4a O 254/08 – Abfalltrenner

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 1434

Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 8. Juni 2010, Az. 4a O 254/08

Rechtsmittelinstanz: 2 U 80/10

I. Die Beklagte wird verurteilt,

1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlungen bis zu insgesamt zwei Jahren, zu unterlassen,

Vorrichtungen zum Trennen einer Materialmischung mit unterschiedlichem spezifischem Gewicht, welche eine Zuführeinrichtung zum Zuführen einer Materialmischung zu einer angetriebenen Sichteinrichtung, die mit ihrer Drehachse quer zur Förderrichtung der Zuführeinrichtung angeordnet ist, aufweisen, wobei die Materialmischung auf die Außenseite der Sichteinrichtung aufgebbar ist, und wobei im Übergangsbereich zwischen der Zuführeinrichtung und der Sichteinrichtung eine Luftblaseinrichtung angeordnet ist, und wobei die Drehrichtung der Sichteinrichtung in ihrem oberen Teil mit der Förderrichtung der Zuführeinrichtung zusammenfällt,

in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen,

bei denen die Materialmischung von der Zuführeinrichtung unmittelbar auf die Sichteinrichtung aufgebbar ist, und wobei der Luftstrom der Luftblaseinrichtung schräg nach oben, sowie zumindest teilweise gegen die Außenseite der Sichteinrichtung auf den Bereich der Aufgabestelle der Materialmischung von der Zuführeinrichtung auf die Sichteinrichtung gerichtet ist, wobei der Abgabepunkt der Zuführeinrichtung bezogen auf die Sichttrommel derart angeordnet ist, dass die Materialteile gegen die obere Hälfte der der Zuführeinrichtung zugewandten Seite leitbar sind;

2. Auskunft zu erteilen und Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die zu I. 1. bezeichneten Handlungen seit dem 16.06.1999 begangen hat, und zwar unter Angabe

a) der einzelnen Lieferungen, Lieferzeiten und Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der Lieferempfänger,

b) der einzelnen Angebote und Angebotszeiten sowie Typenbezeichnungen und der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,

c) der betriebenen Werbung unter Angabe der Werbezeiträume, der Werbeträger und deren Auflagenhöhe sowie der Werbeaufwendungen,

d) der Gestehungskosten und des erzielten Gewinns unter Aufschlüsselung sämtlicher Kostenfaktoren,

wobei der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der Angebotsempfänger und nicht-gewerblichen Abnehmer statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Nachfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist.

II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu erstatten, der ihr aus den in Ziffer I. 1. bezeichneten und seit dem 16.06.1999 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.

III. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 250.000,00 EUR. Die Sicherheit kann auch durch eine unwiderrufliche, unbedingte, unbefristete und selbstschuldnerische Bürgschaft einer in der Europäischen Union als Zoll- oder Steuerbürgin anerkannten Bank oder Sparkasse erbracht werden.

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen Verletzung des deutschen Teils des europäischen Patents 0 546 XXX B1 (Klagepatent) in Anspruch. Sie ist seit dem 16.06.1999 eingetragener und ausschließlich verfügungsberechtigter Inhaber des Klagepatents, das am 03.12.1992 unter Inanspruchnahme einer deutschen Priorität vom 10.12.1991 in deutscher Verfahrenssprache angemeldet wurde. Der Hinweis auf die Erteilung wurde am 12.07.1995 veröffentlicht. Das Patent steht in Kraft.

