2 U 71/06 – Schubgepäckwagen

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 822

Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil vom 20. Dezember 2007, Az. 2 U 71/06

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 30. Mai 2006 verkündete Urteil der 4b. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf abgeändert und wie folgt neu gefasst:
I.
Die Beklagte wird verurteilt,

1.
es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Wiederholungsfalle bis zu insgesamt
2 Jahren, zu unterlassen,

Schubgepäckwagen-Managementsysteme für Flughäfen oder dergleichen

zu bewerben, anzubieten, herzustellen und/oder zu vertreiben,

bei denen jeder Schubgepäckwagen mit einer passiven, als kodierbare Kompakteinheit ausgebildeten Empfänger-/Sendereinheit in Gestalt eines Transponders ausgestattet ist, dessen Senderteil zur Abgabe lediglich eines einzigen Erkennungs-Signals, nämlich eine Kennung, ausgestattet ist, und wobei eine Mehrzahl von verschiedenen Bereichen eines Flughafens oder dergleichen zuzuordnenden Sammelstationen für die Entnahme und Rückgabe von Gepäcktransportwagen jeweils mit einem Sender/Empfänger zur Kommunikation mit den Transpondern der Schubgepäckwagen ausgestattet ist, und wobei jeder dieser Sender/Empfänger über ein LAN-Netzwerk mit einem zentralen Datenverarbeitungsgerät verbunden ist;

2.
der Klägerin Auskunft darüber zu erteilen, in welchem Umfang sie die zur I.1. bezeichneten Handlung seit dem 9. September 1995 begangen hat, und zwar unter Angabe der Namen und Anschriften der gewerblichen Empfänger von Angeboten, Systemen oder Systemteilen, der Angebots- bzw. Lieferzeitpunkte, der Art und des Umfanges der angebotenen, hergestellten und/oder ausgelieferten Systeme, der Gestehungskosten, der erzielten Umsätze und des erzielten Gewinns unter Vorlage von Belegen;

II.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu I.1. bezeichneten, seit dem
9. September 1995 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 100.000,00 € abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 100.000 € festgesetzt.

G r ü n d e :
I.
Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des europäischen Patents 0 597 xxx, das u.a. mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilt worden ist. Es nimmt eine Priorität vom 9. November 1992 in Anspruch. Die Erteilung des Klagepatents ist am
9. August 1995 bekannt gemacht worden.

Das Klagepatent betrifft eine Verwaltungseinrichtung für Schubgepäckwagen. Der im vorliegenden Rechtsstreit interessierende Patentanspruch 1 hat folgenden Wortlaut:

„Verwaltungseinrichtung für Schubgepäckwagen, insbesondere in weitläufigen und unübersichtlichen, aber mit einem Telefonnetz ausgestatteten Anlagen, wie Flughäfen, Bahnhöfen und dergl., in welchen für die Passagiere ankommender Massenverkehrsmittel jeweils am Ankunftsort und zur Ankunftszeit des Massenverkehrsmittels eine ausreichende Anzahl von Schubgepäckwagen zum Transport ihres Gepäckes zum Individualverkehrsmittel bereitgestellt werden muss,

dadurch gekennzeichnet,

dass jeder Schubgepäckwagen mit einer passiven, als kodierbare Kompakteinheit, z.B. auf einer Platine angeordneten, insbesondere als sog. Chip ausgebildeten Empfänger-Sendereinheit, deren Senderteil zur Abgabe lediglich eines einzigen Erkennungs-Signals ausgestattet ist und dass die Gesamtfläche der Anlage in einzelne Bereiche unterteilt ist, deren jede mit einem stationären, an eine Fernsprecheinrichtung bzw. deren Leitungsnetz angeschlossenen Sender/Empfänger ausgestattet ist, wobei die Sender-/Empfänger der einzelnen Bereiche vermittels des Fernsprechleitungsnetzes an eine zentrale Datenerfassungs- und Verarbeitungsanlage angeschlossen sind.“

