 folgenden Wortlaut haben:

1.
Rotativ antreibbares Bürstenaggregat, bestehend aus einem Bürstenhalter und einer Ringbürste mit einem biegsamen Bürstenband, von dem Bürstenband nach außen stehenden Borsten und mit borstenfreien Randzonen für das Bürstenband übergreifende Axialstege am Bürstenhalter,

d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t ,

dass der Bürstenhalter (1) eine Ringfläche (7) aufweist, deren Außendurchmesser (Da) kleiner als der Innendurchmesser (De) der die Ringfläche (7) übergreifenden Ringbürste (2) ist, dass der radiale Abstand (Ar) zwischen der Ringfläche (7) und den Axialstegen (6) ein Mehrfaches der Bürstenbanddicke (S) beträgt, dass die Bürstenbandbreite (B) kleiner als der axiale Abstand (Aa) zwischen beidseitig der Ringfläche (7) angeordneten Radialflanschen (8) oder zwischen jeweils einseitig angeordneten Radialflanschen (8) und einer Spannscheibe (10) für die Ringbürste (2) ist, und dass die Ringbürste (2) dadurch mit radialem und axialem Bewegungsspiel in dem Bürstenhalter (1) gehalten ist.

12.
Bürstenaggregat nach Anspruch 1,

d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t ,

dass die Ringfläche (7) von den Außenkanten (27) eines um seine Mittelachse rotierenden gleichseitigen Innenmehrkants (28), z.B. eines gleichzeitigen Dreieckes, definiert ist und der Innenmehrkant (28) zwischen zwei Spannscheiben (10) mit an den Spannscheiben angebrachten Axialstegen (6) angeordnet ist oder Radialflansche (8) mit über dem Innenmehrkant (28) abgewinkelten Axialstegen (6) aufweist und zwischen zwei Spannscheiben (10) einspannbar ist.

Die nachfolgenden Abbildungen (Figuren 1 und 12 der Klagepatentschrift) verdeutlichen den Gegenstand der Erfindung anhand bevorzugter Ausführungsbeispiele.

Die Beklagte bietet in der Bundesrepublik Deutschland rotativ antreibbare Bürstenaggregate an, deren nähere Ausgestaltung sich aus den nachfolgenden Abbildungen (LGU Seite 5) erschließt.

Die Darstellungen lassen erkennen, dass die Axialstege (220) mit einer nach innen gerichteten Verdickung (223) versehen sind. Der Bürstenhalter verfügt über insgesamt drei teilkreisförmige Ringelemente (23), die in den zwischen den Axialstegen verbleibenden Lücken, allerdings weiter nach innen (zur Rotationsachse) versetzt, positioniert sind. Zwischen den Verdickungen der Axialstege und der Ebene der Ringsegmente ergibt sich ein Abstand, der 1,8 mm beträgt, wenn die im Bereich der Axialstege verbleibende Lücke zwischen benachbarten Ringsegmenten im Sinne eines konzentrischen Bogens ergänzt wird, und sich auf 2,8 mm summiert, wenn die im Bereich der Axialstege verbleibende Lücke zwischen den Ringsegmenten durch eine Sehne (d.h. eine geradlinige Verbindung der einander zugewandten Ringsegmentkanten), vervollständigt wird. Die nachfolgenden Abbildungen verdeutlichen dies.

Die zusammen mit dem vorbeschriebenen Bürstenhalter zu verwendenden Ringbürsten besitzen ein Bürstenband, dessen Dicke zwischen 2,15 mm und 2,18 mm beträgt.

Nachdem die Beklagte Musterstücke des Bürstenaggregats, welche die Klägerin während der vom 09. – 12.03.2008 in Köln stattgefundenen Eisenwarenmesse ausgestellt hatte, durch das Hauptzollamt Köln hatte beschlagnahmen lassen, forderte die Klägerin die Beklagte mit Anwaltsschreiben vom 12.03.2008 auf, die Nichtverletzung des Klagepatentes zu bestätigen und durch Unterzeichnung einer vorbereiteten „Verzichts- und Verpflichtungserklärung“ rechtsverbindlich auf jegliche Ansprüche wegen Verletzung des Klagepatentes zu verzichten. Da die Beklagte dem nicht nachkam, erhob die Klägerin am 09.04.2008 negative Feststellungsklage, welche die Parteien in der Folge – nachdem die Beklagte ihrerseits Widerklage auf Unterlassung, Rechnungslegung, Schadenersatz, Vernichtung und Entfernung aus den Vertriebswegen erhoben hatte – übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt erklärt haben. Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin von der Beklagten nunmehr noch die Erstattung ihrer Anwaltskosten für das vorgerichtliche Aufforderungsschreiben vom 12.03.2008 in Höhe von 4.236,88 €.