Das Klagepatent bezieht sich auf eine Vorrichtung zum Trennen einer Materialmischung aus Materialien mit unterschiedlichem spezifischem Gewicht. Der von der Klägerin geltend gemachte Patentanspruch 1 des Klagepatents lautet:

Vorrichtung zum Trennen einer Materialmischung mit unterschiedlichem spezifischem Gewicht, welche eine Zuführeinrichtung (1, 5) zum Zuführen einer Materialmischung zu einer angetriebenen Sichteinrichtung (2, 22, 32, 33, 35), die mit ihrer Drehachse (11) quer zur Förderrichtung (6) der Zuführeinrichtung (1, 5) angeordnet ist, aufweist, wobei die Materialmischung auf die Außenseite der Sichteinrichtung (2, 22, 32, 33, 35) aufgebbar ist, und wobei im Übergangsbereich (14) zwischen der Zuführeinrichtung und der Sichteinrichtung eine Luftblaseinrichtung (15, 16) angeordnet ist, und dass die Drehrichtung der Sichttrommel in ihrem oberen Teil mit der Fördereinrichtung der Zuführeinrichtung zusammenfällt,
gekennzeichnet dadurch, dass die Materialmischung von der Zuführeinrichtung (1, 5) unmittelbar auf die Sichteinrichtung (2, 22, 32, 33, 35) aufgebbar ist, und wobei der Luftstrom der Luftblaseinrichtung (15, 16) schräg nach oben, sowie zumindest teilweise gegen die Außenseite der Sichteinrichtung (2, 22, 32, 33, 35) auf den Bereich der Aufgabestelle der Materialmischung von der Zuführeinrichtung (1, 5) auf die Sichteinrichtung gerichtet ist, wobei der Abgabepunkt der Zuführeinrichtung bezogen auf die Sichttrommel derart angeordnet ist, dass die Materialteile gegen die obere Hälfte der der Zuführeinrichtung zugewandten Seite leitbar sind.

Wegen des Wortlauts der in Form von „insbesondere“-Anträgen geltend gemachten Unteransprüche 2, 3 und 8 wird auf die Klagepatentschrift (Anlage K 1) verwiesen. Die nachfolgende Abbildung stammt – in leicht verkleinerter Form – aus der Klagepatentschrift und zeigt eine erfindungsgemäße Trennvorrichtung in Seitenansicht und Prinzipdarstellung.

Die Beklagte ist im Bereich Umwelttechnik tätig und lieferte an die A mbH (XXX) in B – einen Abfallverarbeiter – eine Anlage für die Trennung von Abfallstoffen, die sie auch in ihrem englisch- und deutschsprachigen Internetauftritt unter der Bezeichnung „C“ (nachfolgend: angegriffene Ausführungsform) bewirbt. Die angegriffene Ausführungsform wird in den folgenden Abbildungen wiedergegeben. Die Zeichnungen stammen aus dem Betriebshandbuch und geben die angegriffene Anlage beziehungsweise einzelne Bauteile von ihr im Querschnitt wieder. Die fotographischen Abbildungen stammen von der Klägerin und zeigen zunächst die gesamte Anlage beziehungsweise den der Lagerung der Separiertrommel dienenden Bereich von außen. Das dritte Bild gibt einen Blick in das Innere der Anlage wieder und zeigt das Förderband und die Separiertrommel. Der Blasdüsenkanal, der zwischen der Separiertrommel und dem Förderband endet, ist in der letzten Abbildung zu sehen. Die Beschriftung der fotographischen Abbildungen stammt jeweils von der Klägerin.
Die Klägerin behauptet, bei der angegriffenen Ausführungsform sei die Materialmischung vom Förderband unmittelbar auf die Separiertrommel aufgebbar. Dafür genüge es nach ihrer Auffassung, wenn die Vorrichtung entsprechend einstellbar sei. Das sei bei der angegriffenen Ausführungsform der Fall. Aus den Abbildungen sei ersichtlich, dass die Separiertrommel über Zahnstangen verstellbar sei und zwischen dem Förderband und der Separiertrommel ein sehr geringer Abstand bestehe, so dass die Materialteile einer Wurfparabel folgend auf der Trommel aufträfen. Im Übrigen ergebe sich auch aus dem zur angegriffenen Ausführungsform gehörigen Betriebshandbuch, dass die Materialmischung unmittelbar auf der Separiertrommel auftreffe.

