2 U 82/09 – Olanzapin VI

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 1521

Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil vom 30. November 2010, Az. 2 U 82/09

Vorinstanz: 4b O 64/09

I.
Die Berufung der Beklagten zu 1. gegen das am 9. Juni 2009 verkündete Urteil der 4b. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf wird zurückgewiesen mit der Maßgabe, dass die Urteilsaussprüche zu I. 1., I. 2., I. 3 und III. infolge übereinstimmender Teil-Erledigungserklärung gegenstandslos sind.

II.
Die Beklagte zu 1. hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagten zu 1. wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der Klägerin wegen ihrer Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zwangsweise durchzusetzenden Betrages abzuwenden, falls nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 1.700.000,– Euro festgesetzt.

G r ü n d e :

I.

Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des auch mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten und in englischer Verfahrenssprache veröffentlichten europäischen Patents 0 545 XXX(Klagepatent, Anlage L 1; deutsche Übersetzung [DE 691 12 YYY T2] Anlage L 2), das den pharmazeutischen Wirkstoff mit dem internationalen Freinamen (INN) „Olanzapin“ betrifft. Dieser Wirkstoff wird zur Behandlung von Schizophrenie und anderen Störungen des zentralen Nervensystems eingesetzt.

Die dem Klagepatent zugrunde liegende Anmeldung wurde am 24. April 1991 unter Inanspruchnahme einer britischen Unionspriorität (GB 9009YYX) vom 25. April 1990 eingereicht. Die Veröffentlichung der Patenterteilung erfolgte am 13. September 1995. Der deutsche Teil des Klagepatents wird beim Deutschen Patent- und Markenamt unter der Registernummer DE 691 12 YYY (vgl. Anlage L 2) geführt. Durch das ergänzende Schutzzertifikat 196 75 YXY.6-43 ist die Dauer des Klagepatents bis zum 27. September 2011 verlängert worden.

Die hier interessierenden Ansprüche 1, 2 und 4 bis 9 des Klagepatents lauten in deutscher Übersetzung:

1. 2-Methyl-10-(4-methyl-1-piperazinyl)-4H-thieno2,3-b1,5benzodiazepin oder ein Säureadditionssalz davon.

2. 2-Methyl-10-(4-methyl-1-piperazinyl)-4H-thieno2,3-b1,5benzodiazepin oder ein pharmazeutisch brauchbares Säureadditionssalz davon.

4. Verbindung nach Anspruch 2 oder 3 zur Verwendung als Arzneimittel.

5. Verwendung einer Verbindung nach Anspruch 2 oder 3 zur Herstellung eines Arzneimittels zur Behandlung einer Störung im Zentralnervensystem.

6. Verwendung einer Verbindung nach Anspruch 2 oder 3 zur Herstellung eines Arzneimittels zur Behandlung von Schizophrenie.

7. Verwendung einer Verbindung nach Anspruch 2 oder 3 zur Herstellung eines Arzneimittels zur Behandlung einer schizophrenieformen Krankheit.

8. Verwendung einer Verbindung nach Anspruch 2 oder 3 zur Herstellung eines Arzneimittels zur Behandlung von akuter Manie.

9. Verwendung einer Verbindung nach Anspruch 2 oder 3 zur Herstellung eines Arzneimittels zur Behandlung von leichten Angstzuständen.

Auf eine von Dritten erhobene Nichtigkeitsklage erklärte das Bundespatentgericht das Klagepatent durch Urteil vom 4. Juni 2007 (Anlage L 3) mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland für nichtig. Es sah die in den Patentansprüchen 1 und 2 beschriebene Verbindung als durch die Veröffentlichung „4-Piperazinyl-10H-thieno2,3-b1,5benzodiazepines as Potential Neuroleptics“ von Jiban K. Chakrabarti et al in J. Med. Chem. 1980, Volume 23, S. 878 bis 884 (Anlage L 4), neuheitsschädlich vorweggenommen an. Wegen der genauen Begründung dieser Entscheidung, gegen welche die Klägerin Berufung einlegte, wird auf die als Anlage L 3 vorgelegte Urteilsablichtung verwiesen.

In der Zeit von November 2007 bis März 2008 brachten zahlreiche Generikahersteller, darunter die Beklagten, olanzapinhaltige Arzneimittel auf den Markt. Die Beklagte zu 1. bot an und vertrieb Olanzapin A Tabletten. Die Klägerin nahm rund 20 Generikahersteller zunächst im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes auf Unterlassung und Auskunftserteilung in Anspruch, so auch die hiesigen Beklagten. In einem gegen einen anderen Generikahersteller gerichteten Verfahren (4a O 247/07) wies das Landgericht Düsseldorf den Antrag der Klägerin auf Erlass einer einstweiligen Verfügung mit Beschluss vom 22. November 2007 zurück. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin änderte der Senat mit Urteil vom 29. Mai 2008 (I-2 W 47/07, Anlage L 12; veröffentlicht in InstGE 9, 140 = Mitt. 2008, 327 – Olanzapin) diese Entscheidung ab und erließ die von der Klägerin begehrte einstweilige Verfügung. In seinem Urteil führte der Senat aus, dass mit Sicherheit zu erwarten sei, dass das Nichtigkeitsurteil des Bundespatentgerichts im Berufungsverfahren keinen Bestand haben werde. Die im Verfahren befindlichen Entgegenhaltungen ließen die sichere Feststellung zu, dass die Verbindung Olanzapin für einen Durchschnittsfachmann nur mit Hilfe erfinderischer Überlegungen aufzufinden gewesen sei. Die Neuheit des Patents sei eindeutig zu bejahen; ebenso wenig stehe zu erwarten, dass die Nichtigkeitsentscheidung des Bundespatentgerichts im Berufungsverfahren auf mangelnde Erfindungshöhe gestützt bestätigt werde. Wegen der weiteren Einzelheiten dieser Entscheidung wird auf die als Anlage L 12 vorgelegte Urteilsablichtung Bezug genommen.

Mit Urteil vom 16. Dezember 2008 (X ZR 89/07; Anlage B&B 10, veröffentlicht in BGHZ 179, 168 = GRUR 2009, 382 = GRUR Int 2009, 330 – Olanzapin) hat der Bundesgerichtshof das Urteil des Bundespatentgerichts vom 4. Juni 2007 abgeändert und die Nichtigkeitsklage abgewiesen. Wegen der Begründung dieser Entscheidung wird auf die als Anlage B&B 10 vorliegende Urteilsablichtung verwiesen.

Mit ihrer vorliegenden Klage hat die Klägerin die Beklagte zu 1. und die am Berufungsverfahren nicht beteiligte Beklagte zu 2. wegen Verletzung des Klagepatents auf Unterlassung, Rechnungslegung, Auskunftserteilung, Vernichtung der als patentverletzend angesehenen Erzeugnisse, Entfernung aus den Vertriebswegen, Urteilsveröffentlichung sowie Feststellung ihrer Verpflichtung zum Schadensersatz, hilfsweise Bereicherungsausgleich, in Anspruch genommen.

Die Beklagten haben – nach Erlass des Nichtigkeitsberufungsurteils des Bundesgerichtshofs – am 18. Dezember 2008 jeweils eine strafbewehrte Unterlassungserklärung (Anlage B&B 7) abgegeben, die die Klägerin angenommen hat. Die Beklagten haben den Vertrieb der angegriffenen Ausführungsformen eingestellt, diese zurückgerufen und außerdem die Kennzeichnung der angegriffenen Ausführungsformen als zurückgerufen in der Lauer-Taxe veranlasst.

Im Hinblick auf die von den Beklagten abgegebene Unterlassungserklärung hat die Klägerin im ersten Rechtszug – nach teilweiser Klagerücknahme – den Rechtsstreit in der Hauptsache hinsichtlich des (noch) geltend gemachten Unterlassungsanspruchs für erledigt erklärt. Dieser Erledigungserklärung haben sich die Beklagten in erster Instanz nicht angeschlossen.

Die Klägerin hat vor dem Landgericht geltend gemacht, dass die Beklagten bewusst in ein gültiges, wirksam in Kraft getretenes Patent eingegriffen und damit schuldhaft gehandelt hätten. Dass die Beklagten auf eine mögliche rückwirkende Rechtsänderung vertraut hätten, falle in ihren alleinigen Verantwortungs- und Risikobereich. Ein erteiltes Patent sei grundsätzlich so lange zu beachten, bis es rechtskräftig vernichtet werde. Daran ändere auch das Nichtigkeitsurteil des Bundespatentgerichts nichts, welches im Übrigen erkennbar fehlerhaft gewesen sei. Dieses Urteil sei keineswegs über jeden Zweifel erhaben gewesen; die Beklagten hätten vielmehr bei sorgfältiger Prüfung dieses fragwürdigen Urteils nicht ausschließen können, dass der Bundesgerichtshof die Entscheidung des Bundespatentgerichts aufheben würde.