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Landgericht die Verletzungswiderklage der Beklagten abgewiesen, der Klägerin die geltend gemachten vorgerichtlichen Anwaltskosten zugesprochen und der Beklagten die gesamten Kosten des Rechtsstreits (einschließlich der Kosten der erledigten negativen Feststellungsklage) auferlegt. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, dass das streitbefangene Bürstenaggregat weder wortsinngemäß noch äquivalent von der technischen Lehre des Klagepatents Gebrauch mache, weswegen die erledigt erklärte negative Feststellungsklage der Klägerin berechtigt gewesen und die Widerklage der Beklagten abzuweisen sei. Die Ringfläche der angegriffenen Ausführungsform sei dadurch zu bestimmen, dass die im Bereich der Axialstege zwischen den Ringsegmenten verbleibenden Lücken im Sinne eines konzentrischen Kreisbogens vervollständigt würden. Geschehe dies, betrage der Abstand zu den nach innen gerichteten Verdickungen der Axialstege unstreitig lediglich 1,8 mm und sei damit kleiner als die Bürstenbanddicke, welche 2,15 bis 2,18 mm betrage. Das Anwaltsschreiben vom 12.03.2008 stelle eine Abmahnung dar, die, weil der Verletzungsvorwurf der Beklagten zu Unrecht erhoben gewesen sei, einen widerrechtlichen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Klägerin darstelle und die Beklagte dementsprechend zur Kostenerstattung verpflichte.

Mit ihrer Berufung verfolgt die Beklagte ihr erstinstanzlich erfolglos gebliebenes Begehren weiter. Sie hält – wie bereits in erster Instanz – daran fest, dass die Bürstenaggregate der Klägerin wortsinngemäß, zumindest aber mit äquivalenten Mitteln von der technischen Lehre des Klagepatents Gebrauch machen. Die Klagepatentschrift enthalte an verschiedenen Stellen Hinweise darauf, dass die Ringfläche eine unregelmäßige Form aufweisen könne. Die Argumentation des Landgerichts, die zwischen den Ringsegmenten des Bürstenhalters verbleibenden Lücken seien (der Form der Ringsegmente folgend) kreisbogenförmig zu ergänzen, treffe deswegen nicht zu. Würden die Stirnkanten benachbarter Ringsegmente im Sinne einer Kreissehne verbunden, ergebe sich, dass zwischen den Verdickungen der Axialstege und der so ermittelten Ringfläche ein Abstand von 2,8 mm existiere, der das 1,3fache der Bürstenbanddicke ausmache. Dem Erfordernis des Klagepatents, dass der radiale Abstand zwischen Ringfläche und Axialstegen ein Mehrfaches der Bürstenbanddicke betragen solle, sei damit dem Wortsinn nach genügt, weil der Durchschnittsfachmann unter dem Begriff „Mehrfaches“ auch ein dezimales Vielfaches verstehe. Die Ringbürste der angegriffenen Ausführungsform sei des Weiteren auch mit radialem und axialem Bewegungsspiel im Bürstenhalter gehalten. Selbst wenn es im Bereich der Verdickungen der Axialstege zu einem punktuellen Einklemmen der Ringbürste kommen sollte, sei entscheidend, dass der vom Klagepatent beabsichtigte Effekt einer Entstehung kleeblattartiger Ausbauchungen der Ringbürste zwischen den einzelnen Axialstegen unverändert eintrete. Unter den gegebenen Umständen liege zumindest eine technisch gleichwirkende und für den Fachmann anhand des Inhalts der Klagepatentschrift naheliegend auffindbare Abwandlung vor, die unter Äquivalenzgesichtspunkten in den Schutzbereich des Klagepatentes einzubeziehen sei.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil der 4a Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 26.03.2009 aufzuheben, die Klage (auf Erstattung von Abmahnkosten) abzuweisen und

