4c O 48/17 – Zusatzstoff für Filtermaterial

Düsseldorfer Entscheidungsnummer: 2791

Landgericht Düsseldorf

Urteil vom 13. Juli 2018,  Az. 4c O 48/17

  1. 1. Die Klage wird abgewiesen.
    2. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.
    3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
  2. Tatbestand
  3. Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des europäischen Patents EP 1 389 XXX B1 (im Folgenden: Klagepatent, Anlagen HL23a, 23b), das am 16.08.2002 angemeldet wurde. Die Anmeldung wurde am 18.02.2004 veröffentlicht, die Patenterteilung am 07.11.2007. Das Klagepatent steht auch mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft. Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen Verletzung des deutschen Teils des Patents auf Unterlassung, Auskunftserteilung, Rechnungslegung, Vernichtung und Rückruf sowie Feststellung der Entschädigungs-/Schadensersatzpflicht in Anspruch.
    Das Klagepatent betrifft ein Verfahren und eine Einrichtung zum Zuführen eines, vorzugsweise flüssigen, Zusatzstoffes auf eine bewegte, ausgebreitete Bahn aus Filtermaterial. Die für den vorliegenden Rechtsstreit maßgeblichen Patentansprüche 8 und 17 haben folgenden Wortlaut:
    Einrichtung (1) zum Zuführen eines, vorzugsweise flüssigen, Zusatzstoffes auf eine bewegte, ausgebreitete Bahn aus Filtermaterial (2) der Tabak verarbeitenden Industrie mittels eines Auftragsorgans (3), wobei der Zusatzstoff über eine Auftragsfläche (12) zuführbar ist, dadurch gekennzeichnet, dass die Größe der Auftragsfläche (12) eines verfahrbaren Abdeckelements (7) einstellbar ist. (Anspruch 8)
    Vorrichtung zum Herstellen von Filterstäben für stabförmige Artikel der Tabak verarbeitenden Industrie mit einer Einrichtung nach einem oder mehreren der Ansprüche 8 bis 16. (Anspruch 17)
    Vorstehende Figur 1 ist dem Klagepatent entnommen und zeigt eine Querschnittansicht einer erfindungsgemäßen Einrichtung.
    Die Klägerin ist ein weltweit tätiges Unternehmen, das Technologien und Lösungen zur Tabakverarbeitung sowie zur Filter- und Zigarettenherstellung anbietet. Insbesondere entwickelt und vertreibt sie Maschinen zur Herstellung von Filterstäben für Zigaretten.
    Bei der Beklagten zu 1., deren Geschäftsführer der Beklagte zu 2. ist, handelt es sich um ein italienisches Unternehmen mit Sitz in A, das langjährig auf demselben Markt wie die Klägerin tätig ist.
    Die Beklagten bieten unter der Produktbezeichnung DF 10 auf ihrer Website unter der italienischen Domain: B eine Maschine an und lieferten eine solche vor Patenterteilung an die C D E GmbH nach F.
    Das Maschinenmodell DF 10 der Beklagten (im Folgenden: angegriffene Ausführungsform), welches in den Anlagen HL 1 – 4 gezeigt ist und zur Herstellung von Filterstäben für stabförmige Artikel der Tabakverarbeitenden Industrie eingesetzt wird, dient der Behandlung ausgebreiteter Filtermaterialfasern, indem über ein Auftragsorgan ein Zusatzstoff auf die Fasern aufgebracht wird. Durch die Zuführung dieses Stoffes wird derart auf die Fasern eingewirkt, dass sie in weiteren Produktionsschritten zu einem Faserstrang verarbeitet werden können, da die Fasern durch den Zusatzstoff angelöst werden und sich partiell miteinander vernetzen. Der in der angegriffenen Ausführung eingesetzte Zusatzstoff ist Triacetin. Das Auftragsorgan ist mit einem Abdeckelement versehen, das in die Positionen „geöffnet“ und „geschlossen“ bewegt werden kann. Anderweitig ist die Größe der Auftragsfläche nicht zu steuern, insbesondere ist eine Zwischenposition nicht einstellbar.
