I – 2 U 28/19 – Glatirameracetat-Produkt

Düsseldorfer Entscheidungsnummer: 2965

Oberlandesgericht Düsseldorf

Urteil vom 26. September 2019, Az. I – 2 U 28/19

Vorinstanz: 4c O 22/19

  1. I. Die Berufung gegen das am 14. Juni 2019 verkündete Urteil der 4c Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf wird zurückgewiesen.
  2. II. Die Verfügungsbeklagte hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
  3. III. Die Vollziehung der einstweiligen Verfügung ist davon abhängig, dass die Verfügungsklägerin zuvor eine Sicherheit in Höhe von 5.000.000,- € leistet.
  4. IV. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.000.000,- € festgesetzt.
  5.  Gründe:
  6. I.
  7. Von einer Darstellung des Sachverhaltes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1, 542 Abs. 2 S. 1 ZPO abgesehen.
  8. II.
  9. Die Berufung der Verfügungsbeklagten ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg. Nachdem die Verfügungsklägerin sowohl das Vorliegen eines Verfügungsanspruchs als auch eines Verfügungsgrundes glaubhaft gemacht hat, begegnet der Erlass der Unterlassungsverfügung durch das Landgericht keinen Bedenken.
  10. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Landgericht im Angebot und Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform, dem Glatirameracetat-Produkt „CLIFT 40 mg/ml Injektionslösung in einer Fertigspritze“ (nachfolgend: angegriffene Ausführungsform), in der Bundesrepublik Deutschland eine wortsinngemäße Benutzung der Patentansprüche 1 und 2 des deutschen Teils des EP 2 949 XXX XX (nachfolgend: Verfügungspatent) gesehen und gegenüber der Verfügungsbeklagten davon ausgehend wegen unmittelbarer Patentverletzung im Wege der einstweiligen Verfügung ein Unterlassungsgebot ausgesprochen. Der Verfügungsklägerin steht ein entsprechender Unterlassungsanspruch aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ i.V.m. § 139 Abs. 1 PatG zu.
  11. Des Weiteren ist der Rechtsbestand vor dem Hintergrund der erstinstanzlichen Aufrechterhaltung des Verfügungspatents im Einspruchsverfahren auch unter Berücksichtigung des ergänzenden Vorbringens der Verfügungsbeklagten in dem für den Erlass der begehrten Unterlassungsverfügung erforderlichen Umfang gesichert. Da auch eine Abwägung der Interessen der Parteien zu Gunsten der Patentinhaberin ausfällt, besteht für eine Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung durch den Senat kein Anlass.
  12. Im Einzelnen:
  13. 1.
    Das am 19. August 2010 angemeldete Verfügungspatent, dessen Erteilung am 4. Januar 2017 veröffentlicht wurde, betrifft eine „niedrigfrequente Glatiramerazetattherapie“.
  14. Wie der Fachmann den einleitenden Bemerkungen der Verfügungspatentbeschreibung entnimmt, handelt es sich bei Multiple Sklerose (MS) um eine chronische, lähmende Erkrankung des zentralen Nervensystems, wobei MS auch als Autoimmunerkrankung klassifiziert worden ist. Die Aktivität einer MS-Erkrankung kann mithilfe bildgebender Magnetresonanztomographie (MRT) des Gehirns, anhand der Zunahme der Behinderung sowie anhand der Häufigkeit und Schwere der Schübe überwacht werden (Abs. [0001]).
  15. Grundsätzlich sind fünf Hauptformen der MS zu unterscheiden. Eine davon ist die schubförmig remittierende Multiple Sklerose (Relapsing-Remitting Multiple Sclerosis = RRMS). Patienten, die an einer solchen RRMS leiden, erfahren sporadische Verschlimmerungen oder Schübe ebenso wie Remissionsperioden. Läsionen und Anzeichen axonalen Verlusts können bei Patienten, die eine RRMS aufweisen, auf dem MRT sichtbar sein (Abs. [0002] und [0004]).
  16. Glatirameracetat (GA), eine Mischung aus Polypeptiden, die nicht alle die gleiche Aminosäuresequenz aufweisen, wird unter dem Handelsnamen „Copaxone®“ vertrieben. GA umfasst die Acetatsalze von Polypeptiden, die L-Glutaminsäure, L-Alanin, L-Tyrosin und L-Lysin mit durchschnittlichen molaren Anteilen von jeweils 0,141, 0,427, 0,095 und 0,338 enthalten. Bei „Copaxone“ handelt es sich um eine zugelassene, sichere und gut verträgliche Therapie für Patienten mit schubförmig remittierender Multipler Sklerose (RRMS) einschließlich solcher Patienten, die einen ersten klinischen Schub erfahren haben und MRT-Kennzeichen aufweisen, die denen der Multiplen Sklerose entsprechen. Das Medikament wird in einer Dosis von 20 mg Clatirameracetat täglich injiziert. Eine solche Dosis kann die Gesamtzahl anreichernder Läsionen, die durch MRT gemessen werden, bei MS-Patienten verringern (G. Comi et. al., European/Canadian Multicenter, Double-Blind, Randomized, Placebo-Controlled Study of the Effects of Glatimarer Acetate on Magnetic Resonance Imaging-Measured Disease Activity and Burden in Patients with Relapsing Sclerosis, Ann. Neurol. 49: 290-297 (2001)) (Abs. [0013] f).
  17. Die bei der herkömmlichen GA-Therapie erforderliche tägliche Injektion ist für Patienten unbequem, vor allem, da derartige Injektionen zu Infektionen an der Injektionsstelle (injection site reaction, ISR), wie etwa Erythem, Schmerz, Zusammenziehung, Juckreiz, Ödeme, Entzündungen oder Überempfindlichkeit, führen können (vgl. Abs. [0065] und [0112]).
  18. Mögliche Lösungsansätze zur Beseitigung dieser Nachteile begegnen jedoch zahlreichen Hindernissen und Einschränkungen. So ist eine subkutane Arzneimittelverabreichung durch das Injektionsvolumen begrenzt; in der Regel sind nicht mehr als 1 bis 2 ml Lösung erlaubt. Zudem besteht die Möglichkeit, dass sich das Arzneimittel an der Injektionsstelle zersetzt, was eine reduzierte Bioverfügbarkeit zur Folge hat. Des Weiteren können auf der Basis der physiochemischen Eigenschaften des Arzneimittels hochwirksame Verbindungen lokal in den interstitiellen Räumen eingeschlossen werden, was zu weiteren lokalen Irritationen, einer Ausfällung des Arzneimittels und konzentrationsabhängigen Nebenwirkungen führen kann. Schließlich ist die Variation bei der Häufigkeit der Verabreichung wegen dem komplexen pharmakokinetischen Verhalten eines Arzneimittels nicht vorhersehbar und erfordert empirische Untersuchungen. Obwohl kontrollierte klinische Tests zum Beispiel die Wirksamkeit von IFNβ-1b bei der Behandlung von MS gezeigt haben, werden Patienten-Compliance, Wirksamkeit und Verträglichkeit vom verwendeten Dosierungsschema beeinflusst. Für eine Erhöhung der Wirksamkeit reicht es nicht, lediglich die Dosis von IFNβ-1b zu erhöhen. Vielmehr bedarf es daneben auch einer Erhöhung der Häufigkeit der Verabreichung (Abs. [0113]).
  19. Vor diesem Hintergrund stellt das Verfügungspatent, ohne eine Aufgabe zu formulieren, in Patentanspruch 1 eine Kombination folgender Merkmale unter Schutz:
  20. 1. Glatirameracetat
  21. 2. zur Verwendung in einem Behandlungsschema
  22. a. von drei subkutanen Injektionen
    b. von einer 40-mg-Dosis Glatirameracetat
    c. alle sieben Tage
    d. mit mindestens einem Tag zwischen den einzelnen subkutanen Injektionen;
  23. 3. zur Verwendung in der Behandlung eines Patienten, der unter schubförmig-remittierender Multiple Sklerose leidet oder der einen ersten klinischen Schub erfahren hat und ein hohes Risiko trägt, eine klinisch gesicherte Multiple Sklerose zu entwickeln.
  24. 4. Die pharmazeutische Zusammensetzung enthält zusätzlich Mannitol.
  25. Der ebenfalls den Gegenstand des Verfahrens bildende Patentanspruch 2 lässt sich wie folgt gliedern:
  26. 1. Arzneimittel umfassend Glatirameracetat
  27. 2. zur Verwendung in der Behandlung eines Patienten, der an schubförmig-remittierender Multiple Sklerose leidet oder der einen ersten klinischen Schub erfahren hat und ein hohes Risiko trägt, eine klinisch gesicherte Multiple Sklerose zu entwickeln.