I.

die Klägerin auf die Widerklage zu verurteilen,

1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,- EUR – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Fall wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt 2 Jahren, zu unterlassen,

rotativ antreibbare Bürstenaggregate, bestehend aus einem Bürstenhalter und einer Ringbürste mit einem biegsamen Bürstenband, von dem Bürstenband nach außenstehenden Borsten und mit borstenfreien Bandzonen für das Borstenband übergreifende Axialstege am Bürstenhalter

in Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen, bei denen

a) der Bürstenhalter eine Ringfläche aufweist, deren Aussendurchmesser (Da) kleiner als der Innendurchmesser (Di) der die Ringfläche übergreifenden Ringbürste ist, bei denen der radiale Abstand (Ar) zwischen der Ringfläche und den Axialstegen ein Mehrfaches der Bürstenbanddicke (S) beträgt, bei denen die Bürstenbandbreite (B) kleiner als der axiale Abstand (Aa) zwischen beidseitig der Ringfläche angeordneten Radialflanschen für die Ringbürste ist, und bei denen die Ringbürste dadurch mit radialem und axialem Bewegungsspiel in dem Bürstenhalter gehalten ist;

b) hilfsweise, der Bürstenhalter eine Ringfläche (mit Aussparungen) aufweist, deren Außendurchmesser (Da) kleiner als der Innendurchmesser (Di) der die Ringfläche übergreifenden Ringbürste ist, bei denen der radiale Abstand (Ar) zwischen der Ringfläche und den Axialstegen, die in Richtung auf die Aussparungen der Ringfläche eine Auswölbung aufweisen, zum Teil weniger als die Bürstenbanddicke (S) beträgt, bei denen die Bürstenbandbreite (B) kleiner als der radiale Abstand (Aa) zwischen beidseitig der Ringfläche an-geordneten Radialflanschen für die Ringbürste ist, und bei denen die Ringbürste dadurch mit radialem und axialem Bewegungsspiel in dem Bürstenhalter gehalten ist.;

2. ihr (der Beklagten) darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die zu 1. bezeichneten Handlungen seit dem 26.09.1993 begangen hat, und zwar unter Angabe

a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen,
-zeiten und -preisen sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer,

b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen,
-zeiten und -preisen sowie den Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,

c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,

d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,

und dabei die zugehörigen Einkaufs- und Verkaufsbelege mit der Maßgabe vorzulegen, dass Daten, auf die sich die geschuldete Auskunft und Rechnungslegung nicht bezieht und hinsichtlich derer ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse der Klägerin besteht, abgedeckt oder geschwärzt sein können;

wobei der Klägerin vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften ihrer nichtgewerblichen Abnehmer sowie der Angebotsempfänger statt der Beklagten einem von dieser zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten Wirtschaftsprüfer mit Sitz in der Bundesrepublik Deutschland mitzuteilen, sofern die Klägerin dessen Kosten trägt und ihn berechtigt und verpflichtet, der Beklagten auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter nichtgewerblicher Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Rechnung enthalten ist;

3. die in ihrem (der Klägerin) unmittelbaren oder mittelbaren Besitz und/oder Eigentum befindlichen, unter 1. fallenden Bürstenaggregate auf eigene Kosten zu vernichten oder nach ihrer Wahl an einen von ihr (der Klägerin) zu benennenden Treuhänder zum Zwecke der Vernichtung auf ihre (der Klägerin) Kosten herauszugeben;

4. die unter 1. Bezeichneten, im Besitz Dritter befindlichen Bürstenaggregate aus den Vertriebswegen

a) zurückzurufen, indem diejenigen Dritten, denen durch die Klägerin oder mit deren Zustimmung Besitz an den Bürstenaggregaten eingeräumt wurde, unter Hinweis darauf, dass der Senat mit dem hiesigen Urteil auf eine Verletzung des deutschen Patents 42 05 YYY C1 erkannt hat, ernsthaft aufgefordert werden, die Bürstenaggregate an die Klägerin zurückzugeben und den Dritten für den Fall der Rückgabe der Bürstenaggregate eine Rückzahlung des ggf. bereits gezahlten Kaufpreises sowie die Übernahme der Kosten der Rückgabe zugesagt wird,

b) endgültig zu entfernen. Indem die Klägerin diese Bürstenaggregate wieder an sich nimmt oder die Vernichtung derselben beim jeweiligen Besitzer veranlasst;

