4b O 59/19 – Waage mit Tragplatte IV

Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3057

Landgericht Düsseldorf

Urteil vom 13. August 2020, Az. 4b O 59/19

  1. Die Beklagte wird verurteilt,
    1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes in Höhe von bis zu EUR 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, zu unterlassen
    Waagen mit einer Tragplatte zur Aufnahme einer zu wiegenden Masse und mit einer elektrischen Schaltvorrichtung zur Aus- oder Anwahl einer Funktion der Waage,
    in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in den Verkehr zu bringen, zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,
    bei denen die Schaltvorrichtung einen kapazitiven Näherungsschalter mit einer an der Tragplatte angeordneten Elektrode zur Überwachung der Umgebungskapazität der Elektrode aufweist, wobei die Tragplatte aus einem elektrisch nicht leitenden Material besteht und die Elektrode unter der Tragplatte angeordnet ist und die mit der elektrischen Schaltvorrichtung erfolgende Aus- oder Anwahl einer Funktion im Einschalten der Waage besteht;
    2. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie (die Beklagte) die zu Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 23.09.2009 begangen hat, und zwar unter Angabe
    a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
    b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
    c) der Menge der ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden;
    wobei
    zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
    3. der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie (die Beklagte) die zu Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 26.07.2009 begangen hat, und zwar unter Angabe:
    a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer,
    b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,
    c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgem, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
    d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
    wobei
    – die Angaben zu d) nur für die Zeit seit dem 23.10.2009 zu machen sind;
  2. – der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;
    4. die in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder in ihrem Eigentum befindlichen, unter Ziffer I.1. bezeichneten Erzeugnisse nach ihrer Wahl auf ihre Kosten zu vernichten oder an einen von der Klägerin zu benennenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf ihre — der Beklagten — Kosten herausgeben;
    5. die unter Ziffer I.1. bezeichneten, seit dem 23.09.2009 in Verkehr gebrachten Erzeugnisse gegenüber den gewerblichen Abnehmern unter Hinweis auf den gerichtlich (Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 13.8.2020) festgestellten patentverletzenden Zustand der Sache und mit der verbindlichen Zusage zurückzurufen, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten sowie mit der Rückgabe verbundene Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen und die Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen;
    II.
    Es wird festgestellt,
    1. dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin für die zu I.1. bezeichneten, in der Zeit vom 26.07.2009 bis zum 22.10.2009 begangenen Handlungen eine angemessene Entschädigung zu zahlen;
    2. dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu Ziffer I.1. bezeichneten, seit dem 23.10.2009 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
  3. III.
    Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
  4. IV.
    Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
  5. V.
    Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 275.000 € vorläufig vollstreckbar, wobei für die teilweise Vollstreckung des Urteils folgende Teilsicherheiten festgesetzt werden:
    Ziffer I.1., I. 4. und I. 5. des Tenors: 185.000 €.
    Ziffer I. 2 und I. 3 des Tenors: 55.000 €
    Ziffer III. des Tenors: 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
  6. Tatbestand
  7. Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen Verletzung des deutschen Teils des europäischen Patents EP 1 371 XXX B2 (Anlage 1; im Folgenden: Klagepatent) auf Unterlassung, Auskunft, Rechnungslegung, Vernichtung, Rückruf sowie Feststellung der Entschädigungs- und Schadensersatzpflicht in Anspruch.
  8. Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des Klagepatents, das am 07. Juni 2003 unter Inanspruchnahme der Priorität zweier deutscher Anmeldungen vom 14. Juni 2002 und vom 27. Februar 2003 angemeldet wurde. Die Patentanmeldung wurde am 17. Dezember 2003 veröffentlicht, der Hinweis auf die Erteilung des Klagepatents am 23. September 2009.
  9. Das Klagepatent war Gegenstand eines Einspruchsverfahrens vor dem Europäischen Patentamt. Mit Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung vom 26. Juni 2011 wurde es beschränkt aufrechterhalten. Die gegen diese Entscheidung gerichteten Beschwerden zweier Einsprechender wurden von der technischen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts mit Entscheidung vom 18. Januar 2013 zurückgewiesen.
  10. Anschließend wurde gegen das Klagepatent Nichtigkeitsklage vor dem Bundespatentgericht erhoben, die mit Urteil vom 9. September 2014 abgewiesen wurde. Die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung wurde vom Bundesgerichtshof mit Urteil vom 28. März 2017 zurückgewiesen.
  11. Das Klagepatent steht in Kraft.
  12. Das Klagepatent betrifft eine Waage mit einer Tragplatte zur Aufnahme einer zu wiegenden Masse und mit einer elektrischen Schaltvorrichtung zur Aus- oder Anwahl einer Funktion der Waage.
  13. Die Klägerin stützt ihre Klage auf den unabhängigen Vorrichtungsanspruch 1, der lautet wie folgt:
  14. Waage (1) mit einer Tragplatte (4) zur Aufnahme einer zu wiegenden Masse und mit einer elektrischen Schaltvorrichtung (16, 24) zur Aus- oder Anwahl ei- ner Funktion der Waage (1), dadurch gekennzeichnet, dass die Schaltvorrich-tung (16, 24) einen kapazitiven Näherungsschalter mit einer an der Tragplatte (4) angeordneten Elektrode (18, 38, 44) zur Überwachung der Umgebungs-kapazität der Elektrode (18, 38, 44) aufweist, wobei die Tragplatte (4) aus einem elektrisch nicht leitenden Material besteht und die Elektrode (18, 38, 44) unter der Tragplatte (4) angeordnet ist und die mit der elektrischen Schaltvor-richtung (16, 24) erfolgende Aus- oder Anwahl einer Funktion im Einschalten der Waage besteht.
