2 U 96/07 – Kommissionierungssystem II

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 1162

Oberlandesgericht Düsseldorf
Zwischenurteil vom 3. September 2009, Az. 2 U 96/07

Vorinstanz: 4b O 404/06

I.
Die auf das deutsche Patent 43 18 xxx gestützte Klageerweiterung vom. März 2009 ist zulässig.

II.
Über die klageerweiternden Ansprüche soll in einem gesonderten Verfahren verhandelt und entschieden werden.

Zu den Akten des abgetrennten Verfahrens werden die Anlagen ROKH 1 bis ROKH 20, B&B 5 sowie von der Klägerin nachzureichende Exemplare der Anlagen K 9 bis K 12 sowie ein Exemplar des Nichtigkeitsurteils vom 08.11.2007 (2 Ni 59/05 (EU)) genommen.

III.
Der Streitwert für die Klageerweiterung wird auf 150.000 € festgesetzt.

G r ü n d e

I.

Der Geschäftsführer der Klägerin ist eingetragener Inhaber des mit Wirkung unter anderem für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 620 yyy, das die Bezeichnung „Verfahren zur Lagerung von Stückgut und Vorrichtung zur Durchführung des Verfahrens“ trägt (Klagepatent I). Der im vorliegenden Rechtsstreit interessierende Patentanspruch 1 hat in deutscher Verfahrenssprache folgenden Wortlaut:

Verfahren zur Lagerung von Stückgut (1) an einer Lagerstelle (12) in einem Lager (11) mit in der Höhe begrenzten, unterschiedlich hohen und übereinander angeordneten Lagerstellen (12), bei dem das Stückgut (1) vermessen wird, wobei als Messgröße die Abmessungen (ap) des Stückgutes (1) herangezogen werden,

bei dem das Stückgut (1) identifiziert wird,

bei dem die Abmessungen (ap) als Signal einem Rechner zugeführt werden,

bei dem anhand dieses Signals eine entsprechende Lagerstelle (12) ausgesucht wird, an der das jeweilige Stückgut (1) unter Berücksichtigung der Lagerhöhe unter optimaler Raumausnutzung des Lagers (11) abgelegt wird,

bei dem als Lager (11) ein Regal oder ein Schubladenlager verwendet wird,

bei dem die Stückgüter (1) ausschließlich nebeneinander liegend auf der Lagerfläche der Lagerstelle (12) abgelegt werden,

bei dem die Stückgüter (1) nach der Vermessung und Identifizierung direkt auf der Lagerfläche abgelegt werden,

bei dem die Lage der abgelegten Stückgüter (1) mit dem Rechner erfasst wird

und bei dem die Entnahme der Stückgüter (1) aus dem Lager (11) rechnergestützt wird.

Die nachfolgenden Abbildungen (Figuren 1b bis 3 der Klagepatentschrift) verdeutlichen den Gegenstand der Erfindung anhand bevorzugter Ausführungsbeispiele.

Die Beklagte zu 1), deren Geschäftsführer der Beklagte zu 2) ist, stellt her und vertreibt Kommissionierungssysteme zur automatischen Einlagerung von Medikamenten in Apotheken. Zu den konstruktiven Einzelheiten hat das Landgericht folgende Feststellungen getroffen:

