4b O 133/17 – Identifikations- und Schließsystem

Düsseldorfer Entscheidungsnummer: 2906

Landgericht Düsseldorf

Urteil vom 16. Mai 2019, Az. 4b O 133/17

  1. Die Klage wird abgewiesen.
  2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
  3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
  4. Tatbestand
  5. Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen Verletzung des deutschen Teils des europäischen Patents EP 1 910 XXX B1 (Klagepatent) auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Rückruf sowie Feststellung der Schadensersatz- und Entschädigungspflicht in Anspruch.
    Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des Klagepatents, das am 19. Juli 2006 unter Inanspruchnahme einer Priorität vom 19. Juli 2005 und 20. Juli 2005 angemeldet wurde. Die Anmeldung wurde am 16. April 2008 veröffentlicht. Der Hinweis auf die Erteilung wurde am 15. Mai 2013 veröffentlicht. Das Klagepatent steht in Kraft.
    Über die am 12. Februar 2018 erhobene Nichtigkeitsklage der Beklagten zu 1. hat das Bundespatentgericht noch nicht entschieden.
    Das Klagepatent bezieht sich auf ein Identifikations- und/oder Schließsystem zur Identifikation und/oder Freigabe eines technischen Systems und ein Verfahren zu seinem Betrieb.
    Die Klägerin verteidigt den Anspruch in einer eingeschränkten Fassung, in der sie ihn vorliegend auch geltend macht. In dieser Fassung lautet Anspruch 1 (die Einschränkungen gegenüber der erteilten Fassung sind durch Unterstreichung kenntlich gemacht):
  6. Identifikations- und/oder Schließsystem zum Identifizieren und/ oder Freigeben eines technischen Systems umfassend:
    eine zentrale Rechnereinheit (3), die geeignet ist, ein Signal mit mindestens einem einen verschlüsselten Bereich umfassenden Datensatz zu erzeugen und zu senden,
    sowie zumindest eine mobile Sende-Empfangseinheit (5), die geeignet ist, das von der zentralen Rechnereinheit (3) gesendete Signal zu empfangen, zu speichern, zu ändern und das geänderte Signal mit dem von der Rechnereinheit (3) verschlüsselten Bereich drahtlos weiter zu senden,
    sowie zumindest eine steuernde Empfangseinheit (4), die geeignet ist, das von der mobilen Sende-Empfangseinheit (5) gesendete Signal drahtlos zu empfangen, den von der Rechnereinheit (3) verschlüsselten Bereich zu entschlüsseln und zumindest eine Steuerfunktion in Abhängigkeit davon auszuführen,
    wobei das Signal digitale Daten umfasst, die geeignet sind, die Ausführungen der Steuerfunktion zu veranlassen
    dadurch gekennzeichnet, dass das Signal ferner Informationen über eine für die Ausführung der Steuerfunktion zeitabhängige Gültigkeit der Daten umfasst.
  7. Die Beklagte zu 1. ist ein in Österreich ansässiges Unternehmen, das eine digitale Zutrittslösung unter dem Namen „A“ auch in Deutschland anbietet und vertreibt. Dabei betreibt die Beklagte zu 1. einen Cloud-Internetserver, der als Bindeglied zwischen digitaler Zutrittskontrolle und physischem Zugang fungiert. Die Beklagten zu 2. bis 4. sind die Geschäftsführer der Beklagten zu 1.
  8. Die Beklagte zu 1. machte auf ihrem deutschsprachig unter https://A.com/de/ verfügbaren Internetauftritt u.a. folgende Angaben über die von ihr angebotene angegriffene Ausführungsform:
    „A ist eine […] cloudbasierte Plattform, die als leistungsfähiges Bindeglied zwischen digitaler Zutrittskontrolle und physischem Zugang mittels Smartphone agiert. Für die Kommunikation zwischen dem Smartphone und Schließgeräten kommen die Technologien Near Field Communication (NFC) und Bluetooth Low Energy (BLE) zum Einsatz. Besonderen Wert legt A dabei auf ein einzigartiges Nutzererlebnis und höchste Sicherheit. Für Technologiepartner (wie Schlosshersteller, Autozulieferer etc.) wird ein A Lock SDK zur Verfügung gestellt, das eine sehr rasche Integration in bestehende Schließprodukte erlaubt. “
    Weiter hieß es dort:
    „Unser robuster Backend-Dienst ist für das sichere Aus- und Zustellen von Zutrittsschlüsseln verantwortlich. Sämtliche Daten werden redundant in einem jederzeit verfügbaren und hochsicheren Datencenter im europäischen Datenraum gespeichert.“
  9. Die Beklagte zu 1. vertreibt auch Einzelkomponenten wie B und Schließzylinder. Letztere werden von einer Dritten in Deutschland hergestellt und an die Beklagte zu 1. geliefert.
