4a O 30/07 – Oxycodonformulierung

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 629

Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 27. April 2007, Az. 4a O 30/07

I. Der Antrag der Antragstellerin auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 13. Februar 2007 wird zurückgewiesen.

II. Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.

III. Das Urteil ist für die Antragsgegnerin vorläufig vollstreckbar.
Die Antragstellerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Antragsgegnerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

T a t b e s t a n d :

Die Antragstellerin ist seit dem 24. März 2005 eingetragene Inhaberin des europäischen Patentes 1 258 xxx (Anlage Ast 1, nachfolgend Verfügungspatent 1), das eine oxycodonhaltige Zubereitung mit gesteuerter Wirkstoffabgabe betrifft und am 25. November 1992 unter Inanspruchnahme der Priorität der US 800 xxx vom 27. November 1991 angemeldet wurde. Die Veröffentlichung der Patenterteilung erfolgte am 17. März 2004. Die Verfahrenssprache des Verfügungspatentes 1 ist Englisch; Deutschland wurde als Vertragsstaat benannt. Der deutsche Teil des Verfügungspatentes 1 ist unter der Registernummer DE 692 33 xxx T2 (Anlage Ast 2) veröffentlicht worden.

Der für das vorliegende Verfahren maßgebliche Patentanspruch 1 hat in der englischen Verfahrenssprache folgenden Wortlaut:

„A controlled release oxycodone dosage form for oral administration to human patients, comprising:

a) oxycodone salt in an amount equivalent to 10 mg to 160 mg of the oxycodone hydrochloride salt;
b) a matrix incorporating said oxycodone salt;
c) a coating in said matrix controlling the release of said oxycodone salt;
d) wherein said dosage form has an in vitro dissolution rate, when measured by the USP Paddle Method at 100 rpm in 900 ml aqueous buffer (pH between 1.6 and 7.2) at 37° C, between 12.5 % und 42.5 % (by weight) oxycodone salt released after 1 hour, between 25 % and 55 % (by weight) oxycodone salt, released after 2 hours, between 45 % and 75 % (by weight) oxycodone salt released after 4 hours and between 55 % and 85 % (by weight) oxycodone salt released after 6 hours.”

In deutscher Übersetzung hat der Patentanspruch 1 folgenden Wortlaut:

„Kontrolliert freisetzende Oxycodondarreichungsform zur oralen Verabreichung an menschlichen Patienten, umfassend:

a) Oxycodonsalz in einer Menge, die 10 mg bis 160 mg des Oxycodonhydrochloridsalzes entspricht,
b) einer Matrix, die das Oxycodonsalz enthält,
c) eine Beschichtung auf der Matrix, die die Freisetzung des Oxycodonsalzes steuert,
d) worin die Darreichungsform eine in-vitro-Freisetzungsgeschwindigkeit aufweist, wobei, bei Messung nach dem USP Paddle-Verfahren bei 100 Upm in 900 ml wässrigem Puffer (pH zwischen 1,6 und 7,2) bei 37° C, zwischen 12,5 Gew.-% und 42,5 Gew.-% Oxycodonsalz nach einer Stunde freigesetzt sind, zwischen 25 Gew.-% und 55 Gew.-% Oxycodonsalz nach zwei Stunden freigesetzt sind, zwischen 45 Gew.-% und 75 Gew.-% Oxycodonsalz nach vier Stunden freigesetzt sind und zwischen 55 Gew.-% und 85 Gew.-% Oxycodonsalz nach sechs Stunden freigesetzt sind.“

Die Antragstellerin ist seit dem 24. März 2005 weiterhin eingetragene Inhaberin des europäischen Patentes 0 722 xxx (Anlage Ast 23, nachfolgend Verfügungspatent 2), welches unter Inanspruchnahme einer US-Priorität vom 27. November 1991 am 25. November 1992 angemeldet wurde. Die Veröffentlichung der Patenterteilung erfolgte am 30. Oktober 2002. Die Verfahrenssprache des Verfügungspatentes ist Englisch; Deutschland wurde als Vertragsstaat benannt. Der deutsche Teil des Verfügungspatentes 2 ist unter der Registernummer DE 692 32 xxx (Anlage Ast 25) veröffentlicht worden.

Die im vorliegenden Verfahren kombiniert geltend gemachten Patentansprüche 6 und 11 haben in der englischen Verfahrenssprache folgenden Wortlaut:

„A controlled release oxycodone formulation for administration to human patients, comprising:

a) An analgesically effective amount of spheroids comprising oxycodone or a salt thereof and a spheronising agent;
b) Each spheroid being coated with a film coating which controls the release of the oxycodone or oxycodone salt at a controlled rate in an aqueous medium.

Use of a controlled release oxycodone formulation as defined in any one of the claims 1 – 10, containing oxycodone salt in an amount equivalent to 10 mg to 160 mg, of the hydrochloride salt, for the manufacture of a medicament, said medicament when used at multiple 12-hours intervals in human patients, providing steady state:

a) a mean maximum plasma concentration of oxycodone of 6 to 240 ng/ml at 2 to 4.5 hours after administration;
b) a mean minimum plasma concentration of oxycodone of 3 to 120 ng/ml at 10 to 14 hours after administration; and
c) pain relief in substantially all human patients for at least 12 hours.”