    Die Klägerin ist der Ansicht, die angegriffene Ausführung mache wortsinngemäß vom Klagepatent Gebrauch. Die Einstellbarkeit der Auftragsfläche jedenfalls von 100 % auf 0 % entspreche nämlich einem verfahrbaren Abdeckelement im Sinne der patentgemäßen Erfindung, weil dadurch die Auftragsfläche verändert werde. Der patentverletzende Charakter werde durch Absatz [0009] des Klagepatents belegt, in dem gerade als ein Einstellungsbeispiel der Vorgang der Trockenentnahme aufgeführt sei, die – was unstreitig ist – nur durch ein vollständiges Schließen des Abdeckelementes (0 %) zu erreichen sei.
    Die Klägerin tritt dem Aussetzungsantrag der Beklagten entgegen. Die klageweise geltend gemachten Ansprüche seien deshalb nicht durch die Offenlegungsschrift DE 198 07 XXX A1 (Anlage rop1; im Folgenden: DE´XXX) neuheitsschädlich vorweggenommen worden, weil darin nicht die Herstellung von Filterstäben offenbart sei, sondern lediglich die Bearbeitung einer Materialbahn aus Papier. Die offenbarte Vorrichtung sei im Übrigen auch ungeeignet zur Herstellung von Filterstäben, da der aufzutragende Zusatzstoff im Falle einer ausgebreiteten Filterbahn unkontrollierbar in die Abstände zwischen den einzelnen Fasersträngen laufe und dadurch eine Dosierung des Zusatzstoffes unmöglich mache.
    Die Klägerin beantragt, nachdem sie in der mündlichen Verhandlung die Belegvorlage konkretisiert und den Antrag auf Vorlage von Bank-, Finanz- und Handelsunterlagen zurückgenommen hat,
  4. die Beklagten zu verurteilen,
    I.1. es bei der Meldung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,00 EUR – ersatzweise Ordnungshaft – oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Wiederholungsfall Ordnungshaft bis zu zwei Jahren, letztere in Bezug auf die Beklagte zu 1. zu vollziehen an den Geschäftsführern der Beklagten zu 1.,
    zu unterlassen,
    eine Einrichtung zum Zuführen eines, vorzugsweise flüssigen, Zusatzstoffes auf eine bewegte, ausgebreitete Bahn aus Filtermaterial der Tabak verarbeitenden Industrie mittels eines Auftragsorgans, wobei der Zusatzstoff über eine Auftragsfläche zuführbar ist, wobei die Größe der Auftragsfläche mittels eines verfahrbaren Abdeckelements einstellbar ist,
    in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten und in den Verkehr zu bringen sowie zu den vorgenannten Zwecken einzuführen und zu besitzen;
    I.2. der Klägerin Auskunft darüber zu erteilen, in welchem Umfang die Beklagten die unter Ziffer l.1. bezeichneten Handlungen seit dem 04.04.2006 begangen haben, und zwar unter Vorlage eines geordneten Verzeichnisses unter Beifügung der Belege (Rechnungskopien; hilfsweise Lieferscheine, hilfsweise Quittungen und dazugehörigen Dokumente), insbesondere unter Angabe
    I.2(a) der Menge der bestellten Filterstabmaschinen, insbesondere der Filterstabmaschine DF 10 der Beklagten, sowie die Namen und Adressen der anderen Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
    l.2(b) der einzelnen Lieferungen aufgeschlüsselt nach gelieferten Mengen, Lieferdatum und Preisen (einschließlich Typenbezeichnungen sowie Namen und Adressen der Abnehmer),
    I.2(c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Umfang, Zeitraum und Preisen der Angebote (einschließlich der Typenbezeichnungen sowie Namen und Adressen der Abnehmer),