Die Beklagte bietet unter der Bezeichnung „XY-System“ ein Gepäckwagensystem an. Hierzu hat sie auf einer Messe die aus den Anlagen K 5 und K 8 ersichtlichen Prospektblätter verteilt und eine Pressemitteilung nach Anlage K 7 herausgegeben. Die Beklagte bewirbt das Gepäckwagensystem im Internet gemäß Anlage 8 sowie mit dem als Anlage K 9 vorgelegten Katalog, dem die nachfolgenden Abbildungen entnommen sind.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, das Gepäckwagensystem der Beklagten mache wortsinngemäß von der technischen Lehre des Klagepatents Gebrauch. Hilfsweise hat sie vorgetragen, es liege eine äquivalente Patentbenutzung vor.

Die Klägerin hat die Beklagte auf Unterlassung, Rechnungslegung und Schadensersatz in Anspruch genommen.

Die Beklagten hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, dass der streitbefangene Schubgepäckwagen zwar mit einem Transponder, d.h. einer Empfänger-/Sendereinheit ausgestattet sei. Der Transponder übermittle jedoch außer einem Identifizierungssignal weitere Signale, beispielsweise über Wagentyp, Baujahr, Wartungstermine und dergleichen. Damit liege das Merkmal, dass ein Senderteil lediglich mit einem einzigen Erkennungs-Signals ausgestattet sein müsse, nicht vor. Durch ihr System würden diejenigen Gepäckwagen erfasst, die auf entsprechenden Sammelstationen zurückgestellt worden seien. Unerfasst blieben solche, die nicht auf Sammelstationen zurückgelassen würden. Die einzelnen Sammelstationen seien über ein LAN-Netz verbunden, welches mit der Anlage zusammen von ihr, der Beklagten, installiert werde.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat dazu ausgeführt, die streitgegenständliche Vorrichtung mache weder von Merkmal 4, wonach der Sendeteil des Schubgepäckwagens zur Abgabe lediglich eines einzigen Erkennungs-Signals ausgestattet sein soll, Gebrauch, da mehrere Signale durch die angegriffene Ausführungsform gesendet würden, noch liege das Merkmal 7 des Klagepatents vor, welches besage, dass die Sender/Empfänger der einzelnen Bereiche an eine zentrale Datenerfassungs- und Verarbeitungsanlage „vermittels des Fernsprechleitungsnetzes“ ausgeschlossen sein sollten. Nach dem Vortrag der Beklagten werde ihr System jedoch über ein werkseitig zu installierendes LAN-System verbunden. Diesbezüglich liege auch keine äquivalente Verwirklichung vor.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin.

Sie macht geltend, das Landgericht habe eine unzutreffende Auslegung des Klagepatents vorgenommen. Bzgl. Merkmal 4 sehe des Klagepatent vor, dass lediglich ein einziges Erkennungs-Signal vorhanden sein müsse; das schließe nicht aus, dass durch die Sender-/Empfängereinheit weitere Informationen gesendet wurden. Zu Merkmal 7 verkenne das Landgericht, dass sich der Wortlaut „des Fernsprechleitungsnetzes“ nur auf das in Merkmal 6 erwähnte Fernsprechleitungsnetz beziehe, nicht aber auf das im „insbesondere“ Teil des Oberbegriffs erwähnte Telefonnetz. Auch nach dem Klagepatent sei es zwingend, dass die an den Sammelstellen befindlichen einzelnen Sender-/Empfängerstationen von dort aus an das Kommunikationsnetz angeschlossen würden.

