I-2 U 21/16

Düsseldorfer Entscheidungsnummer: 2543

Oberlandesgericht Düsseldorf

Urteil vom 08. August 2016, Az. I-2 U 21/16


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF
Urteil

A.
Auf die Berufung wird das am 21.01.2016 verkündete Urteil der 4b Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf, Az. 4b O 115/14, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst.

I. Die Beklagten werden verurteilt,

1. es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,- €, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Falle mehrfacher Zuwiderhandlung bis zu insgesamt 2 Jahren, zu unterlassen,

a) Vorrichtungen, mit welchen ein Verfahren zum Vorbereiten von Glaszuschnitten für die weitere Handhabung, insbesondere für das Herstellen von Isolierglasscheiben, ausgeübt werden kann, wobei beide Kanten jedes Randes eines Glaszuschnittes zum Entfernen von Graten und dergleichen gleichzeitig mit Hilfe von Bearbeitungswerkzeugen mit je zwei Bandschleifern mit endlosen Schleifbändern bearbeitet werden, wobei sich die Ebenen, in welchen die an den Kanten der Ränder eines Glaszuschnittes angreifenden Trume der Schleifbänder laufen, im Bereich der Ebene eines Glaszuschnittes kreuzen, wobei alle Ränder eines Glaszuschnittes bearbeitet werden,

Abnehmern in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten und/oder an diese zu liefern,

wobei die Kanten einander gegenüberliegender Ränder, die in Bewegungsrichtung eines im Wesentlichen lotrecht ausgerichteten Glaszuschnittes, nämlich horizontal, verlaufen, bearbeitet werden, während der Glaszuschnitt relativ zu wenigstens einem an den horizontalen Rändern des Glaszuschnittes angreifenden Bearbeitungswerkzeug mit Bandschleifern bewegt wird, und wobei die quer zur Bewegungsrichtung eines Glaszuschnittes, nämlich lotrecht, verlaufenden Ränder des Glaszuschnittes bearbeitet werden, während der Glaszuschnitt stillsteht, indem wenigstens ein weiteres Bearbeitungswerkzeug mit Bandschleifern entlang der lotrechten Ränder des Glaszuschnittes bewegt wird;

b) Vorrichtungen zum Ausführen des Verfahrens zum Vorbereiten von Glaszuschnitten für die weitere Handhabung, insbesondere für das Herstellen von Isolierglasscheiben,

wobei beide Kanten jedes Randes eines Glaszuschnittes zum Entfernen von Graten und dergleichen gleichzeitig mit Hilfe von Bearbeitungswerkzeugen mit je zwei Bandschleifern mit endlosen Schleifbändern bearbeitet werden, wobei sich die Ebenen, in welchen die an den Kanten der Ränder eines Glaszuschnittes angreifenden Trume der Schleifbänder laufen, im Bereich der Ebene eines Glaszuschnittes kreuzen, wobei alle Ränder eines Glaszuschnittes bearbeitet werden, wobei die Kanten einander gegenüberliegender Ränder, die in Bewegungsrichtung eines im Wesentlichen lotrecht ausgerichteten Glaszuschnittes, nämlich horizontal, verlaufen, bearbeitet werden, während der Glaszuschnitt relativ zu wenigstens einem an den horizontalen Rändern des Glaszuschnittes angreifenden Bearbeitungswerkzeug mit Bandschleifern bewegt wird, und wobei die quer zur Bewegungsrichtung eines Glaszuschnittes, nämlich lotrecht, verlaufenden Ränder des Glaszuschnittes bearbeitet werden, während der Glaszuschnitt stillsteht, indem wenigstens ein weiteres Bearbeitungswerkzeug mit Bandschleifern entlang der lotrechten Ränder des Glaszuschnittes bewegt wird,

mit Bearbeitungswerkzeugen, die je ein Paar von Bandschleifern mit Schleifbändern aufweisen, wobei die an den Kanten der Ränder eines Glaszuschnittes angreifenden Trume der Schleifbänder der Bandschleifer mit der Ebene des zu bearbeitenden Glaszuschnittes spitze Winkel einschließen und in Ebenen verlaufen, die einander im Bereich des Randes eines Glaszuschnittes kreuzen,

in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen,

wobei wenigstens zwei Bearbeitungswerkzeuge mit je einem Paar von Bandschleifern vorgesehen sind, wobei ein Bearbeitungswerkzeug dem unteren, horizontalen Rand eines zu bearbeitenden Glaszuschnittes zugeordnet ist, wobei wenigstens ein zweites Bearbeitungswerkzeug im Maschinengestell auf und ab verschiebbar geführt ist, wobei das dem unteren horizontalen Rand des Glaszuschnittes zugeordnete Bearbeitungswerkzeug im Bereich einer Fördereinrichtung für einen zu bearbeitenden Glaszuschnitt angeordnet ist, wobei sich die am Rand des Glaszuschnittes angreifenden Trume der Schleifbänder dieses Bearbeitungswerkzeuges einander im Wesentlichen in der Höhe der Fördereinrichtung kreuzen, und wobei das im Maschinengestell auf und ab verschiebbar geführte Bearbeitungswerkzeug den lotrechten Rändern bzw. dem oberen horizontalen Rand des Glaszuschnittes zugeordnet ist;

2. ihr – der Klägerin – unter Vorlage eines einheitlichen geordneten Verzeichnisses vollständig darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die zu 1. bezeichneten Handlungen seit dem 09.07.1999 begangen haben, und zwar unter Angabe

a) der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer sowie der Einkaufspreise,

b) der einzelnen Lieferungen und Bestellungen, aufgeschlüsselt nach Typenbezeichnungen, Liefer- und Bestellmengen, -zeiten und -preisen sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer und der Verkaufsstellen, für welche die Erzeugnisse bestimmt waren,

c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Typenbezeichnungen, Angebotsmengen, -zeiten und -preisen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,

d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Herstellungs- und Verbreitungsauflage, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,

e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,

wobei

die Beklagten hinsichtlich der Angaben zu lit. a) und b) Rechnungen, ersatzweise Auftragsbelege, weiter ersatzweise Auftragsbestätigungen, weiter ersatzweise Liefer- und Zollpapiere, in Kopie vorzulegen haben, in denen geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunfts-pflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen,

die Angaben zu lit. e) nur für die Zeit seit dem 12.12.2003 und die Angaben zu lit. c) und d) in Bezug auf Handlungen gemäß Ziffer 1.a) nicht für die Zeit davor zu machen sind,

die Angaben zu den Einkaufspreisen sowie den Verkaufsstellen nur für die Zeit seit dem 30.04.2006 zu machen sind,

den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften ihrer nicht-gewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden, dieser gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten und in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten die durch dessen Einschaltung entstehenden Kosten übernehmen und ihn ermächtigen, der Klägerin auf Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter nicht-gewerblicher Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Rechnungslegung enthalten ist.