Nachdem ein Vorrat an Arzneimitteln unsortiert (zum Beispiel in einer Transportkiste) angeliefert worden ist, werden die Präparate von Hand zum Zwecke ihrer Identifizierung eingescannt und anschließend auf ein Förderband gelegt. Auf dem fortschreitenden Förderband gelangen die Arzneimittel in den Bereich eines automatischen Umsetzers, der die Präparate nacheinander vom Förderband aufnimmt und einer Vermessungseinrichtung zuführt, mit deren Hilfe Breite, Länge und Höhe der jeweiligen Packung ermittelt werden. Alternativ zur manuellen Handhabung ist eine Ausstattungsvariante erhältlich, bei der die Präparate nach ihrer Separierung in einem Vereinzeler an den Umsetzer weitergeleitet werden, der die Packungen zunächst ausrichtet und anschließend zur Identifizierung scannt. Im Anschluss an die Vermessung legt der Umsetzer die Präparate entweder auf einem Förderband ab, welches die Arzneimittel kontinuierlich einer benachbarten Greifeinrichtung zuführt, welche dazu vorgesehen ist, die Packungen in einem als Lager vorgesehenen Regalsystem abzulegen (angegriffene Ausführungsform I). Alternativ zu dem erwähnten Förderband sieht eine neuere Ausstattungsvariante des Kommissionierungssystems (angegriffene Ausführungsform II) bewegbare Tablare vor, auf denen die Präparate nach ihrer Vermessung in zwei Reihen hintereinander abgesetzt werden. Sobald ein Tablar – von denen es insgesamt acht gibt – vollständig belegt ist, wird es, sofern der Greifer einlagerungsbereit ist, zur Greifvorrichtung bewegt, wo mit der Einlagerung der Einzelpackungen in das Regalsystem begonnen wird. Steht der Greifer momentan nicht zur Verfügung, weil er mit Auslagerungsarbeiten befasst ist, werden die Tablare seitlich des Umsetzers vorübergehend abgestellt, bis sie der nunmehr betriebsbereiten Greifeinrichtung zugeführt werden. Vor einer vollständigen Belegung werden die Tablare ausnahmsweise dann zur Einlagerung bereit gestellt, wenn innerhalb einer vorgegebenen Wartezeit keine weiteren Packungen vom Umsetzer angeliefert werden. Beim Einlagern auf die Regalböden verfahren die angegriffenen Ausführungsformen in der Weise, dass stets die breiteste Packung einer Reihe hinten und davor entweder gleich breite oder schmalere Packungen platziert werden, so, wie dies aus der nachstehenden Abbildung erkennbar ist.

Das „tannenbaumartige“ Einlagerungsmuster stellt sicher, dass der Greifer in einem Arbeitsgang stets sämtliche Packungen einer Reihe entnehmen kann (was nicht gewährleistet wäre, wenn die Packungsanordnung zum Beispiel umgekehrt zu der aus der Abbildung ersichtlichen Packungsfolge wäre). Weil die besagte „Tannenbaumstruktur“ eingehalten werden muss, lagert der Greifer die Packungen auf dem Förderband bzw. den beweglichen Tablaren nicht notwendigerweise in derjenigen Reihenfolge ein, in der sie sich auf dem Transportband bzw. den beweglichen Tablaren befinden. Vielmehr kann es im Einzelfall erforderlich sein, zunächst auf eine räumlich nachfolgende Packung zuzugreifen, wenn innerhalb eines Regalbodens eine hinten liegende Lagerstelle besetzt werden soll und die räumlich vorausgehenden Präparate die geforderte Packungsbreite nicht aufweisen.

Gestützt auf ein vertragliches Nießbrauchrecht sowie eine Abtretungserklärung des Patentinhabers hat die Klägerin beide angegriffenen Ausführungsformen des Kommissionierungssystems als mittelbare Verletzung des Klagepatents beanstandet.

Mit Urteil vom 18.09.2007 hat das Landgericht der Klage in Bezug auf die angegriffene Ausführungsform I (Transportband zwischen Umsetzer und Greifer) stattgegeben und sie hinsichtlich der angegriffenen Ausführungsform II (bewegbare Tablare) abgewiesen und wie folgt gegen die Beklagten erkannt:.

I.
Die Beklagten werden verurteilt,

1.
es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 € – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft hinsichtlich der Beklagten zu 1) an ihrem jeweiligen Geschäftsführer zu vollstrecken ist, zu unterlassen,

Kommissioniersysteme für die Durchführung eines Verfahrens zur Lagerung von Stückgut an einer Lagerstelle in einem Lager mit in der Höhe begrenzten, unterschiedlich hohen und übereinander angeordneten Lagerstellen, bei dem das Stückgut vermessen wird, wobei als Messgröße die Abmessungen des Stückgutes herangezogen werden,

im räumlichen Geltungsbereich des deutschen Teils des europäischen Patents 0 620 yyy anzubieten oder zu liefern,

wenn bei dem Verfahren das Stückgut identifiziert wird, die Abmessungen als Signal einem Rechner zugeführt werden, anhand dieses Signals eine entsprechende Lagerstelle ausgesucht wird, an der das jeweilige Stückgut unter Berücksichtigung der Lagerhöhe unter optimaler Raumausnutzung des Lagers abgelegt wird, als Lager ein Regal verwendet wird, die Stückgüter ausschließlich nebeneinander liegend auf der Lagerfläche der Lagerstelle abgelegt werden, die Stückgüter nach der Vermessung und Identifizierung direkt auf der Lagerfläche abgelegt werden, die Lage der abgelegten Stückgüter mit dem Rechner erfasst wird und die Entnahme der Stückgüter aus dem Lager rechnergestützt wird;