Die Klägerin beantragt,

wie erkannt, jedoch mit der Maßgabe, dass sich die Verpflichtung zur Auskunft und Rechnungslegung sowie zum Schadensersatz auf die Zeit ab dem 9. August 1995 bezieht.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt vor: Die angegriffene Ausführungsform mache von den Merkmalen 4, 5, 6 und 7 des Klagepatents keinen Gebrauch. Das Landgericht habe Merkmal 4 zutreffend ausgelegt. Aber auch Merkmal 5 sei nicht verwirklicht. Die Vorrichtung der Beklagten könne die Transportwagen nur im Bereich der Sammelstellen orten, nicht aber flächendeckend. Das wurde aber von Merkmal 5 gefordert. Auch von Merkmalen 6 und 7 werde kein Gebrauch gemacht. Die Verwaltungseinrichtung der Beklagten besitze keine Fernsprech-Einrichtung bzw. kein solches Leitungsnetz. Die Beklagte bediene sich eines LAN-Netzwerkes, welches von ihr geliefert und installiert werde. Dieses LAN-Netzwerk sei keine Fernsprecheinrichtung.

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und der überreichten Unterlagen verwiesen.

II.

Die Berufung ist begründet. Die angegriffenen Vorrichtungen machen von der technischen Lehre des Klagepatentes wortsinngemäß Gebrauch. Dies ist bezüglich der Merkmale 1 bis 3 unstreitig. Aber auch Merkmale 4 bis 7 sind verwirklicht.

1.
Die Erfindung bezieht sich auf eine Verwaltungseinrichtung für Schubgepäckwagen, insbesondere in weitläufigen und unübersichtlichen, aber mit einem Telefonnetz ausgestatteten Anlagen, wie Flughäfen, Bahnhöfen und dergleichen, in denen für die Passagiere jeweils am Ankunftsort und zur Ankunftszeit des Massenverkehrsmittels eine ausreichende Anzahl von Schubgepäckwagen zum Transport ihres Gepäcks bereit gestellt werden muss.

Herkömmlicherweise wird das Problem der Bereitstellung von Schubgepäckwagen in ausreichender Anzahl dadurch gelöst, dass Bedienstete in die einzelnen Bereiche der jeweiligen Anlage, Bahnhof oder Flughafen gesandt werden mit dem Auftrag, dort abgestellte Schubgepäckwagen einzusammeln und zu vorgegebenen Sammelstellen zu bringen. Da Zeit und Ort der Ankunft sowie Anzahl der mit dem Massenverkehrsmittel ankommenden Passagiere bekannt sind, kann zwar die Anzahl der erforderlichen Schubgepäckwagen einigermaßen genau vorherbestimmt werden, unbekannt ist aber der momentane Standort der vorhandenen Schubgepäckwagen. Darüber hinaus ist nicht bekannt, wie viele Schubwagen sich an den einzelnen Sammelstellen tatsächlich befinden. Auch werden nicht alle Schubwagen an den Sammelstellen wieder abgegeben. Soweit die Schubwagen – wie in der Regel – nur gegen einen Pfandbetrag herausgegeben werden, besteht die Gefahr eines Missbrauchs, weil dem Pfandautomat mit Hilfe von Manipulationen eine Rückführung von Schubgepäckwagen simuliert werden kann, so dass eine unberechtigte Pfandgeldrückgabe ausgelöst wird.

Ausgehend von dieser Sachlage bezeichnet es das Klagepatent als die Aufgabe der Erfindung – so stellt es das Landgericht in seinem Urteil zu Recht fest – , für die Summe der in einer weitläufigen Anlage (wie einem Flughafen oder Bahnhof) mit einer Vielzahl von Sammel- oder Bereitstellungsstellen insgesamt vorhandenen Schubgepäckwagen eine Verwaltungseinrichtung zu schaffen, die es erlaubt, eine ausreichende Anzahl von Schubgepäckwagen orts- und zeitgerecht bereitzustellen und dabei kriminelle Manipulationen vom Pfandgeld-Automaten weitgehend auszuschließen (Klagepatent, Sp. 4 Zeilen 31 bis 38).

