4a O 180/09 – Rastierhülse

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 1482

Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 2. September 2010, Az. 4a O 180/09

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Die Sicherheitsleistung kann auch durch eine unwiderrufliche, unbedingte, unbefristete und selbstschuldnerische Bürgschaft einer in der Europäischen Union als Zoll- oder Steuerbürgin anerkannten Bank oder Sparkasse erbracht werden.

Tatbestand

Die Klägerin war bis zum 22.04.2010 eingetragene Inhaberin des europäischen Patents 0 985 XXX (nachfolgend: Klagepatent; Anlage K1). Das Klagepatent wurde am 10.08.1999 unter Inanspruchnahme einer Priorität vom 07.09.1998 angemeldet. Die Offenlegung der Anmeldung erfolgte am 15.03.2000. Am 06.11.2002 wurde der Hinweis auf die Patenterteilung veröffentlicht. Das Klagepatent steht in Kraft und wurde am 23.04.2010 auf die A GmbH & Co. KG umgeschrieben, nachdem die Klägerin zuvor durch Ausgliederungs- und Übernahmevertrag vom 31.12.2009 mit Wirkung zum 01.02.2010 das operative Geschäft ausgegliedert und auf die A GmbH & Co. KG übertragen hatte. Die Beklagte hat unter dem 05.03.2010 Nichtigkeitsklage erhoben (Anlage B1), über die noch nicht entschieden wurde.

Das Klagepatent betrifft eine Rastierhülse, die bei Kraftfahrzeugen in mechanisch schaltbaren Zahnräderwechselgetrieben (Handschaltgetrieben) eingesetzt wird. Seine in diesem Rechtsstreit maßgeblichen (eingetragenen) Patentansprüche 1, 2 und 5 lauten wie folgt:

1. Rastierhülse für eine Schaltwelle (2) eines mechanisch schaltbaren Zahnräderwechselgetriebes von Fahrzeugen zur Sicherung von Verstellpositionen der Schaltwelle (2), wobei die Rastierhülse (3a bis 3d) mehrteilig aufgebaut ist und eine drehfest auf der Schaltwelle (2) befestigte Hülse (10; 10a) umfasst mit einer separaten Scheibe (11) oder einer einteilig an der Hülse befestigten Scheibe, die einen radialen Abstand zu einem die Schaltwelle (2) koaxial umschließenden Topfteil (12 bzw. 12a bzw. 12b) überbrückt, und wobei das als ein Spanlosteil gestaltete Topfteil mit zumindest einem Übertragungsteil bzw. Übertragungselement versehen ist, das mit einem der Schaltwelle (2) nebengeordneten Bauteil zusammenwirkt, dadurch gekennzeichnet, dass das Topfteil aus einem Bandmaterial gefertigt ist, das weitestgehend zylindrisch gerollt und deren Enden an einer in Richtung einer Längsachse (16) der Rastierhülse verlaufenden Trennebene (15) verbunden sind.

2. Rastierhülse für eine Schaltwelle (2) eines mechanisch schaltbaren Zahnräderwechselgetriebes von Fahrzeugen zur Sicherung von Verstellpositionen der Schaltwelle (2) mit den Merkmalen des Oberbegriffs von Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass das Topfteil zumindest zwei Bauteile (13, 14) umfasst, die in einem Trennbereich miteinander verbunden sind.

5. Rastierhülse nach Anspruch 1 oder nach Anspruch 2, wobei das Topfteil (12b) zwei in axialer Richtung angeordnete Abschnitte (26, 27) umfasst, die unlösbar miteinander verbunden sind und deren Trennebene (30) rechtwinkelig zu der Längsachse (16) der Rastierhülse (3c) verläuft (Figur 4).

Hinsichtlich des Wortlauts der nur in Form von „insbesondere“-Anträgen geltend gemachten Unteransprüche 6, 7, 10 und 11 wird auf den Inhalt der Klagepatentschrift Bezug genommen.

