4b O 30/17 – Steinbohrer

Düsseldorfer Entscheidungsnummer: 2817

Landgericht Düsseldorf

Urteil vom 28. September 2018, Az. 4b O 30/17

  1. 1. Die Klage wird abgewiesen.
  2. 2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
  3. 3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
  4. Tatbestand
  5. Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen Verletzung des deutschen Teils des europäischen Patents EP 1 034 XXX B1 (Anlage K 8, im Folgenden: Klagepatent) auf Unterlassung, Auskunftserteilung, Rechnungslegung, Rückruf, Vernichtung sowie Feststellung der Schadensersatzpflicht dem Grunde nach in Anspruch.
  6. Die Klägerin ist Inhaberin des Klagepatents. Die dem Klagepatent zugrunde liegende Anmeldung wurde am 03.03.2000 unter Inanspruchnahme einer inländischen Priorität vom 05.03.1999 eingereicht. Die Offenlegung der Anmeldung erfolgte am 13.09.2000. Am 22.12.2004 wurde der Hinweis auf die Patenterteilung veröffentlicht. Das Klagepatent steht in Ansehung der Bundesrepublik Deutschland in Kraft. Der deutsche Teil des Klagepatents wird beim Deutschen Patent- und Markenamt unter dem Aktenzeichen 500 08 XXX.X geführt (Anlage K 9).
  7. Die Beklagte zu 1) erhob mit Schriftsatz vom 05.10.2017 Nichtigkeitsklage gegen das Klagepatent, über die noch nicht entschieden wurde.
  8. Das Klagepatent betrifft einen Steinbohrer.
  9. Die Klägerin stützt den Verletzungsvorwurf auf eine Kombination der Klagepatentansprüche 1 und 2. Anspruch 1 in Kombination mit Anspruch 2 des Klagepatents lautet:
  10. Anspruch 1
    „Steinbohrer, mit einer Hartmetallplatte (10), die sich quer durch einen Schlitz in der Bohrerspitze erstreckt und dort verankert ist, wobei die Hartmetallplatte (10) einen Hüllkegel (20) mit einem Spitzenwinkel von etwa 130 und eine ausgeprägte und zentrale Hartmetallspitze (12) aufweist, die die Hauptschneide (14) aufnimmt, dadurch gekennzeichnet, daß die Nebenschneide (16) seitlich der Hartmetallspitze (12) gegenüber dem Hüllkegel insbesondere in einem sich über einen Teil der Länge der Nebenschneide (16) erstreckenden Konkavabschnitt (28) zurückspringt und erst etwas vor dem Ende der Hartmetallplatte (10) diesen wieder erreicht und daß die Nebenschneide (16) einen kontinuierlichen Verlauf aufweist.“
    Anspruch 2
    „Steinbohrer nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß eine Anfasung (24), insbesondere mit einem Spitzenwinkel von etwa 90°, zwischen dem Auftreffpunkt (20) Hüllkegel/Nebenschneidplatte und dem Ende der Hartmetallplatte (10) ausgebildet ist.“
  11. Die nachfolgenden Abbildungen (Fig. 1 bis 4) zeigen ein bevorzugtes Ausführungsbeispiel der Erfindung. Dabei zeigt Fig. 1 die Seitenansicht einer Hartmetallplatte für einen erfindungsgemäßen Steinbohrer in einer Ausführungsform, Fig. 2 die Stirnansicht auf die Hartmetallplatte gem. Fig. 1, Fig. 3 eine perspektivische Ansicht der Hartmetallplatte gem. Fig. 1 und Fig. 4 eine Seitenansicht der Hartmetallplatte gem. Fig. 1, aber von der Schmalseite.
  12. Die Beklagte zu 1), die als „A GmbH“ am 26.04.2012 gegründet und am 11.05.2012 ins Handelsregister eingetragen wurde, stellt her und bietet hartmetallbestückte Hammerbohrer unter folgenden Produktbezeichnungen an: „B“ und „C“ (angegriffene Ausführungsformen).
    Die Beklagte zu 2) bietet die angegriffenen Ausführungsformen der Beklagten zu 1) unter den Bezeichnungen „D“ und „E“ bzw. „F“ an.
    Die Beklagte zu 3) wiederum vertreibt die angegriffenen Ausführungsformen der Beklagten zu 1) unter den Bezeichnungen „G“ bzw. „H“. Die angegriffenen Ausführungsformen tragen das Prüfzeichen der Prüfgemeinschaft I e.V. Nummer 17 der Beklagten zu 1).
  13. Zur Veranschaulichung werden nachfolgend verkleinerte Abbildungen der angegriffenen Ausführungsformen wiedergegeben. Es handelt sich um die o.g. Hammerbohrer der Beklagten zu 1).
  14. Der im Klagepatent genannte Erfinder, Herr J, war Gründer der Klägerin und bis 2003 deren Geschäftsführer und Alleingesellschafter. Die Klägerin wurde im Jahre 2003 mittels Übertragung aller Gesellschaftsanteile an die K GmbH veräußert, 2005 erfolgte eine Übertragung aller Gesellschaftsanteile an die L GmbH. Zusammen mit Herrn M, Herrn N und Frau O ist der Erfinder nunmehr Gesellschafter der P GmbH, der alleinigen Gesellschafterin der Beklagten zu 1).
    Herr M war bis zum 19.03.2012 Technischer Leiter und Prokurist bei der Klägerin und ist seit 2014 Geschäftsführer der Beklagten zu 1). Außerdem ist er mit Herrn N und Frau O Gesellschafter der Q GmbH, die alleinige Gesellschafterin der Beklagten zu 2) ist.
    Gesellschafter der Beklagten zu 3) sind die Q GmbH, Herr M, Frau O und Herr N.
  15. Die Klägerin ist der Auffassung, die angegriffenen Ausführungsformen verletzten das Klagepatent wortsinngemäß, jedenfalls aber in äquivalenter Weise. Das Klagepatent schreibe keinen Spitzenwinkel von 130° vor. Durch den Zusatz „etwa“ werde ein größerer Winkelbereich beansprucht. Der Fachmann habe zum Prioritätszeitraum gewusst, dass Hartmetallplatten zumeist einen Spitzenwinkel zwischen 110° und 150° aufwiesen. Die in der Mitte dieses üblichen Winkelbereichs liegende Winkelangabe von „etwa 130°“ habe der Fachmann zum Prioritätszeitpunkt als Mittelwert im Rahmen des ihm bekannten Spektrums von +/- 20°, jedenfalls von +/ 15°, verstanden. Der Fachmann habe gewusst, dass sich die vorteilhaften Wirkungen der Erfindung in einem Winkelbereich für den Hüllkegelspitzenwinkel von ungefähr 110° bis 150° gleichermaßen erreichen ließen.
    Da größere Abweichungen rund um diesen Mittelwert üblich gewesen seien, sei ausdrücklich kein präziser Wert beansprucht worden. Dieser Bezug zum Stand der Technik zeige sich auch darin, dass der Spitzenwinkel von etwa 130° im Oberbegriff des Anspruchs 1 genannt werde und das Klagepatent sich in diesem Merkmal nicht vom Stand der Technik habe abgrenzen wollen.
    Die in der Beschreibung des Klagepatents genannte Schrift EP 0 761 927 A1 setze durch die Angabe „110° bis 130°“ keine Obergrenze für einen Hüllkegelspitzenwinkel. Die Schrift lege schon keine genauen Werte fest, denn in der Beschreibung werde auch ein Spitzenwinkel von „100° bis 130°“ angegeben (S. 3 Z. 35). Hierauf komme es aber gar nicht an, weil die Schrift gar nicht auf den Spitzenwinkel des Hüllkegels, sondern lediglich auf den Spitzenwinkel der beiden Nebenschneiden verweise.
    Die Diskussion im Stand der Technik habe sich nicht um den Hüllkegelspitzenwinkel, sondern immer nur um den Spitzenwinkel der Nebenschneiden gedreht. Der Spitzenwinkel des Hüllkegels sei im Stand der Technik nicht als maßgeblicher Wert für Bohrfortschritt und Lebensdauer eines Bohrers angesehen worden. Der von den Beklagten angeführte angebliche „Goldstandard“ eines Spitzenwinkels von 130 beziehe sich erneut nicht auf den Hüllkegelspitzenwinkel, sondern auf den Spitzenwinkel der Schneiden.