  10. Die vom C der angegriffenen Ausführungsform erstellten Daten sind base64-kodiert und werden an das mobile Sendegerät nach dem HTTPS/TLS Protokoll verschlüsselt übertragen, um eine sichere Übertragung zu gewährleisten.
  11. Mit der Klage greift die Klägerin die App (angegriffene Ausführungsform 1), die Bs (angegriffene Ausführungsform 2) und die von der Beklagten vertriebenen Schlösser an (angegriffene Ausführungsform 3) sowie das aus den verschiedenen Komponenten bestehende Gesamtsystem (angegriffene Ausführungsform 4).
  12. Die Klägerin ist der Ansicht, durch Angebot und Vertrieb der angegriffenen Ausführungsformen werde das Klagepatent mittelbar und unmittelbar verletzt.
    Die Sende-Empfangseinheit sei geeignet, das empfangene Signal zu ändern und das geänderte Signal weiter zu senden.
    Der Fachmann verstehe unter „ändern“ des Signals jedwede Veränderung der Daten. Im Rahmen des Sendens und Empfangens von Daten komme es grundsätzlich zu einer Vielzahl solcher Änderungen, etwa weil Headerdaten und die eigentlichen Nutzdaten gemeinsam übertragen würden. Weiter ändere praktisch jedes Übertragungsprotokoll die Daten. Das Klagepatent meine jede Änderung der inneren oder äußeren Signalstruktur.
  13. Die Klägerin beantragt, nachdem sie den ursprünglich auch auf Vernichtung der Erzeugnisse gerichteten Antrag zurückgenommen hat, nur noch,
  14. I. die Beklagten zu verurteilen,
    a)
    es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Wiederholungsfalle Ordnungshaft bis zu 2 Jahren, wobei die Ordnungshaft an dem jeweiligen Geschäftsführer der Beklagten zu 1) zu vollziehen ist, zu unterlassen,
    Identifikations- und/oder Schließsystem zum Identifizieren und/ oder Freigeben eines technischen Systems umfassend:
    eine zentrale Rechnereinheit (3), die geeignet ist, ein Signal mit mindestens einem einen verschlüsselten Bereich umfassenden Datensatz zu erzeugen und zu senden, und zumindest eine mobile Sende-Empfangseinheit (5), die geeignet ist, das von der zentralen Rechnereinheit (3) gesendete Signal zu empfangen, zu speichern, zu ändern und das geänderte Signal mit dem von der Rechnereinheit (3) verschlüsselten Bereich drahtlos weiter zu senden, sowie zumindest eine steuernde Empfangseinheit (4), die geeignet ist, das von der mobilen Sende-Empfangseinheit (5) gesendete Signal drahtlos zu empfangen, den von der Rechnereinheit (3) verschlüsselten Bereich zu entschlüsseln und zumindest eine Steuerfunktion in Abhängigkeit davon auszuführen, wobei das Signal digitale Daten umfasst, die geeignet sind, die Ausführungen der Steuerfunktion zu veranlassen,
    in der Bundesrepublik Deutschland herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen, zu gebrauchen oder zu genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,
    wenn das Signal ferner Informationen über eine für die Ausführung der Steuerfunktion zeitabhängige Gültigkeit der Daten umfasst,
  15. b)
    es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Fall wiederholter Zuwiderhandlung Ordnungshaft bis zu insgesamt 2 Jahren, wobei die Ordnungshaft an dem jeweiligen Geschäftsführer der Beklagten zu 1) zu vollziehen ist, zu unterlassen,
    (1) Anwendungssoftware für mobile Endgeräte
    und/oder
    (2) mobile Sende- und Empfangseinheiten
    und/oder
    (3) Schlösser bzw. Zusatzmodule zu Schlössern
    welche jeweils geeignet sind, in einem Identifikations- und/oder Schließsystem zum Identifizieren und/oder Freigeben eines technischen Systems verwendet zu werden,
    Abnehmern im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland anzubieten und/oder an solche zu liefern, wenn das System, für welches die genannten Komponenten einzusetzen geeignet sind, umfasst,