Die Beklagten, die um Klageabweisung gebeten haben, haben geltend gemacht:

Die Wirkungen des Klagepatents seien mangels vollständiger Übersetzung der Patentschrift ins Deutsche in der Bundesrepublik Deutschland nicht eingetreten. Die deutsche Übersetzung der Klagepatentschrift weise zahlreiche Auslassungen und Lücken auf.

Darüber hinaus scheitere die Feststellung eines Schadenersatzanspruchs – sowie der diesen Anspruch vorbereitenden Auskunfts- und Rechnungslegungsansprüche – jedenfalls am fehlenden Verschulden. Angesichts der Nichtigkeitserklärung des Klagepatents durch das Bundespatentgericht und der übrigen Umstände des Falles hätten sie der Auffassung sein dürfen, dass das Klagepatent keinen Bestand haben werde. Die Begründung des Bundespatentgerichts zur Nichtigkeitserklärung habe der ständigen und gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Auswahlerfindung entsprochen. Der Bundesgerichthof habe das Urteil des Bundespatentgerichts nicht als falsche Anwendung der bis dato bestehenden höchstrichterlichen Rechtsprechung angesehen, sondern habe seine eigene Rechtsprechung einschränken und aufgeben müssen, um die Nichtigkeitsklage entgegen dem Urteil des Bundespatentgerichts abzuweisen. Hiermit hätten sie – die Beklagten – bei Zugrundelegung realistischer Sorgfaltsmaßstäbe nicht rechnen müssen.

Durch Urteil vom 9. Juni 2009 hat das Landgericht dem Klagebegehren nach den zuletzt gestellten Anträgen überwiegend entsprochen, wobei es in der Sache wie folgt erkannt hat:

„I.
1.
Die Beklagten zu 1) und 2) werden verurteilt, der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie seit dem 13.10.1995 im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland

2-Methyl-10-(4-methyl-1-piperazinyl)-4H-thieno2,3-b1,5benzodiazepin oder ein Säureadditionssalz davon

und/oder

2-Methyl-10-(4-methyl-1-piperazinyl)-4H-thieno2,3-b1,5benzodiazepin oder ein pharmazeutisch brauchbares Säureadditionssalz davon

angeboten, in Verkehr gebracht oder gebraucht oder zu den genannten Zwecken entweder eingeführt oder besessen haben, und zwar unter Vorlage eines chronologisch geordneten Verzeichnisses, und zwar unter Angabe

a) der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und
–preisen, unter Einschluss der Bezeichnung der Arzneimittel sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und
–preisen, unter Einschluss der Bezeichnung der Arzneimittel sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer,
d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,

2.
die in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder Eigentum befindlichen, unter I. 1 bezeichneten Erzeugnisse zu vernichten oder nach ihrer Wahl an einen von ihr zu benennenden Treuhänder zum Zwecke der Vernichtung auf ihre – der Beklagten – Kosten herauszugeben,

3.
ihre pharmazeutischen Verbindungen gemäß I. 1 durch Ansichnehmen oder endgültiges Vernichten bei den jeweiligen gewerblichen Besitzern aus dem Vertriebsweg zu entfernen.

II.
Es wird festgestellt, dass die Beklagten zu 1) und 2) verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der dieser durch die jeweils zu Ziffer I. 1. bezeichneten und seit dem 13.10.1995 begangenen Handlungen entstanden ist oder noch entstehen wird.

III.
Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit hinsichtlich des Unterlassungsantrages (Klageantrag I. 1.) erledigt ist.“

Zur Begründung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt:

Der Klägerin stünden die zuerkannten Ansprüche auf Auskunftserteilung, Rechnungslegung, Vernichtung, Entfernung aus dem Vertriebsweg sowie Feststellung der Schadenersatzpflicht zu. Zudem sei die Erledigung des geltend gemachten Unterlassungsanspruchs festzustellen. Abzuweisen sei die Klage nur insoweit, als die Klägerin auch die Veröffentlichung des Urteils begehre.

Das Klagepatent sei in der Bundesrepublik Deutschland wirksam in Kraft getreten. Die von der Klägerin beim Deutschen Patent- und Markenamt eingereichte deutsche Übersetzung der Klagepatentschrift genüge den Anforderungen des Art. II § 3 IntPatÜG. Eine unvollständige Übersetzung der Klagepatentschrift mit der Folge eines ex tunc eingetretenen Wirksamkeitsverlustes des Schutzrechtes gemäß Art. II § 3 Abs. 2 IntPatÜG sei nicht gegeben.

Die angegriffenen Ausführungsformen verwirklichten unstreitig die Ansprüche 1 und 2 des Klagepatents wortsinngemäß. Infolge der ebenso unstreitig bis zur Abgabe der strafbewehrten Unterlassungserklärungen vorgenommenen Benutzungshandlungen der Beklagten ergäben sich aus der Rechtsverletzung die der Klägerin zuerkannten Ansprüche. Die Beklagten seien der Klägerin auch zum Schadenersatz verpflichtet, weil sie der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt in fahrlässiger Weise zuwider und damit schuldhaft gehandelt hätten. Die Beklagten hätten das Klagepatent unstreitig gekannt und von der darin unter Schutz gestellten technischen Lehre mittels der generischen angegriffenen Ausführungsformen bewusst und gewollt Gebrauch gemacht. Sie hätten auch gewusst, dass das Klagepatent im Zeitpunkt ihrer Benutzungshandlungen in Kraft gestanden habe. Darauf, dass das Klagepatent angesichts seiner Nichtigkeitserklärung durch das Bundespatentgericht keinen Bestand haben werde, hätten die Beklagten nicht vertrauen dürfen. Im gewerblichen Rechtsschutz würden an die Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt strenge Anforderungen gestellt. In der Regel sei die Benutzung einer patentierten und damit geprüften Erfindung auch bei einem Irrtum über deren Rechtsbeständigkeit als schuldhaft anzusehen. Etwas anderes könne nur in Ausnahmefällen gelten, etwa wenn bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt mit einer anderen, dem irrig Handelnden ungünstigen Beurteilung durch die Gerichte bzw. den Bundesgerichtshof nicht habe gerechnet werden brauchen. Das sei z. B. der Fall, wenn das später als rechtsirrig zu qualifizierende Handeln der bis dahin geltenden höchstrichterlichen gefestigten Rechtsprechung entsprochen habe. Ein derartiger Ausnahmefall liege hier jedoch nicht vor. Es habe vorliegend die nicht ganz entfernt liegende Möglichkeit der Aufhebung des Nichtigkeitsurteils des Bundespatentgerichts bestanden.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf das landgerichtliche Urteil Bezug genommen.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte zu 1. Berufung eingelegt. In der Berufungsinstanz haben die Klägerin und die Beklagte zu 1. den Rechtsstreit in der Hauptsache hinsichtlich der geltend gemachten Ansprüche auf Rechnungslegung, Auskunft, Vernichtung und Entfernung der angegriffenen Erzeugnisse aus den Vertriebswegen übereinstimmend für erledigt erklärt. Außerdem hat sich die Beklagte zu 1. der von der Klägerin bereits in erster Instanz betreffend den Unterlassungsanspruch abgegebenen Teil-Erledigungserklärung angeschlossen, worauf die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache auch insoweit übereinstimmend für erledigt erklärten.

Die Beklagte zu 1. macht unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens geltend:

Sie sei der Klägerin nicht zum Schadensersatz verpflichtet. Sie habe das erstinstanzlich für nichtig erklärte Klagepatent nicht schuldhaft verletzt, weil sie auf dessen Nichtigkeit vertraut gehabt habe. Aufgrund der Entscheidung des Bundespatentgerichts sei sie rechtsirrig von der mangelnden Rechtsbeständigkeit des Klagepatents ausgegangen. Ihre Rechtsauffassung sei gleich von mehreren sachkundigen Kollegialgerichten geteilt worden, weshalb ihr eine Sorgfaltswidrigkeit nicht vorgeworfen werden könne. Sie habe sich vielmehr in einem entschuldbaren Rechtsirrtum befunden. Ihr als rechtsirrig zu qualifizierendes Handeln habe der bis dahin geltenden, höchstrichterlichen, gefestigten Rechtsprechung entsprochen. Sie habe auch keinerlei Zweifel an der mangelnden Rechtsbeständigkeit des Klagepatents und der Richtigkeit des Nichtigkeitsurteils des Bundespatentgerichts gehabt. Dies habe gerade auf der Tatsache beruht, dass die Entscheidung des Bundespatentgerichts im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung gestanden habe, von der der Bundesgerichtshof ausdrücklich habe abkehren müssen, um zu einer anderen Beurteilung als das Bundespatentgericht zu gelangen. Hiermit habe sie nicht rechnen müssen. Der Bundesgerichtshof habe sich in seiner Entscheidung deutlich von den bis dahin geltenden Grundsätzen abgewandt, um zu einer Aufrechterhaltung des Klagepatents zu gelangen, ohne dabei eine falsche Anwendung seiner vom Bundespatentgericht in Bezug genommenen Entscheidungen zu rügen. Der hiesige Senat habe diese Rechtsprechungsänderung offenbar antizipiert; für sie – die Beklagte – sei diese jedoch nicht voraussehbar gewesen. Die Anwendung der vom Bundesgerichtshof nunmehr neu entwickelten Grundsätze habe zu einer anderen Beurteilung des Sachverhalts geführt. Die Abkehr von dem zuvor als reinen Erkenntnisakt aufgefassten Neuheitsbegriff hin zu einer eher normativen, wertenden Prüfung sei für sie nicht vorhersehbar gewesen.

