4a O 31/19 – Modifiziertes Nucleotidmolekül

Düsseldorfer Entscheidungen Nr. 3067

Landgericht Düsseldorf

Urteil vom 3. November 2020, Az. 4a O 31/19

  1. Die Beklagten werden verurteilt,
    1.
    es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu € 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Falle mehrfacher Zuwiderhandlung bis zu insgesamt 2 Jahren, zu unterlassen,
    a)
    modifizierte Nucleotidmoleküle, umfassend eine Purin- oder Pyrimidinbase und eine Ribose- oder Desoxyribose-Zuckereinheit mit einer kovalent daran gebundenen, entfernbaren, 3′-OH-blockierenden Gruppe, so dass an dem 3′-Kohlenstoffatom eine Gruppe der Struktur
    -O-Z
    gebunden ist,
    wobei es sich bei Z um eines von -C(R‘)2-N(R“)2, -C(R‘)2-N(H)R“,
    und -C(R‘)2-N3 handelt,
    wobei es sich bei jedem R“ um eine entfernbare Schutzgruppe oder einen Teil davon handelt;
    es sich bei jedem R‘ unabhängig um ein Wasserstoffatom, eine Alkyl-, substituierte Alkyl-, Arylalkyl-, Alkenyl-, Alkinyl-, Aryl-, Heteroaryl-, heterozyklische, Acyl-, Cyano-, Alkoxy-, Aryloxy-, Heteroaryloxy- oder Amido-Gruppe oder eine durch eine verknüpfende Gruppe gebundene nachweisbare Markierung handelt; oder (R‘)2 eine Alkylidengruppe der Formel =C(R’“)2 darstellt, wobei jeder R'“ gleich oder unterschiedlich sein kann und aus der Gruppe ausgewählt ist, umfassend Wasserstoff- und Halogenatome und Alkylgruppen;
    und wobei das Molekül umgesetzt werden kann, um ein Zwischenprodukt zu ergeben, bei welchem jeder R“ gegen H ausgetauscht ist, wobei dieses Zwischenprodukt unter wässrigen Bedingungen dissoziiert, um ein Molekül mit einem freien 3′-OH hervorzubringen,
  2. in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen, oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen,
  3. insbesondere wenn,
    es sich bei Z um eine Azidomethylgruppe handelt;
    und/oder
    die Base mittels eines spaltbaren Linkers oder eines nicht spaltbaren Linkers mit einer nachweisbaren Markierung verknüpft ist;
    und/oder
    die Base mittels eines spaltbaren Linkers mit einer nachweisbaren Markierung verknüpft ist;
    und/oder
    es sich bei der nachweisbaren Markierung um ein Fluorophor handelt;
  4. b)
    Kits, umfassend
    (a)
    eine Vielzahl unterschiedlicher Nucleotide, wobei es sich bei der Vielzahl unterschiedlicher Nucleotide jeweils um
    modifizierte Nucleotidmoleküle, umfassend eine Purin- oder Pyrimidinbase und eine Ribose- oder Desoxyribose-Zuckereinheit mit einer kovalent daran gebundenen, entfernbaren, 3‘-OH-blockierenden Gruppe, so dass an dem 3′- Kohlenstoffatom eine Gruppe der Struktur
    -O-Z
    gebunden ist
    wobei es sich bei Z um eines von -C(R‘)2-N(R“)2, -C(R‘)2-N(H)R“, und -C(R‘)2-N3 handelt,
    wobei es sich bei jedem R“ um eine entfernbare Schutzgruppe oder einen Teil davon handelt;
    es sich bei jedem R‘ unabhängig um ein Wasserstoffatom, eine Alkyl-, substituierte Alkyl-, Arylalkyl-, Alkenyl-, Alkinyl-, Aryl-, Heteroaryl-, heterozyklische, Acyl-, Cyano-, Alkoxy-, Aryloxy-, Heteroaryloxy- oder Amido-Gruppe oder eine durch eine verknüpfende Gruppe gebundene nachweisbare Markierung handelt; oder (R‘)2 eine Alkylidengruppe der Formel =C(R“‚)2 darstellt, wobei jeder R'“ gleich oder unterschiedlich sein kann und aus der Gruppe ausgewählt ist, umfassend Wasserstoff- und Halogenatome und Alkylgruppen;
    und wobei das Molekül umgesetzt werden kann, um ein Zwischenprodukt zu ergeben, bei welchem jeder R“ gegen H ausgetauscht ist, wobei dieses Zwischenprodukt unter wässrigen Bedingungen dissoziiert, um ein Molekül mit einem freien 3‘-OH hervorzubringen;
    wobei
    die Base mittels eines spaltbaren Linkers oder eines nicht spaltbaren Linkers mit einer nachweisbaren Markierung verknüpft ist;
    und/oder
    die Base mittels eines spaltbaren Linkers mit einer nachweisbaren Markierung verknüpft ist;
    insbesondere wenn,
    es sich bei der nachweisbaren Markierung um ein Fluorophor handelt;
    handelt, und
    (b)
    Verpackungsmaterialien dafür;
  5. in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen,
  6. insbesondere wenn
    die nachweisbare Markierung bei jedem Nucleotid beim Nachweis von der nachweisbaren Markierung unterschieden werden kann, die für eine der anderen drei Nucleotidarten verwendet wird;
    und/oder
    das Kit ferner ein Enzym und für die Wirkung des Enzyms geeignete Puffer umfasst;
  7. c)
    Geräte,
    in der Bundesrepublik Deutschland zur Benutzung in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten oder zu liefern,
    die geeignet sind,
    (1)
    ein Verfahren zum Kontrollieren des Einbaus eines zu einem zweiten Nucleotid in einem einzelsträngigen Ziel-Polynucleotid komplementären
    modifizierten Nucleotidmoleküls, umfassend eine Purin- oder Pyrimidinbase und eine Ribose- oder Desoxyribose-Zuckereinheit mit einer kovalent daran gebundenen, entfernbaren, 3′-OH-blockierenden Gruppe, so dass an dem 3′-Kohlenstoffatom eine Gruppe der Struktur
    -O-Z
    gebunden ist,
    wobei es sich bei Z um eines von -C(R‘)2-N(R“)2, -C(R‘)2- N(H)R“, und -C(R‘)2-N3 handelt,
    wobei es sich bei jedem R“ um eine entfernbare Schutzgruppe oder einen Teil davon handelt;
    es sich bei jedem R‘ unabhängig um ein Wasserstoffatom, eine Alkyl-, substituierte Alkyl-, Arylalkyl-, Alkenyl-, Alkinyl-, Aryl-, Heteroaryl-, heterozyklische, Acyl-, Cyano-, Alkoxy-, Aryloxy-, Heteroaryloxy- oder Amido-Gruppe oder eine durch eine verknüpfende Gruppe gebundene nachweisbare Markierung handelt; oder (R´)2 eine Alkylidengruppe der Formel =C(R“‚)2 darstellt, wobei jeder R'“ gleich oder unterschiedlich sein kann und aus der Gruppe ausgewählt ist, umfassend Wasserstoff- und Halogenatome und Alkylgruppen;
    und wobei das Molekül umgesetzt werden kann, um ein Zwischenprodukt zu ergeben, bei welchem jeder R“ gegen H ausgetauscht ist, wobei dieses Zwischenprodukt unter wässrigen Bedingungen dissoziiert, um ein Molekül mit einem freien 3′-OH hervorzubringen;
    wobei
    die Base mittels eines spaltbaren Linkers oder eines nicht spaltbaren Linkers mit einer nachweisbaren Markierung verknüpft ist;
    und/oder
    die Base mittels eines spaltbaren Linkers mit einer nachweisbaren Markierung verknüpft ist;
    insbesondere, wenn
    es sich bei der nachweisbaren Markierung um ein Fluorophor handelt;
    bei einer Synthese- oder Sequenzierreaktion,
    umfassend das Einbauen des Nucleotids in das wachsende komplementäre Polynucleotid, wobei der Einbau des Nucleotids die Einführung darauffolgender Nucleosid- oder Nucleotidmoleküle in das wachsende komplementäre Polynucleotid verhindert oder blockiert;
    und/oder
    (2)
    ein Verfahren zum Bestimmen der Sequenz eines einzelsträngigen Ziel-Polynucleotids, umfassend das Überwachen des aufeinanderfolgenden Einbaus komplementärer Nucleotide, wobei es sich bei mindestens einem Einbau um den eines
    modifizierten Nucleotidmoleküls, umfassend eine Purin- oder Pyrimidinbase und eine Ribose- oder Desoxyribose-Zuckereinheit mit einer kovalent daran gebundenen, entfernbaren, 3′-OH-blocklerenden Gruppe, so dass an dem 3′- Kohlenstoffatom eine Gruppe der Struktur
    -O-Z
    gebunden ist,
    wobei es sich bei Z um eines von -C(R‘)2-N(R“)2, -C(R‘)2- N(H)R“, und –C(R´)2-N3 handelt,
    wobei es sich bei jedem R“ um eine entfernbare Schutzgruppe oder einen Teil davon handelt;
    es sich bei jedem R‘ unabhängig um ein Wasserstoffatom, eine Alkyl-, substituierte Alkyl-, Arylalkyl-, Alkenyl-, Alklnyl-, Aryl-, Heteroaryl-, heterozyklische, Acyl-, Cyano-, Alkoxy-, Aryloxy-, Heteroaryloxy- oder Amido-Gruppe oder eine durch eine verknüpfende Gruppe gebundene nachweisbare Markierung handelt; oder (R´)2 eine Alkylidengruppe der Formel =C(R’’‘)2 darstellt, wobei jeder R'“ gleich oder unterschiedlich sein kann und aus der Gruppe ausgewählt ist, umfassend Wasserstoff- und Halogenatome und Alkylgruppen;
    und wobei das Molekül umgesetzt werden kann, um ein Zwischenprodukt zu ergeben, bei welchem jeder R“ gegen H ausgetauscht ist, wobei dieses Zwischenprodukt unter wässrigen Bedingungen dissoziiert, um ein Molekül mit einem freien 3′-OH hervorzubringen;
    wobei
    die Base mittels eines spaltbaren Linkers oder eines nicht spaltbaren Linkers mit einer nachweisbaren Markierung verknüpft ist;
    und/oder
    die Base mittels eines spaltbaren Linkers mit einer nachweisbaren Markierung verknüpft ist;
    insbesondere, wenn
    es sich bei der nachweisbaren Markierung um ein Fluorophor handelt;
    handelt und wobei die Identität des eingebauten Nucleotids durch Nachweisen der mit der Base verknüpften Markierung bestimmt wird und die blockierende Gruppe und die Markierung vor der Einführung des nächsten komplementären Nucleotids entfernt werden;
    insbesondere wenn
    das Verfahren umfasst:
    a)
    Bereitstellen einer Vielzahl unterschiedlicher Nucleotide, wobei die Vielzahl unterschiedlicher Nucleotide jeweils
    modifizierte Nucleotidmoleküle, umfassend eine Purin- oder Pyrimidinbase und eine Ribose- oder Desoxyribose-Zuckereinhelt mit einer kovalent daran gebundenen, entfernbaren, 3′-OH-blockierenden Gruppe, so dass an dem 3′-Kohlenstoffatom eine Gruppe der Struktur
    -O-Z
    gebunden ist,
    wobei es sich bei Z um eines von -C(R‘)2-N(R“)2, -C(R‘)2- N(H)R“, und -C(R‘)2-N3 handelt,
    wobei es sich bei jedem R“ um eine entfernbare Schutzgruppe oder einen Teil davon handelt;
    es sich bei jedem R‘ unabhängig um ein Wasserstoffatom, eine Alkyl-, substituierte Alkyl-, Arylalkyl-, Alkenyl-, Alkinyl-, Aryl-, Heteroaryl-, heterozyklische, Acyl-, Cyano-, Alkoxy-, Aryloxy-, Heteroaryloxy- oder Amido-Gruppe oder eine durch eine verknüpfende Gruppe gebundene nachweisbare Markierung handelt; oder (R‘)2 eine Alkylldengruppe der Formel =C(R“‚)2 darstellt, wobei jeder R'“ gleich oder unterschiedlich sein kann und aus der Gruppe ausgewählt ist, umfassend Wasserstoff- und Halogenatome und Alkylgruppen;
    und wobei das Molekül umgesetzt werden kann, um ein Zwischenprodukt zu ergeben, bei welchem jeder R“ gegen H ausgetauscht ist, wobei dieses Zwischenprodukt unter wässrigen Bedingungen dissoziiert, um ein Molekül mit einem freien 3‘-OH hervorzubringen;
    wobei
    die Base mittels eines spaltbaren Linkers oder eines nicht spaltbaren Linkers mit einer nachweisbaren Markierung verknüpft ist;
    und/oder
    die Base mittels eines spaltbaren Linkers mit einer nachweisbaren Markierung verknüpft ist;
    insbesondere, wenn
    es sich bei der nachweisbaren Markierung um ein Fluorophor handelt;
    sind und wobei die nachweisbare Markierung, die mit jeder Nucleotidart verknüpft ist, von der nachweisbaren Markierung, die für andere Nucleotidarten verwendet wird, beim Nachweis unterschieden werden kann;
    b)
    Einbauen des Nucleotides in das Komplement des einzelsträngigen Ziel-Polynucleotids;
    c)
    Nachweisen der Markierung des Nucleotids nach (b), wodurch die Art des eingebauten Nucleotids bestimmt wird;
    d)
    Entfernen der Markierung des Nucleotides nach (b) und der blockierenden Gruppe und
    e)
    gegebenenfalls ein- oder mehrmaliges Wiederholen der Schritte (b) – (d) wodurch die Sequenz eines einzelsträngigen Ziel-Polynucleotids bestimmt wird;
    durchzuführen;
  8. 2.
    der Klägerin unter Vorlage eines einheitlichen, geordneten, elektronischen Verzeichnisses vollständig darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang die Beklagten die zu Ziffer I. 1 bezeichneten Handlungen seit dem X. X 2013 begangen haben, und zwar unter Angabe
    a)
    der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
    b)
    der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
    c)
    der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden,
    wobei die Beklagten Rechnungen und für den Fall, dass keine Rechnungen vorhanden sind, Lieferscheine vorzulegen haben, wobei die Vorlage von Kopien ausreichend ist und geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
  9. 3.
    der Klägerin unter Vorlage eines einheitlichen, geordneten, elektronischen Verzeichnisses vollständig darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die zu Ziffer I. 1 bezeichneten Handlungen seit dem 13. April 2013 begangen haben – wobei die Rechnungslegung in Bezug auf die Beklagte zu 1) auf die Benutzungsart des Anbietens beschränkt ist –, und zwar unter Angabe
    a) der einzelnen Lieferungen und Bestellungen, aufgeschlüsselt nach Typenbezeichnungen, Liefer- und Bestellmengen, -zeiten und -preisen sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer und der Verkaufsstellen, für welche die Erzeugnisse bestimmt waren,
    b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Typenbezeichnungen, Angebotsmengen, -zeiten und -preisen sowie der Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,
    c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Herstellungs- und Verbreitungsauflage, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
    d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns;
    wobei den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften ihrer nicht-gewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden, dieser gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten und in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten die durch dessen Einschaltung entstehenden Kosten übernehmen und ihn ermächtigen, der Klägerin auf Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter nicht-gewerblicher Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Rechnungslegung enthalten ist.
