4b O 159/17 – Schiene für Bandagen

Düsseldorfer Entscheidungsnummer: 2917

Landgericht Düsseldorf

Urteil vom 18. Juli 2019, Az. 4b O 159/17

  1. A.
    Die Beklagte wird verurteilt,
    I. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlungen bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an den gesetzlichen Vertretern der Beklagten zu vollstrecken ist, zu unterlassen,
    1. Schienen für Bandagen, Mieder, Kleidungsstücke, Korsetts, Orthesen und dergleichen zur Behandlung der Osteoporose durch Stützung der Wirbelsäule, wobei sich die Schiene vom Steißbein bis zum ersten Halswirbel erstreckt, wobei die Schiene aus einem steifen Material besteht, dass die Schiene eine Aussparung für die Dornfortsätze der Wirbelsäule aufweist und neben diesen gemäß dem Körper eines Patienten modelliert ist, dass die Schiene im Bereich des Rumpfes einen vergrößerten Durchmesser ihres Querschnitts aufweist, und dass die Schiene wellenförmig dem Verlauf der Wirbelsäule angepasst ist,
    2. orthopädische Kleidungsstücke, insbesondere orthopädisch indizierte einteilige Unterwäsche insbesondere für Patienten mit Osteoporose-Beschwerden, wobei die einteilige Unterwäsche aus einem Baumwoll- oder Kunstfasermaterial besteht und verschiedene Stretchzonen aufweist, die im angelegten Zustand eine Spannung aufweisen, wobei das Kleidungsstück im Rückenbereich mit einer oben oder unten geöffneten länglichen Tasche, welche sich entlang der Wirbelsäule des Trägers des Kleidungsstückes erstreckt und mit einer eng, elastisch oder mit geringem Spiel in dieser gehaltenen, die Wirbelsäule abstützenden steifen Schiene zur Behandlung der Osteoporose durch Stützung der Wirbelsäule versehen ist, wobei sich die Schiene vom Steißbein bis zum ersten Halswirbel erstreckt, wobei die Schiene aus einem steifen Material besteht, dass die Schiene eine Aussparung für die Dornfortsätze der Wirbelsäule aufweist und neben diesen gemäß dem Körper eines Patienten modelliert ist, dass die Schiene im Bereich des Rumpfes einen vergrößerten Durchmesser ihres Querschnitts aufweist, und dass die Schiene wellenförmig dem Verlauf der Wirbelsäule angepasst ist,
    in der Bundesrepublik Deutschland herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen;
    II. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie (die Beklagte) die vorstehend zu Ziffer A. I. bezeichneten Handlungen seit dem 30. März 2005 begangen hat, und zwar unter Angabe
    1. der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
    2. der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
    3. der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden,
  2. wobei
    • zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, und
    • geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
    III. der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie (die Beklagte) die vorstehend zu Ziffer A. I. bezeichneten Handlungen seit dem 26. März 2003 begangen hat, und zwar unter Angabe:
    1. der Herstellungsmengen und -zeiten,
    2. der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer,
    3. der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,
    4. der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
    5. nur für den Zeitraum ab dem 30. April 2006 der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
    wobei der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;
    IV. die in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder in ihrem Eigentum befindlichen, vorstehend unter Ziffer A. I. bezeichneten Erzeugnisse zu vernichten oder an einen von der Klägerin zu benennenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf ihre Kosten (der Beklagten) herauszugeben,
    V. die vorstehend in Ziffer A. I. bezeichneten Erzeugnisse gegenüber den gewerblichen Abnehmern unter Hinweis auf den gerichtlich (Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 18. Juli 2019, 4b O 159/17) festgestellten patentverletzenden Zustand der Sache und mit der verbindlichen Zusage zurückzurufen, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten sowie mit der Rückgabe verbundene Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen und die Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen.
  3. B. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin
    1. für die vorstehend zu Ziffer A. I. bezeichneten, in der Zeit vom 26. März 2003 bis zum 29. April 2005 begangenen Handlungen eine angemessene Entschädigung zu zahlen, und
    2. allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die vorstehend zu Ziffer A. I. bezeichneten, seit dem 30. April 2005 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
  4. C. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
  5. D. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 25 % und die Beklagte zu 75 %.
  6. E. Das Urteil ist für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 400.000 € vorläufig vollstreckbar, wobei für den Fall, dass das Urteil teilweise vollstreckt werden soll, folgende Teilsicherheiten festgesetzt werden:

    Tenor zu A. I., IV. und V: 280.000,00 EUR
    Tenor zu A. II. und III.: 80.000,00 EUR
    Tenor zu D.: 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages

    Für die Beklagte ist das Urteil gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

  7. Tatbestand
  8. Die Klägerin nimmt die Beklagte aus dem deutschen Teil des europäischen Patents EP 1 284 XXX B1 (im Folgenden kurz: Klagepatent, vorgelegt als Anlage B&B 3) auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Rückruf und Vernichtung sowie Feststellung der Entschädigungs- und Schadensersatzpflicht in Anspruch.
    Das Klagepatent wurde am 30. Mai 2001 von der Klägerin unter Inanspruchnahme einer Priorität vom 30. Mai 2000 angemeldet, die Anmeldung am 26. Februar 2003 veröffentlicht, die Erteilung wurde am 30. März 2005 veröffentlicht. Die Beklagte hat unter dem 8. August 2018 Nichtigkeitsklage vor dem Bundespatentgericht gegen den deutschen Teil des Klagepatents erhoben, über die noch nicht entschieden wurde.
    Das Klagepatent steht in Kraft.
  9. Anspruch 1 des in deutscher Verfahrenssprache erteilten Klagepatents lautet:
    Schiene für Bandagen, Mieder, Kleidungsstücke, Korsetts, Orthesen und dergleichen zur Behandlung der Osteoporose durch Stützung der Wirbelsäule, wobei sich die Schiene (4) vom Steißbein bis zum ersten Halswirbel erstreckt, dadurch gekennzeichnet, daß die Schiene aus einem steifen Material besteht, daß die Schiene eine Aussparung (4″‚) für die Dornfortsätze der Wirbelsäule aufweist und neben diesen gemäß dem Körper eines Patienten modelliert ist, daß die Schiene im Bereich des Rumpfes einen vergrößerten Durchmesser ihres Querschnitts (4‘) aufweist, und daß die Schiene wellenförmig dem Verlauf der Wirbelsäule angepaßt ist.
  10. Das Klagepatent zeigt eine Ausführungsform einer Schiene nach Anspruch 1 als Figur 3:
  11. Anspruch 2 des Klagepatents lautet:
    Orthopädisches Kleidungsstück (1), insbesondere orthopädisch indizierte einteilige Unterwäsche insbesondere für Patienten mit Osteoporose-Beschwerden, wobei die einteilige Unterwäsche aus einem Baumwoll- oder Kunstfasermaterial besteht und verschiedene Stretchzonen aufweist, die im angelegten Zustand eine Spannung aufweisen, dadurch gekennzeichnet, daß das Kleidungsstück (1) im Rückenbereich mit einer oben oder unten geöffneten länglichen Tasche (2), welche sich entlang der Wirbelsäule des Trägers des Kleidungsstückes erstreckt und mit einer eng, elastisch oder mit geringem Spiel in dieser gehaltenen, die Wirbelsäule abstützenden steifen Schiene (4) nach Anspruch 1 versehen ist.
    Das Klagepatent zeigt eine Ausführungsform eines Kleidungsstücks nach Anspruch 2 als Figur 2 und Figur 1 wie nachfolgend wiedergegeben:
  12. Die Beklagte stellt her und vertreibt in der Bundesrepublik Deutschland zwei verschiedene Orthesen, bestehend jeweils aus einer steifen Kunststoffschiene sowie einem Kleidungsstück oder Gurtzeug, in das die Schiene jeweils eingelegt wird, unter der Bezeichnung „A“ (angegriffene Ausführungsform 1) einerseits sowie unter der Bezeichnung „B“ (angegriffenen Ausführungsform 2).
    Die nachfolgenden, von der Klägerin stammenden Bilder zeigen die angegriffene Ausführungsform 1:
  13. Das folgende von der Webseite der Beklagten (vorgelegt im Ausdruck als Anlage B7) stammende Bild zeigt den angelegten Zustand:
  14. Die nachfolgenden, von der Klägerin und der Beklagten stammenden Bilder zeigen die angegriffene Ausführungsform 2:
  15. Die Klägerin ist der Ansicht, die angegriffenen Ausführungsformen machten von der technischen Lehre der Klagepatentansprüche 1 und 2 wortsinngemäß Gebrauch. Dabei sei ausweislich der Zeichnungen die Erstreckung der Schiene vom Steißbein bis zum ersten Halswirbel nicht im medizinischen Sinne wörtlich zu nehmen.