II.

festzustellen, dass die Klägerin verpflichtet ist, ihr (der Beklagten) allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu I. 1. bezeichneten, seit dem 26.09.1993 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das landgerichtliche Urteil und hält daran fest, dass das streitbefangene Bürstenaggregat keine Patentverletzung darstelle. Zum Einen sei bei zutreffender Betrachtung der radiale Abstand zwischen Ringfläche und Axialstegen geringer als die Bürstenbanddicke, zum Anderen werde die Ringbürste im Bürstenhalter nicht mit radialem Spiel gehalten.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg.

Im Ergebnis zu Recht und mit zutreffender Begründung ist das Landgericht zu der Auffassung gelangt, dass das Bürstenaggregat der Klägerin weder wortsinngemäß noch äquivalent von der technischen Lehre des Klagepatentes Gebrauch macht und dass der Beklagten deshalb die mit der Widerklage geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung, Rechnungslegung, Vernichtung, Rückruf und Schadenersatz nicht zustehen und die Beklagte infolge dessen auch die Kosten der erledigten negativen Feststellungsklage zu tragen hat. Im Ergebnis hat das Landgericht die Beklagte darüber hinaus zu Recht verpflichtet, der Klägerin die Kosten ihres vorgerichtlichen anwaltlichen Aufforderungsschreibens vom 12.03.2008 zu erstatten.

1.
Das Klagepatent betrifft ein rotativ antreibbares Bürstenaggregat, das grundsätzlich aus einem Bürstenhalter (1) und einer Ringbürste (2) besteht und dazu verwendet wird, Oberflächen von Rost, Farbe, Schmutz oder dergleichen zu befreien. Die Ringbürste (2) ihrerseits besteht aus einem biegsamen Bürstenband (3), das abschnittsweise mit nach außen stehenden Borsten (4) sowie mit borstenfreien Randzonen (5) versehen ist. Gehalten wird die Ringbürste auf dem Bürstenhalter (1), welcher eine Ringfläche (7) sowie Axialstege (6) besitzt. Die Axialstege (6) sind dazu vorgesehen, das Bürstenband (3) der Ringbürste (2) in denjenigen Abschnitten zu übergreifen, in denen das Band (3) borstenfrei ist.

Nach den Erläuterungen der Klagepatentschrift ist aus dem Stand der Technik eine rotativ antreibbare Werkzeugspannvorrichtung bekannt, die zum Einspannen der Werkzeughülse (z.B. einer Borstenhülse) eine Spannschraube sowie zwei Spannscheiben aufweist. Die Spannscheiben besitzen konzentrische Ringnuten, die im Wesentlichen durchmessergleich zu der einzuspannenden Borstenhülse sind. Die bekannte Spannvorrichtung arbeitet bereits unter Verzicht auf einen Gummikern oder ähnliche Stützkörper und gewährleistet eine einwandfreie Positionierung und Stabilisierung der Bürstenhülse, so dass die Bürstenhülse trotz der im Einsatz angreifenden Beanspruchungen keine Deformationen erleidet, sondern stets eine zylindrische Bürstenoberfläche zur Verfügung stellt. Die Klagepatentschrift bemängelt an der vorbekannten Konstruktion jedoch, dass die Intensität bzw. Effektivität der Oberflächenbearbeitung verbesserungsbedürftig ist.

Sie bezeichnet es deshalb als Aufgabe der Erfindung, ein rotativ antreibbares Bürstenaggregat der beschriebenen Gattung zu schaffen, welches eine besonders effiziente Oberflächenbearbeitung gewährleistet und sich darüber hinaus durch eine in fertigungs- und montagetechnischer Hinsicht besonders einfache Bauweise auszeichnet.

Zur Lösung dieser Problemstellung sieht Anspruch 1 des Klagepatentes die Kombination folgender Merkmale vor:

1. Rotativ antreibbares Bürstenaggregat, bestehend aus

a) einem Bürstenhalter (1) und
b) einer Ringbürste (2).