    l.2(d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Art des Werbemediums, Werbeträger, der Größe der Auflagen, der Häufigkeit und des Verbreitungsge-bietes,
    I.2(e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns
    wobei
    • den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nicht gewerblichen Angebotsempfänger und Abnehmer statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden und Ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten die durch seine Einschaltung entstehenden Kosten tragen und ihn zugleich ermächtigen, der Klägerin auf Anfrage mitzuteilen, ob bestimmte Abnehmer und/oder Lieferungen in der erteilten Rechnung enthalten sind,
    • die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben betreffend vorstehend Ziffern (a) und (b) durch Übermittlung von Belegen (Rechnungen in Kopie) nachzuweisen ist,
    • die Beklagten die Angaben vorstehend zu Ziffer (e) nur für den Zeitraum seit dem 07.12.2007 zu machen haben;
    I.3. die im unmittelbaren Besitz oder im Eigentum der Beklagten in der Bundesrepublik Deutschland befindlichen Erzeugnisse entsprechend vorstehend Ziffer I.1 an einen von der Klägerin zu beauftragenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf Kosten der Beklagten heraus-zugeben;
    I.4. die vorstehend zu Ziffer I.1 bezeichneten, im Besitz Dritter befindlichen und seit dem 07.11.2007 in Verkehr gebrachten Erzeugnisse aus den Vertriebswegen zurückzurufen, indem diejenigen Dritten, denen durch die Beklagten oder mit deren Zustimmung Besitz an den Erzeugnissen eingeräumt wurde, unter Hinweis darauf, dass die Kammer mit dem hiesigen Urteil auf eine Verletzung des Klagepatents EP 1 389 XXX B1 erkannt hat, ernsthaft aufgefordert werden, die Erzeugnisse an die Beklagten zurückzugeben und den Dritten für den Fall der Rückgabe der Erzeugnisse eine Rückzahlung des gegebenenfalls bereits gezahlten Kaufpreises sowie die Übernahme der Kosten der Rückgabe zugesagt wird, und endgültig zu entfernen, indem die Beklagten diese Erzeugnisse wieder an sich nehmen oder die Vernichtung derselben beim jeweiligen Besitzer veranlassen;
    II. festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind,
    1. der Klägerin eine angemessene Entschädigung für die vorstehend zu Ziffer I.1 bezeichneten und in der Zeit vom 04.04.2006 bis zum 06.12.2007 begangenen Handlungen zu zahlen;
    2. der Klägerin jeglichen Schaden zu ersetzen, der durch die in Ziffer I.1 bezeichneten und seit dem 07.12.2007 begangenen Handlungen entstanden ist und zukünftig noch entstehen wird.

    Die Beklagten beantragen,
    1. die Klage abzuweisen;
    2. hilfsweise den Rechtsstreit bis zur Entscheidung über die gegen das Klagepatent erhobene Nichtigkeitsklage auszusetzen;
    3. äußerst hilfsweise den Beklagten für den Fall ihrer Verurteilung zur Rechnungslegung nach ihrer Wahl vorzubehalten, die Namen und Anschriften ihrer nicht-gewerblichen Abnehmer sowie die Namen und Anschriften ihrer Empfänger von Angeboten statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, zur Verschwiegenheit verpflichteten vereidigtem Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern sie dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt, der Klägerin darüber Auskunft zu geben, ob eine bestimmte Lieferung, ein bestimmter Abnehmer, ein bestimmtes Angebot oder ein bestimmter Angebotsempfänger in der Rechnungslegung enthalten ist.