Die Klägerin beantragt,

mit Ausnahme des tenorierten Wirtschaftsprüfervorbehalts die Beklagte wie erkannt zu verurteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, durch die angegriffene Ausführungsform werde das Klagepatent nicht wortsinngemäß verletzt. Nach der Lehre des Klagepatentanspruchs sei es erforderlich, dass das Ende der Zuführeinrichtung in vertikaler Richtung oberhalb der Sichteinrichtung angeordnet sei, damit die Materialmischung unmittelbar auf die Sichteinrichtung treffen könne. Das sei bei der angegriffenen Ausführungsform nicht der Fall, weil ihr Förderband von der Separiertrommel horizontal beabstandet sei. Dazu behauptet die Beklagte, dass aufgrund des Abstandes die Materialmischung nicht auf der Separiertrommel auftreffe, sondern nur die leichteren Materialteile vom Luftstrom des Gebläses über die Separiertrommel geblasen würden. Die schwerere Fraktion falle hingegen vor der Separiertrommel nach unten. Die angegriffene Ausführungsform könne technisch nicht derart eingestellt werden, dass die Materialmischung vom Förderband unmittelbar auf die Separiertrommel aufgegeben werden könne. Eine andere Aussage im Betriebshandbuch sei fehlerhaft und werde geändert.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung und Schadensersatz dem Grunde nach aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ i.V.m. §§ 139 Abs. 1 und 2, 140b Abs. 1 und 3 PatG, §§ 242, 259 PatG hat. Denn die angegriffene Ausführungsform macht von der Lehre des Klagepatentanspruchs wortsinngemäß Gebrauch.

I.
Das Klagepatent schützt im Patentanspruch 1 eine Vorrichtung zum Trennen einer Materialmischung.

In der Beschreibung des Klagepatents wird ausgeführt, dass solche Vorrichtungen im Stand der Technik bekannt seien. In der nicht veröffentlichten DE-OS 41 25 XXX werde eine Vorrichtung beschrieben, bei der die zu trennende Materialmischung gegen eine einstellbare Prallplatte geschleudert werde. In Abhängigkeit von ihrer Festigkeit prallen die Materialien von dieser Platte unterschiedlich stark ab, so dass sie in zwei Materialströme getrennt werden. Eine weitere räumliche Trennung der Teilströme erfolgt weiterhin dadurch, dass die beiden Materialströme in einen etwa horizontal ausgerichteten Luftstrom fallen, bevor sie in einer dritten Phase auf eine bewegte, geneigte Fläche treffen. In der Klagepatentschrift wird daran als nachteilig angesehen, dass die Materialien aufgrund der relativ hohen Geschwindigkeit, mit der sie von der Prallplatte abprallen, nur eine sehr geringe Verweildauer im Luftstrom haben und nur unzureichend getrennt werden.

Weiterhin wird in der Klagepatentschrift die EP 0 303 XXX B1 angeführt, die ebenfalls eine Vorrichtung zum Trennen einer Materialmischung beschreibt. Bei dieser Vorrichtung fällt die Materialmischung in einen Fallschacht. An der einen Seite des Schachtes befindet sich die einen Luftstrom durchlassende Siebwand, während sich auf der anderen Seite eine Siebtrommel befindet. Durch den durch die Siebwand hindurchtretenden Querluftstrom wird das leichtere Material gegen die Siebtrommel geblasen und von dem sich im Innern der Siebtrommel befindlichen Unterdruck angesogen und von diesem festgehalten. Das schwerere Material kommt nicht mit der Siebtrommel in Berührung. Der Druckluftstrom der Luftblaseinrichtung ist in vollem Umfange gegen den seitlichen Bereich der Siebtrommel gerichtet.