Die Beklagte zu 1. beantragt,

das Urteil des Landgerichts abzuändern und die Klage – soweit der Rechtsstreit in der Hauptsache nicht erledigt ist – abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil als zutreffend und macht unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Sachvortrages geltend:

Die Beklagte zu 1. habe schuldhaft gehandelt. Wie das Landgericht zutreffend festgestellt habe, werde das vorsätzliche Handeln der Beklagten zu 1. nicht durch das Nichtigkeitsurteil des Bundespatentgerichts entschuldigt. Auf die Richtigkeit dieser Entscheidung habe die Beklagte zu 1. nicht vertrauen dürfen, weil das Urteil des Bundespatentgerichts erhebliche Fehler aufgewiesen habe. Die spätere Entscheidung des Bundesgerichtshofs habe keine Überraschung dargestellt. Der Bundesgerichtshof habe seine Rechtsprechung nicht geändert; bestenfalls habe er einen Sachverhalt wie den streitgegenständlichen erstmals entschieden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten nebst Anlagen Bezug genommen.

II.
Die Berufung der Beklagten zu 1. (nachfolgend nur: Beklagte) ist zulässig, aber unbegründet. Nachdem die Parteien in zweiter Instanz den Rechtstreit in der Hauptsache bis auf den Schadensersatzanspruch hinsichtlich aller übrigen noch geltend gemachten Ansprüche übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist in der Sache nur noch darüber zu entscheiden, ob die Beklagte der Klägerin wegen Verletzung des Klagepatents zum Schadenersatz verpflichtet ist. Das hat das Landgericht zu Recht bejaht. Das Berufungsvorbringen der Beklagten gibt zu einer abweichenden Entscheidung keinen Anlass.

A.
Das Klagepatent betrifft (in der vom Bundesgerichtshof in seinen Nichtigkeitsberufungsurteil verwendeten Nomenklatur) die Verbindung 2-Methyl-4-(4-methyl-1-piperazinyl)-10H-thieno[2,3-b][1,5]benzodiazepin mit dem Freinamen Olanzapin, ihre Verwendung als Arzneimittel insbesondere als Antipsychotikum zur Behandlung von Schizophrenie und akuter Manie und ein Verfahren zur Herstellung dieser Verbindung.

Die Klagepatentschrift schildert in ihrer Einleitung, dass seit der Einführung von Antipsychotika zur Behandlung von Störungen des Zentralnervensystems therapiebedingte extrapyramidale Symptome (Störungen der extrapyramidalen motorischen Nebenbahnen des zentralen Nervensystems) beobachtet würden, zu denen Parkinsonismus, akute dystonische Reaktionen, Akathisie, tardive Dyskenisie und tardive Dystonie gehörten. Starke extrapyramidale Symptome träten etwa bei dem häufig angewandten Haloperidol auf.

Aus der großen Gruppe trizyklischer Verbindungen sei Clozapin mit dem Anspruch eingeführt worden, frei von solchen extrapyramidalen Wirkungen zu sein. Die Verbindung verursache jedoch bei einigen Patienten Agranulozytose, eine lebensbedrohliche Verringerung der Zahl weißer Blutkörperchen. Die Strukturformel von Clozapin ist die Folgende:

Die Klagepatentschrift erörtert sodann eine Gruppe von Thienobenzodiazepinen, die im britischen Patent 1 533 235 beschrieben sei. Die Verbindung 7-Fluor-2-methyl-10-(4-methyl-a-piperazinyl)-4H-thieno[2,3-b][1,5]-benzodiazepin (Flumezapin) aus dieser Gruppe sei bis zur klinischen Anwendung an Schizophreniepatienten entwickelt worden. Jedoch habe die klinische Phase wegen mögliche Toxizität anzeigender erhöhter Enzymgehalte beendet werden müssen. Hinsichtlich der Tendenz zu einem erhöhten Leberenzymgehalt ähnele Flumezapin dem Antipsychotikum Chlorpromazin, das seit längerem verwandt werde, dessen Sicherheit jedoch in Frage gestellt sei. Flumezapin hat die Strukturformel:

Aus dieser Kritik am Stand der Technik und der vorgeschlagenen Lösung ergibt sich als das mit den Mitteln des Streitpatents zu lösende technische Problem, eine weitere Verbindung zur Verfügung zu stellen, die als Antipsychotikum wirksam ist, keine extrapyramidalen Symptome erzeugt und in möglichst wenigen Fällen andere gravierende Nebenwirkungen hat.

Dieses Problem soll gelöst werden durch die Verbindung Olanzapin mit der folgenden Strukturformel

oder ein Säureadditionssalz hiervon an.

Olanzapin hat wie Clozapin und Flumezapin eine trizyklische Grundstruktur mit einem zentralen Diazepinring (B) und einem („linken“) Phenylring (A); der dritte („rechte“) Ring (C), der bei Clozapin wie der linke ein Phenylring ist, wird bei Olanzapin wie bei Flumezapin durch einen Thiophenring mit einem Methylrest (Thienylring) gebildet. Wie bei Clozapin und Flumezapin ist an den Diazepinring in Position 4 ein Piperazinring mit einem an das Stickstoffatom bindenden Methylrest (Piperazinylring) angebunden. Anders als Clozapin und Flumezapin ist der Phenylring (A) bei Olanzapin weder in Position 7 noch in Position 8 halogeniert.

Nach den Angaben der Klagepatentschrift hat Olanzapin überraschende und exzellente Ergebnisse bei Screeningtests zur Untersuchung der Aktivität im zentralen Nervensystem gezeigt. Die Verbindung habe sich als wirksamer Dopamin-Antagonist erwiesen und bei der klinischen Evaluierung bei – mit geringerem Nebenwirkungsrisiko verbundenen – niedrigen Dosierungen hohe antipsychotische Wirkung gezeigt.

B.
Das Klagepatent ist in der Bundesrepublik Deutschland wirksam in Kraft getreten. Hat der Patentinhaber fristgerecht eine Übersetzung des nicht in deutscher Sprache veröffentlichten europäischen Patents eingereicht, findet, wie der Bundesgerichtshof zwischenzeitlich mit Urteil vom 18. März 2010 (Xa ZR 74/09; GRUR 2010, 708 = GRUR Int 2010, 753 – Nabenschaltung II) entschieden hat, Art. II § 3 Abs. 2 IntPatÜG keine Anwendung und bleibt es auch dann beim Eintritt der gesetzlichen Wirkungen des Patents für die Bundesrepublik Deutschland, wenn die Übersetzung Auslassungen aufweist. Solche Auslassungen sind grundsätzlich als Fehler der Übersetzung anzusehen, deren Rechtsfolgen sich allein nach Art. II § 3 Abs. 4 und 5 IntPatÜG bestimmen. Den Einwand der Unwirksamkeit des Klagepatents wegen fehlender Übersetzung hat die Beklagte im Übrigen im Verhandlungstermin ausdrücklich fallen gelassen.

C.
Die angegriffenen Olanzapin A Tabletten der Beklagten haben unstreitig von der Lehre des Anspruchs 1 sowie der Lehre des Anspruchs 2 des Klagepatents Gebrauch gemacht. Sie haben unstreitig den Wirkstoff „Olanzapin“ aufgewiesen; unter diesem Freinamen ist die unter Schutz gestellte Verbindung bekannt.

D.
Dass die Beklagte im Hinblick auf die damit gegebene Schutzrechtsverletzung bzw.
–benutzung der Klägerin zum Schadenersatz verpflichtet ist, weil sie das Klagepatent schuldhaft verletzt hat, hat das Landgericht zutreffend festgestellt.