Zur Lösung dieser Aufgabenstellung sieht Patentanspruch 1 des Klagepatents die Kombination folgender Merkmale vor (Anlage H 6):

(1)
Verwaltungseinrichtung für Schubgepäckwagen, insbesondere in weitläufigen und unübersichtlichen Anlagen wie Flughäfen, Bahnhöfen und dergleichen, welche Anlagen mit einem Telefonnetz ausgestattet sind.

(2)
In der Anlage muss für die Passagiere ankommender Massenverkehrsmittel jeweils am Ankunftsort und zur Ankunftszeit des Massenverkehrsmittels eine ausreichende Anzahl von Schubgepäckwagen zum Transport ihres Gepäcks zum Individualverkehrsmittel bereitgestellt werden.

(3)
Jeder Schubgepäckwagen ist mit einer passiven, als codierbare Kompakteinheit, z.B. auf einer Platine angeordneten, insbesondere als sogenannter Chip, ausgebildeten Empfänger-/Sendereinheit ausgestattet.

(4)
Der Sendeteil ist zur Abgabe lediglich eines einzigen Erkennungssignals ausgestattet.

(5)
Die Gesamtfläche der Anlage ist in einzelne Bereiche unterteilt.

(6)
Jeder Bereich ist mit einem stationären, an eine Fernsprecheinrichtung bzw. deren Leitungsnetz angeschlossenen Sender-/Empfänger ausgestattet.

(7)
Die Sender/Empfänger der einzelnen Bereiche sind vermittels des Fernsprechleitungsnetzes an eine zentrale Datenerfassungs- und Verarbeitungsanlage angeschlossen.

Das Klagepatent führt hierzu aus (Anlage K 1, Spalte 5, Zeilen 9 ff.), dass durch die Verwendung innerhalb der Anlage ohnehin vorhandener Leitungsnetze, insbesondere des Telefonnetzes, die erfindungsgemäße Verwaltungseinrichtung mit einem geringstmöglichen technischen und wirtschaftlichen Aufwand in praktisch jeder bestehenden Anlage installiert werden könne. Dabei erscheine es zweckmäßig, zwischen die Sender-/Empfängereinheit der einzelnen Bereiche der Anlage und das den Weitertransport der Signale zur Datenerfassungs- und Verarbeitungsanlage vermittelnde Leitungsnetz jeweils eine V-24-Schnittstelle einzuschalten. Der zentrale Teil der Verwaltungseinrichtung bestehe zweckmäßigerweise aus einer elektronischen Datenerfassungsanlage, in der die Antwortsignale sämtlicher Schubgepäckwagen erfasst und einem Rechner zugeleitet würden. Diese setze die Antwortsignale aller ein- und ausfahrenden Gepäckwagen jedes einzelnen Bereiches der Gesamtanlage miteinander in Beziehung und generiere daraus eine Anzeige für die Anzahl der momentan in jedem einzelnen der Bereiche bzw. in den einzelnen Sammelstellen befindlichen Schubgepäckwagen. Die Beschränkung auf die Abstrahlung eines einzigen Antwortsignals durch die Empfänger-/Sendereinheit der Schubgepäckwagen ermögliche die Verwendung dieses Signals zur Aktivierung der Pfandgeldrückgabe der in den Sammelstellen aufgestellten Automaten. Zumindest in Verbindung mit einer geschützten Unterbringung der Chips im Rahmen des Schubgepäckwagens sei eine kriminelle Manipulation zur Veranlassung zu einer Pfandgeldrückgabe weitgehend ausgeschlossen.

2.
Wie bereits den Zweckangaben der Merkmale 1 und 2 zu entnehmen ist, soll die Verwaltungseinheit die orts- und zeitgerechte Bereitstellung einer ausreichenden Anzahl von Schubgepäckwagen entsprechend den Bedürfnissen der Passagiere von Massenverkehrsmitteln, welche weitläufige und unübersichtliche Stationsflächen wie Flughäfen und Bahnhöfe aufweisen, gewährleisten.