  15. Zur Veranschaulichung der erfindungsgemäßen Lehre wird nachfolgend die Figur 1 des Klagepatents wiedergegeben:
  16. Figur 1 zeigt ein Ausführungsbeispiel einer erfindungsgemäßen Waage in perspektivischer Ansicht.
  17. Die Beklagte bietet bundesweit digitale Küchenwaagen mit der Modellbezeichnung A an (angegriffene Ausführungsform). Die Klägerin erwarb ein Exemplar der angegriffenen Ausführungsform im Rahmen eines Testkaufs im Internet über Amazon Deutschland. Sie wendet sich mit ihrer Klage gegen das Anbieten und Vertreiben der angegriffenen Ausführungsform.
  18. Sie ist der Auffassung, dass die angegriffene Ausführungsform das Klagepatent verletze. Insbesondere weise sie einen kapazitiven Näherungssensor auf.
  19. Eine Annäherung liege auch vor, wenn die Tragplatte berührt werden müsse. Denn auch in diesem Fall werde die darunter liegende Elektrode, auf die es für eine Beurteilung für die Frage, ob ein Kontakt oder nur eine Annäherung vorliege, nicht berührt. Im Übrigen sei eine Unterscheidung zwischen einem Näherungssensor und einem Berührungssensor nicht sinnvoll und auch vom BGH bei der Beurteilung des Rechtsbestands des Klagepatents nicht vorgenommen worden.
  20. Zudem schließe die klagepatentgemäße Lehre nicht aus, dass ein bestimmter Bereich getroffen werden müsse.
  21. Die Klägerin behauptet unbeschadet dessen, dass zur Betätigung des AN-/AUS-Schalters der angegriffenen Ausführungsform eine exakte Berührung des auf der Tragplatte eingezeichneten Bereichs überhaupt nicht notwendig sei.
  22. Die Klägerin beantragt,
    I. die Beklagte zu verurteilen,
    1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes in Höhe von bis zu EUR 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, zu unterlassen
    Waagen mit einer Tragplatte zur Aufnahme einer zu wiegenden Masse und mit einer elektrischen Schaltvorrichtung zur Aus- oder Anwahl einer Funktion der Waage,
    in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in den Verkehr zu bringen, zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,
    bei denen die Schaltvorrichtung einen kapazitiven Näherungsschalter mit einer an der Tragplatte angeordneten Elektrode zur Überwachung der Umgebungskapazität der Elektrode aufweist, wobei die Tragplatte aus einem elektrisch nicht leitenden Material besteht und die Elektrode unter der Tragplatte angeordnet ist und die mit der elektrischen Schaltvorrichtung erfolgende Aus- oder Anwahl einer Funktion im Einschalten der Waage besteht;
    (Anspruch 1)
    2. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie (die Beklagte) die zu Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 23.09.2009 begangen hat, und zwar unter Angabe
    a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer
    b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
    c) der Menge der ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden;
    wobei
    zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
    3. der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie (die Beklagte) die zu Ziffer I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 17.01.2004 begangen hat, und zwar unter Angabe:
    a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer,
    b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,
    c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgem, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
    d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
    wobei
    – die Angaben zu d) nur für die Zeit seit dem 23.10.2009 zu machen sind;
  23. – der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;
    4. die in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder in ihrem Eigentum befindlichen, unter Ziffer I.1. bezeichneten Erzeugnisse nach ihrer Wahl auf ihre Kosten zu vernichten oder an einen von der Klägerin zu benennenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf ihre — der Beklagten — Kosten herausgeben;
    5. die unter Ziffer I.1. bezeichneten, seit dem 23.09.2009 in Verkehr gebrachten Erzeugnisse gegenüber den gewerblichen Abnehmern unter Hinweis auf den gerichtlich (Urteil des […] vom […]) festgestellten patentverletzenden Zustand der Sache und mit der verbindlichen Zusage zurückzurufen, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten sowie mit der Rückgabe verbundene Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen und die Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen;
    II. festzustellen
    1. dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin für die zu I.1. bezeichneten, in der Zeit vom 17.01.2004 bis zum 22.10.2009 begangenen Handlungen eine angemessene Entschädigung zu zahlen;
    2. dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu Ziffer I.1. bezeichneten, seit dem 23.10.2009 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
  24. Die Beklagte beantragt,
  25. die Klage kostenpflichtig abzuweisen.
  26. Sie ist der Auffassung, dass die erfindungsgemäße Lehre durch die angegriffene Ausführungsform mangels kapazitiven Näherungssensors nicht verwirklicht werde.
  27. Ein kapazitiver Näherungssensor unterscheide sich von einem Kontaktschalter insbesondere dadurch, dass er kein genaues Treffen des dem Schalter zugeordneten Bereichs erfordere. Die bei der angegriffenen Ausführungsform verwendete Schaltvorrichtung entspreche in ihrer Ausgestaltung einem Kontaktschalter und nicht einem kapazitiven Näherungssensor, weil zum Einschalten der Waage exakt der eingezeichnete AN-Schalter berührt werden müsse. Bei Berührung lediglich des Randes der Einzeichnung werde der Schaltvorgang hingegen nicht ausgelöst. Auch wenn eine Annäherung an einen kapazitiven Näherungssensor in dem Berühren der Tragplatte liegen könne, müsse jedenfalls eine Berührung an einer beliebigen Stelle genügen. Anderenfalls würde die technische Lösung des Klagepatents, das sich von der Verwendung bekannter Kontaktschalter abgrenzen wolle, ausgeblendet.