1.
Unstreitig kannte die Beklagte das Klagepatent vor Aufnahme ihrer Benutzungshandlungen. Von der darin unter Schutz gestellten technischen Lehre hat sie mit der angegriffenen Ausführungsform bewusst und gewollt Gebrauch gemacht. Die Beklagte wusste auch, dass das Klagepatent im Zeitpunkt ihrer Benutzungshandlungen noch in Kraft stand. Das Nichtigkeitsurteil des Bundespatentgerichts war bei ihrem Markteintritt bekanntermaßen nicht rechtskräftig, weil die Klägerin gegen diese Entscheidung Nichtigkeitsberufung eingelegt hatte. Über dieses Rechtsmittel hatte der Bundesgerichtshof noch nicht entschieden. Die rechtskräftige Klärung des Rechtsbestands des Klagepatents stand somit noch aus, so dass das Klagepatent grundsätzlich weiterhin – auch von der Beklagten – zu respektieren war.

2.
Soweit die Beklagte ein schuldhaftes Handeln gleichwohl mit der Erwägung in Abrede stellt, sie habe angesichts der (erstinstanzlichen) Nichtigkeitserklärung des Klagepatents durch das Bundespatentgericht der Auffassung sein dürfen, dass das Klagepatent keinen Bestand habe, ist das Landgericht dem zu Recht nicht gefolgt.

a)
Wie das Landgericht im Einzelnen zutreffend ausgeführt hat, werden im gewerblichen Rechtsschutz an die Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt anerkanntermaßen strenge Anforderungen gestellt. Dem Grundsatz nach trägt ein Verletzer das Risiko der Schuldhaftigkeit, welches sich nicht ohne weiteres auf den Schutzrechtsinhaber verschieben lässt. In der Regel ist deshalb die Benutzung einer patentierten und damit geprüften Erfindung auch bei einem Irrtum über deren Rechtsbeständigkeit als schuldhaft anzusehen (vgl. BGH, GRUR 1961, 26 – Grubenschaleisen; GRUR 1977, 250, 253 – Kunststoffhohlprofil; Senat, GRUR 1962, 35, 36 – Kunststoffschläuche; OLG München, GRUR-RR 2006, 385, 391 – Kassieranlage; Benkard/Rogge/Grabinski, PatG/GebrMG, 10. Aufl., § 139 Rdnr. 48; Busse/Keukenschrijver, PatG, 6. Aufl., § 139 Rdnr. 101; Schulte/Kühnen, PatG, 8. Aufl., § 139 Rdnr. 77). Der Fahrlässigkeitsvorwurf bleibt in einem solchen Fall grundsätzlich bestehen; die Annahme, das Patent sei nicht rechtsbeständig, exkulpiert grundsätzlich nicht. Selbst bei begründeten Bedenken gegen die Rechtsbeständigkeit ist das Patent bis zu seiner Vernichtung oder seinem Widerruf in Kraft und als allgemeinverbindliche Norm zu respektieren (Benkard/Rogge/Grabinski, a.a.O., § 139 Rdnr. 48 m. w. Nachw.).

Diese Risikoverteilung gilt im Grundsatz auch dann, wenn das verletzte Patent durch ein nicht rechtskräftiges Nichtigkeitsurteil in erster Instanz für nichtig erklärt worden ist. Einem jeden Nichtigkeitsberufungsverfahren, dessen Sinn und Zweck gerade die Überprüfung des instanzgerichtlichen Urteils ist, wohnt dem Ansatz nach das Risiko einer anderen Beurteilung des Streitstands durch den Bundesgerichtshof inne. Die Erfahrung lehrt immer wieder, dass sogar bei einem scheinbar sehr nahe kommenden Stand der Technik Nichtigkeitsklagen abweichend von der Beurteilung durch das Bundespatentgericht und/oder der Verletzungsgerichte letztinstanzlich beim Bundesgerichtshof keinen Erfolg haben. Die Möglichkeit, dass das verletzte Patent im Nichtigkeitsberufungsverfahren nicht vernichtet wird, ist daher stets ernstlich in Rechnung zu stellen (vgl. Senat, GRUR 1962, 35, 36 – Kunststoffschläuche; Benkard/Rogge/Grabinski, a.a.O., § 139 Rdnr. 48). Ein Fachunternehmen, das sich trotz noch nicht endgültig geklärter Rechtslage entschließt, von einem Patent Gebrauch zu machen, handelt deshalb grundsätzlich auf eigene Gefahr (vgl. BGH, GRUR 1987, 564 – Taxi Genossenschaft; OLG Nürnberg GRUR 1967, 538 – Laternenflaschen).

Eine dem Verletzer günstige erstinstanzliche (nicht rechtskräftige) Nichtigkeitsentscheidung des Bundespatentgerichts lässt vor diesem Hintergrund für sich genommen das Verschulden des Verletzers nicht schon entfallen. Zur Exkulpation des rechtsirrig vom mangelnden Rechtsbestand eines Patents ausgehenden Verletzers reichen (nicht rechtskräftige) Entscheidungen von Kollegialgerichten, die ein für den Irrenden günstigen Inhalt haben, nicht ohne weiteres aus, und zwar auch dann nicht, wenn das Instanzgericht über eine besondere Fachkunde verfügt (vgl. BGH, BB 1962, 428 – Furniergitter; GRUR 1964, 606, 610 f. – Förderband; GRUR 1973, 518, 521 – Spielautomat II; GRUR 1993, 556, 559 – TRIANGLE; Benkard/Rogge/Grabinski, a.a.O., § 139 Rdnr. 51; Busse/Keukenschrijver, a.a.O.., § 139 Rdnr. 97; Schulte/Kühnen, a.a.O. § 139 Rdnr. 77, Krasser; Patentrecht, 6. Aufl., S. 852). Das gilt namentlich auch dann, wenn der Nichtigkeitssenat des Bundespatentgerichts – durch ein auf die Berufung hin abgeändertes Urteil – das Patent zunächst vernichtet hatte (Benkard/Rogge/Grabinski, a.a.O., § 139 Rdnr. 51; Schulte/Kühnen, a.a.O. § 139 Rdnr. 77).

Am Verschulden des Verletzers fehlt es nur unter besonderen Umständen, so z. B. dann, wenn bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt mit einer anderen, dem irrig Handelnden ungünstigen Beurteilung durch die Gerichte bzw. den Bundesgerichtshof nicht gerechnet werden brauchte (vgl. BGH, GRUR 1987, 564, 565 – Taxi Genossenschaft, m. w. Nachw.; BGH, GRUR 1990, 474, 476 – Neugeborenentransporte; GRUR 1998, 568, 569 – Beatles-Doppel-CD; GRUR 1999, 49, 51 – Bruce Springsteen and his Band; GRUR 2002, 622, 626 – shell.de; GRUR 2002, 706, 708 – Vossius; Schulte/Kühnen, a.a.O. § 139 Rdnr. 76). Das kann der Fall sein, wenn das später als rechtsirrig zu qualifizierende Handeln der bis dahin geltenden höchstrichterlichen gefestigten Rechtsprechung entsprochen hat (vgl. Benkard/Rogge/Grabinski, a.a.O., § 139 Rdnr. 51; Schulte/Kühnen, a.a.O. § 139 Rdnr. 77). Befolgt der Verletzer die bisherige höchstrichterliche Rechtsprechung, so darf er nämlich grundsätzlich auf deren Fortbestand vertrauen; mit einer Änderung braucht er regelmäßig nicht zu rechnen (Benkard/Rogge/Grabinski, a.a.O., § 139 Rdnr. 51 m. w. Nachw.). Als entschuldbaren Rechtsirrtum ist es deshalb anzusehen, wenn der Verletzer berechtigterweise auf eine feststehende höchstrichterliche Judikatur vertraut, die sich später ändert (OLG Düsseldorf [20. ZS], GRUR-RR 2002, 23, 25 – Überkleben von Kontrollnummern, m. w. Nachw.).

b)
Mit Recht hat das Landgericht angenommen, dass im Streitfall bei Anwendung dieser Rechtsgrundsätze das Verschulden der Beklagten zu bejahen ist. Es hat hierbei die an die Sorgfaltspflichten eines Patentverletzers zu stellenden Anforderungen nicht überspannt.

aa)
Ohne Erfolg macht die Beklagte geltend, dass sie von der Richtigkeit der Entscheidung des Bundespatentgerichts ausgegangen sei und hiervon auch habe ausgehen dürfen, weil die Beurteilung des Bundespatentgerichts im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gestanden habe. Auf die Richtigkeit der Entscheidung des Bundespatentgerichts durfte die Beklagte nicht vertrauen.