  10. 4.
    Die Beklagte zu 2) wird verurteilt, die vorstehend zu Ziffern I.1 a) und b) bezeichneten, seit dem 13. April 2013 im Besitz Dritter befindlichen Erzeugnisse aus den Vertriebswegen zurückzurufen, indem diejenigen gewerblichen Abnehmer, denen durch die Beklagte zu 2) oder mit deren Zustimmung Besitz an den Erzeugnissen eingeräumt wurde, unter Hinweis darauf, dass das Gericht mit dem hiesigen Urteil auf eine Verletzung des Klagepatents EP 1 530 XXX B1 erkannt hat, aufgefordert werden, die Erzeugnisse an die Beklagte zu 2) zurückzugeben und ihnen für den Fall der Rückgabe der Erzeugnisse eine Rückzahlung des gegebenenfalls bereits gezahlten Kaufpreises sowie die Übernahme der Kosten der Rückgabe verbindlich zugesagt wird.
  11. II.
    Es wird festgestellt, dass die Beklagten verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die unter Ziffer I.1 bezeichneten – seit dem 13. April 2013 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird, wobei der Schadensersatz in Bezug auf die Beklagte zu 1) auf die Benutzungsart des Anbietens beschränkt ist.
  12. III.
    Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
  13. IV.
    Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin zu 5% und den Beklagten zu 95% auferlegt.
  14. V.
    Das Urteil ist für die Klägerin vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 5.000.000,00.
    Darüber hinaus werden folgende Teilsicherheiten festgesetzt: Die Ansprüche auf Unterlassung und Rückruf (Ziff. I.1 und I.4 des Tenors) sind gemeinsam gesondert vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 3.750.000,00. Die Ansprüche auf Auskunft und Rechnungslegung (Ziff. I.2 und I.3 des Tenors) sind gemeinsam gesondert vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 500.000,00. Die Kostengrundentscheidung ist gesondert vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags.
    Für die Beklagten ist das Urteil vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 115% des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
  15. Tatbestand
  16. Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen Verletzung des Klagepatents EP 1 530 XXX B1 (Anlagen rop 1, rop 1a; nachfolgend: Klagepatent) auf Unterlassung, Auskunft, Rechnungslegung, Rückruf sowie Feststellung der Schadensersatzpflicht in Anspruch.
  17. Das Klagepatent wurde am 22. August 2003 angemeldet. Es nimmt die Priorität der Dokumente US XXX vom 23. August 2002, GB XXX vom 23. Dezember 2002 und GB XXX vom 20. Februar 2003 in Anspruch. Der Hinweis auf die Erteilung des Klagepatents wurde 13. März 2013 bekannt gemacht. Das Klagepatent steht in Kraft. Es war bereits Gegenstand eines Einspruchsverfahrens (Anlagen NiK 5; rop 15) und wurde aufrecht erhalten. Nachdem die dortige Einsprechende die Beschwerde zurücknahm, wurde die Entscheidung der Einspruchsabteilung rechtskräftig. Die Beklagte zu 1) hat unter dem 15. Oktober 2019 Nichtigkeitsklage (Anlage B 2) vor dem Bundespatentgericht erhoben, über die bislang noch nicht entschieden ist.
  18. Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch 1 des Klagepatents lautet in deutscher Übersetzung wie folgt:
  19. „Modifiziertes Nucleotidmolekül, umfassend eine Purin- oder Pyrimidinbase und eine Ribose- oder Desoxyribose-Zuckereinhelt mit einer kovalent daran gebundenen, entfernbaren, 3′-OH-blockierenden Gruppe, so dass an dem 3′-Kohlenstoffatom eine Gruppe der Struktur
  20. -O-Z
  21. gebunden ist,
  22. wobei es sich bei Z um eines von
  23. -C(R‘)2-N(R“)2,
    -C(R‘)2-N(H)R“,
    und -C(R‘)2-N3
  24. handelt,
  25. wobei es sich bei jedem R“ um eine entfernbare Schutzgruppe oder einen Teil davon handelt;
  26. es sich bei jedem R‘ unabhängig um ein Wasserstoffatom, eine Alkyl-, substituierte Alkyl-, Arylalkyl-, Alkenyl-, Alkinyl-, Aryl-, Heteroaryl-, heterozyklische, Acyl-, Cyano-, Alkoxy-, Aryloxy-, Heteroaryloxy- oder Amido-Gruppe oder eine durch eine verknüpfende Gruppe gebundene nachweisbare Markierung handelt; oder (R‘)2 eine Alkylidengruppe der Formel =C(R’“)2 darstellt, wobei jeder R'“ gleich oder unterschiedlich sein kann und aus der Gruppe ausgewählt ist, umfassend Wasserstoff- und Halogenatome und Alkylgruppen; und
  27. wobei das Molekül umgesetzt werden kann, um ein Zwischenprodukt zu ergeben, bei welchem jeder R“ gegen H ausgetauscht ist, wobei dieses Zwischenprodukt unter wässrigen Bedingungen dissoziiert, um ein Molekül mit einem freien 3′-OH hervorzubringen.“
  28. Anspruch 6, betreffend das Molekül, lautet in deutscher Übersetzung:
  29. „Molekül gemäß einem der vorhergehenden Ansprüche, wobei die Base mittels eines spaltbaren Linkers oder eines nicht spaltbaren Linkers mit einer nachweisbaren Markierung verknüpft ist.“
  30. Anspruch 25, betreffend die Kits, lautet in deutscher Übersetzung:
  31. „Kit, umfassend
    (a) eine Vielzahl unterschiedlicher Nucleotide, wobei es sich bei der Vielzahl unterschiedlicher Nucleotide jeweils um die in einem der Ansprüche 6 bis 10 definierten handelt, und
    (b) Verpackungsmaterialien dafür.“
  32. Der Verfahrensanspruch 12 lautet in deutscher Übersetzung:
  33. „Verfahren zum Kontrollieren des Einbaus eines wie in einem der Ansprüche 6 bis 10 definierten und zu einem zweiten Nucleotid in einem einzelsträngigen Ziel-Polynucleotid in einem einzelsträngigen Ziel-Polynucleotids komplementären Nucleotids bei einer Synthese- oder Sequenzierreaktion, umfassend das Einbauen des Nucleotids in das wachsende komplementäre Polynucleotid, wobei der Einbau des Nucleotids die Einführung darauffolgender Nucleosid- oder Nucleotidmoleküle in das wachsende komplementäre Polynucleotid verhindert oder blockiert.“
  34. Der Verfahrensanspruch 17 lautet in deutscher Übersetzung:
  35. „Ein Verfahren zum Bestimmen der Sequenz eines einzelsträngigen Ziel-Polynucleotids, umfassend das Überwachen des aufeinanderfolgenden Einbaus komplementärer Nucleotide, wobei es sich bei mindestens einem Einbau um den eines wie in einem der Ansprüche 6 bis 10 definierten Nucleotids handelt und wobei die Identität des eingebauten Nucleotids durch Nachweisen der mit der Base verknüpften Markierung bestimmt wird und die blockierende Gruppe und die Markierung vor der Einführung des nächsten komplementären Nucleotids entfernt werden.“
  36. Hinsichtlich der Unteransprüche 4, 7, 9, 19, 26 und 27, welche die Klägerin lediglich hilfsweise geltend macht, wird auf die Klagepatentschrift verwiesen.
  37. Die Beklagte zu 1) ist ein Biotechnologieunternehmen mit Sitz in A. Sie ist zusammen mit der B Co., Ltd. über zwischengeschaltete Gesellschaften eine 100%ige Tochter der Beklagten zu 2).
  38. Die Beklagte zu 2) ist die Muttergesellschaft der Beklagten zu 1) mit Sitz in C. Es besteht weitgehende Identität der gesellschaftlichen Organe.
  39. Zum Sortiment der Beklagten gehören u.a. vier verschiedene – der Unterschied besteht jeweils in der verwendeten Base – Arten von modifzierten Nucleotidmolekülen (nachfolgend: angegriffene Ausführungsform I), die sich in sogenannten Kits (nachfolgend: angegriffene Ausführungsform II) befinden. Die angegriffene Ausführungsform II ist ein Bestandteil von sog. Sequencing Sets, die beispielsweise die Bezeichnungen „D“, „E“ und „F“ tragen. Die Sets existieren in zwei Varianten als „G“ und „H“. Neben der angegriffenen Ausführungsform II enthalten die Sets noch eine Sequenzierungs-Flusszelle (Sequencing Flow Cell). Ferner stellt die Beklagte zu 2) Sequenziergeräte wie z.B. die Geräte mit der Bezeichnung „I“, „J“ und „F“ (nachfolgend: angegriffene Ausführungsform III), mit denen die Sequenzierung von DNA durch Synthese (SBS-Reaktion) durchgeführt werden kann, im Ausland her. Die angegriffene Ausführungsform III ist an die Universität X und die Universität Y von anderen Konzerngesellschaften, der L Co. Limited, und der B Co., Limited, geliefert worden (vgl. Anlagen rop 6, 7).
  40. Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Beklagte zu 1) das Klagepatent unmittelbar durch Angebot und Vertrieb der angegriffenen Ausführungsformen I und II verletze. Ferner handele es sich bei der angegriffenen Ausführungsform III, welche die angegriffene Ausführungsformen I für ihr Polynucleotidsequenzierungsverfahren verwende, um wesentliche Elemente der klagepatentgemäßen Erfindung, deren Angebot eine mittelbare Verletzung darstelle.
  41. Auf die Bedeutung der Merkmale, wonach das Molekül umgesetzt werden kann, um ein Zwischenprodukt zu ergeben, bei welchem jeder R´´ gegen H ausgetauscht ist und wobei dieses Zwischenprodukt unter wässrigen Bedingungen dissoziiert, komme es in dem anspruchsgemäßen Fall 3 von Z (= CH2-N3) nicht an, weil hier R´ bereits durch ein H-Atom ersetzt sei und der Stickstoff N bereits den Teil der entfernbaren Schutzgruppe darstelle, welcher entsprechend R´´ gegen H ausgetauscht werde und unter wässrigen Bedingungen dissoziiere.
  42. Die in den Sets verwendeten Nucleotide (dNTPs) seien Mischungen von modifizierten Nucleotiden (angegriffene Ausführungsform I) und wiesen anspruchsgemäß am dritten C-Atom des Zuckers eine Azidomethylgruppe als Blockiergruppe auf. Bei der Set-Variante „H“ würde die angegriffene Ausführungsform I mit der Bezeichnung „M“ in der angegriffenen Ausführungsform II unmarkiert verwendet, was dennoch eine Verletzung des Anspruchs 1 darstelle. Bei der Set-Variante „N“ enthielte die angegriffene Ausführungsform II eine Mischung der angegriffenen Ausführungsform I mit der Bezeichnung „O“, die nachweisbare Markierungen aufweise.
  43. Für die Sequenzierung mit der angegriffenen Ausführungsform III solle nach eigenen Angaben der Beklagten zu 2) im Benutzerhandbuch (Anlage rop 9, S. 27) nur Kits und Flusszellen der Beklagten zu 2) verwendet werden, also die angegriffene Ausführungsform II, aber keine Nucleotide anderer Hersteller. Die Geräte arbeiteten nach präzise vorgegebenen Protokollen, die eine Abstimmung der angegriffenen Ausführungsform III mit den Reagenzenkits erfordere. Auch die Verwendung der Variante „H“ der angegriffenen Ausführungsform II stelle eine patentgemäße Nutzung und keine freie Nutzung dar, weil immer noch Anspruch 1 verletzt werde. Die bloße theoretische, patentfreie Nutzungsmöglichkeit genüge nicht; die Beklagten würden indes keine Reagenzien anderer Hersteller nennen, die mit ihren Sequenzierungsgeräten kompatibel seien.
  44. Die Beklagte zu 1) habe im Rahmen einer Ausschreibung der P zur Ausstattung mehrerer Sequenzierzentren (in … und X) die angegriffene Ausführungsform III angeboten sowie an die Universität XYZ vertrieben. Sie habe auch die Lieferung eines Nachfolgemodells (X) in Aussicht gestellt. Ferner habe die Beklagte zu 1) für den Gebrauch der angegriffenen Ausführungsform III auch die angegriffenen Ausführungsformen I und II angeboten und geliefert.
  45. Die Beklagte zu 2) biete die angegriffenen Ausführungsformen auf ihrer Internetseite X (Anlage rop KE1) an. So könne Deutschland im Eingabeformular „X“ eingegeben werden. Ferner könne als Region neben C und Japan die Region „Global“ ausgewählt werden, wo im Übrigen auch die angegriffene Ausführungsform II in der Variante „H“ der Sets angezeigt werde. Ferner habe sie die angegriffene Ausführungsform III (unter der Bezeichnung „I“) ebenso wie die angegriffene Ausführungsform II im X 2018 auf der Messe „X“ in Q angeboten (vgl. Anlage rop KE2). Auch auf der X 2019 habe die Beklagte zu 2) die angegriffene Ausführungsform III – nur unter der neuen Bezeichnung F – angeboten.
  46. Am 17. Dezember 2019 habe die Beklagte zu 2) die angegriffene Ausführungsform III ebenfalls auf einer Werbeveranstaltung in Q angeboten (vgl. rop 11, S. 7 ff.).