In deutscher Übersetzung haben die Patentansprüche 6 und 11 folgenden Wortlaut:

„Kontrolliert freisetzende Oxycodonformulierung zur Verabreichung an menschliche Patienten, umfassend:

a) eine analgetisch wirksame Menge von Sphäroiden umfassend Oxycodon oder ein Salz davon, sowie ein Sphäronisiermittel;
b) wobei jedes Sphäroid mit einem Filmüberzug beschichtet ist, welcher die Freisetzung des Oxycodons oder Oxycodonsalzes mit einer kontrollierten Geschwindigkeit in einem wässrigen Medium steuert. (Anspruch 6)

Verwendung einer kontrolliert freisetzenden Oxycodonformulierung wie in einem der Ansprüche 1 bis 10 definiert, enthaltend ein Oxycodonsalz in einer Menge, die 10 mg bis 160 mg des Hydrochloridsalzes entspricht, zur Herstellung eines Medikaments, wobei das Medikament bei Verwendung in mehrmaligen 12-Stunden-Intervallen bei menschlichen Patienten im Fließgleichgewichtszustand gewährleistet:

a) eine mittlere maximale Plasmakonzentration an Oxycodon von 6 bis 240 ng/ml 2 bis 4,5 Stunden nach der Verabreichung;
b) eine mittlere minimale Plasmakonzentration an Oxycodon von 3 bis 120 ng/ml 10 bis 14 Stunden nach der Verabreichung; sowie
c) Schmerzlinderung bei im wesentlichen allen menschlichen Patienten für mindestens 12 Stunden.“ (Anspruch 11)

Die Verfügungspatente gehen neben anderen, für das vorliegende Verfahren nicht relevanten Patenten auf die internationale Patentanmeldung mit der Veröffentlichungsnummer WO 93/10xxx zurück. Das Verfügungspatent 2 ist aus einer Teilanmeldung der WO 93/10xxx hervorgegangen, das Verfügungspatent 1 ist eine Teilanmeldung zweiter Generation, d.h. es ist aus einer Teilanmeldung hervorgegangen, die für die europäische Anmeldung eingereicht wurde, die zum Verfügungspatent 2 führte.

Die Antragsgegnerin, ein in der Schweiz ansässiges Entwicklungs- und Herstellerunternehmen beliefert eine Vielzahl von Generika-Herstellern in der Bundesrepublik Deutschland mit zum Weiterverkauf bestimmten generischen Arzneimitteln. Dabei stellt sie u.a. eine Oxycodon-Retard-Formulierung her, welche an deutsche Generika-Hersteller zum Weitervertrieb in der Bundesrepublik Deutschland geliefert wird. Mit Bescheiddatum vom 22. Januar 2007 ermächtigte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die Unternehmen A- GmbH, B- AG, C- Arzneimittel AG, D- Services GmbH und die E- Arzneimittel GmbH zum Vertrieb von durch die Antragsgegnerin hergestellten Oxycodon-Retardtabletten in den Wirkstoffstärken 20 mg, 40 mg und 80 mg in der Bundesrepublik Deutschland. Ausweislich der Zulassungsbescheide handelt es sich bei allen Zulassungen um eine Oxycodon-Retardtablette für die Indikation „starke bis sehr starke Schmerzen“.

Mit Antrag vom 13. Februar 2007 beantragte die Antragstellerin den Erlass einer einstweiligen Verfügung mit dem Ziel der Antragstellerin den Vertrieb einer Oxycodon-Retardformulierung in der Bundesrepublik zu untersagen, welche von der Lehre nach dem Verfügungspatent 1 Gebrauch macht. Mit Beschluss vom 14. Februar 2007 ordnete die Kammer an, dass über den Antrag nicht ohne mündliche Verhandlung werden soll. Nachdem die Generika-Hersteller C- Arzneimittel AG und A-a GmbH die streitgegenständlichen Oxycodon-Formulierungen in der Bundesrepublik Deutschland eingeführt haben, ließ die Antragstellerin die Tabletten der C- Arzneimittel AG mit der Bezeichnung „Oxycodon-HCl C-®“ durch Herrn Dr. Dipl.-Chem. Robert F und die G- GmbH untersuchen. Auf die als Anlage Ast 32 und 39 vorgelegten Gutachten wird Bezug genommen. Mit Schriftsatz vom 20. März 2007 machte die Antragstellerin auch eine Verletzung des Verfügungspatentes 2 geltend.

Die Antragstellerin vertritt die Auffassung, dass die von der Antragsgegnerin hergestellte und vertriebene Oxycodon-Retardformulierung von der erfindungsgemäßen Lehre nach den Verfügungspatenten Gebrauch mache. Die Verfügungspatente würden in den einzelnen Merkmalen (vgl. Merkmalsgliederung in den Entscheidungsgründen) keinen abschließenden Aufbau der Formulierungen vorsehen. So müsse die Matrix nicht das gesamte Oxycodonsalz der arzneilich wirksamen Formulierung aufweisen. Entsprechend könne sich auf der Beschichtung, welche die Freisetzung des Oxycodonsalzes steuere, auch eine weitere Schicht befinden, welches Oxycodonsalz enthalte, solange nur die entsprechenden in-vitro-Freisetzungsgeschwindigkeiten, welche das Verfügungspatent 1 vorsehe, eingehalten werden würden. Das gleiche gelte für das Verfügungspatent 2, solange die in den Ansprüchen genannte Plasmakonzentration erreicht werden würde.