  28. Ferner erhebt die Beklagte die Einrede der Verjährung, insbesondere soweit die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche nach § 33 PatG betroffen sind.
  29. Entscheidungsgründe
  30. Die zulässige Klage ist überwiegend begründet.
  31. Die Klägerin hat gegen die Beklagte Ansprüche auf Unterlassung, Rechnungslegung, Vernichtung und Rückruf sowie Entschädigung und Schadensersatz dem Grunde nach aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ, §§ 139 Abs. 1, 2, 140a Abs. 1 und 3, 140b Abs. 1 und 3 PatG, Art. II § 1 Abs. 1 IntPatÜG, §§ 242, 259 BGB. Allerdings sind die Ansprüche teilweise nicht durchsetzbar aufgrund des Eintritts der Verjährung.
  32. I.
    Das Klagepatent betrifft eine Waage mit einer Tragplatte zur Aufnahme einer zu wiegenden Masse und mit einer elektrischen Schaltvorrichtung zur Aus- oder Anwahl einer Funktion der Waage, siehe Absatz [0001] (alle folgenden, nicht näher bezeichneten Absätze sind solche des Klagepatents) i.V.m. dem Oberbegriff des Patentanspruchs 1.
  33. In der Klagepatentschrift wird ausgeführt, dass solche Waagen im Stand der Technik bekannt gewesen seien. Es handele sich dabei beispielsweise um elektrische Personenwaagen zum Messen und Anzeigen des Körpergewichts mit einer Schaltvorrichtung zum Ein- und Ausschalten, so dass der Bedarf an elektrischer Energie der Waage allein auf den Mess- und Anzeigevorgang beschränkt werden könne. Um den Schaltvorgang auszulösen, hätten bekannte Waagen einen Kontaktschalter, der mit dem Fuß betätigt werden könne. Das Klagepatent sieht es jedoch als nachteilig an, dass ein solcher Kontaktschalter aufwändig zu verkabeln sei und der Benutzer zur Betätigung des Kontaktschalters genau auf den Schalter zielen müsse, siehe Absatz [0002].
  34. Alternativ dazu – so die Klagepatentschrift weiter – sei ein Akustikschalter bekannt, der auf Schwingungen durch Antippen der Waage reagiere. Allerdings sei es von erheblichem Nachteil, dass der Schalter unkontrolliert und unerwünscht auch auf Fremdgeräusche reagiere, Absatz [0003]. Weiterhin seien ständig in Betrieb befindliche Messsysteme bekannt, die über Gewichtsänderungen auf der Tragplatte aktiviert werden könnten. Nachteilig an solchen Messsystemen sei jedoch die ständige Stromaufnahme und der damit verbundene hohe Energiebedarf, Absatz [0004].
  35. Die Klagepatentschrift geht ferner auf die US 4,932,XXX ein, in der eine elektronische Waage mit Kalibriergewichtsschaltung offenbart werde. Die Waage weise einen Näherungssensor auf, mit dessen Hilfe der Kalibrierungsvorgang bei Annäherung einer Person an die Waage gesperrt oder abgebrochen werden könne, bevor die Waagschale durch Wägegut belastet werden könne, Absatz [0005].
  36. In der US 4,789,XXX werde hingegen eine Analysewaage beschrieben, bei der die Funktionen im Wesentlichen über ein mechanisch arbeitendes Bedientableau aus- oder angewählt werden könnten. Allerdings sei ein Gehäuse mit einer motorisch angetriebenen Tür vorgesehen, die mit Hilfe von Näherungssensoren oder sprachgesteuerten Sensoren aktivierbar sei, Absatz [0006].
  37. Schließlich werden in der Klagepatentschrift unter anderem die DE 41 24 XXX A1 und die US 4,208,XXX genannt, aus denen ein mechanischer Schalter für eine Waage beziehungsweise allgemein ein Näherungsdetektor bekannt sei, Absatz [0007].
  38. Vor diesem Hintergrund liegt dem Klagepatent die Aufgabe (das technische Problem) zu Grunde, eine Waage der eingangs genannten Art zu schaffen, die eine einfache Schaltmöglichkeit von hoher Funktionssicherheit bei gleichzeitig niedrigen Herstellungs- und Betriebskosten aufweist, Absatz [0008].
  39. Zur Lösung dieses Problems schlägt Patentanspruch 1 in der im Einspruchsverfahren eingeschränkt aufrechterhaltenen Fassung eine Waage mit den folgenden Merkmalen vor:
  40. 1. Waage (1)
    1.1 mit einer Tragplatte (4) und
    1.2 mit einer elektrischen Schaltvorrichtung (16, 24).
    2. Die Tragplatte (4)
    2.1 dient der Aufnahme einer zu wiegenden Masse,
    2.2 besteht aus einem elektrisch nicht leitenden Material.
    3. Die elektrische Schaltvorrichtung (16, 24)
    3.1 dient der Aus- oder Anwahl einer Funktion der Waage (1), die im Einschalten der Waage (1) besteht,
    3.2 weist einen kapazitiven Näherungsschalter auf.