Eine Vorrichtung zum Separieren von Materialien unterschiedlicher Körnung werde – so die Klagepatentschrift – in der sowjetischen Druckschrift 1313XXX beschrieben. Dabei wird das Material über eine Schwingrinne direkt auf eine rotierende Trommel aufgegeben. Zwischen dem Ablaufende der Schwingrinne und der Oberfläche der Trommel ist ein größerer Abstand vorhanden. Oberhalb der Trommel ist eine Luftdüse angeordnet, deren Luftströmung knapp unterhalb des Ablaufendes der Schwingrinne nach unten an der Trommel vorbei gerichtet ist. Durch den Luftstrom wird das Material mit der kleineren Körnung in seiner Flugbahn so verändert, dass es von dem Material mit der größeren Körnung in der Fallphase, noch vor Berühren der Trommel getrennt wird.

Schließlich wird in der Klagepatentschrift die DE-PS 28 37 XXX angeführt, in der ebenfalls eine Vorrichtung zum Trennen einer Materialmischung offenbart wird, die überwiegend zur Müll- und Abfallsortierung verwendet wird. Bei dieser Vorrichtung wird die Materialmischung einer sich rotierenden Sichttrommel zugeführt und in das Innere der Sichttrommel gegeben. Die Drehachse der Trommel weist in die Längs- und Zuführrichtung der Zuführvorrichtung. Im Inneren der schräg nach oben aufgestellten Sichttrommel sollen mit Unterstützung eines Luftstromes die verschiedenen Materialien der Materialmischung voneinander getrennt werden. An dieser Vorrichtung wird in der Klagepatentschrift als nachteilig angesehen, dass sie trotz verschiedener Einstellmöglichkeiten verstopfen könne, insbesondere wenn die Zusammensetzung der Materialmischung und die Anteile von leichtem zu schwerem spezifischem Gewicht stark schwankten. Außerdem – so die Klagepatentschrift – lasse die Sortierqualität zu wünschen übrig.

Dem Klagepatent liegt vor diesem Hintergrund die Aufgabe (das technische Problem) zugrunde, die im Stand der Technik bekannten Vorrichtungen in ihrem Aufbau wesentlichen zu vereinfachen und gleichzeitig eine störungsunanfällig und verstopfungsfrei arbeitende Vorrichtung zum Trennen einer Materialmischung mit hoher Trennschärfe und hohem Reinheitsgrad zu schaffen.

Dies soll durch den Klagepatentanspruch 1 erreicht werden, dessen Merkmale wie folgt gegliedert werden können. Dabei ist im Merkmal 6 bereits die irrtümliche Bezeichnung der „Sichteinrichtung“ als „Sichttrommel“ und der „Förderrichtung“ als „Fördereinrichtung“ beseitigt worden.

1. Vorrichtung zum Trennen einer Materialmischung mit unterschiedlichem spezifischem Gewicht;
2. die Vorrichtung weist eine Zuführeinrichtung (1, 5) zum Zuführen einer Materialmischung zu einer Sichteinrichtung (2, 22, 32, 33, 35) auf;
3. die Sichteinrichtung ist angetriebenen und mit ihrer Drehachse (11) quer zur Förderrichtung (6) der Zuführeinrichtung (1, 5) angeordnet;
4. die Materialmischung ist auf die Außenseite der Sichteinrichtung (2, 22, 32, 33, 35) aufgebbar;
5. im Übergangsbereich (14) zwischen der Zuführeinrichtung und der Sichteinrichtung ist eine Luftblaseinrichtung (15, 16) angeordnet;
6. die Drehrichtung der Sichteinrichtung fällt in ihrem oberen Teil mit der Förderrichtung der Zuführeinrichtung zusammen;
7. die Materialmischung ist von der Zuführeinrichtung (1, 5) unmittelbar auf die Sichteinrichtung (2, 22, 32, 33, 35) aufgebbar;
8. der Luftstrom der Luftblaseinrichtung (15, 16) ist
8.1 schräg nach oben gerichtet,
8.2 sowie zumindest teilweise gegen die Außenseite der Sichteinrichtung (2, 22, 32, 33, 35) auf den Bereich der Aufgabestelle der Materialmischung von der Zuführeinrichtung (1, 5) auf die Sichteinrichtung gerichtet;
9. der Abgabepunkt der Zuführeinrichtung ist bezogen auf die Sichttrommel derart angeordnet, dass die Materialteile gegen die obere Hälfte der der Zuführeinrichtung zugewandten Seite leitbar sind.

