4b O 11/09 – Scheibenbremse III

Düsseldorfer Entscheidung Nr.: 1550

Landgericht Düsseldorf
Urteil vom 19. Oktober 2010, Az. 4b O 11/09

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

III. Das Urteil ist für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar. Die Sicherheit kann auch durch die unbedingte Bürgschaft einer im Gebiet der Europäischen Union ansässigen, als Zoll- und Steuerbürgin zugelassenen Bank oder Sparkasse erbracht werden.

T a t b e s t a n d

Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des europäischen Patentes 0 824 XXX (Anlage K I1, nachfolgend Klagepatent), welches am 1. Februar 1996 unter Inanspruchnahme der Priorität der DE 195 XXX 63 vom 27. April 1995 angemeldet wurde. Die Veröffentlichung der Anmeldung erfolgte am 25. Februar 1998, diejenige der Patenterteilung am 28. Juli 1999. Das Klagepatent, dessen Verfahrenssprache Deutsch ist, steht in Kraft. Gegen die Erteilung des Klagepatentes wurde von dritter Seite Einspruch eingelegt. In der Einspruchsentscheidung des Europäischen Patentamtes vom 7. November 2001 wurde das Klagepatent eingeschränkt aufrechterhalten.

Das Klagepatent betrifft eine Scheibenbremse für Fahrzeuge, insbesondere Straßenfahrzeuge. Der für den vorliegenden Rechtsstreit maßgebliche Patentanspruch 1 hat folgenden Wortlaut:

„Scheibenbremse für Fahrzeuge, insbesondere Straßenfahrzeuge, mit einem eine Bremsscheibe (3) umfassenden Bremssattel (1), in dessen rückwärtigem, bremsscheibenabgewandten und weitgehend geschlossenem Bereich eine Zuspanneinheit (13) angeordnet ist, wobei die Zuspanneinheit (13) mit einem von einem Betätigungszylinder schwenkbaren Drehhebel (15) versehen ist und der Drehhebel (15) mittels eines Exzenters auf eine gegen Federkraft in Richtung Bremsscheibe (3) verschiebbare, wenigstens eine mit einem Druckstück (35; 37) versehene Stellspindel (33) aufweisende Brücke einzuwirken vermag, gekennzeichnet durch folgende Merkmale:

a) der Bremssattel ist einteilig ausgebildet

b) die Zuspanneinheit (13) ist als vormontierte Einheit ausgebildet; und

c) die der Bremsscheibe (3) zugewandte Öffnung im Bremssattel (1) ist so groß bemessen, dass die vormontierte Zuspanneinheit (13) bei von der Bremsscheibe (3) abgenommenem Bremssattel (1) durch die Öffnung einführbar ist.“

Nachfolgend wiedergegeben sind die Figuren 1 und 3 der Klagepatentschrift, welche erfindungsgemäße Ausführungen zeigen und der Erläuterung der Erfindung dienen. Figur 1 ist eine Längsschnittansicht einer Scheibenbremse unter Darstellung eines einteiligen Bremssattels mit im Bremssattel vormontiert eingefügter Zuspanneinheit und Figur 3 eine teilweise geschnittene Unteransicht der vormontierten Zuspanneinheit.

Die Beklagte ist ein weltweit führender Hersteller von Achsen für Nutzfahrzeuge, Busse und Anhänger. Bis vor kurzem bezog die Beklagte pneumatisch betätigte Scheibenbremsen von der Klägerin. Die Beklagte entwickelte demgegenüber auch eine eigene pneumatisch betätigte Scheibenbremse unter der Bezeichnung „A“ (nachfolgend: „angegriffene Ausführungsform“), welche auf der B ausgestellt und angeboten wurde. Ein Ausstellungsstück wurde der Klägerin zu Untersuchungszwecken zur Verfügung gestellt.