  28. 3. Das Arzneimittel ist in einem Behandlungsschema
  29. a. von drei subkutanen Injektionen
    b. von einer 40-mg-Dosis Glatirameracetat
    c. alle sieben Tage
    d. mit mindestens einem Tag zwischen jeder subkutanen Injektion
  30. zu verabreichen.
  31. 4. Die pharmazeutische Zusammensetzung enthält zusätzlich Mannitol.
  32. 2.
    Nachdem die Verfügungsbeklagte zu Recht nicht in Abrede gestellt hat, dass die angegriffene Ausführungsform wortsinngemäß von der technischen Lehre des Verfügungspatents Gebrauch macht und die Verfügungsklägerin nach den unangefochten gebliebenen landgerichtlichen Feststellungen als ausschließliche Lizenznehmerin auch berechtigt ist, aus dem Verfügungspatent vorzugehen, ist die Verfügungsbeklagte der Verfügungsklägerin gemäß Art. 64 EPÜ i.V.m. § 139 Abs. 1 PatG im beantragten Umfang zum Unterlassen verpflichtet. Da die Verfügungsbeklagte den Feststellungen des Landgerichts zum Verfügungsanspruch im Berufungsverfahren nicht entgegengetreten ist, kann insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen vollumfänglich auf die landgerichtlichen Feststellungen, die sich der Senat zu Eigen macht, Bezug genommen werden.
  33. 3.
    Der Unterlassungsanspruch kann im Wege der einstweiligen Verfügung durchgesetzt werden; der hierzu notwendige Verfügungsgrund liegt vor. Bei der in diesem Zusammenhang vorzunehmenden Interessenabwägung wiegt das Schutzinteresse der Verfügungsklägerin, ihren Unterlassungsanspruch durchzusetzen, schwerer als das Interesse der Verfügungsbeklagten, die angegriffene Ausführungsform in Deutschland anzubieten und zu vertreiben.
  34. a)
    Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats (InstGE 9, 140 = GRUR-RR 2008, 329 – Olanzapin; InstGE 12, 114 = Mitt. 2011, 193 – Harnkatheter; GRUR-RR 2011, 81 = Mitt. 2012, 178 – Gleitsattel-Scheibenbremse; Urt. v. 20.01.2011, Az.: I-2 U 92/10, BeckRS 2011, 03266; Urt. vom 24.11.2011, Az.: I-2 U 55/10, BeckRS 2011, 08596; Urt. v. 06.12.2012, Az.: I-2 U 46/12, BeckRS 2013, 13744; Mitt. 2012, 415 – Adapter für Tintenpatrone; GRUR-RR 2013, 236, 239 f. – Flurpitin-Maleat; Urt. v. 07.11.2013, Az.: I-2 U 94/12, GRUR-RR 2014, 240; Urt. v. 21.01.2016, Az.: I-2 U 48/15, BeckRS 2016, 03306; Urt. v. 19.02.2016, Az.: I-2 U 54/15, BeckRS 2016, 06344), dass der Erlass einer einstweiligen Verfügung insbesondere auf Unterlassung nur in Betracht kommt, wenn sowohl die Frage der Patentverletzung als auch der Bestand des Verfügungspatents im Ergebnis so eindeutig zugunsten des Antragstellers (Verfügungsklägers) zu beantworten sind, dass eine fehlerhafte, in einem etwa nachfolgenden Hauptsacheverfahren zu revidierende Entscheidung nicht ernstlich zu erwarten ist. Davon kann regelmäßig nur ausgegangen werden, wenn das Verfügungspatent bereits ein erstinstanzliches Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren überstanden hat (Senat, InstGE 9, 140, 146 – Olanzapin; InstGE 12, 114 – Harnkatheterset; Urt. v. 18.12.2014, Az.: I-2 U 60/14, BeckRS 2015, 01829; Urt. v. 10.12.2015, Az.: I-2 U 35/15, BeckRS 2016, 06028; Urt. v. 31.08.2017, Az.: I-2 U 6/17, BeckRS 2017, 125978; OLG Karlsruhe, GRUR-RR 2015, 509 – Ausrüstungssatz; a.A. OLG Braunschweig, Mitt. 2012, 410). Um ein Verfügungsschutzrecht für ein einstweiliges Verfügungsverfahren tauglich zu machen, bedarf es deshalb einer positiven Entscheidung der dafür zuständigen, mit technischer Sachkunde ausgestatteten Einspruchs- oder Nichtigkeitsinstanzen.
  35. Aus der regelmäßigen Notwendigkeit einer positiven streitigen Rechtsbestandsentscheidung folgt umgekehrt aber auch, dass, sobald sie vorliegt, prinzipiell von einem ausreichend gesicherten Bestand des Verfügungspatents auszugehen ist (Senat, Urt. v. 10.11.2011, Az.: I-2 U 41/11; Urt. v. 19.02.2016, Az.: I-2 U 54/15, BeckRS 2016, 06344; Urt. v. 31.08.2017, Az.: I-2 U 6/17, BeckRS 2017, 125978; Urt. v. 14.12.2017, Az.: I-2 U 17/17, BeckRS 2017, 150889; Urt. v. 04.07.2019, Az.: I-2 U 81/18). Das Verletzungsgericht hat – ungeachtet seiner Pflicht, auch nach erstinstanzlichem Abschluss eines Rechtsbestandsverfahrens selbst ernsthaft die Erfolgsaussichten der dagegen gerichteten Angriffe zu prüfen, um sich in eigener Verantwortung ein Bild von der Schutzfähigkeit der Erfindung zu machen (Senat, InstGE 8, 122 – Medizinisches Instrument; Urt. v. 18.12.2014, Az.: I-2 U 60/14, BeckRS 2015, 01829) – grundsätzlich die von der zuständigen Fachinstanz (DPMA, EPA, BPatG) nach technisch sachkundiger Prüfung getroffene Entscheidung über die Aufrechterhaltung des Verfügungspatents hinzunehmen und, sofern im Einzelfall keine besonderen Umstände vorliegen, die gebotenen Schlussfolgerungen zu ziehen, indem es zum Schutz des Patentinhabers die erforderlichen Unterlassungsanordnungen trifft (Senat, Urt. v. 10.11.2011, Az.: I-2 U 41/11; Urt. v. 19.02.2016, Az.: I-2 U 54/15, BeckRS 2016, 06344; Urt. v. 31.08.2017, Az.: I-2 U 6/17, BeckRS 2017, 125978; Urt. v. 14.12.2017, Az.: I-2 U 17/17, BeckRS 2017, 150889; Urt. v. 04.07.2019, Az.: I-2 U 81/18).
  36. Grund, die Rechtsbestandsentscheidung in Zweifel zu ziehen und von einem Unterlassungsgebot abzusehen besteht nur dann, wenn das Verletzungsgericht die Argumentation der Einspruchs- oder Nichtigkeitsinstanz für nicht vertretbar hält oder wenn der mit dem Rechtsbehelf gegen die Einspruchs- oder Nichtigkeitsentscheidung unternommene Angriff auf das Verfügungspatent auf (z.B. neue) erfolgversprechende Gesichtspunkte gestützt wird, die die bisher mit der Sache befassten Stellen noch nicht berücksichtigt und beschieden haben (Senat, Urt. vom 06.12.2012, Az.: I-2 U 46/12, BeckRS 2013, 13744; Urt. v. 31.08.2017, Az.: I-2 U 6/17, BeckRS 2017, 125978; Urt. v. 14.12.2017, Az.: I-2 U 17/17, BeckRS 2017, 150889; Urt. v. 04.07.2019, Az.: I-2 U 81/18). Demgegenüber ist es für den Regelfall nicht angängig, den Verfügungsantrag trotz erstinstanzlich aufrechterhaltenen Schutzrechts allein deshalb zurückzuweisen, weil das Verletzungsgericht seine eigene (laienhafte) Bewertung des technischen Sachverhaltes an die Stelle der Beurteilung durch die zuständige Einspruchs- oder Nichtigkeitsinstanz setzt (Senat, Urt. v. 10.11.2011, Az.: I-2 U 41/11; Urt. v. 18.12.2014, Az.: I-2 U 60/14, BeckRS 2015, 01829; Urt. v. 14.12.2017, Az.: I-2 U 17/17, BeckRS 2017, 150889; Urt. v. 04.07.2019, Az.: I-2 U 81/18). Solches verbietet sich ganz besonders dann, wenn es sich – wie hier – um eine technisch komplexe Materie (z.B. aus dem Bereich der Chemie oder Elektronik) handelt, in Bezug auf die die Einsichten und Beurteilungsmöglichkeiten des technisch nicht vorgebildeten Verletzungsgerichts von vornherein limitiert sind. Geht es nicht darum, dass z.B. Passagen einer Entgegenhaltung von der Einspruchsabteilung übersehen und deshalb bei ihrer Entscheidungsfindung überhaupt nicht in Erwägung gezogen worden sind, sondern dreht sich der Streit der Parteien darum, welche technische Information einem im Bestandsverfahren gewürdigten Text aus fachmännischer Sicht zu entnehmen und welche Schlussfolgerungen der Durchschnittsfachmann hieraus aufgrund seines allgemeinen Wissens zu ziehen imstande gewesen ist, sind die Rechtsbestandsinstanzen aufgrund der technischen Vorbildung und der auf dem speziellen Fachgebiet erworbenen beruflichen Erfahrung ihrer Mitglieder eindeutig in der besseren Position, um hierüber ein Urteil abzugeben. Es ist daher prinzipiell ausgeschlossen, dass sich das Verletzungsgericht mit (notwendigerweise laienhaften) eigenen Erwägungen über das Votum der technischen Fachleute hinwegsetzt und eine Unterlassungsverfügung verweigert. Anderes kann sich im Einzelfall allenfalls daraus ergeben, dass die einstweilige Verfügung – über den Regelfall hinaus – ganz besonders einschneidende Konsequenzen für den Antragsgegner und/oder die Öffentlichkeit (z.B. für auf den Verletzungsgegenstand angewiesene Patienten) hat, die es im Rahmen der Interessenabwägung ausnahmsweise verbieten, bereits jetzt eine Unterlassungsanordnung zu verfügen, die im weiteren Rechtsbestandsverfahren mit einiger Aussicht auf Erfolg ihre Grundlage verlieren kann (Senat, Urt. v. 19.02.2016, Az.: I-2 U 54/15, BeckRS 2016, 06344; Urt. v. 04.07.2019, Az.: I-2 U 81/18).