2. Der Bürstenhalter (1) weist auf

a) eine Ringfläche (7),
b) Axialstege (6), die das Bürstenband (3) übergreifen.

3. Die Ringbürste (2)

a) weist ein biegsames Bürstenband (3) auf,
b) übergreift die Ringfläche (7) des Bürstenhalters (1).

4. Die Ringfläche (7) hat

a) entweder

– beidseitig angeordnete Radialflansche (8)

oder

– jeweils einseitig angeordnete Radialflansche (8) und eine Spannscheibe (10) für die Ringbürste (2);

b) einen Außendurchmesser (Da), der kleiner ist als der Innendurchmesser (Di) der die Ringfläche (7) übergreifenden Ringbürste (2),

c) einen radialen Abstand (Ar) zu den Axialstegen (6), der ein Mehrfaches der Bürstenbanddicke (S) beträgt.

5. Das Bürstenband (3) weist auf

a) nach außen stehende Borsten (4),

b) borstenfreie Bandzonen (5) für die das Bürstenband (3) übergreifenden Axialstege (6),

c) eine Bürstenbandbreite (B), die kleiner ist als der axiale Abstand (Aa) zwischen den beidseitigen Radialflanschen (8) bzw. den einseitigen Radialflanschen (8) und der Spannscheibe (10).

6. Die Ringbürste (2) ist dadurch mit radialem und axialem Bewegungsspiel in dem Bürstenhalter (1) gehalten.

Zu den Vorteilen einer derartigen Ausgestaltung führt die Klagepatentschrift aus, dass die Ringbürste praktisch lose in dem einen Käfig bildenden Bürstenhalter gehalten wird. Wenn das Bürstenaggregat angetrieben wird, entstehen – so heißt es – zwischen den einzelnen Axialstegen nahezu kleeblattartige Ausbauchungen unter Bildung changierender Bürstenflächen. Diese Ausbauchungen resultieren aus der Biegsamkeit der Ringbürste bzw. seines Bürstenbandes und führen zu einem stark schlagenden statt einem bloß schleifenden und kratzenden Effekt der Borsten im Betrieb, was die Intensität und Effektivität der Bearbeitung entscheidend erhöht.

2.
Die streitbefangenen Bürstenaggregate der Klägerin verwirklichen die technische Lehre des Klagepatents weder wortsinngemäß noch äquivalent. Zutreffend hat das Landgericht festgestellt, dass die Ringfläche des Bürstenhalters zu den Axialstegen einen radialen Abstand einhält, der mit 1,8 mm kleiner ist und damit – in völligem Gegensatz zur Lehre des Klagepatents – nicht ein Mehrfaches der Bürstenbanddicke (von 2,15 bis 2,18 mm) beträgt.

a)
Der Merkmalsverwirklichung steht zwar noch nicht entgegen, dass der Bürstenhalter der Klägerin keine gegenständlich vollständig radial umlaufende Ringfläche aufweist, sondern drei Ringsegmente besitzt, die im Bereich der Axialstege zwischen sich Lücken lassen. Aus Unteranspruch 12, Figur 12 sowie der erläuternden Beschreibung (Spalte 6 Zeilen 9 bis 15) erschließt sich dem Durchschnittsfachmann, dass die Ringfläche keine materialmäßig durchgehende, sondern eine teilweise imaginäre sein kann, weil das Klagepatent an den erwähnten Stellen selbst eine Ausführungsform als patentgemäß bezeichnet, bei der die Ringfläche von den Außenkanten eines um seine Mittelachse rotierenden gleichseitigen Innenmehrkants (z.B. – wie in Figur 12 dargestellt – eines gleichseitigen Dreiecks) definiert ist. Namentlich Figur 12 veranschaulicht dabei, dass die nicht gegenständlich, sondern bloß gedanklich vorhandene Ringfläche im Sinne der Erfindung dort zu verorten ist, wo die außenliegenden Kanten des Mehrkants bei ihrer Rotation umlaufen. Übertragen auf eine Konstruktion mit teilkreisförmigen Ringsegmenten, wie sie bei der angegriffenen Ausführungsform gegeben ist, bedeutet dies, dass die imaginären Ringflächen in der – gleichen – Weise zu ermitteln sind, nämlich dadurch, dass die Lücken zwischen den Ringsegmenten kreisbogenförmig so zu ergänzen sind, wie sich die freien Stirnkanten der Ringsegmente bei ihrer Rotation bewegen würden.