    4. Der kapazitive Näherungsschalter weist eine Elektrode (18, 38, 44) auf.
    5. Die Elektrode (18, 38, 44)
    5.1 dient der Überwachung der Umgebungskapazität der Elektrode (18, 38, 44),
    5.2 ist an der Tragplatte (4) angeordnet,
    5.3 ist unter der Tragplatte (4) angeordnet.
    Die erfindungsgemäße Lehre soll zum einen besonders bedienungssicher sein, weil ein genaues Treffen des Schalters – wie bei einem mechanischen Schalter – nicht notwendig sei. Da auf mechanische, bewegliche Bauteile verzichtet werden könne, sei die erfindungsgemäße Waage zudem sehr betriebssicher und verschleißunanfällig. Die Schaltvorrichtung mit dem kapazitiven Näherungssensor führe außerdem zu einem niedrigen Energiebedarf, und durch den einfachen Aufbau mit wenigen Elementen sei die Waage auch in Großserienfertigung kostengünstig herzustellen. Außerdem weise sie eine hohe Verschmutzungssicherheit auf, Absatz [0009].
  41. II.
    Vorab bedarf das Merkmal 3.2 des Klagepatentanspruchs der Auslegung. Danach weist die elektrische Schaltvorrichtung der Waage einen kapazitiven Näherungsschalter auf.
  42. 1.
    Bei einem kapazitiven Näherungsschalter im Sinne des Klagepatents wird zum Schalten die Kapazität eines Kondensators genutzt, der elektrische Ladung speichert. Er besteht aus zwei elektrischen Platten, die durch ein als Isolator wirkendes Dielektrikum voneinander getrennt sind. Durch die Isolierung kann die Ladung nicht fließen, sondern sammelt sich an einer Platte an.
  43. Bei der erfindungsgemäßen Lehre befindet sich eine dieser Platten unter der Tragplatte und die weitere wird durch ein menschliches Körperteil gebildet. Das dazwischen liegende Dielektrikum wird durch die Tragplatte selbst und einen eventuellen Luftspalt gebildet. Die waagenseitige Platte ist mit Elektronen beladen, die erst abfließen können, wenn sich das menschliche Körperteil nah genug angenähert hat. Dieses Abfließen der Elektronen wiederum wird als Schaltimpuls gewertet.
  44. 2.
    Das OLG Düsseldorf hat sich in seinem Urteil vom 6. Juni 2013 (Az. I-2 U 60/11) bereits mit dem Klagepatent befasst. In diesem Zusammenhang wird auf die folgenden Ausführungen zum Näherungsschalter verwiesen, die die Kammer sich vollumfänglich zu eigen macht:
  45. „Bei einem kapazitiven Näherungsschalter im Sinne des Klagepatents handelt es sich um ein elektronisches Bauteil, das bei einer durch die Annäherung eines Gegenstandes verursachten Änderung der Umgebungskapazität einen Schaltungsvorgang auslöst. Diese Funktionsweise wird nicht nur durch den Begriff „Näherungsschalter“ angedeutet, sondern geht auch aus dem Klagepatentanspruch hervor, demzufolge der kapazitive Näherungsschalter eine Elektrode aufweist, die der Überwachung der Umgebungskapazität dient (Merkmale 4 bis 5.1). In diesem Sinne wird der kapazitive Näherungsschalter auch in der Beschreibung des Klagepatents beschrieben. Dort heißt es:
  46. ‚Der kapazitive Näherungsschalter reagiert allein auf die Annäherung von Gegenständen mit anderen dielektrischen Eigenschaften als sie die stationäre Umgebung des Näherungsschalters aufweist. […] Bei der erfindungsgemäßen Waage überwacht eine mit einer elektronischen Auswerteeinheit verbundene Elektrode die Umgebungskapazität der Elektrode. […] [D]ie Auswerteeinheit reagiert bei bestimmten typischen Änderungen der Umgebungskapazität der Elektrode durch ein Signal an nachfolgende Schaltungsteile.‘ (Sp. 2 Z. 3-18; […]).
  47. […]
  48. Auch wenn der Fachmann tatsächlich allgemein zwischen Näherungsschaltern einerseits und Berührungsschaltern andererseits differenzieren sollte, ist es nach der Lehre des Klagepatents nicht ausgeschlossen, wenn der Schaltvorgang erst durch eine Berührung der Waage, insbesondere der Tragplatte ausgelöst wird.