  37. b)
    Dies vorausgeschickt ist der Rechtsbestand vorliegend in dem für den Erlass einer einstweiligen Verfügung erforderlichen Umfang hinreichend gesichert, und zwar unabhängig davon, ob es sich bei der angegriffenen Ausführungsform um ein Generikum handelt.
  38. aa)
    Anders als in den durch die Parteien diskutierten „Generikafällen“ (vgl. Senat, GRUR-RR 2013, 236, 239 f. – Flupirtin-Maleat; Urt. v. 19.02.2016, Az.: I-2 U 54/15, BeckRS 2016, 06344; Urt. v. 10.12.2015, Az.: I-2 U 35/15, BeckRS 2016, 06208; Urt. v. 14.12.2017, Az.: I-2 U 18/17, BeckRS 2017, 142305) liegt mit der das Verfügungspatent im streitgegenständlichen Umfang aufrechterhaltenden Entscheidung der Einspruchsabteilung (Anlagen ASt 32/32a) eine für den Schutzrechtsinhaber positive Entscheidung im Rechtsbestandsverfahren vor. Die den Kern der Generikarechtsprechung bildende Frage der Voraussetzungen des Erlasses einer einstweiligen Verfügung ohne eine derartige, den Rechtsbestand positiv feststellenden Entscheidung stellt sich daher von vornherein nicht. Ob es sich bei der angegriffenen Ausführungsform um ein Generikum handelt, bedarf dementsprechend vorliegend keiner Entscheidung.bb)
    Hinzu kommt, dass das Verfügungspatent zu derselben Patentfamilie wie das EP 2 405 XXA (nachfolgend: EP ´XXA) gehört. Die Einspruchsabteilung hat auch das EP ´XXA in einer Einspruchsentscheidung vom 19. Januar 2016 (Anlagen ASt 17/17a) – in anderer Besetzung – mit ausführlicher Begründung sowohl unter dem Gesichtspunkt der ausführbaren Offenbarung (Art. 83 EPÜ) als auch im Hinblick auf die Neuheit und die erfinderische Tätigkeit für schutzfähig erachtet. Da die Verfügungsklägerin an dem EP `XXA, aus welchen Gründen auch immer, im sich anschließenden Beschwerdeverfahren jedoch nicht mehr festgehalten hat, wurde es letztlich widerrufen, ohne dass sich die Technische Beschwerdekammer mit dessen Schutzfähigkeit in der Sache befassen konnte. Nachdem sich jedoch das EP `XXA vom Verfügungspatent im Wesentlichen lediglich dadurch unterscheidet, dass Letzteres zusätzlich das Vorhandensein des Hilfsstoffes Mannitol verlangt, lassen sich die das Stammpatent betreffenden Ausführungen der Einspruchsabteilung zwar nicht vollumfänglich, aber doch unter Berücksichtigung der Unterschiede beider Schutzrechte in ihren wesentlichen Gedanken auf das Verfügungspatent übertragen (so auch Senat, Urt. v. 14.12.2017, Az.: I-2 U 18/17, BeckRS 2017, 142305). Auch wenn beide Einspruchsentscheidungen zumindest teilweise unterschiedlich begründet sein mögen, liegen gleichwohl im Ergebnis zwei, durch verschiedene, technisch qualifizierte Spruchkörper ergangene, die Schutzfähigkeit der durch das Verfügungspatent unter Schutz gestellten technischen Lehre bestätigende Entscheidungen vor.
  39. cc)
    Wie der Senat bereits im Einzelnen ausgeführt hat, besteht nach einer für den Patentinhaber positiven Entscheidung im Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren nur Grund, die Rechtsbestandsentscheidung in Zweifel zu ziehen und von einem Unterlassungsgebot abzusehen, wenn ein gegen die Einspruchs- oder Nichtigkeitsentscheidung unternommener Angriff auf das Verfügungspatent auf (z.B. neue) erfolgversprechende Gesichtspunkte gestützt wird, die die bisher mit der Sache befassten Stellen noch nicht berücksichtigt und beschieden haben oder wenn der Senat als Verletzungsgericht die Argumentation der Einspruchs- oder Nichtigkeitsinstanz für nicht vertretbar hält. Beides ist vorliegend nicht der Fall.
  40. Mit den durch die Verfügungsbeklagte erhobenen Einwänden hat sich bereits die Einspruchsabteilung ausführlich beschäftigt; neue Einwände sind nicht ersichtlich.
  41. Eine Unvertretbarkeit der Entscheidung der Einspruchsabteilung vermag der Senat demgegenüber hier bereits deshalb nicht festzustellen, weil ein Großteil der durch die Einspruchsabteilung in Bezug genommenen Dokumente entgegen der prozessleitenden Verfügung lediglich in englischer Sprache und ohne hinreichende Erläuterung der den jeweils in Bezug genommenen Studien zugrundeliegenden technischen Zusammenhänge und des jeweiligen Fachwissens vorgelegt wurden. Beruft sich die Verfügungsbeklagte – wie hier – darauf, die im Rechtsbestandsverfahren ergangene Entscheidung sei unvertretbar, ist es an ihr, dem Senat die für eine solche Feststellung erforderlichen Zusammenhänge so zu präsentieren, dass der Senat eine entsprechende Feststellung treffen kann. Dem ist die Verfügungsbeklagte nicht im Ansatz nachgekommen. Auf der Grundlage des präsentierten Sach- und Streitstandes vermag der Senat jedenfalls nicht festzustellen, dass die Einspruchsentscheidung nicht nur der Rechtsauffassung der Verfügungsbeklagten zuwiderläuft, sondern schlicht unvertretbar und damit letztlich evident falsch ist. Die Einspruchsabteilung hat zur Begründung ihrer Entscheidung umfangreiche und sorgfältig begründete Erwägungen angestellt, die in sich plausibel sind. Der Senat hat weder die technische Sachkunde noch sonstige Mittel, um fundiert eine Gegenposition einnehmen und diese stichhaltig begründen zu können. Insbesondere hat die Einspruchsabteilung nachvollziehbar dargelegt, weshalb der Gegenstand der streitgegenständlichen Patentansprüche nach ihrer Auffassung ausgehend von dem entgegengehaltenen Stand der Technik auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht (Art. 56 EPÜ). Auf die erstinstanzlich diskutierte Frage der hinreichenden Offenbarung (Art. 83 EPÜ), mit der sich die Einspruchsabteilung ebenso nachvollziehbar auseinandergesetzt hat, ist die Verfügungsbeklagte im Berufungsverfahren nicht zurückgekommen, so dass sich insoweit weitere Ausführungen des Senats erübrigen.