Das Bundespatentgericht hat angenommen, der Gegenstand der Patentansprüche
1 bis 9 des Klagepatents sei nicht neu, da er durch den entgegengehaltenen Aufsatz „4-Piperaninyl-10Hthieno[2,3-b][1,5]benzodiazepines as Potential Neuroleptics“ von Chakrabarti et al in Journal of Medicinal Chemistry (J. Med. Chem.) 1980, 878 (Anlage K 4 im Nichtigkeitsverfahren; hier vorgelegt als Anlage L 14, deutsche Übersetzung Anlage L14a) vorweggenommen sei. Dass auf der Basis der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung allein diese Beurteilung richtig sein konnte und nicht ernsthaft mit einer anderen Entscheidung des Bundesgerichtshofs gerechnet werden konnte, trifft nicht zu.

(1)
Der Bundesgerichtshof hatte sich bislang mit dem Klagepatent noch nicht befasst. Eine höchstrichterliche Entscheidung zu diesem Patent lag somit noch nicht vor.

(2)
Die Rechtsbeständigkeitsfrage war entgegen der Auffassung der Beklagten auch keineswegs im Hinblick auf die vom Bundespatentgericht in Bezug genommenen – andere Schutzrechte – betreffenden Entscheidungen des Bundesgerichtshofs „Elektrische Steckverbindung“ und „Fluoran“ eindeutig im Sinne des Bundespatentgerichts zu beurteilen. Diese Frage konnte vielmehr auch unter Berücksichtigung der angesprochenen Entscheidungen durchaus abweichend beurteilt werden, wie das Urteil des erkennenden Senats vom 29. Mai 2008 (I-2 W 47/07, Anlage L 12; InstGE 9, 140 – Olanzapin) belegt.

(2.1)
Der Senat hat sich in dieser in einer Verfügungssache ergangenen Entscheidung, mit der er dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung der Klägerin gegen einen anderen Generikahersteller trotz der erstinstanzlichen Nichtigerklärung des Klagepatents entsprochen hat, eingehend mit der Veröffentlichung von Chakrabarti et al aus 1980 befasst und ist in Kenntnis sowie unter Berücksichtigung der vom Bundespatentgericht herangezogenen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zu dem Ergebnis gelangt, dass der Gegenstand des Klagepatents durch diese Entgegenhaltung nicht neuheitsschädlich getroffen ist, was der Senat im Einzelnen begründet hat. Wegen der Einzelheiten dieser Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen des Senats unter Ziff. II. 2. b) des Urteils vom 29. Mai 2008 (Anlage L 12, S. 14 bis 28 = InstGE 9, 140, 148, 158 Rdnrn. 30 – 48) verwiesen.

Aus den dort angeführten Gründen ist der Senat seinerzeit zu der Einschätzung gelangt, dass der Gegenstand des Klagepatents entgegen der Beurteilung des Bundespatentgerichts nicht durch die besagte Veröffentlichung von Chakrabarti et al neuheitsschädlich vorweggenommen ist. Zu diesem Ergebnis er hierbei in Kenntnis und unter Berücksichtigung der vom Bundespatentgericht herangezogenen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs gekommen, wobei er keineswegs neue Kriterien für die Neuheitsprüfung aufgestellt und auch keine (angebliche) Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung antizipiert hat. Der Senat hat vielmehr geprüft, was der Durchschnittsfachmann der in Rede stehenden Entgegenhaltung im konkreten Gesamtzusammenhang entnimmt. Die vom Senat seinerzeit angesprochenen Gesichtspunkte hätte auch die Beklagte bedenken müssen. Hätte sie dies gewissenhaft getan, hätte sie erkannt, dass die Frage des Rechtsbestands des Klagepatents keineswegs eindeutig im Sinne des Bundespatentgerichts zu beurteilen war, sondern hier durchaus auch eine andere Beurteilung in Betracht kam.

Dies verdeutlicht auch der Umstand, dass das Landgericht Düsseldorf in dem in einem nachfolgenden Verfügungsverfahren gegen einen anderen Generikahersteller ergangenen Urteil vom 12. August 2008 (4b O 100/08) unter Berücksichtigung sowohl der Entscheidung „Elektrische Steckverbindung“ wie auch der Entscheidung „Fluoran“ ebenfalls zu dem Ergebnis gekommen ist, dass der Wirkstoff „Olanzapin“ nicht durch die Veröffentlichung von Chakrabarti et al neuheitsschädlich vorweggenommen ist (vgl. dort unter Ziff. III. 1.) Dass das Landgericht in dem betreffenden Verfahren gleichwohl den Erlass einer einstweiligen Verfügung abgelehnt hat, hatte andere Gründe. Dies beruhte allein darauf, dass das Landgericht angesichts der DE 25 52 403 Zweifel am Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit hatte, die nach seiner Auffassung im Rahmen des Eilverfahrens nicht eindeutig zu Gunsten der Klägerin beseitigt werden konnten. Daraus kann die Beklagte im vorliegenden Zusammenhang jedoch nichts für sich herleiten. Auch wenn im Hinblick auf diese andere Entgegenhaltung tatsächlich Zweifel am Rechtsbestand des Klagepatents bestanden haben sollten, was dahinstehen kann, bedeutete dies nicht, dass mit hinreichender Sicherheit oder auch nur mit überwiegender Wahrscheinlichkeit mit einer Vernichtung des Klagepatents zu rechnen war.

(2.2)
Selbst wenn man zu Gunsten der Beklagten unterstellt, dass der damaligen Beurteilung der Veröffentlichung von Chakrabarti et al durch den Senat auf der Grundlage der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht in allen Einzelheiten gefolgt werden kann, was der Senat allerdings nicht zu erkennen vermag, so zeigt die Entscheidung des Senats doch wesentliche Gesichtspunkte auf, die die Beklagte auch auf der Grundlage der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung hätte ernsthaft bedenken müssen. So hätte sie sich insbesondere fragen müssen, ob hier nicht bereits die aus der vom Bundespatentgericht gegebenen Begründung ersichtlichen zahlreichen Schritte, die der Durchschnittsfachmann gehen muss, um die schutzbeanspruchte Verbindung als mögliche Alternative zu den bisherigen ein Halogenatom an Position 7 des Phenylrings aufweisenden Antipsychotika zu erhalten, gegen die Annahme des Bundespatentgerichts sprachen, der Durchschnittsfachmann lese sie beim Studium der Vorveröffentlichung in Gedanken gleich mit. Ferner musste sich die Beklagte zu vorliegend die Frage stellen, ob die in Chakrabarti 1980 auf Seite 878 unten angegebene Formel I, obwohl die entgegengehaltene Schrift keine ausdrücklichen Substituentenlisten enthält, aufgrund der in Tabelle 1 aufgeführten, von den Verfassern tatsächlich verwendeten Substituenten überhaupt als so genannte Markush-Formel gelesen werden kann, bei der R1 Wasserstoff, Fluor oder Chlor und R2 Wasserstoff, Methyl, Ethyl oder Isopropyl sein kann. Gerade in Bezug auf die letztere – vom Bundesgerichtshof in seinem Nichtigkeitsberufungsurteil offen gelassene (Anlage B&B 10, S. 16 = BGHZ 179, 168 Rdnr. 32) – Frage war keineswegs klar, wie der Bundesgerichtshof diese Streitfrage letztlich entscheiden würde. Insoweit halfen auch die vom Bundespatentgericht angesprochenen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs „Elektrische Steckverbindung“ und „Fluoran“ nicht weiter.

(2.3)
Was die vom Bundespatentgericht in Bezug genommene Entscheidung des Bundesgerichtshofs „Elektrische Steckverbindung“ (BGHZ 128, 270 = GRUR 1995, 330) anbelangt, in welcher dieser ausgeführt hat, dass durch eine zum Stand der Technik gehörende Schrift im Sinne der § 3 Abs. 1 Satz 2 PatG für den Fachmann alles als offenbart und damit als neuheitsschädlich vorweggenommen anzusehen ist, was für den Fachmann als selbstverständlich oder nahezu unerlässlich zu ergänzen ist oder was er bei deren aufmerksamer Lektüre ohne weiteres erkennt und in Gedanken gleich mitliest, musste die Beklagte zudem berücksichtigen, dass diese Entscheidung einen anderen (einfacher gelagerten) technischen Sachverhalt betraf. Auch wenn man zugunsten der Beklagten annimmt, sie habe davon ausgehen dürfen, dass die in dieser Entscheidung aufgestellten Grundsätze, auf welche der Bundesgerichtshof in der späteren Entscheidung „Schmierfettzusammensetzung“ (GRUR 2000, 296, 297) Bezug genommen hat, prinzipiell auch im Bereich der Stoffchemie gelten, hatte der Bundesgerichtshof im Anschluss an die Entscheidung „Elektrische Steckverbindung“ jedoch noch nicht entschieden, was dies für chemische Stoffe mit unterschiedlichen Substituenten bzw. für die Beurteilung des Informationsgehalts einer chemischen Strukturformel konkret bedeutet. Eine höchstrichterliche Entscheidung hierzu stand damit noch aus. Insoweit hat erst die „Olanzapin“-Entscheidung des Bundesgerichtshofs Klarheit geschaffen.