Die Antragstellerin beantragt,

1. der Antragsgegnerin zu untersagen,

a) eine kontrolliert freisetzende Oxycodon-Darreichungsform zur oralen Verabreichung an menschlichen Patienten umfassend (a) Oxycodon-Hydrochloridsalz in einer Menge von 10 mg – 80 mg, (b) eine Matrix, die das Oxycodonsalz enthält, (c) eine Beschichtung auf der Matrix, die die Freisetzung des Oxycodonsalzes steuert, (d) eine Beschichtung auf der Matrix, die die Freisetzung des Oxycodonsalzes steuert, worin (d) die Darreichungsform eine in-vitro-Freisetzungsgeschwindigkeit aufweist, wobei Messungen nach dem USP Paddle-Verfahren bei 100 Upm in 90 ml wässrigem Puffer (pH zwischen 1,6 und 7,2) bei 37° C, zwischen 12,5 Gew.-% und 42,5 Gew.-% Oxycodonsalz nach einer Stunde freigesetzt sind, zwischen 25 Gew.-% und 55 Gew.-% Oxycodonsalz nach zwei Stunden freigesetzt sind, zwischen 45 Gew.-% und 75 Gew.-% Oxycodonsalz nach vier Stunden freigesetzt sind und zwischen 55 Gew.-% und 75 Gew.-% Oxycodonsalz nach vier Stunden freigesetzt sind und zwischen 55 Gew.-% und 85 Gew.-% Oxycodonsalz nach sechs Stunden freigesetzt sind,

in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken in die Bundesrepublik Deutschland einzuführen oder zu besitzen;

b) eine kontrolliert freisetzende Oxycodonformulierung zur Verabreichung an menschliche Patienten in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken in die Bundesrepublik Deutschland einzuführen oder zu besitzen, die

eine analgetisch wirksame Menge von Sphäroiden, umfassend Oxycodonsalz, sowie ein Sphäronisierungsmittel enthält, bei der jedes Sphäroid mit einem Filmüberzug beschichtet ist, welcher die Freisetzung des Oxycodonsalzes mit einer kontrollierten Geschwindigkeit in einem wässrigen Medium steuert, und

Oxycodonsalz in einer Menge enthält, die 10 mg bis 80 mg des Hydrochloridsalzes entspricht, und zur Herstellung eines Medikaments verwendet wird, wobei das Medikament bei Verwendung in mehrmaligen 12-Stunden-Intervallen bei menschlichen Patienten im Fließgleichgewichtszustand gewährleistet:

aa) eine mittlere maximale Plasmakonzentration an Oxycodon von 6 bis 240 ng/ml bis 4,5 Stunden nach der Verabreichung;

bb) eine mittlere minimale Plasmakonzentration an Oxycodon von 3 bis 120 ng/ml 10 bis 14 Stunden nach der Verabreichung;

cc) Schmerzlinderung bei im Wesentlichen allen menschlichen Patienten für mindestens 12 Stunden;

2. für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen Ziffer 1. der Antragsgegnerin Ordnungsgeld bis zu 250.000,- Eur anzudrohen, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Widerholungsfalle bis zu insgesamt 2 Jahren, jeweils zu vollstrecken an ihrem Direktor;

3. der Antragsgegnerin aufzugeben, der Antragstellerin unverzüglich schriftlich und vollständig unter Vorlage eines einheitlichen geordneten Verzeichnisses unter Beifügung von Belegen in Form gut lesbarer Kopien sämtlicher Auftragsschreiben, Auftragsbestätigungen, Lieferscheine, Zollpapiere und Rechnungen Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie die unter 1. bezeichneten Handlungen seit dem 17. April 2004 begangen hat, und zwar unter Angabe

a) der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,

b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen und Lieferzeiten sowie der Namen und Anschriften der jeweiligen Abnehmer.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

Sie stellt eine Verletzung der Verfügungspatente durch die angegriffene Oxycodon-Retardformulierung in Abrede. Das Verfügungspatent 1 sei in dem im Anspruch 1 beschriebenen Aufbau der Formulierung abschließend. Entsprechend müsse sich der gesamte Wirkstoff in der Matrixschicht befinden. Die Verfügungspatentschrift 1 gebe keinen Anhalt für einen Formulierungsaufbau, bei welchem sich auf der die Freisetzung steuernden Beschichtung noch eine weitere Wirkstoffschicht befinde. Das gleiche gelte für das Verfügungspatent 2, wenn dort davon die Rede sei, dass jedes Sphäroid mit einem Filmüberzug beschichtet sei, der die Freisetzung des Oxycodonsalzes in einem wässrigen Medium steuere.

Die Antragstellerin tritt diesem Vorbringen vollumfänglich entgegen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Der zulässige Antrag der Antragstellerin auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist unbegründet. Ein Verfügungsanspruch liegt nicht vor. Die Antragstellerin hat gemäß §§ 935, 936 i.V.m. 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO nicht glaubhaft gemacht, dass ihr gegenüber der Antragsgegnerin ein Unterlassungsanspruch nach Art. 64 EPÜ i.V.m. § 139 Abs. 1, 9 Abs. 1 Nr. 1 PatG sowie ein hiermit korrespondierender Auskunftsanspruch zusteht.