II.  Es wird festgestellt, dass die Beklagten

1. verpflichtet sind, an sie – die Klägerin – für die unter Ziffer I.1.b) bezeichneten, in der Zeit vom 09.07.1999 bis zum 11.12.2003 begangenen Handlungen eine angemessene Entschädigung zu zahlen;

2. als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr – der Klägerin – allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die unter Ziffer I.1. bezeichneten, seit dem 12.12.2003 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.

III. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

B.
Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits.

C.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten dürfen die Zwangsvollstreckung der Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 750.000,- € abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

D.
Die Revision wird nicht zugelassen.

E.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 750.000,– € festgesetzt.
G r ü n d e :

I.

Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des europäischen Patents 0 920 AAA, das am 1. September 1998 unter Inanspruchnahme einer österreichischen Priorität vom 2. Dezember 1997 in deutscher Verfahrenssprache angemeldet wurde. Die Anmeldung wurde am 9. Juni 1999 veröffentlicht, der Hinweis auf die Erteilung des Klagepatents am 12. November 2003 bekannt gemacht. Der deutsche Teil des Klagepatents steht in Kraft. Wegen seiner Verletzung nimmt die Klägerin die Beklagten auf Unterlassung, Auskunftserteilung sowie Feststellung der Schadensersatz- und Entschädigungspflicht in Anspruch.

Das Klagepatent betrifft ein Verfahren und eine Vorrichtung zum Säumen (= Abschleifen) der scharfen Kanten von Glaszuschnitten. Die von der Klägerin im Rechtsstreit geltend gemachten Patentansprüche 1 und 16 des Klagepatents lauten wie folgt:

„1.
Verfahren zum Vorbereiten von Glaszuschnitten für die weitere Handhabung, insbesondere für das Herstellen von Isolierglasscheiben, wobei beide Kanten jedes Randes eines Glaszuschnittes zum Entfernen von Graten u. dgl. gleichzeitig mit Hilfe von Bearbeitungswerkzeugen mit je zwei Bandschleifern mit endlosen Schleifbändern bearbeitet werden, wobei sich die Ebenen, in welchen die an den Kanten der Ränder eines Glaszuschnittes angreifenden Trume der Schleifbänder laufen, im Bereich der Ebene eines Glaszuschnittes kreuzen, alle Ränder eines Glaszuschnittes bearbeitet werden,

dadurch gekennzeichnet, dass

die Kanten einander gegenüberliegender Ränder, die in Bewegungsrichtung eines im wesentlichen lotrecht ausgerichteten Glaszuschnittes, nämlich horizontal, verlaufen, bearbeitet werden, während der Glaszuschnitt relativ zu wenigstens einem an den horizontalen Rändern des Glaszuschnittes angreifenden Bearbeitungswerkzeugen mit Bandschleifern bewegt wird, und dass die quer zur Bewegungsrichtung eines Glaszuschnittes, nämlich lotrecht, verlaufenden Ränder des Glaszuschnittes bearbeitet werden, während der Glaszuschnitt stillsteht, indem wenigstens ein weiteres Bearbeitungswerkzeug mit Bandschleifern entlang der lotrechten Ränder des Glaszuschnittes bewegt wird.“

„16.
Vorrichtung zum Ausführen des Verfahrens nach einem der Ansprüche 1 bis 15, mit Bearbeitungswerkzeugen (64, 71, 72), die je ein paar von Bandschleifern (10, 12) mit Schleifbändern (26) aufweisen, wobei die an den Kanten der Ränder eines Glaszuschnittes (3) angreifenden Trume der Schleifbänder (26) der Bandschleifer (10, 12) mit der Ebene des zu bearbeitenden Glaszuschnittes (3) spitze Winkel einschließen und in Ebenen verlaufen, die einander im Bereich des Randes eines Glaszuschnittes (3) kreuzen,

dadurch gekennzeichnet, dass

wenigstens zwei Bearbeitungswerkzeuge (64, 71, 72) mit je einem Paar von Bandschleifern (10, 12) vorgesehen sind, dass ein Bearbeitungswerkzeug (71) dem unteren, horizontalen Rand eines zu bearbeitenden Glaszuschnittes (3) zugeordnet ist, dass wenigstens ein zweites Bearbeitungswerkzeug (64, 72) im Maschinengestell (1) auf und ab verschiebbar geführt ist, dass das dem unteren horizontalen Rand des Glaszuschnittes (3) zugeordnete Bearbeitungswerkzeug (71) im Bereich einer Fördereinrichtung (4, 61) für einen zu bearbeitenden Glaszuschnitt (3) angeordnet ist, dass sich die am Rand des Glaszuschnittes (3) angreifenden Trume der Schleifbänder (26) dieses Bearbeitungswerkzeuges (71) einander im wesentlichen in der Höhe der Fördereinrichtung (4, 61) kreuzen, und dass das im Maschinengestell (1) auf und ab verschiebbar geführte Bearbeitungswerkzeug (64, 72) den lotrechten Rändern bzw. dem oberen horizontalen Rand des Glaszuschnittes (3) zugeordnet ist.“

Hinsichtlich der geltend gemachten Unteransprüche 13, 14, 22, 23, 26, 29, 31 und 36 wird auf die Klagepatentschrift (Anlage rop 1) Bezug genommen.