  42. Mit Rücksicht auf den begrenzten Prüfungsumfang im einstweiligen Verfügungsverfahren sowie die Aufrechterhaltung sowohl des Verfügungs- als auch des Parallelpatents besteht daher lediglich Anlass zu folgenden Bemerkungen:
  43. (1)
    Zu Recht geht die Einspruchsabteilung zunächst davon aus, dass das durch das Verfügungspatent unter Schutz gestellte TIW-Dosierungsschema nicht nur wirksam ist, sondern auch die Verträglichkeit erhöht, und zwar insbesondere, indem es die Frequenz und Schwere von ISR und IPIR (immediate post injection reaction, vgl. Abs. [0064]) reduziert (Anlage ASt 32a, S. 16, Punkt 6.1.). Dass die Einspruchsabteilung neben der Häufigkeit auch die Schwere möglicher Nebenwirkungen in den Blick nimmt, ist nicht zu beanstanden. Wie sich dem Fachmann aus Abs. [0066] der Verfügungspatentbeschreibung erschließt, bezeichnet der Begriff „Verträglichkeit“ den Grad des Unwohlseingefühls, das mit der GA-Behandlung im Zusammenhang steht. Weiter heißt es im vorgenannten Absatz:„Die Verträglichkeit steht in Verbindung mit der Häufigkeit und der Schwere der Postinjektionsreaktionen und der Reaktionen an der Injektionsstelle. Die Verträglichkeit beeinflusst die Zeitdauer, während der der Patient mit GA behandelt werden kann.“
  44. (Hervorhebungen hinzugefügt)
  45. Davon ausgehend meint das Verfügungspatent mit der Verträglichkeit nicht nur die Häufigkeit, sondern auch die Schwere der Nebenwirkungen. Beide Begriffe stehen gleichberechtigt nebeneinander. Spricht das Verfügungspatent von einer guten Verträglichkeit, ist stets neben der Häufigkeit auch die Schwere der Nebenwirkungen gemeint (vgl. Abs. [0014], [0060] f., [0079], [0084], [0101], [0113]). Nichts anderes folgt aus den ursprünglichen, zwischenzeitlich gestrichenen Patentansprüchen 3 und 4, die wie folgt formuliert waren:
  46. Patentanspruch 3:
    „Glatirameracetat zur Verwendung nach Anspruch 1, wobei die Verträglichkeit der Glatirameracetat-Behandlung bei dem menschlichen Patienten durch Verringerung der Häufigkeit einer unmittelbaren Postinjektionsreaktion oder einer Reaktion an der Injektionstelle erhöht ist.“
  47. Patentanspruch 4:
    „Arzneimittel umfassend Glatirameracetat zur Verwendung nach Anspruch 2, wobei die Verträglichkeit der Glatirameracetat-Behandlung in dem menschlichen Patienten durch Verringerung der Häufigkeit einer unmittelbaren Postinjektionsreaktion oder einer Reaktion an der Injektionsstelle erhöht ist.“
  48. Den Unteransprüchen entnimmt der Fachmann somit nur, dass eine Verringerung der Injektionshäufigkeit zu einer besseren Verträglichkeit führen kann. Nichts gesagt ist demgegenüber damit zur Schwere der Nebenwirkungen. Insbesondere lassen allein die stets nur besondere Ausführungsformen der Erfindung umschreibenden und den Schutzbereich des Hauptanspruchs nicht beschränkenden Unteransprüche nicht den Schluss zu, das Verfügungspatent beschäftige sich – entgegen der Definition der Verträglichkeit in Abs. [0006] der Verfügungspatentbeschreibung – allein mit der Häufigkeit und nicht auch mit der Schwere der Nebenwirkungen.
  49. Soweit die Einspruchsabteilung sodann zur Begründung der Wirksamkeit und Verträglichkeit des durch das Verfügungspatent beanspruchten Dosierungsschemas von 40 mg GA TWI nicht nur auf das in Abs. [0079] ff. zu findende Studiendesign, sondern auch auf die Phase-III-GALA- und GLACIER-Studie abstellt, ist auch dies nicht von vornherein zu beanstanden. Dass auch derartige, nachträglich eingereichte Wirkungsnachweise bei der Plausibilitätsprüfung und davon ausgehend auch im Rahmen der Formulierung der Aufgabe Berücksichtigung finden können, hat die Einspruchsabteilung unter Heranziehung der Richtlinien für die Prüfung im Europäischen Patentamt und unter Auseinandersetzung mit der durch die Parteien des Einspruchsverfahrens diskutierten Rechtsprechung ebenfalls nachvollziehbar herausgearbeitet. So können nach dem zur Akte gereichten Teil G – Kapitel VIII-5 der Richtlinien (Stand: November 2018) neue Wirkungen, über die der Anmelder erst im Verfahren berichtet, dann herangezogen werden, wenn für den Fachmann erkennbar ist, dass diese Wirkungen in der ursprünglich gestellten Aufgabe impliziert sind oder mit ihr im Zusammenhang stehen. Auch die Technische Beschwerdekammer lässt in ihrer Rechtsprechung nicht nur eine nachträgliche Abwandlung der ursprünglich formulierten Aufgabe zu (vgl. Entscheidung T 2076/09, Anlage ASt 36, S. 6 Ziff. 3.5.2.), sondern verlangt hierfür auch keine explizite Nennung einer bestimmten, später im Rahmen der Formulierung einer bestimmten Aufgabe herangezogenen Wirkung. Ausreichend ist vielmehr eine eindeutige Erkennbarkeit für den Fachmann (vgl. Entscheidung T 1422/19, Anlagen ASt 35/35a). Von diesem Maßstab geht offenbar auch die Einspruchsabteilung aus (vgl. Anlage ASt 32a, S. 17 oben).
  50. Dass die GALA-Studie (Anlagen D 9 und D 46 im Einspruchsverfahren = Anlagen ASt 29 und TW 22) eine ähnliche Wirksamkeit für das 40-mg-GA-TIW-Schema in direktem Vergleich mit einer Dosierung von 20 mg GA QD zeigt, hat die Verfügungsbeklagte nicht in Abrede gestellt. Nach Auffassung der Einspruchsabteilung zeigt die GLACIER-Studie (Anlagen D 28 bis D 30 im Einspruchsverfahren = Anlagenkonvolut ASt 29) ergänzend dazu ein verringertes Risiko von Reaktionen an der Injektionsstelle auf, einschließlich moderater oder schwerer Reaktionen an der Injektionsstelle. Dass die ohnehin nur in englischer Sprache vorgelegte und nicht näher erläuterte GLACIER-Studie, wie von der Verfügungsbeklagten behauptet, gänzlich ungeeignet ist und zahlreiche schwerwiegende Mängel aufweist, vermag der Senat nicht festzustellen. Zur Begründung dieses Vorwurfs beruft sich die Verfügungsbeklagte allein auf die Ausführungen im Urteil des englischen Parallelverfahrens (Anlagen TW 1/1a), wo es unter Ziff. 199 (in deutscher Übersetzung) heißt:
  51. „Wie Dr. B bemerkte, lehrt das Patent die fachkundige Person nicht, die GLACIER-Studie durchzuführen. Auf jeden Fall waren sich Dr. B und Prof. C weitestgehend einig darüber, dass die Methodik der GLACIER-Studie in vielerlei Hinsicht fehlerhaft war. Erstens handelte es sich um eine offene Studie. Zweitens war einer der sekundären Endpunkte der Studie die Erwartung der Patienten, dass die 40 mg TIW im Vergleich zu den 20 mg QD patientenfreundlicher, wirksamer und sicherer sind, Erwartungen, die das Potiential zum Einschleppen systematischer Messabweichungen hatten. Drittens: Obwohl die Rate des Auftretens der IRAEs ein primärer Endpunkt der Studie war, war der Schweregrad dieser IRAEs weder primärer, sekundärer noch ein zusätzlicher Endpunkt, und die Schlussfolgerung über die Rate der mittelschweren/schweren Nebenwirkungen basierte auf einer post-hoc Analyse.
  52. Dementsprechend gelange ich zu dem Schluss, dass die GLACIER-Studie dem, was der fachkundigen Person im August 2009 an üblichem allgemeinen Fachwissen zur Verfügung stand, nur sehr wenig hinzuzufügen hatte.“
  53. (Unterstreichungen hinzugefügt),
  54. Selbst wenn die GLACIER-Studie – die inhaltliche Richtigkeit der vorstehenden Ausführungen unterstellt – einige inhaltliche Defizite aufweisen mag, lässt sich daraus nicht ohne Weiteres auf ihre generelle Ungeeignetheit schließen. Der Richter im englischen Verfahren hat eine Solche überdies auch nicht festgestellt.