  47. Die Beklagte zu 2) sei als Herstellerin weltweit für die Vermarktung und den Vertrieb der Produkte zuständig und sei für Lieferungen an deutsche Abnehmer ebenso verantwortlich wie für die Betreuung vor Ort während und nach der Installation von Geräten (vgl. Anlage rop 9). Die angegriffene Ausführungsform III sei zwingend vom technischen Support der Beklagten zu 2) zu installieren und eine „Customer Pre-installation Checkliste“ sei an die Beklagte zu 2) vor Anlieferung zu senden (vgl. Anlage rop 10, S. 2, 16 und Anhang). Weitergehende Unterstützung erfolge per Hotline, online oder über eine Servicestation, wobei sich eine solche in X befinde. Die Unterstützungsmöglichkeiten würden von der Beklagten zu 2) auf ihrer Internetseite angeboten ebenso wie spezielle Serviceprogramme. Auch der After-Sales-Service stelle den Vertrieb unterstützende Handlungen dar. Die Beklagte zu 2) bediene sich für den Vertrieb ihrer Geräte in X zudem konzernverbundener Unternehmen in X (vgl. Anlage rop 8) oder Drittunternehmen, die jeweils den Weisungen der Beklagten zu 2) unterlägen. In einem einstweiligen Verfügungsverfahren in X habe die Beklagte zu 2) über ihren Bevollmächtigten erklärt, dass sie die Sequenzierungsgeräte und Kits herstelle und aufgrund der Devisenvorschriften an die B Co., Limited und die L Co., Limited liefere, die diese an Kunden in X und in Übersee vertreibe.
  48. Die Beklagte zu 1) fungiere als europäische Bevollmächtigte für die CE-Kennzeichnung, weil sie als X (authorised representative) auf der Verpackung der angegriffenen Ausführungsform III angegeben wird. Damit sei sie Teilnehmerin der Benutzungshandlung. Ferner werde sie als Ansprechpartner und als Ersatzteilliefererantin auf der Internetseite der Beklagten zu 2) unter Angabe einer ihrer Telefonnummern genannt und auch in der Produktbroschüre der angegriffenen Ausführungsform III als Ansprechpartner angegeben.
  49. Das Verfahren sei nicht in Bezug auf die Nichtigkeitsklage auszusetzen, da sich das Klagepatent als rechtsbeständig erweisen werde.
  50. Den ursprünglich ebenfalls angekündigten Antrag auf Vernichtung hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen.
  51. Die Klägerin beantragt nunmehr,
  52. – wie erkannt – ,
  53. mit Ausnahme des auch gegen die Beklagten zu 1) gerichteten Rückrufanspruchs und des auf alle Benutzungshandlungen gerichteten Rechnungslegungs- und Schadensersatzanspruchs hinsichtlich der Beklagten zu 1).
  54. Die Beklagten beantragen,
  55. die Klage abzuweisen;
  56. hilfsweise:
    den Rechtsstreit bis zur Entscheidung des Bundespatentgerichts über die von der Beklagten am 15. Oktober 2019 gegen das Klagepatent eingereichte Nichtigkeitsklage auszusetzen.
  57. Die Beklagten sind der Ansicht, eine Verletzung des Klagepatents scheide aus.
  58. Der Anspruch 1 des Klagepatents fordere, dass die Ausgangsstruktur des Moleküls stofflich dazu geeignet sein müsse, durch den anspruchsgemäßen Austausch von R´´ gegen H ein Zwischenprodukt zu ergeben, das unter wässrigen Bedingungen dissoziiert, um ein Molekül mit einem freien 3´-OH hervorzubringen. Darauf sei der Anspruch beschränkt.
  59. Die angegriffene Ausführungsform I stelle keine Nucleotide mit einer R´´-Schutzgruppe dar, so dass diese für eine anspruchsgemäße Umsetzung nicht geeignet seien. Insofern verfüge auch die angegriffene Ausführungsform II nicht über klagepatentgemäße Nucleotide und die angegriffene Ausführungsform III verwende diese nicht bei der Durchführung der SBS-Verfahren.
  60. Die angegriffene Ausführungsform II verletze in ihrer Variante „H“ darüber hinaus nicht die Ansprüche 6, 12, 17 und 25. Bei dem hier verwendeten Antikörper handele es sich weder um einen klagepatentgemäßen Linker noch um eine klagepatentgemäße Markierung.
  61. Die angegriffene Ausführungsform III könnte auch mit Nucleotiden von verschiedenen Herstellern betrieben werden. Sie seien nicht auf eine Verwendung mit den von der Beklagten zu 2) hergestellten Nucleotide beschränkt. Insofern scheide ein Schlechthinverbot aus. Da die Kits der Variante „H“ durch eine Verurteilung aufgrund der unmittelbaren Verletzung des Anspruchs 1 nicht mehr vertrieben werden dürften, habe die Klägerin auch kein berechtigtes Interesse an einem Schlechthinverbot.
  62. Die Internetseite der Beklagten zu 2) sei rein englischsprachig, eine Bestellmöglichkeit sei nicht vorhanden, so dass es am notwendigen Inlandsbezug fehle. Da die Beklagte zu 1) nicht in Deutschland aktiv sei, genüge ihre Angabe als Kontakt für Europa nicht. Vielmehr könne man auf der Internetseite die den Tätigkeitsbereich der Beklagten beschreibenden Regionen aufrufen, unter denen – insoweit unstreitig – Deutschland nicht genannt ist (vgl. Anlage B 3). Auch der globale Kundenservice führe Deutschland nicht auf (vgl. Anlage B4). Schließlich befinden sich – insoweit ebenfalls unstreitig – unter den Händlerangaben keine Händler aus Deutschland (vgl. Anlage B5).
  63. Es sei nicht ersichtlich, dass die Gebrauchsanweisung (Anlage rop 9) zu einem nach Deutschland gelieferten Gerät gehöre. Die Serviceleistungen seien regional abweichend, zumal Deutschland auf der Kontaktseite gerade nicht genannt sei. Es gebe in der Rubrik „X“ gerade keine Ländervorgabe.
  64. Auch der Messeauftritt der R-Gruppe auf der „X“ 2018 stelle keine Verletzungshandlung der Beklagten zu 2) dar. Die seitens der Klägerin überreichten Fotos ließen die ausgestellten Kits nicht erkennen. Abgesehen davon seien auf der Messe nur leere Verpackungen mangels notwendiger Lagerungstemperaturen ausgestellt gewesen. Außerdem sei es unstreitig so, dass die Klägerin die Verletzungshandlungen der Beklagten in Deutschland nicht beweisen könne, weil sie ein Discovery-Verfahren in den USA angestrengt hätten, wo sie selbiges zugestanden habe. Der Vortrag der Klägerin im Hinblick auf das Angebot der angegriffenen Ausführungsform III sei unsubstantiiert. Abgesehen davon habe es sich auch bei den Sequenzierungsgeräten nur um Atrappen gehandelt. Jedenfalls habe kein Anbieten an Kunden vorgelegen. Dem Messebericht sei nur zu entnehmen, dass die Geräte mitgebracht worden seien.
  65. Die Werbeveranstaltung im Dezember 2019 in Q sei rein informativ gewesen, ein Verkauf wäre nicht konkret angeboten worden, insbesondere nicht der angegriffenen Ausführungsform II. Es seien auch keine Mitarbeiter der Beklagten zu 2) bei der Präsentation anwesend gewesen.
  66. Die Beklagte zu 1) sei ebenfalls nicht an dem angeblichen Vertrieb der Beklagten zu 2) beteiligt. So sei die Beklagte zu 1) auch nicht als Vertriebsunternehmen/Händler der Beklagten zu 2) auf deren Internetseite genannt. Die CE-Kennzeichnung stelle ebenso wenig eine patentverletzende Handlung dar wie der Umstand, dass die Beklagte zu 2) in Erfüllung der regulatorischen Vorgaben die Beklagte zu 1) als Bevollmächtigte für die CE-Kennzeichnung in den Produktbeilagen aufführt. Die allgemeine Angabe in der Produktbroschüre der angegriffene Ausführungsform III, wonach es verschiedene Support-Center in A gebe, nenne weder die Beklagte zu 1) noch sei damit ein Bezug zu angeblich patentverletzenden Handlungen in Deutschland hergestellt. Dies gelte ebenfalls für die Telefonnumer der Hotline und die Angabe der Beklagten zu 1) für den Customer Service auf der Internetseite. Es fehle zudem eine explizite Benennung der Beklagten zu 1) als Ersatzteillieferant.
  67. Schließlich werde sich das Klagepatent nicht als rechtsbeständig erweisen, sondern wegen mangelnder Erfindungshöhe vernichtet werden.
  68. Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird ergänzend auf die Schriftsätze der Parteien samt Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 13. Oktober 2020 Bezug genommen.
  69. Entscheidungsgründe
  70. Die Klage ist zulässig und weit überwiegend begründet.
  71. Die Klägerin hat aufgrund der Verletzungshandlungen der Beklagten zu 1) und zu 2) im tenorierten Umfang die geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft, Rechnungslegung, Rückruf sowie Schadensersatz dem Grunde nach aus Art. 64 EPÜ i. V. m. §§ 9, 139 Abs. 1 und 2, 140a Abs. 3, 140b PatG, §§ 242, 259 BGB. Die angegriffene Ausführungsform I verletzt Anspruch 1 unmittelbar. Die angegriffene Ausführungsform II verletzt lediglich in der Variante „G“ den Anspruch 25 unmittelbar, nicht jedoch in der Variante „H“.
  72. Die Beklagten bieten die angegriffene Ausführungsform I und II an und die Beklagte zu 2) vertreibt diese auch. Lediglich eine Vertriebshandlung der Beklagten zu 1) ist nicht ersichtlich, so dass der Rückrufanspruch sich nur gegen die Beklagte zu 2) richtet.
  73. Die Klägerin hat weiter aufgrund der Verletzungshandlungen der Beklagten zu 1) und zu 2) Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft, Rechnungslegung und Schadensersatz dem Grunde nach aus Art. 64 EPÜ i. V. m. §§ 10, 139 Abs. 1 und 2, 140b PatG, §§ 242, 259 BGB wegen mittelbarer Patentverletzung. Die angegriffene Ausführungsform III stellt ein wesentliches Mittel der Erfindung iSd § 10 PatG dar, das objektiv dazu geeignet ist, für die klagepatentgemäßen Verfahren der Ansprüche 12 und 17 verwendet zu werden. Die Beklagte zu 2) hat die angegriffenen Ausführungsformen III sowohl angeboten als auch über dritte Konzerngesellschaften vertrieben. Die Beklagte zu 1) hat ebenfalls die angegriffene Ausführungsform III angeboten und ihr Inverkehrbringen jedenfalls gefördert.
  74. I.
    Das Klagepatent betrifft modifizierte Nucleotide mit einer entfernbaren Schutzgruppe, deren Verwendung in Polynucleotid-Sequenzierungsverfahren und ein Verfahren für die chemische Entschützung der Schutzgruppe.
  75. Im Stand der Technik waren bereits Technologien für die Charakterisierung von Molekülen oder ihren biologischen Reaktionen bekannt, wie beispielsweise die Entwicklung künstlich hergestellter Arrays mit immobilisierten Nukleinsäuren, die in einer hochdichten Matrix vorliegen (vgl. Absatz [0003] des Klagepatents; nachfolgend sind Absätze ohne Quellenangaben solche des Klagepatents), wie sie X. offenbart sind. Künstliche Arrays können – so das Klagepatent – auch durch die Technik „Spotting“ hergestellt werden, bei der bekannte Polynucleotide an vorherbestimmten Positionen auf einen Träger aufgebracht werden (z.B. X).
  76. Die Methode „sequencing by synthesis“ (SBS) erfordert laut dem Klagepatent idealerweise den kontrollierten, einzelnen Einbau des richtigen komplementären Nucleotidgegenstücks zu dem Oligonukleotid, das sequenziert wird. Dadurch wird eine korrekte Sequenzierung durch das Hinzufügen von Nucleotiden in Vielfachzyklen ermöglicht, da jeder Nucleotidrest jeweils einzeln sequenziert wird und eine unkontrollierte Einbaufolge verhindert wird (vgl. Absatz [0004]). Das Nucleotid wird markiert und dann gelesen, wobei vor dem nachfolgenden Zyklus die Markierung entfernt wird. Für die Sicherung des einzelnen Einbaus bedarf es einer Strukturmodifikation des Nucleotids durch eine sog. „blockierende Gruppe“, wobei diese unter Reaktionsbedingungen entfernbar sein muss, um die sich in Sequenzierung befindliche DNA nicht zu beeinträchtigen (vgl. Absatz [0004]). Das Klagepatent erläutert, dass der gesamte Prozess, um von praktischem Nutzen zu sein, in hochspezifischen chemischen und enzymatischen Prozessen mit hohem Ertrag bestehen sollte, um so eine hohe Anzahl von Sequenzzyklen zu ermöglichen.
  77. Das Klagepatent führt aus, dass im Stand der Technik üblicherweise eine 3´-OH-blockierende Gruppe verwendet wurde, damit die Polymerase, die für den Einbau in ein Polynucleotidkette verwendet wird, davon abgehalten wird, mit der Replizierung fortzufahren, sobald die Base dem Nucleotid hinzugefügt wurde. Diese Blockiergruppe muss für ihre Eignung mehrere Eigenschaften aufweisen: Sie muss komplett jeglichen sekundären oder weiteren Einbau blockieren können, leicht – also ohne Beschädigung der Polynucleotidkette – entfernbar sein und von der Polymerase oder einem anderen eingesetzten Enzym toleriert werden. Die leichte Entfernbarkeit bezeichnet das Klagepatent als Entschützung. Diese strengen Anforderungen stellen laut dem Klagepatent eine enorme Herausforderung an die Gestaltung und Synthese der jeweiligen modifizierten Nucleotide dar (vgl. Absatz [0005]).
  78. Reversible blockierende Gruppen waren im Stand der Technik bekannt, aber keine erfüllte alle genannten Anforderungen.
  79. X et al. offenbarte die Synthese und Verwendung von acht 3´-modifzierten-DNTPs und testete sie in zwei DNA-Muster-Arrays auf ihre Einbauaktivität. Sie enthielten 3´-Allyl dATP. Das Klagepatent kritisiert, dass ein vollständiger Zyklus bestehend aus Terminierung, Entschützung und Wiederbeginn der DNA-Synthese von Metzker et. al nicht gezeigt wird, sondern nur die Ergebnisse in einem einzigen Terminierungs-Assay, wobei acht Assays mit unterschiedlichen Polymerasen getestet wurden (vgl. Absatz [0007]).
  80. Die Entgegenhaltung WO XXX (Anlage NiK 11 zur Anlage B 2 (Ju); nachfolgend NiK 11) beschreibt ein Sequenzierungsverfahren, das die Verwendung von Allyl-Schutzgruppen umfassen kann, um die 3´-OH Gruppe auf einem wachsenden DNA-Strang zu deckeln (sog. Capping). Die Allyl-Gruppe wird gemäß dem Metzker-Prozess (infra) eingeführt und es wird angegeben, dass sie unter Verwendung der von Kamal et. al. berichteten Methodologie entfernt wird (vgl. Absatz [0008]). Die Entschützungsmethode von Kamal verwendet Natriumiodid und Chloro-Trimethylsiland, um in situ Iodotri-Methysilan in Acetonitril-Lösungsmittel zu generieren, wobei mit Natrium-Thiosulfat gelöscht wird. Nach Extraktion zu Ehylacetat und Trocknung und darauf folgender Konzentration unter Unterdruck und Säulenchromotographie wurden freie Alkohole mit einem Ertrag von 90-98% erhalten. Ju schlägt die Anwendung der Kamal-Allylentschützung unmittelbar und ohne Modifizierung in der DNA-Sequenzierung vor, wobei die Kamal-Bedingungen mild und spezifisch sind (vgl. Absätze [0009], [0010]).