Die nachfolgenden Abbildungen (Figuren 1 und 3 der Klagepatentschrift) betreffen bevorzugte Ausführungsbeispiele der Erfindung. Figur 1 zeigt in Seitenansicht schematisch eine Vorrichtung zum Säumen von Glasscheiben, Figur 3 eine solche mit zwei Bearbeitungsstellen.
Die in Italien ansässige Beklagte zu 1) stellt dort Säummaschinen her. Sie wurden von ihr im Internet beworben, wie sich aus dem Ausschnitt der Startseite des Internetauftritts der Beklagten zu 1) unter www.B.com (Anlage rop 9) sowie einer auf der Startseite verlinkten Produktbeschreibung (Anlage rop 10), jeweils vom 22.10.2014, ergibt. Die Anlagen rop 7 und 8 zeigen, dass weitere Abbildungen der Säummaschine und ein weiterer in italienischer und englischer Sprache gehaltener Produktprospekt unter der Rubrik „Produktlösungen“ unter den Stichworten „Flachglas“ und weiter „Isolierglas“ auffindbar waren.

Die Beklagte zu 2) ist die deutsche Vertriebsgesellschaft der Beklagten zu 1), die im Internetauftritt der Beklagten zu 1) als Ansprechpartner für Verkauf und Unterstützung („sales“ und „support“) in Deutschland angegeben wird.

Die Klägerin hat erstinstanzlich vorgetragen, durch den Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform verletzten die Beklagten Anspruch 1 des Klagepatents mittelbar und Anspruch 16 unmittelbar. Der Glaszuschnitt stehe still, wenn das Bearbeitungswerkzeug der angegriffenen Ausführungsform die lotrechten Ränder des Glaszuschnitts bearbeite und sich auf und ab bewege. Auf einer Messe in Mailand hätten Mitarbeiter der Klägerin nicht feststellen können, dass eine Bewegung in horizontaler Richtung der angegriffenen Ausführungsform stattfinde. Letztlich komme es auf eine etwaige Bewegung in horizontaler Richtung aber nicht an, weil es bei wortsinngemäßer Auslegung des Klagepatentanspruchs nur auf eine Relativbewegung zwischen Schleifwerkzeug und Glasplatte ankomme. Jedenfalls sei der Begriff des „Stillstehens“ nicht absolut zu verstehen. Das Klagepatent schließe kaum wahrnehmbare Minimalbewegungen der Glasscheibe in horizontaler Richtung nicht aus.

Die Beklagten haben in der Vorinstanz geltend gemacht, dass der Begriff des „Stillstehens“ i.S.d. Klagepatents Abwesenheit von Bewegung bei der Säumung der lotrechten Kanten des Glaszuschnitts verlange. Damit sei eine horizontale Bewegung des Glaszuschnittes ausgeschlossen. Der Glaszuschnitt stehe bei der Bearbeitung der lotrechten Ränder durch die angegriffene Ausführungsform nicht still, sondern werde in horizontaler Richtung langsam bewegt, um nicht nach einem Stillstand die Haftreibung überwinden zu müssen. Die Geschwindigkeit des horizontalen Vortriebs sei einstellbar. In Abhängigkeit von der Höhe des Glaszuschnitts werde der horizontale Vortrieb so eingestellt, dass der Glaszuschnitt während der Bearbeitung der lotrechten Ränder etwa 15 mm vorwärts bewegt werde. Er könne nicht auf Null eingestellt werden. Weiterhin sei nicht substantiiert dargetan, dass bei der Bearbeitung der lotrechten Ränder beide Kanten gleichzeitig entgratet würden. Bezüglich der angegriffenen Ausführungsform verstehe sich dies nicht von selbst, weil jede Kante mit einem separat angetriebenen Werkzeug geschliffen werde.

Durch Urteil vom 21.01.2016 hat das Landgericht die Klage als unbegründet abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Anspruch 1 des Klagepatents verlange, dass der Glaszuschnitt stillstehe, wenn die lotrecht verlaufenden Ränder des Glaszuschnittes bearbeitet würden. Dies sei als Ausschluss einer horizontalen Bewegung des Glaszuschnittes zu verstehen. Das Klagepatent differenziere zwischen horizontalen Rändern, die bearbeitet würden, während der Glaszuschnitt bewegt werde, und lotrechten Rändern, während deren Bearbeitung der Glaszuschnitt stillstehe, was sich auf die Bewegung in horizontaler Richtung beziehe. Durch diesen Stillstand werde vermieden, dass die Bearbeitungswerkzeuge bei der Bearbeitung der lotrechten Ränder dem Glaszuschnitt in horizontaler Richtung nachgeführt werden müssten. Ungewollte Minimalbewegungen des Glaszuschnitts würden durch den Patentanspruch zugelassen, nicht jedoch Bewegungen, die technisch gewollt seien. Dies gelte auch für eine Vorrichtung nach Anspruch 16. Ausgehend hiervon verwirkliche die angegriffene Ausführungsform das Klagepatent nicht, da ein patentgemäßes „Stillstehen“ nicht feststellbar sei. Die Beklagte habe vorgetragen, dass der horizontale Vortrieb der Maschine nicht auf Null eingestellt werden könne, sondern diese so eingestellt werde, dass sich der Glaszuschnitt bei der Bearbeitung der lotrechten Ränder 15 mm vorwärts bewege. Hierdurch werde das Überwinden der Haftreibung beim erneuten Beschleunigen der Glasscheibe vermieden. Dem sei die Klägerin nicht weiter entgegengetreten. Eine äquivalente Patentverletzung scheide aus, da ein langsames Weiterbewegen des Glaszuschnittes jedenfalls kein gleichwertiges Mittel darstelle.

Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihr erstinstanzlich erfolglos gebliebenes Klagebegehren weiter. Sie trägt vor, dass bei der angegriffenen Ausführungsform beide Kanten der lotrechten Glasränder zur selben Zeit – und nicht hintereinander – entgratet würden. Außerdem hält die Klägerin daran fest, dass die angegriffene Ausführungsform bei der Bearbeitung der lotrechten Kanten im Sinne des Klagepatents „stillstehe“. Die Funktion des Stillstehens bestehe darin, ein Nachführen der Bearbeitungswerkzeuge bei der Bearbeitung der lotrechten Ränder zu vermeiden. Aus dem Vortrag der Beklagten ergebe sich, dass der Vortrieb so eingestellt werden könne, dass ein annähernd absoluter Stillstand erreicht werde. Die möglicherweise vorhandene geringe Vorwärtsbewegung der Glasplatten bei der angegriffenen Ausführungsform sei unschädlich, da diese durch die Flexibilität der Bandschleifer aufgefangen werden könne; hierzu seien die Schleifbänder hinreichend lang und flexibel. Die Haftreibung sei irrelevant, weil der Glaszuschnitt auf Rollen transportiert werde. Jedenfalls müsse von einer Patentverletzung mit äquivalenten Mitteln ausgegangen werden.