    eine zentrale Rechnereinheit (3), die geeignet ist, ein Signal mit mindestens einem einen verschlüsselten Bereich umfassenden Datensatz zu erzeugen und zu senden, und zumindest eine mobile Sende-Empfangseinheit (5), die geeignet ist, das von der zentralen Rechnereinheit (3) gesendete Signal zu empfangen, zu speichern, zu ändern und das geänderte Signal mit dem von der Rechnereinheit (3) verschlüsselten Bereich drahtlos weiter zu senden, sowie zumindest eine steuernde Empfangseinheit (4), die geeignet ist, das von der mobilen Sende-Empfangseinheit (5) gesendete Signal drahtlos zu empfangen, den von der Rechnereinheit (3) verschlüsselten Bereich zu entschlüsseln und zumindest eine Steuerfunktion in Abhängigkeit davon auszuführen, wobei das Signal digitale Daten umfasst, die geeignet sind, die Ausführungen der Steuerfunktion zu veranlassen, in der Bundesrepublik Deutschland herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen, zu gebrauchen oder zu genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen, wenn das Signal ferner Informationen über eine für die Ausführung der Steuerfunktion zeitabhängige Gültigkeit der Daten umfasst;
  16. II. die Beklagten zu verurteilen,
    1. der Klägerin unter Vorlage eines einheitlichen, geordneten Verzeichnisses vollständig darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die zu Ziffer I. a) bezeichneten Handlungen seit dem 16. Mai 2008 und die unter Ziffer I. b) bezeichneten Handlungen seit dem 15. Juni 2013 begangen haben und zwar unter Angabe
    a) der Herstellungsmengen und –zeiten nur für Erzeugnisse nach Ziffer I. a),
    b) der einzelnen Liefermengen und Bestellungen, aufgeschlüsselt nach Typenbezeichnung, Liefer- und Bestellmengen, -zeiten und -preisen, sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer,
    c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Typenbezeichnungen, Angebotsmengen, -zeiten und -preisen, sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,
    d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Herstellungs- und Verbreitungsauflage, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet, bei Internetwerbung nach spezifischer Domain, Zugriffszahlen und Onlinezeitrahmen je Kampagne,
    e) sowie für die seit dem 15. Juni 2013 begangenen Handlungen gemäß Ziff. I zudem unter Angabe der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
    wobei die Beklagten zum Nachweis der Angaben entsprechende Belege (wie Rechnungen, hilfsweise: Lieferscheine) in Kopie vorzulegen haben,
    wobei gemeinhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen,
    wobei den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nicht gewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden, dieser gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten und in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten die durch dessen Einschaltung entstandenen Kosten übernehmen und ihn ermächtigen, der Klägerin auf Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Rechnungslegung enthalten ist;
    2. die unter Ziffer I. a) bezeichneten Identifikations- und / oder Schließsysteme sowie dazugehörige Rechnereinheiten und Empfangseinheiten gegenüber den gewerblichen Abnehmern unter Hinweis auf den gerichtlich (Urteil des … vom …) festgestellten patentverletzenden Zustands der Sache und mit der verbindlichen Zusage zurückzurufen, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten, sowie mit der Rückgabe verbundene Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen und die Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen.
    III. festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind,
    1. der Klägerin eine angemessene Entschädigung, für die in der Zeit vom 16. Mai 2008 bis zum 14. Juni 2013 begangenen Handlungen gemäß Ziff. 1 a) zu zahlen,
    2. der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die unter Ziffer 1. a) bezeichneten, seit dem 15. Juni 2013 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
  17. Die Beklagten beantragen,
    die Klage abzuweisen;
    hilfsweise,
    den Rechtsstreit bis zur Entscheidung über die durch die Beklagte zu 1) vor dem Bundespatentgericht erhobene Nichtigkeitsklage (Az. 1 Ni 4/18 (EP)) auszusetzen.