    Es sei auch nicht verlangt, dass die Schiene im Querschnitt die nur beispielhaft in Figur 3 gezeigte Formgebung haben müsse.
    Weiter sei die Schiene der angegriffenen Ausführungsform 2 zwar in der Erstreckung entlang der Wirbelsäule im Auslieferungszustand flach, dies sei jedoch unschädlich, weil sie durch den vorgesehenen Gebrauch in eine geschwungene Form gebracht werde. Jedenfalls sei durch die Bereitstellung der angegriffenen Ausführungsform 2 das Klagepatent mittelbar verletzt.
  16. Das Klagepatent sei auch neu und erfinderisch.
  17. Die Klägerin beantragt,
    A. die Beklagte zu verurteilen,
    I. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlungen bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an den gesetzlichen Vertretern der Beklagten zu vollstrecken ist, zu unterlassen,
    1. Schienen für Bandagen, Mieder, Kleidungsstücke, Korsetts, Orthesen und dergleichen zur Behandlung der Osteoporose durch Stützung der Wirbelsäule, wobei sich die Schiene vom Steißbein bis zum ersten Halswirbel erstreckt, dadurch gekennzeichnet, dass die Schiene aus einem steifen Material besteht, dass die Schiene eine Aussparung für die Dornfortsätze der Wirbelsäule aufweist und neben diesen gemäß dem Körper eines Patienten modelliert ist, dass die Schiene im Bereich des Rumpfes einen vergrößerten Durchmesser ihres Querschnitts aufweist, und dass die Schiene wellenförmig dem Verlauf der Wirbelsäule angepasst ist,
    (Anspruch 1, EP 1 284 XXX B1)
    2. orthopädische Kleidungsstücke, insbesondere orthopädisch indizierte einteilige Unterwäsche insbesondere für Patienten mit Osteoporose-Beschwerden, wobei die einteilige Unterwäsche aus einem Baumwoll- oder Kunstfasermaterial besteht und verschiedene Stretchzonen aufweist, die im angelegten Zustand eine Spannung aufweisen, dadurch gekennzeichnet, dass das Kleidungsstück im Rückenbereich mit einer oben oder unten geöffneten länglichen Tasche, welche sich entlang der Wirbelsäule des Trägers des Kleidungsstückes erstreckt und mit einer eng, elastisch oder mit geringem Spiel in dieser gehaltenen, die Wirbelsäule abstützenden steifen Schiene zur Behandlung der Osteoporose durch Stützung der Wirbelsäule versehen ist, wobei sich die Schiene vom Steißbein bis zum ersten Halswirbel erstreckt, dadurch gekennzeichnet, dass die Schiene aus einem steifen Material besteht, dass die Schiene eine Aussparung für die Dornfortsätze der Wirbelsäule aufweist und neben diesen gemäß dem Körper eines Patienten modelliert ist, dass die Schiene im Bereich des Rumpfes einen vergrößerten Durchmesser ihres Querschnitts aufweist, und dass die Schiene wellenförmig dem Verlauf der Wirbelsäule angepasst ist,
    (Anspruch 2, EP 1 284 XXX B1)
    in der Bundesrepublik Deutschland herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen
    insbesondere wenn
    bei dem orthopädischen Kleidungsstück
    a) die Tasche mit der Schiene sich vom Steißbein bis zum ersten Halswirbel erstreckt,
    (Anspruch 3, EP 1 284 XXX B1), und/oder
    b) die Tasche durch einen Reißverschluss, Druckknöpfe, Knöpfe oder einen Klettverschluss verschließbar ist
    (Anspruch 4, EP 1284 XXX B1),
    und/oder
    c) drei Stretchzonen vorhanden sind, wobei die erste Stretchzone quer um den Bauch verläuft und die zweite und dritte Stretchzone jeweils von der Brust über die Schulter in den Rücken reicht
    (Anspruch 5, EP 1 284 XXX B1) , und/oder
    d) in der Form einteiliger Unterwäsche als sogenannter Body und mit Verschluss im Schrittbereich geschnitten ist
    (Anspruch 6, EP 1 284 XXX B1)
    und insbesondere wenn
    aa) der Verschluss bei dem orthopädischen Kleidungsstück vorne supra-symphyser angeordnet ist
    (Anspruch 7, EP 1284 XXX B1), und/oder
    bb) bei dem orthopädischen Kleidungsstück zusätzlich ein von dem vorderen Halsausschnitt abwärts gerichteter Knöpf-, Reiß-, Klett- und/oder Häkchen und Ösenverschluss vorhanden ist
    (Anspruch 8, EP 1 284 XXX B1),
    sowie hilfsweise (nur in Bezug auf das Produkt „B“):
    3. Schienen für Bandagen; Mieder, Kleidungsstücke, Korsetts, Orthesen und dergleichen zur Behandlung der Osteoporose durch Stützung der Wirbelsäule, wobei sich die Schiene vom Steißbein bis zum ersten Halswirbel erstreckt, dadurch gekennzeichnet, dass die Schiene aus einem steifen Material besteht, dass die Schiene eine Aussparung für die Dornfortsätze der Wirbelsäule aufweist und neben diesen gemäß dem Körper eines Patienten modelliert ist, dass die Schiene im Bereich des Rumpfes einen vergrößerten Durchmesser ihres Querschnitts aufweist, und dass die Schiene aus einem Material gebildet ist, das geeignet ist, derart verformt zu werden, dass die Schiene wellenförmig dem Verlauf der Wirbelsäule angepasst ist,
    Abnehmern im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland anzubieten und/ oder an solche zu liefern,
    ohne
    – im Falle des Anbietens im Angebot ausdrücklich und unübersehbar darauf hinzuweisen, dass die Schiene nicht ohne Zustimmung der Klägerin als Inhaberin des europäischen Patents EP 1 284 XXX B1 derart verformt werden darf, dass sie wellenförmig dem Verlauf der Wirbelsäule angepasst ist, und – im Falle der Lieferung den Abnehmern unter Auferlegung einer an den Patentinhaber zu zahlenden Vertragsstrafe von 10.000 € für jeden Fall der Zuwiderhandlung, mindestens jedoch 6000 € pro Stück, die schriftliche Verpflichtung aufzuerlegen, die Schiene nicht ohne Zustimmung des Patentinhabers derart zu verformen, dass sie wellenförmig dem Verlauf der Wirbelsäule angepasst ist;
    (Anspruch 1, EP 1 284 XXX B1, mittelbare Patentverletzung)
    II. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie (die Beklagte) die vorstehend zu Ziffer A. I. bezeichneten Handlungen seit dem 30. März 2005 begangen hat, und zwar unter Angabe
    1. der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
    2. der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
    3. der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden,
  18. wobei
    • zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, und
    • geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
    III. der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie (die Beklagte) die vorstehend zu Ziffer A. I. bezeichneten Handlungen seit dem 26. März 2003 begangen hat, und zwar unter Angabe:
    1. der Herstellungsmengen und -zeiten,
    2. der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer,
    3. der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,
    4. der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
    5. nur für den Zeitraum ab dem 30. April 2006 der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
    wobei der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;
    IV. die in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder in ihrem Eigentum befindlichen, vorstehend unter Ziffer A.I. bezeichneten Erzeugnisse zu vernichten oder an einen von der Klägerin zu benennenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf ihre Kosten (der Beklagten) herauszugeben, wobei sich dieser Antrag nicht auf den Hilfsantrag in Ziffer A.I.3. bezieht;
    V. die vorstehend in Ziffer A.I. bezeichneten Erzeugnisse gegenüber den gewerblichen Abnehmern unter Hinweis auf den gerichtlich (Urteil des . . . vom . . . „) festgestellten patentverletzenden Zustand der Sache und mit der verbindlichen Zusage zurückzurufen, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten sowie mit der Rückgabe verbundene Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen und die Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen, wobei sich dieser Antrag nicht auf den Hilfsantrag in Ziffer A.I.3. bezieht;
    VI. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin
    1. für die vorstehend zu Ziffer A.I. bezeichneten, in der Zeit vom 26. März 2003 bis zum 29. April 2005 begangenen Handlungen eine angemessene Entschädigung zu zahlen, und
    2. allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die vorstehend zu Ziffer A.I. bezeichneten, seit dem 30. April 2005 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
  19. Die Beklagte beantragt,
    I. die Klage abzuweisen;
    II. hilfsweise, das Verfahren gemäß § 148 ZPO bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die gegen den deutschen Teil des europäischen Patentes EP 1 284 XXX B1 erhobene Nichtigkeitsklage auszusetzen;
    III. notfalls der Beklagten zu gestatten, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung, die auch in Form einer Bankbürgschaft erbracht werden kann, ohne Rücksicht auf eine Sicherheitsleistung der Klägerin abzuwenden.