Die nachfolgend (verkleinert) wiedergegebenen Figuren 1, 4, 6 und 7 der Klagepatentschrift veranschaulichen den Gegenstand der erfindungsgemäßen Lehre anhand bevorzugter Ausführungsbeispiele. Figur 7 stellt den Gesamtzusammenhang der Erfindung dar, indem sie den Ausschnitt einer Getriebeschaltung zeigt. Figur 1 zeigt die Rastierhülse als Einzelteil in der Draufsicht, Figur 6 zeigt einen Querschnitt durch eine erfindungsgemäße Rastierhülse. Schließlich ist in Figur 4 ein durch zwei Abschnitte gebildetes Topfteil entsprechend Patentanspruch 5 zu erkennen.

Die Beklagte stellt her und vertreibt Schaltungen mit dem nachfolgend abgebildeten Schaltwählmodul (Angegriffene Ausführungsform):

Der Aufbau des angegriffenen Schaltwählmoduls ist in den nachfolgend wiedergegebenen schematischen Zeichnungen erkennbar, die einem Bericht der Beklagten entnommen sind (vgl. Anlage K7):
Das angegriffene Schaltwählmodul für ein Getriebe weist eine Schaltwelle auf, die von einem in Anlage K7 als „Schaltwalze“ bezeichneten zylindrischen Bauteil umgeben ist. Dieses wird gebildet aus einem Blechbiegeteil, das durch zwei Kugelhülsen (in Anlage K7 auch als Nadel- oder Kugellager bezeichnet) auf der Schaltwelle gelagert ist, so dass eine Axialverschiebung reibungsarm möglich ist. An der Schaltwelle ist ein Mitnehmer angeformt, der in eine Arretierführung des Blechbiegeteils eingreift. Hierdurch wird einerseits jegliches Verdrehen des zylindrischen Bauteils auf der Schaltwelle verhindert und andererseits der axiale Verschiebeweg des zylindrischen Bauteils auf der Schaltwelle beschränkt. An das Blechbiegeteil sind Sinterteile angeschweißt, die in Anlage K7 als Schaltfinger, Schaltwählkontur und Kulisse bezeichnet werden.

Nach dem Vorbringen der Klägerin ist das Klagepatent mit Wirkung zum 01.02.2010 auf die A GmbH & Co. KG übertragen worden. Zugleich seien sämtliche Rechte aus dem Patent, einschließlich etwaiger Entschädigungs- und Schadensersatzansprüche für die Vergangenheit, auf die vorgenannte Gesellschaft übergegangen.

Weiter ist die Klägerin der Auffassung, die angegriffene Ausführungsform mache wortsinngemäß von der technischen Lehre der (eingetragenen) Klagepatentansprüche 2 und 5 Gebrauch. Insbesondere erfordere die erfindungsgemäße Lehre nicht, dass die Hülse unmittelbar drehfest auf der Schaltwelle gelagert sei. Dies lasse sich dem Wortlaut nicht entnehmen und sei auch in funktionaler Hinsicht nicht zwingend. Vielmehr sei ausreichend, dass mittels des auf der Schaltwelle angebrachten Mitnehmers, der in eine Arretierführung des zylindrischen Bauteils eingreife, jegliches Verdrehen des zylindrischen Bauteils und damit auch der über die Scheibe hiermit fest verbundenen Hülse auf der Schaltwelle verhindert werde. Der aus Bandmaterial geformte, zylindrische Teil mit dem sich anschließenden Sinterteil stelle ein erfindungsgemäßes Topfteil dar. In funktionaler Hinsicht müsse das Topfteil zum einen einen Hohlraum ausbilden, durch den die Schaltwelle hindurchgreifen könne, zum anderen müsse sein Durchmesser so gewählt werden, dass seine Mantelfläche ausreichend Raum für die vorgesehenen Funktions- und Übertragungsteile aufweise. Dies sei bei der angegriffenen Ausführungsform der Fall.