Um dieser Anforderung gerecht zu werden, sieht die technische Lehre des Anspruchs 1 die Aufteilung der weitläufigen Verkehrsanlagen in einzelne Bereiche vor, wie dies von Merkmal 5 vorgegeben wird. Die Anzahl der Bereiche steht im Belieben des Durchschnittsfachmanns und wird vor allem von der Größe und den jeweiligen besonderen Gegebenheiten der Verkehrsanlage abhängen. Anspruch 1 definiert nicht, was unter einem patentgemäßen „Bereich“ zu verstehen ist. Er gibt dem Durchschnittsfachmann nur die Anweisung, jeden einzelnen Bereich nach Maßgabe des Merkmals 6 mit einem stationären, an eine Fernsprech-Einrichtung bzw. deren Leitungsnetz angeschlossenen Sender/Empfänger auszustatten. Auch wenn Anspruch 1 dies nicht ausdrücklich sagt, besteht die Funktion des „Bereichs“ darin, die jeweils dort anwesenden Schubgepäckwagen zu erfassen und entsprechende Daten an die zentrale Datenerfassungs- und Verarbeitungsanlage weiterzuleiten, wie dies in Merkmal 7 zum Ausdruck kommt. Wie nun der jeweilige Bereich konstruktiv eingerichtet ist, überlässt Anspruch 1 dem Belieben des Durchschnittsfachmanns. Eine bevorzugte Möglichkeit wird in Spalte 7, Zeile 44 bis 52 beschrieben. Danach können an den Ein- und Ausgängen der einzelnen Bereiche der Gesamtanlage jeweils Sender- und Empfangsantennen angeordnet sein, welche entweder als Schleifen im Boden verlegt oder aber in sonstiger, das Befahren der Gesamtanlage nicht behindernden Weise an den sonstigen Bestandteilen der bestehenden Gesamtanlage angebracht sind. Dies würde ggfls. auch das Erfassen von Schubgepäckwagen erlauben, die nicht zu einem mit einem Pfandmünzautomaten ausgestatteten Depot zurückgebracht werden. Diese Möglichkeit wird von dem Klagepatent aber nicht als zwingend vorausgesetzt. Das Klagepatent geht vielmehr, wie der Durchschnittsfachmann schon den Bemerkungen in Spalte 3, Zeile 57 bis Spalte 4, Zeile 28 entnimmt, vom Regel- bzw. Normalfall aus, wonach der patentgemäße „Bereich“ gemäß Merkmal 5 ein mit einem Pfandmünzwerk ausgestattetes Depot ist. Dies wird in Unteranspruch 6 auch ausdrücklich klargestellt.