  5. Sie meinen, eine Patentverletzung liege deshalb nicht vor, weil bei dem in der angegriffenen Ausführung enthaltenen Abdeckelement, lediglich zwei Stellungen (offen oder geschlossen) einstellbar seien. Das Klagepatent sei aber dahingehend zu verstehen, dass bei einer veränderten Position des Abdeckelements zumindest eine verkleinerte Auftragsfläche vorhanden sein müsse. Bei einer Positionsveränderung in der angegriffenen Ausführung fehle es jedoch genau daran, da in einer der beiden möglichen Positionen – was unstreitig ist – keine Auftragsfläche verbleibe und deshalb faktisch eine Veränderung der Größe der Auftragsfläche nicht möglich sei. Der im Klagepatent benutzte Begriff „variabel“ bedeute aber gerade, dass die Größe der Fläche veränderbar ist. Andernfalls wäre es ausreichend gewesen, die Eigenschaft des Abdeckelements als verschließbar zu bezeichnen, da auch dann die beiden Positionen „geöffnet“ und „geschlossen“ einstellbar wären.
    Das Klagepatent würde sich überdies nicht als rechtsbeständig erweisen. In der Patentanmeldung DE´XXX (Anlage rop1) sei die Lehre des Klagepatents neuheitsschädlich vorweggenommen worden. Dies gelte auch hinsichtlich des Merkmals der Herstellung von Filterstäben, da in der Offenlegungsschrift keine Beschränkung auf bestimmte Auftragsmaterialien enthalten sei. Dem Fachmann sei bekannt, dass anstelle von Papier auch andere Celluloseprodukte und Cellulose-Derivate eingesetzt werden können (vgl. Anlagen rop4, rop 5). Auch die Offenlegungsschrift DE 29 32 + (Anlage rop 6; im Folgenden: DE´XXX) stehe den geltend gemachten Ansprüchen des Klagepatents neuheitsschädlich entgegen.
  6. Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die zur Akte gereichten Schriftstücke nebst Anlagen Bezug genommen.
  7. Entscheidungsgründe
  8. A.
    Die zulässige Klage ist unbegründet.
    I.
    Sämtliche nachstehende Ausführungen gelten auch bezüglich des Beklagten zu 2.
  9. Gegen den Beklagten zu 2. war nicht gesondert zu entscheiden. Obwohl es in der zur Akte gereichten Klageerwiderung einleitend heißt „vertreten wir die Beklagte“, gelten die dortigen Ausführungen unproblematisch auch für den Beklagten zu 2. Denn abgesehen von der Einleitung wird im weiteren Verlauf des Schriftsatzes zur Beschreibung der Beklagtenseite stets der Plural benutzt, was erkennen lässt, dass sich die Prozessbevollmächtigten nicht nur auf die Beklagte zu 1., sondern auch auf den Beklagten zu 2. bezogen haben. Im Übrigen ergibt sich schon aus der Verteidigungsanzeige eindeutig, dass sich der Beklagte zu 2. gegen die Klage verteidigen will.
    II.
    Der Klägerin stehen die geltend gemachten Ansprüche wegen der behaupteten Verletzung des Klagepatents nicht zu.
    1.
    Das Klagepatent betrifft eine Vorrichtung zum Zuführen von vorzugsweise flüssigen Zusatzstoffen auf eine bewegte, ausgebreitete Bahn aus Filtermaterial im Rahmen der Tabak verarbeitenden Industrie.
    Die Einarbeitung eines Zusatzstoffes auf ausgebreitetes Filtermaterial dient dazu, die Materialfasern anzulösen, um bei der anschließenden Weiterverarbeitung des Materials zu Fasersträngen eine dauerhaft gute, jedenfalls partielle Vernetzung der Fasern zu erreichen.
    Aus dem Stand der Technik sind, wie das Klagepatent in seinem Absatz [0002] aufzeigt, schon Mechanismen zum Besprühen des Filtertows mit einem Zusatzstoff bekannt, die dann zum Einsatz kommen, nachdem das Filtermaterial ausgebreitet worden ist. Insoweit bezieht sich das Klagepatent auf die Patentschriften US 5 060 664 sowie US 4 511 420. Weiterhin würdigt das Klagepatent in seinen Absätzen [0003] und [0005] die Offenlegungsschriften DE 199 59 034 A1 und DE 28 52 948 A1. Erstgenannte sieht eine Vorrichtung zum Besprühen des Filtertows vor, bei der die mittels Sensoren gesteuerten Düsen quer zur Bewegungsrichtung angeordnet sind und die Sensoren über die Dichte des Filtertowmaterials in einem bestimmten Abschnitt gesteuert werden. In letztgenannter Schrift ist als Stand der Technik das Versprühen eines Zusatzstoffes auf Filtertowbahnen in einer Kammer offenbart. In diese Kammer sind verstellbare Blenden eingebaut, um mittels deren Regulierung den mit Zusatzstoff zu besprühenden Bereich regulieren zu können.