II.
Die angegriffene Ausführungsform macht von der Lehre des Klagepatentanspruchs wortsinngemäß Gebrauch.

1.
Die patentgemäße Vorrichtung besteht im Wesentlichen aus einer Zuführeinrichtung, einer Sichteinrichtung und einer Luftblaseinrichtung, wobei zwischen den Parteien die Anordnung von Zuführeinrichtung und Sichteinrichtung zueinander (Merkmale 7 und 9) in Streit steht.

Nach der Lehre des Klagepatentanspruchs müssen die Zuführeinrichtung und die Sichteinrichtung unter anderem so zueinander angeordnet sein, dass die Materialmischung von der Zuführeinrichtung unmittelbar auf die Sichteinrichtung aufgebbar ist (Merkmal 7). Für die „Unmittelbarkeit“ ist insofern erforderlich, dass die Materialmischung ohne weitere Hilfsmittel – und damit auch ohne Einwirkung des Luftstroms der Luftblaseinrichtung – direkt auf die Sichteinrichtung treffen kann. Denn der Luftstrom soll erfindungsgemäß teilweise gegen die Außenseite der Sichteinrichtung auf den Bereich der Aufgabestelle der Materialmischung von der Zuführeinrichtung auf die Sichteinrichtung gerichtet sein (Merkmal 8.2). Damit wird genau der Bereich der Sichteinrichtung beschrieben, an dem die Materialmischung von der Zuführeinrichtung auftrifft. Diese Aufgabestelle soll nach der Lehre des Klagepatentanspruchs weiterhin auf der oberen Hälfte auf der der Zuführeinrichtung zugewandten Seite der Sichteinrichtung angeordnet sein (Merkmal 9).

Mit dem Unmittelbarkeitserfordernis grenzt sich die Lehre des Klagepatentanspruchs vom Stand der Technik nach dem EP 0 303 XXX A2 ab, aus dem eine Vorrichtung bekannt ist, bei der als Sichteinrichtung eine Siebtrommel verwendet wurde und das schwerere Material mit dieser Siebtrommel gar nicht in Berührung kam, während das leichtere Material der Materialmischung ausschließlich durch den Luftstrom gegen die Siebtrommel geblasen wurde (Sp. 1 Z. 41-50; Textstellen ohne Bezugsangabe stammen aus der Klagepatentschrift, Anlage K 1).

Die erfindungsgemäße Anordnung der Zuführeinrichtung im Verhältnis zur Sichteinrichtung erfordert aber nicht, dass sich der Abgabepunkt der Zuführeinrichtung senkrecht oberhalb des Querschnitts der Trommel befindet. Eine solche Anweisung enthält der Klagepatentanspruch nicht. Es genügt vielmehr, dass die Materialmischung von der Zuführeinrichtung unmittelbar auf die Sichteinrichtung aufgebbar ist und dabei einen Bereich auf der oberen Hälfte auf der der Zuführeinrichtung zugewandten Seite trifft. Der Begriff „aufgebbar“ macht insofern deutlich, dass die Zuführeinrichtung derart zur Sichteinrichtung angeordnet sein muss, dass die Vorrichtung bei entsprechender Wahl der Materialmischung geeignet ist, die gesamte Materialmischung unmittelbar auf die Sichteinrichtung aufzugeben. Dies ist gegebenenfalls auch dann möglich, wenn die Materialmischung die Zuführeinrichtung mit einer entsprechenden Geschwindigkeit verlässt, durch die die Materialteile einen horizontalen Abstand zwischen dem Abgabepunkt der Zuführeinrichtung und dem äußersten Punkt der Sichteinrichtung überwinden können. Eine andere Auslegung des Klagepatentanspruchs ist auch nicht mit Blick auf die Figuren 2 und 3 geboten, die lediglich bevorzugte Ausführungsbeispiele wiedergeben und daher regelmäßig keine einschränkende Auslegung eines die Erfindung allgemein kennzeichnenden Patentanspruchs erlauben (BGH GRUR 2004, 1023 – bodenseitige Vereinzelungseinrichtung).