Die Ausgestaltung der angegriffenen Ausführungsform in ihren einzelnen Bestandteilen ist der von der Klägerin überreichten Anlage K I7 zu entnehmen. Nachfolgend wiedergegeben ist eine von der Klägerin erstellte und in der mündlichen Verhandlung überreichte Ablichtung eines Teils der Zuspanneinheit der angegriffenen Scheibenbremse.

Die Klägerin ist der Ansicht, dass die angegriffene Scheibenbremse von der Lehre nach dem Klagepatent wortsinngemäßen, jedenfalls äquivalenten Gebrauch mache. Es sei nach der Lehre des Klagepatentes nicht erforderlich, dass jeder Stellspindel ein Druckstück unmittelbar zugeordnet sei. Denn bei funktionaler Betrachtung komme es lediglich darauf an, dass ein Druckstück auf die Bremsbacke drücke, wobei der Druck über die Stellspindel erzeugt werde. Die angegriffene Ausführungsform weise zwei Stellspindeln mit Druckstücken auf, welche über einen gemeinsamen Stellspindelanfang verfügen würden. Die Kraftausübung erfolge in der gleichen Weise als wenn an einer Traverse zwei Stellspindeln angeordnet seien, welche jeweils über ein Druckstück verfügen. Jedenfalls verwirkliche die angegriffene Ausführungsform das Klagepatent mit äquivalenten Mitteln. Die erforderliche Gleichwirkung liege vor, da die Druckstücke nebst Stellspindeln bei der angegriffenen Ausführungsform die gleiche Funktion wahrnehmen würden. Die abgewandelte Ausführung, die Verwendung zweier Stellspindeln mit einem gemeinsamen Anfangsteil, sei auch naheliegend. Dem stehe das auf die angegriffene Ausgestaltung erteilte Europäische Patent 1 872 XXX B1 (Anlage B 7) nicht entgegen. Die Erteilung eines Patentes auf eine Ausführungsform stelle lediglich ein Indiz dar. Die von der Klägerin im Rahmen des Einspruchs gegen die Patenterteilung eingewandte Offenlegungsschrift DE 198 04 XXX zeige den Gegenstand der angegriffenen Ausgestaltung, so dass diese nicht erfinderisch sein könne. Die angegriffene Ausgestaltung sei auch gleichwertig. Hiergegen sprächen keine Umstände; im Übrigen gehe es dem Klagepatent nicht um die Stellspindel, sondern die vormontierte Zuspanneinheit. Vom Klagepatent sei wenigstens ein Druckstück gefordert, um den notwendigen Kraftfluss zu gewährleisten. Die angegriffene Ausführungsform stelle insoweit eine Zwischenlösung dar.

Die Klägerin beantragt, nachdem sie in der mündlichen Verhandlungen den Antrag zu IV. im Hinblick auf den Rückruf klargestellt und den Anspruch auf Entfernung sowie auf Urteilsveröffentlichung unter Zustimmung der Beklagten zurückgenommen hat,

I. die Beklagte zu verurteilen,

1. es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 Euro – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle mehrfacher Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an den gesetzlichen Vertretern der Beklagten zu vollziehen ist, zu unterlassen

Scheibenbremsen für Fahrzeuge, insbesondere Straßenfahrzeuge, mit einem eine Bremsscheibe umfassenden Bremssattel, in dessen rückwärtigem, bremsscheibenabgewandten und weitgehend geschlossenen Bereich eine Zuspanneinheit angeordnet ist, wobei die Zuspanneinheit mit einem von einem Betätigungszylinder schwenkbaren Drehhebel versehen ist und der Drehhebel mittels eines Exzenters auf eine gegen Federkraft in Richtung der Bremsscheibe verschiebbare, wenigstens mit einem Druckstück versehene Stellspindel aufweisende Brücke einzuwirken vermag,

herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen, wobei

der Bremssattel einteilig ausgebildet ist; die Zuspanneinheit als zwei vormontierte Einheiten ausgebildet ist; und die der Bremsscheibe zugewandte Öffnung im Bremssattel so groß bemessen ist, dass die vormontierte Zuspanneinheit bei von der Bremsscheibe abgenommenen Bremssattel durch diese Öffnung einführbar ist;