    An dem vorgenannten Stand der Technik kritisiert das Klagepatent, dass eine möglichst hohe Produktqualität nur erreicht wird, wenn die Filtertowbahnen gut vereinzelt werden und der Zusatzstoff fein und gleichmäßig verteilt aufgetragen werden kann. Die Aufgabe des Klagepatents ist es deshalb, ein Verfahren bzw. eine Vorrichtung zu entwickeln, um Filtermaterial fein und gleichmäßig mit Zusatzstoff zu versehen.
    Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Klagepatent in den geltend gemachten Patentansprüchen 8 und 17 eine Vorrichtung mit folgenden Merkmalen vor:
    0. Vorrichtung zum Herstellen von Filterstäben für stabförmige Artikel der Tabak verarbeitenden Industrie mit einer
    1. Einrichtung (1) zum Zuführen eines, vorzugsweise flüssigen, Zusatzstoffes auf eine bewegte, ausgebreitete Bahn aus Filtermaterial (2) der Tabak verarbeitenden Industrie
    1.a. mittels eines Auftragsorgans (3),
    1.b. wobei der Zusatzstoff über eine Auftragsfläche (12) zuführbar ist,
    dadurch gekennzeichnet, dass
    2. die Größe der Auftragsfläche (12) mittels eines verfahrbaren Abdeckelementes einstellbar ist.
  10. 2.
    Die angegriffene Ausführungsform der Beklagten verletzt das Klagepatent nicht i.S.d § 9 S. 2 Nr. 1 PatG. Das einzig zwischen den Parteien in Streit stehende Merkmal 2 wird durch die angegriffene Ausführungsform nicht verwirklicht.
  11. a.
    Im vorliegenden Verfahren ist unstreitig geblieben, dass sich die Benutzungshandlungen der Beklagten in Gestalt des Anbietens, Inverkehrbringens, Einführens und Besitzens auf die aus den Anlagen HL 1 – 4 ersichtliche und nach F gelieferte Maschine des Modelltyps DF 10 beziehen.
  12. b.
    Merkmal 2 sieht vor, dass die Größe der Auftragsfläche mittels eines verfahrbaren Abdeckelementes einstellbar ist. Der Fachmann erkennt, dass eine Einstellbarkeit der Größe der Auftragsfläche eine Variabilität voraussetzt und nicht nur eine Verfahrbarkeit zwischen zwei Extrempositionen.