  55. Der Berücksichtigung der nachveröffentlichten GLACIER-Studie steht die durch die Verfügungsbeklagte zitierte und durch die Einspruchsabteilung ausdrücklich berücksichtigte Entscheidung 488/16 der Technischen Beschwerdekammer nicht entgegen. Zwar können danach nachträglich veröffentlichte Nachweise nur berücksichtigt werden, wenn eine tatsächliche Problemlösung bereits durch die Offenlegung des Patents plausibel erscheint. Wie bereits ausgeführt offenbart die Verfügungspatentbeschreibung jedoch nicht nur eine Verringerung der Häufigkeit, sondern auch der Schwere der Nebenwirkungen. Davon geht auch die Einspruchsabteilung aus und stellt im Hinblick auf das Fachwissen im Prioritätszeitpunkt zusätzlich auf aus dem Stand der Technik bekannte Berichte über Nebenwirkungen von 20 mg GA bei reduzierter Verabreichungshäufigkeit (D 2 – D 5, D 55, D 59) ab (Anlage ASt 32a, S. 17 Mitte). Demnach hat die GLACIER-Studie, was auch die Einspruchsabteilung betont, lediglich bestätigenden Charakter (vgl. Anlage ASt 32a, S. 15, Punkt 6.1. a. E. „Diese nachträglich vorgelegten Informationen bestätigen […], dass das beanspruchte 40-mg-GA-TIW-Schema die Wirksamkeit tatsächlich erhält und die Verträglichkeit erhöht.“, Hervorhebung hinzugefügt). Mit ihren Ausführungen stellt sich die Einspruchsabteilung damit auch nicht gegen die durch die Verfügungsbeklagte zitierte Rechtsprechung der Technischen Beschwerdekammer (Entscheidungen T 1043/10 [Anlagen TW B 11.5/5a]; T 0950/13 [Anlagen TW B 11.6/6a] und T 1329/04 [Anlage TW B 12]). Denn auch die Technische Beschwerdekammer erachtet die Berücksichtigung nachträglich veröffentlichter Beweisstücke unter bestimmten Umständen ausdrücklich für zulässig, solange sie nicht die einzige Grundlage für den Nachweis bilden, dass die Anmeldung die angeblich gelöste Aufgabe tatsächlich löst (vgl. Anlage TW B 12, S. 225 unter Verweis auf T 1329/04). Von diesen Grundsätzen geht auch die Einspruchsabteilung aus, indem sie zunächst auf die Offenbarung der Verfügungspatentbeschreibung rekurriert und erst, nachdem sie dort Angaben zur Verbesserung der Verträglichkeit unter Einbeziehung der Häufigkeit und Schwere der Nebenwirkungen identifiziert hat, auf nachveröffentlichte Studien abstellt. Ob die in der Verfügungspatentschrift enthaltenen Angaben einschließlich des Protokolls für eine klinische Studie mit Bewertungskriterien (vgl. Abs. [0079] ff.] letztlich für eine hinreichende Offenbarung ausreichen, vermag der Senat mit den ihm im einstweiligen Verfügungsverfahren bereitgestellten Mitteln nicht festzustellen. Dies wird letztlich im Einspruchsbeschwerdeverfahren durch die fachkundige Technische Beschwerdekammer zu klären sein. Völlig unvertretbar sind die Ausführungen der Einspruchsabteilung jedenfalls nicht.
  56. (2)
    Davon ausgehend hat die Einspruchsabteilung zumindest vertretbar die erfinderische Tätigkeit ausgehend von den Berichten zur FORTE-Studie (vgl. Anlagen ASt 21 (D 8), TW 28 (D 15), ASt 25 (D 19/19a), ASt 26 (D 21), ASt 27 (D 22) sowie TW 29 f. (D 23 f.)) geprüft und nicht die auch bereits im Erteilungsverfahren berücksichtigte Entgegenhaltung „Pinchasi“ (US 2007/0161566 A1, D 1/D 1a im Einspruchsverfahren = Anlagen TW 9/9a) als nächstliegenden Stand der Technik angesehen.
  57. „Pinchasi“ beschreibt, wie das Verfügungspatent, ein Verfahren zur Linderung eines Symptoms eines an einer schubförmigen MS leidenden Patienten, das die periodische subkutane Verabreichung einer Einzeldosis einer pharmazeutischen Zusammensetzung umfasst, die 40 mg GA enthält (vgl. Abs. [0001] und [0019]), wobei neben einer täglichen Verabreichung (QD, vgl. Unteranspruch 2 sowie Abs. [0020] und [0032]) auch eine Gabe an jedem zweiten Tag (QOD, vgl. Unteranspruch 3 sowie Abs. [0021] und [0032]) offenbart wird. Dabei wird die Verwendung der im Vergleich zu „Copaxone“ höheren Dosis GA in der Entgegenhaltung im Zusammenhang mit einer Phase-II-Studie beschrieben, deren Ziel es war, die Sicherheit und Wirksamkeit einer Behandlung mit 40 mg GA über einen Zeitraum von 9 Monaten im Vergleich zu „Copaxone“ (in einer 20 mg-Formulierung) zu untersuchen, wobei beide Formulierungen täglich subkutan verabreicht wurden (Abs. [0056]). Nicht untersucht wurden demgegenüber die Auswirkungen einer Reduzierung der Dosierungshäufigkeit von einer täglichen Verabreichung zu einer Solchen jeden zweiten Tag. Das Ergebnis der Studie wird in Abs. [0070] wie folgt zusammengefasst (in deutscher Übersetzung):
  58. „Die bei der Dosis von 40 mg/Tag GA beobachtete erhöhte Wirksamkeit bei der Verringerung der durch MRT-nachgewiesenen Krankheitsaktivität und Schubrate zeigt, dass sie gut verträglich ist und die Behandlung von RRMS-Patienten verbessern kann. Die festgestellte Verbesserung der Wirksamkeit wird nicht auch von einer entsprechenden Zunahme des Auftretens von Nebenwirkungen begleitet, wie sie eigentlich bei einer Verdopplung der verabreichten Dosis zu erwarten wäre.
  59. Ebenfalls beobachtet wurde die beschleunigte Geschwindigkeit, mit der die Dosis von 40 mg/Tag im Vergleich zu der Dosis von 20 mg/Tag wirksam wurde. Das war so nicht erwartet worden. Insbesondere zeigte die Dosis von 40 mg/Tag ab dem dritten Monat durch MRT messbare Wirksamkeit, wohingegen die Dosis von 20 mg/Tag erst ab dem sechsten Monat Wirkung zeigte.“
  60. (Unterstreichung hinzugefügt)
  61. Laut der in der Entgegenhaltung offenbarten Studie führt eine Verdopplung der täglich verabreichten Menge GA daher nicht nur zu einer Erhöhung und Beschleunigung der Wirkung, sie wird vielmehr auch nicht (wie erwartet) von einer entsprechenden Zunahme von Nebenwirkungen begleitet. Weshalb der Fachmann davon ausgehend Anlass gehabt haben soll, das in der Studie offenbarte Dosierungsschema im Sinne des lediglich kurz und ohne nähere Begründung in der Beschreibung und in Unteranspruch 3 erwähnte Dosierungsschema von 40 mg GA QOD zu ändern, erscheint bereits fraglich. Allein der in Abs. [0062] zu findende Hinweis auf eine leichte Tendenz zu einer höheren Inzidenz von IPIR dürfte hierfür jedenfalls schon deshalb nicht genügen, weil das Sicherheitsprofil in diesem Zusammenhang – letztlich im Einklang mit den späteren Schlussfolgerungen – als im Wesentlichen vergleichbar angesehen wird. Wird das Dosierungsschema auf 40 mg GA QOD abgeändert, entspricht die Menge des verabreichten GA – auf zwei Tage gerechnet – exakt derjenigen von „Copaxone“, so dass sich die soeben angesprochenen Vorteile (erhöhte und beschleunigte Wirksamkeit) kaum einstellen dürften. Letztlich kann dies jedoch dahinstehen. Jedenfalls fehlt es an einer Veranlassung, die Anzahl der verabreichten Dosen noch weiter zu reduzieren. Dementsprechend lässt sich das Fehlen der erfinderischen Tätigkeit ausgehend von „Pinchasi“ jedenfalls nicht allein damit begründen, das nunmehr beanspruchte Dosierungsschema unterscheide sich von dem durch das Verfügungspatent unter Schutz Gestellten lediglich dadurch, dass alle zwei Wochen eine Dosis weniger injiziert werden müsse (so aber etwa der britische High Court, Anlage TW 1a, Rz. 177; Bezirksgericht Oslo, S. 41 oben und im Ansatz auch das LG München, Anlage TW 1a, S. 21 Mitte).