2. der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die zu Ziffer 1. bezeichneten Handlungen seit dem 25.März 1998 begangen hat, und zwar unter Angabe

a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer, der Erzeugnisse sowie der gewerblichen Abnehmer und Verkaufsstellen, für die sie bestimmt waren,

b) der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie über die Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden,

c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und –preisen sowie der Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,

d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,

e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,

und dabei zu a) bis e) die zugehörigen Rechnungen mit der Maßgabe vorzulegen, dass Daten, auf die sich die geschuldete Auskunft und Rechnungslegung nicht bezieht und hinsichtlich derer ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse der Beklagten besteht, abgedeckt oder geschwärzt sein können;

wobei die Angaben zu e) nur für die Zeit seit dem 28. August 1999 zu machen sind,

wobei der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften ihrer nichtgewerblichen Abnehmer sowie der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden, dieser gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten Wirtschaftsprüfer mit Sitz in der Bundesrepublik Deutschland mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn berechtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter nichtgewerblicher Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Rechnungslegung enthalten ist;

II. festzustellen, dass

1. die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin für die zu I.1. bezeichneten, in der Zeit vom 25. März 1998 bis zum 27. August 1999 begangenen Handlungen eine angemessene Entschädigung zu zahlen;

2. die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu I.1. bezeichneten, seit dem 28. August 1999 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird;

III. die Beklagte zu verurteilen, die in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz und/oder Eigentum befindlichen, unter oben I.1. fallenden Scheibenbremsen zu vernichten oder nach Wahl der Beklagten an einen von ihr zu benennenden Treuhänder zum Zwecke der Vernichtung auf ihre – der Beklagten – Kosten herauszugeben;

IV. die Beklagte weiter zu verurteilen, die unter I.1. fallenden Scheibenbremsen zurückzurufen, indem diejenigen gewerblichen Abnehmer, die sich im Besitz dieser Erzeugnisse befinden, darüber schriftlich informiert werden, dass das Gericht mit dem hiesigen Urteil auf eine Verletzung des Klagepatentes EP 0 824 XXX B2 erkannt hat, ihnen ein Angebot zur Rücknahme dieser Erzeugnisse durch die Beklagte unterbreitet wird und den gewerblichen Abnehmern für den Fall der Rückgabe der Erzeugnisse eine Erstattung des ggf. bereits gezahlten Kaufpreises bzw. eines sonstigen Äquivalents für die zurückgerufenen Erzeugnisse sowie die Übernahme der Verpackungs- und Transport- bzw. Versendungskosten für die Rückgabe zugesagt wird, und die Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise: der Beklagten für den Fall ihrer Verurteilung zur Rechnungslegung nach ihrer Wahl vorzubehalten, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer sowie der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, zur Verschwiegenheit gegenüber der Klägerin verpflichteten vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern sie dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt, der Klägerin darüber Auskunft zu geben, ob eine bestimmte Lieferung, ein bestimmter Abnehmer, ein bestimmtes Angebot oder ein bestimmter Angebotsempfänger in der Rechnungslegung enthalten ist.