I.
Verfügungspatent 1
1.
Das Verfügungspatent I befasst sich mit oxycodonhaltigen Zubereitungen mit gesteuerter (retardierter) Wirkstoffabgabe. Bei Oxycodon handelt es sich um einen Opioidagonisten, der bei der Behandlung starker Schmerzen Anwendung findet. Der analgetische Effekt der Opioidanalgetika beruht darauf, dass sie die Wirkung körpereigener morphinähnlich wirkender Substanzen (sog. endogene Opioide) nachahmen, deren physiologische Funktion darin besteht, die Wahrnehmung und Verarbeitung von Schmerzreizen zu kontrollieren. Die Opioidanalgetika entfalten ihre Wirksamkeit durch Bindung an Opioidrezeptoren im Zentralnervensystem, aber auch in der Körperperipherie. Dabei hängen die schmerzstillende Hauptwirkung und auch die Nebenwirkungen von Opioidanalgetika insbesondere von der Art des Opioid-Rezeptors ab, an den sich das jeweilige Opioidanalgetikum bindet und davon, wie es diesen beeinflusst.

Ein gravierendes Problem bei der Behandlung von Schmerz mit Opioidanalgetika besteht darin, dass Patienten ganz erhebliche Abweichungen hinsichtlich der jeweils zur individuellen Schmerzkontrolle ohne allzu große Nebenwirkungen erforderlichen Dosierung zeigen. Die Wirkung und Toleranz von Opioidanalgetika hängt unter anderem von der physischen Konstitution, der individuellen Leber- und Nierenfunktion, dem Alter, der Veranlagung und dem individuellen Schmerzempfinden des Patienten ab. Durch diese inter-individuellen Unterschiede entsteht eine Dosierungsbandbreite, worunter der Fachmann den Bereich an Wirkstoffmenge versteht, die pro Tag erforderlich ist, um z.B. 90 % aller Patienten wirkungsvoll zu behandeln, d.h. – bei Verabreichung eines Schmerzmittels – den Schmerz dauerhaft zu kontrollieren. Die Bandbreite kann z.B. von 10 mg bis 40 mg reichen. Bei Opioiden ist die Bandbreite jedoch im allgemeinen groß, nämlich bei etwa 1 : 8, d.h. bei einer Mindestdosis von 10 mg wäre die Maximaldosis 80 mg. Um die individuelle Einzeldosis bestimmen zu können, sind Reihenuntersuchungen (sog. Titrationen) zu täglichen Dosierungen von Opioidanalgetika, die zur Schmerzkontrolle erforderlich sind, notwendig, bis die minimale, zur Schmerzlinderung individuell erforderliche Dosis gefunden ist. Nachteilig hieran ist, dass der Patient bis zum Abschluss dieses Prozesses nicht optimal dosiert ist, was dazu führt, dass er während dieser Zeit entweder überdosiert ist, oder aber seine Schmerzen nicht adäquat kontrolliert sind. Je größer die Bandbreite der Dosierungsunterschiede zwischen den individuellen Patienten ist, desto aufwendiger und länger ist dieser Titrationsprozess.

Der Titrationsprozess wurde herkömmlicherweise mit den Wirkstoff schnell freisetzenden oralen Präparaten oder mit intravenös zu verabreichenden Präparaten durchgeführt. Sobald die optimale Tagesmenge feststand, wurde üblicherweise unter Beibehaltung dieser Tagesmenge zu einer Retardformulierung gewechselt. Traditionell war der Patient nach der Titration schnell mit freisetzenden Präparaten korrekt auf eine bestimmte Wirkstoffmenge pro Tag eingestellt. Teilweise musste jedoch eine Nachtitration erfolgen.

Zum Prioritätszeitpunkt waren bereits Formulierungen zur kontrollierten Freisetzung von Opioidanalgetika, insbesondere Morphin und Hydromorphon oder deren Salze, in einer geeigneten Matrix bekannt. So beschreibt das US-Patent 4,990,341 (Goldie) Hydromorphon-Zusammensetzungen, worin die in-vitro-Auflösungsrate, gemessen durch die USP Blattrührer-(Paddle)-Methode bei 100 Upm in 900 ml wässrigem Puffer (pH zwischen 1,6 und 7,2) bei 37° C zwischen 12,5 und 42,5 Gew.-% nach 1 Stunde freigesetztes, zwischen 25 und 55 Gew.-% nach 2 Stunden freigesetztes, zwischen 45 und 75 Gew.-% nach 4 Stunden freigesetztes und zwischen 55 und 85 Gew.-% nach 6 Stunden freigesetztes Hydromorphon beträgt.

Vor dem Hintergrund dieses Standes der Technik bezeichnet es das Verfügungspatent 1 als seine Aufgabe, eine Opioidanalgetikum-Formulierung bereitzustellen, welche die Wirksamkeit und Qualität der Schmerzbehandlung erheblich verbessert (Absatz 0006). Als weitere Aufgabe formuliert es das Verfügungspatent 1, Verfahren und Formulierungen bereitzustellen, welche die ungefähr achtfache Breite in Tagesdosierungen, die zur Schmerzkontrolle in ungefähr 90 % der Patienten notwendig sind, wesentlich verringern.

Hierzu schlägt das Verfügungspatent 1 in dem für das vorliegende Verfahren maßgeblichen Patentanspruch 1 Folgendes vor:

1. Kontrolliert freisetzende Oxycodonformulierung zur oralen Verabreichung am menschlichen Patienten, umfassend:

2. Oxycodonsalz in einer Menge, die 10 mg bis 160 mg des Oxycodon-Hydrochloridsalzes entspricht,

3. eine Matrix auf, die das Oxycodonsalz enthält,

4. eine Beschichtung auf der Matrix, die die Freisetzung des Oxycodonsalzes steuert.