2.
der Klägerin in einer geordneten Zusammenstellung darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie (die Beklagten) die zu 1. bezeichneten Handlungen begangen haben, nämlich die Beklagte zu 1) seit dem 02.08.1997 und der Beklagte zu 2) seit dem 17.12.2002, und zwar unter Angabe

a)
der Herstellungsmengen und –zeiten, aufgeschlüsselt nach Typenbezeichnungen,

b)
der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,

c)
der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen, der jeweiligen Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer,

d)
der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und – preisen, den jeweiligen Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,

e)
der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,

f)
der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns, der nicht durch den Abzug von Fixkosten und variablen Gemeinkosten gemindert ist, es sei denn, diese könnten ausnahmsweise den unter 1. bezeichneten Gegenständen unmittelbar zugeordnet werden,

w o b e i

– die Beklagten hinsichtlich der Angaben zu b) und c) die zugehörigen Einkaufs- und Verkaufsrechnungen in Kopie vorzulegen haben, wobei nicht auskunftspflichtige, aber geheimhaltungsbedürftige Details geschwärzt werden dürfen,

– den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten Wirtschaftsprüfer mit Sitz in der Bundesrepublik Deutschland mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen und ihn ermächtigen und verpflichten, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Rechnung enthalten ist.

II.
Es wird festgestellt, dass

1.
die Beklagte zu 1) verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der Herrn Christoph A (Inhaber des europäischen Patents 0 620 yyy) durch die zu I. 1. bezeichneten, in der Zeit vom 02.08.1997 bis 16.12.2002 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird;

2.
die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der Herrn Christoph A durch die zu I. 1. bezeichneten, in der Zeit vom 17.12.2002 bis 09.08.2003 begangenen Handlungen und der ihr (der Klägerin) selbst durch die zu I. 1. bezeichneten, seit dem 10.08.2003 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.

III.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt, mit denen sie ihr jeweiliges erstinstanzliches Begehren – die Klägerin auf Verurteilung der Beklagten auch hinsichtlich der angegriffenen Ausführungsform II, die Beklagten auf vollständige Abweisung der Klage – weiterverfolgen.

Während des Berufungsverfahrens hat das Bundespatentgericht den deutschen Teil des Klagepatents I mit – nicht rechtskräftigem – Urteil vom 08.11.2007 (2 Ni 59/05 (EU)) für nichtig erklärt. Der Senat hat hierauf mit Beschluss vom 26.11.2007 den Rechtsstreit bis zum Abschluss des Nichtigkeitsberufungsverfahrens ausgesetzt.

Mit Schriftsatz vom 16.03.2009 hat die Klägerin ihre Klage erweitert, indem sie das für ihren Geschäftsführer eingetragene deutsche Patent 43 18 xxx (Klagepatent II) in das Berufungsverfahren eingeführt hat. Der Hinweis auf die Erteilung des Klagepatents II –gegen das die Beklagte am 19.05.2009 Einspruch eingelegt hat – wurde am 19.02.2009 veröffentlicht. Die vorliegend interessierenden Patentansprüche 1 und 15 haben folgenden Wortlaut:

1.
Verfahren zur Lagerung von Apothekenartikeln (1), mit in drei Dimensionen variablen Abmessungen, in einem Lager (11), das eine Mehrzahl von Lagerstellen (12) in Form räum¬lich getrennter Ablageflächen aufweist, wobei jede Lagerstelle (12) zur Anordnung einer Mehrzahl von Artikeln (1) geeignet ist, mit folgenden Verfahrensmerkmalen:

a) Die Artikel (1) werden identifiziert und ihre Abmessungen herangezogen.

b) Anhand der Abmessungen der einzelnen einzulagernden Artikel (1) werden Rechner gestützt im Rahmen des Einlagerungsverfahrens unter Heranziehung der von sämtlichen Lagerstellen (12) gespeicherten Daten über deren Fläche und, sofern die Lagerstellen (12) ungleich hoch sind, deren Höhe, individuelle Ablageorte errechnet.

c) Die Berechnung der Ablageorte erfolgt unter Berücksichtigung der bereits eingelagerten und, soweit erforderlich, der bereits zur Einlagerung erfassten Artikel (1) unter optimaler Flächen- oder Raumausnutzung des Lagers (11).

d) Für die Ermittlung der Ablageorte steht die einzelne Lagerstelle (12) ohne vorgegebene Aufteilung zur Verfügung.

e) Die berechneten, den Ablageort bestimmenden Lagekoordinaten werden mit dem Rechner erfasst.

f) Die Artikel (1) werden an den Ablageorten gelagert.