  20. Die Beklagte ist der Ansicht, die angegriffenen Ausführungsformen machten von der technischen Lehre des Klagepatents keinen Gebrauch.
  21. So erstreckten sich beide angegriffenen Ausführungsformen nicht vom Steißbein aus bis zum ersten Halswirbel, wie es das Klagepatent verlange.
    Der Begriff des Steißbeins sei dabei medizinisch zu verstehen und bezeichne den untersten Teil der auslaufenden Wirbelsäule. Der erste Halswirbel sei dabei ebenfalls gemäß dem medizinischen Sprachgebrauch als der Atlaswirbel zu verstehen, also – von oben betrachtet – der erste Wirbel der Wirbelsäule überhaupt.
    Weiter fehle es an einer durchgehenden Aussparung im Sinne einer Rinne. Im Bereich seitlich neben den Dornfortsätzen der Wirbelsäule seien die Schienen der Ausführungsformen auch nicht an den Körper des Patienten anmodelliert.
    Weiter wiesen beide angegriffenen Ausführungsformen keinen sich über den gesamten Rumpfbereich vergrößernden Querschnitt auf. Selbst wenn man als Referenz auf den mittleren Bereich abstelle, gebe es nur eine marginale Vergrößerung, aus der keine Verminderung des Drucks pro Auflagefläche resultiere.
    Die jeweiligen Schienen seien auch nicht im Querschnitt wellenförmig.
    Schließlich vermittle die angegriffene Ausführungsform 2 auch nicht den Eindruck eines normalen Kleidungsstückes und sei auch nicht eine einteilige Unterwäsche, sondern eine Orthese, bestehend aus einer Beckenbandage einem langen Reklinator und doppelt gekreuzten Zuggurten.
  22. Das Verfahren sei auszusetzen.
    Die Priorität sei unwirksam in Anspruch genommen. Denn die Gebrauchsmusterschrift DE 200 09 XXX.6 (vorgelegt als Anlage als D1 im Anlagenkonvolut B8, im Folgenden kurz: D1) offenbare zwei Erfindungen, einmal ein orthopädisches Kleidungsstück mit einer Schiene und einmal eine Schiene mit Bandagen.
    Die D1 zeige dabei schon keine Schiene aus einem steifen Material, sondern eine aus einem warmverformbaren, thermoplastischen Material. Das Klagepatent sei insoweit unzulässig erweitert. Zudem handele es sich um ein aliud, weil warmverformbar nicht auch steif bedeute. Anspruch 2 scheitere schon am Rückbezug auf Anspruch 1. Zudem würden unzulässig alle Merkmale der beiden Erfindungen der D1 kombiniert.
    Das Klagepatent verlange, dass die Schiene angepasst sei, die D1 sehe nur die Anpassbarkeit durch den Orthopäden vor.
  23. Da die Priorität nicht wirksam in Anspruch genommen sei, sei sie selbst neuheitsschädlicher Stand der Technik. Denn da die Lehre eines spezielleren Merkmals ein allgemeiner gefasstes vorwegnehme, werde durch die Offenbarung des thermoplastischen Materials auch das steife Material vorweggenommen.
  24. Weiter sei auch das Gebrauchsmuster DE 297 20 XXX U 1 (vorgelegt als Anlage D3 im Anlagenkonvolut B8, im Folgenden kurz: D3), die Druckschrift 27 51 XXX A 1 (im Folgenden kurz: D4) ein Auszug eines vorprioritär erschienenen Handbuchs der orthopädischen Technik (im Folgenden kurz: D5) sowie das österreichische Geschmacksmuster Nr. 805, Az. 1189/XXXX (im Folgenden kurz: D18) und die DE GM 79 29 XXX U1 (im Folgenden kurz: D19) neuheitsschädlich.
  25. Die Lehre des Klagepatents sei auch, ausgehend von der D3 im Zusammenhang mit einem Auszug aus dem Handbuch der Orthopädischen Technik von A. Schanz, 2. Auflage, 1923 (im Folgenden kurz: D5), der DE 1 20 XXX (im Folgenden kurz: D6), in der „C“ aus dem Dezember 1974 veröffentlichter Werbung (im Folgenden kurz: D7), dem Artikel „D“ vom E, veröffentlicht in der „C“ aus dem Dezember 1977 (im Folgenden kurz: D8), sowie einem Auszug aus dem Buch „F“ von George Chapchal und Detlev Waigand, 1971 (im Folgenden kurz: D9) oder US 4,230,XXX (im Folgenden kurz: D10), nahegelegt.
  26. Die Erfindung sei auch unzureichend offenbart. So ergebe sich nicht, ob das Merkmal, wonach die Schiene gemäß dem Körper des Patienten modelliert sei, generell zu verstehen sei oder als Anweisung an den Orthopädietechniker, dies im Einzelfall anzupassen. Weiter handele es sich dabei um einen unbestimmten Verfahrensparameter, bei dem auch unklar sei, wann er erreicht sei. Auch der sich vergrößernde Querschnitt sei unzureichend offenbart, denn es fehle ein Vergleichsmaß für die Vergrößerung.
  27. Entscheidungsgründe
  28. Die zulässige Klage ist teilweise begründet.
    Die Klägerin hat gegen die Beklagte im tenorierten Umfang Ansprüche auf Auskunft und Rechnungslegung, Vernichtung und Rückruf der Erzeugnisse sowie Schadensersatz dem Grunde nach aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ i.V.m. §§ 139 Abs. 1 und 2, 140a Abs. 1 und 3, 140b Abs. 1 PatG, §§ 242, 259 BGB sowie Entschädigung aus Art. 2 § 1 Abs. 1 InPatÜbkG. Herstellung, Angebot und Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform 1 stellen eine unmittelbare Verletzung von Anspruch 1 und 2 des Klagepatents dar. Durch Herstellung, Angebot und Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform 2 wird der Anspruch 1 des Klagepatents unmittelbar verletzt, nicht jedoch der Anspruch 2.
  29. I.
    Die Erfindung des Klagepatents betrifft nach Abs. [0001] (Zitate ohne Quellenangabe beziehen sich auf das Klagepatent) eine steife Schiene, welche sich speziell für Patienten mit Osteoporose-Beschwerden eignet. Nach Abs. [0002] sei der Einbruch eines Wirbelkörpers eine typische Spätkomplikation der Osteoporose. Die entstehende Deformierung des Wirbelkörpers führe zu Fehlstellungen der Zwischenwirbelgelenke, Fehlfunktionen der Sehnen, Bänder und Muskulatur. Dies wird zur Ursache für chronischen Schmerz, für Behinderungen im Alltag. Aufgabe einer Orthese sei es dabei nach Absatz [0003], die Wirbelsäule wieder aufzurichten, um den gequetschten Wirbelkörper, hierdurch die gezerrte und schmerzende Knochenhaut zu entlasten, die Zwischenwirbelgelenkfunktion zu verbessern und hierdurch dauernden Gelenkschaden zu verhindern. Dies verbessert die Behandlungsmöglichkeiten nach frischer Fraktur und bei chronischer Wirbelsäulendeformierung. Eine Aufrichtung erfolge durch Anmodellieren der gekrümmten Wirbelsäule an eine Orthese, die sich von hinten an den Rücken anlege. Sie vermöge hierdurch Schmerzauslösung zu verhindern und die Mobilisierung zu verbessern.
    Die herkömmlich im den Stand der Technik mit diesem Behandlungsziel eingesetzten Orthesen erstrebten dieses Ziel nach Absatz [0004] durch Einschnüren (elastische Bauchbinden) oder Druckauslösung auf Strukturen, die als Widerlager zur Aufrichtung genutzt würden. Dies enge die Patienten ein, behindere ihre Beweglichkeit in zum Teil unerträglichen Maße und führe dazu, dass diese Hilfsinstrumente nicht in wünschenswertem Umfang genutzt würden. Dies werde hierdurch in der Regel zum Hindernis für eine angemessene Nutzung eines an sich wünschenswerten therapeutischen Ansatzes.