  49. Bereits der Wortlaut des Klagepatentanspruchs gibt einen Hinweis darauf, dass sich ein kapazitiver Näherungsschalter dadurch auszeichnet, dass er auf eine Annäherung an die Elektrode (und nicht bereits der Waage) reagiert. Denn die Elektrode selbst dient der Überwachung ihrer Umgebungskapazität (Merkmal 5.1). Der Begriff des kapazitiven Näherungsschalters kann daher allenfalls dahingehend verstanden werden, dass der Schaltvorgang bereits vor der Berührung der Elektrode ausgelöst werden soll. Da aber die Elektrode erfindungsgemäß unter der Tragplatte angeordnet ist, ist eine Berührung der Elektrode von vornherein ausgeschlossen. Der Bereich auf der Tragplatte gehört zur Umgebung der Elektrode, deren Kapazität die Elektrode überwachen soll. Nichts anderes ergibt sich aus der eingangs zitierten Beschreibungsstelle. Auch dieser lässt sich lediglich entnehmen, dass der kapazitive Näherungsschalter auf die Annäherung von Gegenständen mit anderen dielektrischen Eigenschaften als die stationäre Umgebung des Schalters reagiert (Sp. 2 Z. 3-6). Die Tragplatte der Waage, die zum Auslösen des Schaltvorgangs gegebenenfalls zu berühren ist, ist jedoch nicht Teil des Schalters, sondern gehört zu seiner stationären Umgebung. Im Übrigen bezieht sich die Beschreibung des Klagepatents immer nur auf die Überwachung der Umgebungskapazität der Elektrode (Sp. 2 Z. 10-18).“
  50. Ferner führt das OLG zum unterschiedlichen Ansprechverhalten eines kapazitiven Berührungsschalters einerseits und eines kapazitiven Näherungsschalters andererseits aus:
  51. „Dieses hängt von der Empfindlichkeit beziehungsweise der Einstellung der Messelektronik und von der Stärke des vorhandenen elektrischen Feldes ab. Während der Näherungsschalter bereits bei einer Annäherung an den Schalter reagiert, löst der Berührungsschalter erst bei einer Berührung aus. Der mechanische Druck ist bei der Berührung unerheblich, da lediglich die Änderung des elektrischen Feldes maßgeblich ist. Dann macht es aber mit Blick auf die Funktion des Näherungsschalters für die erfindungsgemäße Waage keinen Unterschied, ob der Schalter reagiert, wenn sich der Gegenstand in einem minimalen Abstand zur Tragplatte unmittelbar vor der Berührung befindet, oder erst dann, wenn die Berührung tatsächlich erfolgt. Die Berührung stellt insofern quasi die stärkste Form der Annäherung dar.“
  52. 3.
    Die Beklagten sind der Auffassung, dass sich der erfindungsgemäße kapazitive Näherungsschalter von einer aus dem Stand der Technik bekannten Verwendung eines Kontaktschalters vor allem dadurch unterscheide, dass der Benutzer zur Betätigung eines Kontaktschalters auf eine exakt definierte Stelle der Waage zielen müsse, was bei einem Näherungsschalter nicht der Fall sei. Sie verweisen in diesem Zusammenhang zum einen auf Absatz [0009] der Patentbeschreibung und zum anderen auf die oben genannte Entscheidung des OLG Düsseldorf, das ausgeführt hat wie folgt:
  53. „Darüber hinaus grenzt sich das Klagepatent mit dem kapazitiven Näherungsschalter von der im Stand der Technik bekannten Verwendung eines Kontaktschalters ab, der in der Klagepatentschrift unter anderem deswegen als nachteilig angesehen wird, weil der Benutzer zur Schalterbetätigung auf eine exakt definierte Stelle der Waage zielen muss (Sp. 1 Z. 16-20). Der Begriff „Kontaktschalter“ darf dabei nicht bereits allein aufgrund des Wortbestandteils „Kontakt-“ in Abgrenzung zu einem Näherungsschalter dahingehend missverstanden werden, dass er eine Berührung der Waage erfordert, während der Näherungsschalter den Schaltvorgang bereits bei einer Annäherung an die Waage auslöst. Der Begriff „Kontaktschalter“ macht vielmehr lediglich deutlich, dass durch den Schalter unmittelbar der elektrische Kontakt hergestellt oder unterbrochen wird, um beispielsweise, wie in dem vom Klagepatent dargestellten Fall, die Waage ein- oder auszuschalten (Sp. 1 Z. 10 f). In diesem Fall handelt es sich um einen mechanischen Schalter, weil er vom Benutzer mit dem Fuß betätigt werden kann (Sp. 1 Z. 13-16; vgl. auch Sp. 2 Z. 24-27). Das Klagepatent sieht also nicht die für die Betätigung des Schalters erforderliche Berührung selbst als nachteilig an, sondern dass dafür genau auf den mechanischen Schalter gezielt werden muss. Dieser Nachteil wird durch die Verwendung eines kapazitiven Näherungsschalters beseitigt, weil nicht mehr genau der Schalter getroffen werden muss, um den Schaltvorgang auszulösen (vgl. Sp. 2 Z. 24-27), sondern eine Annäherung an den Schalter genügt. Insofern [ist] es unbeachtlich, ob der Schaltvorgang bewirkt werden kann, bevor die Tragplatte berührt wird, oder ob dies nur mit einer Berührung der Tragplatte möglich ist. In beiden Fällen erfolgt der Schaltvorgang, wenn sich der Gegenstand der Umgebung der Elektrode annähert.
    […]“
  54. Die Beklagte meint, dass sich ein Näherungsschalter dadurch auszeichne, dass – im Gegensatz zu einem aus dem Stand der Technik bekannten Berührungs- bzw. Kontaktschalter – ein genaues Treffen eines bestimmten Bereichs nicht erforderlich sei. Sie zieht daraus den Schluss, dass das Berühren einer beliebigen Stelle zur Auslösung des Schaltvorgangs ausreichend sei.
  55. Das ist jedoch nicht der Fall. Die Beklagte verkennt mit dieser Argumentation zum einen, dass das bei einem Kontakt- bzw. Berührungsschalter notwendige gezielte Treffen immer deshalb erforderlich ist, weil der Schalter selbst berührt werden muss (siehe unten, Ziff. a)), und zum anderen, dass auch bei einem Näherungsschalter der Bereich zum Auslösen des Schaltvorgangs nicht beliebig gewählt werden kann (siehe unten, Ziff. b)). Dennoch grenzt sich die erfindungsgemäße Lehre auch bei der hier vorgenommenen Auslegung vom Stand der Technik ab (siehe unten, Ziff. c)).