2.
Unstreitig verwirklicht die angegriffene Ausführungsform die Merkmale 1 bis 6 und die Merkmalsgruppe 8. Darüber hinaus ist die Materialmischung bei der angegriffenen Ausführungsform aber auch von der Zuführeinrichtung unmittelbar auf die Sichteinrichtung aufgebbar (Merkmal 7), wobei der Abgabepunkt der Zuführeinrichtung – bezogen auf die Sichttrommel – derart angeordnet ist, dass die Materialteile gegen die obere Hälfte der zur Zuführeinrichtung zugewandten Seite leitbar sind (Merkmal 9).

Schriftsätzlich hat die Klägerin zunächst erklärt, aus dem in der Anlage K 9 vorgelegten Bild 2 ergebe sich, dass der Abstand zwischen der sichtbaren oberen Hälfte des Außenmantels der Separiertrommel und dem Ende des Förderbandes „offensichtlich sehr klein“ und zudem in horizontaler und vertikaler Richtung einstellbar sei. Daraus hat sie den Schluss gezogen, dass die Materialmischung vom Abgabepunkt des vorderen Endes des Förderbandes zur Zuführvorrichtung parabelförmig unmittelbar auf den zugewandten Außenmantel der Separiertrommel geworfen werde. Diesen Vortrag hat die Klägerin auf Nachfrage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung weiter substantiiert. Der Klägervertreter hat erklärt, dass er die streitgegenständliche Anlage im Betrieb und außerhalb des Betriebs besichtigt habe. Dabei habe er sehen können, wie der Materialstrom vom – für sein Dafürhalten recht schnellen – Förderband auf die Separiertrommel der angegriffenen Ausführungsform geflogen sei. Ebenso habe er den Aufprall auch hören können. Zwar sei die Separiertrommel vom Förderband beabstandet gewesen. Die Separiertrommel hätte aber sogar noch näher an das Zuführband herangefahren werden können. Es sei erkennbar gewesen, dass der Aufprall des Mülls auf der Separiertrommel auch dazu diente, untereinander verkantete und verschlungene Teile zu trennen.