  81. Das Klagepatent kritisiert, dass weder X noch Y tatsächlich die Entschützung der 3´-allylierten-Hydroxylgruppen im Zusammenhang mit einem Sequenzierungsprotokoll lehren. Die Verwendung einer Allylgruppe als Hydroxyl-Schutzgrppe war zwar im Stand der Technik bekannt, aber es gab keine konkrete Ausführung einer erfolgreichen Spaltung einer 3´-Allyl-Gruppe unter DNA-kompatiblen Bedingungen, bei denen die Integrität der DNA nicht vollumfänglich oder teilweise zerstört wurde. Das Klagepatent führt hierzu aus, dass es nicht möglich war, DNA-Sequenzierung unter Verwendung von 3´OH Allyl-blockierten Nucleotiden durchzuführen (vgl. Absatz [0011]). Laut dem Klagepatent war hierzu auch die Kamal-Methode nicht geeignet, da das TMS-Chlorid hydrolysiert und so die in situ Generierung von TMS-Iodid verhindert (vgl. Absatz [0012]).
  82. Das Klagepatent weist ohne explizite Formulierung einer Aufgabe darauf hin, dass die Erfindung auf einer überraschenden Entwicklung einer Reihe von reversiblen blockierenden Gruppen und Verfahren beruht, die unter DNA-Bedingungen entschützt werden können. Die Erfindung zeichnet sich durch die breite Anwendbarkeit in der Entschützung buchstäblich jeglicher allylgeschützter Funktionalität aus und lasse sich – im Gegensatz zu der Kamal-Methode – auch in wässriger Lösung durchführen. Weiter bestünde die Erfindung aus der Entwicklung einer neuen Klasse von Schutzgruppen, basierend auf Azetalen und verwandten Schutzgruppen, ohne die Nachteile der Azetal-Entschützung aufzuweisen. Deren Entschützung erfolgte nur unter stark säurehaltigen Bedingungen, die den DNA-Molekülen schadeten. Die Hydrolyse des Acetals führt nach dem Klagepatent allerdings zur Bildung eines instabilen hemi-acetalischen Zwischenprodukts, das unter wässrigen Bedingungen zur natürlichen Hydroxyl-Gruppe (OH) hydrolysiert. Dieses Konzept macht sich die Erfindung zur Nutze (vgl. Absatz [0017]).
  83. Entsprechend sieht das Klagepatent ein modifziertes Nucloetidmolekül mit folgenden Merkmalen gemäß Anspruch 1 vor:
  84. 1 Modifiziertes Nucleotidmolekül, umfassend
  85. 1.1 eine Purin- oder Pyrimidinbase und
  86. 1.2 eine Ribose- oder Desoxyribose-Zuckereinheit
  87. 1.3 mit einer kovalent daran gebundenen, entfernbaren, 3’-OH-blockierenden Gruppe,
  88. 1.3.1 so dass an dem 3’-Kohlenstoffatom eine Gruppe der Struktur -O-Z gebunden ist,
  89. 1.3.2 wobei es sich bei Z um eines von
    -C(R’)2-N(R“)2,
    -C(R’)2-N(H)R“, und
    -C(R’)2-N3 handelt,
  90. 1.3.3 wobei es sich bei jedem R“ um eine entfernbare Schutzgruppe oder einen Teil davon handelt;
  91. 1.3.4a es sich bei jedem R’ unabhängig um ein Wasserstoffatom, eine Alkyl-, substituierte Alkyl-, Arylalkyl-, Alkenyl-, Alkinyl-, Aryl-, Heteroaryl-, heterozyklische, Acyl-, Cyano-, Alkoxy-, Aryloxy-, Heteroaryloxy- oder Amido-Gruppe oder eine durch eine verknüpfende Gruppe gebundene nachweisbare Markierung handelt; oder
  92. 1.3.4b (R’)2 eine Alkylidengruppe der Formel =C(R’“)2 darstellt, wobei jeder R’“ gleich oder unterschiedlich sein kann und aus der Gruppe ausgewählt ist, umfassend Wasserstoff- und Halogenatome und Alkylgruppen; und
  93. 1.3.5 wobei das Molekül umgesetzt werden kann, um ein Zwischenprodukt zu ergeben, bei welchem jeder R“ gegen H ausgetauscht ist,
  94. 1.3.5.1 wobei dieses Zwischenprodukt unter wässrigen Bedingungen dissoziiert, um ein Molekül mit einem freien 3’-OH zu hervorzubringen.
  95. II.
    Die Beklagten bieten die angegriffene Ausführungsform I und II an. Die angegriffenen Ausführungsformen I und II verwirklichen die Lehre des Klagepatents hinsichtlich der Anspruchs 1 und des Anspruchs 25, bis auf die angegriffene Ausführungsform II in der Variante „H“.
  96. 1.
    Die Parteien streiten über die Anforderungen des Klagepatents an die entfernbare Schutzgruppe und deren Entschützung (Merkmale 1.3.3, 1.3.5, 1.3.5.1 des Anspruchs 1). Alle anderen Merkmale des Anspruchs 1 sowie der Ansprüche 12, 17 und 25 sind zu Recht zwischen den Parteien unstreitig, so dass es weiterer Ausführungen hierzu nicht bedarf.
  97. a)
    Kern der Erfindung ist die Modifizierung des anspruchsgemäßen Nucleotidmolekül durch die 3´-OH-blockierende Gruppe gemäß Merkmal 1.3 des Anspruchs 1, die durch eine entfernbare Schutzgruppe besonders charakterisiert ist (Merkmal 1.3.3).
  98. Hiernach handelt es sich um eine an die Zuckereinheit (Merkmal 1.2) gebundene, entfernbare und 3´OH-blockierende Gruppe. Diese Gruppe weist die Struktur -O-Z- auf. Die beanspruchte Gruppe der Struktur -O-Z- gewährleistet allgemein, dass z.B. bei Sequenzierungsreaktionen in einem Synthesezyklus die Polymerase davon abgehalten wird, mehr als ein einzelnes Nucleotid in die Polynucleotidkette einzubauen, in dem sie die 3´er OH-Gruppe blockiert (vgl. Absätze [0026], [0049]).
  99. Das Merkmal 1.3.2 zeigt drei verschiedene Fälle der Struktur Z auf. Die verschiedenen Strukturen haben eines gemeinsam, nämlich eine entfernbare Schutzgruppe oder Teile einer entfernbaren Schutzgruppe R´´ (Merkmal 1.3.3). Dabei kann die entfernbare Schutzgruppe oder Teile davon auch aus Stickstoffatomen bestehen, wie es der Wortlaut des Merkmals 1.3.2 in Fall 3 explizit zeigt, nämlich wenn Z die Struktur C(R´)2-N3 aufweist. Hier wird der Teil der Schutzgruppe R´´ durch den Teil der Schutzgruppe N3 ersetzt. Entgegen der Ansicht der Beklagten stellt auch eine solche Ausgangsstruktur eine anspruchsgemäße Molekülstruktur dar. Eine Beschränkung auf die Schutzgruppe R´´ wird der Fachmann dem Anspruch an dieser Stelle gerade nicht entnehmen. Die alternativen Merkmale 1.3.4a und 1.3.4b charakterisieren weiter, welche Stoffgruppen R´ bzw. R´2 darstellen können. So kann es sich bei R´ ausweislich des Merkmals 1.3.4a auch um ein Wasserstoffatom H handeln (vgl. auch Absatz [0056]), so dass die Struktur Z des Falls 3 sodann lautet: -CH2-N3. Genau dieser Fall ist nochmals bevorzugt in Unteranspruch 4 hervorgehoben, laut dem es sich bei Z ebenfalls um eine Azidomethylgruppe handelt. Gleiches ergibt sich aus Absatz [0058], wo es heißt:
  100. „Ein Beispiel von Gruppen mit der Struktur -O-Z wobei Z -C(R´)2-N(R´´)2 ist, sind diejenigen Gruppen, bei denen – N(R´´)2 Azido (-N3) ist. Ein bevorzugtes derartiges Beispiel ist Azido-Methyl, wobei jeder R´ H ist. […]“
  101. Die Schutzgruppe – im zuvor genannten Fall also die Azidomethylgruppe – zeichnet sich dadurch aus, dass sie die blockierende Gruppe mit der Struktur -O-Z- zunächst stabilisiert, aber zu einem späteren Zeitpunkt – nach Einbau des Nucleotidmoleküls in das Polynucleotid – entfernt werden kann, ohne die Polynucleotidkette zu beschädigen (vgl. Absatz [0017]).
  102. Nach der Entschützung ist die blockierende Gruppe nicht mehr an das 3´er Ende der Zuckereinheit gebunden und es ist nunmehr möglich, ein anderes Nucleotid in die freie 3´-OH-Gruppe einzubauen (vgl. Absatz [0028]). Die schonende Entfernung wird durch die Eigenschaft der Stoffgruppe bedingt, normalerweise unter wässrigen Bedingungen zu hydrolysieren (vgl. Absatz [0017]). Dies ergibt sich zum einen aus den funktionalen Merkmalen 1.3.5 und 1.3.5.1 des Klagepatentanspruchs 1. Danach kann durch das Umsetzen des Nucleotids ein Zwischenprodukt entstehen, das unter wässrigen Bedingungen dissoziiert, um ein Molekül mit einem freien 3´-OH hervorzubringen. Zum anderen entnimmt der Fachmann der Beschreibung des Klagepatents in Absatz [0057], dass die produzierten Intermediate unter wässrigen Bedingungen vorteilhafterweise zurück zu ihrer natürlichen 3´Hydroxy-Struktur (OH-Gruppe am 3´er Ende der Riboseinheit) dissoziieren, die den weiteren Einbau eines anderen Nucleotids ermöglichen. Das anspruchsgemäße Umsetzen des Moleküls (Merkmal 1.3.5) wird anhand der Azidomethylgruppe konkret in Absatz [0060] beschrieben. Danach wird die Azido-Gruppe in eine Amino-Gruppe umgewandelt, indem solche Moleküle mit Phosphinen oder Stickstoff enthaltenden Phosphinen oder mit Thiolen, insbesondere wasserlöslichen Thiolen wie Dithiothreitol (DTT), in Kontakt gebracht werden. Hierbei wird die Azido-Funktion N3 in eine primäre Amino-Funktion –NH2 überführt. Dies entspricht der anspruchsgemäßen Charakterisierung des Zwischenprodukts, bei welchem jeder R´´ gegen H ausgetauscht wird. Wie gesehen liegt im Falle der Azidomethylgruppe anstatt R´´ N3 vor. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass nicht R´´ ausgetauscht wird, sondern N3. Denn der Fachmann erkennt, dass in der anspruchsgemäßen Fallvariante 3 die Azidogruppe R´´ ersetzt und funktional den gleichen technischen Erfolg bewirkt. Denn die nunmehr entstandene Aminofunktion stellt ein Zwischenprodukt (Merkmale 1.3.5, 1.3.5.1) – ein Hemiaminal – dar, das instabil ist und im wässrigen Milieu spontan unter Erhalt des entschützten Nucleotids mit einer freien 3´er OH-Gruppe zerfällt (vgl. Anlage B2 (Nichtigkeitsklage), Rn. 82; Abbildung aus der Schrift GB XXX, Bl. 218 GA). Bei der Schutzgruppe handelt es sich um eine sog. maskierte Hemiaminal-Funktion. Solche Gruppen werden in der organischen Synthesereaktion für die vorübergehende Maskierung der charakteristischen Chemie einer Funktionsgruppe verwendet, da diese mit einer anderen Reaktion interferiert (vgl. Absatz [0017]). Um eine vorzeitige Entschützung zu verhindern, ist die Aminogruppe mittels der Azido-Funktion „maskiert“. Gleichzeitig birgt die Verwendung der Azidomethylgruppe den Vorteil, dass die leichte Abspaltbarkeit der Schutzgruppe nicht zu einer Denaturierung der DNA führt, die einen Abbruch des Syntheszyklus zur Folge hätte.
  103. b)
    Nach diesen Grundsätzen handelt es sich bei der angegriffenen Ausführungsform I um modifizierte Nucleotidmoleküle gemäß Anspruch 1, weil sie am dritten C-Atom des Zuckers eine Azidomethylgruppe als Blockiergruppe aufweisen. Dem ist die Beklagte auch nicht mehr anderweitig entgegengetreten.
  104. c)
    Weiter verletzt die angegriffene Ausführungsform II – mit Ausnahme der Set-Variante „H“ – Anspruch 25 des Klagepatents. Im Hinblick auf die Auslegung des Anspruchs 25 wird auf die Ausführungen unter Ziffer II. a) Bezug genommen. Anspruch 25 ist ausschließlich rückbezogen auf die Unteransprüche 6-10, so dass zwingende Voraussetzung für ein anspruchsgemäßes Kit ist, dass die verwendeten Nucleotide Markierungen enthalten. Die angegriffene Ausführungsform II in der Set-Variante „N“ enthält unstreitig die Mischung von Nucleotiden mit der Bezeichnung „O“, welche nachweisbare Markierungen aufweisen. Dies ist bei der angegriffenen Ausführungsform II in der Set-Variante „H“ unstreitig nicht der Fall.
  105. 3.
    Beide Beklagten sind im Hinblick auf die angegriffene Ausführungsformen I und II passiv legitimiert, weil sie das Klagepatent durch ihr Anbieten widerrechtlich benutzt haben. Eine Vertriebshandlung hat die Klägerin allerdings lediglich hinsichtlich der Beklagten zu 2) substantiiert dargetan.
  106. a)
    Die Beklagte zu 2) bietet an und vertreibt die angegriffenen Ausführungsformen I und II.
  107. aa)
    Die Beklagte zu 2) bietet die angegriffenen Ausführungsformen I und II auf ihrer Internetseite (vgl. Anlagen rop KE 1, rop 16) an. Ferner lag auch eine Angebotshandlung auf der Messe „X“ im Jahr 2018 (Anlage rop KE 2) in Q vor.