Die Klägerin beantragt,

sinngemäß wie erkannt, wobei für den Offenlegungszeitraum zusätzlich Rechnungslegungsangaben gemäß Ziffer I.2. lit. c) und d) des Urteilstenors verlangt werden.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagten verteidigen das angefochtene Urteil und treten den Ausführungen der Klägerin unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens entgegen, wobei sie geltend machen: Die angegriffene Ausführungsform weise für die Bearbeitungswerkzeuge der lotrechten Kanten zwei Motoren auf, die unabhängig voneinander seien. Als „Stillstand“ i.S.d. Klagepatents könne es nicht verstanden werden, wenn die Glasplatte horizontal bewegt und damit ein technischer Effekt erzielt werde. „Stillstand“ sei die in Worte gefasste Zahlenangabe „0“. Das Klagepatent benutze die beiden Begriffe „Stillstand“ und „Bewegung“ im Einklang mit dem fachmännischen Verständnis als zwei unterschiedliche Zustände, die sich gegenseitig ausschlössen. Der gleiche Vorgang (langsames Fahren) könne nicht einmal, nämlich bei Bearbeitung der lotrechten Kanten, als Stillstand angesehen werden und ein anderes Mal, und zwar bei der Bearbeitung der horizontalen Kanten, als Bewegung qualifiziert werden.

Der Glaszuschnitt werde während der gesamten Verfahrensführung horizontal vorwärts bewegt, wobei lediglich die Geschwindigkeit variiere. Der Bewegungsablauf sei wie folgt: Schnell (Einfahrt) – langsam (Bearbeitung des vorderen vertikalen Randes) – schnell (Bearbeitung des oberen und unteren horizontalen Randes) – langsam (Bearbeitung des hinteren vertikalen Randes) – schnell (Ausfahrt). Die fortlaufende Bewegung habe technisch relevante Effekte, da sie die Haftreibung aufhebe. Deshalb verwirkliche die angegriffene Ausführungsform eine zum Klagepatent unterschiedliche technische Lösung, die sich in den Voraussetzungen und den Wirkungen von einem patentgemäßen Stillstand unterscheide.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten nebst Anlagen Bezug genommen.
II.

Die zulässige Berufung ist weitestgehend (nämlich abgesehen von einem geringen Teil des Rechnungslegungsanspruchs) begründet. Zu Unrecht hat das Landgericht eine Verletzung des Klagepatents abgelehnt. Die angegriffene Ausführungsform verwirklicht die technische Lehre des Klagepatents wortsinngemäß, nämlich den Verfahrensanspruch 1 mittelbar und den Vorrichtungsanspruch 16 unmittelbar patentverletzend.

1.
Das Klagepatent betrifft ein Verfahren sowie eine Vorrichtung zum Säumen, also zum Abschleifen der scharfen Kanten von Glaszuschnitten. Solche Glastafeln werden durch Ritzen und Brechen auf die gewünschte Größe zugeschnitten. Die so erhaltenen Glasscheiben besitzen scharfkantige, Grate aufweisende Ränder. Dies ist beim Herstellen von Glasscheiben nachteilig, da die Ränder der Glasscheiben ausbrechen können. Auch besteht Verletzungsgefahr. Zudem unterliegen die an den Rändern der Glasscheiben angreifenden Transportmittel durch unbearbeitete Ränder von Glasscheiben einem starken Verschleiß. Das Klagepatent formuliert es angesichts dieses Standes der Technik als Aufgabe, ein Verfahren und eine Vorrichtung zum Besäumen der Ränder von Glasscheiben zur Verfügung zu stellen, mit welchem Glasscheiben so bearbeitet werden können, dass ihre Ränder nicht mehr scharfkantig sind, insbesondere keine Grate aufweisen.

Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Klagepatent in seinem Anspruch 1 ein Verfahren mit folgenden Merkmalen vor:

1. Verfahren zum Vorbereiten von Glaszuschnitten für die weitere Handhabung.

2. Bei dem Verfahren werden alle Ränder eines Glaszuschnittes bearbeitet.

3. Beide Kanten jeden Randes eines Glaszuschnittes werden zum Entfernen von Graten u.dgl. gleichzeitig bearbeitet, und zwar

a) mit Hilfe von Bearbeitungswerkzeugen,

b) die mit je zwei Bandschleifern mit endlosen Schleifbändern ausgestattet sind.

c) Die Ebenen, in denen die an den Kanten der Ränder eines Glaszuschnitts angreifenden Trume der Schleifbänder laufen, kreuzen sich im Bereich der Ebene eines Glaszuschnittes.

4. Der Glaszuschnitt ist im Wesentlichen lotrecht ausgerichtet.

5. Die Bewegungsrichtung des Glaszuschnitts erfolgt horizontal.

6. Die einander gegenüberliegenden, horizontal verlaufenden Kanten des Glaszuschnitts werden bearbeitet,

a) während der Glaszuschnitt bewegt wird.

b) Die Bewegung des Glaszuschnitts erfolgt relativ zu wenigstens einem Bearbeitungswerkzeug mit Bandschleifern, das an den horizontalen Rändern des Glaszuschnitts angreift.

7. Die lotrecht (quer zur Bewegungsrichtung eines Glaszuschnitts) verlaufenden Ränder des Glaszuschnitts werden bearbeitet,

a) während der Glaszuschnitt stillsteht,

b) indem wenigstens ein weiteres Bearbeitungswerkzeug mit Bandschleifern entlang der lotrechten Ränder des Glaszuschnittes bewegt wird.