  62. Zu Recht bezieht die Einspruchsabteilung in ihre Überlegungen zum Stand der Technik weiterhin mit ein, dass das Dokument D 19/19a im Zusammenhang mit der Erhöhung der Dosierung auf 40 mg GA QD trotz des nur minimalen Anstiegs der Häufigkeit von ISR und IPIR (vgl. Folie 25) von einer nahezu erfolgten Verdopplung der Zahl vorzeitiger Behandlungsabbrüche bei unerwünschten Nebenwirkungen (Erhöhung von 4,8 % auf 9,9 %, vgl. Folie 14) berichtet. Es mag sein, dass Folie 25 des vorstehend genannten Dokuments davon spricht, beide Dosen seien gut verträglich („well tolerated“). Davon geht auch die Einspruchsabteilung aus, wenn sie davon spricht, es sei ein marginaler Anstieg der Häufigkeit von ISR und IPIR beobachtet worden. Für die Einspruchsabteilung entscheidend ist vielmehr Folie 14 und die dort nahezu beobachtete Verdopplung unerwünschter Nebenwirkungen. Dass sich auch Folie 14 ausschließlich auf die Häufigkeit und nicht auch – wie von der Einspruchsabteilung angenommen – auf die Schwere der Nebenwirkungen bezieht, vermag der Senat nicht festzustellen. Vor diesem Hintergrund ist es zumindest nicht von vornherein unvertretbar, der Einspruchsabteilung folgend (vgl. Anlage ASt 32a, S. 19 Mitte) ein 40 mg-Q(O)D-GA-Dosierungsschema im Prioritätszeitpunkt nicht als realisierbaren Ausgangspunkt für die Entwicklung eines auch in Bezug auf die Verträglichkeit optimierten Dosierungsschemas anzusehen und als Konsequenz nicht die ein solches Dosierungsschema beschreibende Entgegenhaltung „Pinchasi“ als nächstliegenden Stand der Technik heranzuziehen, sondern diesen aus den „FORTE“-Studien auszuwählen, die sich mit der Verträglichkeit einer Behandlung mit GA beschäftigen, und davon ausgehend das herkömmliche 20 mg-GA-QD-Behandlungsschema als Ausgangspunkt der Überlegungen zur Erfindungshöhe zu betrachten. Davon unterscheidet sich das beanspruchte Dosierungsschema durch die Verdopplung der verabreichten Einzeldosis (d.h. von 20 mg auf 40 mg) in Kombination mit einer verringerten Häufigkeit der Verabreichung von QD auf TIW. Demzufolge ist es jedenfalls nicht unvertretbar, die Aufgabe der Erfindung entsprechend der Auffassung der Einspruchsabteilung wie folgt zu umschreiben: Es soll eine Behandlung mit GA bereitgestellt werden, die eine ähnliche Wirksamkeit wie die konventionelle Behandlung mit einer Verabreichung von 20 mg GA QD aufweist und die eine verbesserte Verträglichkeit hinsichtlich der Häufigkeit und Schwere der Nebenwirkungen hat (so auch die Einspruchsabteilung, Anlage ASt 32a, S. 18 unten bis S. 19 Mitte).
  63. Weshalb es zur Lösung dieser Aufgabe, ausgehend von den FORTE-Studien, einer erfinderischen Tätigkeit des Fachmanns bedarf, hat die Einspruchsabteilung nachvollziehbar dargelegt. Die Erwägungen der fachkundig besetzten Einspruchsabteilung, die sich im Wesentlichen damit beschäftigen, welche technischen Informationen den einzelnen, durch die Einspruchsabteilung angesprochenen Schriften aus fachmännischer Sicht zukommt und welche Schlussfolgerungen der Durchschnittsfachmann aufgrund seines allgemeinen Fachwissens zu ziehen imstande war, hat der Senat in Ermanglung besserer Erkenntnismöglichkeiten hinzunehmen. Dies gilt auch, soweit die Einspruchsabteilung in den im Stand der Technik verfügbaren Berichten über eine verringerte Häufigkeit der Verabreichung von 20 mg GA (Dokumente D 2 bis D 5, D 55 f. und D 59) in Bezug auf die Verbesserung der Verträglichkeit bei gleichbleibender Wirksamkeit zwar Hinweise auf eine Verringerung der Häufigkeit, nicht aber der Schwere von Nebenwirkungen entnimmt (Anlage ASt 32a, S. 19 unten). Ob die davon ausgehende Schlussfolgerung der Einspruchsabteilung, der Fachmann werde daher auf der Grundlage der verfügbaren Informationen bei der verringerten Häufigkeit der Verabreichung von 20 mg GA nicht auf eine verringerte Schwere der Nebenwirkungen schließen, geschweige denn solch eine Verringerung im Fall einer erhöhten Dosis von 40 mg GA erwarten, die den Dokumenten D 19/19a zufolge eher zu schweren Nebenwirkungen führt (vgl. Anlage ASt 32a, S. 19 unten), zwingend ist, mag dahinstehen. Damit wird sich ggf. die Technische Beschwerdekammer zu beschäftigen haben. Von vornherein unvertretbar sind die Ausführungen der Einspruchsabteilung jedenfalls nicht.
  64. dd)
    Vor diesem Hintergrund ist der Rechtsbestand in dem den Erlass einer einstweiligen Verfügung rechtfertigenden Umfang gesichert.
  65. (1)
    Zwar steht der das Verfügungspatent im streitgegenständlichen Umfang aufrechterhaltende Beschluss der Einspruchsabteilung im Widerspruch zu den Entscheidungen des Land- und Oberlandesgerichts München (Anlagenkonvolut ASt 2) sowie einigen ausländischen Gerichten (Anlagen TW 1/1a und 2, TW-B 6/6a,TW-B 8/8a, TW 14/14a, TW 23), die das Verfügungspatent aufgrund der aus ihrer Sicht fehlenden erfinderischen Tätigkeit für nicht rechtsbeständig erachtet haben. Bis auf die Entscheidungen des Bezirksgerichts Oslo und des Gerichts von Mailand datieren sämtliche dieser Entscheidungen jedoch vor der das Verfügungspatent aufrechterhaltenden Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, weshalb die jeweiligen Gerichte (naturgemäß) keine Gelegenheit hatten, sich mit der durch die Einspruchsabteilung nunmehr abweichend formulierten Aufgabe und der damit verbundenen Frage der Einbeziehung der Optimierung der Verträglichkeit der Nebenwirkungen unter Berücksichtigung der Schwere derselben in die Überlegungen zum nächstliegenden Stand der Technik zu beschäftigen.
  66. Dem Bezirksgericht Oslo (Anlagen TW 6/6a) war zwar die das Verfügungspatent aufrechterhaltende Entscheidung der Einspruchsabteilung an sich, nicht aber deren Begründung bekannt (Anlage TW-B 6a, S. 3, vorletzter Absatz; S. 11 Mitte). Auch dieses Gericht hatte dementsprechend keine Möglichkeit, sich mit den Gründen der Einspruchsentscheidung auseinanderzusetzen und diese in seine Überlegungen einzubeziehen. Dass dem so ist, bestätigen nicht zuletzt die Ausführungen zur erfinderischen Tätigkeit, wo das Gericht zwar die unterschiedlichen Ansichten der Parteien zur Formulierung der Aufgabe wiedergibt. Eine Auseinandersetzung mit den durch die Einspruchsabteilung angeführten Gründen für die Einbeziehung der Schwere der Nebenwirkungen in die Überlegungen zum nächstliegenden Standes der Technik fehlt jedoch (vgl. Anlage TW-B 6a, S. 40 f.).
  67. Anders als dem Bezirksgericht Oslo lag dem Gericht von Mailand (Anlagen TW-B8/8a) die Entscheidung der Einspruchsabteilung zwar vollständig vor. Allerdings setzt sich das Gericht gleichwohl nicht mit den Gründen der Einspruchsentscheidung auseinander, sondern belässt es bei der bloßen Feststellung, diese Entscheidung sei nicht bindend (vgl. Anlage TW-B8a, S. 3). Mit der durch die Einspruchsabteilung aufgeworfenen Frage der Berücksichtigung der Verträglichkeit und insbesondere der Schwere der Nebenwirkungen in die Überlegungen zur Festlegung des nächstliegenden Standes der Technik beschäftigt sich das Gericht daher ebenfalls nicht, sondern sieht in der Entgegenhaltung „Pinchasi“ ohne Auseinandersetzung mit dieser Problematik den nächstliegenden Stand der Technik (Anlage TW-B 8a, S. 8 f.).