(2.4)
Mit der Beurteilung des Informationsgehalts einer Strukturformel hatte sich der Bundesgerichtshof zwar zuvor bereits in der Entscheidung „Fluoran“ (BGHZ 103, 150 = GRUR 1988, 447) befasst. Diese mehr als 20 Jahre alte Entscheidung ist allerdings noch zum Patentgesetz 1968 ergangen. Ob und inwieweit die in dieser Entscheidung aufgestellten Grundsätze auch nach neuem Recht Anwendung finden, hatte der Bundesgerichtshof noch nicht entschieden. Insoweit stand eine höchstrichterliche Entscheidung ebenfalls noch aus. Auch wenn in der patentrechtlichen Literatur (vgl. Benkard/Melulis, a.a.O., § 3 PatG Rdnr. 83, 85c bis 85e) offenbar von der Fortgeltung der „Fluoran“-Rechtsprechung ausgegangen wurde, konnte die Beklagte hierauf nicht einfach vertrauen. Sie musste vielmehr in Rechnung stellen, dass der Bundesgerichtshof die in der Entscheidung „Fluoran“ aufgestellten Grundsätze unter dem Blickwinkel des jetzigen Rechts neu prüft. Ein sorgfältig Handelnder hätte auch vor diesem Hintergrund die endgültige Klärung der Rechtslage durch den Bundesgerichtshof abgewartet.

Das gilt um so mehr, als damit gerechnet werden musste, dass sich der Bundesgerichtshof – wie bereits in der Vergangenheit im Zusammenhang mit anderen Rechtsfragen – mit der Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts auseinandersetzen würde. Nach der hier einschlägigen – vom Bundesgerichtshof in der „Olanzapin“-Entscheidung (Anlage B&B 10, S. 15 = BGHZ 179, 168 Rdnr. 29) in Bezug genommen – Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts sind nämlich nur solche technische Lehren neuheitsschädlich, die einen Stoff als zwangsläufiges Ergebnis eines vorbeschriebenen Verfahrens oder in spezifischer, d.h. individualisierter, Form offenbaren (vgl. Amtsbl. 1982, 296 – Diastereomere/BAYER; Amtsbl. 1984, 401 – Spiroverbindungen/CIBA GEIGY; Amtsbl. 1988, 381 – Xanthines/DRACO; Amtsbl. 1990, 195 – Enantiomere/HOECHST; Entsch. v. 19.02.2003 – T 940/98 – Diastereomere des 3-Cephem-4-carbonsäure-1-Disopropoxycarbonyloxy)ethylesters/ HOECHST). Wie der Bundesgerichtshof diese Frage nach neuem Recht beurteilt, war offen. Zwar hatte der damalige, an der „Olanzapin“-Entscheidung noch beteiligte Vorsitzende des X. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs Dr. Mellulis in der aktuellen Ausgabe von Benkard, Patentgesetz/Gebrauchsmustergesetz, 2006 (§ 3 PatG Rdnr. 85e), die Meinung vertreten, dass die Auffassung des Europäischen Patentamtes, wonach die Darstellung einer Klasse chemischer Verbindungen, die nur durch eine allgemeine Strukturformel mit mindestens zwei variablen Gruppen definiert ist, nicht alle einzelnen Individuen erfasse, die sich aus der Kombination aller möglichen Variablen innerhalb dieser Gruppen ergeben, in dieser Allgemeinheit mit dem deutschen patentrechtlichen Neuheitsbegriff nicht zu vereinbaren sei. Der Bundesgerichtshof hatte sich mit diesem Konflikt bislang allerdings noch nicht befasst. Wie er gelöst werden würde, war offen.

(2.5)
Hinzu kam vorliegend, dass – wie aus der Entscheidung des Senats vom 29. Mai 2008 (Anlage L 12, S. 32 = InstGE 9, 140, 162 Rdnr. 68) hervorgeht – bis zur Entscheidung des Bundespatentgerichts keines der mit der in Rede stehenden Erfindung befasst gewesenen ausländischen Gerichte die Neuheit oder die Erfindungshöhe in Zweifel gestellt hatte. In dem Wissen um alle relevanten Veröffentlichungen, namentlich den Artikel von Chakrabarti et al sowie die britische Patentschrift 1 533 235, hatte nicht nur das Europäische Patentamt das Klagepatent nach sachkundiger Prüfung erteilt; auch der US-District Court und der US-Court of Appeals hatten in ihren Entscheidungen zu dem parallelen US-amerikanischen Schutzrecht anerkannt, dass das Auffinden von Olanzapin Überlegungen von erfinderischem Rang erfordert hat, was der Senat in dem seinerzeit bei im anhängigen Verfügungsverfahren als Beweisanzeichen für den Rechtsbestand des Klagepatents gewertet hat. Auch das musste die Beklagte hier bedenken und damit rechnen, dass sich der Bundesgerichtshof in dem das Klagepatent betreffenden Nichtigkeitsberufungsverfahren mit den gegenteiligen Entscheidungen anderer Gerichte befassen würde und ebenfalls nicht die Überzeugung würde gewinnen können, dass die Erfindung durch den Stand der Technik vorweggenommen oder nahegelegt ist.

(2.6)
Unabhängig von den vorstehenden Erwägungen ist festzuhalten, dass schon nach der Entscheidung „Fluoran“ der Umstand, dass eine chemische Verbindung unter eine vorveröffentlichte Formel fällt, für die Neuheitsfrage allein nichts besagt. Hierauf hat der Bundesgerichtshof in der „Fluoran“-Entscheidung (BGHZ 103, 150 = GRUR 1988, 447, 449 unter 3. b)) ausdrücklich hingewiesen (vgl. a. Sendrowski, GRUR 2009, 797, 798). Zwar ist in diesem Zusammenhang auch ausgeführt worden, dass für die Neuheitsfrage allein maßgebend sei, ob ein Sachverständiger durch die Angaben einer vorveröffentlichten Druckschrift über eine chemische Verbindung ohne weiteres in die Lage versetzt werde, die diese chemische Verbindung betreffende Erfindung auszuführen, d. h. den betreffenden Stoff in die Hand zu bekommen (BGHZ 103, 150 = GRUR 1988, 447, 449 unter 3. b)). Das Bild, dass der Fachmann ohne weiteres in die Lage versetzt sein müsse, eine Verbindung „in die Hand zu bekommen“, hatte in Verbindung mit der weiteren Aussage, „dass er sie herstellen und den Stoff so in die Hand bekommen konnte“, zu der verbreiteten Annahme geführt, dass alle diejenigen konkreten Verbindungen als durch eine allgemeine chemische Formel offenbart anzusehen sind, die der Fachmann am Prioritätstag technisch hätte herstellen können (König, Mitt. 2009, 125, 126 und 127; vgl. a. Sendrowski, GRUR 2009, 797, 798; Bublak/Coehn, GRUR 2009, 388, 389). Eine dahingehende eindeutige Aussage hat der Bundesgerichtshof in der „Fluoran“-Entscheidung allerdings nicht getroffen. Der Entscheidung ist vielmehr auch zu entnehmen gewesen, dass eine Verbindung als solche dem interessierten Fachmann dann zur Verfügung stehe, „wenn die Vorveröffentlichung einen konkreten Hinweis auf die beanspruchte Verbindung enthält und wenn der Fachmann aufgrund dieses Hinweises und seines allgemeinen Fachwissens in der Lage ist, die Verbindung herzustellen (BGHZ 103, 150 = GRUR 1988, 447, 449 unter 3. b)). Bei sorgfältiger und sinnvoller Lektüre konnte daher bereits die „Fluoran“-Entscheidung dahin verstanden werden, dass die Neuheit einer Verbindung nicht schon mit dem Hinweis verneint werden kann, der Fachmann könne die unzähligen unter eine vorveröffentlichte Formel fallenden Alternativen nacharbeiten und werde hierbei irgendwann zu der fraglichen Verbindung gelangen, sondern dass die Verbindung in einer Entgegenhaltung erst dann offenbart ist, wenn die Vorveröffentlichung einen konkreten Hinweis auf die beanspruchte Verbindung enthält, weil sie z.B. als bevorzugte Ausführungsform beschrieben ist, und wenn der Fachmann (außerdem) aufgrund dieses Hinweises und seines allgemeinen Fachwissens in der Lage ist, die Verbindung herzustellen. In eben diesem Sinne hat der erkennende Senat die „Fluoran“-Entscheidung verstanden (vgl. Anlage L 12, Seite 29 = InstGE 9, 140 – Olanzapin). Selbst wenn man diesem Verständnis nicht folgt, war die „Fluoran“-Entscheidung – was auch die Beklagte bei gehöriger Prüfung hätte erkennen können – jedenfalls keineswegs eindeutig, erst recht nicht im gegenteiligen Sinne.