Anspruch 16 lässt sich folgendermaßen gliedern:

1. Vorrichtung zum Ausführen des Verfahrens nach einem der Ansprüche 1 bis 15 mit Bearbeitungswerkzeugen (64, 71, 72).

2. Die Bearbeitungswerkzeuge (64, 71, 72) weisen je ein Paar von Bandschleifern (10, 12) mit Schleifbändern (26) auf.

3. Die an den Kanten der Ränder eines Glaszuschnittes (3) angreifenden Trume der Schleifbänder (26) der Bandschleifer (10, 12) schließen mit der Ebene des zu bearbeitenden Glaszuschnittes (3) spitze Winkel ein und verlaufen in Ebenen, die einander im Bereich des Randes eines Glaszuschnittes (3) kreuzen.

4. Es sind wenigstens zwei Bearbeitungswerkzeuge (64, 71, 72) mit je einem Paar von Bandschleifern (10, 12) vorgesehen.

5. Ein Bearbeitungswerkzeug (71) ist dem unteren, horizontalen Rand eines zu bearbeitenden Glaszuschnittes (3) zugeordnet.

a) Dieses Bearbeitungswerkzeug (71) ist im Bereich einer Fördereinrichtung (4, 61) für einen zu bearbeitenden Glaszuschnitt (3) angeordnet.

b) Die am Rand des Glaszuschnittes (3) angreifenden Trume der Schleifbänder (26) dieses Bearbeitungswerkzeuges (71) kreuzen sich einander im Wesentlichen in der Höhe der Fördereinrichtung (4, 61).

6. Wenigstens ein zweites Bearbeitungswerkzeug (64, 72) ist

a) im Maschinengestell (1) auf und ab verschiebbar geführt;

b) den lotrechten Rändern bzw. dem oberen horizontalen Rand des Glaszuschnittes (3) zugeordnet.

2.
Ausgangspunkt für die Bestimmung des Schutzbereichs der klagepatentgemäßen Erfindung ist die dem Fachmann – als solcher ist ein Ingenieur mit Fachhochschul- oder Hochschulabschluss anzusehen, der sich auf die Bearbeitung von Glas spezialisiert und auf diesem Gebiet mehrjährige Erfahrung aufzuweisen hat – bekannte Tatsache, dass eine Besäumung von Glaszuschnitten erfolgen kann, indem entweder das Bearbeitungswerkzeug über die jeweiligen Ränder der Glaszuschnitte oder – umgekehrt – der Glaszuschnitt mit seinen Kanten an dem Bearbeitungswerkzeug entlang bewegt wird. Der Fachmann entnimmt dem Klagepatent weiter, dass die Besäumung im Zuge einer horizontalen Vorwärtsbewegung der zu bearbeitenden Glasscheiben erfolgt. Auf diese Weise kann der Glaszuschnitt transportiert werden, wobei er für verschiedene Bearbeitungsstationen in horizontaler Richtung befördert wird (vgl. z.B. Abs. [0013], [0022], [0029] sowie Figur 3 der Klagepatentschrift). Dies ermöglicht hohe Taktzahlen und damit eine effiziente Produktion (vgl. z.B. Abs. [0013] der Klagepatentschrift). Während dieser Förderbewegung ist die Glasscheibe im Wesentlichen lotrecht ausgerichtet. Dies hat den Vorteil, dass das erfindungsgemäße Verfahren problemlos in Anlagen zum Herstellen von Isolierglasscheiben, die praktisch ausschließlich mit lotrecht ausgerichteten Glasscheiben arbeiten, integriert werden kann. Ein Umkippen der Glasscheiben ist damit nicht erforderlich (Abs. [0015]).

Der Fachmann erkennt, dass es vorteilhaft ist, wenn das Besäumungsverfahren in den nach vorne gerichteten Beförderungsvorgang des Glaszuschnitts integriert wird, wobei sowohl dessen horizontale als auch dessen lotrechte Ränder behandelt werden müssen. Hierzu wird im Klagepatent verfahrenstechnisch zwischen der Bearbeitung der horizontalen (Merkmalsgruppe 6 des Anspruchs 1) und der lotrechten Ränder (Merkmalsgruppe 7 des Anspruchs 1) der Glasscheibe unterschieden. Merkmalsgruppe 6 gibt an, dass die Bearbeitung der horizontalen Ränder der Glasscheibe mittels der Bearbeitungswerkzeuge erfolgt, während der Glaszuschnitte horizontal vorwärts bewegt wird (Merkmal 6a), so dass die Glasscheibe mit ihren horizontalen Rändern an dem Bearbeitungswerkzeug vorbeigeführt wird. Der Vortrieb der zu bearbeitenden Glasscheibe ermöglicht es, dass das Bearbeitungswerkzeug seinerseits nicht bewegt werden muss. Demgegenüber befasst sich das Klagepatent mit der Bearbeitung der lotrechten Glasränder in der Merkmalsgruppe 7. Deren Bearbeitung erfolgt, während der Glaszuschnitt stillsteht (Merkmal 7a). Anders als bei der Bearbeitung der horizontalen Ränder wird zum Entgraten mithin nicht die sich bewegende Glasscheibe an dem Bearbeitungswerkzeug vorbeigeführt, sondern – andersherum – das Bearbeitungswerkzeug an der stillstehenden Glasscheibe entlang bewegt (Merkmal 7b).

3.
Zu Unrecht hat das Landgericht den Begriff des „Stillstehens“ des Glaszuschnitts i.S.v. Merkmal 7a des Anspruchs 1 dahin ausgelegt, dass mit Stillstand der Ausschluss jeglicher horizontaler Bewegung des Glaszuschnitts gemeint ist (LGU S. 14). Richtigerweise ist eine wortsinngemäße Patentverletzung ungeachtet der von den Beklagten behaupteten langsamen Vorwärtsbewegung der Glasplatte während der Bearbeitung der lotrechten Glasränder gegeben. Das ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

Für die Verfahrensführung gibt Patentanspruch 1 dem Fachmann zwei grundlegende Vorgaben. Die erste besteht darin, dass der zu entgratende Glaszuschnitt im Wesentlichen lotrecht ausgerichtet ist (Merkmal 4); die zweite Anweisung geht dahin, dass sich der Glaszuschnitt horizontal bewegt (Merkmal 5). Dem Fachmann ist des Weiteren einsichtig, dass jeder aufrecht stehende Glaszuschnitt 4 Ränder besitzt (2 horizontale und 2 vertikale Ränder), wobei jeder Rand wiederum 2 zu entgratende Kanten aufweist.