Die Klägerin beantragt,

I. die Beklagte zu verurteilen,

1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 Euro, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Fall wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, zu unterlassen,

Rastierhülsen für eine Schaltwelle eines mechanisch schaltbaren Zahnräderwechselgetriebes von Fahrzeugen zur Sicherung von Verstellpositionen der Schaltwelle, wobei die Rastierhülse mehrteilig aufgebaut ist und eine drehfest auf der Schaltwelle befestigte Hülse umfasst, mit einer separaten Scheibe, die einen radialen Abstand zu einem die Schaltwelle koaxial umschließenden Topfteil überbrückt, und wobei das als ein Spanlosteil gestaltete Topfteil mit zumindest einem Übertragungsteil bzw. Übertragungselement versehen ist, das mit einem der Schaltwelle nebengeordneten Bauteil zusammenwirkt,

in der Bundesrepublik Deutschland herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,

bei denen das Topfteil zwei in axialer Richtung angeordnete Abschnitte umfasst, die unlösbar miteinander verbunden sind und deren Trennebene rechtwinkelig zu der Längsachse der Rastierhülse verläuft;

2. der A GmbH & Co. KG in einem geordneten, nach Kalenderjahren sortierten und jeweils Zusammenfassungen enthaltenen Verzeichnis Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die zu Ziffer 1. bezeichneten Handlungen seit dem 15.04.2000 begangen hat, und zwar unter Angabe

a) der Herstellungsmengen und -zeiten zugeordnet zu Typenbezeichnungen,

b) der Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und –preisen, jeweils zugeordnet zu Typenbezeichnungen, sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer und unter Vorlage von Rechnungen,

c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und –preisen, jeweils zugeordnet zu Typenbezeichnungen, sowie den Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,

d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Webeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet, sowie bei Intrenetwerbung des Schaltungszeitraums, der Internetadressen sowie der Suchmaschinen, bei denen die jeweiligen Seiten direkt oder über ein Gesamtangebot gemeldet waren,

e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns, wobei diese Angaben erst ab dem 06.12.2002 zu machen sind,

wobei der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der Angebotsempfänger sowie der nicht-gewerblichen Abnehmer statt der A GmbH & Co. KG einem von dieser zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der A GmbH & Co. KG auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter nichtgewerblicher Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;

3. die vorstehend unter Ziffer 1. bezeichneten, seit dem 01.09.2008 in den Verkehr gelangten und im Besitz gewerblicher Abnehmer befindlichen Wälzlager zurückzurufen, indem diejenigen gewerblichen Abnehmer, die sich im Besitz dieser Erzeugnisse befinden, darüber schriftlich informiert werden, dass die Kammer mit dem hiesigen Urteil auf eine Verletzung des Klagepatents EP 0 985 XXX erkannt hat, ihnen ein Angebot zur Rücknahme dieser Erzeugnisse durch die Beklagte unterbreitet wird und den gewerblichen Abnehmern für den Fall der Rückgabe der Erzeugnisse eine Erstattung des gegebenenfalls bereits gezahlten Kaufpreises bzw. eines sonstigen Äquivalents für die zurückgerufenen Erzeugnisse sowie die Übernahme der Verpackungs-, Transport-, bzw. Versendungskosten für die Rückgabe zugesagt wird

und

die Erzeugnisse aus den Vertriebswegen endgültig zu entfernen, indem die Beklagte die Erzeugnisse wieder an sich nimmt oder deren Vernichtung beim jeweiligen Besitzer veranlasst;

II. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist,

1. an die A GmbH & Co. KG für die zu Ziffer I. 1. bezeichneten, in der Zeit vom 15.04.2000 bis zum 05.12.2002 begangenen Handlungen eine angemessene Entschädigung zu zahlen;

2. der A GmbH & Co. KG allen Schaden zu ersetzen, der der Klägerin durch die zu Ziffer I. 1. bezeichneten, in der Zeit vom 06.12.2002 bis zum 31.01.2010 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird, sowie allen Schaden zu ersetzen, der der A GmbH & Co. KG durch die zu Ziffer I. 1. bezeichneten, seit dem 01.02.2010 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise den Rechtsstreit bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die von ihr erhobene Nichtigkeitsklage auszusetzen,

weiter hilfsweise, ihr Vollstreckungsschutz zu gewähren und zu gestatten, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung abzuwenden.