15.
Vorrichtung zur Durchführung des Verfahrens nach einem der Ansprüche 1 bis 14,

Mit einem eine Mehrzahl von Lagerstellen (12) aufweisenden Lager (11) zur Ablage von Apotheken-Artikeln (1) und wenigstens einer Transporteinrichtung (2), mit der die Artikel (1) in Richtung auf das Lager (11) transportierbar sind,

d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t ,

dass die Vorrichtung mindestens eine Vereinzelungseinheit (3) aufweist, der mindestens eine Vermessungseinrichtung (9) und/oder mindestens eine Erfassungseinrichtung (4) für die Artikel (1) nachgeschaltet ist, dass die Vermessungseinrichtung (9) und/oder die Erfassungseinrichtung (4) an wenigstens einen Rechner angeschlossen sind, und dass dem Lager (11) mindestens ein Handhabungsgerät zugeordnet ist, das rechnergesteuert die Artikel (1) in das Lager (11) einlagert.

Die Patentzeichnungen des Klagepatents II entsprechen denen des Klagepatents I.

Aus dem Klagepatent II greift die Klägerin das bereits beim Landgericht streitbefangene Kommissionierungssystem wegen unmittelbarer und mittelbarer Verletzung des Verfahrensanspruchs 1 sowie unmittelbarer und mittelbarer Verletzung des Vorrichtungsanspruchs 15 an. Zur Begründung bezieht sie sich darauf, dass die Beklagte zu 1. nicht nur Kommissionierautomaten vertreibe, sondern darüber hinaus einen Einrichtungsservice vor Ort anbiete, in dessen Rahmen es auch zu Testläufen komme. Zur Funktionsweise der aus Hard- und Software bestehenden Automaten verweist die Klägerin auf die landgerichtlichen Feststellungen zu den aus dem Klagepatent I angegriffenen Ausführungsformen, die – mit geringfügigen Modifikationen – auch weiterhin und im Hinblick auf das Klagepatent II Gültigkeit besäßen. Abweichend von der ursprünglichen Sachlage habe die Beklagte zu 1. ihr Angebot lediglich insofern diversifiziert, als es nunmehr drei Gerätetypen – B 1000, B 2000 und B 3000 – umfasse, die sich hinsichtlich ihrer grundsätzlichen Funktionsweise nicht unterschieden. Das B 1000-Gerät verfüge lediglich nicht mehr über ein außen liegendes Förderband, das die Einlagerungsartikel nach dem Scannen der Vermessungsstation zuführe; stattdessen seien zwei Einschübe vorhanden, in die die Artikel nach dem Scannen vom Bedienungspersonal eingelegt und anschließend in den Automaten geschoben würden. Unter der Bezeichnung „C V 800“ vertreibe die Beklagte zu 1. neuerdings außerdem eine Vereinzelungsvorrichtung als fakultatives Ausstattungsmodul, die im Verfahrensablauf vor dem Scanner und vor der Vermessungsstation eingebunden werde.

Gestützt auf das Klagepatent II nimmt die Klägerin die Beklagten nicht nur – wie hinsichtlich des Klagepatents I geschehen – auf Unterlassung, Auskunftserteilung, Rechnungslegung, Entschädigung und Schadenersatz, sondern darüber hinaus auf Vernichtung, Rückruf und Urteilsbekanntmachung in Anspruch.

Die Beklagten widersprechen der Klageerweiterung, die sie auch nicht für sachdienlich halten. Die Vorschrift des § 145 PatG sei verfassungswidrig, weswegen der Rechtstreit ausgesetzt und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgericht herbeigeführt werden müsse. Im übrigen könne die Klägerin aus § 145 PatG schon deshalb nichts für die Sachdienlichkeit der Klageerweiterung herleiten, weil sie – die Beklagten – mit Schriftsatz vom 27.05.2009 – unstreitig – für den Fall eines etwaigen das Klagepatent II betreffenden Folgeverfahrens auf die betreffende Prozesseinrede verzichtet hätten.