Was die horizontalen Glasränder angeht, gibt Patentanspruch 1 vor, dass deren Entgratung erfolgt, während der Glaszuschnitt horizontal vorwärts bewegt wird (Merkmal 6). Dem Fachmann ist hierbei einsichtig, dass die geforderte Bewegung der Glasplatte im Interesse einer effizienten Verfahrensführung zügig zu erfolgen hat. Die für die Entgratung vorgesehenen Bandschleifer können stationär angeordnet sein, weil für den Entgratungseingriff die horizontale Vorwärtsbewegung der Glasplatte, an der die Schleifbänder angreifen, ausgenutzt wird. Das hat mehrfache Vorteile. Zunächst sind stationäre Bandschleifer vorrichtungstechnisch einfach und deswegen kostengünstig. Des Weiteren ist die Verfahrensführung ausgesprochen effizient, weil die Zuführung des Glaszuschnitts zu der nächsten Bearbeitungsstation für die Entgratung der horizontalen Glasränder ausgenutzt wird. Anders gewendet bedeutet dies: Nach erfolgter Entgratung der horizontalen Glasränder befindet sich die Glasplatte in günstiger Position vor der nächsten Bearbeitungsstation und muss nicht erst im Anschluss gesondert dorthin transportiert werden.

Soweit es um die lotrechten, d.h. quer zur Bewegungsrichtung orientierten Glasränder geht, sieht Patentanspruch 1 deren Entgratung bei Stillstand des Glaszuschnitts vor (Merkmal 7a). Der Begriff „Stillstand“ bezieht sich dabei auf die grundsätzliche horizontale Vorwärtsbewegung des Glaszuschnitts während der Verfahrensführung. Ein horizontaler Stillstand ist wegen der für die Entgratung vorgesehenen Bearbeitungswerkzeuge notwendig. Sie bestehen nämlich aus Bandschleifern, die sich entlang der lotrechten Ränder des Glaszuschnitts bewegen (Merkmal 7b). In Anbetracht dieser Art von Entgratungseingriff ist dem Fachmann einsichtig, dass die für die lotrechten Ränder zuständigen Bandschleifer sich mit einer horizontalen Förderbewegung des Glaszuschnittes nicht vertragen, jedenfalls dann nicht, wenn auch die Bandschleifer – verfahrenstechnisch einfach und günstig – stationär angeordnet werden. Derjenige Bandschleifer, der die in Vorwärtsrichtung vordere lotrechte Kante zu entgraten hat, würde bei einer stationären Anordnung einer horizontal weiter geförderten Glasplatte regelrecht im Wege stehen und ggf. zerstört werden; derjenige Bandschleifer, der die hintere lotrechte Kante zu bearbeiten hat, würde im Falle einer Weiterförderung der Glasplatte alsbald den Kontakt zu dem zu entgratenden Rand verlieren. Eine Entgratung der lotrechten Ränder bei vorwärts beförderter Glasplatte wäre nur dann möglich, wenn sich auch die Bandschleifer in geeigneter Weise mit der Glasplatte weiter bewegen könnten. Dies verlangt nicht nur eine prinzipiell mobile Ausgestaltung der betreffenden Bandschleifer (was schon für sich genommen einen gewissen konstruktiven Aufwand mit sich bringt), sondern setzt darüber hinaus voraus, dass die Förderbewegung des im Einsatz befindlichen Bandschleifers mit der Vorwärtsbewegung der Glasplatte in dem Sinne abgestimmt und gekoppelt wird, dass ein für die Entgratung notwendiger Kontakt zwischen beiden erhalten bleibt. Angesichts dieses Zusammenhangs versteht der Durchschnittsfachmann, dass der geforderte horizontale Stillstand der Glasplatte während der Entgratung ihrer lotrechten Ränder dazu dient, mobile (d.h. sich mit der Glasplatte vorwärtsbewegende) Bandschleifer zu erübrigen und stattdessen den Einsatz stationärer Bearbeitungswerkzeuge zu ermöglichen. Damit ist zugleich der technische Sinn des geforderten horizontalen „Stillstands“ der Glasplatte umrissen. Gemeint ist der Verzicht auf eine Vorwärtsbewegung, die mit der Verwendung stationärer Bearbeitungswerkzeuge für die lotrechten Glasränder unvereinbar ist. Eine minimale Vorwärtsbewegung schadet diesbezüglich nicht, wenn und soweit der Vortrieb durch die Elastizität der Bandschleifer aufgefangen werden kann, wie dies die nachfolgend eingeblendete Prinzipskizze der Beklagten (GA 71) verdeutlicht.
Zwar hat eine horizontale Förderbewegung der Glasplatte gegen den Bandschleifer oder von ihm weg zur Folge, dass die Entgratung der lotrechten Glasränder, entlang der sich der Bandschleifer bewegt, mit unterschiedlichem Druck erfolgt. Nimmt man den vorderen lotrechten Glasrand in den Blick, so ist im Falle einer horizontal geförderten Glasplatte der Anpressdruck des Bandschleifers dort, wo er seine Entgratungsarbeit beginnt, am geringsten und steigt danach wegen der Förderbewegung der Glasplatte gegen den Bandschleifer kontinuierlich an, bis er am anderen lotrechten Ende des Glasrandes seinen Höchstwert erreicht. Für einen den hinteren lotrechten Glasrand bearbeitenden Bandschleifer gilt dasselbe in umgekehrter Richtung. Der Fachmann misst dem jedoch keine Bedeutung bei. Anders als beim Abschleifen der Kanten einer Holzplatte beeinträchtigt ein variierender Schleifdruck das Arbeitsergebnis an einer spröden Glasplatte nicht, weil es bei ihr lediglich darum geht, durch den Schleifkontakt Grate (scharfkantige Glasspäne) von der Glaskante abzuheben. Etwas Gegenteiliges haben auch die Parteien im Rahmen ihrer Erörterungen im Verhandlungstermin vom 21.07.2016 nicht geltend gemacht, in dem der Senat den unterschiedlichen Schleifdruck und dessen Relevanz für das patentgemäße Verfahren ausdrücklich angesprochen hat.