  18. Die Beklagten sind der Ansicht, das Patent werde nicht verletzt. Die anspruchsgemäße Änderung der Signale sei als Veränderung inhaltlicher Nutzdaten zu verstehen.
    Die angegriffene Ausführungsform nehme – ungeachtet der Frage, ob als Sendeeinheit ein Smartphone mit entsprechender App oder ein sogenannter „B“ zum Einsatz komme, bei dem es sich um einen rein passiven RFID Transponder handele – keine Änderungen der vom Server erhaltenen Daten vor. Es werde vielmehr ein reiner Öffnungsbefehl übertragen, irgendeine inhaltliche Anpassung oder Änderung der Daten sei nicht vorgesehen.
  19. Des Weiteren erzeuge das „C“ auch keinen verschlüsselten Bereich, der von der mobilen Sende-Empfangseinheit weiter geleitet werde (Bl. 78). So werde der Bereich Dvom Mobiltelefon entschlüsselt. Der Schlüssel „Ku“ werde im Übrigen im Klartext übertragen.
    Die Beklagten sind schließlich der Ansicht, das Klagepatent sei wegen einer unzulässigen Erweiterung gegenüber der Ursprungsfassung nicht rechtsbeständig. Zudem sei die Erfindung gegenüber der D6 auch nicht neu, jedenfalls dann, wenn man die Auslegung der Klägerin zum Begriff des „Änderns“ der Daten anlege.
  20. Entscheidungsgründe
  21. Die zulässige Klage ist unbegründet.
    Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Unterlassung, Auskunft, Rechnungslegung, Rückruf sowie Schadensersatz und Entschädigung dem Grunde nach gegen die Beklagten aus Art. 64 EPÜ i.V.m. §§ 139 Abs. 1 und 2, 140a, Abs. 3, 140b PatG, §§ 242, 259 BGB.
    Das Klagepatent wird durch Angebot und Vertrieb der angegriffenen Ausführungsformen weder unmittelbar, noch mittelbar verletzt.
  22. I.
    Das Klagepatent beschreibt in Abs. [0002] (Absätze ohne Bezugsangabe sind im Folgenden solche des Klagepatents) als Stand der Technik, dass sich Schließsysteme etabliert hätten, die auf einer elektronischen und/oder optischen Datenübertragung basierten. Dabei sei der zu übertragende Datensatz auf einer Speichereinheit hinterlegt und werde aktiv oder passiv abgerufen. Die Funktion entspreche der eines klassischen Schlüssel, wobei die Authentifizierung nicht anhand geometrischer Merkmale erfolge, sondern elektronisch. In Abs. [0003] werden Funkschlüssel für Kraftfahrzuge genannt, die das Fahrzeug bereits bei einer Annäherung öffnen könnten, ohne dass der Schlüssel in Kontakt mit dem Fahrzeug gebracht werden muss. Weiter existierten nach Abs. [0004] F, die ganz ohne mechanische Schlüssel auskämen. Dabei umfasse das System einen passiven Empfänger im Fahrzeug und einen aktiven Sender an einem vom Fahrer mitgeführten, elektronischen Türöffner, der über Funk oder durch optische Datenübertragung mit dem Fahrzeug kommuniziere. Dabei werde gewöhnlich ein Abfrageprotokoll abgearbeitet, das die Übertragung eines Codes vom Sender zum Empfänger und den Vergleich dieses Codes mit dem im Fahrzeug gespeicherten Code umfasse. Bei Übereinstimmen werde geöffnet.
    Nach Abs. [0005] bezieht sich die Druckschrift EP 0 913 XXX A2 auf ein Verfahren zum Betrieb eines Mobiltelefons als Fernsteuerung. Das Mobiltelefon dient der Erzeugung eines Freigabesignals, welches wiederum das Öffnen einer Tür, eines Garagentors, einer Zentralverriegelung, etc. verursache. Weitere Zugangskontrollsysteme für Kraftfahrzeuge seien in den Offenlegungsschriften DE 101 42 XXX A1 und DE 102 37 XXX A1 offenbart.