Am 03.06.2009 hat der Senat angeordnet, über die Zulässigkeit der Klageerweiterung abgesondert zu verhandeln.

II.

Die Einführung des deutschen Patents 43 18 xxx (Klagepatent II) in das Berufungsverfahren stellt eine Klageerweiterung dar (Senat, InstGE 10, 248 – Occluder; InstGE 6, 47 – Melkautomat; OLG München InstGE 6, 57 – Kassieranlage). Sie ist, obwohl die Beklagten ihre Einwilligung verweigert haben, gemäß § 533 ZPO als sachdienlich zuzulassen.

1.
Zwar handelt es sich bei dem Klagepatent II und dem hierzu erfolgten Vorbringen der Klägerin um neue Angriffsmittel (§§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 ZPO). Sie sind jedoch zu berücksichtigen, weil das Klagepatent II erst viele Monate nach der Beendigung des landgerichtlichen Verfahrens erteilt worden ist und deshalb der Umstand, dass die Klägerin den betreffenden Klageangriff nicht bereits im ersten Rechtszug vorgebracht hat, nicht auf einer Nachlässigkeit beruht (§ 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO).

2.
Die Klageerweiterung ist auch sachdienlich (§ 533 Nr. 1 ZPO).

a)
Die Sachdienlichkeit setzt zunächst voraus, dass durch die Mitbehandlung der Klageerweiterung im anhängigen Verfahren ein ansonsten drohender neuer Rechtsstreit zwischen den Parteien vermieden wird (Senat, InstGE 10, 248 – Occluder). Davon ist im Streitfall ohne weiteres auszugehen, weil die Einführung des deutschen Patents 43 18 xxx in das Berufungsverfahren den festen Willen der Klägerin erkennen lässt, ihre aus diesem Schutzrecht folgenden Ausschließlichkeitsrechte ungeachtet der erstinstanzlichen Vernichtung des deutschen Teils des Klagepatents I gegen die Beklagten durchzusetzen.

b)
Für die Anerkennung der Sachdienlichkeit bedarf es darüber hinaus der Feststellung, dass für die Beurteilung der erweiterten Klage der bisherige Streitstoff verwendet werden kann (Senat, InstGE 10, 248 – Occluder). In Patentverletzungsstreitigkeiten fehlt es hieran in aller Regel, wenn der Verletzungsgegenstand zwar derselbe ist, die von Anfang an angegriffene Ausführungsform jedoch aus einem weiteren Patent oder Gebrauchsmuster bekämpft wird, ohne dass der Schutzrechtsinhaber hierzu nach § 145 PatG gezwungen ist (Senat, InstGE 10, 248 – Occluder).

Die zuletzt genannte Einschränkung trägt dem Umstand Rechnung, dass § 145 PatG den Patentinhaber zwingt, in einem Verletzungsrechtsstreit Ansprüche auch wegen der widerrechtlichen Benutzung anderer ihm zustehender Patente mit geltend zu machen, wenn diese weiteren Schutzrechte durch dieselbe oder eine gleichartige Handlung beeinträchtigt werden. Die bestehende Pflicht zur Klagen¬kon¬zen¬tra¬tion – die für die Dauer der Anhängigkeit des Rechtsstreits zu beachten ist und deshalb auch dann eingreift, wenn das weitere Patent für den Verletzungskläger erst während des Berufungsverfahrens über das erste Patent verfügbar wird (Senat, InstGE 6, 47 – Melkautomat) – muss für die Bestimmung dessen, was „sachdienlich“ ist, Berücksichtigung finden. Denn nach dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung kann ein prozessuales Verhalten, das die eine Gesetzesvorschrift gebietet (Erstreckung der anhängigen Klage auf ein weiteres Patent gemäß § 145 PatG) nicht unter Berufung auf eine gleichrangige andere Bestimmung (§ 533 Nr. 1 ZPO wegen mangelnder Sachdien¬lich¬keit) unterbunden werden.

Zwar begründet § 145 PatG für den Verletzungsbeklagten bloß eine Prozesseinrede und haben die Beklagten vorliegend nach erfolgter Klageerweiterung rechtsverbindlich darauf verzichtet, sich in einem neuen, auf das deutsche Patent 43 18 xxx gestützten Verletzungsprozess auf § 145 PatG zu berufen. Der Senat hat jedoch bereits entschieden, dass für die Frage der Sachdienlichkeit stets die Verhältnisse zum Zeitpunkt der Klageänderung maßgeblich sind und dass es dem Verletzungskläger auch nicht obliegt, vor einer etwaigen Klageerweiterung zunächst beim Beklagten nachzufragen, ob sich dieser ggfs. zu einem Verzicht auf die Einrede aus § 145 PatG bereitfindet (InstGE 6, 47 – Melkautomat). Daran ist festzuhalten.