Die Beklagte hat diesen Vortrag der Klägerin nicht substantiiert bestritten. Der Einwand, die zur Akte gereichten Abbildungen gäben die Anlage perspektivisch verzerrt wieder, greift nicht durch, nachdem die Klägerin ihren Vortrag nicht mehr nur auf die Abbildungen, sondern auch auf eine eigene Besichtigung gestützt hat. Weiterhin hat die Beklagte vorgetragen, die Separiertrommel sei nicht beliebig einstellbar, weil andernfalls – wie aus der Abbildung 3 der Anlage K 9 ersichtlich – die Lagerungsplatten mit dem Motorgehäuse der Zuführeinrichtung kollidierten. Der horizontale Abstand der Achse der letzten Rolle des Förderbandes zum Außenumfang der Separiertrommel betrage minimal 370 mm, der vertikale Abstand der Oberfläche des Förderbandes zur Achse der Separiertrommel belaufe sich auf maximal 470 mm. Da diese Abstände unstreitig sind, kommt es nicht darauf an, ob die beanstandete Anlage zusätzlich Sicherungsstifte aufweist, die die Einstellbarkeit begrenzen. Allerdings schließt der Vortrag der Beklagte nicht aus, dass die Anlage geeignet ist, eine Materialmischung vom Förderband unmittelbar auf die Separiertrommel aufzugeben. Dies hat auch die Beklagte in der mündlichen Verhandlung auf Nachfrage des Gerichts nicht in Abrede gestellt. Vielmehr hat sie sich dahingehend eingelassen, dass bei der angegriffenen Vorrichtung beabsichtigt sei, die Schwerfraktion vor der Trommel nach unten fallen zu lassen. Die Verstellbarkeit der Anlage sei gegeben, damit Anpassungen an die Materialmischung vorgenommen werden können, insbesondere könne der Abstand zwischen dem Förderband und der Separiertrommel bei kleineren Teilen verringert werden. Würden bei einem Mindestabstand von 370 mm größere Materialteile aufgebracht, ergebe sich ein schlechteres Trennergebnis. Auf konkrete Nachfrage der Kammer hat die Beklagte aber erklärt, dass bei entsprechend großen Teilen die Materialmischung unmittelbar auf die Separiertrommel treffe. Dabei muss es sich – entgegen der Auffassung der Beklagten – nicht zwingend um Materialteile von über 370 mm handeln. Denn nach ihren eigenen Berechnungen verfehlen die Materialteile die Separiertrommel mit einem Abstand von nur 60 mm, so dass davon ausgegangen werden kann, dass bereits eine Materialmischung mit Materialteilen etwas größerer Ausdehnung unmittelbar auf die Separiertrommel trifft.

Nach diesem Vortrag ist die angegriffene Ausführungsform jedenfalls geeignet, so eingestellt zu werden, dass bei Wahl einer geeigneten Materialmischung sämtliche Materialteile unmittelbar auf die Separiertrommel aufgegeben werden können und dabei gegen die obere Hälfte der der Zuführeinrichtung zugewandten Seite geleitet werden können. Ob die Beklagte eine andere Verwendung der Maschine beabsichtigt, ist unbeachtlich. Denn eine Patentverletzung liegt bereits dann vor, wenn die Merkmale des Patentanspruchs verwirklicht sind und die angegriffene Ausführungsform objektiv geeignet ist, die patentgemäßen Eigenschaften und Wirkungen zu erreichen. Die Patentverletzung entfällt selbst dann nicht, wenn der Hersteller ausdrücklich eine andere Verwendung seiner Vorrichtung empfiehlt, solange die Nutzung der patentgemäßen Lehre möglich bleibt (BGH GRUR 2006, 399 – Rangierkatze).

Abgesehen davon kann aber auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Beklagte eine andere Funktionsweise der angegriffenen Anlage beabsichtigt. Denn die Beklagte weist in der zur angegriffenen Ausführungsform gehörigen Betriebsanleitung im Zusammenhang mit der Einstellung der Separiertrommel darauf hin, dass die Materialmischung auf die Separiertrommel geleitet wird (sofern nicht die Leichtfraktion unmittelbar wieder weggeblasen wird). Dort heißt es: „Die Leichtfraktion muss gerade auf oder aber über die Separiertrommel hinweg geblasen werden. Die Steinfraktion prallt auf die Separiertrommel und fällt dann nach unten.“ (zweiter Gliederungspunkt auf S. 4.2 Anlage K 12). Diese Textstelle ist sogar ein weiterer Hinweis darauf, dass die Anlage die Merkmale 7 und 9 verwirklicht. Die Beklagte hat zwar erklärt, die Textstelle sei fehlerhaft. Sie hat auf Nachfrage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung aber nicht in einem für ein substantiiertes Bestreiten erforderlichen Maß plausibel erklären können, wie ein solcher Fehler unterlaufen konnte, zumal nach ihrem Vortrag der Text von einem Techniker erstellt wurde, der die Funktionsweise der Anlage gekannt haben dürfte. Auch dem Einwand einer möglicherweise fehlerhaften Übersetzung kann ohne Vorlage der Originalbetriebsanleitung nicht gefolgt werden. Gegen die Annahme der Fehlerhaftigkeit spricht zudem, dass in der Betriebsanleitung weiterhin erklärt wird, dass die Separiertrommel – und nicht der Luftstrom – für die Trennung von schweren und leichten Teilen sorge (vgl. 1. Zeile auf S. 4.3 der Anlage K 12). Der Hinweis in der Betriebsanleitung, die Öffnung zwischen Vibrationstisch und Separier-Einheit müsse einen freien Durchgang für das fallende Material gewähren (erster Gliederungspunkt auf S. 4.3 Anlage K 12), schließt nicht aus, dass die Anlage jedenfalls geeignet ist, die Materialmischung unmittelbar auf die Separiertrommel aufzugeben. Abgesehen davon arbeitet die angegriffene Ausführungsform nicht mit einem Vibrationstisch, sondern mit einem Förderband.