  108. (1)
    Das Anbieten ist eine eigenständige Benutzungsart neben diesen Handlungen, die selbstständig zu beurteilen und für sich allein anspruchsbegründend ist (vgl. BGH, GRUR 2003, 1031 – Kupplung für optische Geräte; GRUR 2006, 927, 928 – Kunststoffbügel; GRUR 2007, 221, 222 – Simvastin; X, GRUR 2004, 417, 419 – Cholesterinspiegelsenker). Der Begriff des Anbietens ist rein wirtschaftlich zu verstehen. Er umfasst jede im Inland begangene Handlung, die nach ihrem objektiven Erklärungswert den Gegenstand der Nachfrage in äußerlich wahrnehmbarer Weise zum Erwerb der Verfügungsgewalt bereitstellt (BGH, GRUR 2006, 927 – Kunststoffbügel; X, BeckRS 2014, 16067). Maßgeblich ist, ob mit der fraglichen Handlung tatsächlich eine Nachfrage nach dem schutzrechtsverletzenden Gegenstand geweckt wird, die zu befriedigen mit dem Angebot in Aussicht gestellt wird (X, GRUR-RS 2014, 16067). Voraussetzung für ein Anbieten ist grundsätzlich nicht das tatsächliche Bestehen einer Lieferbereitschaft (BGH, GRUR 2003, 1031, 1032 – Kupplung für elektrische Geräte) oder ob das Angebot Erfolg hat, es also nachfolgend zu einem Inverkehrbringen kommt (OLG Düsseldorf, Urteil vom 6. Oktober 2016, Az. I-2 U 19/16, m.w.N.). Ein Mittel für das Anbieten ist auch die bloße Bewerbung eines Produkts im Internet, da dies bereits dazu bestimmt und geeignet ist, Interesse an dem beworbenen Gegenstand zu wecken und diesen betreffende Geschäftsabschlüsse zu ermöglichen (X, GRUR-RR 2007, 259, 261 – Thermocycler). Entscheidend ist bei Internetangeboten, ob ein hinreichend wirtschaftlich relevanter Inlandsbezug besteht (vgl. BGH, GRUR 2005, 431, 433 – Hotel Maritime). Auf die tatsächliche Lieferbereitschaft ins Inland kommt es auch bei Internetangeboten nicht an; maßgeblich ist vielmehr, ob aus Sicht des angesprochenen Verkehr nach den gesamten Umständen eine entsprechende Lieferbereitschaft anzunehmen ist (vgl. X, 14. November 2019, Az. I-15 U 72/18).
  109. (2)
    Ausweislich der Anlagen rop KE 1 und rop 16 wird die angegriffene Ausführungsform II, deren Bestandteil die angegriffene Ausführungsform I ist, auf der Internetseite der Beklagten zu 2) unter „…“ aufgeführt, wobei die Seite die Einstellung „…“ (Anlage rop 16, rechts oben) hat. Darin liegt die Bewerbung der angegriffenen Ausführungsformen I und II, welche die Nachfrage der Besucher der Seite weckt. Die Internetseite wendet sich „…“ an den Weltmarkt, der zunächst einmal die Bundesrepublik Deutschland mit seinen diversen Forschungsstandorten und medizinischen Einrichtungen einschließt. Unschädlich ist, dass die Internetseite in englischer Sprache gehalten ist. Denn die hier angesprochenen fachspezifischen Verkehrskreise aus Medizin und Biochemie im Bereich der Genanalyse verwenden Englisch als ihre Verkehrssprache. Ferner wird der notwendige Inlandsbezug dadurch hergestellt, dass unter der Rubrik „…“ (…) ein Eingabeformular aufrufbar ist, mittels dessen man die angegriffene Ausführungsform II als Produkt (products interest, reagents) konkret für Deutschland anfragen kann, weil die Maske die Eingabe des entsprechenden Landes (…) vorsieht. Wie ausgeführt kommt es weder auf die Lieferbereitschaft der Beklagten zu 2) an, noch darauf, ob sie sich im Falle eines Geschäftsabschlusses später bei der tatsächlichen Lieferung Dritter bedient. Ferner hat die Beklagte zu 2) gerade nicht vorgetragen, dass entsprechende Anfragen aus Deutschland ausnahmslos abschlägig behandelt werden oder aus anderen Gründen nicht möglich seien, z.B. weil die konkrete Eingabe von Deutschland durch die Programmierung der Seite geblockt werde o.ä. . Dass für andere europäische Länder, z.B. XXX oder XXX, Händler im jeweiligen Land existieren (vgl. Anlage B 4) spricht schließlich auch nicht gegen einen Inlandsbezug in Bezug auf Deutschland.
  110. (3)
    Angesichts der bereits bestehenden Angebotshandlung kommt es auf das Ausstellen auf der Messe nicht entscheidungserheblich an. Dennoch stellt die Präsentation der Reagenzienkit-Schachteln ein Anbieten im Sinne des § 9 PatG dar. Selbst wenn auf der eingeblendeten Abbildung des Standes auf Bl. 168 GA die Beschriftung der Schachteln im Einzelnen nicht zu lesen ist, handelt es sich hierbei um ein Indiz, dass es sich bei den Verpackungen nicht um andere Konkurrenzprodukte handelte, sondern um die Verpackungen der identischen Produkte, welche die Beklagte auch auf ihrer Internetseite anbietet. Davon geht jedenfalls der redliche und insoweit angesprochene Geschäftsverkehr zunächst aus. Hinzu tritt, dass die Beklagte gerade nichts Gegenteiliges vorgetragen hat, sondern lediglich anführt, dass es sich um Leerverpackungen gehandelt habe. Da aber unstreitig ist, dass es sich bei der angegriffenen Ausführungsform II um hergestellte Produkte der Beklagten zu 2) handelt, die normalerweise in dem entsprechenden Verpackungsmaterial (weiß mit blauem Rand; vgl. Abb. 7 in der Klageschrift) am Markt erhältlich sind, stellt auch das Ausstellen der Leerverpackungen ein Anbieten der angegriffenen Ausführungsform II dar. So hat die Beklagte insbesondere nicht vorgetragen, dass die auf der Messe anwesende Produktmanagerin auf entsprechende Nachfrage nach deren Inhalt, den Messestandbesucher darüber aufgeklärt hätte, dass die angegriffene Ausführungsform II kein Inhalt der Verpackungen sei. Wie bereits erörtert kommt es auf eine tatsächliche Lieferbereitschaft im Übrigen nicht an. Irrelevant ist vor diesem Hintergrund schließlich, dass die Klägerin im US-Discovery Verfahren erklärt haben, dass es unwahrscheinlich sei, dass die angegriffene Ausführungsform II als Inhalt der Verpackungen auf der Messe ausgestellt worden seien.
  111. Vor diesem Hintergrund ist unerheblich, ob auch der Auftritt auf der Messe „X“ im Jahr 2019 und die Werbeveranstaltung im Dezember 2019 in Q eigenständige Angebotshandlungen der Beklagten zu 2) darstellen.
  112. bb)
    Die Beklagten zu 2) vertreibt die angegriffenen Ausführungsformen I und II auch nach Deutschland.
  113. Die Klägerin hat substantiiert vorgetragen, dass die Beklagte zu 2) in C die angegriffenen Ausführungsformen II und III herstellt und diese über konzernverbundene Gesellschaften, insbesondere über die B Co., Limited und die L Co., Limited, an Kunden aus Übersee vertreibt. Grund hierfür sind Deviseneinsparungen, da die Beklagte zu 2) die Zahlungen für die Waren von den Konzerngesellschaften zurückerhält. Die Klägerin bezieht sich dabei auf die Aussage einer Mitarbeiterin aus einer Konzerngesellschaft der Beklagten zu 2), die diese im Rahmen einer Patentauseinandersetzung vor dem (…) Court in X tätigte (vgl. Anlage rop 17). Diesem Vortrag ist die Beklagte nicht substantiiert entgegen getreten. Insofern veranlasst die Beklagte zu 2) die Lieferungen der angegriffenen Ausführungsformen I und II nach Übersee und damit auch nach Deutschland – wie z.B. die Lieferungen an die Universitäten Y und X zeigen (vgl. Anlage rop 6, 7) – und steuert sie. Auch wenn im konkreten Fall der Universität X der Liefervertrag mit der Konzerngesellschaft geschlossen wurde, ist nach dem klägerischen Vortrag gerade nicht ausgeschlossen, dass die Konzerngesellschaften nach Weisung der Beklagten zu 2) tätig werden, wenn die angegriffene Ausführungsformen I und II direkt bei der Beklagten zu 2) über die Internetseite angefragt oder bestellt werden. Die Tätigkeit der Beklagten zu 2) ist daher nicht auf ein reines Herstellen beschränkt, das auf Anfrage der Konzerngesellschaften erfolgt. Dagegen spricht zusätzlich der gesamte Internetauftritt der Beklagten zu 2).
  114. b)
    Die Beklagte zu 1) bietet die angegriffenen Ausführungsformen I und II ebenfalls an. Eine Vertriebshandlung der Beklagten zu 1) kann die Kammer für diese Ausführungsformen nach Schluss der mündlichen Verhandlung indes nicht feststellen.
  115. aa)
    „Verletzer“ und damit tauglicher Schuldner sämtlicher Ansprüche wegen Patentverletzung ist zudem, wer die Verwirklichung des Benutzungstatbestandes durch einen anderen objektiv ermöglicht oder fördert, obwohl er sich mit zumutbarem Aufwand die Kenntnis verschaffen kann, dass die von ihm unterstützte Handlung das absolute Recht des Patentinhabers verletzt (BGH, GRUR 2009, 1142 – MP3-Player-Import). In Anbetracht dessen, dass die Beklagte zu 1) auf der Internetseite der Beklagten zu 2) unter „XXX“ als einzige Ansprechpartnerin für den Customer Service im europäischen Raum genannt ist (vgl. Einblendung Bl. 234 GA, Anlage rop KE 1), können sich die Beklagten nicht erfolgreich darauf berufen, dass ein Bezug zu patentverletzenden Handlungen fehle. Denn mit der Benennung als Ansprechpartnerin unterstützt und fördert sie jedenfalls den Abschluss von Geschäften mit der Beklagten zu 2) (vgl. X, Urteil v. 14. November 2019, Az.: I-15 U 72/18). So ist gerade nicht auszuschließen, sondern eher naheliegend, dass Abnehmer aus Deutschland auch über die Beklagte zu 1) den Kontakt suchen, um die angegriffenen Ausführungsformen zu bestellen. Insofern traf die Beklagte zu 1) die Pflicht, vor ihrer Benennung als Ansprechpartnerin die Schutzrechtslage zu prüfen.
  116. bb)
    Eine Vertriebshandlung der Beklagten zu 1) hat die Klägerin hinsichtlich der angegriffenen Ausführungsformen I und II nicht konkret dargetan.
  117. An ihrem anfänglichen pauschalen Vortrag, die Beklagte zu 1) habe auch die Reagenzien vertrieben, hat die Klägerin nicht mehr festgehalten, ihn vielmehr im Laufe des Rechtsstreits dahingehend korrigiert, dass andere Konzerngesellschaften in die Lieferhandlungen der Beklagten zu 2) eingebunden sind. Darüber hinaus haben die Beklagten in der mündlichen Verhandlung Lieferhandlungen der Beklagten zu 1) ausdrücklich bestritten. Schließlich hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung bestätigt, dass sie nur Kenntnis von der CE-Kennzeichnung auf der angegriffenen Ausführungsform III habe, bei dem die Beklagte zu 1) als europäische Bevollmächtigte fungiert, so dass es an entsprechendem Vorbringen im Hinblick auf die angegriffene Ausführungsform II mangelt.
  118. 4.
    Aufgrund der Klagepatentverletzung ergeben sich die nachstehenden Rechtsfolgen.
  119. a)
    Gemäß Art. 64 EPÜ i. V. m. § 139 Abs. 1 PatG sind die Beklagten der Klägerin zur Unterlassung verpflichtet. Die Angebotshandlungen der Beklagten schaffen auch eine Begehungsgefahr für das Inverkehrbringen, Gebrauchen, Besitzen und Einführen (vgl. X, Urteil vom 6. April 2017, I-2 U 51/16).
  120. b)
    Des Weiteren hat die Klägerin gegen die Beklagten einen Anspruch auf Schadensersatz dem Grunde nach (Art. 64 EPÜ i. V. m. § 139 Abs. 2 PatG).
  121. Als Fachunternehmen hätten die Beklagten die Patentverletzung durch die angegriffenen Ausführungsformen I und II bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt erkennen können, § 276 BGB.
  122. Der Anspruch gegenüber der Beklagten zu 1) ist jedoch auf die Benutzungshandlung des Anbietens begrenzt. Zwar genügt es für die Feststellung der Schadensersatzpflicht aus § 139 Abs. 2 PatG und die Verurteilung zur Rechnungslegung in der Regel bereits, wenn nachgewiesen wird, dass der Beklagte während der Schutzdauer des Klagepatents überhaupt irgendwelche schuldhaft rechtswidrigen Verletzungshandlungen begangen hat (vgl. BGH, GRUR 1956, 265 , 269 – Rheinmetall-Borsig I; GRUR 1960, 423, 424 – Kreuzbodenventilsäcke). Etwas anderes gilt jedoch, wenn neben der Verletzungsfrage zwischen den Parteien streitig ist, ob der Beklagte eine ihm auch zur Last gelegte Benutzungsform vorgenommen hat, was dieser plausibel in Abrede stellt. In einem solchen Fall kommt eine Feststellung der Schadensersatzpflicht und eine Verurteilung des Beklagten zur Rechnungslegung grundsätzlich nur für diejenigen Benutzungsarten des § 9 PatG in Betracht, für die eine Verletzungshandlung vom Kläger nachgewiesen wird (vgl. X, 6.04.2017, Az. I-2 U 51/16). So liegt der Fall hier. Wie oben dargelegt, hat die Klägerin insoweit lediglich eine Angebotshandlung der Beklagten zu 1) nachgewiesen.
  123. Die Beklagten zu 1) und 2) haften für die Patentverletzung als Gesamtschuldner, § 840 Abs. 1 BGB (vgl. Benkard/Grabinski/Zülch, 11. Aufl., § 139 PatG Rn. 21).
  124. Die genaue Schadenshöhe steht derzeit noch nicht fest. Da es jedoch ausreichend wahrscheinlich ist, dass der Klägerin durch die rechtsverletzenden Handlungen der Beklagten ein Schaden entstanden ist, der von der Klägerin noch nicht beziffert werden kann, weil sie ohne eigenes Verschulden in Unkenntnis über den Umfang der Verletzungshandlungen ist, ist ein rechtliches Interesse der Klägerin an einer Feststellung der Schadenersatzverpflichtung dem Grunde nach anzuerkennen, § 256 ZPO.
