4a O 112/10 – Dreifach neigungsverstellbare Kopfstütze

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 1494

Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 14. September 2010, Az. 4a O 112/10

I. Die einstweilige Verfügung vom 27.05.2010 wird aufrecht erhalten.

II. Die weiteren Kosten des Verfahrens werden der Verfügungsbe-klagten auferlegt.

Tatbestand:

Die Parteien vertreiben und bewerben Kindersitze.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 06.10.2009 mahnte die Verfügungsklägerin die Verfügungsbeklagte unter anderem wegen Patentberühmung ab. Nachdem auch die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs in München (Wettbewerbszentrale) die Verfügungsbeklagte abgemahnt hatte, gab die Verfügungsbeklagte eine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab, in welcher sie sich unter anderem verpflichtete,

„es zu unterlassen, geschäftlich handelnd, Kindersitze mit wort- oder in-haltgleichen Formulierungen wie […]

‚weltweit patentierte, dreifach neigungsverstellbare Kopfstütze…‘ […]

zu bewerben, sofern ein Patent nicht tatsächlich erteilt ist.“

Hinsichtlich des genauen Inhaltes dieser Unterlassungserklärung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Anlagen AS 2 und AS 3 Bezug genommen.

Am 21.04.2010 stellte die Verfügungsklägerin fest, dass die Verfügungsbe-klagte in einer unter der Internetadresse www.A.com zu findenden Pressemit-teilung folgende Behauptung aufstellte:

„Wichtigstes Element im Sicherheitskonzept der B Solution Sitze ist die weltweit patentierte, dreifach neigungsverstellbare Kopfstütze“.

Eine entsprechende Aussage fand sich auch in einer weiteren Pressemittei-lung, die unter der Adresse www.A.com = abrufbar war.

Tatsächlich sind die neigungsverstellbaren Kopfstützen der Verfügungsbeklagten nicht weltweit patentiert.

Nachdem die Verfügungsklägerin am 21.04.2010 festgestellt hatte, dass die entsprechenden Aussagen unter den genannten Links abrufbar waren, forderte sie von der Verfügungsbeklagten mit anwaltlichem Schreiben vom 30.04.2010 erneut die Abgabe einer Unterlassungserklärung, welche die Verfügungsbeklagte jedoch mit anwaltlichem Schreiben vom 06.05.2010 verweigerte.

Nach Auffassung der Verfügungsklägerin ist die Aussage, die Kopfstütze sei weltweit patentiert, irreführend und damit wettbewerbswidrig. Auch wenn im Internet-Auftritt der Verfügungsbeklagten nunmehr dahingehend korrigierte Pressemitteilungen zu finden seien, dass nur noch von einer zum Patent angemeldeten, dreifach neigungsverstellbaren Kopfstütze gesprochen werde, seien die ursprünglichen Aussagen nicht nur durch die Direkteingabe der entsprechenden Links, sondern auch über Suchmaschinen wie „Google“ abrufbar. Darüber hinaus sei auch nicht auszuschließen, dass die Verfügungsbeklagte die entsprechenden Pressemitteilungen oder den zugehörigen Link an Kunden versende.

Die Verfügungsklägerin hat daher mit Schriftsatz vom 18.05.2010 den Erlass einer einstweiligen Verfügung beantragt, woraufhin die Kammer der Verfü-gungsbeklagten unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel wegen der besonderen Dringlichkeit im Beschlusswege untersagt hat,

im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs Kindersitze mit der Aussage zu bewerben und/oder bewerben zu lassen „Wichtigstes Element im Sicherheitskonzept der B Solution Sitze ist die weltweit patentierte, dreifach neigungsverstellbare Kopfstütze“, wie nachstehend wiedergegeben:
Gegen diese Beschlussverfügung hat die Verfügungsbeklagte mit Schriftsatz vom 06.08.2010 Widerspruch eingelegt.

Die Verfügungsbeklagte beantragt daher,

die einstweilige Verfügung vom 27.05.2010 (4a O XXX/10) aufzuheben und den auf ihren Erlass gerichteten Antrag zurückzuweisen.

Die Verfügungsklägerin beantragt,

die einstweilige Verfügung zu bestätigen.