Merkmale 6 und 7 besagen, dass die Sender/Empfänger der so definierten Bereiche mittels des – in der Anlage vorhandenen – Fernsprechleitungsnetzes an eine zentrale Datenerfassungs- und Verarbeitungsanlage angeschlossen sind. Da Anspruch 1 des Klagepatents kein Verfahren, sondern eine Vorrichtung zum Gegenstand hat, kommt es patentrechtlich nicht darauf an, wann das Fernsprechleitungsnetz in die Anlage eingefügt worden ist, ob es bereits besteht, wenn das System aus Schubgepäckwagen, Bereichen und zentraler Datenerfassungs- und Verarbeitungsanlage eingerichtet wird,
oder ob alle Komponenten zusammen mit dem Fernsprechleitungsnetz eingerichtet werden. Es ist auch kein zwingendes Vorrichtungsmerkmal, dass die patentgemäße Verwaltungseinheit unbedingt ein vorgefundenes Leitungsnetz nutzen muss, das möglicherweise veraltet oder so ausgelegt ist, dass es nicht alle Regionen der Verkehrsanlage erreicht, in denen zweckmäßigerweise patentgemäße Bereiche eingerichtet werden sollen. Selbstverständlich schließt Patentanspruch 1 es nicht aus, dass im Zuge der Erstellung einer Verwaltungseinheit für Schubgepäckwagen ein vorgefundenes Leitungsnetz ergänzt, erneuert oder sogar gänzlich neu eingerichtet wird und dann parallel zum vorgefundenen, alten Fernsprechleitungsnetz besteht. Der Anspruchswortlaut schließt auch ein neu eingerichtetes Fernsprechleitungsnetz nicht aus. Dieser Auslegung steht die Beschreibungsstelle in Spalte 5, Zeilen 9 ff. nicht entgegen. Ersichtlich geht die Patentschrift davon aus, dass in den hier interessierenden Verkehrsanlagen regelmäßig übliche Fernsprecheinrichtungen bzw. deren Leitungsnetze vorgefunden werden. Sind diese vorhanden, so können sie, ggfls. nach entsprechenden Anpassungsmaßnahmen (vgl. Spalte 5, Zeile 15 bis 20), für die Übermittlung der hier interessierenden Daten verwendet werden, insbesondere wenn eine ISDN-Anlage vorhanden ist, wie sie im Ausführungsbeispiel (Spalte 7, Zeilen 36 und 56) erwähnt wird. Keinesfalls kann dieser Beschreibungsstelle und erst recht nicht dem maßgeblichen Anspruchswortlaut entnommen werden, dass ausschließlich ein bereits vorhandenes altes Leitungsnetz – unabhängig von dessen Auslegung und Leistungsfähigkeit – benutzt werden muss. Die Vorteilsangabe betrifft allein die Möglichkeit, ein vorhandenes Leitungsnetz bei entsprechender Eignung zu verwenden. Der Begriff „Fernsprech-Einrichtung“ hat, wie dem Durchschnittsfachmann ohne weiteres klar ist, nichts mit der Übertragung von Sprachinformation zwischen zwei Fernsprechteilnehmern zu tun. Das Klagepatent verwendet den Begriff als Hinweis auf den Umstand, dass Fernsprecheinrichtungen „bzw. deren Leitungsnetze“ allgemein zur Übertragung von Daten geeignet sind, wie dies insbesondere bei ISDN-Anlagen der Fall ist. Das „Telefonnetz“ ist daher, wie dies auch in Spalte 5, Zeilen 10, 11 klargestellt wird, nur ein Sonderfall eines zur Datenübertragung geeigneten Leitungsnetzes. Dieses kann daher auch in einem LAN-Netz bestehen, das der Übertragung von digitalen Informationen zwischen untereinander verbundenen unabhängigen Geräten auf einem begrenzten Gebiet, vorliegend beispielsweise Flughäfen oder Bahnhöfen, dient (vgl.Brockhaus, Naturwissenschaft und Technik, Bd. 2, 2003, Stichwort „Lokales Netz“).