5. Die Darreichungsform weist eine in-vitro-Freisetzungsgeschwindigkeit auf, wobei, bei Messung nach dem USP Paddle-Verfahren bei 100 Upm in 900 ml wässrigem Puffer (pH zwischen 1,6 und 7,2) bei 37° C,

a) zwischen 12,5 Gew.-% und 42,5 Gew.-% Oxycodonsalz nach einer Stunde freigesetzt sind,

b) zwischen 25 Gew.-% und 55 Gew.-% Oxycodonsalz nach zwei Stunden freigesetzt sind,

c) zwischen 45 Gew.-% und 75 Gew.-% Oxycodonsalz nach vier Stunden freigesetzt sind und

d) zwischen 55 Gew.-% und 85 Gew.-% Oxycodonsalz nach sechs Stunden freigesetzt sind.

2.
Nachdem die Zusammensetzung und der Aufbau der angegriffenen Oxycodon-Retard-Formulierung zwischen den Parteien unstreitig geworden ist, vermag die Kammer diesbezüglich folgende Feststellungen zu treffen.

Als arzneilich wirksamen Bestandteil enthält die angegriffene Formulierung Oxycodonhydrochlorid in einer Menge von 20 mg, 40 mg bzw. 80 mg, wobei durch Teilung der 20 mg-Tablette auch eine Dosierung von 10 mg erreicht werden kann. Die Formulierung, deren Aufbau der schematischen Abbildung 42 der Anlage Ast 32 a bzw. Anlage Ag 21 entspricht, welche nachfolgend wiedergegeben ist,

besteht als Kernsubstanz aus einem Zucker-Stärke-Pellet, das im Inneren der Tablette angeordnet ist. Das Zucker-Stärke-Pellet besteht aus Saccharose, Maisstärke und D-Glucose und enthält keinen Wirkstoff. Das Pellet selbst ist von einer ringförmigen Schicht aus Wirkstoff (Oxycodonhydrochlorid) und Hydroxypropylmethylcellulose („Hypromellose“ = HPMC) umgeben. Entgegen der ursprünglich von der Antragstellerin vertretenen Auffassung, an welcher sie nicht mehr festgehalten hat, diffundiert aus der das Pellet unmittelbar umgebenden Wirkstoffschicht kein Wirkstoff in das Innere des Pellets. Über dieser ringförmigen Schicht aus Wirkstoff und HPMC befindet sich eine weitere ringförmige Schicht, die ein Gemisch aus Ethylcellulose und Hydroxypropylcellulose („Hyprolose“ = HPC) enthält. Diese Schicht steuert – so die Antragsgegnerin – die Freisetzung des in der darunter liegenden Schicht enthaltenen Wirkstoffs. Über dieser Schicht befindet sich eine weitere Schicht – „dritte“ Schicht – die wiederum als arzneilich wirksamen Bestandteil Oxycodonhydrochlorid und zwar in einem Umfang von ca. 20 Gew.-% sowie HPMC enthält. Diese „dritte“ Schicht ist nicht von einer weiteren Beschichtung umgeben.

3.
Dieser Aufbau der angegriffenen Zusammensetzung macht von Patentanspruch 1 des Verfügungspatentes 1 keinen Gebrauch.

Merkmal 3, welches neben den Merkmalen 4 und 5 zwischen den Parteien im Streit steht, besagt, dass die Formulierung eine Matrix aufweist, die das Oxycodonsalz enthält. Merkmal 4, welches mit dem Merkmal 3 in technisch-funktionalem Zusammenhang steht, sieht vor, dass sich auf der Matrix eine Beschichtung befindet, die die Freisetzung des Oxycodonsalzes steuert. Unabhängig von der zwischen den Parteien streitigen Frage, ob es sich bei HPMC um Matrixmaterial im Sinne des Verfügungspatentes 1 handelt, verwirklicht die angegriffene Ausführungsform jedenfalls insoweit nicht das Merkmal 3 und als Folge hieraus auch nicht das Merkmal 4, als sich Oxycodonhydrochlorid nicht nur in der Schicht befindet, welche von der Antragstellerin als Matrixschicht bezeichnet wird, also derjenigen Schicht oberhalb des Zucker-Stärke-Pellets, welche den Wirkstoff und HPMC enthält, sondern auch in einer weiteren, „dritten“ Schicht oberhalb der Beschichtung. Dementsprechend steuert die in der zweiten Schicht vorhandene Beschichtung aus Ethylcellulose und HPC auch nicht die Freisetzung des Oxycodonhydrochlorids. Der für das vorliegende Verfahren maßgebliche Patentanspruch 1 ist jedoch dahingehend zu verstehen, dass sich der Wirkstoff Oxycodon insgesamt in der Matrixschicht befinden soll, damit die auf der Matrixschicht befindliche Beschichtung die Freisetzung steuern kann.

Zu dieser Auffassung gelangt der Fachmann bereits ausgehend von einer rein philologischen Betrachtung, an der, wie der Kammer bewusst ist, im Rahmen der Auslegung nicht Halt gemacht werden darf. In der für die Auslegung maßgebenden englischen Verfahrenssprache ist der Patentanspruch 1 lit. a) und b) wie folgt formuliert:

„(a) oxycodone salt in an amount equivalent to 10 mg to 160 mg of the oxycodone hydrochloride salt;

(b) a matrix incorporating said oxycodone salt.”