Die Beklagte ist der Auffassung, die angegriffene Ausführungsform mache von der technischen Lehre des Klagepatents keinen Gebrauch. Weder weise die angegriffene Ausführungsform ein erfindungsgemäßes Topfteil auf, noch sei die Hülse drehfest auf der Schaltwelle gelagert. Das erfindungsgemäße Topfteil sei in räumlich-körperlicher Hinsicht dadurch gekennzeichnet, dass es einseitig offen und relativ dünnwandig sei sowie einen verhältnismäßig großen Innenraum aufweise. Ein solches Bauteil sei bei der angegriffenen Ausführungsform nicht gegeben. Insbesondere könne der Schaltwalzenrohling nicht als Topfteil im Sinne des Klagepatents begriffen werden. Denn dieser sei auf beiden Seiten verschlossen; auf der einen Seite durch eine Scheibe und die daran anschließende Kugelhülse, auf der anderen Seite durch ein massives Sinterbauteil, das die Schaltwählkontur, die Kulisse und eine weitere Kugelhülse enthalte. Das Sinterteil sei weder dünnwandig noch weise es einen radialen Abstand zu der Schaltwelle auf, sondern umschließe vielmehr unmittelbar das Kugellager. Im Übrigen stehe der Annahme, der Schaltwalzenrohling bilde zusammen mit dem Sinterteil ein erfindungsgemäßes (zweiteiliges) Topfteil, auch der Umstand entgegen, dass es sich bei dem Topfteil nach der erfindungsgemäßen Lehre um ein Spanlosteil handeln solle. Hieran erkenne der Fachmann, dass das Topfteil in einer einheitlichen Spanlos-Technik hergestellt werden solle. Dies sei bei der angegriffenen Ausführungsform nicht der Fall, da der Schaltwalzenrohling und das Sinterbauteil zum einen in unterschiedlichen Verfahren hergestellt worden seien und das Sinterbauteil zum anderen spanend nachbearbeitet worden sei. Zudem seien die bei der angegriffenen Ausführungsform endseitig angeordneten zwei Kugelhülsen drehbar und axial verschieblich auf der Schaltwelle gelagert. Erst durch den im mittleren Bereich der Schaltwelle angeordneten Mitnehmer werde eine im Wesentlichen drehfeste Verbindung zwischen dem Schaltwalzenrohling und der Schaltwelle hergestellt. Eine solche Verbindung werde aber von der Lehre des Klagepatents nicht erfasst. Vielmehr erfordere diese, dass die Hülse selbst – etwa durch Aufpressen – drehfest auf der Schaltwelle befestigt sei.

Schließlich ist die Beklagte der Ansicht, das Klagepatent werde sich in dem eingeleiteten Nichtigkeitsverfahren nicht als rechtsbeständig erweisen, da seine technische Lehre weder neu noch erfinderisch sei.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den sonstigen Inhalt der Akten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Klägerin stehen die geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Rückruf und Entfernung aus den Vertriebswegen sowie Feststellung der Entschädigungs- bzw. Schadensersatzpflicht nicht zu (Art. 64 Abs. 1 EPÜ i.V.m. §§ 139 Abs. 1 und 2, 140a Abs. 3, 140b Abs. 1 und 3, §§ 242, 259 BGB). Die angegriffene Ausführungsform macht von der technischen Lehre der Klagepatentansprüche 2 und 5 nicht wortsinngemäß Gebrauch.

I.
Die dem Klagepatent zugrunde liegende Erfindung betrifft eine Rastierhülse, die bei Fahrzeugen in mechanisch schaltbaren Zahnräderwechselgetrieben (manuellen Schaltgetrieben oder Handschaltgetrieben) eingesetzt wird.

In den vorbezeichneten Getrieben steht dem Fahrer ein Schalthebel als bedienbares Element der äußeren Schaltung zur Verfügung, der – in der Regel über Seilzüge – mit einer Schaltschiene verbunden ist. Die Schaltschiene ist meist als Schaltwelle ausgebildet, die um eine Achse in Umfangsrichtung schwenkbar und längs dieser Achse verschiebbar in einem Getriebegehäuse gelagert ist. Eine solche Schaltwelle wird etwa in Figur 1 der DE 40 38 XXX gezeigt, auf die die Klagepatentschrift in Abs. [0005] Bezug nimmt:

Für die Wahl des richtigen Ganges wirken an der Schaltstange angeordnete Schaltelemente – etwa in Form von Schaltfingern – mit einer Schaltgabel zusammen. Durch die hierdurch erzeugte Bewegung der Schaltgabel werden Zahnräder axial im Getriebe in Gang gesetzt, so dass zwischen der Getriebeeingangswelle und einem dem gewählten Gang zugeordneten Losrad ein Kraftschluss hergestellt wird. Auf diese Weise können durch eine Axialverschiebung der Schaltstange eine Schaltgasse vorgewählt und beim Verdrehen der Schaltwelle Gänge geschaltet werden.