  56. a)
    Das Klagepatent beschreibt den Vorteil des Näherungsschalters dahingehend, dass dieser zu hoher Bedienungssicherheit führe, da ein genaues Treffen des Schalters, wie es bei einem mechanischen Schalter erforderlich sei, nicht notwendig sei, Absatz [0009]. Bei dem hier beschriebenen Vorteil, den auch das OLG Düsseldorf in seiner Entscheidung aufgreift, handelt es sich um einen Vorteil, der dem Näherungsschalter immanent ist, also immer mit dem Vorliegen eines Näherungsschalters einhergeht. Denn ein Berührungs- oder Kontaktschalter muss im Gegensatz zu einem solchen Näherungssensor immer unmittelbar berührt werden. Das hat zur Folge, dass ein genauer Bereich, und zwar der Schalter selbst, anvisiert werden muss. Das ist bei einem Näherungsschalter hingegen nicht der Fall. Denn zum Auslösen des Schaltvorgangs reicht bereits eine Annäherung aus, so dass nicht gezielt ein Schalter getroffen werden muss. Das OLG Düsseldorf stellt in diesem Zusammenhang klar, dass dazu nicht zwingend eine Annäherung an die Waage ausreichen muss, sondern auch ein Berühren der Tragplatte dem Vorliegen eines Näherungssensors nicht entgegensteht.
  57. Liegt also ein Näherungsschalter vor, geht damit immer auch der erfindungsgemäße Vorteil einher, dass der Schalter nicht getroffen werden muss. Denn dies ist – wie auch das OLG Düsseldorf ausführt – gar nicht möglich, weil sich über der als Schalter anzusehenden Elektrode noch eine Tragplatte befindet, die nicht Bestandteil des Schalters ist.
  58. b)
    Ein Näherungsschalter setzt nicht voraus, dass ein Schaltvorgang durch eine beliebige Annäherung ausgelöst werden kann. Dafür gibt weder die Patentbeschreibung etwas her, noch entspricht dies der vom OLG vorgenommenen Auslegung des Klagepatents.
  59. Vielmehr ist auch der einem solchen Schalter zugeordnete Näherungsbereich begrenzt. Wäre dies nicht der Fall oder wäre die Begrenzung zu weit, könnte der Schalter unbeabsichtigt betätigt werden und die vom Klagepatent als vorteilhaft beschriebene besondere Bedienungssicherheit wäre nicht gegeben.
  60. Der begrenzte Näherungsbereich und der Umstand, dass auch ein Berühren der Tragplatte der Waage eine Näherung an die Elektrode darstellt, haben zur Folge, dass zum Auslösen des Schalters das Berühren eines bestimmten Bereichs der Tragplatte ausreicht.
  61. c)
    Auch bei der hier vorgenommenen Auslegung eines kapazitiven Näherungssensors grenzt sich die erfindungsgemäße Lehre vom Stand der Technik ab.
  62. Die Beklagte meint, dass dies nicht der Fall sei, wenn ein Näherungsschalter das Zielen eines exakt definierten Bereichs voraussetze. Sie verweist in diesem Zusammenhang auf die Entgegenhaltungen K 8 (DE 201 10 XXX U1), K 9 (WO 96/130 XXX A1) bzw. K 10 (DE XXX 27 646 T2), auf die in der Entscheidung des Bundespatentgerichts vom 9. September 2014 (Az. 4 Ni 9/13) und der Entscheidung des BGH vom 28. März 2017 (Az. X ZR 17/15) Bezug genommenen wird.
  63. Die K 8 offenbart eine Personenwaage mit einem Leistungsschalter in Form eines Druckschalters. Der BGH hat ausgeführt, dass sich aus der Druckschrift kein Anlass für den Fachmann ergebe, nach Alternativen für den dort offenbarten mechanischen Druckschalter zu suchen (BGH, Urteil vom 28.3.2017, X ZR 17/15, Rn. 31). Die K 9 (bzw. in der deutschen Übersetzung K 10) offenbart einen kapazitiven Näherungsschalter zur Verwendung mit einem Kochfeld. Der BGH hat die Verwendung des in der K 9 beschriebenen kapazitiven Näherungssensors für die in der K 8 beschriebene Waage aus mehreren Gründen nicht als naheliegend angesehen.