Dem gewonnenen Auslegungsergebnis lässt sich – anders als die Beklagten meinen – auch nicht entgegenhalten, dass das Klagepatent sich nicht näher zu der für die Bearbeitung der horizontalen Glasränder vorgesehenen Fördergeschwindigkeit verhält, so dass auch eine äußerst langsame Vortriebsgeschwindigkeit eine patentgemäße Bewegung sei und in ihr deswegen kein Stillstand der Glasplatte gesehen werden könne. Richtig daran ist, dass das Klagepatent keine Mindestgeschwindigkeit für die Förderbewegung während der horizontalen Kantenbearbeitung vorgibt. Eine Ausführungsform, bei der sich die Vortriebsbewegung langsam vollzieht, unterfällt aus diesem Grunde dem Verfahrensanspruch des Klagepatents, sofern die Bearbeitung der lotrechten Ränder bei einer demgegenüber so deutlich verringerten Förderbewegung erfolgt, dass sie im Vergleich mit ihr als Stillstand erscheint. Kein Schutzbereichseingriff läge hingegen vor, wenn die Glasplatte – was technisch möglich sein mag – während der gesamten Kantenbearbeitung mit praktisch derselben langsamen Geschwindigkeit vorwärts bewegt wird. Übertragen auf den Fall, dass die Glasscheibe – was der Fachmann zur Erzielung einer vernünftigen Verfahrenseffizienz für allein sinnvoll und geboten halten wird – zur horizontalen Kantenbearbeitung zügig vorwärts bewegt und zur Entgratung der lotrechten Ränder mit deutlich reduzierter Geschwindigkeit befördert wird, bedeutet dies, dass wegen des vorhandenen Geschwindigkeitsgefälles auch hier in Relation zu der gegebenen hohen Geschwindigkeit bei der horizontalen Kantenbearbeitung eine Entgratung bei stillstehender Glasplatte erfolgt. Jede andere Sicht ginge an den technischen Zusammenhängen vorbei und liefe auf eine unzulässige, weil bloße philologische Interpretation der Anspruchsmerkmale hinaus.

4.
Die Ausführungen zum Klagepatentanspruch 1 gelten sinngemäß auch für Patentanspruch 16. Die mit ihm geschützte Vorrichtung muss geeignet sein, ein Verfahren im Sinne von Patentanspruch 1 durchzuführen (Merkmal 1 des Anspruchs 16).

5.
Die angegriffene Ausführungsform entspricht der technischen Lehre des Klagepatents in wortsinngemäßer Weise. Sie ist geeignet, ein Verfahren nach Anspruch 1 des Klagepatents durchzuführen; ebenfalls verwirklicht die Vorrichtung sämtliche Vorrichtungsmerkmale von Anspruch 16.

a)
Die Beklagten machen von Merkmal 3 des Verfahrensanspruchs 1 Gebrauch. Beide Kanten jeden Randes eines Glaszuschnittes werden bei der angegriffenen Ausführungsform zum Entfernen von Graten gleichzeitig bearbeitet. Die Beklagten haben die Behauptung der Klägerin nicht bestritten, dass beide Kanten der lotrechten Glasränder zur selben Zeit – und nicht hintereinander – entgratet werden. Das Vorhandensein eigener Antriebe für jedes der beiden für die Bearbeitung der lotrechten Kanten verantwortlichen Schleifbänder besagt insoweit nichts, weil die Antriebe so betätigt und gesteuert werden können, dass eine praktisch gleichzeitige Kantenbearbeitung stattfindet. Dass sie nicht erfolgt, sondern die beiden Kanten eines lotrechten Glasrandes hintereinander oder mit einem irgendwie nennenswerten zeitlichen Versatz entgratet werden, behaupten die Beklagten auch nach Rückfrage in der mündlichen Verhandlung nicht. Daher ist die gleichzeitige Bearbeitung beider Kanten als unstreitig zu behandeln.

b)
Die Bearbeitung der lotrechten Seiten der Glaszuschnitte im Rahmen des streitbefangenen Verfahrensanspruchs 1 erfolgt, während der Glaszuschnitt „stillsteht“.

aa)
Die anderweitige Feststellung des Landgerichts ist schon verfahrensfehlerhaft zustande gekommen, weil das Landgericht von einer Vernehmung der klägerseits benannten Zeugen zur Feststellung einer Bewegung der Glasplatten bei der Bearbeitung der lotrechten Ränder nicht hätte abgesehen dürfen. Eine weitere klägerseitige Konkretisierung als diejenige, dass sich die Glasplatte während der Bearbeitung der lotrechten Ränder horizontal nicht weiterbewegt hat, war für die Klägerin weder möglich noch geboten; insbesondere war es nicht Sache der Klägerin, die konstruktiven Gründe dafür zu erforschen und vorzutragen, dass die von ihren Mitarbeitern besichtigte Maschine der Beklagten in der behaupteten Weise funktioniert hat. Die Klägerin hat für ihre Beobachtungen Beobachtung Zeugenbeweis angeboten, wobei eine Nachfrage in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ergeben hat, dass der Beweisantritt selbstverständlich so zu verstehen war, dass Beweis für das Fehlen einer Vorwärtsbewegung (und nicht nur für eine subjektive Einschätzung der Zeugen) erbracht werden soll. Ohne konkrete Nachfrage bei den Beklagten musste das Landgericht weiterhin in Rechnung stellen, dass die auf der Messe in Italien präsentierte und von den Zeugen der Klägerin in Augenschein genommene Anlage konstruktiv derjenigen entspricht, die in Deutschland angeboten wird. Gegenteiliges ist von den Beklagten schriftsätzlich nicht vorgetragen worden; eine Nachfrage des Senats im Verhandlungstermin hat vielmehr bestätigt, dass die für Deutschland und für Italien vorgesehenen Maschinen in ihrer für den Rechtsstreit relevanten Ausstattung identisch sind. Wenn es daher merkmalsrelevante Unterschiede nicht gibt, ist das Ausstellungsstück in Italien, obwohl es für sich genommen natürlich keine inländische Verletzungshandlung repräsentiert, ein brauchbares Beweismittel zur Aufklärung der technischen Ausgestaltung der im Rechtsstreit angegriffenen Ausführungsform. Von einer Zeugenvernehmung durfte auch nicht deshalb abgesehen werden, weil das Erkennen einer Horizontalbewegung während der Bearbeitung der lotrechten Kanten möglicherweise nicht ganz einfach war. Abgesehen davon, dass die Beklagten selbst es für möglich halten, eine Horizontalbewegung zu erkennen (GA 54), bringt erst das Ergebnis einer durchgeführten Beweisaufnahme die notwendigen Erkenntnisse. Alles andere ist eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung.