Die Verfügungsbeklagte meint, es fehle sowohl an einem Verfügungsan-spruch, als auch an einem Verfügungsgrund. Es sei bereits keine ge-schäftliche Handlung im Sinne von §§ 2 Abs. 1 Nr. 1, 5 Abs. 1 S. 1 UWG erkennbar. Die streitgegenständliche Werbung könne von niemandem mehr wahrgenommen werden, denn für potentielle Kunden sei sie nach der Entfernung der Verlinkungen von der Internetseite der Verfügungsbeklagten praktisch nicht mehr auffindbar. Das Vorhandensein der Pressemitteilung auf dem Server der Verfügungsbeklagten beruhe auf einem unterneh-mensinternen Umstand, der mit der internen Überarbeitung der Internetseiten zu tun habe. Hieran bestehe insoweit auch ein legitimes Interesse, da die Verfügungsbeklagte ein Interesse daran habe, Inhalte und Formatierungen von alten Websites auf dem eigenen Server zur Verfügung zu haben. Damit habe die Angelegenheit zumindest auch keine wettbewerbliche Relevanz, da sie mangels Abrufbarkeit durch einen breiten (potentiellen) Kundenkreis nicht bei einem erheblichen Teil der umworbenen Verkehrskreise irrige Vorstellungen über das Angebot hervorrufen und dadurch die zu treffende Marktentschließung in wettbewerblich relevanter Weise beeinflussen könne. Außerdem handele die Verfügungsklägerin mit ihrem Verfügungsantrag auch rechtsmissbräuchlich, da sie offensichtlich gezielt nach noch so fernliegenden Wettbewerbsverstößen gesucht und die Verfügungsbeklagte schließlich ohne sachliche Notwendigkeit oder inhaltliche Rechtfertigung abgemahnt habe, um sie zu schädigen und in ihrer unternehmerischen Tätigkeit zu behindern. Schließlich fehle es auch an einem Verfügungsgrund. Da die Angelegenheit keinerlei Auswirkungen auf den Wettbewerb habe, könne ihre Beseitigung auch nicht eilbedürftig sein.

Die Verfügungsklägerin tritt diesem Vorbringen entgegen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Par-teien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung hat in der Sache Erfolg. Die Verfügungsklägerin hat das Bestehen eines Verfügungs-anspruchs glaubhaft gemacht. Das Vorliegen eines Verfügungsgrundes wird in Wettbewerbssachen gemäß § 12 Abs. 2 UWG vermutet.

I.
Der Verfügungsklägerin steht gegen die Verfügungsbeklagte unter dem Ge-sichtspunkt der Patentberühmung ein wettbewerbsrechtlicher Unterlas-sungsanspruch aus §§ 3, 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UWG zu.

1.
Die unstreitig über die im Tatbestand im Einzelnen aufgeführten Links sowie über die Suchmaschine „Google“ abrufbaren Pressemitteilungen enthalten die Aussage, die Sitze der Verfügungsbeklagten würden eine weltweit patentierte, dreifach neigungsverstellbare Kopfstütze aufweisen. Da diese Sitze derzeit – was die Verfügungsbeklagte nicht in Abrede gestellt hat – tatsächlich nicht (weltweit) patentiert sind, sind diese Aussagen falsch und damit irreführend.

2.
Entgegen der Auffassung der Verfügungsbeklagten stellen die Pressemit-teilungen auch geschäftliche Handlungen im Sinne von § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UWG dar, wobei die Irrführung auch die notwendige geschäftliche Relevanz aufweist.

a)
Nach seinem Schutzzweck soll das Irreführungsverbot nach §§ 3, 5 UWG nur eingreifen, wenn eine Angabe über Eigenschaften der angebotenen Waren oder Leistungen geeignet ist, bei einem erheblichen Teil der umworbenen Ver-kehrskreise irrige Vorstellungen über das Angebot hervorzurufen und die zu treffende Marktentschließung in wettbewerblich relevanter Weise zu beeinflus-sen (vgl. Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, 27. Auflage, § 5 Rz. 2.169).