Der Beklagten mag zwar zuzugeben sein, dass Patentanspruch 1 für die Ringfläche keine regelmäßige Kreisform verlangt, sondern prinzipiell auch beliebige ungleichmäßige Gestaltungen zulässt. Selbst wenn der Bürstenhalter jedoch mit einer materialmäßig vollständig ausgebildeten, unregelmäßig kreisförmigen Fläche für die Aufnahme des Bürstenbandes ausgestattet ist, gibt nicht die materialmäßig vorhandene, unregelmäßig kreisförmige Kontur die „Ringfläche“ im Sinne des Klagepatents vor; vielmehr wird die „Ringfläche“ durch diejenige Umlaufbahn definiert, die sich durch die Außenkanten der materialmäßig vorhandenen Flächenstruktur bei der Rotation ergibt.

Der Hinweis der Beklagten auf die im Beschreibungstext des Klagepatents erwähnten Ausführungsbeispiele einer die Ringfläche bildenden losen Innenbuchse (Spalte 6 Zeilen 22 bis 36), die Ausbildung einer Ringfläche durch zwei nicht identische Halteringe (Spalte 3 Zeilen 29 bis 32, 41 bis 44) und eines Dreiecks mit abgerundeten Kanten (Spalte 6 Zeilen 37 bis 44) ändert an dieser Beurteilung nichts. Selbst wenn es angesichts der reklamierten Textstellen zulässig sein sollte, dass die materialmäßige Ringfläche über ihre Breite betrachtet unregelmäßig geformt ist, durch eine im Betrieb taumelnde Innenbuchse bereitgestellt wird oder als Dreieck mit abgerundeten Kanten ausgeformt ist, gibt auch bei solchen Ausführungsformen diejenige Umlaufbahn die „Ringfläche“ vor, die sich bei der Rotation durch die radial am Weitesten außenliegenden Kanten der Flächenstruktur ergibt.

b)
Für den Entscheidungsfall bedeutet dies – wie das Landgericht zutreffend gesehen und ausgeführt hat – dass mit Blick auf die angegriffene Ausführungsform von einem radialen Abstand zwischen Ringfläche und Axialstegen auszugehen ist, der kleiner als die Bürstenbanddicke ist. Dem kann die Klägerin nicht entgegen halten, die Verdickungen der Axialstege seien nicht über die gesamte Breite gleich ausgebildet, vielmehr ergäben sich zu den Randbereichen hin abfallende Flanken, in Bezug auf die zur Ringfläche ein größerer Abstand eingehalten werde. Nach der Lehre des Klagepatents soll die Ringfläche von den Axialstegen – d.h. nicht nur einem Teil davon, sondern dem gesamten Axialsteg – einen Abstand einhalten, der dem Mehrfachen der Bürstenbanddicke entspricht. Relevant sind mithin nicht einzelne Abschnitte des Axialsteges, sondern die Axialstege in ihrer Gesamtheit.

Bei dieser Sachlage scheidet nicht nur eine wortsinngemäße Benutzung des Klagepatents aus, sondern gleichermaßen eine Benutzung mit äquivalenten Mitteln. In Bezug auf Letztere fehlt es jedenfalls an der Voraussetzung der Gleichwertigkeit, die verlangt, dass der Durchschnittsfachmann zu dem abgewandelten Lösungsmittel auch dann gelangen kann, wenn er sich an der in den Patentansprüchen des Klagepatents gegebenen technischen Lehre orientiert. Gerade solches findet jedoch nicht statt, wenn mit der Abwandlung dasjenige, was der Patentanspruch lehrt, nicht ebenfalls, bloß auf andere Weise getan wird, sondern die verwirklichte Abwandlung das Gegenteil dessen ist, wozu das Klagepatent den Fachmann anhält. Eine solche Konstellation ist vorliegend gegeben, weil die Ausbildung eines radialen Abstandes zwischen Ringfläche und Axialstegen, die geringer als die Bürstenbanddicke ist, die technische Lehre des Klagepatentes, den besagten Abstand mit einem Mehrfachen der Bürstenbanddicke vorzusehen, ignoriert.