  23. Das Klagepatent beschreibt es in Abs. [0006] und [0007] als nachteilig an derartigen Systemen, dass durch die feste Verbindung der Speichereinheit mit einem Sender und evtl. einem herkömmlichen Schlüssel einer Miniaturisierung Grenzen gesetzt seien; zudem sei aufgrund der physischen Verbundenheit bzw. Kopplung der Komponenten eine einfache und schnelle Übertragung des Schlüssels auf digitalem Wege unmöglich. Die Hinterlegung in der Speichereinheit befähige zudem deren Besitzer unabhängig von seiner Berechtigung zur erfolgreichen Benutzung des so gesicherten Systems. Zudem sei die drahtlose Übertragung zumal bei funkbasierten Systemen stets mit der Gefahr des Missbrauchs durch unbefugte Aufzeichnung der gesendeten Daten verbunden, mit denen funktionierende Zweitschlüssel erstellt werden könnten.
    Ein dann erforderlicher Austausch des Datensatzes sei wiederum teils sehr aufwändig. Auch die zeitliche Begrenzung der Gültigkeit sei nicht möglich.
    Vor diesem Hintergrund begreift es das Klagepatent als seine Aufgabe (das technische Problem), ein in Zugangs- und Schließsystemen verwendbares Identifikationssystem zur Verfügung zu stellen, dass die beschriebenen Nachteile vermeidet und insbesondere einen besseren Schutz gegen Missbrauch vorsieht.
  24. Hierzu sieht das Klagepatent in seinem Anspruch 1 ein System vor, das in der eingeschränkt geltend gemachten Fassung folgende Merkmale aufweist:
  25. (1) Identifikations- und/oder Schließsystem zum Identifizieren und/oder Freigeben eines technischen Systems umfassend:
    (2) eine zentrale Rechnereinheit,
    (2.1) die geeignet ist, ein Signal mit mindestens einem einen verschlüsselten Bereich umfassenden Datensatz zu erzeugen und zu senden,
    (3) zumindest eine mobile Sende-Empfangseinheit,
    (3.1) die geeignet ist, das von der zentralen Rechnereinheit gesendete Signal zu empfangen, zu speichern, zu ändern und
    (3.2) das geänderte Signal mit dem von der Rechnereinheit verschlüsselten Bereich drahtlos weiter zu senden,
    (4) zumindest eine steuernde Empfangseinheit,
    (4.1) die geeignet ist, das von der mobilen Sende-Empfangseinheit gesendete Signal drahtlos zu empfangen,
    (4.2) den von der Rechnereinheit verschlüsselten Bereich zu entschlüsseln
    (4.3) und zumindest eine Steuerfunktion in Abhängigkeit davon auszuführen,
    (5) wobei das Signal digitale Daten umfasst,
    (5.1) die geeignet sind, die Ausführung der Steuerfunktion zu veranlassen,
    (5.2) wobei das Signal ferner Informationen über eine für die Ausführung der Steuerfunktion zeitabhängige Gültigkeit der Daten umfasst.
  26. II.
    Der Streit der Parteien gibt Anlass zur Auslegung der Merkmalsgruppe 3.
    Die mobile Sende-Empfangseinheit muss im Stande sein, die von der zentralen Einheit empfangenen Daten zu speichern und zu ändern und das – ggf. von ihr geänderte – Signal weiterzusenden.
    Der Fachmann versteht diese Anforderungen dahingehend, dass die Sende-Empfangseinheit in der Lage sei muss, die empfangenen Signale inhaltlich zu ändern, mithin die Nutzdaten zu ändern, und die so geänderten Daten weiterzusenden.
    Dieses Verständnis von „Signale ändern“ und „geänderte Signale senden“ erschließt sich dem Fachmann anhand der Beschreibung in Abs. [0011].
    Dort heißt es, dass die Festlegung, Änderung und Speicherung des an die Sende-Empfangseinheit zu versendenden Signals jederzeit und mehrfach erfolgen könne. Dadurch könnten die zu übermittelnden Signale schnell an sich ändernde Gegebenheiten angepasst werden. Hieraus entnimmt der Fachmann, dass der Zweck der Änderung eine „Anpassung an sich ändernde Gegebenheiten“ ist.