  68. In Bezug auf die Entscheidung des High Courts of Justice (Anlagen TW 1/1a) kommt hinzu, dass diese der Einspruchsabteilung vorlag (vgl. Anlage ASt 32a, S. 2 Mitte). Die fachkundig besetzte Einspruchsabteilung hat das Verfügungspatent somit in Kenntnis der umfangreichen Ausführungen des High Courts of Justice, dessen Urteil überdies auch nicht der in der Praxis des Europäischen Patentamtes entwickelte Aufgabe-Lösungsansatz zugrundeliegt, aufrechterhalten.
  69. Abgesehen davon unterscheidet sich der vorliegende Fall von dem durch das Land- und Oberlandesgericht München zu entscheidenden Sachverhalt (Az.: 6 W 164/18) dadurch, dass im Zeitpunkt der Entscheidungen der Münchner Gerichte – anders als nunmehr – zum Verfügungspatent selbst noch keine, den Rechtsbestand bestätigende Erkenntnis technischer Fachleute vorlag. In einem solchen Fall ist der hinreichende Rechtsbestand, wie eingangs ausgeführt, jenseits der Generikafälle regelmäßig zu verneinen. Dies gilt insbesondere dann, wenn – wie hier – ausländische Verletzungsgerichte zu der Überzeugung mangelnden Rechtsbestands gelangt sind. Denn durch den Verzicht auf das Stamm- bzw. Parallelpatent schafft der Patentinhaber, wenn es für ihn keine andere plausible Erklärung gibt als die, dass mit ihm einer Widerrufsentscheidung der Technischen Beschwerdekammer zuvorgekommen werden sollte, ein Indiz gegen sich selbst, das bei unklarem Sachverhalt den Ausschlag gegen einen genügenden Rechtsbestand geben wird.
  70. (2)
    Soweit der Senat für einen Fall aus dem Bereich der allgemeinen Mechanik entschieden hat, dass der Erlass einer Unterlassungsverfügung grundsätzlich nicht in Betracht kommt, wenn sich gleichrangige technische Spruchkörper uneins über die Bewertung des Standes der Technik und dessen Konsequenzen für die Beurteilung der Erfindungshöhe des Verfügungspatents sind, weil das Verletzungsgericht, welches selbst keine technische Kompetenz besitzt und sich diese im Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes auch nicht extern beschaffen kann, nicht diejenige Instanz sein kann, die den Expertenstreit entscheidet (Senat, Urt. v. 31.08.2017, Az. I-2 U 11/17, BeckRS 2017, 125974), lässt sich diese Entscheidung bereits deshalb nicht auf den vorliegenden Fall übertragen, weil es hier bereits an sich widersprechenden Entscheidungen gleich- (oder höherrangiger) technischer Spruchkörper im Sinne dieser Rechtsprechung fehlt.
  71. Hierfür reicht es nicht, dass verschiedene Entscheidungen einen identischen technischen Sachverhalt zum Gegenstand haben, d.h. sich mit derselben Lehre und denselben Entgegenhaltungen aus dem Stand der Technik befassen, so dass die Argumentation der einen Stelle in unauflöslichem Widerspruch zu der gegenläufigen Argumentation der anderen Stelle steht (Senat, a.a.O.). Nicht jede anderslautende, irgendwo unter Beteiligung technischen Sachverstandes (etwa durch technische Richter oder externe Sachverständige) getroffene Entscheidung ist im vorgenannten Sinne rechtsschutzhindernd. Erforderlich ist vielmehr, dass das gegenläufige Erkenntnis von einem Entscheider herrührt, der Zugriff auf das Verfügungsschutzrecht hat, weil er in den für die Beurteilung seines Rechtsbestandes vorgesehenen Instanzenzug eingebunden ist. Mit Blick auf eine Einspruchsentscheidung des Europäischen Patentamtes sind dies die übergeordnete Technische Beschwerdekammer sowie das zeitlich nachgeordnete Bundespatentgericht und der Bundesgerichtshof. Dass nur deren Erkenntnisse (z.B. zu einem parallelen Stammpatent oder Gebrauchsmuster) relevant sind, folgt aus dem Umstand, dass die Verletzungsgerichte, indem sie die einstweilen getroffene Rechtsbestandsentscheidung mit ihrer Unterlassungsverfügung nachvollziehen, die gesetzliche Zuständigkeit respektieren, die für die Entscheidung über den Bestand von Patenten den Ämtern und Rechtsbestandsgerichten zugewiesen ist. Die bewusste Zuständigkeits- und Verantwortlichkeitsverteilung rechtfertigt aber nicht nur die Unterlassungsverurteilung, sondern sie limitiert zugleich auch die Reichweite, in der widersprechende Rechtsbestandsentscheidungen das zum Verfügungsschutzrecht ergangene Aufrechterhaltungserkenntnis als Grundlage für eine vorläufige Verurteilung wegen Patentverletzung entwerten können. Denkbar ist dies nur dort, wo die einstweilen positive Rechtsbestandsentscheidung als verlässliche Beurteilungsgrundlage für das einstweilige Verfügungsverfahren wegfällt, weil mit ihrer inhaltlichen Abänderung im weiteren europäischen oder anschließenden nationalen Instanzenzug mit hinreichender Gewissheit deshalb zu rechnen ist, weil dort bereits widerrufende oder vernichtende Erkenntnisse zu dem fraglichen technischen Sachverhalt ergangen sind.
  72. Dem Patentinhaber nachteilige Erkenntnisse (z.B. britischer, norwegischer oder italienischer Verletzungsgerichte), die diesen besonderen institutionellen Anforderungen nicht genügen, stellen als technisch fachkundige Äußerungen bloße Indizien dar, die das Verletzungsgericht ohne jede Bindungswirkung im Rahmen seiner Prüfung zu erwägen hat, ob es die aufrechterhaltende Rechtsbestandsentscheidung zum Verfügungsschutzrecht für vertretbar hält (und ihr deshalb folgt) oder nicht.
  73. Durch die vorgenommene Differenzierung – und nur durch sie – bleibt zugunsten des Schutzrechtsinhabers ein effektiver einstweiliger Rechtsschutz gewährleistet. Denn selbstverständlich ist es denkbar und auch realistisch, dass der Rechtsbestand eines Patents in verschiedenen Jurisdiktionen letztlich unterschiedlich beurteilt wird. Dies betrifft vordringlich den Streit um die Erfindungshöhe, mit der keine mathematisch exakte, sondern eine wertend abwägende Frage aufgeworfen ist, die im Einzelfall mit ebenso guten Gründen in die eine wie die andere Richtung beantwortet werden kann. Weil dem so ist, kann es nicht sein, dass dem Patentinhaber eine vorläufige Durchsetzung seines Schutzrechts trotz einer von ihm erstrittenen Aufrechterhaltungsentscheidung unter Hinweis darauf versagt bleibt, dass anderswo ein Patentamt oder Gericht zu einem (vielleicht ebenso gut vertretbaren) gegenteiligen Resultat gelangt ist.
  74. Davon ausgehend fehlt es vorliegend an einer, dem Erlass einer einstweiligen Verfügung entgegenstehenden Erkenntnis einer anderen, technisch ebenfalls sachkundigen, gleich oder höheren Stelle im vorgenannten Sinne. Sowohl das Verfügungspatent als auch das EP `XXA wurden jeweils durch die Einspruchsabteilung und damit die für die Beurteilung des Rechtsbestandes primär zuständige Stelle für schutzfähig erachtet. Bei den durch die Verfügungsbeklagte vorgelegten, größtenteils von ausländischen Spruchkörpern getroffenen Entscheidungen handelt es sich demgegenüber nahezu durchweg um Urteile und Beschlüsse von Verletzungsgerichten, die ebenso wie der Senat nicht bzw. nicht durchweg mit fachkundigen Richtern besetzt waren. Deren Entscheidungen hat der Senat zwar, soweit sie durch Gerichte anderer Vertragsstaaten des Europäischen Patentübereinkommens ergangen sind und im Wesentlichen die gleiche Fragestellung betreffen, zu beachten und sich gegebenenfalls mit den Gründen auseinanderzusetzen, die bei der vorgegangenen Entscheidung zu einem abweichenden Ergebnis geführt haben (BGH, GRUR 2010, 950 – Walzenformgebungsmaschine; Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 11. Aufl., Abschn. A, Rz. 213). Dazu reicht im Einzelfall jedoch aus, dass der Senat, wie erfolgt, bei der Begründung seiner eigenen Entscheidung auf die Erwägungen eingeht, auf denen die abweichende Beurteilung beruht (BGH, GRUR 2015, 199 – Sitzplatznummerierungseinrichtung). Die der angesprochenen Entscheidung des Senats zugrundeliegende spezifische Problematik, dass sich technische Fachleute und letztlich die Stellen, die über die Rechtsbeständigkeit des Verfügungspatents zu entscheiden haben, uneins darüber sind, ob eine bestimmte technische Lehre schutzfähig ist oder nicht, stellt sich im Hinblick auf Parallelentscheidungen anderer, ganz oder zumindest überwiegend mit technischen Laien besetzter Verletzungsgerichte von vornherein nicht.