    Dies werde durch bestimmte Modelle aus dem Stand der Technik verbessert, die aber wiederum eigene, spezifische Nachteile aufwiesen:
    So sei nach Absatz [0005] aus der DE-U-297 20 XXX eine Osteoporose-Minimalorthese bekannt, die einerseits vermöge, die Wirbelsäule wünschenswert aufzurichten, jedoch konstruktionsbedingt, ohne die Brust- und Bauchatmung zu behindern und ohne die Beweglichkeit im Schulter- und Armbereich einzuschränken. Dies habe die Akzeptanz dieser neuen Orthese durch den Patienten gesteigert und verbessere hierdurch deren Behandelbarkeit eindrucksvoll. Die Behandelbarkeit von Patienten mit Osteoporose und Wirbelkörpereinbrüchen werde optimiert. Als nachteilig empfunden werde aber nach Absatz [0006] – wie bei den meisten Arten der vorgenannten Hilfsinstrumente -, dass diese unter der Kleidung „auftragen“ und als solche sichtbar, bzw. wahrnehmbar seien.
    Bekannt sei nach Absatz [0007] weiter aus der EP-A-0 941 721 ein Geradehalter mit einer Osteoporose-Orthese, bei dem ein System von Bändern und Bandagen eine Haltefunktion erfüllen und auch zu einer Kräftigung der Muskulatur führen könne. Dieses Hilfsmittel sei zweiteilig und nicht als Kleidungsstück ausgeführt und stütze nicht speziell die Wirbelsäule. Bekannt seien auch Mieder oder Korsetts mit Stützstangen oder Gestellen (DE-U-89 04 XXX, DE-A-32 22 XXX, DE-A-32 32 XXX).
    Ausgehend von den Mängeln des Standes der Technik, liegt der Erfindung nach Absatz [0008] die Aufgabe (das technische Problem) zu Grunde, eine Schiene zur Stützung der Wirbelsäule und insbesondere ein orthopädisches Kleidungsstück zu schaffen, das die Optik als „normales“ Kleidungsstück weitgehend bewahrt, das jedoch sehr effektiv zur Behandlung der Osteoporose als Stütze für die Wirbelsäule wirkt.
    Zur Lösung dieses Problems schlägt das Klagepatent eine Schiene mit den Merkmalen des Anspruchs 1 und ein Kleidungsstück mit den Merkmalen des Anspruchs 2 vor, die nachstehend in gegliederter Form wiedergegeben sind. Dabei wurde hinsichtlich des Anspruchs 2 auf die Wiedergabe des optionalen Teils des Merkmals B mit dem Wortlaut „insbesondere orthopädisch indizierte einteilige Unterwäsche insbesondere für Patienten mit Osteoporose-Beschwerden“ verzichtet.
    Anspruch 1:
    A Schiene für Bandagen, Mieder, Kleidungsstücke, Korsetts, Orthesen und dergleichen zur Behandlung der Osteoporose durch Stützung der Wirbelsäule.
    A.1 Die Schiene erstreckt sich vom Steißbein bis zum ersten Halswirbel.
    A.2 Die Schiene besteht aus einem steifen Material.
    A.3 Die Schiene weist eine Aussparung für die Dornfortsätze der Wirbelsäule auf und ist neben diesen gemäß dem Körper eines Patienten modelliert.
    A.4 Die Schiene weist im Bereich des Rumpfes einen vergrößerten Durchmesser ihres Querschnitts auf.
    A.5 Die Schiene ist wellenförmig dem Verlauf der Wirbelsäule angepasst.
  30. Anspruch 2:
    B Orthopädisches Kleidungsstück.
    B.1 Das Kleidungsstück ist im Rückenbereich mit einer oben oder unten geöffneten länglichen Tasche versehen.
    B.2 Die Tasche erstreckt sich entlang der Wirbelsäule des Trägers des Kleidungsstücks.
    B.3 Die Tasche ist mit einer die Wirbelsäule abstützenden, steifen Schiene nach Anspruch 1 versehen.
    B.4 Die Schiene nach Anspruch 1 ist in der Tasche eng, elastisch oder mit geringem Spiel gehalten.
  31. II.
    1.
    Anspruch 1 hat eine Schiene zum Gegenstand, die nach der Zweckbestimmung in Merkmal A. dazu dient, in „Bandagen, Miedern, Kleidungsstücken, Korsetts, Orthesen und dergleichen zur Behandlung der Osteoporose durch Stützung der Wirbelsäule“ zum Einsatz zu kommen.
    Dies entspricht einer Zusammenfassung des Gegenstands der Erfindung wie in Absatz [0001], in dem es heißt, die Erfindung betreffe eine Schiene welche sich „speziell für Patienten mit Osteoporose-Beschwerden“ eigne. Dies wird in Absätzen [0002] und [0003] dahingehend präzisiert, als solche Schienen zur Stützung von Wirbelsäulen bei Einbrüchen von Wirbelkörpern dienen, wie sie typische Osteoporose-Spätfolgen seien. Dadurch sollen sie Schmerzen verhindern oder lindern und die Mobilisierung verbessern. Damit ist klargestellt, dass sich bereits die Schiene selbst in ihrer Beschaffenheit zur Behandlung der Beschwerde eignen muss. Die Aufzählung der Bandagen, Mieder, Kleidungsstücke, Korsetts und Orthesen „und dergleichen“ ist damit weder abschließend, noch beschränkend. Sie verweist vielmehr lediglich auf die technische Notwendigkeit, die Schiene am Körper des Patienten in geeigneter Weise zu befestigen, damit sie ihre stützende Wirkung erreichen kann.
    Dies zeigt auch Absatz [0009], der ausführt, dass eine dem Anspruch 1 entsprechende Schiene verschiedenartige orthopädische Kleidungsstücke ermögliche, wie sie auch in den abhängigen Ansprüchen definiert werden. Dabei kann es sich nach den abhängigen Ansprüchen und auch nach Absatz [0010] vorzugsweise um „orthopädische Kleidungsstücke, insbesondere orthopädisch indizierte, einteilige Unterwäsche“ handeln. Auf die Eignung für solche Kleidungsstücke im herkömmlichen Sinne, wie sie in Beschreibung und abhängigen Ansprüchen als bevorzugtes Ausführungsbeispiel benannt werden, ist Anspruch 1 seinem Wortlaut nach gerade nicht beschränkt: Er nennt nämlich auch Bandagen und Orthesen, bei denen es sich jedenfalls nicht um Kleidung im spezifischen Sinne handelt.
    Als Zweckangabe bringt dies zum Ausdruck, dass sich die Schiene hierzu (Behandlung von Osteoporose durch Stützung der Wirbelsäule) eignen muss, was wiederum eine geeignete Befestigung am Patienten voraussetzt, für die eine spezielle Art und Weise jedoch nicht vorgegeben ist. Zudem ist der Sachanspruch als solcher nicht auf eine dementsprechende Verwendung beschränkt (BGH GRUR 2018, 1128, 1129 – Gurtstraffer), solange er nur für eine solche Verwendung geeignet ist.

    a)
    Nach Merkmal A. 1 erstreckt sich diese Schiene vom Steißbein bis zum ersten Halswirbel.
    Die Anordnung, dass sich die Schiene „vom“ Steißbein „bis zum“ ersten Halswirbel erstreckt, setzt eine bestimmte räumlich körperliche Anordnung in Bezug auf die Länge voraus. Dies entspricht auch der bereits erörterten Zweckrichtung, die Wirbelsäule zu stützen. Genaueres zum Begriff der zu stützenden Wirbelsäule und der sich daraus ergebenden Länge der Schiene zeigt die Beschreibung: Das Klagepatent zeigt in Figur 1 ein Kleidungsstück in der besonders bevorzugten Ausgestaltung einer einstückigen Unterwäsche mit einer Tasche (2) zur Aufnahme der Schiene im Sinne des Anspruchs 1. Absatz [0020] stellt dabei auch ausdrücklich für die Figur 1 klar, dass diese Tasche der Aufnahme der sich merkmalsgemäß vom Steißbein zum ersten Halswirbel erstreckenden Schiene nach Anspruch 1 dient, welche in diese Tasche eingeführt wird und dann „die Wirbelsäule vom Steißbein bis zum ersten Halswirbel stützt“. Dabei ist die dargestellte Tasche (2) nach Absatz [0020] nur unten geöffnet und kann dort aber u.a. mittels eines Reisverschlusses geschlossen werden, wodurch klargestellt ist, dass die Tasche auch nicht dazu vorgesehen ist, dass die Schiene aus ihr herausragt.