Sie stellt eine Verletzung des Klagepatentes in Abrede. Eine wortsinngemäße Verwirklichung der Lehre nach dem Klagepatent liege nicht vor, da das Klagepatent eine konkrete Vorgabe zur räumlich-körperlichen Ausgestaltung von Stellspindel und Druckstück mache. Jeder Stellspindel sei ein Druckstück unmittelbar zugeordnet. Eine äquivalente Verwirklichung komme auch nicht in Betracht, da bereits keine Gleichwirkung vorliege. Eine gleichmäßige Kräfteverteilung sei bei der angegriffenen Ausgestaltung nicht vorhanden. Die Traverse/Brücke müsse bei der angegriffenen Ausgestaltung viel stabiler ausgestaltet sein, um die entsprechenden Drücke auf die druckstücke und damit die Bremsbacken zu übertragen. Die Voraussetzung des Naheliegens liege auch nicht vor, da das Klagepatent keinen Hinweis auf eine andere Lösung gebe. Auch sei die Ausgestaltung der angegriffenen Ausführungsform erfinderisch, wie die EP 1 872 XXX zeige. Die von der Klägerin im Einspruchsverfahren entgegen gehaltene OS198 04 XXX stehe dem nicht entgegen, da dort keine Schwimmsattelbremse offenbart werde. Im Übrigen sei die angewandelte Lösung auch nicht gleichwertig, da diese Lösung nicht die Vorteile der Erfindung liefere.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die angegriffene Ausführungsform macht von der Lehre nach dem Klagepatent weder wortsinngemäßen noch äquivalenten Gebrauch, so dass die mit der vorliegenden Klage geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung, Rechnungslegung und Schadensersatzfeststellung sowie Rückruf und Vernichtung abzuweisen waren.

I.
Die Erfindung nach dem Klagepatent betrifft eine Scheibenbremse.

Bei Scheibenbremsen der gattungsgemäßen Bauart (DE-A- 40 32 XXX, Anlage K I 3) ist innerhalb des rückwärtigen Teiles eines eine Bremsscheibe umfassenden Bremssattels eine mit einem von einem Betätigungszylinder beaufschlagbaren Drehhebel versehene Zuspanneinrichtung vorgesehen, welche eine zwei Stellspindeln mit Druckstücken tragende, am Bremssattel verschiebbar abgestützte Brücke aufweist. Das auf den bremsscheibenabgewandten Teil der Brücke exzentrisch einwirkende Ende des Drehhebels stützt sich mittels Gleit- oder Wälzlagerelementen am rückwärtigen Ende des Bremssattels ab. Der rückwärtige Abschnitt des Bremssattels ist als gesondertes Gehäuse ausgeführt, welches entlang einer Trennlinie mit dem Bremssattel verschraubbar ist. Nachfolgend wiedergegeben ist die Figur 2 der Offenlegungsschrift, welche eine verkleinerte Aufsicht auf einen aufgeschnittenen Bremssattel zeigt.

Die Patentbeschreibung kritisiert an diesem Stand der Technik als nachteilig, dass die Bremsreaktionskräfte bei Bremsbetätigung rückwärtig in den aufgeschraubten Gehäuseabschnitt eingeleitet werden, was Verschraubungs-, Festigkeits- und Dichtprobleme hervorrufen kann, insbesondere bei den bei Scheibenbremsen der in Rede stehenden Art geforderten Standzeiten. Probleme der genannten Art können auch bei mit lediglich einer Stell- bzw. Druckspindel ausgeführten Scheibenbremsen zutage treten (vgl. Spalte 1, Zeilen 18 bis 27).

Zum Stand der Technik nimmt das Klagepatent weiter Bezug auf die DE-A- 36 10 XXX (Anlage K I 5) bei welcher bereits ein einteiliger Bremssattel vorgesehen ist, welcher in seinem rückwärtigen, die Reaktionskräfte der Zuspanneinheit aufnehmenden Bereich weitgehend geschlossen ist. Die Zuspanneinheit wird bei derartigen Scheibenbremsen in ihren Einzelteilen durch eine im Wesentlichen seitlich angesetzte Öffnung eingeführt. Die endgültige Montage erfolgt innerhalb des Bremssattels, was mit beträchtlichem Zeitaufwand und gegebenenfalls mit dem Problem ungenauer Einpassung verbunden ist (vgl. Spalte 1, Zeilen 32 bis 38).