Die Sachdienlichkeit ist nicht nur dann zu bejahen, wenn tatsächlich ein Fall des § 145 PatG vorliegt, d.h. objektiv ein Sachverhalt gegeben ist, bei dem mehrere Patente durch „dieselbe oder eine gleichartige Handlung“ verletzt sind. Bei einer derartigen, allein auf die objektive Rechtslage abstellenden Betrachtung würde der Kläger in unzumutbarer Weise der Gefahr ausgesetzt, die Rechtslage entschuldbar falsch zu beurteilen und deswegen erhebliche Nachteile (in Form eines Verlustes der Einklagbarkeit des weiteren Patents) hinnehmen zu müssen. Solches wäre umso weniger akzeptabel, als die Frage, wann „dieselbe oder eine gleichartige Handlung“ vorliegt, im Einzelfall ganz beträchtliche Auslegungs- und Abgrenzungsschwierigkeiten mit sich bringen kann, weswegen dem Kläger eine etwaige Fehlbeurteilung im Einzelfall nicht wirklich vorwerfbar sein kann. Entscheidend und ausreichend für die Sachdienlichkeit muss vor diesem Hintergrund sein, dass der Kläger in dem Zeitpunkt, in dem das weitere Patent für ihn verfügbar wird und er darüber zu befinden hat, ob er die bereits anhängige Klage erweitert oder aber neu klagt, ernsthaft damit rechnen muss, dass ihm im Falle einer separaten Klageerhebung aus dem weiteren Schutzrecht mit gewichtigen Argumenten § 145 PatG entgegen gehalten werden kann.

Aus denselben Erwägungen heraus kann dem Kläger nicht das Risiko für eine möglicherweise gegebene Verfassungswidrigkeit des § 145 PatG aufgebürdet werden. Sie wird zwar von einem Teil der Literatur vertreten; letztlich ist jedoch nicht absehbar, ob das Bundesverfassungsgericht die geäußerten Bedenken an einer Vereinbarkeit der Vorschrift mit dem Grundgesetz teilen wird. Es ist schlechterdings unakzeptabel, dem Verletzungskläger anzusinnen, unter Berufung auf die mangelnde Verfassungsmäßigkeit des § 145 PatG von einer Erweiterung der bereits anhängigen Klage abzusehen und damit sehenden Auges in Kauf zu nehmen, dass die Vorschrift letztendlich doch Bestand hat und der Kläger – mangels Klageerweiterung im laufenden Verletzungsprozess – seine gerichtlich verfolgbaren Rechte aus dem weiteren Patent einbüßt. Für sein prozessuales Verhalten darf sich der Verletzungskläger, solange keine anderslautende Verfassungsgerichtsentscheidung vorliegt, vielmehr auf den Standpunkt stellen, dass § 145 PatG geltendes Recht ist und diese Vorschrift ihn bei vernünftiger Argumentation dazu anhält, das weitere Schutzrecht in den laufenden Verletzungsprozess einzuführen.

c)
Im Streitfall sprechen ganz erhebliche Gründe dafür, dass die Klägerin gemäß § 145 PatG gezwungen ist, das deutsche Patent 43 18 xxx im Wege der Klageerweiterung in das bereits anhängige Verfahren wegen Verletzung des deutschen Teils des EP 0 620 yyy einzuführen. Beide Schutzrechte betreffen – ungeachtet ihrer sprachlich etwas abweichenden Anspruchsformulierung – der Sache nach dieselbe Erfindung und sie werden von der Klägerin gegen denselben Verletzungsgegenstand, nämlich die von der Beklagten zu 1. vertriebenen B-Kommissionierungsautomaten, geltend gemacht. Soweit die Klägerin in anderem Zusammenhang selbst den Standpunkt vertritt, die Fassung der Ansprüche des Klagepatents II unterschieden sich wesentlich von denen des Klagepatents I, geschieht dies ersichtlich mit Rücksicht darauf, dass der deutsche Teil des Klagepatents I vom Bundespatentgericht erstinstanzlich für nichtig erklärt worden ist und die Klägerin bestrebt ist, dahin zu argumentieren, dass für das Klagepatent II nicht dieselbe rechtliche Beurteilung Platz greifen darf.

aa)
Was zunächst die beiderseitigen Verfahrensansprüche 1 betrifft, unterscheiden sich diese nicht nennenswert voneinander. Dies wird bereits anhand der nachfolgenden Gegenüberstellung von Merkmalsgliederungen für das Klagepatent I und das Klagepatent II deutlich.