    Unter sich ändernden Gegebenheiten sind solche Gegebenheiten zu verstehen, die eine inhaltliche Änderung der Nutzdaten erfordern. Dies soll – wie in Abs. [0011] weiter ausgeführt wird – schnell per Funk und ohne großen Aufwand möglich sein. Zu diesem Zweck kann die patentgemäße Sende-Empfangseinheit vorteilhafterweise über Mittel zum Empfang von Signalen verfügen, durch die die Änderung erfolgen kann (Abs. [0011). Eine solche, per Funk veranlasste Änderung der Signale macht nur Sinn, wenn es sich um eine inhaltliche Änderung der Nutzdaten des Signals handelt.
    Durch die unproblematisch mögliche Anpassung an geänderte Gegebenheiten durch die Änderung der Signale seitens der Sende-Empfangseinheit werden genau die vom Klagepatent identifizierten Nachteile des Standes der Technik beseitigt, wonach ein Austausch des zu versendenden Datensatzes relativ aufwändig war (Abs. [0007]).
    Wie im Einzelnen die Änderungen erfolgen sollen oder welche inhaltlichen Änderungen möglich sein sollen, gibt der Klagepatentanspruch nicht vor.
    Von einer solchen Änderung der Signale ist die Neufestlegung und Übersendung eines neuen Signals durch den Server zu unterscheiden.
    Denkbar ist im einfachsten Fall, dass das Datenpaket des Servers neben den Authentifizierungsinformationen einen Bereich vorsieht, in dem die vom Nutzer am mobilen Sender festgelegten Befehle – z.B. „Öffne die Türen“, „Schließe die Türen“, „Öffne den Kofferraum“ – gespeichert und dann mit diesen manuell festgelegten Befehlen weitergeleitet werden.
    Auf eine ähnlich vorteilhafte Gestaltung weist das Klagepatent in Abs [0019] hin. Demnach sollen Mittel vorgesehen sein, die es ermöglichen, in das zu übermittelnde Signal Informationen einzubeziehen, die fahrerspezifische Einstellungen am Fahrzeug betreffen. So können Informationen über bevorzugte Navigationspunkte, Radioeinstellungen, Sitzeinstellungen, Spiegeleinstellungen oder Einstellungen der Klimaanlage abgelegt und in das zur steuernden Empfangseinheit zu übermittelnde Signal einbezogen werden.
    Damit ist zugleich gezeigt, dass der Begriff des „Änderns“ gerade nicht bereits dann erfüllt ist, wenn lediglich transportbedingte Ent- und Verschlüsselungen oder Kodierungen vorgenommen werden, der eigentliche Nutzinhalt des Signals jedoch unverändert bleibt. Damit kann der zwischen den Parteien kontrovers erörterte Punkt, ob und ggf. welche Verschlüsselungen zum Prioritätszeitpunkt üblich waren oder nicht, dahinstehen. Dementsprechend kann von einem „Ändern“ im Sinne des Merkmals 3.1 auch nicht die Rede sein, wenn lediglich etwaige zur Adressierung oder sonstigen „administrativen“ Zwecken dienende Headerdaten verändert werden, das eigentliche Nutzsignal aber nicht.
    Es gib keinen Anlass, solche Änderungen der Signale per Funk zu veranlassen, wie dies in Abs. [0011] beschrieben ist. Der Fachmann wird daher nicht in Erwägung ziehen, unter der Änderung der Signale die Anpassung an einen Übertragungsweg oder dergleichen zu verstehen. Vielmehr kann darunter nur eine inhaltliche Änderung der Nutzdaten verstanden werden.
    Im Übrigen erkennt der Fachmann, dass sich das Klagepatent den zahlreichen physikalischen und logischen Manipulationen der zu übermittelnden Daten, die nur der Übertragung auf einem der zahlreichen in Betracht kommenden Wege dienen, nicht befasst. Diesen Gegebenheiten widmet sich das Klagepatent ersichtlich an keiner Stelle, es erwähnt überhaupt nur kursorisch in Abs. [0011] die (nicht weiter definierte) Funkübertragung von Daten und verweist in Abs. [0012] darauf, dass man den Funktionsumfang der Mobilgeräte verwenden, also auf deren bestehende Datenübertragungskanäle zurückgreifen könne. In Abs. [0027] und [0028] ist schließlich von den Verbindungstechniken „bluetooth“, „W-Lan“ „oder andere“ die Rede, ohne dass das Klagepatent sich deren Besonderheiten widmet, sie werden vielmehr vorausgesetzt.