Hiervon ausgehend liegt der Erfindung nach dem Klagepatent das Problem („die Aufgabe“) zugrunde, eine Scheibenbremse so auszugestalten, dass bei problemfreier Einleitung der Brems-Reaktionskräfte am Bremssattel eine noch weitergehende Schließung des Bremssattelgehäuses ermöglicht ist. Hierdurch, so die Beschreibung, sollen vorhandene Dichtbereiche vollkommen unbeeinflusst sein von Brems- bzw. Bremsreaktionskräften, um bei Formstabilität des Bremssattelgehäuses die geforderte Betriebssicherheit während längeren Einsatzes zu gewährleisten (vgl. Spalte 2, Zeilen 2 bis 12).

Zur Lösung dieses Problems schlägt Patentanspruch 1 eine Scheibenbremse mit folgenden Merkmalen vor:

(1) Scheibenbremse für Fahrzeuge, insbesondere Straßenfahrzeuge, mit einem eine Bremsscheibe (3) umfassenden einteiligen Bremssattel (1).

(2) Der Bremssattel (1) weist eine Zuspanneinheit (13) auf.

(3) Die Zuspanneinheit (13)

(a) ist angeordnet im rückwärtigen, bremsscheibenabgewandten und weitgehend geschlossenen Bereich des Bremssattels (1),

(b) ist mit einem von einem Betätigungszylinder schwenkbaren Drehhebel (15) versehen.

(4) Der Drehhebel (15) vermag mittels eines Exzenters (19) auf eine Brücke (29) einzuwirken.

(5) Die Brücke (29)

(a) ist gegen Federkraft (47) in Richtung der Bremsscheibe (3) verschiebbar,

(b) weist wenigstens eine mit einem Druckstück (35, 37) versehene Stellspindel (31, 33) auf.

(6) Die Zuspanneinheit (13) ist als vormontierte Einheit ausgebildet.

(7) Die der Bremsscheibe (3) zugewandte Öffnung im Bremssattel (1) ist so groß bemessen, dass die vormontierte Zuspanneinheit (13) bei von der Bremsscheibe (3) abgenommenem Bremssattel (1) durch diese Öffnung einführbar ist.

Nach der Klagepatentschrift wird durch die einteilige Gestaltung des Bremssattels, welcher kostensparend als Gussteil ausgebildet sein kann, eine direkte Übertragung der Bremskräfte in den Sattel ermöglicht, da der bremsscheibenabgewandte, rückwärtige Bereich des die Zuspanneinheit aufnehmenden Bremssattels mit Ausnahme der verhältnismäßig klein dimensionierbaren Durchgriffsöffnung für den Betätigungszylinder im Wesentlichen geschlossen ist. Die Zuspanneinheit einschließlich aller ihrer Bauteile ist als eine vormontierte Einheit bei von der Bremsscheibe abgenommenem Bremssattel durch die bremsscheibenzugewandte Öffnung einführbar. Die Zuspanneinheit kann durch einfache Halte- oder Klemmelemente als vormontierte Einheit ausgebildet sein; ihre Position innerhalb des als Gehäuse wirkenden Abschnittes des Bremssattels wird durch die am rückwärtigen Wandabschnitt des Bremssattels innenseitig sich abstützende Lagerung und bremsscheibenzugewandt durch die die Zuspanneinheit rückwärtig verspannende, an die Verschlussplatte sich abstützende Druckfeder bestimmt (vgl. Spalte 2, Zeilen 16 bis 41).

II.
Eine Verletzung des Klagepatentes durch die angegriffene Ausführungsform liegt nicht vor, da die angegriffene Ausführungsform ungeachtet der zwischen den Parteien streitigen Frage der Verwirklichung der Merkmale 8 und 9, jedenfalls von dem Merkmal 6 weder mit wortsinngemäßen noch äquivalenten Mitteln Gebrauch macht. Bei der angegriffenen Ausführungsform ist die Stellspindel nicht mit einem Druckstück versehen.