    Dies entnimmt der Fachmann der im Anspruch 8 des Klagepatents enthaltenen Formulierung „mittels eines verfahrbaren Abdeckelements einstellbar“ unter Berücksichtigung der beabsichtigten technischen Funktion des Klagepatents. Nach § 14 S. 1 PatG wird der Schutzbereich eines Patents durch die Patentansprüche bestimmt, wobei auch die Beschreibung und die Zeichnungen heranzuziehen sind, § 14 S. 2 PatG. Eine Auslegung des Patentanspruchs hat immer zu erfolgen und darf selbst dann nicht unterbleiben, wenn der Wortlaut des Anspruchs eindeutig zu sein scheint (BGH, GRUR 2002, 515 – Schneidmesser I, BGH, GRUR 2012, 1124 – Polymerschaum; BGH, Urteil vom 12.05.2015, X ZR 43/13 – Rotorelemente). Sie ist schon deshalb geboten, weil Patentschriften im Hinblick auf die dort verwendeten Begriffe ihr eigenes Lexikon darstellen. Weichen diese vom allgemeinen Sprachgebrauch ab, kommt es letztlich nur auf den sich aus der Patentschrift ergebenden Begriffsinhalt an (BGH, GRUR 1999, 909 – Spannschraube). Deswegen kann sich aus der Beschreibung und den Zeichnungen ein Verständnis des Patentanspruchs ergeben, das von demjenigen abweicht, welches der bloße Wortlaut des Anspruchs vermittelt (BGH, Urteil vom 12.05.2015, X ZR 43/13, GRUR 2015, 875 – Rotorelemente; BGH, Urteil vom 02.06.2015, X ZR 103/13, GRUR 2015, 972 – Kreuzgestänge; BGH, Urteil vom 07.07.2015, X ZR 64/13, GRUR 2015, 1095 – Bitratenreduktion). Selbst dann, wenn der Anspruchswortlaut (vermeintlich) eindeutig erscheint, muss unter Heranziehung der Beschreibung ausgelegt werden. Der Grund hierfür ist, dass die Beschreibung die Funktion hat, die geschützte Erfindung zu erläutern. Dabei ist die Patentschrift in einem sinnvollen Zusammenhang zu lesen und der Patentanspruch im Zweifel so zu verstehen, dass sich keine Widersprüche zu den Ausführungen in der Beschreibung und den bildlichen Darstellungen in den Zeichnungen ergeben, sondern sie als aufeinander bezogene Teile der dem Fachmann mit dem Patent zur Verfügung gestellten technischen Lehre als ein sinnvolles Ganzes verstanden werden (BGH, GRUR 2009, 653 – Straßenbaumaschine; OLG Düsseldorf, Mitt 1998, 179 – Mehrpoliger Steckverbinder; Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 10. Aufl., Kap. A., Rn. 11; Rinken/Kühnen in: Schulte, Patentgesetz mit EPÜ, 10. Aufl., § 14 Rn. 20 m. w. N.).
    Eine rein philologische Betrachtung setzt zwar lediglich voraus, dass es sich um eine Einrichtung handelt, die über bewegliche Elemente verfügt, sodass der eine Zustand zumindest in einen anderen Zustand verändert werden kann. Denn „einstellbar“ bedeutet zunächst nicht mehr, als dass sich etwas einstellen lässt, mithin regulierbar ist. Insoweit handelt es sich bei einem Zustand, in dem die Abdeckelemente vollständig geöffnet sind, und demjenigen, in dem das Abdeckelement vollständig geschlossen ist, um zwei verschiedene Zustände, die mittels Einstellung des Abdeckelementes erreicht werden können.
    Dieses rein philologische Verständnis ist allerdings unter dem Blickwinkel einer funktionsgerechten Auslegung nicht aufrechtzuerhalten. Eine Auslegung ist dann funktionsorientiert, wenn sie die der Lehre zugedachten technischen Funktionen in das Begriffsverständnis einbezieht (Schulte/Rinken, Patentgesetz mit EPÜ, 10. Aufl., § 14, Rn. 32). Zu berücksichtigen sind in diesem Zusammenhang der Sinngehalt des Patentanspruchs in seiner Gesamtheit und der Beitrag, den die einzelnen Merkmale zum Leistungsergebnis der patentierten Erfindung beitragen (BGH, GRUR 2007, 410, 413 – Kettenradanordnung).
    Unter Berücksichtigung eines solchen funktionsorientierten Verständnisses müssen die Abdeckelemente nicht nur in die beiden Extrempositionen verfahrbar sein, sondern müssen auch zumindest eine Zwischenposition einnehmen können. Der in der mündlichen Verhandlung betonten Ansicht der Klägerin, wonach ein Einstellen in die beiden Extrempositionen, insbesondere in eine Fläche mit der Größe 0, schon den Patentanspruch verletze, ist damit nicht zu folgen.