  125. c)
    Der Anspruch auf Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg der angegriffenen Ausführungsform ergibt sich aufgrund der unberechtigten Benutzung des Erfindungsgegenstands unmittelbar aus Art. 64 EPÜ i. V. m. § 140b Abs. 1 PatG, der Umfang der Auskunftspflicht aus Art. 64 EPÜ i. V. m. § 140b Abs. 3 PatG.
  126. Sofern die Klägerin meint, die Auskunft betreffe auch Umsätze mit weiteren Geräten und der Software ihres Genomsequenzierungssystems, kann dem nicht gefolgt werden. Abgesehen davon, dass der Auskunftsantrag spezifiziert ist auf die angegriffenen Ausführungsformen, wäre ein solcher Zusatz zu unbestimmt, zumal die Software nach derzeit geltendem deutschen und europäischen Recht nicht Gegenstand des Patentschutzes sein kann. Sofern die Klägerin damit diejenigen Umsätze meint, die durch die angegriffene Ausführungsform I generiert werden, weil die streitgegenständlichen Nucleotiden auch unabhängig von der angegriffenen Ausführungsform III anderweitig vertrieben werden, ist dies bereits im Antrag enthalten, jedoch unabhängig von den Umsätzen mit anderen Geräten oder einer speziell entwickelten Software.
  127. Die Auskunft im vollen Umfang gemäß § 140b PatG knüpft an das Vorliegen irgendeiner widerrechtlichen Benutzungshandlung an, so dass die Pflicht zur vollständigen Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg des Verletzungsprodukts auch denjenigen trifft, der das Patent lediglich in einer einzelnen Handlungsalternative verletzt hat. Sämtliche Daten – auch die zur Herstellung – sind daher zu offenbaren, sei es auch mit einer Nullauskunft (vgl. X, BeckRS 2018, 34555).
  128. Damit die Klägerin in die Lage versetzt wird, ihren festgestellten Schadensersatzanspruch zu beziffern, steht ihr gegen die Beklagten ein Anspruch auf Rechnungslegung im begehrten Umfang aus §§ 242, 259 BGB zu. Die Klägerin ist auf die Angaben angewiesen, über die sie ohne eigenes Verschulden nicht verfügt; die Beklagte wird durch die von ihr verlangten Auskünfte nicht unzumutbar belastet. Die Beschränkung des Tenors gegenüber der Beklagten zu 1) folgt aus der Akzessorietät des betreffenden Anspruchs zum Schadensersatzanspruch.
  129. d)
    Weiterhin hat die Klägerin gegen die Beklagte zu 2) einen Anspruch auf Rückruf der schutzrechtsverletzenden Erzeugnisse aus den Vertriebswegen gemäß Art. 64 EPÜ i. V. m. § 140a Abs. 3 PatG. Es sind jedenfalls Lieferfälle an die Universitäten Y und X erfolgt, an welchen die Beklagte zu 2) beteiligt war. Eine Unverhältnismäßigkeit ist nicht ersichtlich.
  130. III.
    Die Klägerin hat weiter wegen der Verletzungshandlungen der Beklagten zu 1) und zu 2) Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft, Rechnungslegung und Schadensersatz dem Grunde nach aus Art. 64 EPÜ i. V. m. §§ 10, 139 Abs. 1 und 2, 140b PatG, §§ 242, 259 BGB.
  131. 1.
    Die angegriffene Ausführungsform III stellt ein wesentliches Mittel der Erfindung iSd § 10 PatG dar, das objektiv dazu geeignet ist, für die klagepatentgemäßen Verfahren nach Anspruch 12 und 17 verwendet zu werden. Im Hinblick auf die Auslegung der Ansprüche 12 und 17 bezüglich der in Bezug genommenen Ansprüche 1 und 6 wird auf die Ausführungen unter Ziffer II. Bezug genommen. Die angegriffene Ausführungsform I, die in der Set-Variante „W“ vertrieben wird, stellt anspruchsgemäße Nucleotide im Sinne der Ansprüche 1 und 6 dar. Unstreitig werden mit der angegriffenen Ausführungsform III Sequenzierungsverfahren nach den Ansprüchen 12 und 17 durchgeführt.
  132. 2.
    Die Beklagten haben die angegriffene Ausführungsform III sowohl angeboten als auch geliefert, wobei die Benutzung der angegriffenen Ausführungsform III zur Durchführung der Sequenzierungsverfahren von den Abnehmern in Deutschland erfolgt. Der erforderliche doppelte Inlandsbezug liegt damit vor. Unschädlich ist, dass die Beklagten im Ausland geschäftsansässig sind, da sie die angegriffene Ausführungsform III von dort aus nach Deutschland anbieten/liefern und zwar zur unmittelbaren Benutzung des Sequenzierungsgeräts in Deutschland (vgl. BGH, GRUR 2007, 313 – Funkuhr II; Kühnen, Hdb., 12. Aufl., Kap. A Rn. 475).
  133. a)
    Die Beklagten haben die angegriffene Ausführungsform III ebenso wie die anderen beiden angegriffenen Ausführungsformen I und II auf ihrer Internetseite und auf der Messe „X“ im Jahr 2018 angeboten. Auf die Ausführungen unter Ziffer II wird Bezug genommen, die hier gleichermaßen gelten. Mangels Hinweise auf der Internetseite, dass eine Lieferung nach Deutschland nicht erfolgen solle, bieten beide Beklagten die angegriffene Ausführungsform III auch zur unmittelbaren Benutzung in Deutschland an.
  134. b)
    Die Beklagte zu 2) liefert die angegriffene Ausführungsform III auch zur Benutzung im Inland. Abgesehen davon, dass sie die Lieferungen über ihre Konzerngesellschaften steuert, tritt noch erschwerend hinzu, dass sie bei der angegriffenen Ausführungsform III weitere Supportleistungen in Aussicht stellt und die Lieferabläufe mitgestaltet. So ist eine „…“ von der Beklagten zu 2) vorgesehen, die der Abnehmer ihr vor der Lieferung zuleiten soll (vgl. Anlage rop 10) und sie stellt über ihre Internetseite technischen Support mittels Telefonhotlines, Online-Services und über Service-Center zur Verfügung. Ferner werden gesonderte After-Sales-Support-Progamme (vgl. Abbildung 225 GA) angeboten. Diese Beiträge fördern die Lieferung in das Inland, weil die Beklagte zu 2) den deutschen Abnehmern letztlich eine weitergehende Betreuung zur Verfügung stellt, um mit der angegriffene Ausführungsform III Sequenzierungsverfahren durchzuführen.
  135. c)
    Auch die Beklagte zu 1) leistet jedenfalls Förderungshandlungen zur Lieferung der angegriffenen Ausführungsform III ins Inland.
  136. Die Beklagte zu 1) ist ausweislich der Abbildung auf Bl. 231 GA ebenso wie in dem Benutzerhandbuch der angegriffene Ausführungsform III als europäische Bevollmächtigte (…) für die CE-Kennzeichnung genannt, die nach § 6 Abs. 1 Medizinproduktegesetz Voraussetzung für das Inverkehrbringen der angegriffenen Ausführungsform III in Deutschland ist. Dies stellt jedenfalls eine Förderungshandlung, wenn nicht bereits einen eigenen Tatbeitrag der Beklagten zu 1) zur Lieferung der Beklagten zu 2) dar (für letzteres Kühnen, Hdb, 12. Aufl., Kap. D Rn. 188). Wer als Bevollmächtigter im europäischen Raum und damit auch in Deutschland zur Verfügung steht, ermöglicht erst, dass das Produkt überhaupt auf dem deutschen Markt vertrieben werden kann. Ferner steht er nicht nur Behörden sondern auch den Abnehmern als Ansprechpartner zur Verfügung. Dies geht konform damit, dass die Beklagte zu 1) zusätzlich auf der Internetseite als Ansprechpartner für den Kundenservice genannt ist, der ein Service-Center und ein Logistik-Center betreibt, wobei an anderer Stelle die Rede davon ist, dass sich in …, wo die Beklagte zu 1) ihren Sitz hat, ein Ersatzteillager befindet. Schließlich ist bei der Hotline für Europa eine Telefonnummer der Beklagten zu 1) angegeben. Die Beklagte ist daher in die Liefertätigkeit eingebunden und fördert auch durch den weiteren Support die Lieferungen nach Deutschland. Gestützt wird dieser Vortrag auch durch die in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Pressemitteilung vom 29. November 2019, welche sich mit der Eröffnung von R (…) beschäftigt. Dort heißt es, dass die Niederlassung von R in A unter anderem die Fertigung und den Aufbau eines Marktnetzens in Asien, Europa und Amerika beschleunigen wird und man eine Innovationsplattform bilden könne, was den Aufbau eines technischen Service-Unterstützungssystems und eine Produktlieferkette ermöglichen werde, um die Bedürfnisse der Kunden zu erfüllen und Erfahrungen auf dem europäischen Markt zu sammeln (vgl. Pressemitteilung vom 29. November 2019, vorgelegt von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung). Die pauschale Behauptung der Beklagten, dass die Serviceleistungen regional abweichend seien, ist unbehelflich, weil aus dem Vorbringen gerade nicht hervorgeht, dass Deutschland von den Serviceleistungen ausgenommen ist. Ferner dringen die Beklagten auch nicht mit dem Einwand durch, die Beklagte zu 1) sei in der Pressemitteilung nicht ausdrücklich genannt. Es ist nicht ersichtlich, um welches andere Unternehmen der R-Gruppe in A es sich ansonsten handeln sollte. An entsprechendem anders lautenden Vortrag der Beklagten fehlt es zudem. Das Bestreiten mit Nichtwissen des Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung war unzulässig, weil es nicht auf seine eigene Wahrnehmung ankommt, sondern der der Beklagten selbst. Sofern er vorgebracht hat, er könne in der mündlichen Verhandlung nichts dazu sagen, hat er eine entsprechende Schriftsatzfrist nicht beantragt.
  137. 3.
    § 10 Abs. 1 PatG setzt in subjektiver Hinsicht voraus, dass der Lieferant die Eignung des Mittels und seine Verwendungsbestimmung kennt bzw. aufgrund der Umstände offensichtlich ist, dass die angebotenen und/oder gelieferten Mittel dazu geeignet und bestimmt sind, für die Benutzung der geschützten Erfindung verwendet zu werden (BGH, GRUR 2006, 839 – Deckenheizung; X, Urteil vom 13.02.2014, Az. I-2 U 93/12 – Folientransfermaschine).
  138. Bei objektiver Betrachtung muss aus Sicht des Liefernden die hinreichend sichere Erwartung bestehen, dass der Abnehmer die angebotenen oder gelieferten Mittel zur patentverletzenden Verwendung bestimmen wird (BGH, GRUR 2006, 839 – Deckenheizung; GRUR 2007, 679 – Haubenstretchautomat; X, Urteil vom 13.02.2014, Az.: 2 U 93/12 – Folientransfermaschine; Urteil vom 19.02.2015, Az.: I-15 U 39/14; OLG Karlsruhe, GRUR 2014, 59 – MP2-Geräte). Offensichtlichkeit ist dabei anzunehmen, wenn im Zeitpunkt des Angebots oder der Lieferung nach den gesamten Umständen des Falles die drohende Verletzung des Ausschließlichkeitsrechts aus der objektivierten Sicht des Dritten so deutlich erkennbar ist, dass ein Angebot oder eine Lieferung unter diesen objektiven Umständen der wissentlichen Patentgefährdung gleichzustellen ist (BGH, GRUR 2007, 679 – Haubenstretchautomat; X, InstGE 9, 66 – Trägerbahnöse). So kann die Erfahrung dafür sprechen, dass ein Mittel zur Benutzung der Erfindung durch die Abnehmer bestimmt wird, wenn der Anbieter oder Lieferant eine klagepatentgemäße Verwendung des Mittels empfiehlt (BGH, GRUR 2001, 228 – Luftheizgerät; GRUR 2005, 848 – Antriebsscheibenaufzug; GRUR 2007, 679 – Haubenstretchautomat; X, Urteil vom 13.02.2014, Az.: I-2 U 93/12 – Folientransfermaschine; Urteil vom 19.02.2015, Az.: I-15 U 39/14). Gleiches kann gelten, wenn ein Mittel infolge seiner technischen Eigenart und Zweckbestimmung auf eine zu einem Patenteingriff führende Benutzung zugeschnitten und zu einem entsprechenden Gebrauch angeboten wird (BGH, GRUR 2005, 848 – Antriebsscheibenaufzug; X, Urteil vom 13.02.2014, Az.: I-2 U 93/12 – Folientransfermaschine; Urteil vom 19.02.2015, Az.: I-15 U 39/14).
  139. Aus den Umständen ist offensichtlich, dass aus Sicht der Beklagten die Abnehmer die angegriffene Ausführungsform III zur Durchführung der anspruchsgemäßen Sequenzierverfahren unter Einsatz entsprechender Kits einsetzen. So wird im Benutzerhandbuch gerade der Einsatz der angegriffenen Ausführungsform I der Beklagten zu 2) als Herstellerin empfohlen (vgl. Anlage rop 9, Rn. 27). In der Vorlage des Handbuchs liegt die schlüssige Behauptung, dass es sich bei dem Benutzerhandbuch um ein solches handelt, dass bei Lieferung der angegriffene Ausführungsform III den Abnehmern zur Verfügung gestellt wird. Dies haben die Beklagten zwar in Zweifel gezogen, aber nicht konkret bestritten. Abgesehen davon ist nicht ersichtlich, dass die angegriffene Ausführungsform III für einen anderen Einsatz als das Durchführen von Sequenzierungsverfahren bzw. Sequenzreaktion geeignet ist.
  140. Die Kammer hat im Übrigen keinen Zweifel daran, dass die Angabe als europäische Bevollmächtigte mit Wissen und Wollen der Beklagten zu 1) erfolgte und sie des Weiteren billigend in Kauf nimmt, dass sie damit die durch die Beklagte zu 2) mitgesteuerten Vertriebshandlungen der anderen Konzerngesellschaften unterstützt.
  141. 4.
    Aus der festgestellten Klagepatentverletzung ergeben sich die zuerkannten Kla-geansprüche wie folgt:
  142. a)
    Der Unterlassungsanspruch beruht auf §§ 139 Abs. 1, 10 PatG, da die Benutzung des Erfindungsgegenstandes ohne Berechtigung erfolgt. Insofern ist auch ein Schlechthinverbot auszusprechen. Eine patentfreie Verwendung der angegriffenen Ausführungsform III ist nicht hinreichend substantiiert seitens der Beklagten vorgetragen.