    Durch dieses Ausführungsbeispiel wird deutlich, dass das Klagepatent nicht so verstanden werden kann, dass sich die Schiene im unteren Bereich bis hinein in den Bereich des medizinisch verstandenen Steißbeins erstrecken muss, und im oberen über den gesamten Halswirbelbereich bis zum obersten Atlaswirbel, also den Kopfbereich. Denn eine solche Auslegung führte dazu, dass das Ausführungsbeispiel für ein orthopädisches Kleidungsstück nach Figur 1 und 2 nicht mehr anspruchsgemäß wäre. Eine Auslegung aber, die zur Folge hätte, dass das einzige Ausführungsbeispiel eines Anspruchs (hier des Anspruchs 2) aus dem Anspruch herausfällt, kommt nur ausnahmsweise dann in Betracht, wenn andere Auslegungen zwingend ausscheiden oder es hinreichend deutliche Anhaltspunkte dafür gibt, dass tatsächlich etwas so weitreichend von der Beschreibung abweichendes beansprucht werden sollte (vgl. BGH GRUR 2015, 875, 876 – Rotorelemente; GRUR 2012, 159, 161 -Zugriffsrechte).
    Dies ist nicht der Fall, Anspruch und Beschreibung lassen sich vielmehr in der gebotenen Weise mit Rücksicht auf die Zwecksetzung der Erfindung widerspruchsfrei zueinander verstehen, nämlich so, dass mit dem „ersten Halswirbel“ in diesem Sinne der C7-Wirbel gemeint ist, also der von oben betrachtet und bei gängiger medizinischer Zählung von oben nach unten eigentlich letzte Halswirbel.
    Auch die Nennung des Steißbeins ist dann – wie die Tasche aus Figur 2 zeigt – nicht dahingehend zu verstehen, dass sich die Schiene bis zum oder gar um das Steißbein im medizinischen Sinne erstrecken muss, sondern es genügt eine Erstreckung bis zum Hüftbereich der Lendenwirbelsäule oberhalb des „Os sacrum“, wobei auf die vom Beklagten verwendete Zeichnung Bezug genommen werden kann:

  32. Diese Auslegung stützt im Übrigen auch die Figur 3, welche die Schiene schematisch in ihrer geschwungenen Form darstellt, die es in der dargestellten Weise und im Vergleich zur obigen Darstellung einer Wirbelsäule als praktisch ausgeschlossen erscheinen lässt, dass sich eine solche Schiene deutlich weiter nach unten oder oben erstreckt als vom C7 Wirbel bis in den Bereich der Lendenwirbel und zugleich – wie es im Merkmal A. 5 gefordert ist – dem Verlauf der Wirbelsäule angepasst ist. Dies entspricht auch der funktionsorientierten Auslegung des Klagepatents: Zwar ist es möglich, orthopädisch sinnvolle Schienen zu konstruieren, die beispielsweise auch den Kopf stützen. Darauf kommt es dem Klagepatent aber gerade nicht an, wie sich aus den bereits erörterten Zielsetzungen ergibt: Die beanspruchte Schiene soll die Wirbelsäule stützen, dass auch der Kopf gestützt werden soll, ist der Beschreibung nicht nur nicht zu entnehmen, sondern läuft der Aufgabe zuwider, eine Schiene bereitzustellen, die „nicht auftragen“ soll, also mit normaler Kleidung möglichst wenig zu sehen sein soll, vgl. Absätze [0006], [0008] und [0009]. Eine bis zum Atlaswirbel reichende Schiene müsste demgegenüber aus normaler Kleidung herausragen. Weiter würde eine sich bis zum oder über das Steißbein erstreckende Schiene das Sitzen des Patienten erschweren und auch dem Ziel einer möglichsten unauffälligen Schiene zuwider laufen.
    b)
    Nach Merkmal A. 2 besteht die Schiene aus einem steifen Material. Eine weitere Eingrenzung wird nicht vorgenommen, auch aus der Beschreibung ergibt sich nicht mehr, als dass das Material steif zu sein hat, um die Wirbelsäule stützen zu können. Bei funktionsorientierter Auslegung ergibt sich wiederum, dass das Material schlicht ausreichend steif sein muss, um die nach Merkmal A vorausgesetzte Eignung zur Stützung der Wirbelsäule eines Osteoporose-Patienten aufzuweisen.
    c)
    Merkmal A. 3 bestimmt, dass die Schiene eine Aussparung für die Dornfortsätze der Wirbelsäule aufweist und neben diesen gemäß dem Körper eines Patienten modelliert sei.
    Die „Aussparung“ folgt funktional aus der Formgebung der Wirbel selbst, was einerseits ebenfalls dem Zweck dient, dass die Schiene insgesamt nicht aufträgt indem sie sich an die Konturen des Körpers anschmiegt. Diese Funktion der Anmodellierung an den Körper lässt sich der Beschreibung in Absätzen [0006] und [0008] entnehmen, wonach die gesamte Schiene allgemein so gestaltet sein soll, dass sie möglichst nicht aufträgt. Dem dient das Anschmiegen an die Konturen des Körpers.
    Vor allem aber dient diese Formgebung nach Absatz [0009] dazu, die druckempfindlichen Dornfortsätze zu entlasten, die hervorstehen und somit bei einer flachen Schiene gegenüber den zurückspringenden Teilen der Anlagefläche besonders belastet würden. Bestimmte, funktional bedingte Mindestanforderungen an die Formgebung der Tiefe oder Breite der Aussparung sind wiederum nicht gezeigt und ergeben sich damit bei funktionsorientierter Auslegung aus der Gestalt der Wirbelsäule in Verbindung mit dem Zweck, die Dornfortsätze auszusparen. Da in Absatz [0009] nur von „Entlasten“ die Rede ist und nicht wie in Absatz [0021] hinsichtlich der besonders bevorzugten Ausführung von „Überbrücken“ des Teils mit den Dornfortsätzen zwischen den „Anlageflächen“ kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Dornfortsätze dabei gänzlich berührungs- oder doch zumindest belastungsfrei bleiben müssen.
    Dabei zeigt die Figur 3, dass es sich bei einer solchen Aussparung jedenfalls um ein Zurückweichen des Materials gegenüber der sonstigen Anlagefläche am Rücken handeln kann. Das Ausführungsbeispiel beschränkt den Anspruch aber auch insoweit nicht, wie die Beklagte meint, auf eine durchgehende Rinne. Schon die Wortwahl „Aussparung“ lässt auch eine oder mehrere Lücken in der Schiene zu. Gefordert ist lediglich eine für den Zweck geeignete Formgebung, die durch ihre im Einzelnen ins Belieben des Fachmanns gestellte Ausgestaltung die Dornfortsätze schont und insoweit ein Anschmiegen der Schiene an die Konturen des Körpers fördert.
    Die Figur 3 zeigt dabei eine im Querschnitt geschwungene Formgebung, die nach Absatz [0021] durch die nach außen wiederum aufgeschwungenen Enden den besonderen Vorteil einer großen Stabilität aufweise. Dabei handelt es sich indes lediglich um ein nicht beschränkendes Ausführungsbeispiel, aus dem, anders als die Beklagte meint, nicht die Forderung nach einer dementsprechenden zwingenden Ausgestaltung mit den aufgeschwungenen Enden hergeleitet werden kann.
    Das Klagepatent macht keine dezidierten Vorgaben für die räumlich-körperliche Ausgestaltung des Querschnitts, sondern verlangt lediglich, dass die Schiene insgesamt in Längsrichtung dem Verlauf der Wirbelsäule folgt und dabei auch im Querschnitt den Konturen der Wirbel so weit folgt, als die Aussparung für die Dornfortsätze vorzusehen ist und sie daneben am Rücken anliegt. Dass hierzu eine bestimmte Formgebung des Querschnitts rechts und links der Aussparung erforderlich ist, verlangt der Klagepatentanspruch 1 nicht. Genügend ist demnach auch eine Schiene, die im vorbeschriebenen Sinne anmodelliert ist, ohne dass sie zugleich den besonderen, zusätzlichen Stabilitätsvorteil der beschriebenen Ausführung durch die aufgeschwungenen Enden beinhaltet.
  33. d)
    Soweit Merkmal A..4 anordnet, dass die Schiene im Bereich des Rumpfes einen vergrößerten Durchmesser ihres Querschnitts aufweist, dient dies nach Absatz [0009] dazu, die Auflagefläche zu vergrößern und dadurch den Auflagedruck zu vermindern. Der Anspruch schreibt diese Wirkung allerdings nicht vor, das Vorhandensein der Verbreiterung genügt.