Nach dem Schalten des Ganges muss sichergestellt sein, dass dieser auch bei Erschütterungen im Fahrbetrieb nicht versehentlich „herausspringt“. Diese Funktion kann ein Rastelement übernehmen, das gegenüber einer Rastkontur der Schaltstange vorgespannt ist. Ein solches Rastelement in Form einer sogenannten Kugelraste zeigen sowohl die bereits zuvor erwähnte DE 40 38 XXX, als auch die DE 38 08 XXX, auf die die Klagepatentschrift in Abs. [0004] verweist:

Die Rastkontur für die Einrastkugel einer solchen Kugelraste wird vorteilhafter Weise nicht direkt auf der Schaltwelle angebracht, da dies die Welle schwächen und außerdem das Einbringen der Rastkontur durch eine aufwendige spanabhebende Bearbeitung erschweren würde. Die WO 96/03XXX, auf die die Klagepatentschrift in Abs. [0003] verweist, sieht daher eine Hülse mit einer Rastkontur (Rastierhülse) auf der Schaltwelle vor. Der Aufbau einer solchen Rastierhülse ist aus den nachfolgenden Abbildungen ersichtlich:

Zu erkennen ist eine Rastierhülse, die einen zylindrischen Teil (13) und ein Topfteil (11) aufweist, die über einen Boden (12) miteinander verbunden sind. Der Boden (12) schafft den Übergang zwischen dem größeren Durchmesser des Topfteils und dem kleineren Durchmesser des unteren zylindrischen Teils. Das zylindrische Teil ist fest auf die Schaltwelle aufgepresst und dadurch drehfest auf dieser befestigt (Anlage K4, S. 1 Z. 10-11; vgl. auch: Klagepatentschrift Abs. [0003]). Das Topfteil bildet einen offenen Hohlraum und verfügt über Rastausnehmungen, in die die Einrastkugeln der Kugelraste eingreifen können.

Vor dem Hintergrund des beschriebenen Standes der Technik formuliert die Klagepatentschrift die Aufgabe (das technische Problem), einen Aufbau für das Topfteil der Rastierhülse zu schaffen, mit dem die Herstellkosten und das Gewicht reduziert werden können (Klagepatentschrift Abs. [0006]). Dies soll durch einen zweiteiligen Aufbau des Topfteils erreicht werden, durch den auch kompliziert gestaltete Topfteile unter Vermeidung des Einsatzes kostspieliger Werkzeuge und ebenso kostspieliger mehrstufiger Tiefziehverfahren hergestellt werden können (vgl. Klagepatentschrift Abs. [0009]). Das Klagepatent sieht daher in der hier geltend gemachten Kombination aus den Patentansprüchen 2 und 5 eine Vorrichtung mit den folgenden Merkmalen vor:

1. Rastierhülse (3) für eine Schaltwelle (2) eines mechanisch schaltbaren Zahnräderwechselgetriebes von Fahrzeugen zur Sicherung von Verstellpositionen der Schaltwelle (2).

2. Die Rastierhülse (3) ist mehrteilig aufgebaut und umfasst
2.1 eine Hülse (10),
2.2 eine separate Scheibe (11) oder eine einteilig an der Hülse befestigte Scheibe (11) und
2.3 ein Topfteil.

3. Die Hülse (10) ist drehfest auf der Schaltwelle (2) befestigt.

4. Die Scheibe (11) überbrückt einen radialen Abstand zu dem Topfteil (12).

5. Das Topfteil (12)
5.1 umschließt die Schaltwelle (2) koaxial,
5.2 ist als ein Spanlosteil gestaltet,
5.3 ist mit zumindest einem Übertragungsteil bzw. Übertragungselement versehen und
5.4 umfasst zwei Abschnitte (26, 27),
5.4.1 die in axialer Richtung angeordnet sind,
5.4.2 die unlösbar miteinander verbunden sind und
5.4.3 deren Trennebene (30) rechtwinkelig zu der Längsachse (16) der Rastierhülse (3c) verläuft.