  143. Sofern die Beklagten vorgebracht haben, dass es alternative Blockiergruppen von R gebe, die nicht verletzen, hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung klargestellt, dass es sich bei den im englischen Verfahren benannten Molekülen um solche handelt, die nur keine Azidomethylgruppe aufweisen. Offen geblieben ist hingegen, ob diese Moleküle nicht eine der anderen anspruchsgemäßen Stoffvarianten aufweisen und ob sie gewerblich erworben werden können. Vor diesem Hintergrund ist das Vorbringen der Beklagten nicht ausreichend, um konkret eine patentfreie Verwendung zu benennen, derer es bedurfte, nachdem die Klägerin das Fehlen einer patentfreien Benutzungsmöglichkeit behauptet hat.
  144. Die in der Set-Variante „H“ verwendeten Moleküle verletzen zwar die Ansprüche 12 und 17 nicht, gleichwohl können die Beklagten diese Nucleotidvariante nicht erfolgreich als patentfreie Nutzungsmöglichkeit anführen. Zum einen verletzen die Moleküle gleichwohl Anspruch 1, so dass sie zwar kein Mittel im Sinne des § 10 PatG darstellen, aber ein Erzeugnis nach § 9 Nr. 1 PatG. Den Beklagten steht insoweit kein schützenswertes Interesse zu, die angegriffene Ausführungsform III mit diesen Molekülen zu betreiben. Zum anderen ist bei Ausbleiben eines Schlechthinverbotes die Wahrscheinlichkeit einer patentgemäßen Benutzung der angegriffenen Ausführungsform III zu groß, weil die Markierung nachhaltig das Erkennen des Nucleotids in der Sequenz erleichtert, so dass die Abnehmer diese Art des Moleküls regelmäßig zur Durchführung des Sequenzierverfahrens vorziehen werden.
  145. Schließlich dringen die Beklagten mit ihrem Einwand aus der mündlichen Verhandlung nicht durch, im Falle einer Vernichtung der Ansprüche 1 bis 4 wäre ein Titel für Sequenziergeräte in der Welt, die dieses Verfahren nicht benutzen. Maßgeblicher Zeitpunkt für das Verletzungsgericht ist der Schluss der mündlichen Verhandlung für die Verhängung des Schlechthinverbotes. Das Risiko, dass ein Titel ergeht und das Bundespatentgericht im Nachgang das Patent (teilweise) vernichtet, ist zum einen vorliegend gering und besteht zum anderen aufgrund des Trennungsprinzips potentiell bei jedem Verletzungsverfahren. Der Einwand stellt daher kein valides Argument dar, um einen unbegrenzten Unterlassungstitel zu verhindern.
  146. b)
    Die Beklagten sind der Klägerin aus § 139 Abs. 2 PatG zum Schadensersatz verpflichtet. Sie hat schuldhaft gehandelt, wobei auf die oben unter I. zum Schadensersatz gemachten Ausführungen Bezug genommen wird. Der mittelbare Verletzer hat denjenigen Schaden zu ersetzen, der dem Patentinhaber durch die unmittelbare Patentverletzung entsteht. Ausreichend für eine schlüssige Darlegung eines Schadensersatzanspruches ist es, wenn nach der Lebenserfahrung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit einer unter Verwendung des Mittels begangenen Verletzungshandlung besteht (BGH, GRUR 2013, 713 – Fräsverfahren; GRUR 2006, 839 – Deckenheizung; LG Q, 4b O 220/06, Urteil vom 22.02.2007 – Handyspiele). Im vorliegenden Fall spricht der von den Beklagten begangene Vertrieb dafür, dass die angegriffene Ausführungsform III tatsächlich für die Sequenzierungsverfahren eingesetzt werden.
  147. c)
    Damit die Klägerin in die Lage versetzt wird, den ihr zustehenden Scha-densersatzanspruch beziffern zu können, schulden die Beklagten im zuerkannten Umfang Auskunft und Rechnungslegung (§ 140b PatG, §§ 242, 259 BGB).
  148. V.
  149. Eine Veranlassung, den Rechtsstreit im Hinblick auf das Nichtigkeitsverfahren gem. § 148 ZPO auszusetzen, besteht nicht. Für die Kammer lässt sich auf der Grundlage des vorgetragenen Sach- und Streitstands nicht die für eine Aussetzung erforderliche hinreichende Erfolgswahrscheinlichkeit der Nichtigkeitsklage feststellen (BGH, GRUR 2014, 1237 – Kurznachrichten).
  150. Eine überwiegende Erfolgsaussicht scheidet bereits deshalb aus, weil der nächstliegende Stand der Technik sowohl im Erteilungsverfahren als auch bereits in einem erfolglos durchgeführten Einspruchsverfahren berücksichtigt wurde (vgl. LG Q, Urteil v. 15. November 2012, Az. 4b O 110/11; Cepl/Voß, ZPO, 2. Aufl., § 148 ZPO Rn. 112). Schließlich tritt erschwerend hinzu, dass eine Aussetzung wegen fehlender Erfindungshöhe grundsätzlich nur dann in Betracht kommt, wenn sich für die Annahme der erfinderischen Tätigkeit kein vernünftiges Argument mehr finden lässt (vgl. X, GRUR-RR 2007, 259, 262 – Thermocycler; LG Q, BeckRS 2013, 14797). Daran gemessen lässt sich – gerade auch im Hinblick auf den hier streitgegenständlich komplexen Technikbereich – keine hinreichend sichere Prognoseentscheidung treffen, wonach eine Vernichtung des Klagepatents überwiegend wahrscheinlich ist.
  151. Darüber hinaus lässt der Vortrag der Beklagten eine für das Verletzungsgericht konzentrierte, übersichtliche und anhand der Merkmale des Klagepatentanspruchs 1 orientierte Darstellung der mangelnden Erfindungshöhe vermissen, da in weiten Teilen die Ausführungen der Nichtigkeitsklage wortwörtlich in die Schriftsätze des hiesigen Verletzungsverfahrens übernommen worden sind. Damit kommen die Beklagten ihrer Darlegungslast freilich nur unzureichend nach, weil die Aufgabe des Verletzungsgerichts im Rahmen seiner Prognoseentscheidung nach § 148 ZPO lediglich eine Abschätzung der Vernichtungswahrscheinlichkeit ist, nicht jedoch die Durchführung eines parallelen Rechtsbestandsverfahrens. Eine entsprechende Aufbereitung der Argumente des Rechtsbestandsverfahrens ist im Verletzungsverfahren daher unabdinglich. Erschwerend tritt hinzu, dass die Beklagten entgegen des Hinweises des Vorsitzenden in der verfahrenseinleitenden Verfügung vom 5. April 2019 vollständige, deutsche Übersetzungen der maßgeblichen Entgegenhaltungen (…) (Anlage NiK 17 in Anlage B2; nachfolgend NiK 17) nur teilweise und erst wenige Tage vor der mündlichen Verhandlung vorgelegt haben.
  152. 1.
    Die in Anspruch 1 genannte Schutzgruppe (R´´) stellt maskierte Hemiaminale dar, wobei die Azidomethylgruppe (R´= H) in Fall 3 und Unteranspruch 4 die bevorzugte Schutzgruppe ist. Sie bildet mit dem 3´er Sauerstoffatom -O-CH2-N3 (-O-CH2-N=N=N) einen Azidomethylether. Freie Hemiaminale mit dieser Struktur zerfallen im wässrigen Milieu nach dem gleichen Mechanismus wie Halbacetale unter Entschützung der OH-Funktion des Nucleotids. Als Nebenprodukte entstehen Ammoniak (NH3) und Formaldehyd (CH2O). Das Hemiaminal ist daher das Zwischenprodukt (Merkmal 1.3.5), das dissoziiert mit der Folge, dass die OH-Gruppe am 3´er Ende wieder freigesetzt wird, wie Merkmal 1.3.5.1 es verlangt. Die Entschützungsreaktion erfolgt klagepatentgemäß unter milden Bedingungen und die DNA denaturiert nicht.
  153. 2.
    Das Klagepatent stellt bereits im allgemeinen Teil darauf ab, dass die vorteilhafte, weil schonende Entschützungsreaktion – wie sie mit der Azidomethylgruppe möglich ist –, für die SBS-Verfahren ideal sind, weil sie die Sequenzierungszyklen nicht unterbrechen. Auch wenn das Klagepatent in Absatz [0085] anspricht, dass die Nucleotide sich auch im Sanger-Verfahren anwenden lassen, liegt der Fokus des Klagepatents im Einsatz von SBS-Sequenzierungsverfahren und der dort angestrebten einfachen und schonenden Entschützungsreaktion.
  154. Der Umstand, dass die anspruchsgemäßen Nucleotide auch für andere Verfahren Verwendung finden, erscheint als vorgezogenes Argument für die fehlende Erfindungshöhe nicht durchgreifend. Es ist nicht ersichtlich, warum sich der Fachmann, wenn die Vermeidung der Denaturierung der DNA nicht sein Ziel ist, überhaupt Schutzgruppen mit diesem Vorteil zuwenden oder nach ihnen suchen sollte. Nicht ausreichend erscheint hier, dass der Fachmann generell anstrebt, bei der Reversibilität das Molekül nicht zu schädigen. Die Klägerin wendet zu Recht ein, dass dann eine viel größere Anzahl an Blockiergruppen im Stand der Technik in Frage gekommen wäre und daher das Auffinden der Azidomethylgruppe resp. einer Gruppe, die nach ihrer Entfernung ein Zwischenprodukt ergibt, das unter wässrigen Bedingungen dissoziert, noch ferner liegen würde. Sofern die Beklagte in der Quadruplik meint, dass der Anspruch weiter formuliert ist, ist dies zwar richtig, aber die Entfernung der Schutzgruppe unter Entstehung eines Zwischenprodukts, das in wässrigen Bedingungen dissoziiert (Merkmale 1.3.3, 1.3.5, 1.3.5.1) ist gerade auch für die anderen Fälle von Z (Merkmal 1.3.2) beansprucht.
  155. 3.
    Es ist nicht hinreichend wahrscheinlich, dass der Einsatz der Schutzgruppe Azidomethyl (Fall 3 des Merkmals 1.3.2), welche die in den Merkmalen 1.3.5 und 1.3.5.1 beschriebene Entschützungsreaktion aufweist, für SBS-Sequenzierungsverfahren im Stand der Technik für den Fachmann nahe gelegen hätte.
  156. a)
    So ist für die Kammer nicht ersichtlich, dass der Durchschnittsfachmann ohne erfinderisches Zutun die erfindungsgemäße Lehre durch eine Kombination der Entgegenhaltungen NiK 11 und NiK 17 bzw. NiK 11 und NiK 26 erhalten hätte. Die NiK 11 ist bereits im Erteilungsverfahren und im sich anschließenden Einspruchsverfahren gewürdigt worden. Schon dieser Umstand spricht gegen eine Aussetzung nach dem für die Kammer anzuwendenden Maßstab.
  157. aa)
    Die NiK 11 offenbart die Verwendung zwei konkreter Blockiergruppen, die Allylgruppen und die MOM-Gruppe (Anlage NiK 11, S. 6 Z. 14 ff.), die für die SBS-Verfahren geeignet sind, weil sie sich wieder entfernen lassen. Auch die NiK 11 spricht u.a. generell die Anforderung an, dass der sequenzierte DNA-Strang den Abspaltungsprozess überstehen soll (vgl. Anlage NiK 11, S. 42, Z. 16 ff.).
  158. Die NiK 11 beschreibt die Verwendung von Ester-Blockiergruppen und anderen chemischen Gruppen mit Elektrophilen wie Keto-Gruppen ausdrücklich als ungeeignet, weil sie von den starken Nucleophilen in der Polymerase gespalten werden (Anlage NiK 11, S. 6, Z. 10 ff.). Dies führt zu einer verfrühten Entfernung der Blockierung. Die NiK 11 verweist für das Entschützungsverfahren der offenbarten Allyl- und MOM-Gruppe auf die Methode nach Kamal et al. (Anlage NiK 11, S. 54, Z. 18 ff.), wobei diese Methode die Verwendung organischer Lösungsmittel und damit nicht-wässrige Bedingungen einschließt. Ferner offenbart die NiK 11 einen sog. Hairpin-Primer, der mittels einer zusätzlichen Schleife mit dem DNA-Templat verbunden ist (Anlage NiK 11, S. 7, Z. 15 ff.) und wie eine zusätzliche Sicherung wirkt, um ein Auswaschen des neu gebildeten Stranges zu verhindern.
  159. Es erfolgt keine Offenbarung der Azidomethyl-Gruppe, die unter besonderen milden Bedingungen entfernt werden kann, nämlich in der in den Merkmalen 1.3.5 und 1.3.5.1 geschützten Weise.
  160. bb)
    Es ist bereits kein Anlass für den Fachmann ersichtlich, warum er die NiK 11 mit einer der anderen Schriften kombinieren sollte.
  161. Schon die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass der Fachmann ausgehend von der NiK 11 nicht zu den in Anspruch 1 offenbarten Nucleotidmolekülen gelangt wäre (vgl. Anlage rop 15, S. 17). Hierbei handelt es sich um eine sachverständige Äußerung, die das Verletzungsgericht zu berücksichtigen hat. So lehrt die NiK 11 die Entfernung der Schutzgruppen in einem Medium, das ein organisches Lösungsmittel enthält, durch ein komplexes mehrstufiges Verfahren und schweigt über das weitere Vorgehen bei der Entfernung einer Blockiergruppe (vgl. Anlage rop 15, S.17). Die Einspruchsabteilung war ferner der Ansicht, dass die Lehre der NiK 11 den Fachmann von der Verwendung der erfindungsgemäßen Azidomethylgruppe abhält, weil die NiK 11 offenbart, dass chemische Gruppen wie Elektrophile nicht geeignet sind, die 3´-OH Gruppe des Nucleotids bei enzymatischen Reaktionen zu schützen (vgl. Anlage rop 15, S. 17). Die Azidomethylgruppe trägt eine positive Ladung und ist ein Elektrophil.
  162. Die Kammer hält insoweit den Einwand der Klägerin für plausibel, dass der Fachmann ausgehend von NiK 11 keine Veranlassung hatte, im Stand der Technik nach weiteren Stoffgruppen zu suchen, die maskierte Hemiaminale darstellen und sich in wässrigen Bedingungen abspalten lassen.
  163. (1)
    Sofern die Beklagten anführen, der Fachmann verstehe die entsprechende Stelle in der NiK 11 so, dass ausschließlich die Keto-Gruppe und Estergruppe als ungeeignete Gruppen mit Elektrophilen genannt werden, kann sich die Kammer diesem Verständnis nicht anschließen, weil die Keto-Gruppe ausdrücklich nur als ein Beispiel („such as“) für chemische Gruppen mit Elektrophilen genannt wird.