Klagepatent I Klagepatent II

(1) Verfahren zur Lagerung von Stückgut (1) an einer Lagerstelle (12) in einem Lager (11).

(2) Als Lager (11) wird ein Regal oder ein Schubladenlager verwendet.

(3) Das Lager (11) hat Lagerstellen (12), die

(a) in der Höhe begrenzt,

(b) unterschiedlich hoch und

(c) übereinander angeordnet sind.

(4) Das Verfahren zeichnet sich dadurch aus, dass

(a) das Stückgut (1) identifiziert wird,

(b) das Stückgut (1) vermessen wird, wobei als Messgröße die Abmessungen (ap) des Stückgutes (1) herangezogen werden,

(c) die Abmessungen (ap) des Stückgutes (1) als Signal einem Rechner zugeführt werden,

(d) anhand dieses Signals eine entsprechende Lagerstelle (12) ausgesucht wird, an der das jeweilige Stückgut (1) abgelegt wird, und zwar

aa) unter Berücksichtigung der Lagerhöhe

bb) unter optimaler Raumausnutzung des Lagers (11),

(e) die Stückgüter (1) ausschließlich nebeneinander liegend auf der Lagerfläche der Lagerstelle (12) abgelegt werden,

(f) die Stückgüter (1) nach der Vermessung und Identifizierung direkt auf der Lagerfläche der Lagerstelle (12) abgelegt werden,

(g) die Lage der abgelegten Stückgüter (1) mit dem Rechner erfasst wird,

(h) die Entnahme der Stückgüter (1) aus dem Lager rechnergestützt wird.

(1) Verfahren zur Lagerung von Apotheken-Artikeln (1) mit in drei Dimensionen variablen Abmessungen in einem Lager (11).

(2) Das Lager (11)

(a) weist eine Mehrzahl von Lagerstellen (12) in Form räumlich getrennter Ablageflächen auf,

(b) wobei jede Lagerstelle (12) zur Anordnung einer Mehrzahl von Artikeln (1) geeignet ist.

(3) Das Verfahren zeichnet sich dadurch aus, dass

(a) die Artikel (1) identifiziert und

(b) ihre Abmessungen herangezogen werden,

(c) anhand der Abmessungen der einzelnen einzulagernden Artikel (1) individuelle Ablageorte errechnet werden,

(d) die berechneten, den Ablageort bestimmenden Lagekoordinaten mit einem Rechner erfasst werden und

(e) die Artikel (1) an den Ablageorten gelagert werden.

(4) Die Berechnung der Ablageorte geschieht

(a) rechnergestützt im Rahmen des Einlagerungsverfahrens,

(b) unter Heranziehung der von sämtlichen Lagerstellen (12) gespeicherten Daten über deren Fläche und, sofern die Lagerstellen (12) ungleich hoch sind, deren Höhe,

(c) unter Berücksichtigung der bereits eingelagerten und, soweit erforderlich, der bereits zur Einlagerung erfassten Artikel (1) unter optimaler Flächen- oder Raumausnutzung des Lagers (11),

(d) wobei die einzelne Lagerstelle (12) ohne vorgegebene Aufteilung zur Verfügung steht.

Beide Schutzrechte befassen sich – mindestens bevorzugt – mit der Einlagerung von Apothekenpräparaten in ein Lager, wobei die Präparate naturgemäß unterschiedlich lang, breit und/oder hoch dimensioniert sind und das Lager in Gestalt von Regalen oder Schubladenschränken mehrere räumlich voneinander getrennte Ablageflächen aufweist, deren jede nicht nur ein, sondern mehrere Präparat(e) aufnehmen kann. Dem Inhalt nach betreffen die Merkmale (1) bis (3) des Klagepatents I und die damit korrespondierenden Merkmale (1) und (2) des Klagepatents II insofern dasselbe.