6. Das Übertragungsteil bzw. Übertragungselement wirkt mit einem der Schaltwelle (2) nebengeordneten Bauteil zusammen.

II.
Die angegriffene Ausführungsform macht von der technischen Lehre des Klagepatents, wie sie sich aus der vorstehend wiedergegebenen Merkmalsgliederung ergibt, nicht wortsinngemäß Gebrauch.

Es kann dahinstehen, ob die angegriffene Ausführungsform ein erfindungsgemäßes Topfteil (12) mit den räumlich-körperlichen Vorgaben der Merkmale 5.1 bis 5.4.3 aufweist. Denn jedenfalls ist die Hülse (10) nicht im Sinne von Merkmal 3 drehfest auf der Schaltwelle (2) befestigt.

Ausgehend von dem Wortlaut dieses Merkmals setzt die erfindungsgemäße Lehre eine drehfeste Befestigung zwischen der Hülse und der Schaltwelle voraus. In funktionaler Hinsicht soll hierdurch gewährleistet werden, dass die auf dem Topfteil – welches über die Scheibe mit der drehfest befestigten Hülse verbunden ist – angeordneten Übertragungsteile (vgl. Merkmal 5.3) sich mit der Schaltwelle um deren Achse drehen und zum Anwählen eines bestimmten Ganges mit entsprechend ausgebildeten Rastausnehmungen zusammenwirken. Für die Gangwahl sind dabei sowohl eine Axialbewegung (in Richtung der Achse der Schaltwelle) als auch eine Drehbewegung (um die Achse der Schaltwelle) erforderlich, die die an dem Topfteil angeordneten Schaltfinger zunächst in verschiedenen Schaltgassen positionieren (Wählbewegung) und sodann den jeweiligen Gang schalten (Schaltbewegung). Die Axialbewegung der Schaltfinger kann sowohl dadurch erreicht werden, dass die Schaltwelle gemeinsam mit der Rastierhülse in axialer Richtung bewegt wird, als auch dadurch, dass allein die Rastierhülse axial verschoben wird, während die Schaltwelle ihre Position beibehält. Eine diesbezügliche Auswahl trifft die klagepatentgemäße Lehre nicht. Vielmehr schreibt sie in Merkmal 3 lediglich die drehfeste Befestigung der Hülse auf der Schaltwelle vor. Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich, dass diese Drehfestigkeit in funktionaler Hinsicht das Verhältnis zwischen der Schaltwelle und den auf dem Topfteil angeordneten Übertragungsteilen betrifft.