    „Im Bereich des Rumpfes“ ist dabei so zu verstehen, dass damit schlicht der untere Bereich der in Figur 3 beispielhaft gezeigten Schiene gemeint ist. Dies zeigt auch die Beschreibung der Figuren in Absatz [0021], wo es heißt die Schiene „ist am unteren Ende 4‘ verbeitert ausgeführt“. Das Bezugszeichen 4‘ verweist somit in der Figur 3 auf den angesprochenen, unteren Bereich.
    Soweit die Beklagte meint, dass sich aus den wenige Zeilen vorher angesprochenen „Verbreiterungen 4‘‘“ und der Figur 3 ergebe, dass eine Vergrößerung des Querschnitts über den gesamten Rumpf, also praktisch die gesamte Erstreckung der Schiene zu erfolgen habe, kann dem nicht gefolgt werden. Zwar kann die Verwendung des Begriffs „Verbeiterungen“ für die mit 4‘‘ bezeichneten Bereiche neben der Verwendung von „verbreitert ausgeführt“ für den mit 4‘ gekennzeichneten Bereich der Schiene missverständlich wirken. Absatz [0021] zeigt jedoch, in Gänze gelesen, eine klare Differenzierung, die auch aus der Figur 3 hervorgeht:
    „Die in Figur 3 gezeigte Schiene 4, die in die Einstecktasche auf dem Rückenteil des orthopädischen Kleidungsstücks einzuführen ist, weist eine dem Verlauf der Wirbelsäule folgende, leicht gekrümmte Kontur auf und ist am unteren Ende 4′ verbreitert ausgeführt. An den Seiten ist sie mit Verbreiterungen 4″ versehen, die, wie aus dem rechts dargestellten Querschnitt versehen ist, zum Anliegen an den Körper des Patienten kommen, wobei zwischen Ihnen eine Aussparung 4″‚ vorhanden ist, die die Dornfortsätze der Wirbelsäule überbrückt.“
    Dies zeigt, dass mit Verbreiterungen 4‘‘ die am Rücken anliegenden Seitenteile links und rechts neben der Aussparung gemeint sind, während sich der verbreitert ausgeführte Bereich 4‘ auf die Gesamtschiene bezieht und an deren unteren Ende vorliegen muss, wie es sich auch in der Figur 3 darstellt.
    Damit ist nicht ausgeschlossen, dass die Schiene ggf. noch weitere Verbreiterungen, beispielsweise im oberen Bereich, aufweist. Dies lässt der Anspruch offen.
    Dass die Schiene wellenförmig dem Verlauf der Wirbelsäule angepasst ist, hat ebenfalls zum Ziel, eine Schiene bereitzustellen, die so vorgeformt ist, dass sie wenig aufträgt und an der Wirbelsäule anliegt und diese so stützt und den Patienten mobilisiert. Dies bedingt, dass die Schiene in ihrer Erstreckung entlang der Wirbelsäule als solcher wellenförmig deren wellenförmigen Verlauf zu folgen hat, und es hier nicht auf den Querschnitt der Schiene mit der Aussparung ankommt, der dem Profil eines Wirbels folgt.
    Dem kann die Beklagte nicht mit Erfolg ihr Verständnis von Absatz [0021] entgegenhalten, demzufolge sich angesichts der Verwendung des Begriffs Wellenform die Form des Querschnitts angesprochen sei. Denn bloß aus der Verwendung des Begriffs „wellenförmig“ auch in diesem Merkmal ergibt sich nicht, dass damit der Querschnitt gemeint sein muss. Die Schiene gemäß Figur 3 kann durchaus in Längs- und in Querrichtung zutreffend mit wellenförmig beschrieben werden. Zudem zeigen Funktion und Wortlaut, der vom „Verlauf der Wirbelsäule“, spricht und nicht z.B. von der „Kontur der Wirbel“, dass die Längsrichtung, nicht der Querschnitt gemeint ist.
  34. 2.
    Hinsichtlich des Anspruchs 2 gibt der Streit der Parteien Anlass zur Auslegung des Begriffs des „orthopädischen Kleidungsstücks“ im Merkmal B.
    Dabei macht das Klagepatent in der Beschreibung in Absatz [0008] Angaben zu diesem Begriff dahingehend, dass das beanspruchte, orthopädische Kleidungsstück die Optik „als normales Kleidungsstück“ weitgehend bewahren soll. Hierdurch ist klargestellt, dass mit Anspruch 2 nicht (auch) eine Orthese oder Bandage beansprucht ist, für die sich die Schiene nach Anspruch 1 auch eignet, und auch nicht gemeint ist, dass das orthopädische Kleidungsstück nur den Eindruck der normalen Kleidung des Patienten nicht stören soll. Es soll vielmehr selbst „als Kleidungsstück“ wirken. Diese Verwendung entspricht im Ergebnis der allgemeinen Bedeutung des Begriffs „Kleidungsstück“, das als Teil der Bekleidung verstanden wird. Auch der Verweis in Absatz [0009] am Ende, wonach die Schiene solche orthopädischen Kleidungsstücke ermögliche, wie sie in den Unteransprüchen definiert sind, bestätigt dies. Denn sämtliche Unteransprüche betreffen „Bekleidungsstücke“ im Sinne des allgemeinen Sprachgebrauchs, nicht aber Bandagen oder Orthesen. Dies entspricht auch den Ausführungsbeispielen, die es als besonders günstig ansehen, bodyartige Unterwäschestücke vorzusehen.
    Die Verwendbarkeit der Schiene nach Anspruch 1, die sich auch für Orthesen und Bandagen eignen soll, geht damit über den des Anspruchs 2 deutlich hinaus, der sich auf Bekleidungsstücke konzentriert, die auch (aber nicht nur) durch solche Schienen ermöglicht werden.
  35. Soweit die Beklagte davon ausgeht, dass es sich auch bei dem Merkmal „insbesondere orthopädisch indizierte einteilige Unterwäsche insbesondere für Patienten mit Osteoporose-Beschwerden, wobei die einteilige Unterwäsche aus einem Baumwoll- oder Kunstfasermaterial besteht und verschiedene Stretchzonen aufweist, die im angelegten Zustand eine Spannung aufweisen“ um eine zwingende, räumlich-körperliche Vorgabe handelt, kann dem nicht gefolgt werden. Es handelt sich ausweislich des Wortlauts, der mit „insbesondere“ einleitet, um eine bevorzugte Ausführungsform. Da eindeutig die einteilige Unterwäsche als solche lediglich „insbesondere“ beansprucht wird, sind auch ihrer weiter definierten Eigenschaften wie die Stretchzonen lediglich die einer bevorzugten Ausführungsform.
  36. III.
    Die angegriffene Ausführungsform 1 macht von der technischen Lehre des Klagepatentanspruchs 1 (dazu 1. a)) und des Klagepatentanspruchs 2 (dazu 1. b)) wortsinngemäß Gebrach.
    Die angegriffene Ausführungsform 2 macht von der technischen Lehre des Klagepatents unmittelbar Gebrauch (dazu 2. a)). Von der Lehre des Anspruchs 2 macht sie hingegen keine Gebrauch (dazu 2. b)).
  37. 1.
    a)
    Die angegriffenen Ausführungsform 1 weist eine Schiene auf, die der Stützung der Wirbelsäule dient.
  38. Die Schiene erstreckt sich im Sinne von Merkmal A.1 vom Steißbein bis zum ersten Halswirbel, verstanden jeweils im Sinne des Klagepatents.
    Die Beklagte kann hiergegen nicht mit Erfolg ein medizinisches-technisches Verständnis der Begriffe „erster Halswirbel“ und „Steißbein“ einwenden. Im Ergebnis ist es ausreichend, wenn die Schiene wie in Figur 1 gezeigt, an ihrem unteren Ende im Bereich der Lendenwirbel ansetzt und sich in den Bereich des C7-Halswirbels erstreckt. Dies tut die angegriffene Ausführungsform ausweislich der von der Beklagten vorgelegten Bilder.
    Sie entspricht dabei zudem hinsichtlich ihrer Erstreckung entlang der Wirbelsäule schon augenscheinlich dem, was die Figur 1 des Klagepatents als Ausführungsbeispiel zeigt.
    Die angegriffene Ausführungsform 1 weist auch eine Aussparung für die Dornfortsätze der Wirbelsäule auf. Dabei kommt es nicht darauf an, ob es sich um Löcher handelt, oder Auswölbungen oder Kombinationen von beidem, wie es bei den Ausführungsformen der Fall ist. Das Klagepatent verlangt lediglich eine Entlastung der Dornfortsätze durch die entsprechende Formgebung. Dass eine solche durch die Formgebung der angegriffenen Ausführungsform nicht erreicht wird, behauptet auch die Beklagte nicht. Auf eine etwaige Schlechtausführung kommt es nicht an.