Dasselbe Resultat ergibt sich auch aus einer weiteren Überlegung: Der Wortlaut von Anspruch 1 des Klagepatents lässt es mangels entsprechender einschränkender Vorgaben zu, dass sich die Axialstege dort befinden, wo die Ringfläche materialmäßig nicht ausgeführt, sondern bloß imaginär vorhanden ist. Trotzdem – und somit auch für eine derartige, beispielhaft in Figur 12 gezeigte Ausführungsvariante – verlangt das Klagepatent, dass der Abstand zwischen dem Axialsteg und der (insoweit nur imaginären) Ringfläche ein Mehrfaches der Bürstenbanddicke beträgt. Würde darauf abgestellt, dass das Band bei der angegriffenen Ausführungsform schon deshalb im Sinne des Merkmals (6) mit Bewegungsspiel gehalten ist, weil die Axialstege – was der Patentanspruch dem Fachmann überlässt – in den Lücken der materialmäßig ausgeformten Ringfläche positioniert sind, würde dies auf eine Streichung des Merkmals der mehrfachen Bürstenbanddicke hinauslaufen und damit letztlich zum Schutz einer Unterkombination führen.

3.
Bei der gegebenen Sachlage – der Unbegründetheit des erhobenen Verletzungsvorwurfs – hat die Beklagte der Klägerin die Anwaltskosten des vorgerichtlichen Aufforderungsschreibens vom 12.03.2008 in der vom Landgericht zuerkannten Höhe, gegen die die Beklagte in der Berufungsinstanz keine Einwände erhoben hat, nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag zu erstatten. Allerdings handelt es sich bei dem Anwaltsschreiben nicht – wie das Landgericht angenommen hat – um eine Abmahnung; vielmehr liegt eine Situation vor, die mit einer Gegenabmahnung vergleichbar ist. Mit dem Schreiben vom 12.03.2008 ist die Klägerin nämlich dem Vorwurf einer Patentverletzung entgegen getreten. Im Unterschied zu den typischen Gegenabmahnungs-Sachverhalten fehlt vorliegend zwar eine schriftliche oder mündliche Abmahnung der Klägerin, jedenfalls bietet der Sachvortrag für deren Vorliegen keine zureichenden Anhaltspunkte. Die Umstände sind jedoch insoweit unmittelbar vergleichbar, als die Beklagte während des Messeauftritts der Klägerin eine Musterbeschlagnahme veranlasst und dadurch auch gegenüber der Klägerin unmissverständlich zum Ausdruck gebracht hat, dass sie die fraglichen Bürstenaggregate für patentverletzend und damit ihren Verbietungsrechten unterfallend angesehen hat.

In der Rechtsprechung des BGH (GRUR 2004, 790, 792 – Gegenabmahnung) ist anerkannt, dass eine Gegenabmahnung nur ausnahmsweise dann veranlasst ist, wenn die vorausgegangene Abmahnung in tatsächlicher und/oder rechtlicher Hinsicht auf offensichtlich unzutreffenden Annahmen beruht, bei deren Richtigstellung mit einer Änderung der Auffassung des vermeintlich Verletzten gerechnet werden kann, oder wenn seit der Abmahnung ein längerer Zeitraum verstrichen ist und der Abmahnende währenddessen – entgegen seiner Androhung – keine gerichtlichen Schritte eingeleitet hat. Die an erster Stelle genannten Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Zumindest aus der maßgeblichen Sicht der Klägerin beruhte der Beschlagnahmeantrag der Beklagten auf einer während der Messe vorgenommenen Besichtigung der mutmaßlichen Verletzungsgegenstände. Es lag nahe, dass bei dieser Gelegenheit die exakten Abmessungen von der Beklagten nicht festgestellt werden konnten und auch die rechtliche Beurteilung, ob ein Eingriff in den Schutzbereich des Klagepatents vorliegt, unter erheblichem Zeitdruck vorgenommen worden ist. Von daher durfte die Klägerin es ohne Weiteres für sinnvoll und im Interesse einer Beilegung der Angelegenheit zielführend halten, der Beklagten den genauen – eine Patentverletzung ausschließenden – Sachverhalt in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht darzulegen.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.