bb)
Letztlich kommt es auf den Verfahrensfehler des Landgerichts nicht an. Wie vorstehend dargelegt, ist Merkmal 7a von Patentanspruch 1 auch bei Vorhandensein einer minimalen Vorwärtsbewegung verwirklicht, die stationäre Bearbeitungswerkzeuge für die lotrechten Glasränder zulässt. Die von der Beklagten unwidersprochen vorgetragene maximale Geschwindigkeit von 15 mm ist als eine solche Minimalbewegung anzusehen, die ausgeführt werden kann, ohne dass eine konstruktiv aufwändige Verschiebung der Position der Bandschleifer erforderlich wäre. Wie die Klägerin im Termin unwidersprochen vorgetragen hat, ist die Flexibilität der Bandschleifer in der Lage, einen solchen Vortrieb aufzufangen, ohne dass ein Nachführen der Bandschleifer erforderlich wäre. Das alles gilt selbstverständlich erst recht, wenn die Vortriebsgeschwindigkeit auf einen Wert am unteren Ende der zur Verfügung stehenden Skala, d.h. nahe null, eingestellt wird, was nach den unwiderlegten Angaben der Klägerin möglich ist.

c)
Die übrigen Merkmale der Patentansprüche 1 und 16 sind unstreitig verwirklicht, weswegen sich hierzu nähere Ausführungen erübrigen.

6.
In rechtlicher Hinsicht ergibt sich somit, dass die angegriffene Ausführungsform, weil sie das patentgemäße Verfahren durchführen kann, Patentanspruch 1 mittelbar verletzt (§ 10 PatG). Die subjektiven Anforderungen (Bestimmung des Abnehmers für den patentgemäßen Einsatz) ergeben sich daraus, dass die angegriffene Ausführungsform technisch und wirtschaftlich sinnvoll überhaupt nur nach Maßgabe des Klagepatents – und nicht patentfrei – eingesetzt werden kann. Gleichzeitig erfüllt die angegriffene Ausführungsform die Merkmale nach Vorrichtungsanspruchs 16.

7.
Die zuerkannten Rechtsfolgen ergeben sich aufgrund dessen wie folgt:

a)
Da die Beklagten das Klagepatent widerrechtlich benutzt haben, sind sie der Klägerin zur Unterlassung verpflichtet. Soweit die mittelbare Benutzung des Verfahrensanspruchs 1 in Rede steht, ist ein Schlechthinverbot auszusprechen, weil es für die angegriffene Ausführungsform keine patentfreie, sondern ausschließlich eine patentverletzende Verwendungsmöglichkeit gibt (§ 139 Abs. 1 PatG).

b)
Gemäß § 140b PatG schulden die Beklagten der Klägerin außerdem Auskunft über die Herkunft und den weiteren Vertriebsweg der patentverletzenden Vorrichtung, so dass die Klägerin in die Lage versetzt wird, etwaige weitere Patentverletzer zu ermitteln und gegen sie vorzugehen. Im Rahmen der gesetzlichen Auskunftspflicht haben die Beklagten zum Nachweis ihrer Angaben die entsprechenden Belege in Kopie vorzulegen, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten von ihnen geschwärzt werden können.

c)
Für den Offenlegungszeitraum (zuzüglich eines Karenzmonats) haften die Beklagten, soweit eine unmittelbare Benutzung des Vorrichtungsanspruchs 16 im Raum steht, außerdem Anspruch auf eine angemessene Entschädigung (Art. II § 1 Abs. 2 IntPatÜG). Weil die Benutzung des Klagepatents vor Veröffentlichung der Patenterteilung ein rechtmäßiges Verhalten darstellt, so dass die §§ 830, 840 BGB nicht einschlägig sind, besteht allerdings keine Gesamtschuldnerschaft. Soweit sich die Beklagten eine mittelbare Patentverletzung haben zuschulden kommen lassen, besteht ein Entschädigungsanspruch nicht (BGH, GRUR 2004, 845 – Drehzahlermittlung).

Für Benutzungshandlungen der Beklagten, die sich nach Veröffentlichung der Patenterteilung (zuzüglich eines Karenzmonats) ereignet haben, haften die Beklagten der Klägerin als Gesamtschuldner (§§ 830, 840 BGB) auf Schadenersatz (§ 139 Abs. 2 PatG).

Da die Klägerin mangels näherer Kenntnis über den Umfang der vorgefallenen Benutzungs- und Verletzungshandlungen außer Stande ist, ihren Entschädigungs- und Schadenersatzanspruch zu beziffern, besteht ein rechtliches Interesse der Klägerin daran, die Haftung der Beklagten zunächst dem Grunde nach gerichtlich feststellen zu lassen (§ 256 Abs. 1 ZPO).

d)
Damit die Klägerin ihren Anspruch auf Entschädigung und Schadenersatz beziffert verfolgen kann, haben die Beklagten ihr im zuerkannten Umfang Rechnung über die von ihnen begangenen Benutzungs- und Verletzungshandlungen zu legen (§§ 242, 259 BGB). Ein dahingehender Anspruch besteht lediglich für den Entschädigungszeitraum nicht, soweit eine mittelbare Benutzung des Verfahrensanspruchs 1 in Rede steht. Da der Klägerin – wie dargelegt – insoweit ein Anspruch auf Entschädigung nicht zusteht, bedarf sie auch keiner vorbereitenden Rechnungslegung.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 ZPO.

Die Anordnungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeben sich aus den §§ 708 Nr. 10, 711, 108 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen. Es handelt sich um eine reine Einzelfallentscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung, mit der der Bundesgerichtshof auch nicht im Interesse einer Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung befasst werden muss (§ 543 Abs. 2 ZPO).