Nach Merkmal 4 ist der Senderteil der Empfänger-/Sendereinheit der Schubgepäckwagen zur Abgabe lediglich eines einzigen Erkennungssignals ausgestattet. Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass dieser Forderung nicht schon dadurch genügt ist, dass der Senderteil ein Signal aussendet, welches die Feststellung erlaubt, wo sich zu einem bestimmten Zeitpunkt ein Schubgepäckwagen befindet. Es geht also nicht um eine bloße Zählvorrichtung, die die Feststellung ermöglicht, wie viele Schubgepäckwagen sich zu einem bestimmten Zeitpunkt in einem bestimmten Bereich, also z.B. in einem Depot befinden, welches mit einem Pfandmünzwerk ausgestattet ist. Ginge es nur darum, hätte, wie das Landgericht zu Recht ausgeführt hat, die Formulierung ausgereicht, der Senderteil sei zur Abgabe eines Erkennungssignals ausgestattet. Nicht gefolgt werden kann jedoch der Auffassung des Landgerichts, Merkmal 4 beinhalte eine zahlenmäßige Beschränkung der von der Empfänger-/Sendereinheit ausgesandten Signale. Eine solche Auslegung macht keinen technischen Sinn und entspricht auch nicht dem Verständnis des Durchschnittsfachmanns. Anspruch 1 spricht nicht von der Abgabe lediglich eines einzigen Signals, sondern von der Abgabe eines einzigen Erkennungssignals. Schon mit dieser Wortwahl wird der Durchschnittsfachmann die Vorstellung verbinden, dass es nicht um die zahlenmäßige Beschränkung der Informationsübertragung auf ein „einziges Signal“ (wie viele Bits dürfen das sein?) geht, sondern dass es um die Ausgestaltung des Signals in der Weise geht, dass einem bestimmten Schubgepäckwagen lediglich ein einziges Erkennungssignal zugeordnet ist, das ihn von den anderen Schubgepäckwagen unterscheidet. Bestätigung für diese Überlegung erhält der Durchschnittsfachmann durch die Beschreibung in Spalte 5, Zeilen 26 bis 43 und Spalte 7. Zeilen 10 bis 13. Danach ist der Sender der Empfänger-/Sendeeinheit jedes Schubgepäckwagens so kodiert, dass er lediglich ein einziges, die Identität des Wagens bestimmendes Antwortsignal ausstrahlt, wenn der Schubgepäckwagen in einen Bereich gemäß Merkmalen 5 und 6 gelangt. Dieser nimmt die Antwort mit seinem Empfänger auf und leitet sie an die zentrale Datenerfassungs- und Verarbeitungsanlage weiter. Die Beschränkung der Abstrahlung eines jeweils lediglich für diesen einen Schubgepäckwagen charakteristischen Erkennungsfunksignals ermöglicht dann auch die in Spalte 5, Zeilen 31ff. angesprochene Unterdrückung einer Manipulation bei der Pfandrückgabe. Diese vom Patentanspruch 1 und insbesondere von Merkmal 4 geforderte Beschränkung der Abgabe des Erkennungs-Signals bzw. des Antwortsignals auf die Anfrage nach der Identität des in einen bestimmten Bereich verbrachten Schubgepäckwagens schließt nicht aus, dass von dessen Empfänger-/Sendereinheit noch andere Daten abgefragt werden können. So können, wie in Spalte 6, Zeilen 20 bis 35 ausdrücklich herausgestellt wird, die Antwortsignale der einzelnen Schubgepäckwagen bereits in der Sender-/Empfängereinheit, falls diese entsprechend ausgestattet ist, mit einem Zeitsignal ergänzt werden. Im übrigen kann, so heißt es in Spalte 6 Zeilen 13 ff., der zentrale Teil der Verwaltungseinrichtung beliebig erweitert werden und zur Erfassung weiterer, für die Verwaltung oder aber z.B. auch die Abberufung der Schubgepäckwagen zu in regelmäßigen Abständen erforderlichen Wartungsarbeiten oder dergl. erforderlichen Informationen ausgestattet sein. Es ist nicht ersichtlich, dass die dazu benötigten Daten nicht von den Empfänger-/Sendereinheiten der Schubgepäckwagen übermittelt werden dürfen.

3.
Auf der Grundlage der zu 2. vorgenommenen Auslegung des Patentanspruchs 1 ergibt sich, dass die angegriffene Ausführungsform, nämlich das „XY-System“ der Beklagten, von sämtlichen Merkmalen des Anspruchs 1 wortsinngemäß Gebrauch macht. Auch das von den in diesem System vorgesehenen Empfänger-/Sendereinheiten ausgesendete Signal ist als ein einziges Identifizierungssignal im Sinne des Merkmals 4 des Klagepatents zu bewerten, da es eine „Individualisierung“ genau eines einzigen Schubgepäckwagens erlaubt. Des Weiteren stellen sich die von dem System vorgesehenen Sammelstationen als ein „Bereich“ im Sinne des Klagepatents dar. Die von der Beklagten behauptete routinemäßige Installation eines LAN-Netzes zur Datenübertragung an die Datenerfassungs- und Verwaltungseinheit stellt sich als ein Anschluss der Sender-/Empfänger an eine Fernsprecheinrichtung bzw. deren Leitungsnetz im Sinne von Merkmal 7 dar. Der Einwand der Beklagten, die angegriffene Ausführungsform entspreche dem Stand der Technik wie er in der US-PS 4,288,689 (Anlage H 2) seinen Niederschlag gefunden habe, ist vor dem Hintergrund der wortsinngemäßen Verwirklichung der Lehre des Klagepatents unerheblich.