    Die Schiene ist auch jeweils links und rechts neben diesem Aussparungs-Bereich gemäß dem Körper eines Patienten modelliert. Es kommt dem Klagepatent allein darauf an, dass die Schiene in diesen Bereichen am Körper des Patienten anliegt, was bei der angegriffenen Ausführungsform 1 unstreitig der Fall ist. Eine bestimmte Gestaltung des Querschnitts der Seitenteile ist dabei nicht gefordert.
    Die angegriffenen Ausführungsform 1 weist auch unstreitig einen im Bereich des Rumpfes und damit im unteren Bereich vergrößerten Durchmesser ihres Querschnitts auf. Dem kann nicht mit Erfolg entgegenhalten werden, dass der Unterschied der Breite praktisch minimal ist, und sich kaum oder gar nicht auf die Druckverhältnisse auswirken könne, da eine Schlechtausführung nicht aus dem Anspruch herausführt.
    Die Schiene ist auch wellenförmig dem Verlauf der Wirbelsäule angepasst.
  39. b)
    Die angegriffene Ausführungsform 1 macht auch von den Merkmalen des Klagepatentanspruchs 2 Gebrauch.
    Das Bekleidungsteil zur Aufnahme der Schiene der angegriffenen Ausführungsform 1 weist bereits augenscheinlich eine mit den Figuren 1 und 2 im Wesentlichen identische Formgebung auf.
    Streitig ist zwischen den Parteien insoweit alleine, ob das Bekleidungsstück der angegriffenen Ausführungsform 1 verschiedene Stretchzonen aufweist. Dabei verkennt die Beklagte jedoch, dass es sich bei dieser Vorgabe lediglich um eine bevorzugte Ausführungsform handelt.
  40. 2.
    a)
    Die angegriffene Ausführungsform 2 („B“) verwirklicht die Merkmale A bis A.4, wobei auf obige Ausführungen verwiesen werden kann, die hier entsprechend gelten.
    Zwar wird die Schiene zunächst in gerader, nicht dem Rücken des Patienten angepasster Form bereitgestellt. Die individuelle Anpassung an den Rücken des Patienten durch einen Orthopädietechniker ist dabei ausweislich der Gebrauchsanleitung der angegriffenen Ausführungsform indes nicht nur möglich, sondern zwingend vorgesehen. Damit kann auch die angegriffene Ausführungsform 2 nach den verbindlichen Herstellervorgaben ausschließlich in einer dem Merkmal A.5 entsprechenden Form zum Einsatz kommen. Darauf, dass ein letzter, aber verbindlich festgelegter Schritt dabei von Dritter Seite ausgeführt wird, kommt es nicht an.
    Denn die Lieferung eines Teils einer Gesamtvorrichtung ist dann eine unmittelbare und nicht bloß mittelbare Schutzrechtsverletzung, wenn die Herstellung der patentverletzenden Ausführung mit all ihren Merkmalen dem zwingend nachfolgt und dem Teilhersteller zugerechnet werden kann (vgl. Scharen in: Benkard PatG, 11. Aufl. 2015, PatG § 9 Rn. 34). So liegt der Fall hier. Die Anpassung der Schiene ist zwingend vorgesehen, so dass das Produkt der Beklagten letztlich alle patentwesentlichen Eigenschaften bereits in sich trägt und auch nicht außerhalb der geschützten Gesamtvorrichtung verwendbar ist. Der Handelnde macht sich bei einer solchen Sachlage mit seiner Lieferung die Nacharbeit seines Abnehmers bewusst zu Eigen, was es rechtfertigt, ihm diese Vor- oder Nacharbeit so zuzurechnen, als hätte er die Zutat selbst mitgeliefert. Das gilt erst Recht, wenn ein letzter Herstellungsakt zwar vom Abnehmer vollzogen, er dabei aber als Werkzeug von dem Liefernden gesteuert wird, indem er ihm z. B. entsprechende Anweisungen und Hilfsmittel an die Hand gibt. (vgl. OLG Düsseldorf, InstGE 78, 13 – Lungenfunktionsmessgerät, juris Rz. 141).
    b)
    Die angegriffene Ausführungsform macht indes keinen Gebrauch von Anspruch 2 des Klagepatents.
    Denn Anspruch 2 beansprucht ein orthopädisches Kleidungsstück, das von Orthesen und Bandagen zu unterscheiden ist und grundsätzlich die Gestalt eines Bekleidungsstückes aufweisen muss, in das die Schiene eingebracht wird. Dies ist bei der angegriffenen Ausführungsform, die ein bloßes Gurtzeug ohne eine Bekleidungsähnlichkeit aufweist, nicht der Fall.
  41. IV.
    Soweit die Beklagte durch das Herstellen, Anbieten und In-Verkehr-Bringen der angegriffenen Ausführungsformen von der technischen Lehre des Klagepatent unmittelbar nach § 9 S. 1 Nr. 1 PatG Gebrauch macht, ohne dazu berechtigt zu sein, ergeben sich die nachstehenden Rechtsfolgen.
  42. 1.
    Die Beklagte ist der Klägerin zur Unterlassung verpflichtet, Art. 64 EPÜ i.V.m. § 139 Abs. 1 PatG.
  43. Die Wiederholungsgefahr wird dabei aufgrund der bereits begangenen Verletzung vermutet (vgl. BGH GRUR 2003, 1031 (1033) – Kupplung für optische Geräte).
  44. 2.
    Weiterhin hat die Klägerin gegen die Beklagte dem Grunde nach einen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz aus Art. 64 EPÜ i.V.m. § 139 Abs. 1 und 2 PatG.
    Das für die Zulässigkeit des Feststellungsantrags gemäß § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse ergibt sich daraus, dass die Klägerin derzeit nicht in der Lage ist, den konkreten Schaden zu beziffern und ohne eine rechtskräftige Feststellung der Schadensersatzpflicht die Verjährung von Schadensersatzansprüchen droht.
  45. Die Beklagte ist zum Schadensersatz verpflichtet, weil sie die Patentverletzung schuldhaft beging. Als Fachunternehmen hätte sie die Patentverletzung bei Anwendung der im Geschäftsverkehr erforderlichen Sorgfalt zumindest erkennen können, § 276 BGB. Es ist auch nicht unwahrscheinlich, dass der Klägerin durch die Schutzrechtsverletzung ein Schaden entstanden ist.
  46. 3.
    Der Anspruch der Klägerin auf Entschädigung gegen die Beklagte ab einem Monat nach der Veröffentlichung der Anmeldung ergibt sich aus Art. II § 1 Abs. 1 IntPatÜbkG.
  47. 4.
    Der Klägerin steht gegen die Beklagte auch ein Anspruch auf Rechnungslegung und Auskunft aus Art. 64 EPÜ i.V.m. § 140b Abs. 1 PatG zu. Der Anspruch auf Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg der angegriffenen Ausführungsform ergibt sich aufgrund der unberechtigten Benutzung des Erfindungsgegenstands unmittelbar aus § 140b Abs. 1 PatG, der Umfang der Auskunftspflicht aus § 140b Abs. 3 PatG. Die weitergehende Auskunftspflicht und die Verpflichtung zur Rechnungslegung folgen aus §§ 242, 259 BGB, damit die Klägerin in die Lage versetzt wird, den ihr zustehenden Schadensersatzanspruch zu beziffern. Die Klägerin ist auf die tenorierten Angaben angewiesen, über die sie ohne eigenes Verschulden nicht verfügt, und die Beklagte wird durch die von ihr verlangten Auskünfte nicht unzumutbar belastet.
  48. 5.
    Die Klägerin hat schließlich gegen die Beklagte im tenorierten Umfang einen Anspruch auf Rückruf der unmittelbar patentverletzenden Erzeugnisse aus den Vertriebswegen und deren Vernichtung gemäß Art. 64 EPÜ i.V.m. § 140a Abs. 1 und 3 PatG.
  49. V.
    Für eine Aussetzung der Verhandlung besteht keine Veranlassung.
    Es ist nicht überwiegend wahrscheinlich, dass das Klagepatent gemäß Art. 138 Abs. 1 lit. a) EPÜ, Art. II § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 IntPatÜbkG vernichtet wird, weil die Lehre des Klagepatents neuheitsschädlich vorweggenommen ist (dazu 1.) oder als nicht erfinderisch angesehen werden wird (2.).