  64. In diesem Zusammenhang hat der BGH unter anderem ausgeführt:
  65. „Einer Übertragung des kapazitiven Berührungssensors der K9 auf die Tragplatte einer Waage stehen schließlich auch die sich entsprechend der jeweiligen Verwendung unterscheidenden Erwartungen an die Funktion eines Näherungs- oder Berührungssensors entgegen. Während bei einem Kochfeld sichergestellt sein muss, dass es nur eingeschaltet wird, wenn ein genau definierter Punkt berührt wird, wird es bei einer Waage – wie die Erläuterungen in der Streitpatentschrift zeigen (Beschr. Abs. 2) – als nachteilig empfunden, eine ganz bestimmte Stelle auf der Tragplatte treffen zu müssen. Außerdem ist es bei einem Kochfeld aus Sicherheitsgründen von Vorteil, wenn die Berührung von einer gewissen zeitlichen Dauer sein muss, bevor es aktiviert wird. Demgegenüber ist es bei einer Waage im Interesse einer einfachen Handhabung erwünscht, dass sie durch eine nur leichte und kurze Berührung an einer beliebigen Stelle oder gar durch eine bloße Annäherung aktiviert werden kann.“
  66. Der BGH beschreibt an dieser Stelle lediglich, welche Gründe einer Übertragung der Verwendung des in der K 9 beschriebenen Sensors auf den AN-/AUS-Schalter einer Personenwaage entgegenstehen. Das hat aber nicht im Umkehrschluss zur Folge, dass die erfindungsgemäße Lehre nur dann verwirklicht ist, wenn all diese Nachteile nicht gegeben sind. Der BGH zeigt vielmehr auf, dass es für den Fachmann gerade wegen dieser bestehenden Nachteile nicht nahe lag, einen Näherungssensor für eine Personenwaage zu verwenden. Dies zeigt sich auch an anderer Stelle der Entscheidung des BGH. So führt er aus, dass es bereits fraglich sei, ob der Fachmann überhaupt einen kapazitiven Näherungsschalter in Betracht gezogen hätte, weil ein solcher im Gegensatz zu einem mechanischen Schalter auch im ausgeschalteten Zustand Strom verbrauche und damit denselben Nachteil aufweise, den auch das Klagepatent nenne (siehe BGH, aaO Rn. 34). Das hat aber nicht zur Folge, dass ein Näherungsschalter nur dann unter die erfindungsgemäße Lehre fällt, wenn er auch in ausgeschaltetem Zustand keinen Strom verbraucht, sondern nur, dass die erfindungsgemäße Lehre nicht alle aus dem Stand der Technik aufgezeigten Nachteile tatsächlich beseitigt. So mögen beispielsweise Ausgestaltungen, bei denen die Tragplatte der Waage berührt werden muss, weniger vorteilhaft sein als solche, bei denen eine Annäherung an die Tragplatte zum Einschalten ausreicht. Das ändert aber nichts an dem Umstand, dass beide Ausführungen gleichermaßen unter die erfindungsgemäße Lehre fallen.
  67. III.
    Die angegriffene Ausführungsform macht von der Lehre des Klagepatents Gebrauch. Insbesondere wird das Merkmal 3.2 durch die angegriffene Ausführungsform verwirklicht.
  68. Die angegriffene Ausführungsform weist einen erfindungsgemäßen kapazitiven Näherungsschalter auf. Denn zum Ein- und Ausschalten der Waage muss nicht die unter der Tragplatte befindliche Elektrode berührt werden, sondern der auf der Tragplatte entsprechend gekennzeichnete Bereich. Dabei wirkt die aus Glas bestehende Tragplatte als Dielektrikum und beabstandet gleichzeitig die Elektrode als erste Platte von dem sich nähernden Finger als zweite Platte. Da der Finger die Elektrode nicht berühren muss, sondern nur die Tragplatte, handelt es sich nicht um einen Berührungs- oder Kontaktschalter, sondern um einen Näherungssensor.
  69. Dem steht es nicht entgegen, dass der als AN-/AUS-Schalter gekennzeichnete Bereich auf der Tragplatte berührt und damit ein eingegrenzter Bereich zielgenau getroffen werden muss. Denn auch bei einem Näherungsschalter ist der Näherungsbereich endlich und äußert sich in Form einer bestimmten Fläche auf der Tragplatte. Dabei kann es für die Verletzung keinen Unterschied machen, ob der Berührungsbereich genau dem Bereich entspricht, der auf der Tragplatte als AN-/AUS-Schalter gekennzeichnet ist. Denn der gekennzeichnete Bereich kann willkürlich gewählt werden, gerade weil er in keinem Zusammenhang mit dem Berührungsbereich des Schalters steht. Wäre er bei der angegriffenen Ausführungsform kleiner gewählt worden, müsste er nicht mehr genau mit dem Finger getroffen werden, sondern der Näherungsbereich würde darüber hinausgehen. Die Verwirklichung der erfindungsgemäßen Lehre kann aber nicht davon abhängen, wie groß der Bereich für die Markierung des AN-/AUS-Schalters gewählt wird.
  70. IV.
    Die vorliegende Schutzrechtsverletzung führt zu den im Tenor ausgeurteilten Rechtsfolgen.
  71. 1.
    Die Beklagte ist der Klägerin zur Unterlassung verpflichtet, § 139 Abs. 1 PatG.
    Die Wiederholungsgefahr wird auf Grund der bereits begangenen Verletzung vermutet (vgl. BGH, Urt. v. 16.9.2003 – X ZR 179/02, GRUR 2003, 1031, 1033 – Kupplung für optische Geräte).
  72. 2.
    Weiterhin hat die Klägerin gegen die Beklagte dem Grunde nach einen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz, § 139 Abs. 1 und 2 PatG.
  73. a)
    Das für die Zulässigkeit des Feststellungsantrags gemäß § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse ergibt sich daraus, dass die Klägerin derzeit nicht in der Lage ist, den konkreten Schaden zu beziffern und ohne eine rechtskräftige Feststellung der Schadensersatzpflicht die Verjährung von Schadensersatzansprüchen droht.
  74. Die Beklagte ist zum Schadensersatz verpflichtet, weil sie die Patentverletzung schuldhaft beging. Als Fachunternehmen hätte sie die Patentverletzung bei Anwendung der im Geschäftsverkehr erforderlichen Sorgfalt zumindest erkennen können, § 276 BGB. Es ist auch nicht unwahrscheinlich, dass der Klägerin durch die Schutzrechtsverletzung ein Schaden entstanden ist.