    Außerdem sei dem Fachmann klar gewesen, dass es für die erfindungsgemäße Wirkung nicht auf den Hüllkegelspitzenwinkel, sondern auf das Zurückspringen der Nebenschneide ankomme. Dies werde durch Messergebnisse der Klägerin bestätigt (Anlage K37). Die Tests der Beklagten seien hingegen nicht aussagekräftig (Anlage K 40). Der Hüllkegel-Spitzenwinkel der angegriffenen Ausführungsformen liege – unstreitig – bei 142,05 oder bei 142,83 (Anlage K 22). Bei diesen Winkeln sei jedenfalls eine äquivalente Verwirklichung der anspruchsgemäßen technischen Lehre zu bejahen.
    Unter einer „ausgeprägten“ und zentralen Hartmetallspitze verstehe das Klagepatent eine Spitze (Aufsetzpunkt), die sich deutlich vom Verlauf der Nebenschneiden absetze und einen flächigen Bereich in Form der Hauptschneide aufweise.
    Die erfindungsgemäße Lösung schreibe außerdem vor, dass die Nebenschneiden einen kontinuierlichen Verlauf aufwiesen, also stufenfrei verliefen. Durch den stufenfreien Verlauf sei die Nebenschneide stabil und ohne Kantenbruchgefahr in der Hartmetallplatte abgestützt. Die Kurvenführung solle daher „treppenfrei“, also ohne „prägnante Treppenstufen“ sein, da diese die Wirkung der Hauptschneide als Hauptschneidorgan beeinträchtigten.
    Die Stufenfreiheit sei nicht ausschließlich Gegenstand von Unteranspruch 11, vielmehr konkretisiere dieser Unteranspruch den kontinuierlichen und damit stufenfreien Verlauf der Nebenschneide durch das Vorsehen von Spitzen mit Spitzenwinkeln von 170 bis 130 an den Übergängen von Hauptschneide zu Zentralabschnitt, Zentralabschnitt zu Konkavabschnitt sowie Schulterabschnitt zu Anfasung. Ein kontinuierlicher Verlauf der Nebenschneide bedeute mithin einen stufenfreien, erst recht aber einen unterbrechungsfreien Verlauf der Schneidkante. Ein kontinuierlicher Verlauf der Nebenschneide bedeute außerdem nicht eine nur monoton fallende Kurvenführung. Auch Richtungsänderungen sprächen nicht gegen einen kontinuierlichen Verlauf der Nebenschneide. Weder eine konkave noch eine konvexe Kurvenführung sprächen gegen eine kontinuierliche (stufen und unterbrechungsfreie) Kurvenführung.
    Bei den angegriffenen Ausführungsformen gebe es einen steten Verlauf der Nebenschneide ohne Stufen und damit einen „kontinuierlichen Verlauf“ im Sinne des Klagepatents. Ein wellenförmiger Verlauf der Nebenschneide, der von oben – unstreitig – erkennbar sei, sei für die Verwirklichung des Klagepatents irrelevant, da sich der kontinuierliche Verlauf der Nebenschneide nur auf das seitliche Bohrerspitzenprofil beziehe. Die allein maßgebliche Seitenansicht der angegriffenen Ausführungsformen lasse keine Wellenform der Nebenschneide erkennen. Ein gewisses Ansteigen der Nebenschneide sei unschädlich, genauso wie ein konkaver Abschnitt. Ein Materialauftrag an der Rückseite der Schneidkante habe keine Auswirkung auf die erfindungsgemäße Schneidwirkung. Auch ein „Brecherbereich“ würde eine anspruchsgemäße Schneidkante darstellen. Weder die Wellenform noch der Konkavabschnitt stellten eine Unterbrechung des kontinuierlichen Verlaufs der Schneidkante dar.
    Die angegriffenen Ausführungsformen wiesen zudem auf jeder Seite der Hartmetallplatte eine Anfasung mit einem Spitzenwinkel von etwa 90° auf. Die Anfasung könne durchaus eine Abwinkelung (Kante) mit einer gewissen Schneidwirkung aufweisen.
  16. Eine Aussetzung komme nicht in Betracht. Insbesondere sei die Erhebung der Nichtigkeitsklage unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Rechtsausübung nach § 242 BGB unzulässig. Im Übrigen sei das Klagepatent rechtsbeständig.
  17. Nachdem die Klägerin ihren Hauptantrag zwischenzeitlich mit Zustimmung der Beklagten zum Hilfsantrag erklärt und einen neuen Hauptantrag in beschränkter Fassung geltend gemacht hat,
  18. beantragt die Klägerin unter Einbeziehung von Äquivalenzanträgen nunmehr,
  19. I. die Beklagte zu 1) zu verurteilen,
  20. 1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu Euro 250.000.00 – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt 2 Jahren, wobei die Ordnungshaft an den gesetzlichen Vertretern der Beklagten zu 1) zu vollziehen ist, zu unterlassen,Steinbohrer, mit einer Hartmetallplatte, die sich quer durch einen Schlitz in der Bohrerspitze erstreckt und dort verankert ist, wobei die Hartmetallplatte aufweist: einen Hüllkegel mit einem Spitzenwinkel von etwa 130° und eine ausgeprägte und zentrale Hartmetallspitze, die die Hauptschneide aufnimmt, bei dem die Nebenschneide seitlich der Hartmetallspitze gegenüber dem Hüllkegel in einem sich über einen Teil der Länge der Nebenschneide erstreckenden Konkavabschnitt zurückspringt und erst etwas vor dem Ende der Hartmetallplatte diesen wieder erreicht und bei dem die Nebenschneide einen kontinuierlichen Verlauf aufweist und bei dem eine Anfasung ausgebildet ist, mit einem Spitzenwinkel von 90° zwischen dem Auftreffpunkt Hüllkegel / Nebenschneidplatte und dem Ende der Hartmetallplatte,
  21. hilfsweise
  22. Steinbohrer, mit einer Hartmetallplatte, die sich quer durch einen Schlitz in der Bohrerspitze erstreckt und dort verankert ist, wobei die Hartmetallplatte aufweist: einen Hüllkegel mit einem Spitzenwinkel von 142° bis 145° und eine ausgeprägte und zentrale Hartmetallspitze, die die Hauptschneide aufnimmt, bei dem die Nebenschneide seitlich der Hartmetallspitze gegenüber dem Hüllkegel in einem sich über einen Teil der Länge der Nebenschneide erstreckenden Konkavabschnitt zurückspringt und erst etwas vor dem Ende der Hartmetallplatte diesen wieder erreicht und bei dem die Nebenschneide einen kontinuierlichen Verlauf aufweist und bei dem eine Anfasung ausgebildet ist, mit einem Spitzenwinkel von 90° zwischen dem Auftreffpunkt Hüllkegel / Nebenschneidplatte und dem Ende der Hartmetallplatte,
  23. in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, herzustellen, in Verkehr zu bringen und / oder zu gebrauchen und / oder zu den genannten Zwecken zu besitzen
    (Anspruch 1 von EP 1 034 XXX B1
    unter Einbeziehung von Unteranspruch 2)
  24. 2. hilfsweise, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu Euro 250.000,00 – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt 2 Jahren, wobei die Ordnungshaft an den gesetzlichen Vertretern der Beklagten zu 1) zu vollziehen ist, zu unterlassen,
  25. Steinbohrer, mit einer Hartmetallplatte, die sich quer durch einen Schlitz in der Bohrerspitze erstreckt und dort verankert ist, wobei die Hartmetallplatte aufweist: einen Hüllkegel mit einem Spitzenwinkel von etwa 130° und eine ausgeprägte und zentrale Hartmetallspitze, die die Hauptschneide aufnimmt, bei dem die Nebenschneide seitlich der Hartmetallspitze gegenüber dem Hüllkegel insbesondere in einem sich über einen Teil der Länge der Nebenschneide erstreckenden Konkavabschnitt zurückspringt und erst etwas vor dem Ende der Hartmetallplatte diesen wieder erreicht und bei dem die Nebenschneide einen kontinuierlichen Verlauf aufweist,
  26. hilfsweise
  27. Steinbohrer, mit einer Hartmetallplatte, die sich quer durch einen Schlitz in der Bohrerspitze erstreckt und dort verankert ist, wobei die Hartmetallplatte aufweist: einen Hüllkegel mit einem Spitzenwinkel von 142° bis 145° und eine ausgeprägte und zentrale Hartmetallspitze, die die Hauptschneide aufnimmt, bei dem die Nebenschneide seitlich der Hartmetallspitze gegenüber dem Hüllkegel insbesondere in einem sich über einen Teil der Länge der Nebenschneide erstreckenden Konkavabschnitt zurückspringt und erst etwas vor dem Ende der Hartmetallplatte diesen wieder erreicht und bei dem die Nebenschneide einen kontinuierlichen Verlauf aufweist,
  28. in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, herzustellen, in Verkehr zu bringen und / oder zu gebrauchen und / oder zu den genannten Zwecken zu besitzen
    (Anspruch 1 von EP 1 034 XXX B1 wie erteilt)
  29. insbesondere, wenn
    eine Anfasung ausgebildet ist, insbesondere mit einem Spitzenwinkel von etwa 90°, zwischen dem Auftreffpunkt Hüllkegel / Nebenschneidplatte und dem Ende der Hartmetallplatte;
    (Unteranspruch 2 von EP 1 034 XXX B1 wie erteilt)
  30. II. die Beklagten zu 2) und zu 3) zu verurteilen,
  31. 1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu Euro 250.000,00 – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt 2 Jahren, wobei die Ordnungshaft an den gesetzlichen Vertretern der Beklagten zu 2) und 3) zu vollziehen ist, zu unterlassen
  32. Steinbohrer, mit einer Hartmetallplatte, die sich quer durch einen Schlitz in der Bohrerspitze erstreckt und dort verankert ist, wobei die Hartmetallplatte aufweist: einen Hüllkegel mit einem Spitzenwinkel von etwa 130° und eine ausgeprägte und zentrale Hartmetallspitze, die die Hauptschneide aufnimmt, bei dem die Nebenschneide seitlich der Hartmetallspitze gegenüber dem Hüllkegel in einem sich über einen Teil der Länge der Nebenschneide erstreckenden Konkavabschnitt zurückspringt und erst etwas vor dem Ende der Hartmetallplatte diesen wieder erreicht und bei dem die Nebenschneide einen kontinuierlichen Verlauf aufweist und bei dem eine Anfasung ausgebildet ist, mit einem Spitzenwinkel von 90° zwischen dem Auftreffpunkt Hüllkegel / Nebenschneidplatte und dem Ende der Hartmetallplatte,
  33. hilfsweise,
  34. Steinbohrer, mit einer Hartmetallplatte, die sich quer durch einen Schlitz in der Bohrerspitze erstreckt und dort verankert ist, wobei die Hartmetallplatte aufweist: einen Hüllkegel mit einem Spitzenwinkel von 142° bis 145° und eine ausgeprägte und zentrale Hartmetallspitze, die die Hauptschneide aufnimmt, bei dem die Nebenschneide seitlich der Hartmetallspitze gegenüber dem Hüllkegel in einem sich über einen Teil der Länge der Nebenschneide erstreckenden Konkavabschnitt zurückspringt und erst etwas vor dem Ende der Hartmetallplatte diesen wieder erreicht und bei dem die Nebenschneide einen kontinuierlichen Verlauf aufweist und bei dem eine Anfasung ausgebildet ist, mit einem Spitzenwinkel von 90°,
  35. in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen und / oder zu gebrauchen und / oder zu den genannten Zwecken zu besitzen
    (Anspruch 1 von EP 1 034 XXX B1
    unter Einbeziehung von Unteranspruch 2)
  36. 2. hilfsweise, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu Euro 250.000,00 – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt 2 Jahren, wobei die Ordnungshaft an den gesetzlichen Vertretern der Beklagten zu 2) und 3) zu vollziehen ist, zu unterlassen,
  37. Steinbohrer, mit einer Hartmetallplatte, die sich quer durch einen Schlitz in der Bohrerspitze erstreckt und dort verankert ist, wobei die Hartmetallplatte aufweist: einen Hüllkegel mit einem Spitzenwinkel von etwa 130° und eine ausgeprägte und zentrale Hartmetallspitze, die die Hauptschneide aufnimmt, bei dem die Nebenschneide seitlich der Hartmetallspitze gegenüber dem Hüllkegel insbesondere in einem sich über einen Teil der Länge der Nebenschneide erstreckenden Konkavabschnitt zurückspringt und erst etwas vor dem Ende der Hartmetallplatte diesen wieder erreicht und bei dem die Nebenschneide einen kontinuierlichen Verlauf aufweist,
  38. hilfsweise
  39. Steinbohrer, mit einer Hartmetallplatte, die sich quer durch einen Schlitz in der Bohrerspitze erstreckt und dort verankert ist, wobei die Hartmetallplatte aufweist: einen Hüllkegel mit einem Spitzenwinkel von 142° bis 145° und eine ausgeprägte und zentrale Hartmetallspitze, die die Hauptschneide aufnimmt, bei dem die Nebenschneide seitlich der Hartmetallspitze gegenüber dem Hüllkegel insbesondere in einem sich über einen Teil der Länge der Nebenschneide erstreckenden Konkavabschnitt zurückspringt und erst etwas vor dem Ende der Hartmetallplatte diesen wieder erreicht und bei dem die Nebenschneide einen kontinuierlichen Verlauf aufweist,
  40. in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen und / oder zu gebrauchen und / oder zu den genannten Zwecken zu besitzen
    (Anspruch 1 von EP 1 034 XXX B1 wie erteilt)
  41. insbesondere, wenn
    eine Anfasung ausgebildet ist, insbesondere mit einem Spitzenwinkel von etwa 90°, zwischen dem Auftreffpunkt Hüllkegel / Nebenschneidplatte und dem Ende der Hartmetallplatte;
    (Unteranspruch 2 von EP 1 034 XXX B1 wie erteilt)
  42. III. die Beklagten zu 1) bis 3) zu verurteilen,
  43. 1. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie die unter Ziffern I. und II. bezeichneten Handlungen seit dem 26. April 2012 begangen haben, und zwar unter Angabe
  44. a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderen Vorbesitzer,
  45. b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
  46. c) der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden,
  47. wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
  48. 2. der Klägerin in einer geordneten Aufstellung schriftlich darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang die Beklagten die unter Ziffern I. und II. bezeichneten Handlungen seit dem 26. April 2012 begangen haben, und zwar unter Angabe
  49. a) der Herstellungsmengen und zeiten, aufgeschlüsselt nach Typenbezeichnungen (nur Beklagte zu 1));
  50. b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, zeiten und preisen und Typenbezeichnungen, sowie der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer;
  51. c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, zeiten und preisen und Typenbezeichnung sowie der Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,
  52. wobei es den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen und ihn berechtigen und verpflichten, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;
  53. d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
  54. e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns;
  55. 3. die unter Ziffern I. und II. bezeichneten, seit dem 26. April 2012 in Verkehr gebrachten Erzeugnisse gegenüber den gewerblichen Abnehmern unter Hinweis auf den gerichtlich festgestellten patentverletzenden Zustand der Sache und mit der verbindlichen Zusage zurückzurufen, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackungs und Transportkosten sowie mit der Rückgabe verbundene Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen und die Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen;
  56. 4. die sich in der Bundesrepublik Deutschland in ihrem unmittelbaren und / oder mittelbaren Besitz oder Eigentum befindlichen (einschließlich der zurückgerufenen) unter Ziffern I. und II. bezeichneten Erzeugnisse auf ihre – der Beklagten – Kosten selbst zu vernichten oder an einen von der Klägerin zu benennenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf ihre – der Beklagten – Kosten herauszugeben;
  57. IV. festzustellen, dass die Beklagten zu 1) bis 3) als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die unter Ziffern I. und II. bezeichneten, seit dem 26. April 2012 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
  58. Die Beklagten beantragen,
  59. die Klage abzuweisen,
  60. hilfsweise, den Rechtsstreit bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Nichtigkeitsklage gegen den deutschen Teil DE 500 08 XXX.X des Klagepatents EP 1 034 XXX B1 auszusetzen.
  61. Die Klägerin tritt dem Aussetzungsantrag entgegen.
  62. Die Beklagten sind der Auffassung, die angegriffene Ausführungsformen verletzten das Klagepatent nicht. Der im Klagepatent ausdrücklich als gattungsbildend referenzierte Stand der Technik (EP 0 761 927 B1) offenbare einen Winkelbereich mit einer Obergrenze von 130. Das Klagepatent spezifiziere, anders als der Stand der Technik, demgegenüber keinen Winkelbereich. Dies spreche gegen die Auslegung der Klägerin, die Maßangabe „etwa 130“ als Bereichsangabe „130 +/- 20“ aufzufassen. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass das Klagepatent davon ausgehe, dass bei der o.g. Druckschrift der Spitzenwinkel der Nebenschneiden zugleich der Hüllkegelspitzenwinkel im Sinne des Klagepatents sei.
    Der Fachmann sehe bei der bestimmten Maßangabe von „etwa 130“ allenfalls Abweichungen innerhalb der normierten, ihm geläufigen maximalen Toleranz von +/ 3 als mitumfasst an. Denn der Spitzenwinkel eines Bohrers sei ein kritischer Wert. Er bestimme die Bohrgeometrie und sei mitentscheidend für Wirk und Funktionsweise des Bohrers. Das Klagepatent spezifiziere gerade keinen Bereich für einen Spitzenwinkel und auch die Klagepatentbeschreibung gebe keine anderen Spitzenwinkel für den Hüllkegel an.
    Sowohl Wortlaut als auch Systematik des Anspruchssatzes sprächen für eine genaue Maßangabe. Der Stand der Technik, die Patentbeschreibung und die Figuren sowie das Fachwissen, insbesondere die genormten Toleranzen, sprächen gegen die von der Klägerin vertretene Auslegung. Dem Klagepatent liege eine Auswahlentscheidung zugrunde: ein (Hüllkegel )Spitzenwinkel von 130 sei bei Steinbohrern zum Prioritätstag „Goldstandard“ gewesen (Hartmetallplatte „R“ von S, heute T), außerdem seien die Werkzeugmaschinen der Patentanmelderin zur Herstellung der Steinbohrer auf eine Bohrgeometrie mit einem Spitzenwinkel von 130 ausgerichtet gewesen.
    Die Testbohrungen der Klägerin seien sowohl im Hinblick auf die verwendeten Bohrer als auch im Hinblick auf die Durchführung der Bohrung nicht repräsentativ und damit ungeeignet. Die aufgefundenen Ergebnisse seien nicht plausibel. Die Beklagten bestreiten mit Nichtwissen, dass es sich bei den von der Klägerin verwendeten Testbohrern um serientaugliche Hartmetallbohrer handele.
    Die Fotografien deuteten nach Auffassung der Beklagten vielmehr darauf hin, dass die Hartmetallplatten der Testbohrer nach dem Sintern bearbeitet worden seien, um einen anderen Hüllkegelspitzenwinkel zu simulieren. Außerdem seien die Testbohrungen auf eine Tiefe von gerade 20 mm pro Bohrer beschränkt gewesen. Aussagekräftige Testbohrungen müssten stattdessen über eine Tiefe von mindestens 50 mm ausgeführt werden.
    Tests der Beklagten (Anlage B8) zeigten, dass der Hüllkegelspitzenwinkel ein wesentlicher Parameter für die Wirk und Funktionsweise des Steinbohrers sei. Für die Bohrgeschwindigkeit sei weniger das Zurückspringen der Nebenschneide hinter den Hüllkegelspitzenwinkel, als vielmehr das Maß des Hüllkegelspitzenwinkels entscheidend.
    Jedenfalls seien Hüllkegelspitzenwinkel von > 142 nicht gleichwirkend zu einem Hüllkegelspitzenwinkel von etwa 130. Außerdem sei ein Hüllkegelspitzenwinkel von 142,05 oder 142,83 im Prioritätszeitpunkt nicht nahegelegt gewesen. Im Übrigen fehle es an der Gleichwertigkeit. Ein an der Maßangabe „etwa 130“ orientierter Fachmann ziehe einen Hüllkegelspitzenwinkel von 142,05 oder 142,83 nicht als gleichwertige Lösung in Betracht.
    Die Spezifizierung „kontinuierlicher Verlauf“ im Klagepatentanspruch 1 sei so zu verstehen, dass die Nebenschneiden (16) einen stetigen Verlauf ohne prägnante Unterschiede in der Kurvenführung und erst recht ohne eine Umkehr der Kurvenführung aufweisen sollten. Das Klagepatent fordere eine monoton fallende Kurvenführung der Nebenschneide ohne prägnante Treppenstufen. Hierdurch werde erreicht, dass die Nebenschneiden trotz der ausgeprägten Metallspitze und konkaven Verlaufs über ihre gesamte Erstreckung hinweg eine durchgehende Schneidkante hätten, die nach der Lehre des Klagepatents dafür sorge, dass die verbesserte Zentrierung nicht wie im Stand der Technik den Bohrfortschritt verschlechtere, sondern sogar ein erhöhter Bohrfortschritt erzielt werde. Durch die monoton fallende Kurvenführung werde die Beeinträchtigung der Wirkung der Hauptschneide als Hauptschneideorgan verhindert. Die angegriffenen Ausführungsformen wiesen keine stetige Kurvenführung, sondern prägnante Richtungsänderungen, eine Umkehr der Kurvenführung auf. Es liege eine „Mulde“ und ein stufen oder treppenartiger „Höcker“ der Nebenschneide vor. Wegen der Mulden seien die Nebenschneiden der angegriffenen Ausführungsformen funktional unterbrochen.
    Die erfindungsgemäße Lösung setze weiter voraus, dass die Nebenschneide erst etwas vor dem Ende der Hartmetallplatte den Hüllkegel wieder erreiche. Die Nebenschneiden der angegriffenen Ausführungsformen erreichten hingegen den Hüllkegel weit / deutlich vor dem Ende der Hartmetallplatte, nämlich schon nach etwa 2/3 der Strecke des radial nach außen laufenden Hüllkegels, so dass noch 1/3 bis zum Ende der Hartmetallplatte verblieben.
    Die angegriffenen Ausführungsformen verfügten zudem nicht über eine Hartmetallspitze im Sinne der von der Klägerin vertretenen Auslegung, so dass die Klage insoweit unschlüssig sei. Vielmehr wiesen die angegriffenen Ausführungsformen eine abgerundete Spitze (Aufsetzpunkt) auf, die sich nicht – insbesondere nicht deutlich – von dem Verlauf der Nebenschneiden absetze, sondern übergangslos in die Nebenschneide übergehe und die auch keinen flächigen Bereich in Form der Hauptschneide aufweise.
    Die Anfasung sei kein Teil der Nebenschneide, sondern ein Hartmetallvolumen, das als zusätzlicher Schutz (Abstützung) der Nebenschneide zwischen dem Ende der Nebenschneide und dem Ende der Hartmetallplatte angeordnet sei. Die Nebenschneide der angegriffenen Ausführungsform stehe jedoch bis zum Ende der Hartmetallplatte in voranschreitendem Materialkontakt. Die geringfügige Abschrägung im Rücken der Nebenschneide sei keine klagepatentgemäße Anfasung. Sie reduziere vielmehr das Metallvolumen im Rücken der Nebenschneide.
  63. Im Übrigen werde sich das Klagepatent nicht als rechtsbeständig erweisen. Die Nichtigkeitsklage sei zulässig. Eine unzulässige Rechtsausübung liege nicht vor. Eine Nichtangriffsabrede sei jedenfalls kartellrechtswidrig.
    Die patentgemäße Lehre werde durch die Entgegenhaltungen PCT/EP99/08195 (Anlagenkonvolut B 1, dort NK 8), DE 40 12 772 A1 (Anlage NK 9), DE 1 921 677 A (Anlage NK 10) und den „U“ (Anlage NK 12) neuheitsschädlich vorweggenommen.
    Der Gegenstand des Klagepatents beruhe außerdem nicht auf erfinderischer Tätigkeit gegenüber der Schrift DE 1 921 677 A (Anlage NK 10) in Verbindung mit dem allgemeinen Fachwissen und / oder der Schrift FR 2 629 514 (Anlage NK 15) / DE 39 08 674 A1 (Anlage NK 15a).
  64. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und die zu den Akten gereichten Unterlagen Bezug genommen.
  65. Entscheidungsgründe
  66. I.
    Die zulässige Klage ist unbegründet.
  67. Der Klägerin stehen gegen die Beklagten Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Rückruf, Vernichtung sowie Feststellung der Schadensersatzpflicht dem Grunde nach gem. Art. 64 Abs. 1 und 3 EPÜ i. V. m. §§ 9 S. 2 Nr. 1, 139 Abs. 1 und 2 S. 1, 140a Abs. 1 und 3, 140b PatG, §§ 242, 259 BGB nicht zu.
  68. 1.
    Die dem Klagepatent zugrunde liegende Erfindung betrifft einen Steinbohrer.
  69. Steinbohrer waren in unterschiedlichen Ausgestaltungen im Stand der Technik bekannt. Aus der Schrift EP 0 761 927 A1 war ein Steinbohrer mit einer Hartmetallplatte bekannt, die sich quer durch die Bohrspitze erstreckt und dort verankert ist (Anlage K 8, Abs. [0002], die nachfolgenden Angaben beziehen sich auf die Klagepatentschrift, soweit nicht anders angegeben). Die Hartmetallplatte weist eine Hartmetallspitze auf, die gegenüber den schrägen Schneidflächen der Hartmetallplatte vorspringt. Hiermit solle eine bessere Zentrierung des Hartmetallbohrers beim Bohransatz erreicht werden (Abs. [0002]). Dieser Vorteil ziehe aber den Nachteil mit sich, dass die Hartmetallplatte nicht nur schneller verschleiße, sondern insbesondere auch leichter zum Brechen neige (Abs. [0003]).
    Die Belastung sei bei Schlagbohrmaschinen, für die der Bohrer nach der EP 0 761 927 0 A1 bestimmt sei, noch beherrschbar. Werde ein solcher Bohrer aber für Hammerbohrmaschinen eingesetzt, dann sei der Verschleiß erheblich größer. Außerdem neige die Hartmetallspitze dazu, bereits nach kurzer Zeit abzusplittern, so dass der Vorteil der Zentrierung, der bei einem neuen Bohrer bestehe, rasch zunichte gemacht werde (Abs. [0004]).
  70. Aus dem Stand der Technik war ebenfalls bekannt, die Schneidkontur der Hartmetallplatte nicht gerade verlaufen zu lassen, sondern mehrere wellenförmige Abwinklungen vorzunehmen (Abs. [0005]). Ein derartiger Bohrer sei auch für Hammerbohrer geeignet, wenn ein zu starkes Vorsprungmaß vermieden werde. Bei einem derartigen Bohrer entstehe aber eine längere Anliegelinie, so dass die Flächenpressung reduziert und der Bohrfortschritt vermindert werde. Daher habe sich ein solcher Bohrer nicht durchgesetzt.
  71. In der Klagepatentschrift wird außerdem darauf hingewiesen, dass bei Renovierungsarbeiten sowie bei Neubauten häufig das Problem besteht, dass auch inhomogenes Material gebohrt werden muss (Abs. [0006]). Da die für Armierungen verwendeten Materialien eine höhere Festigkeit hätten, werde die an sich gute Haltbarkeit der Bohrer durch Kantenbrüche stark reduziert, wenn eine Armierung getroffen werde. Grundsätzlich bestehe die Möglichkeit, mit Metallsuchgeräten nach Armierungen zu suchen (Abs. [0007]). Solche Geräte seien jedoch nicht immer zur Hand und die Suchgenauigkeit preisgünstiger Geräte lasse zu wünschen übrig. Erfahrene Monteure könnten den Vortrieb reduzieren, wenn eine Armierung angeschnitten werde, indem der Druck auf die Bohrmaschine reduziert werde, und so Kantenbrüche vermeiden (Abs. [0008]). Weniger erfahrene Monteure könnten aber häufig das unterschiedliche Bohrgefühl für reinen Beton und die Armierung nicht auseinanderhalten, wobei dies bei Bohrmaschinen mit zunehmender Leistung schwieriger werde. Darüber hinaus halte das Durchschneiden der Armierungen mit reduziertem Vortrieb überproportional auf, denn der Bohrfortschritt werde drastisch reduziert.
  72. Ebenfalls bekannt waren Bohrer, die mit einem eher geringen Schneidwinkel arbeiten und hierdurch die Hauptschneide, aber auch die Nebenschneide an ihren Ecken besser abstützten (Abs. [0009]). Diese Bohrer hätten aber einen reduzierten Bohrfortschritt, wobei vor allem durch die Reduktion des Vorschneidwinkels unter eine bestimmte Grenze die Schneidwirkung gerade auch der Nebenschneide deutlich reduziert werde. Offenbar werde bei jedem Bohrschlag das zu schneidende Material dann eher komprimiert als seitlich wegtransportiert, so dass der Bohrer dann gegen eine Art Kissen aus Bohrklein arbeiten müsse und der Bohrfortschritt entsprechend reduziert werde.
  73. Vor diesem Hintergrund bezeichnet es die Klagepatentschrift als Aufgabe, einen Bohrer zu schaffen, der im Wesentlichen bei Beibehaltung des Bohrfortschritts eine deutlich verbesserte Lebensdauer, gerade auch beim Bohren von inhomogenen Massen wie Hartsteineinschlüssen und Armierungen in Beton, erreicht (Abs. [0010]).
  74. Zur Lösung dieses Problems sieht das Klagepatent in Anspruch 1 in Kombination mit Anspruch 2 eine Vorrichtung mit folgenden Merkmalen vor:
  75. 1. Steinbohrer mit einer Hartmetallplatte (10).
  76. 2. Die Hartmetallplatte
    2.1 erstreckt sich quer durch einen Schlitz in der Bohrerspitze und ist dort verankert,
    2.2 weist auf:
    2.2.1 einen Hüllkegel (20) und
    2.2.2 eine Hartmetallspitze (12).
  77. 3. Der Hüllkegel (20) hat einen Spitzenwinkel von etwa 130.
  78. 4. Die ausgeprägte und zentrale Hartmetallspitze nimmt die Hauptschneide (14) auf.
  79. 5. Die Nebenschneide
    5.1 ist seitlich der Hartmetallspitze (12),
    5.2 springt gegenüber dem Hüllkegel zurück und
    5.3 erreicht diesen erst etwas vor dem Ende der Hartmetallplatte (10),
    5.4 wobei die Nebenschneide in einem sich über einen Teil der Länge der Nebenschneide (16) erstreckenden Konkavabschnitt (28) zurückspringt,
    5.5 weist einen kontinuierlichen Verlauf auf.
  80. 6. Zwischen dem Auftreffpunkt (22) Hüllkegel / Nebenschneidplatte und dem Ende der Hartmetallplatte (10) ist eine Anfasung (24) mit einem Spitzenwinkel von 90° ausgebildet.
  81. 2.
    Nach Anspruch 1 des Klagepatents in der geltend gemachten Fassung hat der Hüllkegel (20) einen Spitzenwinkel von etwa 130 (Merkmal 3).
  82. a)
    Merkmal 3 enthält eine Maßangabe, da der Spitzenwinkel des Hüllkegels etwa 130 beträgt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind die Grundsätze der Schutzbereichsbestimmung auch dann anzuwenden, wenn der Patentanspruch Zahlen oder Maßangaben enthält (BGH, Urt. v. 12.03.2002, X ZR 43/01, GRUR 2002, 511, 512 – Kunststoffrohrteil; Urt. v. 12.03.2002, X ZR 135/01, GRUR 2002, 519, 521 – Schneidmesser II; Urt. v. 12.03.2002, X ZR 73/01, GRUR 2002, 527, 529 – Custodiol II). Solche Angaben nehmen an der Verbindlichkeit des Patentanspruchs als maßgeblicher Grundlage für die Bestimmung des Schutzbereichs Teil. Die Aufnahme von Zahlen oder Maßangaben in den Anspruch verdeutlicht, dass sie den Schutzgegenstand des Patents mitbestimmen und damit auch begrenzen sollen.
    Wie jeder Bestandteil eines Patentanspruchs sind Zahlen und Maßangaben grundsätzlich der Auslegung fähig. Wie auch sonst kommt es darauf an, wie der Fachmann solche Angaben im Gesamtzusammenhang des Patentanspruchs versteht, wobei auch hier zur Erläuterung dieses Zusammenhangs Beschreibung und Zeichnungen heranzuziehen sind. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Zahlen und Maßangaben schon nach ihrem objektiven Gehalt, der auch das Verständnis des Fachmanns prägen wird, nicht einheitlich sind, sondern in unterschiedlichen Formen Sachverhalte mit durchaus verschiedenen Inhalten bezeichnen können (BGH, Urt. v. 12.03.2002, X ZR 43/01, GRUR 2002, 511, 512 – Kunststoffrohrteil; Urt. v. 12.03.2002, X ZR 135/01, GRUR 2002, 519, 521 – Schneidmesser II; Urt. v. 12.03.2002, X ZR 73/01, GRUR 2002, 527, 529 – Custodiol II).
    Schon diese Umstände schließen es aus, dass der Fachmann Zahlen , Maß oder Bereichsangaben eine immer gleiche feste Bedeutung zuweisen wird. Jedoch wird er solchen Angaben in aller Regel einen höheren Grad an Eindeutigkeit und Klarheit zubilligen, als dies bei verbal umschriebenen Elementen der erfindungsgemäßen Lehre der Fall wäre. Denn Zahlen sind als solche eindeutig, während sprachlich formulierte allgemeine Begriffe eine gewisse Abstraktion von dem durch sie bezeichneten Gegenstand bedeuten. Zudem müssen solche Begriffe, wenn sie in einer Patentschrift verwendet werden, nicht notwendig in dem Sinn gebraucht werden, den der allgemeine technische Sprachgebrauch ihnen beimisst; die Patentschrift kann insoweit ihr „eigenes Wörterbuch“ bilden. Wie eine bestimmte Zahlen oder Maßangabe im Patentanspruch zu verstehen ist, ist eine Frage des der tatrichterlichen Beurteilung unterliegenden fachmännischen Verständnisses im Einzelfall (BGH, Urt. v. 12.03.2002, X ZR 43/01, GRUR 2002, 511, 512 f. – Kunststoffrohrteil; Urt. v. 12.03.2002, X ZR 135/01, GRUR 2002, 519, 521 f. – Schneidmesser II; Urt. v. 12.03.2002, X ZR 73/01, GRUR 2002, 527, 529 f. – Custodiol II).
  83. b)
    Bei dem Spitzenwinkel von etwa 130 handelt es sich um einen solchen des Hüllkegels. Der Hüllkegel bildet den Rahmen für den Kompromiss zwischen einer ausgeprägten und zentralen Hartmetallspitze einerseits (zum Stand der Technik Abs. [0002] mit Verweis auf die Schrift EP 0 761 927 A1) und einer Nebenschneide mit einem Schulterbereich mit einem großen Spitzenwinkel andererseits (vgl. hierzu Abs. [0016]).
  84. Nach allgemeinem Verständnis ist unter einem Hüllkegel ein Kreiskegel zu verstehen, der aus der Rotation zweier Geraden erzeugt wird, die an dem zu „umhüllenden“ Körper tangential anliegen; bei einem Bohrer schneiden sich diese Geraden auf der Rotationsachse des Bohrers. Von diesem Verständnis geht auch das Klagepatent aus. Nach Merkmal 2.2.1 weist die Hartmetallplatte einen Hüllkegel auf. Anhand des bevorzugten Ausführungsbeispiels in Fig. 1 wird deutlich, dass der Hüllkegel durch die Hartmetallplatte aufgespannt wird und von der Konfiguration der Hauptschneide und dem Ende der Nebenschneide bestimmt ist (Abs. [0019]).
    Die Bezugnahme auf die Konfiguration der Hauptschneide deutet bereits darauf hin, dass die an der Hartmetallplatte ausgebildete Schneide nicht mit den Geraden des Hüllkegels identisch ist. Dies folgt aus den Merkmalen 5.2 und 5.4. Denn diese Merkmale zeigen, dass die Schneide einen Rücksprung gegenüber dem Hüllkegel aufweist.
  85. Das Klagepatent unterscheidet zwischen verschiedenen Abschnitten der Schneide. Der geltend gemachte Anspruch 1 des Klagepatents benennt insoweit die Hauptschneide (Merkmal 4), eine Nebenschneide mit einem Konkavabschnitt (Merkmalsgruppe 5) und eine Anfasung (Merkmal 6). Die Geraden des Hüllkegels liegen an der Hauptschneide einerseits und etwas vor dem Ende der Hartmetallplatte an der Nebenschneide andererseits an.
    Während der Rücksprung selbst auch der besseren Bohrmehlabfuhr dient (Abs. [0025] a.E.), werden durch den Rücksprung Abschnitte mit unterschiedlichen Spitzenwinkeln gebildet (vgl. insgesamt Abs. [0022]). Vor allem der der Bohrachse zugewandte Abschnitt des Konkavabschnitts muss einen geringeren Spitzenwinkel als der Hüllkegel aufweisen, damit überhaupt ein Rücksprung entsteht. Im weiteren Verlauf nach außen muss der Spitzenwinkel hingegen höher als der des Hüllkegels sein, damit die Nebenschneide den Hüllwinkel wieder erreicht.
  86. Diese Anordnung hat zur Folge, dass durch den geringeren Spitzenwinkel der Nebenschneide in Richtung Bohrachse im Zentrum der Hartmetallplatte eine Hartmetallspitze ausgeprägt wird. Zugleich entsteht nach außen hin ein (Schulter )Abschnitt der Nebenschneide mit einem hohen bzw. flachen Spitzenwinkel.
    Das Klagepatent äußert sich nicht dazu, welche Funktion mit einem flachen Spitzenwinkel verbunden ist, sieht aber einen flachen Spitzenwinkel von beispielsweise 150° grundsätzlich als vorteilhaft an, ohne den Nachteil zu verkennen, dass flache Spitzenwinkel dazu neigen, aus der gewünschten Achsenzentrierung auszuweichen (Abs. [0016]). Dieser Nachteil wird nach der technischen Lehre des Klagepatents durch die Ausprägung der zentralen Hartmetallspitze kompensiert. Denn der Zentralbereich mit dem geringeren Spitzenwinkel dient erfindungsgemäß der Zentrierung auf die erwünschte Bohrerachse (Abs. [0016]; vgl. auch Abs. [0015] und Abs. [0025]). Zugleich soll die Hartmetallspitze nicht – wie in dem aus der EP 0 761 927 A1 bekannten Stand der Technik – leicht zum Brechen neigen.
  87. Diese an sich gegenläufigen Ziele – die Ausbildung eines als grundsätzlich vorteilhaft erachteten flachen Spitzenwinkels in den Schulterabschnitten einerseits und die Ausprägung einer prägnanten Hartmetallspitze mit einem geringeren Spitzenwinkel andererseits – werden durch die technische Lehre in Einklang gebracht. Dies geschieht durch den Spitzenwinkel des Hüllkegels. Es ist unmittelbar einsichtig, dass bei einem sehr flachen Hüllkegel zwar Nebenschneiden mit flachem Spitzenwinkel im Schulterabschnitt möglich sind, aber die zentrale Hartmetallspitze zu Lasten der gewünschten Zentrierung weniger ausgeprägt ist. Umgekehrt wären bei einem Hüllkegel mit sehr steilem Spitzenwinkel zwar Nebenschneiden mit flachem Spitzenwinkel möglich, was aber zu einer stärker ausgeprägten zentralen Hartmetallspitze mit gegebenenfalls den aus dem Stand der Technik bekannten Nachteilen führt. Das Klagepatent hat für den Spitzenwinkel des Hüllkegels einen Wert „von etwa 130°“ festgelegt. Er stellt insofern den Rahmen oder die Grenze dar, innerhalb derer durch den Rücksprung sowohl eine ausgeprägte, zentrale Hartmetallspitze als auch ein Schulterabschnitt mit einem flachen Spitzenwinkel ausgebildet werden.