  50. 1.
    Es bestehen keine Zweifel an der Neuheit von solchem Gewicht, dass sie die Aussetzung rechtfertigen könnten.
    a)
    Die Inanspruchnahme der Priorität der D1 ist nicht unwirksam und die D1 nicht neuheitsschädlich.
    Die Frist für eine wirksame Inanspruchnahme der Priorität aus dem deutschen Gebrauchsmuster D1 gem. Art. 87 Abs. 1 EPÜ ist gewahrt. Die D1 wurde am 30. Mai 2000 angemeldet, das Klagepatent am 30. Mai 2001.
    Die Offenbarung der D1 ist mit dem Klagepatent auch identisch.
    Für die Beurteilung der identischen Offenbarung gelten die Prinzipien der Neuheitsprüfung (sog. „novelty test“: GrBK 31.5.2001 – G 2/98, GRUR Int. 2002, 80, 86; ebenso die Rspr. des BGH, vgl. BGH GRUR 2004, 133 (135) – Elektronische Funktionseinheit), maßgeblich ist daher der Gesamtoffenbarungsgehalt der D1 (vgl. BGH GRUR 2009, 382, 384 – Olanzapin).
    Danach ist es unschädlich, dass Anspruch 1 in seinem Wortlaut des Merkmals A.2 über den Anspruch 17 der D1 hinausgeht. Anspruch 17 der D1 forderte noch eine „warmverformbare thermoplastische“ Schiene, Anspruch 1 nunmehr nur eine „steife“ Schiene, die zwar warmverformbar sein kann, aber nicht muss. Dies jedoch deckt sich mit dem Gesamtoffenbarungsgehalt der D1 in Gestalt der Beschreibung in Zeile 20 der Seite 4, wo es ausdrücklich heißt, dass die Schiene nur „vorzugsweise“ warmverformbar sein soll. Der insoweit maßgebliche Gesamtoffenbarungsgehalt reicht damit weiter, als der Anspruch 17 der D1.
    Soweit die Beklagte meint, dass die D1 zwei verschiedene Schienen oder zwei Erfindungen offenbare, kann dem nicht gefolgt werden.
  51. Dem kann die Beklagte nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass die D1 nicht offenbare, dass die Schiene jedenfalls steif sein müsse, weil dies aus der Warmverformbarkeit nicht folge. Dass nicht jedes warmverformbare Material (in kaltem Zustand) steif ist, mag dabei richtig sein. In der Gesamtoffenbarung der D1 kommt unzweideutig zum Ausdruck, dass die Schiene die (vom Klagepatent unverändert übernommene) Funktion hat, die Wirbelsäule zu stützen, woraus sich zwangsläufig ergibt, dass sie die jedenfalls die dazu erforderliche Steifigkeit aufweisen muss, wie sie auch das Klagepatent beansprucht.
    Auch, dass sich die Tasche der orthopädischen Kleidung nach Anspruch 2 entlang der Wirbelsäule erstrecken kann, ist der Gesamtoffenbarung der D1 ohne weiteres zu entnehmen. Dies ergibt sich aus der von der Beklagten zitierten Wendung, wonach sich in „einer bevorzugten Ausführung der Erfindung […] die Tasche mit der Schiene sich vom Steißbein bis zum ersten Halswirbel [erstreckt]“.
  52. Da die Klagepatentanmeldung der D1 entspricht, kommt auch eine unzulässige Erweiterung gegenüber der Anmeldung nach dem Vorstehenden nicht in Betracht. Denn da sich Offenbarungsgehalt von Klagepatent und D1 entsprechen, kann für eine mit der D1 identische Anmeldung nichts anderes gelten.
  53. b)
    Die D3 zeigt nicht Merkmal A.3, wonach Aussparungen für die Dornfortsätze der Wirbel vorzusehen sind. Die in der D3 vorhandenen Durchbrüche der ansonsten um Querschnitt flachen Schiene sind zur Gewichtsreduktion und Stabilisierung vorgesehen (S. 8 Z. 20). Auch, dass die Schiene einen veränderlichen Durchmesser hat, ist nicht gezeigt, so dass auch Merkmal A.4 nicht gezeigt ist.
  54. c)
    Die D4 zeigt keine entlang der Wirbelsäule laufende steife Schiene. Die verschieden ausgeformten Rückenteile werden durchweg als elastisch beschrieben, das Material des Anspruchs 1 kann aus Stoff bestehen, das des Anspruchs 2 ist ein Gurt, das des Anspruchs 3 besteht ebenfalls aus elastischen Bandplatten. Somit zeigt die D4 weder das Merkmal A.3, noch die Merkmale A.4 noch A.5.
  55. d)
    Die D5 zeigt nicht eine sich über den Rückenbereich erstreckende Schiene nach Merkmal A.2 und auch nicht Merkmal A.5.
  56. e)
    Dies gilt auch für die D18 und die D19, die weder eine Schiene zeigen, noch eine solche Schiene, die sich entlang der Wirbelsäule gemäß den Vorgaben des Klagepatents erstreckt.
  57. 2.
    Es ist auch davon auszugehen, dass die Lehre des Klagepatents auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
    Ein erfinderischer Schritt fehlt, wenn der Stand der Technik die zu prüfende, erfindungsgemäße Lösung nahegelegt hat, was eine Rechtsfrage darstellt. Dies erfordert zum einen, dass der Fachmann mit seinen durch seine Ausbildung und berufliche Erfahrung erworbenen Kenntnissen und Fähigkeiten in der Lage gewesen ist, die erfindungsgemäße Lösung des technischen Problems aus dem Vorhandenen zu entwickeln (vgl. BGH GRUR 2012, 378, 379 – Installiereinrichtung II).
    Es bedarf weiter aber auch einer sich aus dem Stand der Technik ergebenden Anregung, zu erfindungsgemäßen Lösung zu gelangen, um diese als naheliegend im vorgenannten Sinne anzusehen, wobei es eine Frage des Einzelfalles ist, in welchem Maße der Fachmann derartige Anregungen im Stand der Technik benötigt (vgl. BGH GRUR 2012, 378, 379 – Installiereinrichtung II).
    Die entsprechende Darlegungslast obliegt dabei der Beklagten.
    Es ist nicht ersichtlich, welchen besonderen Anlass ein Fachmann, ausgehend von der D3 gehabt hätte, die ein völlig anderes Prinzip (das eines Geradehalters, der vor allem „die schlaffe Haltung und Engbrüstigkeit der Jugend“ bekämpfen soll aber auch bei gewissen Graden von Skoliose und Kyphose Verwendung finden könne und im Grunde nur an den Schultern ansetzt) verfolgende D6 aus dem Jahr 1900 überhaupt zu Rate zu ziehen.
    Die D10 zeigt eine Bettunterlage, so dass ebenfalls nicht ersichtlich ist, warum der Fachmann sich ihr zuwenden sollte.
    Dass die D7 oder D8 einheitliche Schienen mit Aussparungen für die Dornfortsätze der Wirbel vorsehen oder einen veränderlichen Durchmesser, ist nicht ersichtlich.
    Auch ein in der D9 gezeigtes Milwaukee-Korsett zeigt die der D3 fehlenden Merkmale nicht.
  58. Da der Anspruch 1 neu und erfinderisch ist, ist auch der Anspruch 2 neu, der eine Schiene im Sinne des Anspruchs 1 voraussetzt.
    Auf eine Auseinandersetzung mit der D11 und D12, die nur Taschen für Schienen in diversen Dingen zeigen, kommt es daher nicht an.
  59. 3.
    Das Klagepatent ist auch nicht unzureichend offenbart. Der Sachanspruch 1 des Klagepatents verlangt eine Schiene, die dem Rücken des Patienten neben den Aussparungen für die Dornfortsätze anmodelliert ist, also an diesem anliegt. Wieso die Herstellbarkeit einer solchermaßen geformten Schiene Bedenken begegnen sollte, ist dem Vortrag der Beklagten letztlich nicht zu entnehmen. Es bleibt auch angesichts des Wortlauts keineswegs offen, ob eine vorgeformte Schiene verlangt ist, oder eine bereits an den Körper eines bestimmten Patienten anmodellierte, wobei auf obige Ausführungen verwiesen werden kann. Letztlich beruft sich der Beklagte damit lediglich auf fehlende Klarheit, was zur Begründung des Einwands fehlender Offenbarung unzureichend ist.
  60. VI.
    Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 709 S. 1 und S. 2 ZPO.
  61. Streitwert: 500.000 EUR

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