    Gleiches gilt für die beispielhafte Aufzählung von Kommunikationstechniken in Abs. [0033], wo „GPRS, UMTS, MMS, SMS, WLAN oder ähnliche Verbindungstechniken“ benannt werden.
    Dass die zu übertragenden Signale dem jeweiligen Übertragungsweg angepasst werden müssen, ist mithin eine technische Selbstverständlichkeit, mit der sich das Klagepatent nicht befasst. Sie ist für die Lehre des Klagepatents ohne Bedeutung und kann aus den vorgenannten Gründen nicht in den Begriff „ändern“ oder „geänderte Signale“ hineingelesen werden.
  27. III.
    Die angegriffene Ausführungsform macht von der technischen Lehre des Klagepatents keinen Gebrauch.
    Es lässt sich nicht feststellen, dass die angegriffene Ausführungsform geeignet ist, die Daten, die sie von der zentralen Recheneinheit – im Fall der angegriffenen Ausführungsform vom cloud-server – erhält, zu ändern. Die Sende-Empfangseinheit in dem angegriffenen System (angegriffenen Ausführungsform 4) ist entweder das Smartphone mit der App (angegriffene Ausführungsform 1) oder der B (angegriffene Ausführungsform 2).
    Nach den Ausführungen der Beklagten erhält die jeweilige Sende-Empfangseinheit, also das mit einer entsprechenden App versehene Smartphone oder der B, ein Signal, das drei Bereiche umfasst:
    – Ed(Ku)
    – Ed(CERTu)
    – Ku
    Bei Ku handelt es sich dabei um einen Schlüssel, der vom Server zufällig generiert wird und identisch mit dem Datensatz „key“ ist.
    Bei Ed(Ku) und Ed(CERTu) handelt es sich um die beiden Bestandteile des Datensatzes „H“. Dabei handelt es sich um die mittels eines nur dem Server und dem Empfänger bekannten Verschlüsselungscodes verschlüsselten Versionen der Daten Ku und CERTu. CERTu definiert dabei die Berechtigungen des Nutzers, Ku ist wie beschrieben der Zufallscode.
    Der Datensatz „G“ könne – so der nicht widerlegte Vortrag der Beklagten – vom mobilen Sender weder verstanden, noch geändert werden, sondern werde (zusammen mit Ed(CERTu) und Ed(Ku)) schlicht an die Empfangseinheit weitergeleitet.
    Soweit die Klägerin ausführt, dass die Datensätze „G“ und „key“ verändert werden könnten, trifft dies nicht zu. Es mag sein, dass sie jedenfalls von der Sende-Empfangseinheit verstanden werden – anders als der verschlüsselte Inhalt von „H“. Die bloß potentielle Änderbarkeit des Inhalts genügt jedoch nicht, es kommt vielmehr darauf an, dass die Änderung softwareseitig auch implementiert ist.
    Dies behauptet die Klägerin indes selbst nicht, während die Beklagte substantiiert in Abrede gestellt hat, dass der Sender dazu eingerichtet sei, diesen Datensatz zu ändern.
    Da – soweit unstreitig – auch ein sogenannter „B“ anstelle des Smartphones zum Einsatz kommen kann, bei dem es sich um einen rein passiven RFID Transponder handelt, leuchtet auch ein, dass eine Änderung der Daten mit einer solchen Hardware nicht in Betracht kommt und die angegriffene Ausführungsform sie somit auch nicht erfordern kann.
  28. Insofern ist auch weder vorgetragen, noch sonst ersichtlich, ob und in wie weit bei der angegriffenen Ausführungsform 4 eine Änderung der Signale durch die Sende-Empfangseinheit vorgenommen werden kann, die beispielsweise vom Server ähnlich den Ausführungen in Abs. [0011] zur Anpassung an geänderte Gegebenheiten veranlasst wurde. In der mündlichen Verhandlung blieb die Klägerin trotz des Verweises auf die zitierte Textstelle bei ihren Ausführungen zur Anpassung der Signale an den jeweiligen Übertragungsweg.
  29. IV.
    Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 269 Abs. 3, 709 S. 2 ZPO.
  30. Streitwert: 550.000 €

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