4.
Da die Beklagte widerrechtlich von dem Klagepatent Gebrauch macht, ist sie der Klägerin gemäß § 139 Abs. 1 PatG zur Unterlassung verpflichtet.

Bei der Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte die Beklagte die Patentverletzung erkennen und vermeiden können. Sie trifft deshalb zumindest ein fahrlässiges Verschulden. Die von der Klägerin gewählte Formulierung des Antrags zu Ziffer I.1., die den Wortlaut des Patentanspruchs nicht exakt aufgreift, ist nicht zu beanstanden (vgl. BGH, GRUR 2005, 567, 572 – Blasfolienherstellung). Die Klägerin hat nichts wesentliches ausgelassen, weil Merkmal 1 und 2 weitgehend „insbesondere“-Angaben und Zweck-Angaben enthalten. Die Beklagte haftet der Klägerin dem Grunde nach gemäß § 139 Abs. 2 PatG auf Schadensersatz. Die genaue Schadenshöhe steht derzeit mangels näherer Kenntnis der Klägerin über den Umfang der Verletzungshandlungen nicht fest, weswegen die Klägerin ein hinreichendes Interesse daran hat, dass die Schadensersatzhaftung der Beklagten zunächst dem Grunde nach festgestellt wird (§ 256 ZPO).

Damit die Klägerin in die Lage versetzt wird, den ihr zustehenden Schadensersatzanspruch zu beziffern, hat die Beklagte in zuerkanntem Umfang Rechnung über ihre Benutzungshandlungen zu legen (§ 140b PatG, §§ 242, 259 BGB). Soweit die Klägerin im Rahmen ihres Auskunftsanspruchs die Vorlage von Belegen gemäß Ziffer I.2. beansprucht, ist mangels gegenteiliger Anhaltspunkte davon auzugehen, dass sie die zur Vorlage von Einkaufs- und Verkaufsbelegen wie Auftragsbelege, Auftragsbestätigungen, Rechnungen, Lieferscheinen, Zollpapieren etc. verlangt (vgl. Senatsurteil vom 28.4.2005 – I-2 U 110/03; Benkard/Rogge/Grabinski, a.a.O., § 139 Rdnr. 89a; § 140b Rdnr. 8; Mes, Patentgesetz, 2. Aufl., § 140 b, Rdnr. 19).

Die Klage war abzuweisen, soweit die Klägerin Auskunfts- und Schadensersatzansprüche schon seit dem 9. August 2005, statt ab dem 9. September 2005 verlangt hat. Es kann der Beklagten nicht als Verletzung der ihr obliegenden Sorgfaltspflicht angelastet werden, nicht bereits am Tage der Veröffentlichung der Patenterteilung vom Bestehen eines Patentschutzes und davon Kenntnis genommen zu haben, dass die angegriffene Ausführungsform das Klagepatent verletzt. Im Regelfall ist ein Prüfungszeitraum von bis zu einem Monat ab Veröffentlichung der Patenterteilung angemessen, so dass ein Verschulden erst nach Ablauf der Zeit zur Überprüfung in Betracht kommt (vgl. BGH, GRUR 1986, 803, 806 – Formstein (dort mit vier Wochen); Benkard/Rogge/Grabinski, PatG, 10. Aufl., § 139 Rdnr. 89a; 140 b Rdnr. 8).

5.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Es bestand kein Anlass, gemäß § 543 Abs. 2 ZPO die Revision zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordert.