I-15 U 66/17

Düsseldorfer Entscheidungsnummer: 2755

Oberlandesgericht Düsseldorf

Urteil vom 11. Januar 2018, Az. I-15 U 66/17

Vorinstanz: 4a O 66/17

  1. In dem einstweiligen Verfügungsverfahren
    pp.
  2. hat der 15. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht ….. sowie die Richter am Oberlandesgericht ….. und ….. auf die mündliche Verhandlung vom 21.12.2017
    für R e c h t erkannt:
  3. I.
    Auf die Berufung der Verfügungsklägerin hin wird das Urteil der 4a. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 18.07.2017, Az. 4a O 66/17, teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
  4. 1. Den Verfügungsbeklagten wird im Wege der einstweiligen Verfügung untersagt,
  5. auswechselbare Rasierklingeneinheiten mit einer Klingeneinheit und mit einer Einheitenverbindungsstruktur zur Verbindung der genannten Klingeneinheit mit einem Handstück, wobei die genannte Verbindung bewirkt wird durch die Bewegung des genannten Handstücks entlang einer Verbindungsachse in Richtung der genannten Einheitenverbindungsstruktur, wobei die genannte Einheitenverbindungsstruktur einen Eingang aufweist, wobei der genannte Eingang in eine Richtung ausgerichtet ist, die parallel zu der Verbindungsachse ist,
  6. in Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,
  7. dadurch gekennzeichnet, dass die genannte Einheitenverbindungsstruktur einen Ausschnitt aufweist, der als eine Keilnut (keyway) zur Aufnahme einer zusammenpassenden Keilstruktur (mating key structure) an dem genannten Handstück funktionsfähig ist, wenn das genannte Handstück entlang der genannten Verbindungsachse bewegt wird, um die ordnungsgemäße Ausrichtung des genannten Handstücks zu fördern,
    wobei der genannte Ausschnitt an dem genannten Eingang angeordnet ist,
    wobei der genannte Eingang und der genannte Ausschnitt einen behinderungsfreien Durchgang für die genannte zusammenpassende Keilstruktur (mating key structure) bereitstellen, wenn die genannte Einheit mit dem genannten Handstück verbunden wird.
  8. 2. Den Verfügungsbeklagten wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen das gerichtliche Verbot gemäß Ziffer 1. als Zwangsvollstreckungsmaßnahme ein Ordnungsgeld bis zu EUR 250.000,00 – ersatzweise Ordnungshaft – oder eine Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, angedroht, wobei die Ordnungshaft im Falle der Verfügungsbeklagten zu 1), zu 7) und zu 8) an ihren jeweiligen gesetzlichen Vertretern zu vollstrecken ist.
  9. 3. Der Verfügungsbeklagten zu 1) wird aufgegeben, die unter Ziffer 1. bezeichneten Rasierklingeneinheiten, die sich in ihrem Besitz oder Eigentum befinden, an einen Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Verwahrung herauszugeben, wobei die Verwahrung andauert, bis über das Bestehen eines Vernichtungsanspruchs zwischen den Parteien rechtskräftig entschieden oder eine einvernehmliche Regelung herbeigeführt worden ist.
  10. II.
    Die Berufung der Verfügungsbeklagten zu 1), 3), 4), 5), 6), 7) und 8) gegen das Urteil der 4a. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 18.07.2017, Az. 4a O 66/17, wird zurückgewiesen.
  11. III.
    Der Verfügungsbeklagte zu 2) ist infolge der Rücknahme der Berufung des Rechtsmittels verlustig gegangen.
  12. IV.
    Die Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz tragen die Verfügungsbeklagten.
  13. G r ü n d e
  14. A.
    Von einer Darstellung des Sachverhalts wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO i. V. m. § 542 Abs. 2 S. 1 ZPO abgesehen.
  15. B.
    Die zulässige Berufung der Verfügungsbeklagten zu 1), 3), 4), 5), 6), 7) und zu 8) hat in der Sache keinen Erfolg. Die zulässige Berufung der Verfügungsklägerin ist begründet.
  16. I.
    Die Berufung der Verfügungsbeklagten zu 1), 3), 4), 5), 6), 7) und zu 8) [nachfolgend, sofern alle gemeint sind, nur als „die Verfügungsbeklagten“ bezeichnet] ist zulässig, jedoch unbegründet.
  17. 1)
    Die Verfügungsklägerin hat, wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat, einen Verfügungsanspruch glaubhaft gemacht. Die angegriffene Ausführungsform verwirklicht Anspruch 1 des Verfügungspatents wortsinngemäß. Der Verfügungsklägerin stehen deshalb die vom Landgericht ausgesprochenen und als solche nicht von den Verfügungsbeklagten angegriffenen Rechtsfolgen zur Seite.
  18. a)
    Das Verfügungspatent (Anlage ASt 9, deutsche Übersetzung Anlage ASt 9a) betrifft eine Rasierklingeneinheit und das Ausgeben einer Rasierklingeneinheit aus einem Spender an ein Handstück.
  19. Der einleitenden Beschreibung des Verfügungspatents zufolge werden Rasierklingeneinheiten normalerweise aus einem Spender entnommen, indem das Handstück mit der Einheit verbunden wird, während sich die Einheit noch in dem Spender befindet. Der Benutzer bewegt das Handstück danach in einer Drehbewegung im Verhältnis zu dem Spender, wobei die Hebelwirkung des Handstücks gegen die kraftschlüssige Verbindung oder den Presssitz eines Vorsprungs genutzt wird, der den Körper der Rasierklingeneinheit hält, wobei diese Einheit aus dem Spender gelöst wird. Wenn die Rasierklingeneinheit derart beschaffen ist, dass sie eine Schwenkverbindung mit dem Handstück aufweist, muss der Benutzer das Handstück über den durch die Drehverbindung zugelassenen Bewegungsbereich hinaus schwenken, bevor die Hebelwirkung auf die kraftschlüssige Verbindung oder den Presssitz ausgeübt wird (Anlage ASt 9/9a Abs. [0002]).
  20. Im Anschluss an diese Einleitung erwähnt das Verfügungspatent die WO 1 (Anlage ASt 12, deutsche Übersetzung Anlage ASt 12a), ohne indes diese näher zu erläutern oder eine Kritik hieran zu üben.
    Diese Schrift offenbart einen Einwegrasierer, der einen entfernbaren Kopf, einen Handgriff (10), eine wiederverwendbare, an einem Ende des Handgriffs (10) gelegene Befestigungseinrichtung (12 – 14) und eine mindestens eine Klinge enthaltende sowie ein Aufnahmemittel zum Aufnehmen der Befestigungsvorrichtung aufweisende Kartusche (15) umfasst, wobei die Kartusche (15) herausnehmbar an dem Handgriff (10) befestigbar ist. Die Befestigungseinrichtung kann nach der erläuternden Beschreibung der Schrift aus einer Anzahl federnder, unabhängig bewegbarer Klauen (12 – 14) bestehen, die sich vom Ende des Handgriffs (10) nach außen erstrecken und in die Kartusche (15) des Rasierkopfs (11) eingeführt werden.
    Zum besseren Verständnis wird nachfolgend die Figur 2 der WO 1 eingeblendet, die ein bevorzugtes Ausführungsbeispiel dieses Standes der Technik zeigt:
  21. Vor diesem Hintergrund liegt dem Verfügungspatent die (in der Verfügungspatent-schrift nicht ausdrücklich formulierte) Aufgabe zu Grunde, eine auswechselbare Rasierklingeneinheit zur Verfügung zu stellen, die in vereinfachter und verbesserter Weise mit einem Handstück verbunden und aus einem Spender ausgegeben werden kann.
  22. Zur Lösung dieser Aufgabe sieht Patentanspruch 1 – gegliedert in Form einer Merkmalsanalyse – die Kombination der folgenden Merkmale vor:
  23. Auswechselbare Rasierklingeneinheit (12) mit
    1. einer Klingeneinheit (14) und
    2. einer Einheitenverbindungsstruktur (16)
    2.1 zur Verbindung der genannten Klingeneinheit (14) mit einem Handstück (63).
    2.1.1 Die genannte Verbindung wird bewirkt durch die Bewegung des genannten Handstücks (63) entlang einer Verbindungsachse (72) in Richtung der genannten Einheitenverbindungsstruktur (16).
    2.2 Die genannte Einheitenverbindungsstruktur (16) weist einen Eingang [„entrance“] auf.
  24. 2.2.1 Der genannte Eingang [„entrance“] ist in eine Richtung ausgerichtet, die parallel zu der Verbindungsachse (72) ist.
    2.3 Die genannte Einheitenverbindungsstruktur (16) weist einen Ausschnitt (80) [„cutaway portion“] auf.
    2.3.1 Der Ausschnitt (80) [„cutaway portion“] ist als eine Keilnut [„keyway“] zur Aufnahme einer zusammenpassenden Keilstruktur (74) [„mating key structure“] an dem genannten Handstück (63) funktionsfähig, wenn das genannte Handstück (63) entlang der genannten Verbindungsachse (72) bewegt wird, um die ordnungsgemäße Ausrichtung des genannten Handstücks (63) zu fördern.
    2.3.2 Der genannte Ausschnitt (80) [„cutaway portion“] ist an dem genannten Eingang [„entrance“] angeordnet.
    2.4 Der genannte Eingang [„entrance“] und der genannte Ausschnitt (80) [„cutaway portion“] stellen einen behinderungsfreien Durchgang für die genannte zusammenpassende Keilstruktur (74) [„mating key structure“] bereit, wenn die genannte Einheit (12) mit dem genannten Handstück (63) verbunden wird.
  25. Das vereinfachte und verbesserte Verbinden der allein von Anspruch 1 unter Schutz gestellten auswechselbaren Rasierklingeneinheit geschieht anspruchsgemäß durch das Vorsehen eines Ausschnittes gemäß der Merkmalsgruppe 2.3. Infolge seiner Ausgestaltung und seiner Position entsprechend den Merkmalen 2.3.1 und 2.3.2 fördert der Ausschnitt die ordnungsgemäße Ausrichtung des Handstücks, wenn das Handstück entlang der Verbindungsachse bewegt wird, so dass das Verbinden von Rasierklingeneinheit und Handstück leichter gelingt, und insbesondere der vom Verfügungspatent ausdrücklich in Absatz [0024] der Schrift genannte Vorteil – Verhinderung, dass ein Benutzer das Handstück in falscher Ausrichtung mit einer Einheit verbindet – erzielt wird.
  26. Zur Veranschaulichung der erfindungsgemäßen Rasierklingeneinheit werden nachfolgend die Figuren 2 und 9 des Verfügungspatents eingeblendet.
    Figur 2 ist eine Perspektivansicht einer auswechselbaren Rasierklingeneinheit (12), die mit einem Handstück (63) ausgerichtet ist, an dem die Einheitenverbindungsstruktur (16) verbunden ist.
  27. Bei Figur 9 handelt es sich um eine Schnittansicht einer Einheitenverbindungsstruktur (16) der Einheit (12) aus Figur 2.
  28. b)
    Da die Verfügungsbeklagten in der Berufungsinstanz zu Recht die Feststellungen des Landgerichts zu Merkmal 2.2 nicht angegriffen haben und die Parteien des Weiteren ebenso zutreffend wie das Landgericht davon ausgehen, dass die angegriffene Ausführungsform die Merkmale 1 bis 2.3, 2.3.2 und 2.4 verwirklicht, sind seitens des Senats im Hinblick auf den Streit der Parteien bezüglich der Benutzung des Verfügungspatents allein Ausführungen zu Merkmal 2.3.1. veranlasst.
  29. Merkmal 2.3.1 verlangt, dass der von der Einheitenverbindungsstruktur umfasste (Merkmal 2.3) und am Eingang angeordnete (Merkmal 2.3.2) Ausschnitt als eine Keilnut [„keyway“] zur Aufnahme einer zusammenpassenden Keilstruktur [„mating key structure“] an dem genannten Handstück funktionsfähig ist, wenn das genannte Handstück entlang der genannten Verbindungsachse bewegt wird, um die ordnungsgemäße Ausrichtung des genannten Handstücks zu fördern.
  30. Ausschnitt in diesem Sinne ist jede (Material-)Aussparung am Eingang der Einheitenverbindungsstruktur der Rasierklingeneinheit, die objektiv dazu geeignet ist, eine zusammenpassende Keilstruktur [„mating key structure“] eines denk- und konstruierbaren Handstücks aufzunehmen und mittels dieser Aufnahme die ordnungsgemäße Ausrichtung des Handstücks während des Verbindens zu fördern. Die weitere konkrete Ausgestaltung des Ausschnitts und die konkrete Art und Weise der Aufnahme der zusammenpassenden Keilstruktur [„mating key structure“] in dem Ausschnitt überlässt Anspruch 1 grundsätzlich dem Belieben des Fachmanns. Der Anspruch gibt insbesondere nicht zwingend einen Formschluss zwischen dem Ausschnitt als Keilnut [„keyway“] und einer zusammenpassenden Keilstruktur [„mating key structure“] eines Handgriffs vor.
  31. aa)
    Die Notwendigkeit eines Formschlusses ergibt sich für den Fachmann, der – wie das BPatG in dem Nichtigkeitsverfahren 1 Ni 18/21 (EP) zutreffend in seinem Beschluss vom 22.01.2013 ausgeführt hat (Anlage ASt 11 S. 4) – ein Maschinenbauingenieur (FH) mit mehrjähriger Berufserfahrung auf dem Gebiet der Entwicklung und Konstruktion von Sicherheitsrasierern ist, zunächst nicht aus dem Anspruchswortlaut.
    In Anspruch 1 ist ein solcher Formschluss nicht erwähnt. In der gem. Art. 70 EPÜ maßgeblichen englischen Verfahrenssprache ist vielmehr (nur) von einem „keyway“ und einer „mating key structure“, mithin einer „zusammenpassenden“ key structure die Rede. Dass die verwendeten Begriffe „keyway“ und „mating key structure“ vom Fachmann aufgrund seines allgemeinen Fachverständnisses allein dahingehend verstanden werden, dass ein Formschluss zwischen diesen Bestandteilen notwendig ist, ist nicht ersichtlich. Auch dann nicht, wenn man den Verfügungsbeklagten darin folgt, dass die verwendeten Begriffe mit „Keilnut“ und „Keilstruktur“ zu übersetzen sind und der Fachmann unter einer Keilstruktur das „Positiv“ in Form eines Keils und unter einer Keilnut das „Negativ“ hierzu, in welche das Positiv eingeführt wird, versteht. Abgesehen davon, dass folglich auch nach dem Verständnis der Verfügungsbeklagten die Begriffe „Keilnut“ und „Keilstruktur“ nicht ausschließlich das Vorhandenseins eines Keils und/oder einer Nut in strenger Form beschreiben, sondern der Fachmann ein weiteres Begriffsverständnis an den Tag legt, besagt auch diese Übersetzung nicht mehr als dass die beiden Bestandteile – wie der Anspruch ausdrücklich erwähnt – zusammenpassen müssen. Ein Formschluss wird damit hingegen nicht zum Ausdruck gebracht.
  32. bb)
    Das Erfordernis eines Formschlusses zwischen dem anspruchsgemäßen „keyway“ und der „mating key structure“ folgt für den Fachmann, wie das Landgericht zutreffend erkannt hat, auch nicht unter Berücksichtigung der im Merkmal 2.3.1 enthaltenen Zweckangaben einschließlich der gebotenen funktionsorientierten Auslegung.
  33. Zweck-, Wirkungs- und Funktionsangaben in einem Sachanspruch beschränken als solche dessen Gegenstand regelmäßig nicht (BGH GRUR 2009, 837 – Bauschalungsstütze; BGH GRUR 2006, 923 – Luftabscheider für Milchsammelanlage; BGH GRUR 2006, 570 – extracoronales Geschiebe; BGH GRUR 1979, 149 – Schießbolzen). Gleichwohl sind sie nicht bedeutungslos. Eine Zweckangabe hat vielmehr regelmäßig die Aufgabe, den durch das Patent geschützten Gegenstand dahin zu definieren, dass er nicht nur die räumlich-körperlichen Merkmale, die der Patentanspruch explizit formuliert, erfüllen, sondern auch so ausgebildet sein muss, dass er für den im Patentanspruch angegebenen Zweck verwendbar ist (BGH BeckRS 2015, 14874; BGH GRUR 2009, 837 – Bauschalungsstütze; BGH GRUR 2006, 923 – Luftabscheider für Milchsammelanlage; BGH GRUR 1991, 436 – Befestigungsvorrichtung II; BGH GRUR 1981, 259 – Heuwerbungsmaschine II).
    Ergibt sich im Einzelfall, dass die in dem Patentanspruch aufgenommenen Sachmerkmale bereits alle Bedingungen umschreiben, die aus technischer Sicht zur Erzielung der angegebenen Wirkung notwendig sind, kann eine Zweckangabe für die Verletzungsprüfung irrelevant sein (BGH GRUR 1991, 436 – Befestigungsvorrichtung II). Sind die technischen Voraussetzungen für den Wirkungseintritt hingegen nur unvollkommen beschrieben, definiert die Zweckangabe – mittelbar – bestimmte weitere räumlich-körperliche oder funktionale Anforderungen an den geschützten Gegenstand, die sich aus den übrigen Sachmerkmalen des Patentanspruchs noch nicht ergeben, die aber eingehalten werden müssen, damit die geschützte Sache oder das unter Schutz gestellte Verfahren die für sie vorgesehene Wirkung zutage bringen kann. Unter solchen Umständen sind Zweck-, Wirkungs- und Funktionsangaben schutzbereichsrelevant (BGH GRUR 2009, 837 – Bauschalungsstütze; BGH GRUR 2006, 923 – Luftabscheider für Milchsammelanlage). Sie weisen den Fachmann an, den beanspruchten Gegenstand über die expliziten Sachmerkmale hinaus so auszugestalten, dass die ihm zugedachte Wirkung/Funktion eintreten kann (BGH BeckRS 2015, 14874; BGH GRUR 2008, 896 – Tintenpatrone I; OLG Düsseldorf I-2 U 11/17, Urt. v. 31.08.2017; OLG Düsseldorf BeckRS 2016, 21120).
  34. Vorliegend beinhalten die in Merkmal 2.3.1 enthaltenen Zweck- und Funktionsangaben nicht die über die übrigen Sachmerkmale hinausgehende Vorgabe eines Formschlusses. Ein solcher ist für die Wirkung bzw. Funktion der unter Schutz gestellten Vorrichtung nicht zwingend.
  35. Merkmal 2.3.1 spricht dem erfindungsgemäßen Ausschnitt zunächst ausdrücklich die Funktion zu „zur Aufnahme einer zusammenpassenden Keilstruktur an dem genannten Handstück funktionsfähig zu sein“. Der Ausschnitt muss mithin so ausgestaltet sein, dass er die an einem Handstück befindliche Keilstruktur [„mating key structure“] aufnehmen kann, woraus zu folgern ist, dass es sich – wie der Wortlaut der maßgeblichen englischen Verfahrenssprache [„cutaway portion“] bereits erhellt – um einen ausgeschnittenen Teil bzw. eine (Material-)Aussparung am Eingang der Einheitenverbindungsstruktur handelt, in welche eine (gegenständlich ausgestaltete) Keilstruktur des Handstücks zwecks Verbindung in Richtung der Verbindungsachse eingeführt und aufgenommen werden kann. Der aufnehmende Ausschnitt [„cutaway portion“] als Keilnut [„keyway“] und die Keilstruktur [„mating key structure“] müssen demnach zusammenpassen, wie auch der Anspruch ausdrücklich hervorhebt. Dies bedeutet, dass die Keilstruktur [„mating key structure“], wie insbesondere auch die Absätze [0024], [0030] und [0031] der Beschreibung des Verfügungspatents (Anlage ASt 9/9a) verdeutlichen, in den Ausschnitt passt. Sie darf folglich weder zu groß sein mit der Folge, dass sie nicht aufgenommen werden kann, noch darf sie so klein sein, dass sie nicht in den Ausschnitt hineinragt. „Keyway“ und „mating key structure“ müssen vielmehr aufeinander abgestimmt sein und zusammenwirken können, denn der Ausschnitt soll – bei Bewegung des Handstücks in Richtung der Verbindungsachse, also während des Verbindungsvorgangs – anspruchsgemäß funktionsfähig sein.
    In welchem Sinne diese Funktionsfähigkeit gegeben sein muss, erläutert der Anspruch mittels der weiteren Zweckangabe („um zu …“): Der Ausschnitt zur Aufnahme einer zusammenpassenden Keilstruktur dient dazu, die ordnungsgemäße Ausrichtung des Handstücks zu fördern, wenn das Handstück entlang der Verbindungsachse bewegt wird. Mittels des erfindungsgemäßen Ausschnitts am Eingang der Einheitenverbindungsstruktur der Rasierklingeneinheit soll es folglich möglich sein, ein Handstück, das seinerseits eine Keilstruktur aufweist, welche mit dem Ausschnitt am Eingang der Rasierklingeneinheit korrespondiert bzw. mit diesem im oben genannten Sinne zusammenpasst, in ordnungsgemäßer Ausrichtung mit der Rasierklingeneinheit zu verbinden (Anlage ASt 9/9a Absätze [0030], [0031], [0032], [0036]).
    Fördern bedeutet einen Beitrag leisten. Mittels der räumlich-körperlichen Ausgestaltung des Ausschnittes – und nicht nur mit Hilfe einer visuellen Kenntlichmachung – soll dafür Sorge getragen werden, dass das Handstück, wenn es entlang der Verbindungsachse in Richtung Einheitenverbindungsstruktur bewegt wird, in ordnungsgemäßer Ausrichtung mit der Rasierklingeneinheit verbunden wird. In welcher Art und Weise der Ausschnitt die Verbindung in richtiger bzw. korrekter Ausrichtung fördert, lässt der Anspruch demgegenüber offen. Er definiert den Ausschnitt auch insoweit allein über die Funktion bzw. das von ihm bezweckte Ergebnis. Folglich ist jede Ausgestaltung eines ausgeschnittenen Teils, die dazu beiträgt, dass das Handstück mit richtiger Ausrichtung mit der Rasierklingeneinheit verbunden werden kann, ausreichend. Der Ausschnitt kann technisch funktional demzufolge so ausgestaltet sein, dass er positiv unterstützend oder negativ wirken kann. Unter Ersterem ist bspw. die tatsächliche Aufnahme der zusammenpassenden Keilstruktur oder das Zulassen der Verbindung in dieser Ausrichtung zu verstehen. Letzteres umfasst bspw. die Blockade bei falscher Ausrichtung. Der Ausschnitt muss ferner, wie vor allem Absatz [0036] der Verfügungspatentschrift unterstreicht, nicht das einzige Mittel sein, dass die ordnungsgemäße Ausrichtung des Handstücks fördert. Es können vielmehr weitere Maßnahmen, bspw. eine asymmetrische Gestaltung des Handstücks vorgesehen sein, die ebenfalls eine falsche Ausrichtung verhindern können (siehe auch Anlage ASt Absatz [0024]).
    Ordnungsgemäß ausgerichtet ist das Handstück, wenn vor allem nicht versucht wird, wie Absatz [0036] der Verfügungspatentschrift (Anlage ASt 9/9a) erläutert, es „auf dem Kopf stehend“ einzuführen. Hierauf ist die technische Lehre des Anspruchs 1 allerdings nicht beschränkt. Es geht nicht ausschließlich nur darum, eine Verbindung mit einem um 180 gedrehten Handstück zu verhindern. Erfasst ist vielmehr jede seitlich verkehrte Ausrichtung des Handstücks bei Bewegung entlang der Verbindungsachse in Richtung Einheitenverbindungsstruktur. Dies folgt bereits aus dem weiter gefassten Wortlaut des Anspruchs 1, in dem ohne jede Einschränkung von einer „ordnungsgemäßen Ausrichtung“ die Rede ist. Auch der Beschreibung des Verfügungspatents ist kein Anhalt dafür zu entnehmen, dass es sich bei der zitierten Beschreibungspassage Absatz [0036] um eine Art Legaldefinition des Begriffs „ordnungsgemäße Ausrichtung“ handelt und die technische Lehre des Anspruchs nur dann zu verwirklichen ist, wenn eine Verdrehung um 180 vorliegt. Eine seitliche Verdrehung des Handstücks mit einer anderen Gradzahl bei Bewegung entlang der Verbindungsachse ist problemlos denkbar, insbesondere deshalb weil der Anspruch keine zwingende Konkretisierung zur Ausgestaltung bzw. Form der Einheitenverbindungsstruktur vorgibt. Die dem Ausschnitt erfindungsgemäß zugedachte technische Wirkung tritt ferner auch bei jeder anderen seitlichen Verdrehung ein: unabhängig davon, ob das Handstück um 180 verdreht oder bspw. um 90  entlang der Verbindungsachse bewegt wird, lässt der Ausschnitt [„cutaway portion“] als Keilnut [„keyway“] die Aufnahme der zusammenpassenden Keilstruktur [„mating key structure“] im Sinne des Verfügungspatents nicht zu, die Aufnahme wird vielmehr blockiert. Zugelassen bzw. aufgenommen wird die Keilstruktur immer nur bei ordnungsgemäßer Ausrichtung.
  36. Solange und soweit der Ausschnitt die dargelegten Funktionen – Aufnahme einer zusammenpassenden Keilstruktur [„mating key structure“], Förderung des Verbindens des Handstücks in richtiger Ausrichtung – gewährleistet, ist jede räumlich-körperliche Ausgestaltung bzw. Form des Ausschnitts merkmalsgemäß. Dass diese Funktionen und der technische Zweck des Merkmals 2.3.1 nur durch eine bestimmte Ausgestaltung bzw. Form des Ausschnittes erreicht werden könnte, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Derartiges ergibt sich insbesondere nicht aus der Abgrenzung zum Stand der Technik, der Beschreibung des Verfügungspatents oder aus technischen Gründen.
  37. Entsprechendes gilt für einen Formschluss. Technische Gründe, die eine solche Verbindung zwischen Rasierklingeneinheit und Handstück zur Erreichung der in Merkmal 2.3.1 genannten Zwecke und Wirkungen erfordern würden, sind seitens der Verfügungsbeklagten nicht vorgebracht worden. Es ist auch nicht ersichtlich, dass es nach der technischen Lehre des Anspruchs darauf ankommt, dass der Ausschnitt als „keyway“ und eine in ihm aufzunehmende „mating key structure“ mit ihren Formen exakt und insgesamt ineinandergreifen, so dass sich ihre Wirkflächen vollständig berühren. Die Aufnahme zwecks Funktionsfähigkeit, um eine ordnungsgemäße Ausrichtung zu fördern, ist technisch vielmehr auch dann möglich, wenn kein Formschluss erzeugt wird und die „mating key structure“ in den „keyway“ ohne Kontakt oder gegebenenfalls nur mit partiellem Kontakt aufgenommen wird. Denn auch eine solche Aufnahme kann dazu führen, dass es zu einer positiven Unterstützung der richtigen Ausrichtung oder einer Verhinderung der Verbindung mit falscher Ausrichtung kommt. Es genügt, dass die genannten Bestandteile zusammenpassen.
  38. Dem steht Figur 2 der Verfügungspatentschrift, die eine Ausführungsform zeigt, bei dem in dem gerundeten oder halbkreisförmigen Ausschnitt (80) der Einheitenverbindungsstruktur (16) der Rasierklingeneinheit (14) die auf der figürlich ebenfalls dargestellten Handstückverbindungsstruktur (64) befindliche Taste (68) bzw. das Plattformteilstück (74) formschlüssig aufgenommen werden kann, nicht entgegen.
    Abgesehen davon, dass die Verfügungspatentschrift in der Beschreibung der Figur 2 einen Formschluss nicht erwähnt, und bevorzugte Ausführungsbeispiele einen weitergehenden Anspruch in der Regel nicht einschränken (BGH GRUR 2007, 778 – Ziehmaschinenzugeinheit BGH GRUR 2004, 1023 – Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung), gilt es zu bedenken, dass Gegenstand des Anspruchs 1 nur die Rasierklingeneinheit und nicht auch ein (bzw. das in Figur 2 gezeigte) Handstück ist. Anspruch 1 nimmt lediglich auf ein – nicht näher definiertes – Handstück Bezug mit der Konsequenz, dass ein solches von einem Ausschnitt gemäß Merkmal 2.3.1 aufgenommen werden können muss. Mehr folgt daraus jedoch nicht. Weder wird dadurch das Handstück selbst Gegenstand des Anspruchs noch ist ein bestimmtes, tatsächlich vorhandenes Handstück mit einer bestimmten Verbindungsstruktur für die Ausgestaltung des Ausschnittes maßgeblich. Der Anspruch verlangt nur, dass die Rasierklingeneinheit einen Ausschnitt entsprechend Merkmal 2.3.1 aufweist, der – wie das Landgericht bereits zutreffend ausgeführt hat – mit einem denk- und konstruierbaren Handgriff kompatibel ist. Hinzu tritt, dass sich die merkmalsmäßigen Zweck- und Funktionsangaben nur auf den Vorgang des Verbindens von Rasierklingeneinheit und Handstück beziehen, nicht hingegen auch auf den Zustand, wenn beide Teile miteinander verbunden sind.
  39. Schließlich folgt aus den Äußerungen der Verfügungsklägerin in dem vorangegangenen, durch Vergleich erledigten Nichtigkeitsverfahren (BPatG 1 Ni 18/21 (EP)), an dem die Verfügungsbeklagten nicht beteiligt waren, nichts Gegenteiliges.
    Derartige Äußerungen sind kein zulässiges Auslegungsmaterial; sie werden in § 14 PatG bzw. Art. 69 EPÜ nicht genannt (BGH GRUR 2011, 701 – Okklusionsvorrichtung; BGH GRUR 2010, 602 – Gelenkanordnung; BGH GRUR 2002, 511 – Kunststoffrohrteil). Sie könnten allenfalls indiziell das Verständnis des Fachmanns belegen (BGH GRUR 2016, 921 – Permetrexed; BGH NJW 1997, 3377 – Weichvorrichtung II; OLG Düsseldorf BeckRS 2015, 05649). Letzteres ist indes nicht zu konstatieren. Zwar findet sich in der Widerspruchsbegründung der Verfügungsklägerin (Anlage ASt 17a) bei den Ausführungen zu Merkmal 2.4 der hier verwendeten Merkmalsgliederung am Ende eines Absatzes die Bemerkung „Außerdem fügen sich Keilnut und Keilstruktur am Ende des Vorgangs des Zusammenfügens im Wege eines Formschlusses zusammen.“ Hierbei handelt es sich indes um eine Randbemerkung von der nicht ersichtlich ist, dass damit das fachmännische Verständnis zu Merkmal 2.3.1 abschließend zum Ausdruck gebracht werden sollte. An anderen Stellen der Widerspruchsbegründung wird vielmehr nur auf das Zusammenpassen von Keilnut und Keilstruktur abgestellt.
  40. c)
    Ausgehend von diesem Verständnis macht die angegriffene Ausführungsform (Muster Anlage ASt 3), wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat, von Merkmal 2.3.1 wortsinngemäß Gebrauch.
  41. Die angegriffene Ausführungsform ist eine auswechselbare Rasierklingeneinheit, die eine Einheitenverbindungsstruktur aufweist, welche einen erfindungsgemäßen Ausschnitt aufweist. An der Oberseite am Eingang der Einheitenverbindungsstruktur ist, wie die nachfolgend eingeblendete Abbildung (Antragsschriftsatz, S. 13) zeigt, eine halbkreisförmige Materialaussparung vorhanden.
  42. In diesen Ausschnitt bzw. diese (Material-)Aussparung kann unstreitig eine zusammenpassende (gegenständliche) Keilstruktur [„mating key structure“] eines denk- und konstruierbaren Handstücks eingeführt und aufgenommen werden. Wenn das Handstück entlang der Verbindungsachse bewegt wird, kann infolge der möglichen Aufnahme die ordnungsgemäße Ausrichtung des Handstücks während des Verbindungsvorgangs gefördert werden.
  43. Dass beim Verbinden des von der Verfügungsklägerin vertriebenen Handstücks „…..X“ mit der angegriffenen Ausführungsform kein Formschluss zwischen dem Ausschnitt und der an der Verbindungsstruktur des Handstücks befindlichen halbkreisförmigen Platte entsteht, wie die nachfolgend eingeblendete Abbildung (Antragsschriftsatz, S. 15) verdeutlicht,
  44. ist aus zwei Gründen für die Frage der Verwirklichung des Merkmals unerheblich. Zum einen kommt es nicht darauf an, ob die angegriffene Ausführungsform mit dem von der Verfügungsklägerin vertriebenen Handstück verbunden werden kann. Dieses gehört (ebenso wenig wie ein anderes konkretes Handstück) nicht zum Schutzumfang des Anspruchs 1. Es genügt, wie ausgeführt, dass ein Handstück denk- und konstruierbar ist, das in den erfindungsgemäßen Ausschnitt aufgenommen werden kann. Zum anderen bedarf es, wie ebenfalls erörtert, nach der technischen Lehre des geltend gemachten Anspruchs 1 keines Formschlusses.
  45. Der Verwirklichung des Merkmals 2.3.1 durch die angegriffene Ausführungsform steht ferner nicht entgegen, dass bei einem Verbinden des Handstücks „…..X“ „auf dem Kopf stehend“, (zunächst) die Geometrie des Eingangs der Einheitenverbindungsstruktur ein Verbinden verhindert, weil der Eingang der angegriffenen Ausführungsform eine trapezförmige Grundstruktur und einen Vorsprung auf der Innenseite des Gehäuses aufweist. Die Verfügungsbeklagten weisen zwar zutreffend darauf hin, dass Anspruch 1 des Verfügungspatents – auch wenn er weitere Maßnahmen optional gestattet – zwingend einen Beitrag des Ausschnitts zur Förderung der richtigen Ausrichtung verlangt. Denn eine Ausgestaltung, wonach ausschließlich andere (optionale) Maßnahmen für die Förderung der Ausrichtung Sorge tragen, so dass der Ausschnitt zur Erreichung des ihm vom Verfügungspatent vorgegebenen Zwecks keinen (erheblichen) Anteil leistet, wäre nicht anspruchsgemäß (vgl. OLG Düsseldorf I-15 U 88/16, Urt. v. 21.12.2017, OLG Düsseldorf I-2 U 80/12, Urt. v. 19.09.2013; OLG Düsseldorf I-2 U 68/11, Urt. v. . 21.02.2013). Derartiges ist vorliegend indes nicht anzunehmen.
    Vorab ist festzustellen, dass der Ausschnitt der angegriffenen Ausführungsform die ordnungsgemäß Ausrichtung des „…..X“ fördert, wenn dieses entlang der Verbindungsachse bewegt wird, weil in den Ausschnitt die zusammenpassende Keilstruktur hineinragen und aufgenommen werden kann. Diese Aufnahme bzw. das Zulassen des Verbindens in richtiger Ausrichtung stellt selbstredend einen ausreichenden Beitrag und damit ein Fördern im Sinne des Verfügungspatents dar.
    Des Weiteren ist in Erinnerung zu rufen, dass Gegenstand des Anspruchs 1 nicht das Handstück ist, folglich auch nicht das von der Verfügungsklägerin vertriebene Handstück. Auf dessen konkrete Ausgestaltung kommt es deshalb nicht entscheidungserheblich an, weshalb auch nicht zu klären ist, ob und inwieweit die durch die Geometrie des Eingangs der angegriffenen Ausführungsform unstreitig wirkende Blockade beim Verbindungsversuch des Handgriffs „…..X“ mittels (welchen) Drucks überwindbar ist, so dass – wie die Verfügungsklägerin behauptet – „ultimativ erst Ausschnitt und key structure“ verhindern, dass das Handstück vollständig falsch herum bis zum Einrasten in die Einheitenverbindungsstruktur gesteckt“ werde.
  46. Nur zur Abrundung sei darauf hingewiesen, dass der von der Verfügungsklägerin vertriebene Handgriff in dem hier relevanten Ausgestaltungsbereich dem in Figur 2 der Verfügungspatentschrift zeichnerisch dargestellten Ausführungsbeispiel eines (nicht von Anspruch 1 umfassten) Handstücks konstruktiv entspricht. Das beispielhafte gezeigte Handstück kann nach Figur 2 in die von Anspruch 1 unter Schutz gestellte und in Figur 2 als erfindungsgemäßes Ausführungsbeispiel gezeigte Rasierklingeneinheit eingeführt und von dem dort gezeigten Ausschnitt aufgenommen werden. Die angegriffene Ausführungsform gleicht der in Figur 2 beispielhaft dargestellten Rasierklingeneinheit in seiner konstruktiven Ausgestaltung.
  47. 2)
    Die Verfügungsklägerin kann die ihr zur Seite stehenden Ansprüche aus Art. 64 EPÜ i. V. m. §§ 139 Abs. 1, 140a PatG auch im Wege des Eilrechtsschutzes verfolgen. Sie hat einen Verfügungsgrund im Sinne der §§ 935, 940 ZPO glaubhaft gemacht.
  48. a)
    Der Erlass einer einstweiligen Verfügung kommt nur in Betracht, wenn sowohl die Frage der Patentverletzung als auch der Bestand des Verfügungsschutzrechts im Ergebnis so eindeutig zugunsten des Verfügungsklägers zu beantworten sind, dass eine fehlerhafte, in einem etwa nachfolgenden Hauptsacheverfahren zu revidierende Entscheidung nicht ernstlich zu erwarten ist. Davon kann regelmäßig nur ausgegangen werden, wenn das Verfügungspatent bereits ein erstinstanzliches Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren überstanden hat (OLG Düsseldorf BeckRS 2016, 09775; OLG Düsseldorf BeckRS 2016, 06028; OLG Düsseldorf BeckRS 2015, 01829; OLG Düsseldorf GRUR-RR 2013, 236 – Flupirtin-Maleat jew. m. w. N.; OLG Karlsruhe GRUR-RR 2015, 509 – Ausrüstungssatz. Anders OLG Braunschweig GRUR-RR 2012, 97 – Scharniere auf Hannover Messe und im Anschluss daran LG Braunschweig 9 O 1362/17, Urt. v. 29.09.2017 – juris). Um ein Verfügungsschutzrecht für ein einstweiliges Verfügungsverfahren tauglich zu machen, bedarf es deshalb grundsätzlich einer positiven Rechtsbestandsentscheidung der dafür zuständigen, mit technischer Sachkunde ausgestatteten Einspruchs- oder Nichtigkeitsinstanzen.
  49. Von einer solchen Entscheidung kann allerdings nach ständiger Rechtsprechung der Düsseldorfer Gerichte in Sonderfällen abgesehen werden. Ein Sonderfall wird beispielsweise angenommen, wenn der Verfügungsbeklagte oder ein sonstiger kompetenter Wettbewerber sich bereits mit eigenen Einwendungen am Erteilungsverfahren beteiligt hat, so dass die Patenterteilung sachlich der Entscheidung in einem zweiseitigen Einspruchsverfahren gleichsteht, oder wenn ein Rechtsbestandsverfahren deshalb nicht durchgeführt worden ist, weil das Verfügungspatent allgemein als schutzfähig anerkannt wird oder wenn sich die Einwendungen gegen den Rechtsbestand des Verfügungspatentes schon bei der dem vorläufigen Rechtsschutzverfahren eigenen summarischen Prüfung als haltlos erweisen oder wenn (z. B. mit Rücksicht auf die Marktsituation oder die aus der Schutzrechtsverletzung drohenden Nachteile) außergewöhnliche Umstände gegeben sind, die es für den Verfügungskläger ausnahmsweise unzumutbar machen, den Ausgang des anhängigen Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahrens abzuwarten (OLG Düsseldorf I-2 U 17/17, Urt. v. 14.12.2017; OLG Düsseldorf OLG Düsseldorf BeckRS 2014, 4902; OLG Düsseldorf GRUR-RR 2013, 236 – Flupirtin-Maleat; OLG Düsseldorf BeckRS 2013, 13744; OLG Düsseldorf BeckRS 2011, 08596; OLG Düsseldorf BeckRS 2010, 15862 – Harnkatheter; OLG Düsseldorf GRUR 2008, 1077 – Olanzapin).
  50. Wie das Landgericht zu Recht festgestellt hat, sind vorliegend außergewöhnliche Umstände gegeben. Es handelt sich um einen Sonderfall, bei dem ausnahmsweise eine positive Rechtsbestandsentscheidung nicht vonnöten ist. Der Verfügungsklägerin ist es nicht zumutbar, auf eine solche Entscheidung im anhängigen Nichtigkeitsverfahren zu warten oder auf ein Hauptsachverfahren verwiesen zu werden.
  51. aa)
    Die Schutzdauer des Verfügungspatents endet nach Ablauf der maximalen Laufzeit am 18.02.2018. Da der Markteintritt der angegriffenen Ausführungsform im ersten Quartal 2017 erfolgte und die Verfügungsklägerin glaubhaft gemacht hat, hiervon erstmalig am 28.04.2017 Kenntnis erlangt zu haben, kann die Überprüfung des Verletzungsvorwurfs nicht in einem Hauptsacheverfahren erfolgen, da mit einer Entscheidung in einem solchen Verfahren bis zum Ablauf des Verfügungspatents nicht gerechnet werden kann. Würde man die Verfügungsklägerin gleichwohl auf das Hauptsacheverfahren verweisen, wäre sie im Hinblick auf die ihr zustehenden Ansprüche wegen Patentverletzung schutzlos. Effektiver Rechtsschutz kann vielmehr nur im Wege eines Eilverfahrens gewährleistet werden.
  52. bb)
    Der Rechtsbestand des Verfügungspatents war zudem bis zum Jahr 2012, in dem die Fa. X GmbH 1 die erste Nichtigkeitsklage (BPatG ….. (EP)) erhoben hat, mithin ca. 14 Jahre, akzeptiert, obgleich die Verfügungsklägerin als Marktführerin bei Nass-Rasierern mit einem patentgemäßen Produkt („…..X Klingen“) selbst seit dem Jahre 1998 auf dem Markt ist.
    Nach Rücknahme der ersten Nichtigkeitsklage im Jahr 2013 stand der Rechtsbestand des Verfügungspatents für ca. 4 Jahre wieder nicht mehr in der Diskussion. Die von der Verfügungsbeklagten zu 1) erhobene zweite Nichtigkeitsklage (BPatG ….. (EP)) datiert vom 28.06.2017 (Anlage AR 10). Obwohl der Verfügungsbeklagten zu 1) als unmittelbare Wettbewerberin der Verfügungsklägerin das Verfügungspatent seit langem bekannt war, hat sie den Rechtsbestand erst im Zuge des hiesigen Verletzungsverfahrens – nach Einreichung zweier Schutzschriften und einer Antragserwiderung – angegriffen.
  53. cc)
    Die zweite Nichtigkeitsklage wurde ferner zu einem Zeitpunkt eingereicht, der angesichts der auf den 04.07.2017 vor dem Landgericht anberaumten mündlichen Verhandlung der Verfügungsklägerin erstinstanzlich zur Verteidigung wenig Zeit ließ und der zudem aufgrund der bekannten durchschnittlichen Laufzeiten von Nichtigkeitsverfahren eine Entscheidung zum Rechtsbestand vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung in der ersten Instanz ausschloss und auch vor Schluss der mündlichen Verhandlung in zweiter Instanz nahezu unwahrscheinlich machte. Da die Verfügungsbeklagte zu 1) des Weiteren mit der Einzahlung des Kostenvorschusses ca. 4 Monate zugewartet hat, so dass die Nichtigkeitsklage der Verfügungsklägerin erst am 23.11.2017 zugestellt werden konnte, ist nunmehr auch ausgeschlossen, dass vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren eine Entscheidung des zuständigen Nichtigkeitssenats zum Rechtsbestand ergeht.
  54. Auch wenn es dem Beklagten eines Verletzungsprozesses frei steht, ob und wann er den Rechtsbestand des gegen ihn geltend gemachten Patents angreift (BGH GRUR 2014, 758 – Proteintrennung; BGH GRUR 2012, 93 – Klimaschrank), kann sein (zögerliches) Verhalten im Rahmen eines Verfügungsverfahrens bei der Beurteilung des Verfügungsgrundes berücksichtigt werden. Wenn erst in Kenntnis des Verfügungsverfahrens die Nichtigkeitsklage erhoben wird, obwohl das Verfügungspatent bereits lange Zeit zuvor bekannt war, und zudem, vor allem im Bewusstsein der Terminierungen sowie der durchschnittlichen Zeitabläufe im Verletzungs- und Nichtigkeitsverfahren das Nichtigkeitsverfahren zögerlich betrieben wird, bedarf es der Darlegung sachlicher Gründe, die dies rechtfertigen.
    Derartige Gründe sind nicht ersichtlich oder vorgetragen. Den Verfügungsbeklagten war das Verfügungspatent bei Entwicklung der angegriffenen Ausführungsform (seit 2015) unstreitig bekannt. Sie haben ebenso unstreitig vor Markteintritt die Patentsituation durch Rechts- und Patentanwälte überprüfen lassen, wobei die Produkteinführung der angegriffenen Ausführungsform einige Vorbereitungszeit in Anspruch genommen hat. In der Schutzschrift der Verfügungsbeklagten zu 1), 7) und 8) vom 19.04.2017 haben diese überdies mitgeteilt, die Vorbereitungen für die Nichtigkeitsklage seien „weit fortgeschritten“. Weshalb nicht zu einem früheren Zeitpunkt während der Produktentwicklung und/oder weshalb mehr als 2 weitere Monate nach der Schutzschrift bis zur Einreichung der Nichtigkeitsklage verstrichen sind, blieb unerklärt. Gleiches gilt für die späte Einzahlung des Kostenvorschusses. Es ist weder dargetan noch sonst wie erkennbar, weshalb die Verfügungsbeklagte zu 1) hierfür ca. 4 Monate benötigte.
  55. dd)
    In dem durch Rücknahme beendeten ersten Nichtigkeitsverfahren (….. (EP)) hat das BPatG am 22.01.2013 einen qualifizierten Hinweis gem. § 83 Abs. 1 PatG erlassen, demzufolge Anspruch 1 des Verfügungspatents als rechtsbeständig angesehen wurde (Anlage Ast 11). Nach vorläufiger Auffassung des damaligen Nichtigkeitssenats war weder von einer unzulässigen Erweiterung, einer mangelnden Ausführbarkeit und/oder fehlender Neuheit und/oder dem Fehlen einer erfinderischen Tätigkeit auszugehen.
  56. Auch wenn dieser Hinweis selbstredend keine kontradiktorische positive Rechtsbestandsentscheidung darstellt, diese vorwegnimmt oder ersetzt, ist er indiziell zu berücksichtigen. Es handelt sich um eine gewichtige fachkundige Stellungnahme derjenigen Instanz, die über den Rechtsbestand des Verfügungspatents zu entscheiden hat. Unter Berücksichtigung des Sinn und Zwecks eines Hinweises nach § 83 Abs. 1 PatG kann grundsätzlich nicht von einer leichtfertigen und/oder unbeachtlichen Stellungnahme des mit technischen Richtern besetzten Spruchkörpers ausgegangen werden. Vielmehr ist regelmäßig anzunehmen, dass der Nichtigkeitssenat vor Erlass eines solchen Hinweises bereits eine umfassende und sorgfältige Prüfung der Sach- und Rechtslage vorgenommen hat, so dass, wenn er deutlich Stellung nimmt, dies nur dann unbeachtlich ist, wenn die in dem Beschluss geäußerte Auffassung des Nichtigkeitssenats auch für den technisch nicht ausgebildeten Verletzungsrichter erkennbar evident unrichtig ist (vgl. zur Bedeutung des Hinweisbeschlusses für die Aussetzungsentscheidung: OLG Düsseldorf I-2 U 75/16, Beschl. v. 24.08.2017 m. w. N.).
  57. Der damalige Nichtigkeitssenat hat in dem Hinweisbeschluss, wenn auch knapp, so doch deutlich ausgeführt, dass er Anspruch 1 des Verfügungspatents auch als neu und als auf erfinderischer Tätigkeit beruhend ansieht. Dass es sich hierbei um eine evident unrichtige Auffassung handelt, so dass dem Hinweis jedwede Bedeutung abzusprechen wäre, ist – wie im nachfolgenden erläutert wird – nicht zu erkennen.
  58. ee)
    Schließlich wird die angegriffene Ausführungsform zu einem Preis angeboten, der 30 % unterhalb des Preises liegt, für den die Verfügungsklägerin ihr erfindungsgemäßes Produkt auf dem Markt anbietet.
  59. b)
    Bei Vorliegen eines Sonderfalles ist auch ohne positive Rechtsbestandsentscheidung eine Verbotsverfügung zu erlassen, wenn das Verletzungsgericht aufgrund der ihm angesichts der betroffenen technischen Materie möglichen eigenen Einschätzung für sich die Überzeugung (im Sinne hinreichender Glaubhaftmachung) gewinnt, dass das Verfügungsschutzrecht rechtsbeständig ist, weil sich die mangelnde Patentfähigkeit seines Erfindungsgegenstandes nicht feststellen lassen wird. Hierfür müssen aus Sicht des Verletzungsgerichts entweder die besseren Argumente für die Patentfähigkeit sprechen, so dass sich diese positiv bejahen lässt, oder es muss (mit Rücksicht auf die im Rechtsbestandsverfahren geltende Beweislastverteilung) die Frage der Patentfähigkeit mindestens ungeklärt bleiben, so dass das Verletzungsgericht, wenn es anstelle des Patentamtes oder des BPatG in der Sache selbst zu befinden hätte, dessen Rechtsbestand zu bejahen hätte (OLG Düsseldorf I-2 U 17/17, Urt. v. 14.12.2017).
  60. Auf Grundlage der von den Verfügungsbeklagten vorgebrachten Einwände ist nach Überzeugung des Senats die mangelnde Patentfähigkeit des geltend gemachten Anspruchs 1 nicht festzustellen. Es sprechen die besseren Argumente für dessen Rechtsbeständigkeit.
  61. aa)
    Keine der von der Verfügungsbeklagten zu 1) im anhängigen Nichtigkeitsverfahren (BPatG ….. (EP)) entgegengehaltenen Druckschriften nimmt nach Auffassung des Senats die Lehre von Anspruch 1 des Verfügungspatents neuheitsschädlich vorweg.
  62. Die Beurteilung, ob der Gegenstand eines Patents durch eine Vorveröffentlichung neuheitsschädlich getroffen ist, erfordert die Ermittlung des Gesamtinhalts der Vorveröffentlichung. Maßgeblich ist, welche technische Information dem Fachmann offenbart wird. Der Offenbarungsbegriff ist dabei kein anderer, als er auch sonst im Patentrecht zu Grunde gelegt wird. Zu ermitteln ist deshalb nicht, in welcher Form der Fachmann etwa mit Hilfe seines Fachwissens eine gegebene allgemeine Lehre ausführen oder wie er diese Lehre gegebenenfalls abwandeln kann, sondern ausschließlich, was der Schrift aus fachmännischer Sicht unmittelbar und eindeutig zu entnehmen ist (BGH BeckRS 2017, 111691; BGH BeckRS 2015, 14874; BGH GRUR 2014, 758 – Proteintrennung; BGH GRUR 2009, 382 – Olanzapin). Zu dem danach Offenbarten gehört allerdings nicht nur dasjenige, was im Wortlaut der Veröffentlichung ausdrücklich erwähnt wird. Nicht anders als bei der Ermittlung des Wortsinns eines Patentanspruchs ist vielmehr der Sinngehalt der Veröffentlichung maßgeblich, also diejenige technische Information, die der fachkundige Leser der jeweiligen Quelle vor dem Hintergrund seines Fachwissens entnimmt (BGH BeckRS 2017, 111691; BGH GRUR 2014, 758 – Proteintrennung; BGH GRUR 2009, 382 – Olanzapin). Hierzu gehören auch Abwandlungen und Ergänzungen, die nach dem Gesamtzusammenhang der Schrift für den Fachmann derart naheliegen, dass sie sich ihm bei aufmerksamer, weniger auf die Worte als ihren erkennbaren Sinn achtenden Lektüre ohne Weiteres erschließen, so dass er sie gleichsam mitliest, auch wenn er sich dessen nicht bewusst ist (BGH GRUR 2014, 758 – Proteintrennung; BGH GRUR 1995, 330 – Elektrische Steckverbindung). Die Berücksichtigung solcher Umstände zielt nicht auf eine Ergänzung der Offenbarung durch das Fachwissen, sondern auf die Erfassung der technischen Information, die der Fachmann durch eine Schrift erhält, in ihrer Gesamtheit. Abwandlungen und Weiterentwicklungen dieser Information gehören ebenso wenig zum Offenbarten wie diejenigen Schlussfolgerungen, die der Fachmann kraft seines Fachwissens aus der erhaltenen technischen Information ziehen mag (BGH GRUR 2014, 758 – Proteintrennung; BGH GRUR 2009, 382 – Olanzapin). Gleichfalls unzulässig ist es, Erkenntnisse in die Offenbarung hineinzuinterpretieren, die erst die Lehre des Patents gebracht hat (BGH GRUR 1989, 899 – Sauerteig).
  63. Ist nach diesen Maßstäben ein Gegenstand im Stand der Technik bekannt, wird er nicht dadurch zu einem neuen Gegenstand, dass er besondere Eigenschaften aufweist, die bisher nicht festgestellt wurden bzw. werden konnten (BGH GRUR 1988, 899 – Alpinski).
  64. Diese allgemeinen Regeln gelten auch für die objektive Eignung eines Gegenstandes mit Blick auf Zweck-, Wirkungs- oder Funktionsangaben im Patentanspruch (BGH BeckRS 2015, 14874). Ein auf ein Erzeugnis als solches gerichteter Patentanspruch, der das Erzeugnis unter anderem mit der bloßen Eignung für eine bestimmte Funktion, zu einem bestimmten Zweck, einer Nutzung oder Wirkung definiert, ohne allein diese Verwendung zu beanspruchen, ist folglich nicht neu, sofern ein solcher Gegenstand dem Wortsinn nach zum Stand der Technik gehörte und die entsprechende Eignung aufwies, auch wenn die Möglichkeit einer dieser Eignung entsprechenden Nutzung oder Wirkung dem Fachmann zum Prioritätszeitpunkt nicht bekannt war (BGH BeckRS 2015, 15056; BGH GRUR 1998, 899; BeckOK PatR/Fitzner PatG § 3 Rn. 160; Benkard/Melullis, PatG, 10. Aufl., § 3 Rn. 38; Busse/Keukenschrijver, PatG, § 3 Rn. 98). Die Neuheit ist nur dann zu bejahen, wenn im Stand der Technik keine Lehre und keine Vorbenutzung öffentlich zugänglich war, deren Gegenstand geeignet gewesen wäre, entsprechend den im Patentanspruch definierten Funktions-, Zweck- und Wirkungsangaben benutzt zu werden (BGH BeckRS 2015, 15056).
  65. aaa)
    Die WO 2 (Anlage ASt 18, deutsche Übersetzung ASt 18a, AR 6 nachveröffentlichte EP-B- …A, D7 Nichtigkeitsklage) nimmt nach Überzeugung des Senats Anspruch 1 des Verfügungspatents nicht vorweg. Es lässt sich jedenfalls nicht feststellen, dass diese Druckschrift eine „auswechselbare“ Rasierklingeneinheit offenbart.
  66. Unter einer auswechselbaren Rasierklingeneinheit versteht das Verfügungspatent eine solche, die bei ordnungsgemäßen Gebrauch durch den Nutzer mit einem Handstück verbindbar ist, d. h. sie muss geeignet sein, zerstörungs- bzw. beschädigungsfrei mit einem Handstück verbunden zu werden, aber von diesem auch zerstörungs- bzw. beschädigungsfrei wieder gelöst und entfernt werden zu können. Die Rasierklingeneinheit muss vom Nutzer gewechselt werden können; er soll die Rasierklingeneinheit insbesondere aus einem Spender nehmen und mit jedem passenden Handstück verbinden können (Anlage ASt 9/9a Absatz [0002]).
  67. Die Entgegenhaltung trägt den Titel „Wegwerf-Rasierer mit festem Kopf“. Sie betrifft ein Rasiersystem, das unter anderem einen Griff (12), einen Rasierkopf (14), ein Kappenelement (44) und ein Plattformelement (30) umfasst. Beispielhaft dargestellt ist dies in den nachfolgend eingeblendeten verkleinerten Figuren 3, 7 und 8 der Schrift (Anlage ASt 18/18a).
  68. Dass der offenbarte Rasierkopf (14) auswechselbar mit dem Griff (12) verbindbar ist, ist der WO 2 aus fachmännischer Sicht indes nicht unmittelbar und eindeutig zu entnehmen. Derartiges wird weder ausdrücklich erwähnt noch ergibt es sich bei der Ermittlung des Sinngehalts der offenbarten technischen Lehre. Der Fachmann liest dies nicht gleichsam mit.
  69. Die Offenbarung befasst sich, wie insbesondere auf Seite 1, Zeilen 17 bis 27 der Druckschrift zu lesen ist, mit einem Rasierkopf (14), der im Verhältnis zu dem Griff (12) so befestigt ist, dass die ganze Rasierkonstruktion bei Beendigung der Nutzungsdauer des Rasierers entsorgt werden kann. Dies ermöglicht eine wirtschaftliche Herstellung der Rasiererbestandteile durch Presstechniken. Der in der Druckschrift offenbarte Kopplungs- bzw. Verbindungsmechanismen zwischen Griff (12) und Rasierkopf (14) ermöglicht derartiges und sieht eine mechanisch solide Verbindung zwischen den beiden vor. In Anbetracht dessen werden verschiedene Verriegelungs- und Verbindungselemente offenbart, die dazu führen, dass es zu einem festen Eingriff von Rasierkopf (14) und Griff (12) miteinander kommt (vgl. bspw. Anlage ASt 18/18a, Seite 3, Zeilen 9 bis 23, Seite 9, Zeilen 20 bis 33). Weshalb abweichend von der ausdrücklich offenbarten festen Verbindung der Bestandteile mit dem Ziel des gemeinsamen Entsorgens des (gesamten) Rasiersystems der Fachmann gleichwohl davon ausgehen sollte, dass die in der Druckschrift offenbarte Verbindung bzw. Koppelung von Rasierkopf und Griff vom Nutzer bei bestimmungsgemäßen Gebrauch beschädigungs- bzw. zerstörungsfrei gelöst werden könnte, so dass der offenbarte Rasierkopf mit einem anderen (oder aber auch demselben) Griff verbunden werden könnte, erschließt sich dem Senat nicht.
    Derartiges wird vor allem nicht aus den Figuren 3, 7 oder 8 hinreichend deutlich. Die Figuren 3 und 8 stellen zwar den Rasierkopf (14) und den Griff (12) separat voneinander dar. Allein daraus folgt für den Fachmann indes keine Auswechselbarkeit. Da er die Erkenntnisse, die ihm die Schrift insgesamt bietet, nicht ausblendet, versteht er diese Darstellungen nur als bildliche beispielhafte Beschreibung der offenbarten Bauteile, die nach der Offenbarung eben fest miteinander verbunden werden. Die Figuren zeigen folglich die Bauteile vor ihrer mechanisch soliden Verbindung. Die Figur 7 zeigt das offenbarte Rasiersystem in einem Zustand, in dem der Griff (12) und der Rasierkopf (14) miteinander verbunden und insbesondere verriegelt sind. Eine Lösbarkeit und/oder Entfernungsmöglichkeit des Rasierkopfes (14) vom Griff (12) ist nicht ersichtlich. Erkennbar ist vielmehr, dass bei Aufstecken des Rasierkopfes (14) auf den Übergangsabschnitt (16) des Handstücks (12) die Verriegelungszinke (90) fest in die Hülse (32) des Rasierkopfs (14) einrastet. Die Verriegelungszinke (90) weist auf ihrer Rückseite eine Verriegelungsaussparung (106) auf, der in Eingriff mit einer Verriegelungskantenvorsprung (124) auf der Innenseite des Gehäuses der Hülse (32) gelangt. Zudem hat die gezeigte Verriegelungszinke (90) einen Verriegelungsvorsprung (102), der in Eingriff mit der Verriegelungsschulter (120) des Rasierkopfes (14) kommt.
  70. Soweit die Verfügungsbeklagten zur Begründung ihrer Auffassung hervorheben, dass es sich bei der „Auswechselbarkeit“ um eine Funktionsangabe des Verfügungspatents handele und dass (nach hier vertretener Auffassung) Gegenstand des Anspruchs 1 des Verfügungspatents lediglich die Rasierklingeneinheit und nicht auch ein Handstück ist, und unter Verweis auf die oben erläuterte Rechtsprechung des BGH zu dem Schluss kommen, es reiche aus, dass die Rasierklingeneinheit nach der WO 2 die objektive Eignung aufweise, mit einem entsprechenden Handstück auswechselbar verbunden zu werden, wobei die Nutzung als solche dem Fachmann jedoch nicht bekannt und folglich auch nicht in der Schrift offenbart sein muss, vermag sich der Senat dieser Argumentation nicht anzuschließen.
    Der BGH hat, wie ausgeführt, entschieden, dass für Funktions-, Wirkungs- und Zweckangaben die allgemeinen Regeln der Neuheitsprüfung gelten. Demzufolge ist auch hierfür entscheidend, was die Schrift unmittelbar und eindeutig offenbart. Maßgeblich ist der Sinngehalt der Gesamtoffenbarung. Neuheit ist zu verneinen, wenn der Gegenstand des entgegengehaltenen Standes der Technik geeignet gewesen wäre, entsprechend den im Patentanspruch definierten Funktions-, Zweck- und Wirkungsangaben benutzt zu werden. Genau daran fehlt es hier. Gegenstand der WO 2 ist, wie erläutert, nicht nur ein Rasierkopf, sondern ein Rasierkopf (14), der mit dem dort offenbarten Griff (12) derart verbunden ist, dass er gemeinsam mit diesem entsorgt wird. Nach der Verbindung der beiden Teile bilden diese ein (einheitliches) Rasiersystem, von dem der Nutzer nicht einzelne Teile lösen bzw. entfernen kann. Der Rasierkopf (14) ist zerstörungsfrei nicht mehr von dem Griff (12) abnehmbar, er kann nicht mit einem anderen/weiteren Griff verbunden werden. Der in der WO 2 offenbarte Rasierkopf ist folglich nach dem Wortsinn (und nicht nur nach dem Wortlaut) der Schrift objektiv nicht geeignet, bei bestimmungsgemäßen Gebrauch vom Nutzer ausgewechselt zu werden. Es geht somit nicht (nur) darum, dass der Fachmann anhand der Offenbarung nicht erkannt hat bzw. erkennen konnte, dass der dort gezeigte Rasierkopf auch einer anderen als der offenbarten Nutzung zugeführt werden kann, oder dass einem bekannten Gegenstand eine neue Eigenschaft zugesprochen wird. Um zu der von Anspruch 1 des Verfügungspatents geschützten Lehre zu gelangen, muss der Rasierkopf der WO 2, der lediglich als Teil eines Rasiersystems offenbart wird, vielmehr konstruktiv umgestaltet werden; die gelehrte Verbindung mit dem Griff muss unter Nichtbeachtung der Offenbarung lösbar gestaltet und damit abgeändert werden. Erst dann ist die erforderliche Eignung zur Auswechselbarkeit überhaupt gegeben. Hierfür findet sich, wie gleichfalls schon erläutert, indes keinerlei Anhalt in der Offenbarung. Der Fachmann wird insbesondere nicht isoliert Figuren aus einer Offenbarung betrachten und für darin gezeigte Bauteile nach konstruktiver Umgestaltung eine objektive Eignung mitlesen, die – sozusagen in rückschauender Betrachtung – zu einer Funktion eines Bauteils führt, die das Verfügungspatent lehrt.
  71. Diese Sichtweise steht mit der im Hinweisbeschluss des BPatG vom 22.01.2013 (Anlage ASt 11) geäußerten vorläufigen Auffassung in Einklang. Auch der damals zuständige Nichtigkeitssenat sah eine Offenbarung des Merkmals „auswechselbare“ Rasierklingeneinheit durch die dort als NK5 vorgelegte Schrift nicht als gegeben an.
  72. bbb)
    Anspruch 1 wird nach Überzeugung des Senats ebenso wenig durch die Druckschrift FR ….. (Anlage AR 8, deutsche Übersetzung AR8a, D11 Nichtigkeitsklage), welche die Verfügungsbeklagten in der mündlichen Verhandlung als ihren „stärksten“ Angriff angegeben haben, neuheitsschädlich vorweggenommen.
  73. Die FR ….. betrifft einen mechanischen Rasierer mit Trommel. Der mechanische Rasierer (1) weist einen um eine Achse (4) drehbar angeordneten Rotationskopf (2) in Form einer Trommel auf, der mit mehreren Klingen (3) bestückt ist, die über die Oberfläche des Kopfes (2) verteilt sind und selektiv in eine Betriebsposition gebracht werden können. Die Achse (4) ist fest mit einem Handgriff verbunden. Die Arretierung einer der Klingen (3) in Gebrauchsposition wird laut der allgemeinen Beschreibung der Druckschrift erzielt, indem ein Nocken (6), der fest mit dem Abschnitt des Schafts des Handgriffs verbunden ist, der die genannte Achse rechtwinkelig verlängert, in Radialnuten (7) der Trommel eingreift (Anlage AR 8/8a, Seite 1, Zeilen 26 bis 33).
    Zum besseren Verständnis werden nachfolgend die Figur 1, eine perspektivische explodierte Ansicht einer ersten Ausführungsform, und die Figur 4, eine perspektivische explodierte Ansicht einer zweiten Ausführungsform, verkleinert eingeblendet.
  74. Diese Entgegenhaltung offenbart nach Ansicht des Senats jedenfalls Merkmal 2.3.1 nicht.
  75. Den Verfügungsbeklagten mag zwar darin zuzustimmen sein, dass die die (erste) Ausführungsform darstellende Figur 1 Radialnuten (7) zeigt, die grundsätzlich als Ausschnitte angesehen werden können, die objektiv geeignet sind zur Aufnahme des mit ihnen zusammenpassenden Nocken (7). Der Figur 1 und der dazugehörenden textlichen Beschreibung ist jedoch zunächst nicht zu entnehmen, dass die für dieses Ausführungsbeispiel gezeigte Trommel selbst auswechselbar ist. Vielmehr ist stets nur die Rede davon, dass die aufnehmbaren Kartuschen, die mindestens eine Klinge enthalten, auswechselbar sind. Angesichts dessen und der Drehbarkeit der Trommel um die Achse ist ein Austausch der Trommel als solcher aus Sicht des Fachmanns auch nicht notwendig. Bei diesem Beispiel kommt es folglich nur zu einem „einmaligen“ Aufsetzen der Trommel auf die Drehachse. Beides ist sodann (gebrauchstauglich fest) miteinander verbunden. Aber selbst wenn der Fachmann abweichend von der Beschreibung wegen des zweiten erläuterten Ausführungsbeispiels entsprechend Figur 4 davon ausgehen würde, dass es auch bei dem ersten Ausführungsbeispiel zu einem Auswechseln der Trommel kommen kann, stellt sich bei einem (ein- oder mehrmaligen) Aufsetzen der Trommel auf die Achse, wollte man dies als das vom Verfügungspatent bezweckte Verbinden von Klingeneinheit und Handstück ansehen, kein Ausrichtungsproblem i. S. d. erfindungsgemäßen Lehre. Die Verbindungsstrukturen der Offenbarung, Drehachse und zentraler zylindrisch hohler Bereich der Trommel, sind zum Zwecke der Drehbarkeit rotationssymmetrisch. Die Ausrichtung der Trommel und der Achse ist bei der Bewegung entlang der Verbindungsachse immer gleich. Es gibt nicht die Situation einer „verdrehten“ Achse im Verhältnis zur Trommel während dieser Bewegung. Zu einer solchen kommt es auch nicht, weil nach der Offenbarung zur Arretierung einer Klinge der Nocken (6), der fest mit dem Abschnitt des Schafts verbunden ist, der die Drehachse rechtwinkelig verlängert, in Radialnuten (7) der Trommel eingreift (vgl. Anlage AR 8/8a, Seite 1, Zeilen 26 bis 33, Seite 3, Zeile 30 bis Seite 4, Zeile 3). Arretierung bedeutet nach der Offenbarung Feststellen bzw. Fixieren der Klinge, nicht Ausrichten. Die Fixierung ist erforderlich zum Gebrauch der jeweiligen Klingen. In diesem Zeitpunkt ist die Trommel jedoch schon auf die Achse aufgesetzt und die Bewegung entlang der Verbindungsachse bereits beendet. Eine Förderung der ordnungsgemäßen Ausrichtung – so es denn aufgrund der Verbindungsstrukturen überhaupt eine fehlerhafte Ausrichtung geben würde – während der Bewegung ist demnach nicht (mehr) möglich.
  76. Der Figur 4 und ihrer textlichen Beschreibung ist zu diesem Punkt nichts anderes zu entnehmen. Auch wenn für die zweite Ausführungsform ebenfalls ein Nocken und Radialnuten offenbart sind (Anlage AR 8/8a, Seite 4, Zeile 3), greift ersterer erst dann in eine Radialnut ein, wenn die Bewegung entlang der Verbindungsachse bereits beendet ist. Es stellt sich das Problem einer nicht ordnungsgemäßen Ausrichtung i. S. d. Verfügungspatents nicht.
  77. Schließlich vermag der Fachmann auch der Figur 6 das Merkmal 2.3.1 nicht unmittelbar und hinreichend deutlich zu entnehmen. Die nachfolgend eingeblendete Figur 6 ist eine schematische Zeichnung, die das Halten der Trommel (2) mittels einer Schraube (18) mit Feder (18a) an dem Endabschnitt (5b) des Schafts (5) darstellt.
  78. Auch wenn mit der Bezugsziffer (7) eine Radialnut gezeigt ist und der Zeichnung ferner infolge der senkrechten Strichelung am gegenüberliegenden unteren schraffierten Teil der Trommel zu entnehmen sein sollte, dass sich auch dort eine Radialnut befindet, gibt es keinen Anhalt, dass und weshalb der Fachmann daraus erkennen können sollte, das diese Radialnut bzw. die Radialnuten als Ausschnitte einer Einheitenverbindungsstruktur bei einer Bewegung der Achse entlang der Verbindungsachse in die Trommel eine ordnungsgemäße Ausrichtung der Achse fördern können. Auch hier stellt sich das Problem einer nicht ordnungsgemäßen Ausrichtung eines Handgriffs im Verhältnis zur Rasierklingeneinheit nicht. Es gilt das zuvor Gesagte. Die Beschreibung dieser Figur enthält hierzu auch nichts. Auf Seite 5, Zeilen 23 bis 29 wird allein die Schraubverbindung erklärt und dass mit Hilfe der Schraube (18) die Position der Trommel (2) derart gesteuert werden kann, dass die gewünschte Klinge (3) in die Betriebsposition gebracht wird. Ohne rückschauende Betrachtung hat dies mit der technischen Lehre des Anspruchs 1 nichts zu tun.
  79. ccc)
    Auch das EP…B (Anlage AR 18, deutsche Übersetzung AR 18a, D14 Nichtigkeitsklage), die laut Angabe der Verfügungsbeklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, die „zweitstärkste“ Entgegenhaltung ist, offenbart Anspruch 1 des Verfügungspatents nach Ansicht des Senats nicht.
  80. Die Entgegenhaltung offenbart eine Einweg-Rasieranordnung, die einen Griffabschnitt, einen Kopfabschnitt und einen Rasierkopf (3) umfasst. Der Griffabschnitt umfasst einen näher beschriebenen Rasierschaum enthaltenen Aerosolbehälter (1), der Kopfabschnitt eine Kappe (2), die entfernbar an dem Griffabschnitt angebracht ist. Veranschaulicht wird die offenbarte Erfindung beispielhaft in der nachfolgend eingeblendeten verkleinerten Figur 2.
  81. Die Kappe (2) ist zum Griffabschnitt in der Weise angeordnet, dass sie sich während normaler Rasiervorgänge nicht von dem Griff löst. Sie kann, wie die Entgegenhaltung ausführt, reibend als Schiebegleitsitz angebracht oder als Schnappverbindung geformt sein. Alternativ kann sich die Kappe in einer Schraubengewindeverbindung oder einer Bajonettverbindung mit der Griffeinheit befinden (Anlage AR 18a, Seite 2, Zeilen 8 bis 11).
  82. Soweit die Verfügungsbeklagten argumentieren, durch die Erwähnung einer Bajonettverbindung offenbare die Entgegenhaltung sämtliche Merkmale des Anspruchs 1 des Verfügungspatents, kann dem nicht gefolgt werden. Es mangelt jedenfalls an der Offenbarung des Merkmals 2.1.1.
  83. Das Merkmal 2.1.1 besagt, dass die erfindungsgemäße Verbindung der auswechselbaren Rasierklingeneinheit mit einem Handstück „bewirkt“ [„is effected“] wird „durch die Bewegung des genannten Handstücks entlang einer Verbindungsachse in Richtung der genannten Einheitenverbindungstruktur.“
    Verbunden sind Rasierklingeneinheit und Handstück nach der technischen Lehre des Verfügungspatents, wenn das Handstück so von bzw. in der erfindungsgemäßen Einheitenverbindungsstruktur aufgenommen ist, dass vorzugsweise ein Ausgeben der aus Handstück und Rasierklingeneinheit gebildeten Einheit aus einem Spender und zwingend ein bestimmungsgemäßer Gebrauch als Rasierer durch den Nutzer möglich ist. Hierfür bedarf es der „Fertigstellung“ der Verbindung. Erzielt („bewirkt“) werden soll diese für die Nutzung als Rasierer taugliche Verbindung, wie das in Rede stehende Merkmal ausdrücklich vorgibt, mittels einer Bewegung, nämlich einer solchen, die entlang der Verbindungsachse in Richtung der genannten Einheitenverbindungstruktur verläuft. Die genannte Bewegung ist folglich das „Mittel der Wahl“ des Verfügungspatents zur Verbindung. Diese Bewegung muss – wie bereits in anderem Zusammenhang ausgeführt – einen (erheblichen) Anteil zur Verbindung von Rasierklingeneinheit und Handstück leisten; die nach der Erfindung erforderliche Verbindung darf nicht erst bzw. nur durch ein anderes Mittel, welches im Anspruch nicht genannt ist, bewirkt werden (vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 21.12.2017, I-15 U 88/16; OLG Düsseldorf Urteil v. 19.09.2013 I-2 U 80/12; OLG Düsseldorf, Urt. v. 21.02.2013, I-2 U 68/11).
  84. Eine Verbindung im genannten Sinne kann der Fachmann der EP…B nicht unmittelbar und eindeutig entnehmen, selbst dann nicht, wenn zugunsten der Verfügungsbeklagten angenommen wird, dass der Fachmann aufgrund der schlichten Erwähnung einer Bajonettverbindung die Ausgestaltung vor Augen haben sollte, die sie in der von ihnen überreichten Skizze im Prinzip bzw. schematisch dargestellt haben.
    Den Verfügungsbeklagten ist zwar insoweit beizupflichten, dass auch bei einer solchen Bajonettverbindung zunächst eine Bewegung des Griffabschnitts entlang der Verbindungsachse in Richtung der Kappe erforderlich ist, und dass bei dieser Bewegung die Bajonettgegenstücke in Materialausschnitte an der Kappe eintauchen. Durch diese Bewegung wird jedoch keine erfindungsgemäße Verbindung hergestellt. Der Griffabschnitt und die Kappe sind noch nicht miteinander verbunden, eine bestimmungsgemäß zu gebrauchende Rasieranordnung wird nach der Offenbarung mittels dieser Bewegung nicht bewirkt. Es bedarf vielmehr zwingend einer senkrecht zur Verbindungsachse erfolgenden Drehbewegung, so dass die Bajonettgegenstücke in die dafür vorgesehenen Ausschnitte, die senkrecht zur Verbindungsachse liegen, eingreifen können. Erst dann sind der gezeigte Griffabschnitt und die gezeigte Kappe miteinander verbunden und kann die offenbarte Rasieranordnung bestimmungsgemäß durch den Nutzer benutzt werden. Mithin wird die Verbindung nicht durch die erstgenannte Bewegung, sondern nur durch die zweitgenannte Drehbewegung erzielt. Da die erstgenannte Bewegung nach der Offenbarung keinen Anteil an der Verbindung der genannten Teile hat, ist auch nicht die Situation gegeben, dass die zweitgenannte Drehbewegung nur ein zusätzlicher Schritt wäre. Die Entgegenhaltung offenbart keine Verbindung im Sinne der technischen Lehre des Verfügungspatents allein mittels der Bewegung des Griffabschnitts entlang der Verbindungsachse in Richtung der Kappe.

    ddd)
    Die US ….. (Anlage AR 9, D9 Nichtigkeitsklage), deren Gegenstand (nur) ein Handgriff für einen Rasierer, nicht jedoch eine Rasierklingeneinheit ist, nimmt Anspruch 1 des Verfügungspatents aus Sicht des Senats ebenfalls nicht neuheitsschädlich vorweg. Es mangelt jedenfalls an Merkmal 2.3.2.

  85. Merkmal 2.3.2 verlangt, dass der Ausschnitt gemäß Merkmal 2.3, 2.3.1 „an dem“ Eingang der Einheitenverbindungsstruktur der Rasierklingeneinheit angeordnet ist. Dies bedeutet, dass ein konstruktiv vom Eingang zu unterscheidender Ausschnitt das Gehäuse der Einheitenverbindungsstruktur in eine andere Richtung als der Eingang öffnet und dass Ausschnitt und Eingang nicht voneinander beabstandet sind.
  86. Bereits der Wortlaut des Anspruchs („an dem Eingang“) legt die örtliche Position des erfindungsgemäßen Ausschnittes klar fest. Eine Beabstandung von Ausschnitt und Eingang ist nicht vorgesehen.
  87. Der Begriff „Eingang“ bedeutet nach allgemeinem sprachlichen und technischen Verständnis eine (Material-)Öffnung in einem Bauteil, in die ein anderes Bauteil hinein bzw. eingeführt werden kann. Dieses Verständnis prägt auch das Verfügungspatent: Der Eingang [„entrance“] der Einheitenverbindungsstruktur der Rasierklingeneinheit dient zur Aufnahme eines Abschnittes der Handstückverbindungsstruktur eines Handstücks zwecks Verbindung von Rasierklingeneinheit und Handstück, wie insbesondere auch die Absätze [0030], [0035], [0036] der Verfügungspatentschrift (Anlage ASt 9/9a) belegen.
    Zur weiteren konstruktiven Gestalt des Eingangs macht das Verfügungspatent keine zwingenden Vorgaben. Lediglich im Rahmen der Beschreibung eines bevorzugten Ausführungsbeispiels wird erläutert, dass in einem planaren Abschnitt senkrecht zur Verbindungsachse eine asymmetrische Form bevorzugt ist, in die sodann ein asymmetrisch geformtes Gegenstück der Handstückverbindungsstruktur eingreifen kann (Anlage ASt 9/9a Absätze [0024], [0032], [0036]). Angesichts des weiter gefassten Anspruchswortlauts sowie des Umstands, dass die genannte Funktion des Eingangs durch unterschiedliche Gestaltungen erzielt werden kann, steht es demzufolge im Belieben des Fachmanns, wie er den Eingang und z. B. seinen Querschnitt im Einzelnen konstruiert. Soweit und solange die vorhandene Öffnung in der Einheitenverbindungsstruktur geeignet ist, einen Abschnitt einer Handverbindungsstruktur eines Handstücks zwecks Verbindung aufzunehmen, ist sie anspruchsgemäß.
    Der Anspruch legt in Merkmal 2.2.1 nur noch die Ausrichtung des Eingangs fest: Er muss parallel zur Verbindungsachse ausgerichtet sein. Dies ist erforderlich, weil die Verbindung von Rasierklingeneinheit und Handstück entsprechend Merkmal 2.1.1 durch die Bewegung des Handstücks entlang der Verbindungsachse in Richtung der Einheitenverbindungsstruktur bewirkt wird.
  88. Von dem erfindungsgemäßen Eingang [„entrance“] ist der Ausschnitt [„cutaway portion“] zu differenzieren. Es handelt sich – wie schon der Umstand, dass beide im Anspruch benannt sind, nahelegt – nach der technischen Lehre des geltend gemachten Anspruchs um zwei verschiedene Bestandteile, für die verschiedene räumlich-körperliche Vorgaben aufgestellt und die mit unterschiedlichen Funktionen bedacht sind, wenn auch beide grundsätzliche eine Materialaussparung darstellen und eine etwaige asymmetrische Ausgestaltung des Eingangs ebenso wie der erfindungsgemäße Ausschnitt Mittel zur Förderung einer ordnungsgemäßen Ausrichtung eines Handstücks bei der Verbindung mit der Rasierklingeneinheit bereitstellen kann (Anlage ASt 9/9a Absätze [0024], [0031], [0032], [0036]). Obgleich mithin beide der Förderung der Ausrichtung des Handstücks dienen können, geht das Verfügungspatent in den zitierten Beschreibungsstellen deutlich davon aus, dass beide jeweils einen eigenen Beitrag hierzu leisten. Eingang und Ausschnitt werden klar voneinander unterschieden. Auf Basis dessen erwartet der Fachmann zwei konstruktiv voneinander zu unterscheidende Materialaussparungen, die ihre jeweilige Funktion erfüllen können. Eingang ist eine Öffnung im Gehäuse der Einheitenverbindungsstruktur und Ausschnitt ein weggeschnittener Teilbereich des Gehäuses. Der Fachmann geht demgegenüber nicht davon aus, dass der Ausschnitt nur ein Teil des gegebenenfalls asymmetrischen Öffnungsquerschnitts des Eingangs ist. Dies auch deshalb nicht, weil in diesem Fall der für den Ausschnitt vorgegebenen Positionsangabe „an dem Eingang“ kein Sinn beigemessen werden könnte.
    Konstruktiv zu unterscheiden ist der erfindungsgemäße Ausschnitt von dem Eingang, an dem er entsprechend der technischen Lehre des Anspruchs 1 ohne Beabstandung angeordnet ist, wie der Fachmann erkennt, wenn er das Gehäuse der Einheitenverbindungsstruktur in eine andere Richtung als der Eingang öffnet, wie es beispielhaft in der vom Verfügungspatent als bevorzugt beschriebenen Ausführungsform gezeigt ist (Figur 2 Anlage ASt 9/9a).
  89. Auf dieses Verständnis weist den Fachmann auch Merkmal 2.4 hin, wonach der Eingang und der Ausschnitt einen behinderungsfreien Durchgang für die zusammenpassende Keilstruktur [„mating key structure“] bereitstellen. Es ist mithin nicht nur für eines der Bestandteile die Durchgangsmöglichkeit gefordert, vielmehr müssen beide (gemeinsam) einen Durchgang für die Keilstruktur bereitstellen. Dies tun sie nur, wenn sie so zueinander angeordnet sind, dass die Keilstruktur nicht nur von dem Ausschnitt aufgenommen wird, sondern sie (jedenfalls zum Teil) durch den Eingang in den Ausschnitt geführt wird. Auch hierfür ist notwendig, dass der Ausschnitt unmittelbar/ohne Abstand am Eingang angeordnet ist und das Gehäuse der Einheitenverbindungsstruktur in eine andere Richtung öffnet als der Eingang.
  90. Dieses Verständnis lag nach Ansicht des Senats auch dem Hinweisbeschluss des BPatG vom 22.01.2013 im ersten Nichtigkeitsverfahren (….. (EP), Anlage ASt 11, S. 4) zugrunde. Das BPatG hat bezüglich des Merkmals 2.4 (nach der dortigen Merkmalsgliederung Merkmal 1.2.5) ausgeführt, dass dies nach seiner vorläufigen Auffassung auf „einen Ausschnitt (80) am Anfang der Aufnahme im Sinne des Ausführungsbeispiels hin(deutet)“.
  91. Dieses Verständnis zugrunde gelegt, offenbaren die nachfolgend verkleinert eingeblendeten Figuren 4 und/oder 7 der US ….., auf welche die Verfügungsbeklagten allein abstellen, keinen Ausschnitt am Eingang.
  92. Bei dem von den Verfügungsbeklagten in Bezug genommenen Bereich, der vor den Vorsprüngen d und d´ der Rasierkartusche liegt, handelt es sich nicht um einen Ausschnitt im erläuterten Sinne. Er ist vielmehr lediglich eine Querschnittsverjüngung des Eingangs. Die Verjüngung befindet sich im, nicht am Eingang, und sie öffnet auch nicht das Gehäuse in eine andere Richtung als der Eingang.
    Soweit die Verfügungsbeklagten alternativ bei der in Figur 7 dargestellten Rasierkartusche eine Linie unterhalb der Linie e-e der Anstoßflächen ziehen, die ausgehend von der gezeigten Senkrechten einen Winkel eröffnet, verfängt auch dies nicht. Es ist bereits nicht ersichtlich, dass und weshalb der Fachmann an die Figur 7 ein Geodreieck anlegt und diese Linie ziehen sollte. Ebenso wenig erschließt sich, weshalb er im Folgenden davon ausgehen sollte, dass diese (fiktive) Linie einen erfindungsgemäßen Ausschnitt offenbaren sollte. Die Linie einschließlich des Winkels ergibt sich daraus, dass die Anstoßflächen der gezeigten Rasierkartusche angeschrägt sind. Derartige Anschlussflächen spielen für den Ausschnitt des Verfügungspatents jedoch keine Rolle. Darüber hinaus liegt die (fiktive) Linie vor dem Eingang der dargestellten Rasierkartusche.
  93. eee)
    Die JP (S) ….. (Anlage AR 16, deutsche Übersetzung AR 16a, D12 Nichtigkeitsklage) nimmt Anspruch 1 des Verfügungspatents nach Ansicht des Senats nicht neuheitsschädlich vorweg. Es fehlt jedenfalls die Offenbarung der Merkmale 2.3.2 und 2.4.
  94. Die Entgegenhaltung betrifft eine Verbindungsstruktur von Griff und Klingenaufnahme für einen T-förmigen Rasierer. Der Griff (1) und die Klingenaufnahme (7) sind trennbar ausgebildet. Verbunden werden diese, wie anhand der nachfolgend verkleinert eingeblendeten Figuren 1 und 2 zu erkennen ist, mittels eines Verbindungsteils (9), (2). Die Verbindungszunge (2) des Griffs (1) wird in die Verbindungssenke (9) der Klingenaufnahme (7) eingebracht und der oberhalb der Verbindungszunge (2) befindliche Sperrschenkel (4) in die Senke (10) der Klingenaufnahme (7) eingeführt. Der Sperrvorsprung (6) wird durch die Elastizität des Sperrsenkels (4) mit der Sperrsenke (11) der Klingenaufnahme (7) verbunden.
  95. Selbst wenn der Fachmann – ohne rückschauende Betrachtung – die gezeigte Senke (10) als einen Ausschnitt im Sinne der Merkmale 2.3, 2.3.1 ansehen würde und hinreichend deutlich offenbart wäre, dass mittels dieses Ausschnitts die ordnungsgemäße Ausrichtung des Griffs bei Bewegung des Griffs entlang der Verbindungsachse gefördert würde, und der Fachmann zudem die Verbindungssenke (9) als einen erfindungsgemäßen Eingang erkennt, ist allenfalls ein Ausschnitt offenbart, der beabstandet von diesem Eingang ist. Dies genügt, wie unter I. 2 b) aa) ddd) ausgeführt, indes nicht. Es wäre ferner nicht offenbart, dass der gezeigte Eingang und der gezeigte Ausschnitt gemeinsam einen behinderungsfreien Durchgang für eine zusammenpassende Keilstruktur, die allenfalls der Sperrschenkel (4) sein könnte, bereitstellen. Der Sperrschenkel (4) wird nicht auch in die Verbindungssenke (9) eingeführt.
  96. fff)
    Die WO 1 (Anlage ASt 12, D4 Nichtigkeitsklage) offenbart die technische Lehre des geltend gemachten Anspruchs nach Auffassung des Senats gleichfalls nicht in neuheitsschädlicher Weise.
  97. Bei dieser Entgegenhaltung handelt es sich um den vom Verfügungspatent in Absatz [0003] erwähnten Stand der Technik. Dieser offenbart nicht die Merkmale 2.3.2 und 2.4. Die Merkmale werden insbesondere nicht in der am Anfang dieses Urteils bereits eingeblendeten Figur 2 gezeigt. Soweit die Verfügungsbeklagten in dieser Figur im Eckbereich der Kammer (15) des Rasierkopfs (11) eine „Ausnehmung“ erkennen, ist bereits fraglich, ob diese hinreichend klar zu erkennen und der Fachmann sie tatsächlich zur Kenntnis nimmt. Weder die Figur noch die dazugehörende Beschreibung geben hierfür irgendeinen Anhalt. Aber selbst wenn er diese „Ausnehmung“ sieht, ist hiermit allenfalls ein veränderter Querschnitt des Eingangs offenbart. Dies genügt aus den unter I. 2 b) aa) ddd) dargelegten Gründen nicht.
  98. Auch das BPatG hat die WO 1 in dem ersten Nichtigkeitsverfahren nicht als neuheitsschädlich angesehen, wie der Hinweisbeschluss vom 22.01.2013 belegt (Anlage ASt 11).
  99. ggg)
    Die DE ….. (Anlage AR 17, D13 Nichtigkeitsverfahren), die einen Rasierapparat betrifft, dessen Rasierklingenhalter ein Schwenkgelenk aufweist, nimmt die technische Lehre des Anspruchs 1 nach Ansicht des Senats nicht neuheitsschädlich vorweg. Es fehlt jedenfalls an der Offenbarung eines Ausschnitts gemäß den Merkmalen 2.3, 2.3.1, 2.3.2.
  100. Diese Merkmale entnimmt der Fachmann der von den Verfügungsbeklagten allein in Bezug genommenen nachfolgend verkleinert eingeblendeten Figur 11 der Schrift nicht unmittelbar und eindeutig.
  101. Unterstellt, der – in der Entgegenhaltung ohne Bezugszeichen versehene und nicht näher thematisierte – Bereich des Rasierklingenhalters (2), in dem der Auswerfer (53) aufgenommen ist, wäre, wie die Verfügungsbeklagten vorbringen, ein Ausschnitt, so wäre dieser nach ihrem eigenen Vorbringen räumlich-körperlich identisch mit dem Eingang. Damit werden jedoch, wie vom Verfügungspatent gefordert, keine konstruktiv voneinander zu unterscheidenden Bestandteile – Eingang und Ausschnitt – offenbart, und in Folge dessen auch kein Ausschnitt „an dem“ Eingang.
  102. Es ist ferner auch nicht offenbart, dass dieser Bereich objektiv geeignet ist, eine zusammenpassende Keilstruktur, die sich am Handverbindungsstück befindet, aufzunehmen, und dass die Aufnahme die Ausrichtung des Handstücks während der Verbindung fördern kann. Nach den Ausführungen in der Entgegenhaltung zeigt Figur 11 ein bevorzugtes Ausführungsbeispiel einer Schnappverbindung des offenbarten Rasierapparats. Das Bauteil, welches in den vermeintlichen Eingang/Ausschnitt hineinragt, ist nach der Offenbarung ein federbelasteter Auswerfer (53), der bei Betätigung senkrecht zur Schwenkachse (4) hin am Rasierklingenhalter (2) in Richtung weg vom Handgriff (1) angreift, um die Schnappverbindung (100) der Formelemente (50, 51), die das elastische Schwenkgelenk bilden, zu lösen. Der Bereich, in den der gezeigte Auswerfer (53) eingreift, bildet demnach dessen Gegenlager. Dass dieses Gegenlager bei der Bewegung des Handstücks entlang der Verbindungsachse einen Beitrag zur Förderung der Ausrichtung leisten kann, ist nicht ersichtlich.
  103. hhh)
    Schließlich nimmt nach Ansicht des Senats auch die WO 3 (Anlage AR 4, D6 im Nichtigkeitsverfahren) Anspruch 1 des Verfügungspatents nicht neuheitsschädlich vorweg. Diese Entgegenhaltung, welche die Veröffentlichungsschrift der internationalen Patentanmeldung ………. zur ………. ist, die in dem Verfügungspatent als Stand der Technik erwähnt wird (Anlage Ast 9/9a Absätze [0030], [0033]), offenbart jedenfalls nicht das Merkmal 2.3.2.
  104. Einen erfindungsgemäßen Ausschnitt am Eingang zeigt insbesondere nicht die nachfolgend verkleinert eingeblendete Figur 13 hinreichend klar und unmittelbar.
  105. Die von den Verfügungsbeklagten allein in Bezug genommenen „lateralen Enden“ des „recess 130“ zeigen keinen Ausschnitt, der das Gehäuse der Einheitenverbindungsstruktur in eine andere Richtung als ein – vom Ausschnitt konstruktiv zu unterscheidender – Eingang öffnet und der an dem Eingang angeordnet ist. Zu erkennen ist lediglich ein asymmetrischer Öffnungsquerschnitt eines Eingangs und der dahinterliegenden Ausnehmung (Anlage AR 4, Seite 11, Zeilen 13 bis 15).
  106. bb)
    Die von der Verfügungsbeklagten zu 1) im Nichtigkeitsverfahren behaupteten offenkundigen Vorbenutzungen „…X1“ und „…X3“ verhelfen den Verfügungsbeklagten vorliegend nicht zum Erfolg.
  107. Dies deshalb nicht, weil die Verfügungsklägerin für beide behaupteten offenkundigen Vorbenutzungen bestritten hat, dass die jeweils vorgelegten Fotografien und Muster Ausführungsformen zeigen, die tatsächlich vor dem Prioritätstag öffentlich zugänglich gewesen sind. Es ist insbesondere jeweils bestritten worden, dass die Rasierklingeneinheiten (separat) in Land 1 bzw. Land 2 auf den Markt gekommen sind. Angesichts dessen ist die Verfügungsbeklagte zu 1) im anhängigen Nichtigkeitsverfahren auf eine Zeugenvernehmung angewiesen. Die vermeintlich offenkundige Vorbenutzung ist damit nicht, was jedoch mit Blick auf das Verletzungsverfahren erforderlich wäre, mittels liquider Beweismittel dargetan (OLG Düsseldorf BeckRS 2010, 21559).
  108. Die Vorlage eidesstattlicher Versicherungen, mit denen die öffentliche Zugänglichmachung vor Priorität glaubhaft gemacht werden soll, ändert daran nichts.
    Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gelten insoweit keine anderen Maßstäbe als im Hauptsacheverfahren. Die Tatsache, dass das Verletzungsgericht im Hinblick auf eine bestrittene offenkundige Vorbenutzung eine nur beschränkte Prüfungskompetenz besitzt, die eigene Beweisermittlungen ausschließt, darf auch im Verfügungsverfahren nicht übergangen werden (OLG Düsseldorf BeckRS 2010, 21559). Da eine Vernehmung der angebotenen Zeugen nur im Nichtigkeitsverfahren erfolgt, ist unvorhersehbar, in welcher Weise die benannten Zeugen überhaupt aussagen werden und ob ihre Aussagen, wenn sie für den Nichtigkeitskläger günstig sind, für glaubhaft gehalten werden. Schon wegen dieser gänzlich unsicheren Prognose verbietet sich die Annahme, es sei mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit eine Vernichtung des Patents zu erwarten. Auch die schriftlichen Erklärungen der Zeugen führen nicht zu einer sicheren Prognose. Da es für die Richtigkeit ihres Vorbringens keine objektiven Anhaltspunkte gibt, ist auch keine hinreichend zuverlässige Prognose möglich, ob die Zeugen bei den in ihren eidesstattlichen Versicherungen niedergelegten Aussagen bleiben werden und wie das BPatG ihre Glaubwürdigkeit beurteilen wird (OLG Düsseldorf BeckRS 2010, 21559).
    Soweit die Verfügungsbeklagten in diesem Zusammenhang eine Differenzierung danach vornehmen möchten, ob mittels eidesstattlicher Versicherungen technische Fragen (kein liquides Beweismittel) oder andere tatsächliche Fragen (dann liquides Beweismittel) glaubhaft bzw. bewiesen werden sollen, ist eine solche Unterscheidung nicht geboten. Die in Rede stehende Prüfungskompetenz des Verletzungsgerichts ist insgesamt bzgl. aller Tatsachen, über die im Nichtigkeitsverfahren Beweis zu erheben ist, nicht gegeben.
  109. Die weiteren zwischen den Parteien streitigen Fragen zu den (vermeintlichen) offenkundigen Vorbenutzungen bedürfen mangels Entscheidungserheblichkeit für das hiesige Verfahren folglich keiner weiteren Erörterung.
  110. cc)
    Dass sich Anspruch 1 des Verfügungspatents mangels erfinderischer Tätigkeit als nicht rechtsbeständig erweisen wird, vermag der Senat nicht festzustellen.
  111. Die Verfügungsbeklagte zu 1) thematisiert die vermeintlich fehlende erfinderische Tätigkeit in dem anhängigen zweiten Nichtigkeitsverfahren (….. (EP)) lediglich rudimentär. Ohne nähere Begründung vertritt sie in ihrer Nichtigkeitsklage die Ansicht, dass die WO 2 (Anlage ASt 18, D7 Nichtigkeitsverfahren) und die WO 1 (Anlage ASt 12, D4 Nichtigkeitsverfahren) die Erfindung nahelegen. Mit Blick auf diese Entgegenhaltungen hat indes das BPatG im ersten Nichtigkeitsverfahren (….. (EP)) im Hinweisbeschluss vom 22.01.2013 (Anlage ASt 11) die vorläufige Auffassung kundgetan, dass sie einer erfinderischen Tätigkeit nicht entgegenstehen. Dass diese Auffassung fehlerhaft ist, kann der Senat nicht erkennen. Es erschließt sich jedenfalls nicht, weshalb der Fachmann ausgehend von einer dieser beiden Schriften oder bei Kombination dieser Schriften allein mit Hilfe seines Fachwissens und Könnens zu einem erfindungsgemäßen Ausschnitt, der an dem Eingang angeordnet ist, gelangen können sollte. Diese Maßgaben ergeben sich nach Ansicht des Senats auch nicht unter zusätzlicher Heranziehung der im Nichtigkeitsverfahren als D15, D16 und D17 vorgelegten Druckschriften.
  112. dd)
    Der Gegenstand des Verfügungspatents ist schließlich auch nicht mit Blick auf die WO 4 A1 (NK 11 Nichtigkeitsklage) unzulässig erweitert. Insoweit kann auf die überzeugenden Ausführungen des BPatG im Hinweisbeschluss vom 22.01.2013 (….. (EP)) verwiesen werden, die sich der Senat zu eigen macht.
  113. b)
    Infolge des glaubhaft gemachten Verfügungsanspruchs und des glaubhaft gemachten Rechtsbestandes entsprechend den Ausführungen unter 2 a) fällt die für den Erlass einer einstweiligen Verfügung vorzunehmende Interessensabwägung zugunsten der Verfügungsklägerin aus. Dieses Ergebnis wird, anders als die Verfügungsbeklagten meinen, nicht durch das Verhalten der Verfügungsklägerin gegenüber den Abnehmerinnen der Verfügungsbeklagten, denen gegenüber vor dem Landgericht C einstweilige Verfügungen bezüglich der Verpackungen der angegriffenen Ausführungsform erwirkt wurden, in Frage gestellt. Das Verhalten der Verfügungsklägerin stellt sich nicht als dringlichkeitsschädlich dar.
  114. Zunächst ist zu bemerken, dass gleichartige Verstöße Dritter für die Dringlichkeit gegenüber den konkret in Anspruch genommenen Verfügungsbeklagten unbeachtlich sind; die Dringlichkeit ist (allein) im Verhältnis der Verfügungsklägerin zu den Verfügungsbeklagten zu beurteilen (OLG Hamburg GRUR-RR 2007, 73 – Parfümtester II; OLG Stuttgart GRUR-RR 2005, 307 – e-motion/iMOTION; OLG Frankfurt GRUR 2002, 235).
    Überdies steht es einem Verletzten frei, ob und gegen welchen Verletzer er vorgeht. Er kann grundsätzlich auch frei entscheiden, ob er den Hersteller einer angegriffenen Ausführungsform und/oder den Abnehmer und Vertreiber derselben in Anspruch nimmt. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn er zeitgleich von Verstößen Dritter erfährt, sofern es Gründe dafür gibt, zunächst nur einen Dritten in Anspruch zudem.
    Einem Verletzten ist es gleichfalls unbenommen, bei „gleichen“ Verletzungshandlungen zwischen mehreren in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen zu wählen und seinen Unterlassungsantrag gegenüber dem einen Verletzer bspw. auf UWG und gegenüber dem anderen Verletzer bspw. auf Patentrecht zu stützen. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn aus der Wahl der jeweiligen Rechtsgrundlage erkennbar besondere Schwierigkeiten und/oder zeitliche Verzögerung und/oder sonstige Umstände erwachsen, die Zweifel daran aufkommen lassen, dass es dem Verletzer mit der Rechtsdurchsetzung eilig und eine Eilmaßnahme notwendig ist.
  115. Demnach ist es für die mit Blick auf die Verfügungsbeklagten zu beurteilende Dringlichkeit zunächst unerheblich, dass die Verfügungsklägerin deren Abnehmerinnen (zeitgleich) nicht auch wegen Patentrechtsverletzung, sondern wegen Verstoßes gegen das UWG bzw. wegen Verletzung von Markenrechten in Anspruch genommen hat. Die Inanspruchnahme erfolgte im selben zeitlichen Rahmen, sämtliche Rechtsverstöße wurden auch mittels Eilverfahren verfolgt. Für die Rechtsdurchsetzung hat die Verfügungsklägerin augenscheinlich taugliche Rechtsgrundlagen gewählt, die einer zügigen Entscheidung nicht im Wege gestanden haben. In allen Verfahren wurden einstweilige Verfügungen erlassen; alle Abnehmerinnen haben zwischenzeitlich eine Abschlusserklärung abgegeben. Aus diesem Verhalten kann mithin nicht geschlossen werden, dass der Verfügungsklägerin an einer (zügigen) Rechtsdurchsetzung gegenüber den Verfügungsbeklagten nicht gelegen wäre.
  116. Letzteres folgt auch nicht aus der Behauptung der Verfügungsbeklagten, die Verfügungsklägerin habe einer relevanten Zahl der Abnehmerinnen zwischenzeitlich schriftlich gestattet, „bereits gestickerte Altware“, womit nicht nur die Verpackung, sondern auch die angegriffene Ausführungsform gemeint sei, zu verkaufen. Selbst wenn die von den Verfügungsbeklagten vorgetragenen Schreiben – bei Berücksichtigung ihres gesamten Inhalts – in ihrem Sinne zu verstehen sein sollten, würde daraus lediglich folgen, dass die Verfügungsklägerin gegen die Abnehmerinnen nicht (weiter) vorgeht. Daraus erwächst jedoch weder eine Aufbrauchfrist für die Verfügungsbeklagten, die in der Tat Dringlichkeitsprobleme hervorrufen könnte, noch gibt die Verfügungsklägerin damit zu erkennen, dass sie kein (berechtigtes) Interesse mehr an einer Eilmaßnahme gegenüber den Verfügungsbeklagten hat. Im Gegenteil, dadurch, dass die Verfügungsklägerin gerade die Herstellerinnen der angegriffenen Ausführungsform sowie die konzernangehörige Abnehmerin einschließlich der Geschäftsführung in Anspruch nimmt, belegt sie, dass sie gegen die Quelle der Patentverletzung vorgeht und sich um eine zügige und effektive Rechtsdurchsetzung bemüht. Sie duldet deren Patentverletzung gerade nicht, wie auch das anhängige Ordnungsmittelverfahren verdeutlicht. In dieselbe Richtung weist zudem das parallele einstweilige Verfügungsverfahren vor dem LG D, in dem die Verletzung eines anderen Patents durch die angegriffene Ausführungsform streitgegenständlich ist.
  117. II.
    Die zulässige Berufung der Verfügungsklägerin ist begründet. Der Verfügungsbeklagte zu 2) als Geschäftsführer der Verfügungsbeklagten zu 1) haftet zwar nicht allein aufgrund seiner Organstellung oder der mit Blick auf die Beachtung fremder technischer Schutzrechte typischerweise bestehenden Garantenstellung, jedoch wegen seiner positiven Kenntnis von der Verletzung des Verfügungspatents und der damit verbundenen Garantenstellung.
  118. 1)
    Nach der Rechtsprechung des X. Zivilsenat des BGH (GRUR 2016, 257 – Glasfasern), der sich der Senat angeschlossen hat (OLG Düsseldorf BeckRS 2017, 110549), genügt für die Annahme einer persönlichen Haftung eines gesetzlichen Vertreters nicht der Verweis auf Pflichten, die dem gesetzlichen Vertreter, z. B. nach § 43 Abs.1 GmbHG gegenüber der Gesellschaft obliegen. Erforderlich (aber auch ausreichend) ist vielmehr eine Garantenstellung auf Grund der der gesetzliche Vertreter persönlich zum Schutz Außenstehender vor Gefährdung oder Verletzung ihrer durch § 823 Abs. 1 BGB geschützten Rechte gehalten ist.
    Eine solche kann sich mit Blick auf den Schutz von absoluten Rechten Dritter und insbesondere technischen Schutzrechten aus der Zuständigkeit des Organs für die Organisation und Leitung sowie der daraus erwachsenden persönlichen Einflussnahme auf die Gefahrenabwehr und Gefahrensteuerung und der damit verbundenen persönliche Verantwortung des Organs den betroffenen Außenstehenden gegenüber ergeben. Auch wenn in diesem Fall das bloße Bestehen eines absolut geschützten Rechts nicht ohne Weiteres ausreicht, um eine Garantenpflicht zu begründen, kommt sie aber jedenfalls dann in Betracht, wenn der Betroffene ein Schutzgut der Einflusssphäre der Gesellschaft anvertraut hat oder wenn aus sonstigen Gründen eine konkrete Gefahrenlage für das Schutzgut besteht und der Geschäftsführer oder Mitarbeiter des Unternehmens für die Steuerung derjenigen Unternehmenstätigkeit verantwortlich ist, aus der sich die Gefahrenlage ergibt (BGH GRUR 2016, 257 – Glasfasern; BGH NJW 1990, 976). Die Haftung des Geschäftsführers folgt in diesen Fällen nicht aus seiner Geschäftsführerstellung als solcher, sondern aus der – von der Rechtsform des Unternehmens unabhängigen – tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeit und Zumutbarkeit der Beherrschung einer Gefahrenlage für absolut geschützte Rechte Dritter. Davon ist im Hinblick auf den Schutz von Patenten jedenfalls dann typischerweise auszugehen, wenn ein Unternehmen technische Erzeugnisse herstellt oder in den inländischen Markt einführt (BGH GRUR 2016, 257 – Glasfasern).
  119. Angesichts dessen ist ein Unternehmen verpflichtet, vor Herstellung und Vertrieb technischer Erzeugnisse zu prüfen, ob sie in deren Schutzbereich fallen, und der gesetzliche Vertreter des Unternehmens ist aufgrund seiner Verantwortung für die Organisation und Leitung des Geschäftsbetriebes und wegen der Gefahr, dass die Produktion oder Vertriebstätigkeit des Unternehmens die fortlaufende Verletzung technischer Schutzrechte Dritter zur Folge hat, grundsätzlich gehalten, die gebotenen Überprüfungen zu veranlassen oder den Geschäftsbetrieb in einer Weise zu organisieren, die eine Erfüllung dieser Pflicht durch dafür verantwortliche Mitarbeiter gewährleistet. Er muss insbesondere dafür sorgen, dass grundlegende Entscheidungen über die Geschäftstätigkeit der Gesellschaft nicht ohne seine Zustimmung erfolgen und dass die mit Entwicklung, Herstellung und Vertrieb betrauten Mitarbeiter der Gesellschaft die gebotenen Vorkehrungen treffen, um eine Verletzung fremder Patente zu vermeiden. Der gesetzliche Vertreter haftet daher persönlich, wenn er die ihm möglichen und zumutbaren Maßnahmen unterlässt, die Geschäftstätigkeit des Unternehmens so einzurichten und zu steuern, dass hierdurch keine technischen Schutzrechte Dritter verletzt werden (BGH GRUR 2016, 257 – Glasfasern II m. w. N.; OLG Düsseldorf BeckRS 2017, 110549; OLG Düsseldorf BeckRS 2015, 18679).
  120. Wenn es bereits zu einer schuldhaften Patentverletzung gekommen ist, bedarf es regelmäßig keines näheren Sachvortrages des Verletzten dazu, dass der gesetzliche Vertreter seine Pflichten schuldhaft verletzt hat. Vielmehr trägt dieser eine sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der Frage, wie er den ihm obliegenden Pflichten konkret nachgekommen ist. (BGH GRUR 2016, 257 – Glasfasern II; OLG Düsseldorf BeckRS 2017, 110549).
  121. 2)
    Dies zugrunde gelegt, genügt das alleinige Abstellen auf die Organstellung des Verfügungsbeklagten zu 2) nicht.
  122. Eine typische Garantenstellung wegen der Verantwortung für die Organisation und Leitung des Geschäftsbetriebs kann gleichfalls nicht angenommen werden. Sind mehrere gesetzliche Vertreter mit unterschiedlichen Zuständigkeitsbereichen bestellt, so obliegt nämlich grundsätzlich nur dem gesetzlichen Vertreter, der für den Vertrieb und/oder die Herstellung der angegriffenen Ausführungsform zuständig ist, die Verantwortung für die Organisation und Leitung des Geschäftsbetriebes insoweit und auch nur in seinem Zuständigkeitsbereich entfaltet sich grundsätzlich die unter II. 1) erörterte Gefahr. Die erforderliche Garantenstellung ist mithin grundsätzlich auch nur in Person desjenigen erwachsen, in dessen Verantwortungsbereich die patentverletzende Handlung fällt. Nur dieser gesetzliche Vertreter haftet deshalb grundsätzlich persönlich (OLG Hamburg GRUR-RR 2013, 464 – Z. Games; LG Düsseldorf Entscheidungen 1997, 84 – Tortenbehälter; BeckOK PatR/Pitz PatG § 139 Rn. 30; Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 10. Aufl., Kap. D Rn. 194).
    Die Verfügungsbeklagte zu 1) hat unstreitig fünf Geschäftsführer, die mit unterschiedlichen Aufgaben betraut sind. Nach der internen Zuständigkeitsverteilung ist der Verfügungsbeklagte zu 2) weder für den Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform (durch die Verfügungsbeklagte zu 1)) noch für die Herstellung der angegriffenen Ausführungsform, die durch die Verfügungsbeklagten zu 7), zum Teil unter Hilfe der Verfügungsbeklagten zu 8) erfolgt. Er ist unstreitig lediglich für die Produktion der Verfügungsbeklagten zu 1) in E zuständig. Er ist demnach nicht für die Organisation und die Leitung des Geschäftsbetriebs der Verfügungsbeklagten zu 1) mit Blick auf die angegriffene Ausführungsform verantwortlich.
  123. 3)
    Die Passivlegitimation des Verfügungsbeklagten zu 2) ergibt sich jedoch aus seiner positiven Kenntnis von der Verletzung des Verfügungspatents verbunden mit seiner Untätigkeit, die (weiteren) Verletzungshandlungen zu verhindern (BGH GRUR 2012, 1145 – Pelikan m. w. N.; OLG Hamburg GRUR-RR 2013, 464 – Z. Games; BeckOK PatR/Pitz PatG § 139 Rn. 30; Benkard PatG/Grabinski/Zülch PatG § 139 Rn. 22; Busse/Keukenschrijver, PatG, 8. Aufl., § 139 Rn. 37; Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 10. Aufl., Kap. D Rn. 194). Er haftet ab dem Zeitpunkt seiner Kenntnis für die danach begangenen Benutzungshandlungen.
  124. Die Verfügungsklägerin hat unwidersprochen vorgetragen, dass (auch) der Verfügungsbeklagte zu 2) von dem geplanten Markteintritt und sodann von dem tatsächlichen Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform gewusst hat. Der Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform durch die Verfügungsbeklagte zu 1) ist für diese ebenso unstreitig eine zentrale Produktentscheidung.
  125. Unstreitig geblieben ist zudem, dass (auch) dem Verfügungsbeklagten zu 2) die Abmahnung der Verfügungsklägerin vom 26.05.2017 (Anlage ASt 5) tatsächlich zugegangen ist.
    Der Verfügungsbeklagte zu 2) hat – worauf die Verfügungsklägerin zutreffend hingewiesen hat – lediglich in Abrede gestellt, dass eine Aushändigung durch den Pförtner erfolgt sei. Dies mag zu seinen Gunsten als richtig unterstellt werden, ist jedoch kein erhebliches Bestreiten im Sinne des § 138 Abs. 2 ZPO betreffend den von der Verfügungsklägerin behaupteten tatsächlichen Zugang der Abmahnung. Auf welche Weise dem Verfügungsbeklagten zu 2) die Abmahnung zugegangen ist und ob er sie insbesondere vom Pförtner erhalten hat, ist ohne Belang.
    Soweit der Verfügungsbeklagte zu 2) der Ansicht ist, Adressat der Abmahnung sei lediglich die Verfügungsbeklagte zu 1), kann dem nicht beigetreten werden. In der Adresszeile der Abmahnung findet sich der Zusatz „Geschäftsführung“, so dass explizit auch auf die hinter der Verfügungsbeklagten zu 1) stehenden Personen bzw. gesetzlichen Vertreter Bezug genommen wurde. Zur „Geschäftsführung“ gehört auch der Verfügungsbeklagte zu 2) als einer der Geschäftsführer der Verfügungsbeklagten zu 1). Anhaltspunkte dafür, dass die Verfügungsklägerin – der die interne Zuständigkeitsverteilung der Geschäftsführung der Verfügungsbeklagten zu 1) nicht bekannt war – den Verfügungsbeklagten zu 2) als Adressat ausnehmen wollte, sind nicht ersichtlich. Im Gegenteil, die Abmahnung beinhaltet die allgemeine Anrede „Sehr geehrte Damen und Herren“ und in der der Abmahnung unstreitig beigefügten Unterlassungsverpflichtungserklärung war der Verfügungsbeklagte zu 2) ausdrücklich (an zweiter Stelle) namentlich genannt. Auch er sollte mithin die Erklärung persönlich unterzeichnen.
  126. Mittels der Abmahnung hat der Verfügungsbeklagte zu 2) positiv von der Verletzung des Verfügungspatents erfahren. Konsequenz der positiven Kenntnis ist das Entstehen einer Garantenstellung: Der Verfügungsbeklagte zu 2) wusste von nun an um die rechtswidrige Benutzung eines technischen Schutzrechtes eines Dritten und mithin um das Bestehen der konkreten Gefahrenlage für das Schutzgut der Verfügungsklägerin durch ein Handeln der Verfügungsbeklagten zu 1). Deshalb war er – obgleich er grundsätzlich nicht für die Organisation und die Leitung des Geschäftsbetriebs mit Blick auf die angegriffene Ausführungsform zuständig war – seit dem Zeitpunkt der Kenntnis gehalten, alles ihm tatsächlich und rechtlich mögliche zu unternehmen, die nunmehr bekannte Verletzung des Verfügungspatents durch die Verfügungsbeklagte zu 1) zu verhindern.
  127. Dass er dieser ihm obliegenden Schutzpflicht in irgendeiner Weise nachgekommen wäre, ist nicht festzustellen. Die Verfügungsbeklagte zu 1) hat den Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform unstreitig erst nach Vollziehung der angefochtenen Entscheidung eingestellt. Dass der Verfügungsbeklagte zu 2) bis dahin irgendeine (organisatorische) Maßnahme ergriffen hätte, um auf die Einstellung der Benutzungshandlungen hinzuwirken, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Ebenso wenig ist erkennbar oder vorgetragen, dass ihm tatsächlich oder aus Rechtsgründen jedwedes Handeln unmöglich oder unzumutbar gewesen wäre. Derartiges folgt vor allem nicht aus dem Umstand, dass er „an sich unzuständig“ war. Ohne weiteres kann nämlich nicht angenommen werden, dass in der konkreten Situation, in der bereits der Vorwurf der Patentverletzung in Form einer Abmahnung erhoben worden ist, allein wegen der internen Zuständigkeitsverteilung jedes Handeln eines Geschäftsführers zu 2) von den restlichen bzw. den „an sich zuständigen“ Geschäftsführern von vornherein unbeachtet bleibt und deshalb per se erfolglos geblieben wäre. Tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass ein „Widerspruch“ des Verfügungsbeklagten zu 2) gegen den weiteren Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform eine „bloße Förmelei“ gewesen wäre, sind seitens des Verfügungsbeklagten zu 2) nicht vorgetragen.
  128. III.
    Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1, 516 Abs. 3 ZPO. Das Rechtsmittel der Verfügungsbeklagten zu 1), 3), 4), 6), 7) und zu 8) ist erfolglos geblieben. Der Verfügungsbeklagte zu 2) hat seine Berufung zurückgenommen. Das Rechtsmittel der Verfügungsklägerin hat vollen Erfolg.
  129. Das Urteil wird unmittelbar mit seiner Verkündung rechtskräftig (§ 542 Abs. 2 ZPO), so dass es keiner Entscheidung über seine vorläufige Vollstreckbarkeit bedarf.
  130. Der Streitwert für das Berufungsverfahren der Verfügungsbeklagten wird auf 930.000,00 €, der Streitwert für das Berufungsverfahren der Verfügungsklägerin auf 70.000,00 € festgesetzt.

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