Die Verfahrungsschritte stimmen ebenfalls weitestgehend überein. Vorgesehen ist jeweils als erstes, dass das einzelne einzulagernde Präparat identifiziert wird, um festzuhalten, um welches Produkt (z.B. welches Arzneimittel) es sich handelt (Merkmal (4a) des Klagepatents I; Merkmal (3a) des Klagepatents II). Danach wird das betreffende (identifizierte) Präparat vermessen (Merkmal (4b) des Klagepatents I; Merkmal (3b) des Klagepatents II) und anhand der gewonnenen Messwerte der jeweilige Ablageort innerhalb des Lagers ermittelt (Merkmale (4c) und (4d) des Klagepatents I; Merkmal (3c) des Klagepatents II). Schließlich werden die für das einzulagernde Präparat maßgeblichen Lagekoordinaten von einem Rechner erfasst und der Apothekenartikel an der für ihn ausgewählten Position abgelegt (Merkmale (4f) und (4g) des Klagepatents I; Merkmale (3d) und (3e) des Klagepatents II). In der Art und Weise, wie der konkrete Ablageort für das Präparat generiert wird, gibt es gleichfalls weitestgehende Übereinstimmung. Die Bestimmung erfolgt jeweils rechnergesteuert (Merkmal (4c) i.V.m. Merkmal (4d) des Klagepatents I; Merkmal (4a) des Klagepatents II) unter Berücksichtigung der Lagerhöhe sowie unter optimaler Raumausnutzung des Lagers (Merkmale (4d), (aa) und (bb) des Klagepatents I), was bedingt, dass in die Auswahlentscheidung nicht nur die Ablageflächen aller Lagerstellen des Lagers und ggfs. deren Höhe einfließt (Merkmal (4b) des Klagepatents II), sondern auch derjenige Lagerraum berücksichtigt wird, der durch bereits eingelagerte oder vorrangig zur Einlagerung anstehende Präparate ausgeschöpft ist (Merkmal (4c) des Klagepatents II). Dass innerhalb einer Lagerstelle Präparate nicht übereinander, sondern ausschließlich nebeneinander abgelegt werden, ist genauso Gegenstand beider Schutzrechte (Merkmal (4e) des Klagepatents I; Merkmal (4b) des Klagepatents II) wie beide – das Klagepatent I mindestens bevorzugt – davon ausgehen, dass die Ablagefläche jeder Lagestelle prinzipiell vollständig und ohne vorgegebene Aufteilung zur Einlagerung bereitsteht (Merkmal (4d) des Klagepatents II).

Der vorstehend dargelegte Gleichklang der von den Klagepatenten unter Schutz gestellten technischen Lehre bringt es mit sich, dass auch die Argumentation zur Patentverletzung übereinstimmt. In ihrem Klageerweiterungsschriftsatz verweist die Klägerin demgemäß zur Darlegung einer Benutzung des Klagepatents II auch vollständig auf diejenigen tatrichterlichen Feststellungen, die das Landgericht mit Blick auf das Klagepatent I zum Aufbau und zur Funktionsweise der streitbefangenen Kommissionierungsautomaten getroffen hat. Bei dieser Sachlage kann kaum zweifelhaft sein, dass die behauptete Verletzung des Klagepatents II in „derselben“ Handlung – nämlich im Vertrieb von mit den Merkmalen des Patentanspruchs I des Klagepatents I ausgestatteten Kommissionierungssystemen – liegt, deretwegen von der Klägerin eine Verletzung des Klagepatents I reklamiert worden ist.

bb)
Nachdem – wie ausgeführt – die Sachdienlichkeit der Klageerweiterung zu bejahen ist, soweit mit ihr eine Verletzung von Verfahrensanspruch I des Klagepatents II dargetan wird, kann für die geltend gemachte Verletzung des nebengeordneten Vorrichtungsanspruchs 15 keine andere Beurteilung greifen. Er hängt schon deshalb unmittelbar mit dem Verfahrensanspruch zusammen, weil er einen Automaten unter Schutz stellt, der zur Durchführung des anspruchsgemäßen Einlagerungsverfahrens nach Anspruch 1 geeignet ist. Für seine Benutzung verweist die Klägerin – folgerichtig – ebenfalls weitestgehend auf die im Hinblick auf das Klagepatent I getroffenen landgerichtlichen Feststellungen, die sie lediglich insoweit ergänzt, als sie sich auf einen zum Angebotsprogramm der Beklagten zu 1. gehörenden Vereinzelungsautomaten „C V 800“ bezieht.