  88. Nach alledem wird der Fachmann die Angabe eines Spitzenwinkels „von etwa 130°“ für den Hüllkegel bereits aufgrund des Wortlauts („etwa“) nicht als kritischen Wert ansehen, sondern Abweichungen von dem Wert als zulässig erachten. Unter keinen Umständen wird der Fachmann jedoch so weit gehen und jede Abweichung von dem genannten Wert von 130° innerhalb des im Prioritätszeitpunkt üblichen Bereichs von Spitzenwinkeln für Schneiden von Steinbohrern als zulässig erachten. Die Klägerin hat insofern vorgetragen, Hartmetallplatten hätten im Prioritätszeitraum zumeist einen Spitzenwinkel zwischen 110° und 150° aufgewiesen, einen Wert „von etwa 130°“ werde der Fachmann daher als Mittelwert im Rahmen eines Spektrums von +/- 20° verstehen. Dem vermag die Kammer nicht zu folgen. Durch diese Auslegung macht die Klägerin die Angabe „von etwa 130°“ zu einer Bereichsangabe. Bereits nach dem Wortlaut des geltend gemachten Klagepatentanspruchs handelt es sich dabei aber um einen punktuellen Wert, nicht um einen Wertebereich. Dabei kennt das Klagepatent durchaus Wertebereiche (vgl. die Unteransprüche 8 bis 17), hat sich hinsichtlich des Spitzenwinkels des Hüllkegels jedoch für einen Einzelwert von 130° entschieden. Durch den Zusatz „etwa“ sind zwar Abweichungen von diesem Wert möglich. Der Wortlaut verbietet es aber, diese Abweichungen auf den gesamten im Prioritätszeitpunkt üblichen und ggf. technisch brauchbaren Bereich von Spitzenwinkeln auszudehnen. Insofern muss sich die Klägerin am Wortlaut des Klagepatentanspruchs festhalten lassen.
  89. Auch bei der gebotenen funktionsorientierten Betrachtung lässt die Angabe „von etwa 130°“ für den Spitzenwinkel des Hüllwinkels keine größeren Abweichungen zu. Wird der Wert nämlich als Grenze für den Kompromiss zwischen einer ausgeprägten zentralen Hartmetallspitze und ihrer Zentrierwirkung einerseits und dem als vorteilhaft erachteten flachen Spitzenwinkel der Schulterabschnitte der Nebenschneiden verstanden, wird man diese Grenze nicht schlechterdings auf einen Wertebereich ausdehnen können, der alle im Prioritätszeitpunkt üblichen Spitzenwinkel umfasst. Von dem Kompromiss bliebe dann nichts mehr übrig.
  90. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass zwar theoretisch Geometrien mit Spitzenwinkeln der Schneiden zwischen 90° und 180° denkbar, in der Praxis aber nur Bereiche zwischen 110° und 150° üblich gewesen seien. Es ist also davon auszugehen, dass Spitzenwinkel für die Schneiden von über 150° im Prioritätszeitpunkt unüblich waren und in der Praxis jedenfalls als nicht vorteilhaft für den Bohrfortschritt angesehen wurden. Der Fachmann weiß zudem, dass mit einem Spitzenwinkel von 130° der wirksamste Bohrfortschritt verbunden sein kann. Hierfür spricht der als Anlage B 3 vorgelegte Auszug, wonach ausführliche technische Tests in einer europäischen Zusammenarbeit in den Jahren 1977/1978 zwischen allen interessierten Hammerbohrerherstellern des Committée Européen d’Outillage (CEO) ergeben haben, dass offensichtlich der wirksamste Bohrfortschritt mit den meist verbreiteten Bohrhämmern gegeben sei, wenn u.a. der Spitzenwinkel der Hartmetallplatte 130 betrage (S. 64 der Anlage B 3).
  91. Es ist zu berücksichtigen, dass sich die vorgenannten Winkelabgaben regelmäßig auf den Spitzenwinkel der Schneiden einer Bohrerspitze beziehen und nicht auf den Spitzenwinkel des Hüllkegels, der als solcher im Stand der Technik kein anerkanntes Maß im Zusammenhang mit der Bohrergeometrie ist. Die Winkelangaben geben gleichwohl Anhaltspunkte insbesondere für den Spitzenwinkel der Schulterabschnitte der Nebenschneiden. Denn das Klagepatent sieht einen flachen Spitzenwinkel der Nebenschneiden als vorteilhaft an (Abs. [0016]). Als Beispiel wird in der Beschreibung des Klagepatents ein Wert von 150° genannt (Abs. [0016] und [0022]). Dem Fachmann ist – wie ausgeführt – bekannt, dass dieser Winkel bereits am oberen Rand der im Stand der Technik üblichen Spitzenwinkel liegt und mit höheren Winkeln kein besserer Bohrfortschritt zu erzielen ist. Welche Vorteile mit flacheren Spitzenwinkeln verbunden sein sollen, erfährt er auch nicht aus der Klagepatentschrift. Der Fachmann wird daher kaum Spitzenwinkel für die Nebenschneiden in Erwägung ziehen, die flacher als 150° sind.
  92. Wird davon ausgehend berücksichtigt, dass der Spitzenwinkel des Hüllkegels – wie ausgeführt – regelmäßig kleiner als der Spitzenwinkel der Schulterabschnitte der Nebenschneiden ist, wird der Fachmann die Angabe „von etwa 130°“ nicht als Mittelwert eines Bereichs von +/- 20° verstehen. Bei einem Spitzenwinkel der Neben-schneiden von 150° wird der Spitzenwinkel des Hüllkegels vielmehr deutlich unterhalb von 150° liegen, nämlich bei 130° (vgl. Abs. [0019]). Andernfalls ließe sich keine zentrale Hartmetallspitze mit einer entsprechenden Zentrierwirkung ausprägen. Gerade weil dem Fachmann bekannt ist, dass flachere Spitzenwinkel als 150° für Schneiden einer Bohrspitze technisch nicht sinnvoll sind und er flachere Spitzenwinkel für die Nebenschneiden nicht in Erwägung ziehen wird, wird der Fachmann die Angabe „von etwa 130°“ für den Spitzenwinkel des Hüllkegels durchaus ernst nehmen und als festen Einzelwert verstehen, der nur bedingt Abweichungen nach oben und unten zulässt.
  93. Der Klagepatentschrift lässt sich nicht entnehmen, in welchem Umfang Abweichungen von dem Wert „von etwa 130°“ noch von der Lehre des Klagepatents erfasst werden. Aufgrund dessen wird der Fachmann sich an den im Stand der Technik für die Herstellung von Steinbohrern und deren Hartmetallplatten geltenden Toleranzen orientieren. Grundsätzlich findet insofern die DIN ISO 2768, Teil 1, Juni 1991, mit Festlegungen für die Allgemeintoleranzen von Längen- und Winkelmaßen (vorgelegt als Anlage B 5) Anwendung. Dies haben die Beklagten unter anderem durch die Wiedergabe eines Hinweises auf diese DIN in einer Konstruktionszeichnung des Rechtsvorgängers von „T“, eines Herstellers von Hammerbohrer-Hartmetallplatten, belegt. Nach dieser DIN betragen die Toleranzen bei Formelementen, die durch Spanen oder Umformen von metallischen Halbzeugen gefertigt wurden, zwischen +/- 1° und +/- 3° für Winkelmaße. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass der Hüllkegel als solches kein Formelement darstellt, sondern durch die an der Hartmetallspitze und an den äußeren Enden der Nebenschneiden anliegenden Geraden gebildet wird und die Bemaßung und Herstellung daher gegebenenfalls an den einzelnen Abschnitten der verschiedenen Schneiden ansetzt. Insofern mag der Fachmann die Abweichungen von dem Wert „von etwa 130°“ großzügiger verstehen als die in der DIN angegebenen Toleranzen von maximal 3°. Bis zu welchem Umfang Abweichungen von 130° noch als erfindungsgemäß angesehen werden können, kann letztlich offen bleiben. Denn sie werden jedenfalls nicht den Bereich von +/- 10° überschreiten.
  94. Abweichungen von +/- 10° liegen nicht nur deutlich über den in der DIN vorgegebenen Toleranzen. Sie stehen auch im Widerspruch zum Ausführungsbeispiel und dem Unteranspruch 3 des Klagepatents. Diese sehen unter Zugrundelegung eines Spitzenwinkels für den Hüllkegel (20) „von etwa 130°“ für den Zentralabschnitt (26) einen kleineren Spitzenwinkel von beispielsweise 120° vor (Abs. [0021]). Liegt aber der Spitzenwinkel des Zentralabschnitts gerade einmal 10° unterhalb des Hüllkegelspitzenwinkels, können von einem Wert „von etwa 130°“ nicht auch Winkel von 120° umfasst sein.