III.
Da die angegriffene Ausführungsform sämtliche Merkmale des Klagepatentanspruchs verwirklicht, ergeben sich die nachstehenden Rechtsfolgen.

1. Die Beklagte ist der Klägerin gemäß Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 139 Abs. 1 PatG zur Unterlassung verpflichtet, da die Benutzung des Erfindungsgegenstands ohne Berechtigung erfolgte.

2. Weiterhin hat die Klägerin gegen die Beklagte dem Grunde nach einen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 139 Abs. 1 und 2 PatG, weil die Beklagte die Patentverletzung schuldhaft beging. Als Fachunternehmen hätte sie die Patentverletzung bei Anwendung der im Geschäftsverkehr erforderlichen Sorgfalt zumindest erkennen können, § 276 BGB. Es ist auch nicht unwahrscheinlich, dass der Klägerin als Inhaberin des Klagepatents durch die Patentverletzung ein Schaden entstanden ist. Das für die Zulässigkeit des Feststellungsantrags gemäß § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse ergibt sich daraus, dass die Klägerin derzeit nicht in der Lage ist, den konkreten Schaden zu beziffern und ohne eine rechtskräftige Feststellung der Schadensersatzpflicht die Verjährung von Schadensersatzansprüchen droht.

3. Der Klägerin steht gegen die Beklagte auch ein Anspruch auf Rechnungslegung und Auskunft aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ, § 140b Abs. 1 PatG, §§ 242, 259 BGB zu. Der Anspruch auf Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg der angegriffenen Ausführungsform ergibt sich aufgrund der unberechtigten Benutzung des Erfindungsgegenstands unmittelbar aus § 140b Abs. 1 PatG, der Umfang der Auskunftspflicht aus § 140b Abs. 3 PatG. Die weitergehende Auskunftspflicht und die Verpflichtung zur Rechnungslegung folgen aus §§ 242, 259 BGB, damit die Klägerin in die Lage versetzt wird, den ihr zustehenden Schadensersatzanspruch zu beziffern. Die Klägerin ist auf die tenorierten Angaben angewiesen, über die sie ohne eigenes Verschulden nicht verfügt, und die Beklagten werden durch die von ihnen verlangten Auskünfte nicht unzumutbar belastet.

Der Beklagten ist jedoch der tenorierte Wirtschaftsprüfervorbehalt zu gewähren. Auch wenn sich die Beklagte nicht ausdrücklich auf einen solchen Vorbehalt berufen hat, ist von Amts wegen über dessen Einräumung zu befinden (Kühnen/Geschke, Die Durchsetzung von Patenten in der Praxis, 4. Aufl.: Rn 784). Die Wettbewerbssituation der Parteien bringt es typischerweise mit sich, dass bei der Beklagten im vorliegenden Fall ein Bedürfnis für die Gewährung eines Wirtschaftsprüfervorbehalts besteht.

IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.

Streitwert: 250.000,00 EUR