(2.7)
Schon vor diesem Hintergrund erweist sich die vom Landgericht getroffene Feststellung als richtig, dass sich die Beklagte zumindest erkennbar in einem Grenzbereich des rechtlich Zulässigen bewegt hat. Bei einer zweifelhaften Rechtsfrage, in der sich noch keine einheitliche Rechtsprechung gebildet hat und die insbesondere nicht durch höchstrichterliche Entscheidungen geklärt ist, geht das Sorgfaltserfordernis zwar nicht so weit, dass aus der Sicht des rechtsirrig Handelnden die Möglichkeit einer für ihn ungünstigen gerichtlichen Klärung undenkbar gewesen sein müsste. Durch strenge Anforderungen an seine Sorgfalt muss indessen verhindert werden, dass er das Risiko der zweifelhaften Rechtslage dem Verletzten zuschiebt (vgl. BGH, GRUR 1987, 564, 565 – Taxi-Genossenschaft; GRUR 1990, 474, 476 – Neugeborenentransporte; GRUR 1999, 49, 51 – Bruce Springsteen and his Band). Fahrlässig handelt daher auch, wer sich erkennbar in einem Grenzbereich des rechtlich Zulässigen bewegt, in dem er eine von der eigenen Einschätzung abweichende Beurteilung der rechtlichen Zulässigkeit des fraglichen Verhaltens in Betracht ziehen muss (vgl. BGHZ 130, 205, 220 = GRUR 1995, 750 – Feuer, Eis & Dynamit; BGHZ 131, 308, 318 = GRUR 1996, 726 – Gefärbte Jeans; BGH, GRUR 1990, 1035, 1038 – Urselters II; GRUR 1998, 568, 569 – Beatles-Doppel-CD; GRUR 1999, 49, 51 – Bruce Springsteen and his Band). Jedenfalls dies war hier der Fall.

(2.8)
Letztlich vermag der Senat mit dem Landgericht nicht festzustellen, dass der Bundesgerichtshof in seiner das Klagepatent betreffenden Nichtigkeitsberufungsentscheidung (Anlage B&B 10 = BGHZ 179, 168) von seiner bisherigen Rechtsprechung abgerückt ist, auch wenn diese Entscheidung in der Literatur u.a. als „bahnbrechend“ bezeichnet worden ist (vgl. Bublack/Coehn, GRUR 382, 388).

Der Bundesgerichtshof selbst hat in den amtlichen Leitsätzen der „Olanzapin“-Entscheidung nicht nur von einer „Fortführung von BGHZ 128, 270 – Elektrische Steckverbindung“, sondern auch von einer „Fortführung von BGHZ 103, 150 – Fluoran“ gesprochen. Im Sinne einer Fortführung und Präzisierung dieser Rechtsprechung versteht auch der erkennende Senat diese Entscheidung. Zutreffend ist zwar, dass das am „Olanzapin“-Verfahren als Berichterstatter beteiligte Mitglied des X. Zivilsenats Prof. Dr. Meier-Beck in seiner Rechtsprechungsübersicht (GRUR 2009, 893) im Hinblick auf die „Olanzapin“-Entscheidung des Bundesgerichtshofs davon spricht, dass sich der Bundesgerichtshof mit ihr deutlich von der noch zum Patentgesetz 1968 ergangenen Entscheidung „Fluoran“ abgesetzt habe (GRUR 2009, 893, 894 und YYY). Auch hat das an der „Olanzapin“-Entscheidung nicht beteiligte Mitglied des X. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs Keukenschrijver in einem von der Beklagten auszugsweise zitierten (Bl. 201 GA) Vortrag zur „Beurteilung der Neuheit von Patenten“ beim Heymanns Patentforum im Juni 2009 u.a. die Auffassung geäußert, dass, soweit im Leitsatz dieser Entscheidung von einer Fortführung der „Steckverbindung“ die Rede ist, dies als kleiner Euphemismus zu bezeichnen sei. Dem erkennenden Senat ist allerdings auch bekannt, dass sich das ehemalige Mitglied des X. Zivilsenats des Bundesgerichtshof Scharen auf den Düsseldorfer Patentrechtstagen 2009 öffentlich dahin geäußert hat, dass schon die Entscheidung „Fluoran“ bei sinnvoller Lektüre nicht dahin zu verstehen war, dass ein unter eine allgemeine Strukturformel fallender Stoff bereits deshalb offenbart ist, weil seine Herstellbarkeit am Prioritätstag gegeben war, sondern dass es darüber hinaus einen Hinweis bedarf, dass sich die Aufgabe der Erfindung mit der betreffenden konkreten Verbindung lösen lässt. Ebenso hat sich sinngemäß auch das an der Entscheidung „Olanzapin“ beteiligte Mitglied des X. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs Asendorf gegenüber dem Vorsitzenden des erkennenden Senats bei anderer Gelegenheit geäußert. Die Mehrheit der Mitglieder des X. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs scheint jedenfalls von einer bloßen Fortführung der „Fluoran“-Rechtsprechung ausgegangen zu sein; anders sind die amtlichen Leitsätze zu a) und b) der Entscheidung „Olanzapin“ aus Sicht des erkennenden Senats nicht zu erklären.

Dafür, dass der Bundesgerichtshof seine „Fluoran“-Rechtsprechung nicht aufgegeben und ersetzt, sondern diese nur fortgeführt und präzisiert hat, sprechen auch die Ausführungen des Bundesgerichtshofs in der am 10. September 2009 ergangenen Entscheidung „Escitalopram“ (GRUR 2010, 123, 125 Rdnr. 31), in der es heißt (Unterstreichung hinzugefügt):

„Wie der BGH bereits in der – nach Erlass des angefochtenen Urteils ergangenen – Entscheidung „Olanzapin” klargestellt hat, darf die Fähigkeit des Fachmanns, mit Hilfe bekannter Verfahren und seines sonstigen Fachwissens eine mehr oder weniger große Anzahl von Einzelverbindungen herzustellen, die unter eine offenbarte Strukturformel fallen, nicht mit der Offenbarung dieser Einzelverbindungen gleichgesetzt werden. Durch die Mitteilung einer Strukturformel sind die darunter fallenden einzelnen Verbindungen als solche nicht offenbart. Um sie dem Fachmann im Sinne der Neuheitsprüfung „in die Hand zu geben”, bedarf es in der Regel weitergehender Informationen insbesondere zu ihrer Individualisierung (BGHZ 179, 168 Rdnr. 28 = GRUR 2009, 382 – Olanzapin).

Die Entscheidung „Olanzapin“ enthält danach nur eine Klarstellung. Aus der „Olanzapin“-Entscheidung selbst, ergibt sich nichts anderes. Soweit es dort heißt (Anlage B&B 10, S. 14 f. = BGHZ 179, 168 Rdnr. 28)

„Soweit der noch zum Patentgesetz 1968 ergangenen Entscheidung „Fluoran”, in der der Senat sich im Rechtsbeschwerdeverfahren an die Feststellung des Patentgerichts gebunden gesehen hat, dem Fachmann seien durch eine allgemeine Formel fast 2000 unter die betreffende Formel fallende Einzelverbindungen als herstellbar offenbart, etwas anderes zu entnehmen sein sollte, wird daran für das geltende Recht nicht festgehalten“

wird damit nur zum Ausdruck gebracht, dass die zum Patentgesetz 1968 ergangene Entscheidung „Fluoran“ möglicherweise in diesem Sinne verstanden werden konnte. Es wird aber nicht gesagt, dass die Entscheidung „Fluoran“ tatsächlich so zu verstehen war und es wird auch nicht gesagt, dass diese Entscheidung eine dahingehende eindeutige Botschaft enthalten hat.

Der Bundesgerichtshof hat schließlich in der „Olanzapin“-Entscheidung auch nicht etwa zum Ausdruck gebracht, dass das Nichtigkeitsurteil des Bundespatentgerichts auf der Grundlage seiner bisherigen Rechtsprechung nicht zu beanstanden sei. Eine entsprechende Aussage findet sich dort nicht. Im Gegenteil hat der Bundesgerichtshof in der „Olanzapin“-Entscheidung (Anlage B&B 10, S. 12 = BGHZ 179, 168 Rdnr. 24) einleitend festgestellt, dass das Patentgericht den Bereich des durch Chakrabarti 1980 Offenbarten „verkannt“ habe. Solch deutliche Worte hätte der Bundesgerichtshof kaum gewählt, wenn sich die Entscheidung des Bundespatentgerichts auf der Grundlage seiner bisherigen Rechtsprechung als richtig erwiesen hätte.