    Denn die Aufgabe der patentgemäßen Erfindung liegt – wie der Fachmann erkennt –darin, einen Mechanismus zum Auftragen eines Zusatzstoffes zu entwickeln, dessen Mengengabe sowie der zu besprühende Materialbereich durch die Positionierung des Abdeckelementes steuerbar sind.
    Diese Auslegung wird durch den Inhalt der allgemeinen Beschreibung der Erfindung nach dem Klagepatent gestützt.
    So ergibt sich aus den Absätzen [0007] und [0008] der allgemeinen Beschreibung der Erfindung nach dem Klagepatent, dass die „Einstellbarkeit“ den Zweck verfolgt, die Auftragsfläche ihrer Größe nach zu variieren, also Variabilität zu erzeugen. Unschädlich ist, dass der Begriff „variabel“ seinerseits lediglich bedeutet, dass etwas nicht nur auf eine Möglichkeit beschränkt, sondern veränderbar ist. Denn auch diesen Begriff versteht der Fachmann hier unter Berücksichtigung der Funktion der Vorrichtung nur so, dass mehr als zwei regulierbare Positionen gemeint sind. Nur ein solches Begriffsverständnis entspricht der technischen Funktion der Erfindung. Durch die Variabilität der Auftragsfläche, die durch einstellbare Abdeckelemente erreicht werden soll, erfolgt die Dosierung des Zusatzstoffes. Ein Abdeckelement, das lediglich in die Zustände „geöffnet“ und „geschlossen“ erfüllt diesen Zweck nicht. Denn dadurch kann keine Feindosierung bzw. Variabilität der Menge des Zusatzstoffes vorgenommen werden, sondern nur über die Frage entschieden werden, ob überhaupt ein Zusatzstoff zugeführt werden soll oder nicht. Insoweit ergibt sich auch nicht deshalb etwas anderes, weil in Absatz [0009] des Klagepatents im Rahmen der Beschreibung einer bevorzugten Ausführungsform die Trockenentnahme als Anwendungsbeispiel eines völlig verschlossenen Abdeckelementes genannt wird. Der für die Trockenentnahme erforderliche Zustand ist zwar ein denkbarer Zustand, der über die Einstellung des Abdeckelementes zu erreichen ist. Es darf sich aber nicht um den einzigen anderen einstellbaren Zustand der Vorrichtung handeln. Dies ergibt sich aus dem zweiten Satz des Absatzes [0009], wonach es sich bei dem vollständigen Verschließen für eine Trockenentnahme lediglich um ein Beispiel handelt. Wenn – im Gegensatz zur Öffnung – überhaupt nur ein Verschließen in Betracht kommt, wäre es nicht erforderlich gewesen, diese Einstellung als ein „Beispiel“ unter vielen zu bezeichnen, da es ohnehin die einzige Variation gewesen wäre. Im Übrigen versteht auch der Fachmann die Benutzung des Wortes „beispielsweise“ so, dass es mehrere regulierbare Größen der Auftragsfläche gibt. Der Verweis der Klägerin auf Absatz [0032] der Beschreibung, wonach auch dort eine Fläche von Null vorgesehen sei, führt zu keinem anderen Ergebnis. Richtig ist, dass dort für eine Trockenfilterentnahme eine Fläche Null beschrieben ist. Allerdings werden andere Auftragsflächengrößen nicht ausgeschlossen. Vielmehr ergibt sich unter Einbeziehung der vorherigen Sätze, dass von einer variablen Größe ausgegangen wird und auch hier, wie schon im Absatz [0009] die Fläche Null lediglich ein Beispiel einer Flächenveränderung ist, jedoch nicht die einzige andere Einstellung.
    c.
    Aus Vorstehendem folgt, dass die Beklagten das Merkmal 2 mangels variabler Steuerungsmöglichkeit des Abdeckelements nicht verwirklichen.
  13. B.
    Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 709 S. 2 ZPO.
  14. Der Streitwert wird auf 250.000,00 EUR festgesetzt.

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