In lit. (b) ist mithin von „a matrix incorporating said oxycodone salt“ die Rede. Mit der Formulierung „said oxycodone salt“ wird ersichtlich Bezug auf das in lit. (a) genannte Oxycodonsalz mit einer Dosierung von 10 mg bis 160 mg genommen. Das in lit. (a) beschriebene Oxycodonsalz in der jeweils gewählten Dosierung soll daher dem Wortlaut nach in der Matrixschicht enthalten sein. Die sich an die Matrixbeschichtung anschließende Beschichtung soll dann, wie sich unmittelbar weiter aus dem Patentanspruch 1 des Verfügungspatentes 1 ergibt, die Freisetzung des Oxycodonsalzes steuern. Entsprechend ist in lit. (c) des Patentanspruch 1 in der englischen Verfahrenssprache definiert:

„(c) a coating on said matrix controlling the release of said oxycodone salt.”

Auch hier wird wieder auf „said oxycodone salt“ Bezug genommen, also auf das in lit. (a) näher beschriebene Oxycodonsalz. Dessen Freisetzung soll durch die Beschichtung der Matrixschicht gesteuert werden. Die Geschwindigkeit der Freisetzung wird dann in lit. (d) näher beschrieben. Die Freisetzungsgeschwindigkeit soll auch nicht – wie die Antragstellerin meint und wie es die deutsche Übersetzung des Patentanspruches nicht ausschließt – durch die „Darreichungsform“, also ein Arzneimittel gleich welcher Zusammensetzung erzielt werden. In der für die Auslegung maßgeblichen englischen Verfahrenssprache heißt es unter lit. (d):

„(d) wherein said dosage form has an in vitro dissolution rate (…).”

In lit. (d) wird auf „said dosage form“ Bezug genommen, es wurde daher die gleiche Formulierung gewählt, wie sie im Oberbegriff des Anspruches 1 verwendet wird, wo von „a controlled release oxycodone dosage form of (….)“ gesprochen wird. Diese soll den in lit. (a) bis (c) näher beschriebenen Aufbau und Zusammensetzung und die in lit. (d) näher beschriebene Freisetzungsgeschwindigkeit aufweisen.

Ausgehend von einer rein philologischen Betrachtung des Wortlauts des Patentanspruches 1 in der für die Auslegung maßgeblichen englischen Verfahrenssprache ist der erfindungsgemäße Aufbau der Formulierung daher abschließend zu verstehen. Die Matrixschicht soll den Wirkstoff Oxycodonhydrochlorid enthalten und durch die Beschichtung, welche sich oberhalb der Matrixschicht befindet und welche die Freisetzung des Wirkstoffes steuert, werden die erfindungsgemäß angestrebten Freisetzungsgeschwindigkeiten erreicht.

Zu dem gleichen Verständnis des Patentanspruches 1 gelangt der Fachmann auch bei technisch-funktionaler Betrachtung des Gegenstandes der Erfindung nach dem Verfügungspatent 1. Ausgehend von der Überlegung, dass mit der erfindungsgemäßen Formulierung eine kontrollierte Freisetzung des Oxycodonsalzes erzielt werden soll, kann die kontrollierte Freisetzung nur dann erzielt werden, wenn der zu steuernde Wirkstoff von einer Beschichtung umgeben ist, die auf Grund ihrer chemisch-physikalischen Eigenschaften in der Lage ist, eine solche Steuerung zu übernehmen. Eine solche „Kontrolle“ würde nicht oder nicht schwerlich erzielt werden, wenn sich auf der die Freisetzung steuernden Beschichtung eine weitere Schicht befände, die Wirkstoff enthält und diesen „ungesteuert“ freisetzt. Das Verfügungspatent 1 lässt es, wie es sich bereits aus dem Wortlaut des Patentanspruchs 1 ergibt, keinesfalls offen, durch welche Schicht die Steuerung erfolgen soll. Denn zum einen ist von einer Steuerung durch die Beschichtung die Rede. Zum anderen muss eine die Freisetzung des Wirkstoffs vorhandene Beschichtung vorhanden sein, da der Anspruch 1 wie auch die Beschreibung keine näheren Angaben zur Ausgestaltung der Matrixschicht macht. Nach der Beschreibung in der Verfügungspatentschrift ist erfindungsgemäß sowohl eine normale wie auch eine kontrollierte freisetzende Matrixschicht erfindungsgemäß (vgl. Abs. 0031 der Verfügungspatentschrift 1). Wird erfindungsgemäß jedoch eine Matrixschicht verwendet, die eine normale Freisetzung bewirkt, muss zwangsläufig, um eine kontrollierte Freisetzung der Wirkstoffs zu erreichen, eine Beschichtung vorhanden sein, die die Steuerungsfunktion übernimmt, da ansonsten keinerlei kontrollierte Freisetzung der arzneilichen Formulierung gegeben wäre.

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin kommt es, wie sich bereits aus dem Wortlaut des Patentanspruches 1 in der englischsprachigen Verfahrenssprache ergibt, auch nicht darauf an, dass lediglich durch irgendeine „Darreichungsform“ die in Merkmal 5 der obigen Merkmalsgliederung beschriebenen Freisetzungsgeschwindigkeiten erzielt werden. Denn die in-vitro-Freisetzungsgeschwindigkeiten bilden nicht allein den Gegenstand der Erfindung nach dem Verfügungspatent 1. Vielmehr stellt die Kombination aus der Verwendung des Wirkstoffs Oxycodon bzw. seines Salzes und dem Aufbau der Formulierung (vgl. Merkmale 2 bis 4) und der in-vitro-Freisetzungsgeschwindigkeit (vgl. Merkmal 5) den Kern der Erfindung dar. Denn das in Merkmal 5 beschriebene in-vitro-Freisetzungsprofil war im Stand der Technik für Hydromorphon-Zusammensetzungen schon bekannt, wie sich aus Abs. 0004 der Verfügungspatentschrift 1 entnehmen ist, wo konkret die in Merkmal 5 definierten in-vitro-Freisetzungsgeschwindigkeiten beschrieben werden.