  95. Soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung eingewandt hat, die Beklagte vernachlässige im Zusammenhang mit der Winkelangabe des Spitzenwinkel den Zusatz „etwa“, dieser finde sich bei anderen Maßangaben in der Klagepatentschrift nicht, greift dieser Einwand nicht durch. Denn es ist nicht erkennbar, dass die Verwendung von Angaben mit bzw. ohne den Zusatz „etwa“ einem bestimmten Schema folgt und der Zusatz „etwa“ über gewisse Unschärfen hinaus einen bestimmten technischen Sinn im Unterschied zu Maßangaben ohne diesen Zusatz hat (vgl. nur Abs. [0022]: „Spitzenwinkel von 150°“ vs. „Spitzenwinkel von ebenfalls etwa 150°“).
  96. 3.
    Die angegriffenen Ausführungsformen machen von der technischen Lehre des Anspruchs 1, der in Kombination mit Anspruch 2 gemacht wird, nicht unmittelbar wortsinngemäß Gebrauch.
  97. Die angegriffenen Ausführungsformen weisen einen Hüllkegel mit einem Spitzenwinkel von etwa 130° nicht auf. Zwischen den Parteien steht nicht in Streit, dass der Spitzenwinkel der Hüllkegel der angegriffenen Ausführungsformen 142° überschreitet (142,05° und 142,83°, Anlage K 22).
    Da der Fachmann nach zutreffender Auslegung für den Spitzenwinkel des Hüllkegels den Winkel von 130° wählen wird und einen Toleranzbereich nicht über +/- 10° heranziehen wird, gehören die Werte oberhalb von 142° nicht mehr zum Gegenstand des Klagepatents.
  98. 4.
    Die angegriffenen Ausführungsformen machen auch nicht mit patentrechtlich äquivalenten Mitteln von der technischen Lehre des Klagepatents Gebrauch.
  99. Damit eine vom Wortsinn des Patentanspruchs abweichende Ausführung in dessen Schutzbereich fällt, muss die Ausführung erstens das der Erfindung zugrunde liegende Problem mit (zwar abgewandelten, aber) objektiv gleichwirkenden Mitteln lösen. Zweitens müssen seine im Prioritätszeitpunkt gegebenen Fachkenntnisse den Fachmann befähigt haben, die abgewandelte Ausführung mit ihren abweichenden Mitteln als gleichwirkend aufzufinden. Die Überlegungen, die der Fachmann hierzu anstellen muss, müssen schließlich drittens am Sinngehalt der im Patentanspruch unter Schutz gestellten Lehre orientiert sein. Sind diese Voraussetzungen der Gleichwirkung, der Auffindbarkeit und der Orientierung am Patentanspruch (Gleichwertigkeit) erfüllt, ist die abweichende Ausführung mit ihren abgewandelten Mitteln aus fachmännischer Sicht als der wortsinngemäßen Lösung gleichwirkende (äquivalente) Lösung in Betracht zu ziehen und damit bei der Bestimmung des Schutzbereichs des Patents zu berücksichtigen. Der Schutzbereich des Patents wird auf diese Weise nach Maßgabe dessen bestimmt, was der Fachmann auf der Grundlage der erfindungsgemäßen Lehre als äquivalent zu erkennen vermag, und damit an dem Gebot ausgerichtet, bei der Bestimmung des Schutzbereichs einen angemessenen Schutz für den Patentinhaber mit ausreichender Rechtssicherheit für Dritte zu verbinden (vgl. BGH, Urt. v. 14.12.2010, X ZR 193/03, GRUR 2011, 313, 317 – Crimpwerkzeug IV; Urt. v. 13.01.2015, X ZR 81/13, GRUR 2015, 361, 363 – Kochgefäß).
  100. Nach dem dritten Erfordernis patentrechtlicher Äquivalenz ist es notwendig, dass diejenigen Überlegungen, die der Fachmann anzustellen hat, um zu der gleichwirkenden Abwandlung zu gelangen, derart am Sinngehalt der im Patentanspruch unter Schutz gestellten Lehre orientiert sein müssen, dass der Fachmann die abweichende Ausführung mit ihren abgewandelten Mitteln als der gegenständlichen Lehre gleichwertige Lösung in Betracht zieht. Es ist nicht ausreichend, dass der Fachmann aufgrund seines Fachwissens eine Lehre als technisch sinnvoll und gleichwirkend zu der in den Patentansprüchen formulierten Lehre erkennt. Vielmehr müssen sich seine Überlegungen am Patentanspruch orientieren. „Orientierung am Patentanspruch“ setzt voraus, dass der Patentanspruch in allen seinen Merkmalen nicht nur den Ausgangspunkt, sondern die maßgebliche Grundlage für die Überlegungen des Fachmanns bildet (vgl. BGH, Urt. v. 12.03.2002, X ZR 135/01, GRUR 2002, 519, 521 – Schneidmesser II; Urt. v. 12.03.2002, X ZR 73/01, GRUR 2002, 527, 529 – Custodiol II; siehe insgesamt ferner OLG Düsseldorf, Urt. v. 23.03.2017, I-2 U 40/16, Juris-Rn. 129 f.).
  101. Diese Voraussetzungen sind im hiesigen Rechtsstreit nicht gegeben, denn die Überlegungen, die der Fachmann anstellen muss, um zu den abgewandelten Mitteln der angegriffenen Ausführungsform zu gelangen, sind nicht am Sinngehalt der im Klagepatentanspruch unter Schutz gestellten Lehre orientiert. Die abweichende Ausführung mit ihren abgewandelten Mitteln ist aus fachmännischer Sicht nicht als gleichwertig in Betracht zu ziehen.
    Wird der Fachmann über den genauen Sinn des in den Anspruch aufgenommenen Zahlenwerts im Unklaren gelassen, dann ist ein abweichender Wert bei Orientierung der beanspruchten Erfindung nicht als gleichwertig auffindbar. Denn der Fachmann muss mangels anderer Anhaltspunkte zu der Einsicht gelangen, dass die patentgemäßen Wirkungen nur bei genauer Einhaltung des Zahlenwerts erreicht werden können (vgl. BGH, Urt. v. 12.03.2002, X ZR 135/01, GRUR 2002, 519, 522 – Schneidmesser II; Schulte/Rinken, PatG, 10. A., 2017, § 14 Rn. 87). Bleibt das Patent bei objektiver Betrachtung hinter dem technischen Gehalt der Erfindung zurück, beschränkt sich der Schutz auf das, was noch mit dem Sinngehalt seiner Patentansprüche in Beziehung zu setzen ist (BGH, Urt. v. 12.03.2002, X ZR 135/01, GRUR 2002, 519, 523 – Schneidmesser II; vgl. Urt. v. 12.03.2002, X ZR 43/01, GRUR 2002, 511, 513 – Kunststoffrohrteil).
    Das Klagepatent lehrt den Fachmann nicht, welchen technischen Sinn der Spitzenwinkel des Hüllkegels für die Lehre des Klagepatentanspruchs hat. Daher ist eine vom Wortsinn abweichende Lösung nicht als gleichwertig anzusehen, selbst wenn sie gleichwirkend ist. Stattdessen erfährt der Fachmann, dass – wenn er die Zentrierwirkung des Bohrers oder den Spitzenwinkel des Schulterabschnitts ändern möchte – er dies über das Rücksprungmaß bewerkstelligen kann (vgl. Abs. [0025]). Das Winkelmaß des Hüllkegels bleibt unverändert. Wird daher der Hüllkegel als Grenze oder Rahmen aufgefasst, innerhalb derer sich der Rücksprung bewegen kann, dann kann eine abweichende Lösung nicht als gleichwertig angesehen werden, weil sie sich gerade außerhalb dieses Rahmens bewegt. Dies gilt erst Recht, wenn der Fachmann mit einem Spitzenwinkel von 130° der Hartmetallplatte den wirksamsten Bohrfortschritt verbindet.
  102. 5.
    Aus den vorerwähnten Gründen sind auch die Hilfsanträge zu I. 2. sowie zu II. 2. nicht begründet.
  103. 6.
    Da die in der mündlichen Verhandlung gestellten Anträge der Klägerin nicht zu einer Verurteilung führen und das als Anlage K 40 vorgelegte Gutachten der Klägerseite nicht entscheidungserheblich ist, war dem Antrag der Beklagten auf Schriftsatznachlass nicht nachzugehen.
  104. II.
    Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 S. 1 und 2 ZPO.
  105. III.
    Der Streitwert wird auf 500.000 EUR festgesetzt. In Ansehung der Hilfsanträge gilt § 45 Abs. 1 S. 3 GKG.

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