(3)
Aus den vorstehenden Gründen konnte die Beklagte auch nicht darauf vertrauen, dass der Bundesgerichtshof die Neuheit der Lehre des Klagepatents jedenfalls aufgrund der – bereits im Erteilungsverfahren geprüften – britischen Patentschrift 1 533 235 (Anlage K 2 im Nichtigkeitsverfahren), welche dem deutschen Patent 25 52 403 (Anlage BB 7) entspricht, verneinen würde. Der erkennende Senat hat diese ältere Druckschrift, mit der sich das Bundespatentgericht in seinem Nichtigkeitsurteil nicht weiter befasst hat, in seinem Urteil vom 29. Mai 2008 (I-2 W 47/07; Anlage L 12, Seiten 29 bis 30 = InstGE 140, 159/160 Rdnrn. 51 – 52) schon nach den vom Bundesgerichtshof in der Entscheidung „Fluoran“ aufgestellten Grundsätzen als nicht neuheitsschädlich eingestuft. Selbst wenn man dem nicht beitritt und davon ausgeht, dass dieses Ergebnis keineswegs eindeutig war, war die Rechtslage jedenfalls unklar.

(4)
Die Beklagte mag die „Olanzapin“-Entscheidung des Bundesgerichtshofs im Hinblick auf den Offenbarungsbegriff für widersprüchlich und nicht überzeugend halten. Das ändert im Ergebnis aber nichts daran, dass die Rechtsbestandsfrage hier bei Aufnahme der Benutzungshandlungen und danach keineswegs eindeutig nur in ihrem Sinne zu entscheiden war.

bb)
Aus der von ihr zuletzt in Bezug genommenen Entscheidung des Landgerichts Den Haag vom 24. März 2010 (Anlage BB 5; deutsche Übersetzung Anlage BB 5a), mit der dieses den niederländischen Teil des Klagepatents für nichtig erklärt hat, kann die Beklagte nichts zu ihren Gunsten herleiten.

Das niederländische Gericht hat angenommen, dass Olanzapin in der Abhandlung „A Free-Wilson Study of 4-Piperazinyl-10H-thienobenzodiazepine Analogues“ von Schauzu und Mager (Pharmazie 38 [1983], 562, Anlage BB 8, deutsche Übersetzung Anlage BB 8) offenbart sei. Der Bundesgerichtshof hat sich in dem den deutschen Teil des Klagepatents betreffenden Nichtigkeitsberufungsverfahren (dort: Anlage K 6) mit derselben Entgegenhaltung befasst und ist zu dem gegenteiligen Ergebnis gelangt (vgl. Anlage B & B 10, S. 20 f. = BGHZ 179, 168 Rdnrn. 39 bis 42 – Olanzapin). Dass die Beurteilung des Bundesgerichtshofs offensichtlich unrichtig ist, vermag der Senat nicht festzustellen. Wie der von der Beklagten überreichten Ablichtung der Entscheidung des Landgerichts Den Haag zu entnehmen ist, hat offenbar auch der High Court in dem den englischen Teil des Klagepatents betreffenden Nichtigkeitsverfahren die Feststellung der dortigen ersten Instanz gebilligt, dass Schauzu den Gegenstand des Klagepatents nicht neuheitsschädlich vorwegnimmt (vgl. Anlage BB 5a, S. 16 Ziff. 9.3). In diesem Sinne hat ausweislich der Entscheidung des niederländischen Gerichts auch das Handelsgericht Wien in einem in Österreich anhängigen Verfügungsverfahren erkannt (vgl. Anlage BB 5a, S. 17 Ziff. 9.4). Die Beurteilung des Bundesgerichtshofs steht damit in Einklang mit diesen Entscheidungen ausländischer Gerichte. Die gegenteilige Entscheidung des niederländischen Gerichts mag belegen, dass über die Rechtsbeständigkeit des Klagepatents gestritten werden kann. Hieraus kann die Beklagte jedoch nichts in Bezug auf ein mangelndes eigenes Verschulden herleiten, weil die Rechtsbeständigkeitsfrage jedenfalls nicht eindeutig in ihrem Sinne zu beurteilen war.

Abgesehen davon behauptet die an dem den deutschen Teil des Klagepatents betreffenden Nichtigkeitsverfahren nicht beteiligte Beklagte schon nicht und stellt auch nicht unter Beweis, dass sie die Veröffentlichung von Schauzu und Mager, mit der sich das Bundespatentgericht in seiner Nichtigkeitsentscheidung nicht befasst hat, vor Aufnahme der Benutzung oder zu irgendeinem Zeitpunkt im Benutzungszeitraum geprüft habe und hierbei zu der Überzeugung gelangt sei, dass diese Olanzapin neuheitsschädlich vorwegnimmt. Soweit sie zuletzt pauschal behauptet hat, ihr Vertrauen sei auf die mangelnde Rechtsbeständigkeit an sich gerichtet gewesen, ist nicht ansatzweise dargetan, worauf dieses Vertrauen –abgesehen von dem Nichtigkeitsurteil des Bundespatentgerichts – gegründet hat.

cc)
Dass die Beklagte bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt nicht davon ausgehen durfte, das Klagepatent werde jedenfalls mangels Vorliegens einer erfinderischen Tätigkeit vernichtet, ergibt sich aus den Ausführungen des Senats in seiner „Olanzapin“-Entscheidung vom 29. Mai 2008 (Anlage L 12 = InstGE 9, 140), auf die verwiesen wird. Aufgrund der dort angestellten Erwägungen hätte der Beklagten jedenfalls klar sein müssen, dass keineswegs gesichert war, dass die Nichtigkeitsentscheidung des Bundespatentgerichts im Nichtigkeitsberufungsverfahren zumindest auf mangelnde Erfindungshöhe gestützt bestätigt wird.

dd)
Soweit die Beklagte im Übrigen auf in einstweiligen Verfügungsverfahren ergangene, für sie günstige Entscheidungen anderer (deutscher) Gerichte verweist, belegen diese Entscheidungen nur, dass nach Ansicht dieser Gerichte – anders als nach Auffassung des Senats – Zweifel am Rechtsbestsand des Klagepatents bestanden, der Rechtsbestand des Klagepatents aus deren Sicht also nicht hinreichend gesichert war, und deshalb der Erlass einer einstweiligen Verfügung nicht in Betracht kam. Sie vermögen indes nicht zu belegen, dass die Beklagte hier ohne Zweifel davon ausgehen durfte, dass das Klagepatent tatsächlich nicht rechtsbeständig ist.

3.
Nach alledem hat die Beklagte das Klagepatent schuldhaft verletzt, weshalb sie der Klägerin gemäß Art. 64 EPÜ, § 139 Abs. 2 PatG zum Schadensersatz verpflichtet ist.

III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 und aus § 91a Abs. 1 ZPO.

Soweit die Parteien im Berufungsrechtsszug den Rechtsstreit in der Hauptsache betreffend die ursprünglich ferner geltend gemachten Ansprüche auf Rechnungslegung, Auskunftserteilung, Vernichtung der patentverletzenden Erzeugnisse und Entfernung aus den Vertriebswegen sowie in Bezug auf den in erster Instanz von der Klägerin nur einseitig für erledigt erklärten Unterlassungsanspruch übereinstimmend für erledigt erklärt haben, sind die diesbezüglichen Kosten des Rechtsstreits der Beklagten nach § 91a Abs. 1 ZPO aufzuerlegen gewesen, weil der Klägerin auch diese Ansprüche zustanden. Insoweit wird zu Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts unter Ziffer III. 2) bis 5) der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen. Das Landgericht hat dort im Einzelnen zutreffend ausgeführt, aufgrund welcher weiteren Tatumstände und Rechtsvorschriften der Klägerin die betreffenden Ansprüche gegen die Beklagte im Hinblick auf die Verletzung des Klagepatents zustanden.

Die Anordnungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeben sich aus den §§ 708 Nr. 10, 711, 108 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Sie berücksichtigen, dass die Klägerin die Zwangsvollstreckung nur wegen ihrer Kosten betreiben kann.

Es bestand keine Veranlassung, die Revision zuzulassen, weil die hierfür in § 543 ZPO aufgestellten Voraussetzungen ersichtlich nicht vorliegen. Als Einzelfallentscheidung hat die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO noch erfordern die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung oder die Fortbildung des Rechts eine revisionsgerichtliche Entscheidung im Sinne des § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.