b)
Dies ist bei den streitgegenständlichen Pressemitteilungen der Fall. In diesen Pressemitteilungen weist die Verfügungsbeklagte darauf hin, dass die B Solution Sitze mit einer weltweit patentierten, dreifach neigungsverstellbaren Kopfstütze ausgestattet seien. Da ein derartiger Patentschutz tatsächlich jedoch nicht besteht, führen sie die angesprochenen Verkehrskreise über ein Merkmal von zentraler Bedeutung irre. Dies gilt umso mehr, als es sich bei Kindersitzen um ein sicherheitsrelevantes Produkt handelt, so dass für den Endverbraucher ein besonderes Informationsinteresse besteht, mit welchen Einzelkomponenten diese Sitze tatsächlich ausgestattet sind. Dabei waren die Pressemitteilungen unstreitig nicht nur über die genannten Links, sondern auch über das Suchportal „Google“ auffindbar. Dass die Verfügungsbeklagte demgegenüber den Link zu diesen Pressemitteilungen entfernt hat, rechtfertigt keine andere Bewertung.

Insoweit gilt es zunächst zu berücksichtigen, dass die Verfügungsbeklagte be-reits eine strafbewehrte Unterlassungserklärung gegenüber der Wettbewerbs-zentrale abgegeben, jedoch gleichwohl nicht alles Erforderliche getan hat, um die Abrufbarkeit der Seite im Internet zu verhindern. Zwar hat die Unterlas-sungserklärung selbst, worauf der Verfahrensbevollmächtigte der Verfügungs-beklagten in der mündlichen Verhandlung zurecht hingewiesen hat, keinen unmittelbaren Einfluss auf die Spürbarkeit. Allerdings war die hier streitgegen-ständliche Seite vor Abgabe der Unterlassungserklärung unstreitig auf der Seite der Verfügungsbeklagten ohne Weiteres abrufbar, so dass die Adres-saten diese auch ohne eine gezielte Suche über „Google“ abrufen konnten. Auf dieser Grundlage mahnte die Wettbewerbszentrale die Verfügungsbeklagte ab, die daraufhin die strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben hat. Damit trafen die Verfügungsbeklagte auf dieser Grundlage jedoch erhöhte Sorgfaltspflichten, da die Adressaten der Pressemitteilung diese bereits einmal zur Kenntnis nehmen und entsprechend gezielter danach suchen konnten. Grundsätzlich hat der Schuldner, der sich verpflichtet hat, es zu unterlassen, eine bestimmte Internetseite im Internet abrufbar bereitzuhalten, einem zuverlässigen Techniker die Verpflichtungserklärung vorzulegen und ihm zu erklären, dass jede einzelne Seite, unter welcher Domain auch immer, sofort und in Gänze aus dem Internet verschwinden muss, und ihn bei Androhung von Regress und Vertragsstrafe dazu anzuhalten, dass er dies auch bewirkt. Danach muss der Schuldner sich sofort höchstpersönlich durch unmittelbare Eingabe sämtli-cher Domains davon überzeugen, dass die Seiten tatsächlich aus dem Internet verschwunden sind. Dagegen reicht es nicht aus, die Startseite zu ändern und die dort vorhandenen Links auf die beanstandeten Texte zu besei-tigen. Denn solange die Internetseiten nicht restlos entfernt sind, bleiben sie bei Eingabe entsprechender Begriffe in Suchmaschinen – was die Verfügungsklägerin in ihrer Replik gezeigt hat – ohne Weiteres erreichbar (so auch LG Berlin, Beschluss vom 10.12.2001, Az. 16 O 69/01; LG Hamburg, Beschluss v. 28.03.2003, Az. 315 O 569/02; Hanseatisches Oberlandesgericht, Beschluss v. 08.02.2010, Az. 5 W 5/10). Dem ist die Verfügungsbeklagte jedoch nicht nachgekommen. Vielmehr räumt die Verfügungsbeklagte selbst ein, die Seiten seien auf ihrem Server weiter „aus internen Gründen“ verfügbar gewesen, wobei sie sich dazu unzutreffender Weise für berechtigt erachtet hat.