  75. b)
    Der Schadensersatzanspruch ist nicht verjährt.
  76. Die Verjährungsvorschriften für den Schadensersatzanspruch richten sich nach § 141 PatG, der entsprechend auch für Ansprüche aus europäischen Patenten gilt. Die Verjährung des Anspruchs unterliegt demnach der Regelverjährung nach Maßgabe der §§ 195, 199 BGB.
  77. aa)
    Die Voraussetzungen für eine Regelverjährung nach drei Jahren gemäß § 195 BGB sind von der Beklagten nicht hinreichend vorgetragen worden. Die Frist beginnt mit Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist, das heißt die entschädigungspflichtige Benutzung stattgefunden hat, und der Gläubiger von den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen, § 199 Abs. 1 BGB (siehe auch Benkard PatG/Schäfers, 11. Aufl. 2015, PatG § 33 Rn. 14a).
  78. Die Beklagte hat zu den subjektiven Umständen, hier dem Erlangen der Kenntnis der den Anspruch begründenden Tatsachen, nicht vorgetragen.
  79. bb)
    Auch die zehnjährige absolute Verjährungsfrist gemäß § 199 Abs. 3 BGB ist noch nicht abgelaufen.
  80. Da es sich hier nicht um einen Schadensersatzanspruch handelt, der auf der Verletzung des Lebens, des Körpers, der Gesundheit oder der Freiheit beruht, ist § 199 Abs. 3 BGB anzuwenden, der eine Verjährung ohne Rücksicht auf die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis in zehn Jahren beginnend mit Anspruchsentstehung anordnet. Maßgeblich für die Anspruchsentstehung ist der Schadenseintritt (MüKoBGB/Grothe, 8. Aufl. 2018, BGB § 199 Rn. 53). Das bedeutet hier, dass der Schadensersatzanspruch verjährt ist, soweit der Zeitraum bis zehn Jahre vor Klageeinreichung betroffen ist, also bis zum 25. Juli 2009. Mit Einreichung der Klage am 26. Juli 2019 trat gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB, § 167 ZPO die Hemmung der Verjährung ein. Schadensersatzansprüche werden jedoch erst für die Zeit seit dem 23. Oktober 2009 geltend gemacht.
  81. 3.
    Unabhängig vom Verschulden der Beklagten hat die Klägerin gegen diese für den Zeitraum vom 26. Juli 2009 bis zur Patenterteilung auch einen Anspruch auf Zahlung einer angemessenen Entschädigung dem Grunde nach, Art. II § 1 Abs. 1 IntPatÜG. Die Beklagte hat den Erfindungsgegenstand genutzt, obwohl sie wusste oder jedenfalls wissen musste, dass die benutzte Erfindung Gegenstand der Anmeldung des Klagepatents war.
  82. a)
    Soweit die Klägerin Entschädigungsansprüche für die Zeit vor dem 26. Juli 2009 geltend macht, sind diese nicht durchsetzbar, § 214 Abs. 1 BGB.
  83. Hier gilt die absolute Verjährung von zehn Jahren, also für Ansprüche, die bis zum 25. Juli 2009 entstanden sind. Es ist Art. II Abs. 1 IntPatÜG anwendbar, der die entsprechende Anwendung von § 141 PatG anordnet. Wegen der Einzelheiten wird im Übrigen auf die obigen Ausführungen unter Ziff. 3. b) verwiesen, wobei § 199 Abs. 4 BGB statt § 199 Abs. 3 BGB anwendbar ist, da es sich nicht um einen Schadensersatzanspruch handelt.
  84. b)
    Ein Restentschädigungsanspruch aus § 852 BGB kommt nicht in Betracht, weil der Entschädigungsanspruch keine unerlaubte Handlung voraussetzt.
    4.
    Der Klägerin steht gegen die Beklagte auch ein Anspruch auf Rechnungslegung und Auskunft zu, § 140b Abs. 1 PatG.
  85. a)
    Der Anspruch auf Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg der angegriffenen Ausführungsform ergibt sich auf Grund der unberechtigten Benutzung des Erfindungsgegenstands unmittelbar aus § 140b Abs. 1 PatG, der Umfang der Auskunftspflicht aus § 140b Abs. 3 PatG.
  86. b)
    Die weitergehende Auskunftspflicht und die Verpflichtung zur Rechnungslegung folgen aus §§ 242, 259 BGB, damit die Klägerin in die Lage versetzt wird, den ihr zustehenden Schadensersatzanspruch zu beziffern. Die Klägerin ist auf die tenorierten Angaben angewiesen, über die sie ohne eigenes Verschulden nicht verfügt, und die Beklagte wird durch die von ihr verlangten Auskünfte nicht unzumutbar belastet.
  87. c)
    Da der Rechnungslegungsanspruch auf dem Schadensersatzanspruch bzw. Entschädigungsanspruch basiert, verjährt er in gleichem Umfang, so dass die Verjährung für den Zeitraum bis zum 25. Juli 2009 eingetreten ist.
  88. 5.
    Die Klägerin hat schließlich gegen die Beklagte im tenorierten Umfang einen Anspruch auf Rückruf der patentverletzenden Vorrichtungen aus den Vertriebswegen und deren Vernichtung gemäß § 140a Abs. 1 und 3 PatG.
  89. V.
    Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 709 ZPO.
  90. VI.
    Der Streitwert wird auf 275.000,00 EUR festgesetzt.

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