Zu einem anderen Verständnis der technischen Lehre der in Patentanspruch 1 des Verfügungspatentes 1 unter Schutz gestellten Lehre, gibt auch die Beschreibung der Erfindung in der Verfügungspatentschrift keinen Anhalt. Denn in der Beschreibung wird lediglich auf Beispiele von Formulierungen Bezug genommen, die eine Beschichtung aufweisen, die alleine oder in Verbindung mit einer kontrolliert freisetzenden Matrix das erfindungsgemäß gewünschte Freisetzungsprofil erzielt (vgl. Abs. 0044 bis 0048, 0050 sowie die Beispiele). Zwar heißt es in Abs. 0044, dass die „Sphäroide vorzugsweise mit einem Material filmbeschichtet (sind), das die Freisetzung des Oxycodons (oder Oxycodonsalzes) mit einer kontrollierten Geschwindigkeit in einem wässrigen Medium“ erlaubt. Anhand der genannten Textstelle könnte daher der Eindruck entstehen, dass eine kontrollierte Freisetzung erfindungsgemäß nur vorzugsweise mittels einer entsprechenden Beschichtung erzielt werden soll. Der Fachmann, der die Entstehungsgeschichte der Verfügungspatentes 1 vor Augen hat, d.h. Kenntnis darüber hat, dass das Verfügungspatent 1 – wie auch das Verfügungspatent 2 – seinen Ursprung in der WO 93/10xxx hat, erkennt jedoch, dass die Beschreibung der Erfindung nicht individuell auf den Gegenstand der Erfindung nach Patentanspruch 1 des Verfügungspatentes 1 angepasst wurde, die Beschreibung daher auch andere Formulierungen umfasst, die mit der im Patentanspruch 1 unter Schutz gestellten Erfindung nicht im Einklang stehen. Dies zeigt sich vorliegend insbesondere daran, dass die Beschreibung des Verfügungspatentes 2 mit derjenigen des Verfügungspatentes 1 in den wesentlichen Zügen übereinstimmt.

Entsprechend des vorstehend beschriebenen Verständnisses der Merkmale 3 und 4 des Patentanspruches 1, macht die angegriffene Ausführungsform von der Lehre nach dem Verfügungspatent 1 keinen Gebrauch. Die angegriffene Formulierung weist in der als Matrixschicht bezeichneten „ersten“ Schicht nicht die gesamte in der Formulierung vorhandene Wirkstoffkonzentration auf. Vielmehr befindet sich in einer oberhalb der Schicht, welche die Beschichtung trägt, vorhandenen „dritten“ Schicht weiteres Oxycodonsalz in einem Umfang von 20 Gew.-%. Die Beschichtung steuert mithin nicht die Freisetzung des in der Formulierung vorhandenen Oxycodonsalzes.

Verfügungspatent 2
1.
Wie das Verfügungspatent 1 befasst sich das Verfügungspatent 2 mit Formulierungen für die kontrollierte Freisetzung von Oxycodon. Zum Stand der Technik nimmt das Verfügungspatent 2 Bezug auf die GB 2 196 848, US 4,861,598 und EP 0 097 523.

Die GB 2 196 848 beschreibt eine feste orale Darreichungsform mit kontrollierter Freisetzungsrate, welche speziell eine therapeutisch wirksame Menge von Hydromorphon oder einem seiner Salze in einer Matrix umfasst. Die in-vitro-Auflösungsrate wird mittels der USP Paddle-Methode bei 100 Upm in 900 ml wässrigem Puffer bestimmt. Die US 4,861,598 beschreibt ein Verfahren zur Herstellung einer speziellen oralen Retard-Matrix, basierend auf Fettalkohol und Acrylharz. Unter der Vielzahl der genannten Wirkstoff findet sich auch Oxycodon. Auch die EP 0 097 523 offenbart eine kontrolliert freisetzende Retardmatrixformulierung für Opioide. Im allgemeinen Teil der Beschreibung wird u.a. Oxycodon genannt.

Vor dem Hintergrund des Standes der Technik hat es sich die Erfindung nach dem Verfügungspatent 2 zur Aufgabe gemacht, ein Verfahren zur wesentlichen Verbesserung der Wirksamkeit und Qualität der Schmerzbehandlung bereitzustellen. Hierzu schlägt das Verfügungspatent 2 in den kombiniert geltend gemachten Ansprüchen 6 und 11, entsprechend der von der Antragsgegnerin als Anlage AG 13 vorgelegten Merkmalsgliederung Folgendes vor:

1. Verwendung einer kontrolliert freisetzenden Oxycodonformulierung, umfassend:

1.1 eine analgetisch wirksame Menge von Sphäroiden umfassend

1.1.1 ein Oxycodonsalz in einer Menge, die 10 mg bis 160 mg des Hydrochloridsalzes entspricht, sowie

1.1.2 ein Sphäronisierungsmittel,

1.2 jedes Sphäroid ist mit einem Filmüberzug beschichtet,

1.2.1 der Filmüberzug steuert die Freisetzung des Oxycodonsalzes in einem wässrigen Medium,