Obwohl es nach dem Vorstehenden funktional entscheidend auf die Drehfestigkeit des Topfteils im Verhältnis zur Schaltwelle ankommt, ordnet Merkmal 3 seinem Wortlaut nach lediglich an, dass die Hülse drehfest auf der Schaltwelle befestigt sein muss. Da der Hülse keine unmittelbare Übertragungsfunktion zukommt, kann – wie der Fachmann erkennt – technischer Sinn dieser Maßnahme nur sein, in konstruktiver Weise vorzugeben, wie die drehfeste Verbindung zwischen Topfteil und Schaltwelle zu realisieren ist. Das geschieht erfindungsgemäß dadurch, dass die Hülse drehfest auf der Schaltwelle befestigt wird. Die drehfeste Befestigung der Hülse führt nämlich dazu, dass auch die mit ihr verbundenen weiteren Bauteile der Rastierhülse, also über die Scheibe (11) auch das Topfteil, drehfest mit der Schaltwelle verbunden sind (vgl. auch Sp. 1 Z. 16-18 der Klagepatentschrift). Für die Verwirklichung des Merkmals 3 kann es vor diesem Hintergrund nicht ausreichen, wenn – geradezu umgekehrt zu der konstruktiven Vorgabe des Merkmals – nicht die Hülse, sondern direkt das Topfteil drehfest auf der Schaltwelle befestigt wird und nur als mittelbare Folge dessen auch eine – für sich betrachtet technisch gar nicht notwendige – drehfeste Verbindung zwischen Schaltwelle und Hülse (mittelbar über das Topfteil) entsteht. Bestätigung findet diese Auslegung zudem in der folgenden Überlegung: Merkmal 2 gibt vor, dass die Rastierhülse (3) aus drei Bauteilen besteht, nämlich der Hülse (10), einer Scheibe (11) und einem Topfteil (12). Sodann wird in Merkmal 3 eine Auswahl dahingehend getroffen, dass die Hülse (10) drehfest auf der Schaltwelle (2) befestigt ist. Diese Auswahl erfolgt ersichtlich vor dem Hintergrund, dass allein die Hülse unmittelbar an der Schaltwelle anliegt, während sich das Topfteil in einem radialen Abstand zu der Schaltwelle befindet, der durch eine Scheibe überbrückt wird (vgl. Merkmal 4). Mit der im Patentanspruch getroffenen Auswahl, der die vorgenannte konstruktive Funktion zukommt, ist es dann aber unvereinbar, die drehfeste Verbindung zwischen der Hülse und der Schaltwelle lediglich über das Topfteil zu vermitteln. Denn werden in einem Patentanspruch verschiedene Bauteile einer Vorrichtung (hier Rastierhülse bestehend aus Hülse, Topfteil und Scheibe) gesondert aufgezählt, um sodann eines dieser Bauteile (hier Hülse) auszuwählen, über das die Befestigung mit einem außerhalb der Vorrichtung angeordneten, weiteren Bauteil (hier Schaltwelle) erfolgen soll, so muss jedenfalls dann eine nur mittelbare Befestigung dieser beiden Bauteile (hier Hülse und Schaltwelle) über ein weiteres, in der Aufzählung ebenfalls enthaltenes Bauteil (hier Topfteil) der Vorrichtung aus dem Schutzbereich des Patentanspruches hinausführen, wenn der technische Sinn der im Patentanspruch getroffenen Auswahl gerade in der Vermittlung der Befestigung der nicht ausgewählten Bauteile (hier insbesondere des Topfteils) liegt. Andernfalls würde der im Patentanspruch getroffenen Auswahlentscheidung kein technischer Sinngehalt zu kommen.

Entsprechend der vorstehend vorgenommenen Auslegung beschreibt die Klagepatentschrift ausschließlich bevorzugte Ausführungsbeispiele, bei denen die Hülse unmittelbar drehfest auf der Schaltwelle befestigt ist, beispielsweise durch eine Schweißung (vgl. Klagepatentschrift Abs. [0024], [0025]). Auch der von der Klagepatentschrift benannte Stand der Technik sieht eine solche unmittelbare Befestigung zwischen der Hülse und der Schaltwelle vor (vgl. Klagepatentschrift Abs. [0003]).

Vor diesem Hintergrund macht die angegriffene Ausführungsform nicht wortsinngemäß von der technischen Lehre der Klagepatentansprüche 2 und 5 Gebrauch. Denn das als Hülse (10) zu begreifende Kugellager der angegriffenen Ausführungsform ist sowohl axial verschieblich als auch drehbar auf der Schaltwelle gelagert. Erst durch das an der Schaltwelle angebrachte Mitnehmerteil, das in eine entsprechende Arretierführung des zylindrischen Blechbiegeteils eingreift, wird eine Drehfestigkeit zwischen der Schaltwelle und der Rastierhülse herbeigeführt. Unterstellt man an dieser Stelle, das zylindrische Blechbiegeteil mit daran anschließendem Sinterbauteil stelle ein erfindungsgemäßes Topfteil im Sinne der Merkmalsgruppe 5 dar, wird die drehfeste Befestigung zwischen der Rastierhülse und der Schaltwelle eben über dieses Topfteil, nicht aber über die Hülse vermittelt. Dass damit zugleich mittelbar eine Drehfestigkeit zwischen der Schaltwelle und der Hülse hergestellt wird, reicht nach den vorstehenden Ausführungen für die wortsinngemäße Verwirklichung des Merkmals 3 nicht aus.

III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 709 S. 1 und 2, 108 ZPO.

Der Streitwert wird auf 500.000,00 € festgesetzt.