  75. c)
    Ist – wie hier – sowohl die Frage der Patentbenutzung als auch die des Bestands des Verfügungspatents im Ergebnis eindeutig zugunsten des Verfügungsklägers zu beurteilen, überwiegen grundsätzlich seine Interessen gegenüber denjenigen des Verfügungsbeklagten. Es erübrigen sich daher in einem solchen Fall in aller Regel weitere Erwägungen zur Interessenabwägung (Senat, Urt. v. 27.10.2011, Az.: I-2 U 3/11, BeckRS 2011, 26945; Urt. v. 10.11.2011, Az.: I-2 U 41/11, BeckRS 2011, 139629; Urt. v. 31.08.2017, Az.: I-2 U 6/17, BeckRS 2017, 125978). Die Notwendigkeit einstweiligen Rechtschutzes kann sich im Einzelfall auch aus der eindeutigen Rechtslage als Solches ergeben (Senat, Urt. v. 10.11.2011, Az.: I-2 U 41/11, BeckRS 2011, 139629).
  76. Abgesehen davon steht das Vorbringen der Verfügungsbeklagten dem Erlass einer einstweiligen Verfügung auch in der Sache nicht entgegen. Dass der Verfügungsbeklagten durch die einstweilige Verfügung der Zutritt zu einem sehr lukrativen Arzneimittelmarkt verwehrt wird, ist letztlich die Folge der mit dem Marktzutritt verbundenen Patentverletzung und per se nicht geeignet, das aus der Patentverletzung resultierende überwiegende Interesse der Verfügungsklägerin am Erlass der Unterlassungsverfügung zu beseitigen (Senat, Urt. v. 04.07.2019, Az.: I-2 U 81/18). Ohne eine solche, im einstweiligen Verfügungsverfahren ergangene Unterlassungsanordnung droht der Verfügungsklägerin ein Schaden dadurch, dass die Verfügungsbeklagte mit der angegriffenen Ausführungsform Marktanteile für sich einnimmt, welche ohne die Wettbewerbssituation grundsätzlich zumindest auch der Verfügungsklägerin zugutekämen. Den Interessen der Verfügungsbeklagten kann in hinreichender Weise – wie geschehen – wirksam durch die Anordnung einer angemessenen Sicherheitsleistung begegnet werden, von deren Erbringung die Vollziehung der einstweiligen Verfügung abhängig ist (§ 938 ZPO). Dass die derzeit mit 5.000.000,- € bemessene Sicherheitsleistung zur Abdeckung möglicher Schäden nicht ausreicht, hat die Verfügungsbeklagte nicht schlüssig darzulegen vermocht. Den pauschalen Vortrag zu möglichen Gewinnausfällen (2019: ca. 3,5 Mio. €; 2020: 6,1 Mio. €) hat die Verfügungsklägerin ebenso in zulässiger Weise mit Nichtwissen (§ 138 Abs. 4 ZPO) bestritten wie die behaupteten Kosten für Erschließungsmaßnahmen und mögliche Reputationsschäden (Schriftsatz v. 22.08.2019, S. 33 oben, GA III, Bl. 576). Gleichwohl hat die Verfügungsbeklagte ihr diesbezügliches Vorbringen nicht ergänzt. Da die behaupteten Zahlen auch in der als Anlage TW-B 4 vorgelegten eidesstattlichen Versicherung nicht näher erläutert werden, reicht allein deren Vorlage für eine Glaubhaftmachung möglicher, über die bisherige Sicherheitsleistung hinausgehender Schäden nicht aus.
  77. Ob mit dem Erlass eines Unterlassungsgebots, wie die Verfügungsbeklagte behauptet, die „unwiderbringliche Verschwendung von Einsparpotentialen im Gesundheitswesen“ und die Verhinderung des Zugangs von Patienten zu einer GA-basierten Behandlung verbunden ist, kann dahinstehen. Jedenfalls handelt es sich dabei um typische Folgen einer einstweiligen Unterlassungsverfügung im Pharmabereich, die das Interesse des Patentinhabers am Erlass der einstweiligen Verfügung von vornherein nicht zurückdrängen können. Abgesehen davon steht den Patienten unstreitig nach wie vor die Möglichkeit der Behandlung mit einem Dosierungsschema von 20 mg QD GA zur Verfügung (vgl. auch Anlage ASt 40), so dass von einer Verhinderung der Behandlung mit GA keine Rede sein kann.
  78. Soweit die Verfügungsbeklagte das vorprozessuale Verhalten der Verfügungsklägerin bzw. der Patentinhaberin und insbesondere den Verzicht auf das Parallelpatent (EP `XXA) noch vor einer Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer als missbräuchlich ansehen will, vermag der Senat einen solchen Missbrauch – was Voraussetzung für eine Berücksichtigung im Rahmen der Interessenabwägung zu Lasten der Verfügungsklägerin wäre – nicht festzustellen. Insbesondere war im Zeitpunkt des Verzichts noch kein, eine mögliche Vernichtung des Verfügungspatents in Aussicht stellender Vorbescheid der Technischen Beschwerdekammer vorausgegangen.
  79. Erlässt die Technische Beschwerdekammer einen für den Patentinhaber nachteiligen Vorbescheid und verzichtet dieser sodann auf ein Stamm- oder Parallelpatent, ist ein für den vorläufigen Rechtschutz ausreichender Rechtsbestand des Verfügungsschutzrechts im Allgemeinen zu verneinen. Grund hierfür ist allerdings weniger die taktische Verzichtserklärung als vielmehr die von den zuständigen technischen Fachleuten der übergeordneten Instanz geäußerte Auffassung, dass die Lehre des Verfügungspatents (bezogen auf das Stamm- bzw. Parallelpatent) nicht schutzfähig und deshalb zu widerrufen ist.
  80. Erfolgt der Patentverzicht demgegenüber – wie hier – ohne eine solche Ankündigung, lässt sich über die Gründe des Verzichts nur spekulieren. Gibt es für den Verzicht keinen anderen plausiblen Grund, wird man allenfalls davon ausgehen können, dass der Patentinhaber selbst seine Erfolgsaussichten im Einspruchsbeschwerdeverfahren zum Stamm- bzw. Parallelpatent ungünstig beurteilt hat, was für den Rechtsbestand des Verfügungspatents indiziell von Bedeutung sein mag; in der Diskussion um den gesicherten Rechtsbestand kann dieses Indiz aber keinesfalls den Ausschlag geben. Denn der Patentinhaber kann in seiner Beurteilung irren. Allein der „böse Wille“ einer subjektiv befürchteten Widerrufsentscheidung durch Patentverzicht zuvorkommen zu wollen, stellt für sich betrachtet keinen Grund für die Verweigerung eines wegen der Aufrechterhaltungsentscheidung zum Verfügungspatent ansonsten gebotenen einstweiligen Rechtschutzes dar.
  81. III.
  82. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
  83. Eines Ausspruches zur vorläufigen Vollstreckbarkeit bedurfte es nicht, weil das vorliegende Urteil als zweitinstanzliche Entscheidung im Verfahren der einstweiligen Verfügung keinem Rechtsmittel mehr unterliegt (§ 542 Abs. 2 S. 1 ZPO) und ohne besonderen Ausspruch endgültig vollstreckbar ist.
  84. Wie auch das Landgericht hat der Senat die Vollziehung der einstweiligen Verfügung nach §§ 925, 936 ZPO davon abhängig gemacht, dass die Verfügungsklägerin zuvor eine Sicherheitsleistung erbringt, die sich aus § 945 ZPO ergebende Schadenersatzansprüche der Antragsgegnerin absichert. Da wegen der eingeschränkten Erkenntnismöglichkeiten im Eilverfahren nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich die einstweilige Verfügung im Hauptsacheverfahren als ungerechtfertigt erweist und die Verfügungsklägerin der Verfügungsbeklagten nach § 945 ZPO Schadenersatz leisten muss, kann die Vollziehung einer Unterlassungsverfügung wegen Patentverletzung keinen geringeren Anforderungen unterliegen als die Vollstreckung eines erstinstanzlichen Unterlassungsurteils. In Bezug auf die Höhe der Sicherheitsleistung hat sich der Senat an dem auf das Unterlassungsbegehren entfallenden Streitwert orientiert (vgl. OLG Düsseldorf, GRUR-Prax 2016, 240; Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 11. Aufl., Abschn. G, Rz. 78).

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