1.2.2 das Oxycodonsalz wird in einer kontrollierten Rate freigesetzt,

2. Zur Herstellung eines Medikaments zur Verabreichung an menschlichen Patienten,

3. das Medikament gewährleistet bei Verwendung in mehrmaligen 12-Stunden-Intervallen bei menschlichen Patienten im Fließgleichgewichtszustand:

3.1 eine mittlere maximale Plasmakonzentration an Oxycodon von 6 bis 240 ng/ml bis 4,5 Stunden nach der Verabreichung

3.2 eine mittlere minimale Plasmakonzentration an Oxycodon von 3 bis 120 ng/ml 20 bis 14 Stunden nach der Verabreichung, sowie

3.3 Schmerzlinderung bei im Wesentlichen allen menschlichen Patienten für mindestens 12 Stunden.

2.
In Entsprechung zu den obigen Ausführungen im Hinblick auf eine fehlende Verwirklichung des Verfügungspatentes 1 macht die angegriffene Ausführungsform auch von dem Verfügungspatent 2 keinen Gebrauch. Unabhängig von der zwischen den Parteien streitigen Frage der Verwirklichung der Merkmale 1.1. und 1.1.2, insbesondere der Frage des Vorhandenseins von Sphäroiden bzw. Sphäronisierungsmittel in der angegriffenen Ausführungsform, liegt eine Verwirklichung nicht vor, da mit der angegriffenen Formulierung von der Merkmalsgruppe 1.2 kein Gebrauch gemacht wird.

Nach Merkmal 1.2 ist jedes Sphäroid, welches in der Merkmalsgruppe 1.1 näher beschrieben wird, mit einem Filmüberzug beschichtet, der die Freisetzung des Oxycodonsalzes in einem wässrigen Medium steuert und das Oxycodonsalz in einer kontrollierten Rate freisetzt. Vergleichbar der Formulierung des Patenanspruches 1 des Verfügungspatentes 1 besagt der Patentanspruch 6 des Verfügungspatentes 2 in der für die Auslegung maßgeblichen englischen Verfahrenssprache in lit. (b), dass „each spheroid being coated with a film coating which controls the release of the oxycodone or oxycodone salt at a controlled rate in an aqueous medium“, d.h. die Filmbeschichtung des Sphäroids steuert die Freisetzung des Wirkstoffs, welcher in lit. (a) näher definiert wird und dessen Konzentration sich dem vorliegend kombiniert geltend gemachten Patentanspruch 11 entnehmen lässt. Dementsprechend soll bereits dem Wortlaut des Patentanspruches 6 nach die Beschichtung die Freisetzung des in dem Sphäroid vorhandenen Wirkstoffs steuern.

In Entsprechung zu den Ausführungen zur Auslegung des Patentanspruches 1 von dem Verfügungspatent 1 ergeben sich keine Anhaltspunkte für ein anderes Verständnis des Patentanspruches 6 aus der Beschreibung der Erfindung nach dem Verfügungspatent 2. Die Beschreibungen der Erfindung in den jeweiligen Verfügungspatenten sind weitestgehend identisch.

Ein anderes Verständnis als nach der rein philologischen Betrachtung des Patentanspruches 6 – in Kombination mit dem kombiniert geltend gemachten Patentanspruch 11 – ergibt sich auch nicht bei der für die Auslegung relevanten technisch-funktionalen Betrachtung des Gegenstandes der Erfindung nach dem Verfügungspatent 2. Denn für einen Fachmann ergibt sich auch bei einer solchen technisch-funktionalen Betrachtungsweise, dass es nach der Lehre des Verfügungspatentes 2 auf eine kontrolliert den Wirkstoff Oxycodon und seine Salze freisetzende Formulierung ankommt, um den in Merkmal 3 beschriebenen Fließgleichgewichtszustand, der nach einer genauer beschriebenen Zeitspanne nach der Einnahme der Formulierung eine bestimmtre Plasmakonzentration des Oxycodons vorsieht, zu erzielen. Eine solche Kontrolle über das Ausmaß der Freisetzung des Wirkstoffs aus den Sphäroiden – diese enthalten den Wirkstoff (vgl. Merkmal 1.1) – soll erfindungsgemäß die den Überzug der Sphäroide mit einer Filmbeschichtung erreicht werden, der das Oxycodonsalz in einer kontrollierten Rate freisetzt. Für einem Fachmann dürfte es zwar auf Grund seiner Fachkenntnisse und Erfahrung auch möglich sein, eine Formulierung zu entwickeln, die das in Merkmal 5 beschriebene Fließgleichgewicht auch ohne einen Filmüberzug, der die Freisetzung steuert. Das Verfügungspatent 2 sieht jedoch, wie auch das Verfügungspatent 1, nicht vor, dass das Fließgleichgewicht (bzw. die Freisetzungsgeschwindigkeit) auf irgendeine Art und Weise erreicht wird. Vielmehr soll dies über die Steuerung der Freisetzung des Wirkstoffs mittels eines Filmüberzugs (bzw. einer Beschichtung) erfolgen. Dies geschieht hingegen nicht, wie zwischen den Parteien unstreitig ist, durchgängig bei der angegriffenen Formulierung. Diese weist als „dritte“ Schicht eine Wirkstoffschicht und HPMC auf, ist jedoch nicht von einem Filmüberzug umgeben, der das Oxycodonsalz in einer kontrollierten Rate freisetzt.

II.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 108 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 6, 711, 108 ZPO.

Der Streitwert wird auf 15.000.000,- Euro festgesetzt, 7.500.000,- Eur je Verfügungspatent.