Von der durch die Verfügungsbeklagte zitierten Entscheidung des Ober-landesgerichts Düsseldorf vom 03.07.2010 (Anlage AG 1) unterscheidet sich der vorliegende Fall demgegenüber dadurch, dass die Verfügungsbeklagte vorliegend nicht lediglich gegen die Impressumspflicht verstoßen hat. Vielmehr bewirbt die Verfügungsbeklagte ihre Sitze damit, diese würden über eine weltweit patentierte Kopfstütze verfügen. Der Verbraucher, welcher diese Information zur Kenntnis nimmt, geht somit davon aus, dass die Kopfstützen besonders innovativ gegenüber den bisher bekannten Sitzen seien, so dass sich die Verfügungsbeklagte mit ihrer Werbung gegenüber den Mitbewerbern einen erheblichen Wettbewerbsvorteil verschafft, indem sie die Verbraucher über den vermeintlich bestehenden weltweiten Patentschutz in die Irre führt.

Im Übrigen ist auch die durch die Verfügungsbeklagte zitierte Entscheidung des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 10.03.2005 (vgl. GRUR-RR 2005, 23 – TV-Supplement) mit dem hier zu entscheidenden Sachverhalt nicht ver-gleichbar. Während es dort um die Frage ging, ob irreführende Angaben in einem an Endverbraucher gerichteten Werbeprospekt relevant für die Täuschung von Werbekunden sind, die für Werbung in diesem Prospekt gewonnen werden sollen, richtet sich die im Internet abrufbare Pressemitteilung der Verfügungsbeklagten zumindest auch direkt an End-verbraucher.

3.
Soweit sich die Verfügungsbeklagte darauf beruft, das Vorgehen der Verfügungsklägerin sei rechtsmissbräuchlich (§ 8 UWG), sind konkrete An-haltspunkte dafür weder vorgetragen, noch ersichtlich. In der durch die Verfü-gungsbeklagte diesbezüglich zitierten Entscheidung hat das Hanseatische Oberlandesgericht entschieden (Urteil vom 30.05.2007, 5 U 184/06), dass es rechtsmissbräuchlich sein kann, wenn der betroffene Wettbewerber die geltend gemachten Wettbewerbsverstöße nicht selbst festgestellt und sodann seinen Rechtsanwälten mitgeteilt hat, sondern die Verstöße erst von den Prozessbevollmächtigten im Internet recherchiert und sodann einem Konzernunternehmen als (vermeintlich) verletztem Wettbewerber zugeordnet worden sind. Mit dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt ist der vorliegende Fall bereits deshalb nicht vergleichbar, weil die Verfügungsbeklagte unter anderem auf eine Abmahnung durch die Verfügungsklägerin hin eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben hat. Damit muss es der Verfügungsklägerin dann aber auch – ggf. unter Zuhilfenahme ihrer Rechtsanwälte – möglich sein, die Einhaltung dieser strafbewehrten Unterlassungserklärung zu überwachen.

II.
Das Vorliegen eines Verfügungsgrundes wird in Wettbewerbssachen vermutet, § 12 Abs. 2 UWG. Da – wie bereits ausgeführt – die durch die Verfügungsbeklagte weiterhin abrufbar gehaltenen Pressemitteilungen auch eine geschäftlich relevante Irreführung darstellen, vermag der Vortrag der Verfügungsbeklagten, mangels Spürbarkeit der Beeinträchtigung fehle es auch an der für den Erlass der einstweiligen Verfügung erforderlichen Dringlichkeit, nicht zu überzeugen. Soweit das Hanseatische Oberlandesgericht mit Urteil vom 23.11.2006, Az. 5 W 168/06, demgegenüber in dem dort zu entscheidenden Fall die wettbewerbsrechtliche Relevanz verneint hat, ist dies auf den hier zu entscheidenden Fall bereits deshalb nicht übertragbar, weil die dortige Entscheidung das Urheberrecht betrifft, welches eine Dringlichkeitsvermutung im Sinne von § 12 Abs. 2 UWG nicht kennt. Gerade mit dem Fehlen einer derartigen Dringlichkeitsvermutung im Urheberrecht hat das Oberlandesgericht Hamburg seine Entscheidung jedoch begründet.

III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 (1. Halbsatz) ZPO.

Eines gesonderten Ausspruchs der vorläufigen Vollstreckbarkeit bedurfte es aufgrund des Eilcharakters der einstweiligen Verfügung nicht.

Der Streitwert wird unter Berücksichtigung des diesbezüglichen Vorbringens beider Parteien in der mündlichen Verhandlung auf 10.000,- EUR festgesetzt.