  164. (2)
    Die Beklagten führen weiter an, es seien nur solche chemischen Gruppen mit Elektrophilen ausgeschlossen, deren Elektrophile bei der Sequenzierung in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Nucleophilen im aktiven Zentrum der Polymerase liegen. Hingegen seien eventuelle Elektrophile einer Schutzgruppe, die weiter von dieser Position entfernt lägen, durch Nucleophile im aktiven Zentrum der Polymerase nicht betroffen. Dies begründen sie mit dem Verweis der NiK 11 auf Canard et al. (Anlage NiK 20), der sich mit den Ester-Gruppen beschäftigt hat, bei denen letzteres der Fall war. Hiergegen spricht allerdings, dass die NiK 11 im Anschluss auf den Hinweis auf Canard, der ausschließlich im Zusammenhang mit den Ester-Gruppen zitiert ist, sodann chemische Gruppen mit Elektrophilen generell ausschließt.
  165. Ferner ist unklar, wie der Fachmann selbst bei dem Verständnis der Beklagten dazu käme, eine Azido-Schutzgruppe zu wählen.
  166. Die umfangreichen Überlegungen dazu, dass bei der Azido-Gruppe das mittlere, positiv geladene (= elektrophile) Stickstoffatom zwei Bindungsabstände mehr aufweise als der Carbonyl-Kohlenstoff im Ester (vgl. Anlage B2, S. 63 ff.; Duplik Bl. 273 GA) und sich insbesondere unter Berücksichtigung der dreidimensionalen Struktur der Moleküle daher nicht in unmittelbarer Nähe zum Nucleophil der Polymerase befinde, erklären nicht plausibel, warum der Fachmann in seinen Überlegungen gleichsam ohne Weiteres auf die Azidomethylgruppe stößt. Daneben erscheint es aber zweifelhaft, ob diese weitergehenden Überlegungen für sich genommen nicht eher einen Anhaltspunkt für die erfinderische Tätigkeit sind, weil sie kein routinemäßiges Handeln darstellen bzw. zum allgemeinen Fachwissen zählen.
  167. Denn auch nach Ansicht der Beklagten stellt der Fachmann bei der Lektüre der NiK 11 weitere Überlegungen an, die ihm die Verwendung von maskierten Hemiacetalen vor Augen führen sollen.
  168. In dem die NiK 11 offenbare,
  169. – dass die Schutzgruppe klein dimensioniert sein soll, wobei Methyl- und unverzweigte Allylgruppen sich anböten und
    – dass es sich bei Allyl-Ether und MOM um Schutzgruppen handele, die unverzweigt seien und nicht mehr als vier Atome in der Kette aufweisen und
    – dass eine ungewollte Entschützung vermieden und milde Bedingungen beim Entfernen vorliegen sollen,
  170. erhalte der Fachmann allgemeine Kriterien für eine Auswahl an hierfür in Frage kommenden chemischen Gruppen. Nach diesen Gruppen muss er sich aber aktiv umsehen.
  171. Zudem liegt einem solchen Verständnis des Fachmanns eine rückschauende Betrachtung zugrunde, da es sich gerade bei der Dimensionierung der Schutzgruppe um selektive Kriterien handelt, bei denen nicht ersichtlich ist, wieso der Fachmann ausgerechnet sein Augenmerk hierauf legen sollte. So hat die Klägerin andere Gemeinsamkeiten (mindestens zwei Kohlenstoffatome, drei Atome, die nicht Wasserstoff sind, ausschließlich Kohlenstoff-, Sauerstoff- und Wasserstoffatome) genannt, die auch seitens der NiK 11 offenbarte Kriterien darstellen könnten und bei der Suche nach Schutzgruppen nicht zu der Verwendung von Azidomethyl führen. Hinzu tritt, dass die Klägerin dem Vortrag der Beklagten in der mündlichen Verhandlung, wonach das aktive Zentrum bei dem großen Molekül der Polymerase nur eine sehr kleine Stelle darstelle, die eine enge Öffnung habe, in der die DNA eingeführt werden muss, entgegen gehalten hat, dass die aktive Seite der Polymerase keine Kammer sei, sondern auch große Moleküle Verwendung finden könnten, wenn sie an der richtigen Stelle der Polymerase zu liegen kommen.
  172. Die Kammer sieht im Übrigen keine Offenbarung eines maskierten Hemiacetals durch die MOM-Gruppe in der NiK 11. Die Beklagte kann die Eigenschaft als Hemiacetal nur unter Rückgriff auf die Veröffentlichung einer Untersuchung der Methoxymethylisierung von diversen Carbohydrat-Derivaten (Anlage NiK 21) begründen, die in der NiK 11 nicht erwähnt ist und insofern auf eine Kombination hinausliefe. Gegen ein solches Verständnis des Fachmanns spricht schon, dass sich in diesem Fall die NiK 11 nicht der Methode nach Kamal et al. (Anlage NiK 11, S. 54, Z. 18 ff.) hätte bedienen müssen, zumal sie selbst eine Entschützung nach milden Bedingungen beabsichtigte.
  173. cc)
    Die Beklagte meint, ausgehend von diesen Auswahlkriterien wäre der Fachmann mit Hilfe der NiK 17 auf die Azidomethyl-Gruppe gestoßen.
  174. Selbst wenn man annimmt, dass der Fachmann für die Verbesserung der Blockierchemie dieses Standardwerk zu Rate gezogen hätte, hat die Klägerin jedenfalls ein plausibles Argument – was im Hinblick auf die Aussetzungsentscheidung bereits ausreichen würde – gegen ein Naheliegen angeführt, nämlich dass unter dem Kapitel der Hydroxylgruppen (2. Kapitel; vgl. Anlagen NiK 17, 17a), mit dem sich der Fachmann zuvörderst beschäftigen würde, die Azidomethylgruppe oder eine andere unter den Anspruch fallende Blockiergruppe gerade nicht genannt ist. Sofern die Beklagten meinen, dass der Fachmann aufgrund des Hinweises in Kapitel 3, wonach viele der für den Schutz von Alkoholen entwickelten Blockiergruppen ebenfalls einsetzbar für den Schutz von Phenolen seien, herleitet, dass die Blockiergruppen für Phenole auch bei Alkoholen funktionieren könne, hat die Klägerin aufgezeigt, dass ein entsprechender Hinweis in Kapitel 2 gerade fehlt.
  175. Weiter hat die Klägerin nachvollziehbar aufgezeigt, dass die Azidomethylgruppe zwar in anderem Zusammenhang unter Hinweis einer Veröffentlichung (Loubinoux, Anlage rop 3) erwähnt wird, wonach die Entschützung von Azidomethyl-blockierten OH-Gruppen eine Ausbeute von 60 bis 80% von blockierten OH-Gruppen generiert, aber letzteres angesichts der exponentiellen Steigerung der Ausfallquoten über mehrere Verfahrenzyklen, den Fachmann von einer Verwendung hätte Abstand nehmen lassen. Die Beklagten haben in diesem Zusammenhang vorgebracht, dass es sich um Ansätze im präparativen Maßstab handelt, wobei bis zur Erlangung des Endprodukts auch Verluste durch die Reinigung eintreten können, so dass den Fachmann eine Ausbeute von 60% bis 80% nicht von einer Verwendung abgehalten hätte. Gemessen an hiesigem Aussetzungsmaßstab erscheint auch dieses Argument der Klägerin jedenfalls nicht abwegig.
  176. dd)
    Ferner sieht die Kammer nicht, dass das anspruchsgemäße modifzierte Nucleotid aufgrund einer Kombination mit der NiK 26 für den Fachmann nahe gelegen hätte.
  177. (1)
    Die NiK 26 offenbart die Azidomethylgruppe und ihre Entfernbarkeit unter sehr spezifischen und milden Bedingungen (Anlage NiK 26, S. 7595). Die Entschützung erfolgt unter Verwendung von Triphenylphoshin in wässrigem Pyridin.
  178. (2)
    Die Kammer hat erhebliche Zweifel daran, dass der Fachmann diese Schrift heranziehen würde, da sie sich mit dem Einsatz der Azidomethylgruppe bei Nucleosiden (hier: Synthons) – also Molekülen, die zwar die Pentose und Base aufweisen, denen aber verglichen mit Nucleotiden der Phosphatrest am 5´er Ende fehlt – beschäftigt.
  179. Bereits die Einspruchsabteilung hat insoweit ausgeführt, dass es keine Hinweise gibt, die den Fachmann dazu veranlasst hätten, die Lehre der NiK 26, die Nucleoside betrifft, anzuwenden und damit zum Gegenstand des Klagepatents zu gelangen (vgl. Anlage rop 15, S. 18). Ausgehend von der NiK 11, die sich bereits mit Nucleotiden befasst, müsste der Fachmann gedanklich wieder auf die Molekülart Nucleoside zurückgehen, das Phosphat trennen und neu beginnen. Solche Überlegungen können aber gerade auch für die Erfindungshöhe streiten. Sofern die Beklagten anführen, der Fachmann wisse, dass die Einführung des Triphosphats üblicherweise als letzter Schritt im Syntheseweg erfolge, steht dem gegenüber, dass die NiK 26 sich nicht mit dem SBS-Verfahren beschäftigt, so dass diese Erwägung erforderliche Überlegungen des Fachmanns nicht automatisch obsolet werden lassen.
  180. Auch die vorläufige Auffassung der Einspruchsabteilung in einem Parallelverfahren zu einem Patent der gleichen Patentfamilie (vgl. Anlage rop 1a, S. 37) spricht für die Erfindungshöhe. Danach zeige die NiK 26 zwar, das die Schutzgruppe auf milde Weise mit einem Phosphin entfernt werden könne, aber diese Entfernung sei offensichtlich im Kontext der Nucleosidchemie angemessen mild, wobei nicht offenbart sei, dass sie auch in dem chemisch komplexen enzymatischen System bei der DNA-Synthese angemessen ist. Auch wenn es sich nicht um eine Aussage zum Klagepatent handelt, äußert sich hier die Einspruchsabteilung allgemein dazu, dass milde Bedingungen bei Nucleosiden für den Fachmann nicht automatisch gleichzusetzen sind mit milden Bedingungen bei Nucleotiden.
  181. Selbst wenn man mit den Beklagten im Ergebnis dazu käme, dass die Verwendung von Pyridin ebenso wie die erfindungsgemäße Lösung ausreichend milde Bedingungen schafft, bleibt es dabei, dass der Durchschnittsfachmann im Prioritätszeitpunkt mit seinen durchschnittlichen Kenntnissen und seiner durchschnittlichen Leistungsfähigkeit über keine belastbaren Erfahrungswerte verfügte. Die Beklagte hat zwei Parteigutachten vorgelegt, die belegen sollen, dass wässriges Pyridin geeignet ist, eine Entschützung vorzunehmen, ohne dass die DNA denaturiert (vgl. NiK 33, Gutachten Prof. Carrell vom 13. Oktober 2019) und dass der Fachmann seine Erfolgserwartung hinsichtlich der Eignung der Azidomethylgruppe durch einfache Routineexperimente bestätigt gesehen hätte (Anlage B 11, Gutachten Prof. Carrell vom 7. September 2020). Der Umstand, dass Experimente im Hinblick auf das verwendete Pyridin nötig sind, um eine Denaturierung auszuschließen, spricht eher gegen ein Naheliegen der Verwendung der Azidomethylgruppe durch die NiK 26. So erscheint es gerade angesichts des eigenen Vorgehens der Beklagten so, dass erst zusätzliche Versuche den Fachmann in die Lage versetzen, zu beurteilen, ob der Einsatz von Pyridin, von dem der Fachmann weiß, dass es denaturierende Eigenschaften besitzt, ausreichend milde Entschützungsbedingungen zulässt. Abgesehen davon, dass die Auffassung der Beklagten, diese Versuche seien im Prioritätszeitpunkt als Routineexperimente anzusehen, rückschauend ist, spricht der Umstand der Durchführung von Experimente eher für die Erfindungshöhe.
  182. Schließlich hat die Klägerin zahlreiche Einwände gegen die Parteigutachten erhoben, die die Beklagten zurückweisen und deren Klärung im Rechtsbestandsverfahren herbeizuführen sein wird. Für die von der Kammer zu treffende Prognoseentscheidung stellt dies jedoch keine Situation dar, die überwiegend für eine Aussetzung des hiesigen Rechtsstreits spricht.
  183. ee)
    Eine naheliegende Kombination der NiK 11 mit der NiK 27 scheidet gleichfalls aus, da sich die NiK 27 ebenfalls mit Nucleosidchemie beschäftigt.
  184. b)
    Auch eine Kombination der NiK 10 mit den Entgegenhaltungen NiK 17/NiK 26 lässt die erfindungsgemäße Lehre nicht naheliegend erscheinen.
  185. Die NiK 10 offenbart als Kandidaten für potentiell geeignete Blockiergruppen Ester-Blockiergruppen. Als Kriterien für die Verwendung der Gruppen benennt die NiK 10 die Eignung der Polymerase, die dNTPs effizient einbauen zu können, die Verfügbarkeit milder Bedingungen für schnelles und quantitatives Entfernen und die Fähigkeit der Polymerase, die Synthese wieder zu initiieren (Anlage NiK 10, S. 20, Z. 28 ff.). Als Entschützungsmethoden offenbart die Entgegenhaltung die Basenhydrolyse, selektive chemischen Verfahren, photochemische Verfahren und enzymatische Verfahren (vg. Replik S. 19 m.w.N.). In den Beispielen werden die Blockiergruppen ab Verfahrensschritt 3 und erst im letzten Verfahrensschritt (11) eingeführt. Eine Einführung vor der Einführung der 5´Phosphatgruppe, also wenn letztlich ein Nucleotid vorliegt, offenbart die NiK 10 nicht. Es ist kein Anlass ersichtlich, warum der Fachmann über die Lehre der NiK 10 hinaus sich den anspruchsgemäßen Blockiergruppen zuwenden sollte. Im Hinblick auf die NiK 17/NiK 26 wird auf die obigen Ausführungen Bezug genommen.
  186. c)
    Vor diesem Hintergrund sprechen die von der Klägerin zusätzlich benannten Indizien wie der wirtschaftliche Erfolg ihrer Erfindung sowie die Nachahmung durch den Wettbewerb ebenfalls gegen eine überwiegende Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Vernichtung des Klagepatents.
  187. d)
    Vor dem Hintergrund des Parteivortrags bedarf es keiner ausführlichen Auseinandersetzung mit der Entgegenhaltung NiK 12 – die ebenfalls Gegenstand des Einspruchsverfahrens war – da dieser Stand der Technik noch weiter von der klagepatentgemäßen Erfindung entfernt liegt.
  188. VI.
    Die Kostenentscheidung richtet sich nach §§ 91 Abs. 1, 269 Abs. 3 S.2 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO, wobei auf Antrag Teilsicherheiten auszusprechen waren (vgl. § 108 ZPO).

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