Merkmal 6 besagt, dass die Brücke (29) wenigstens eine mit einem Druckstück (35; 37) versehene Stellspindel (31, 33) aufweist.

Es ist den Parteien zuzustimmen, dass der Wortlaut des Merkmals sowohl eine Auslegung dahingehend zulässt, dass die wenigstens eine Stellspindel mit einem Druckstück versehen sein soll, d.h. jeder vorhandenen Stellspindel ist ein Druckstück zugeordnet. Das Merkmal kann seinem Wortlaut jedoch auch dahingehend verstanden werden, dass jedenfalls ein Druckstück vorhanden ist, welches einer Stellspindel zugeordnet ist.

Für eine Auslegung entsprechend dem erstgenannten Verständnis spricht jedoch bereits der unmittelbare sprachliche Bezug von dem Druckstück auf die Stellspindel.

Hierfür spricht indes auch der vom Klagepatent zum Hintergrund der Erfindung angeführte Stand der Technik und dessen Kritik. Das Klagepatent geht aus von einer Scheibenbremse nach dem Oberbegriff des Anspruchs, d.h. einer Scheibenbremse, welche eine Stellspindel aufweist, die mit einem Druckstück versehen ist. Als Stand der Technik entsprechend dem Oberbegriff nennt das Klagepatent die DE-A 40 32 XXX (Anlage K I 3), welche eine Scheibenbremse zeigt, die eine zwei Stellspindeln mit Druckstücken tragende, am Bremssattel verschiebbar abgestützte Brücke aufweist, d.h. eine Scheibenbremse welche je Stellspindel ein Druckstück aufweist (trägt). Die Druckstücke, welche in der Figur 2 der Offenlegungsschrift mit der Bezugsziffer 18 gekennzeichnet sind und einleitend wiedergegeben wurde, sind den Gewindehülsen (16, 17) zugeordnet. Diesen Stand der Technik bezeichnet das Klagepatent als gattungsgemäß (vgl. Absatz [0002]) und von dieser gattungsgemäßem Scheibenbremse geht das Klagepatent auch im Rahmen der in Absatz [0008] beschriebenen Aufgabenstellung aus, wenn dort davon die Rede ist, dass die Aufgabe der Erfindung darin besteht, eine Scheibenbremse der gattungsgemäßen Art so auszugestalten, dass bei problemfreier Einleitung der Brems-Reaktionskräfte am Bremssattel eine noch weitergehende Schließung des Bremssattelgehäuses ermöglicht wird. Kritik an dem gattungsgemäßen Stand der Technik, der DE-A 40 32 XXX, wird nur insoweit geübt als der vorbekannte Bremssattel mehrteilig ausgestaltet war, was zu Verschraubungs-, Festigkeits- und Dichtproblemen führen kann. Die Verwendung von zwei mit Druckstücken versehenen Stellspindeln wird nicht als nachteilig beschrieben.

Auch die allgemeine Beschreibung der Erfindung führt zu dem genannten Verständnis des Merkmals, wonach jede – vorhandene – Stellspindel mit einem Druckstück versehen sein soll. In Absatz [0021] wird ausgeführt, dass die Erfindung nicht auf zwei Stellspindeln beschränkt ist, sondern auch eine einspindelige, also lediglich mit einer Stellspindel bzw. einem Druckstück versehene Scheibenbremsenkonstruktionen meint. Weiter heißt es, dass die erfindungsgemäße Konstruktion auch verwendbar ist, bei welchen eine zentrale Stell- und Druckspindel mittels eines einzelnen Druckstückes auf einen Bremsbelag einzuwirken vermag. Diese Ausführungen, welche sich nicht auf eine bevorzugte Ausführungsform beschränken, machen deutlich, dass erfindungsgemäß jeder vorhandenen Stellspindel ein Druckstück zugeordnet ist. Die Stellspindel soll mit dem Druckstück versehen sein.

Auch die technische Funktion der Brücke/Stellspindel/Druckstücke spricht für eine unmittelbare Zuordnung eines Druckstücks zu einer Stellspindel. Denn das Klagepatent gibt dem Fachmann vor, wie die Krafteinleitung bzw. die Kraftübertragung zu realisieren ist, entweder durch die Verwendung einer Stellspindel mit einem Druckstück oder aber durch die Verwendung zweier Stellspindeln mit je einem daran ausgebildeten Druckstück. Zu letzterer Variante führt das Klagepatent in Absatz [0017] Zeilen 46 bis 57 bei der Beschreibung einer bevorzugten Ausführungsform aus, dass die Dreh- und Nachstellbewegungen mittels der Synchronisiereinrichtung auf beide Stellspindeln übertragen werden und ein gleichmäßiges Andrücken der Druckstücke gegenüber der Bremsscheibe gewährleistet ist. Zur ersten Variante wird in Absatz [0021], Zeilen 13 bis 24, mithin im allgemeinen Beschreibungsteil, ausgeführt, dass eine zentrale Stellspindel mittels eines einzelnen Druckstückes auf einen Bremsbelag einzuwirken vermag. Hieran ist zu erkennen, dass die Kraft von der Stellspindel auf das jeweils angeordnete Druckstück und von dort auf den Bremsbelag übertragen werden soll und die Kraft, die auf die Stellspindel ausgeübt wird, identisch ist mit der Kraft, die auf das angeordnete Druckstück wirkt.

Zwar mag der Kraftfluss auch bei einer anderen Ausgestaltung gewährleistet werden. Entgegen der Auffassung der Klägerin kann für die Frage der Auslegung des Merkmals jedoch nicht allein auf die technische Funktion der Stellspindel und des Druckstücks Bezug genommen werden. Denn die gebotene funktionale Betrachtung darf bei räumlich körperlich definierten Merkmalen nicht dazu führen, dass sein Inhalt auf die bloße Funktion reduziert und das Merkmal in dem Sinne interpretiert wird, der mit der räumlich körperlichen Ausgestaltung, wie sie dem Merkmal eigen ist, nicht mehr in Übereinstimmung steht (Vgl. Kühnen/Geschke, Rdnr. 24). Eine solche Betrachtung nimmt hingegen die Klägerin vor, wenn sie das Merkmal 6 lediglich auf die Funktion der Stellspindel und des Druckstücks reduziert.

Bei der angegriffenen Ausführungsform werden die Stellspindel und die Druckstücke auf den Seiten 3 und 5 der Anlage K I 7 sowie in der im Tatbestand wiedergegebenen Photographie gezeigt. Nach Auffassung der Klägerin ist bei der angegriffenen Ausführungsform die Stellspindel nicht einteilig ausgestaltet, sondern sieht die Druckstempel als Stellspindelenden und den über der Brücke (Traverse) angeordneten Teil als Stellspindelanfang. Dies stellt jedoch eine künstliche Aufspaltung der einzelnen Bestandteile dar. Als Stellspindel ist vielmehr das oberhalb der Brücke mittig angeordnete Gewindeelement anzusehen, welches mit der Brücke verschraubt ist. Diese Stellspindel ist jedoch nicht mit einem Druckstück versehen, da die Druckstücke, welche sich unterhalb der Brücke befinden, durch die Brücke getrennt sind. Entsprechend dem vorstehend beschriebenen Verständnis muss jedoch das Druckstück der Stellspindel unmittelbar zugeordnet sein.

Eine wortsinngemäße Verwirklichung des Merkmals liegt jedoch selbst dann nicht vor, wenn man die Auffassung der Klägerin zur Aufgliederung der einzelnen Bauteile zugrunde legt. Denn dann wäre nicht jede Stellspindel mit je einem Druckstück versehen, weil dem Stellspindelanfang oberhalb der Brücke kein Druckstück unmittelbar zugeordnet wäre.

Auch eine äquivalente Verwirklichung des Merkmals liegt nicht vor. Selbst wenn man zugunsten der Klägerin davon ausgeht, dass die erforderliche Gleichwirkung gegeben ist, ist weder zu erkennen, dass der Fachmann die abgewandelten Mittel der angegriffenen Ausführungsform auf Grund seiner Fachkenntnisse ohne erfinderisches Bemühen auffinden konnte, noch dass der angesprochene Durchschnittsfachmann die bei der angegriffenen Scheibenbremse verwirklichte Abwandlung als eine der im Wortsinn des Patentanspruchs 1 beschriebenen Lösung gleichwertige Alternative in Betracht zieht.

Vor dem Hintergrund des auf die die angegriffene Ausgestaltung erteilten EP 1 872 XXX (Anlage B 7) ist bereits nicht ohne weiteres zu erkennen, dass das bei der angegriffenen Ausführungsform verwandte ausgetauschte Mittel ohne erfinderisches Bemühen auffindbar war. Die Erteilung eines Patentes auf eine angegriffene Ausführungsform steht einem „Naheliegen“ der abgewandelten Ausführung nicht per se entgegen. Denn die Verletzungsform kann sich durch zusätzliche Merkmale auszeichnen oder ein Merkmal des Klagepatentes konkretisieren (vgl. Kühnen/Geschke a.a.O. Rdnr. 57, 58). Ob das zugunsten der angegriffenen Ausführungsform erteilte Patent, wie von der Klägerin vorgetragen, vor dem Hintergrund der in dem Einspruch als Entgegenhaltung aufgezeigten DE-OS 198 04 XXX nicht erfinderisch ist, was von der Beklagten in Abrede gestellt wurde, kann offenbleiben, da nicht zu erkennen ist, dass der angesprochene Durchschnittsfachmann die bei dem angegriffenen Straßenfertiger verwirklichte Abwandlung als eine der im Wortsinn des Patentanspruchs 1 beschriebenen Lösung gleichwertige Alternative in Betracht zieht. Es ist insofern nicht ausreichend, dass der Fachmann auf Grund seines Fachwissens eine Abwandlung als technisch sinnvoll und objektiv gleichwirkend zu der in den Patentansprüchen formulierten Lehre erkennt. Vielmehr müssen seine Überlegungen beim Auffinden der Abwandlung an der in den Patentansprüchen zum Ausdruck gebrachten technischen Lehre anknüpfen.

Entsprechendes ist vorliegend nicht zu erkennen. Denn im Patentanspruch 1 ist eindeutig festgelegt, dass die wenigstens eine Stellspindel mit einem Druckstück versehen sein soll. Auch in der Patentschrift gibt es keine Hinweise auf eine andere Ausgestaltung. Der Absatz [0002] („Probleme der vorstehend genannten Art“) sowie der Absatz [0021] („nicht beschränkt“) geben keinen Hinweis auf die bei der angegriffenen Ausführungsform verwendete Abwandlung in Form einer Stellspindel, welche über eine Brücke/Traverse mit zwei Druckstücken verbunden ist. Denn diese Stellen geben keinen Anknüpfungspunkt für eine Ausgestaltung entsprechend der angegriffenen Ausführungsform. Auch der von der Klägerin zur Begründung angeführte Patentanspruch 2 gibt keinen Hinweis auf die Abwandlung. Dort wird eine Stellspindel nicht genannt, sondern lediglich ein die Verschlussplatte durchsetzendes Druckstück. Mangels positiver Anhalte im Klagepatent für eine Abwandlung in Gestalt der angegriffenen Ausführungsform dürfen sich Wettbewerber der Klägerin unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit darauf verlassen, dass die Lehre des Klagepatentes eine solche Lösung nicht erfasst.

III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 269 Abs. 3 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 709, 108 ZPO.

Der Streitwert beträgt 3.000.000,- EUR.